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Den 4. August.

Diese Nacht überfiel mich eine unendliche Angst. Ich fühlte die Schrecken meines Aufenthaltsortes in ihrer ganzen Größe. Laut schreiend fuhr ich plötzlich vom Schlummer auf, Schweiß und Thränen bedeckten mein Gesicht, ich hatte schlimm geträumt, aber mein Wachsein wurde noch peinlicher als mein Traum. Ich blickte umher, das Nachtlicht war dem Erlöschen nahe, ich konnte die betäubten Sinne nicht in Ordnung bringen, nicht fassen wo ich war, welcher Raum mich gefangen hielt. Ich saß im Bette aufrecht und lauschte auf einen schauerlichen Ton, der nicht weit von mir sich vernehmen ließ. Es war das Schnarchen des Wächters, der im Nebengemach schlief, aber ich konnte das in der Verwirrung nicht deuten. Von unten herauf, wie aus der Tiefe der Erde, lief ein winselnder Ton an der Mauer bis zu meinem Fenster hinauf. Es war das Ächzen eines Commilitonen, eines Wahnsinnsgefährten, der unter mir wohnt und dessen Wehegeseufz mich schon manchmal wie ein Todesröcheln durchschauerte. Es ist ein Schneidergesell aus dem Voigtlande, vormals ein einfacher still vergnügter Mensch, der nichts als sein Gewerbe trieb. Von seinen Genossen geliebt und geachtet, lebte er mit seiner Muhme zusammen in gemüthseliger Eintracht; etwas eulenhaft menschenscheu, aber fleißig arbeitsam wie ein Hamster, tugendhaft keusch wie ein Joseph. Der Schneider und seine Muhme liebten sich still, aber ganz heimlich und schüchtern. Sie gestanden sich's nicht, sie waren zu zimperlich, er war ein ganzer Schneider an Leib und Seele, er hatte wohl Nadel und Zwirn, aber keinen Muth zur Liebe, und wenn sie's ihm auch einfädelte, er nähte und nähte, Kappnaht und Hohlnaht, und blieb doch ein Stümper im Nähen. Sie war auch eine zaghafte Seele, wie ein Spinngewebe so zart und dünn. So lebten sie miteinander, so zehrten sie sich auf in Sehnsucht, harmlos wie Tauben, dumm wie Gänse, sie waren das tugendhafteste Liebespaar unter dem Monde. Er war ein Narr, noch eh' er verrückt wurde, sie eine Närrin, noch eh' sie starb und durch ihren Tod ihn närrisch machte. Sie starb nämlich plötzlich am gebrochenen Herzen, und nun bildete der Mensch sich ein, er habe sie mit der Nadel erstochen und ihr die Lunge zugenäht. O Schneiderwahnwitz!

