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Den 7. August. Abends.

Ja seht Ihr wol, Ihr Menschenkinder, seht Ihr wol! Hab' ich's nicht gesagt? Es ist noch nicht aller Tage Abend mit Eurer Verständigkeit. Niemand ist vor dem Tode glücklich, vernünftig und wahnsinnsfrei zu schätzen. Im frischesten Rohre sitzt oft am liebsten der Käfer und brummt. Der junge Doctor der Medicin, der gute blonde Philipp, der Neffe meines Äsculap – ja ja, es ist nicht richtig mit ihm, er hängt wo fest. Das junge unerfahrene Blut kommt hieher und will den Wahnsinn curiren, ohne zu wissen, wie Wahnsinn thut. Das geht nicht so, geht nicht so; Jeder muß Tribut zollen, hilft ihm Alles nichts. »Erst sich im Geheimniß wiegen, – dann verplaudern früh und spat!« Gemüthsschwindel bläst sich an wie der Wind so geschwind. Man weiß nicht, von wannen er kommt, noch wohin er fährt. Man weiß es wol im Allgemeinen. Nun ja, es kommt aus der Unendlichkeit der Idee, die auch ihren Humor haben will. Komisch, komisch! Aber ich sage, es muß sich Jeder in Acht nehmen: eh' er sich's versieht, sitzt ihm der neckische Teufel auf dem Nacken. Wer's nicht glauben will, der halte die Ohren steif, solang' es geht, und den Verstand dazu! Was man nicht an sich erlebt, erlebt man an Andern. Versenke Dich in Andere, gebrauche sie als Mittel, zur Erkenntniß zu kommen, studire die Krankheiten des Geschlechts an ihnen, lebe in ihnen und halte Dich heil! – O pfui, pfui, Egoismus, scheußlicher Moloch, pfui, verzehrendes Ungeheuer des Ichs! Hat das Schicksal keine Marter für deine hartgesottene, zähe, wilde Natur? –

Es hat mich überrascht und wird mich erschüttern, wenn es sich bestätigt. Der gute Philipp war noch gestern früh hier und versprach mir seinen Besuch auf den Abend. Er kam nicht. Ich schickte den Thierwärter oder Seelenwächter oder Aufwärter, oder was der Mensch bei mir sein mag, zu ihm; es hieß, er sei unwohl. Heut' früh wollte ich ihn besuchen, aber man sagte mir, er sei eben mit einer Patientin beschäftigt. Auf den Abend sprach ich seinen Onkel, meinen Arzt; dieser ließ das Wort fallen, der Philipp sei wie verwandelt. Das sagte der Mann mir, einem nach seiner Ansicht geistig Verdächtigen, so ganz unverholen; die trübe Stimmung übernahm ihn, daß er es nicht zurückhielt, es war schrecklich! Also nicht krank, nein, verwandelt; das muß im Gemüth, im Gehirn stecken! Der junge Doctor hatte ein so frisches gesundes Äußere, nichts Übergelehrtes, Überspanntes, Überwachtes, es war die hausbackene Prosa, die aus ihm sprach, keine Leidenschaft hatte in ihm ihre Herberge gehabt, er schien ein feistes, kerniges Fleisch, und das hellblaue Auge schaute so offen und wohlgemuth, fast zu sorglos in die Welt. Zu sorglos! ja da liegt's: ich sage, seid auf Eurer Hut! der böse Feind kommt über Nacht.

Ich drang in den Mann, mir zu vertrauen. Meine Theilnahme schien ihn zu bewegen, er wollte vergessen, daß ich selbst ein Curbedürftiger sei, allein schnell besann er sich eines Andern und sagte auf meine dringenden Fragen ausweichend, Philipp habe an einer Patientin, einer Frau von unheilbarem Blödsinn, vergebliche Curversuche gemacht, das habe ihn ganz verstimmt. Dabei leide er an Kopfweh und sei mürrisch, er wolle Niemand sprechen und sehen. Oho! ich habe Merks, habe Merks! Armer Philipp, was mag Dir sein? Glaube nicht, daß ich über Dich triumphire! Ich triumphire blos, daß der Verstand der Verständigen so unverständig, so schwach ist, sich so wenig zusammennehmen kann. Ach, an Dir habe ich nun wieder einen Freund mehr hier in meiner Seele, der mir verloren ist. Immer die verlorenen sind mir erst die rechten Freunde. Ich will mit Dir trauern, mein Philipp; nur ruhig, ruhig, es wird noch keine complete Abwesenheit des Geistes sein; Du warst freilich nicht so überfüllt an Geist, daß Du viel missen könntest, ohne es zu spüren. Oft kommt's aber nur so periodisch wie ein Schnupfen übers Gehirn. Man wirft wie etwas Flüssigkeit so etwas Tollheit von sich, die sich im Gehirn verhärtet hatte, man wirft's wie Ballast über Bord und macht sich wieder flott. Nur ruhig, Philipp; rien qu'une bagatelle. Die Zirbeldrüse niest einmal. Prosit, Philipp!

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