Diesen kläglichen Entsagungsroman hörte ich erst heut am Tage; in der Nacht vernahm ich das keuchende Gestöhn des Unglücklichen, der die Muhme sich verzehren ließ in eitel Sehnsucht und Herzeleid. Das Gewinsel des Hündleins, das nach der Mutterbrust verlangt, konnte nicht bemitleidenswerther sein als das Ächzen des Schneidergesellen, dem die Reue zu spät das Herz zernagt. Ach, ach! bei Licht besehen ist Alles närrisch und schnurrig in der Welt, was im Dunkel der Nacht so schaurig und qualvoll schien. Wär' ich der Schneider doch und hätte keinen Kummer als um die todte Muhme, ich wollte mir ihren Tod schon erklärlich machen; es gehört nur wenig Weisheit dazu. Daß ich der Schneider wäre im dunklen Loche! Er hat, da die Muhme todt ist, Niemand mehr in der Welt, der sich um ihn zu Tode härmt, und das ist ein Glück, wenn man toll ist. Ich aber habe lebende geliebte Menschen, die weinen werden und die Hände ringen, wenn sie hören, ich säße hier im Mondsteingewölbe des Wahnsinns. O Himmel! mein Traum. Nur mit Mühe kann ich ihn aus dem durchwirrten Gedächtniß herausnesteln, aber er war bitterböse; mir träumte, ich sei wirklich toll. Ich saß, so schien's mir, am Boden eines engen, dumpfen Kerkerloches, still im Winkel zusammengekauert. Ich hatte die Zwangsjacke an, denn ich war complet rasend. Ich fuhr mit dem Kopf gegen die Wand, ich hämmerte mit den Füßen, ich wetzte die Zähne. Da flimmerte ein Licht herab in den dunklen Raum, dessen gelbgrüne Dünste sich um die Flamme drängten und sie neidisch auszulöschen drohten. Zwei helle Gestalten schwebten hernieder; sie hielten sich umschlungen und kamen immer näher auf mich zu, sie flüsterten, winkten, weinten und lächelten mitleidig. Ach Himmel! es waren meine Ältern. Vater und Mutter sahen schmerzlich auf das blöde Kind hernieder, das, weit geringer als ein Wurm des Staubes, so gesunken war. Ein Thränenstrom floß aus den Augen meiner Mutter, ihr schwarzes Haar flatterte aufgelöst von ihrem Nacken, ihre Hände drückte sie gegen die kummerbleiche Wange. Von den mütterlichen Zähren fiel ein Tropfen auf meine Stirn, und wie durch tausend Adern ergoß sich die perlende Thräne wärmend durch meine Glieder. Die wilde Wuth war gebannt und gelähmt in mir, das Auge der Mutter blickte wie eine Sonne des Paradieses, wie ein Friede der Kindheit, in meine verworrene Seele. Ich wollte mich aufrichten; wie sie sich zu mir bückte, da rasselte der Fußblock, in dem ich gebunden lag, ich schrie laut auf, und der Traum, glaub' ich, war zu Ende.

Ich sprang vom Lager, zündete mir ein Licht an und setzte mich zum Briefschreiben. Ich schilderte meiner Mutter die Lage, in die mich ein räthselvolles Ungefähr gebracht, ich bat sie in tausend rührenden Worten, an meinem richtigen Verstande nicht zu zweifeln. Die Besorgniß, sie sei bereits von meinem Hiersein falsch in Kenntniß gesetzt, trieb mich zur Eile. Außerdem schrieb ich an meinen Oheim, berichtete ihm den Hergang der Sache und die Art und Weise, wie ich gewissermaßen gefänglich eingezogen und doch in ein Irrenhaus gebracht sei. Ein Irrthum, schrieb ich, übereile den andern, ich wüßte nicht mehr, was Versehen, Verwechslung oder Absicht sei, und wie sich dies kunterbunt im Kreise drehe. Zugleich bat ich ihn dringend, sich für meine Loslassung zu verwenden; sobald das Fieber mich verlassen, müsse ich diesen Ort des Schreckens fliehen. Es werde ihm auch ein Leichtes sein, noch eh' ich zu ihm käme, eine gerichtliche Untersuchung wegen des ganzen Vorfalls einzuleiten; Niemals sei ein Unschuldiger so rechtswidrig behandelt, noch viel weniger der Fall vorgekommen, daß man Jemand, den man für toll hält, polizeilich einziehen ließe.

Noch mit der Feder in der Hand war ich vor Müdigkeit auf meinem Sitze eingeschlafen. Die Morgensonne strich über meine Briefe hin, als ich erwachte und den Wärter vor mir stehen sah, der mich gedankenvoll betrachtete und mir auch dies wieder für Wahnsinn auslegen mochte. Im Grunde hat er Recht, denn entweder ist Nichts oder Alles am Menschen Tollheit, es kommt blos darauf an, ob der Argwohn einmal erregt ist. Was mich nur zuerst verdächtigt haben mag! – Ich hoffe, durch den Onkel Aufschluß zu erhalten. Die Briefe habe ich gesiegelt dem Diener übergeben; ich denke, man wird sie richtig befördern.

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