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Vorwort.

Indem ich diese Bekenntnisse der Öffentlichkeit übergebe, glaube ich bevorworten zu müssen, daß dieselben der Feder – oder vielmehr der Herzenswunde – eines Freundes entflossen sind, mit dem ich von Kindesbeinen an Freud' und Leid brüderlich getheilt habe. Sein inneres Geschick habe ich miterlebt, als wenn es das meinige war, und mit einem Verfolgungseifer, den nur die innigste Neigung erzeugt, habe ich ihn wie mich selbst bewacht, behütet, gewarnt, getadelt, gehaßt – und doch im Grunde geliebt. Im Conflicte mit dem Denken und Fühlen unserer Zeit befangen, schlug sich der Selbstquäler eine empfindliche Wunde und verströmte viel von seinem besten Herzensblut. Jetzt ist die Stelle, die er traf, verharscht, er selbst gerettet und gesichert, nur die Narben trägt er noch auf der Brust.

Daß ich mit der Herausgabe dieser Papiere mehr erzielt, als blos die Persönlichkeit meines Freundes dem Publicum vorzuführen, darf ich hier wol andeuten. Es regt sich in unserer Zeit eine Mißachtung der Individualität, man stellt sich höchst unbequem und scheint auch in der That nach einer Seite hin durchaus ermüdet, um noch blos persönlichen Interessen eine rege Aufmerksamkeit zu schenken; und doch ist man gezwungen, die Erlebnisse aller Einzelnen zu beachten, um zu erfahren, was in Kunst und Wissenschaft die Wahrheit unserer Zeit sei, und worin man die Kraft, den Muth und die Lust zu einem Fortbestehen, zu einem Weiterleben zu suchen habe. Die Frage, was für uns Wahrheit sei, stellt sich in den hier gesammelten Blättern gewissermaßen auf den Kopf, und der Versuch, sie indirect zu beantworten, sodaß es sich darum handelt, was der Wahn der Zeit sei, kann Anstoß erregen, läßt sich aber nicht so leicht von der Hand weisen. Wie die Erkenntniß der Tugend ein Verständniß Dessen, was Sünde heißt, in sich faßt, wie Licht Finsterniß bedingt, so läßt sich das Wahre in unserer Gegenwart nicht von deren Irrthum, selbst wenn er bis zum Wahnwitz gesteigert wäre, isolirt betrachten. Aus dem Ineinanderdrängen der Gegenkräfte erzeugt sich erst das Spiel der Farben und die Menschenwelt. Wie sich aber äußerer Zufall und innere Selbstverschuldung vereinigten, um den Freund das seltsame Abenteuer in der Krankenanstalt auf dem »Mondstein« erleben und geistig überleben zu lassen, darüber gibt die Novelle selbst genügenden Aufschluß. Der Abenteurer lebt, er erfreut sich bis jetzt einer ungehemmten geistigen Gesundheit und mag künftig dem Publicum selbst sagen und berichten, wie er nach der Rettung aus dem Schiffbruch seines innern Menschen die Kämpfe des Lebens weiter durchzufechten im Stande sein wird. Seine Tragikomödie der Irrungen im Irrenhause hat er nicht selbst publiciren wollen, aus Furcht, er möchte jetzt, nachdem sich die Extreme seiner Gefühlsmeinungen geläutert haben, die lichten und dunklen Farbenstellen in seinen Tagebuchsblättern verwischen.

Schließlich erlaube ich mir die dringende Bitte, hinter dem »Mondstein« nicht etwa den Sonnenstein bei Pirna zu suchen, wogegen ich als verantwortlicher Herausgeber hiermit förmlichst protestire. Auch möchte es nicht räthlich erscheinen, den Lokalitäten, auf denen das Stück spielt, allzu emsig nachzuspüren. Man halte »Welmar« ja nicht für Weimar und suche »Isebüttel« nicht dem Büttel verdächtig zu machen. Man nehme gütigst blos das Ideelle in der Katastrophe für Thatsache. Will man übrigens diese Confessionen des Freundes mit vornehmem Achselzucken ansehen und sie als fingirte Memoiren eines krankhaften Narren im Narrenhause belächeln, so ziehe man doch dabei in Betracht, ob man nicht zugleich seine Zeitgenossen allzu bitter kränkt und verletzt. Mindestens sollte man sich doch bemühen, in diesen innern Störnissen die Methode aufzufinden, wie sich dies Polonius bei Hamlet's Wahnsinn angelegen sein ließ.

Berlin, den 1. März 1835.

Dr. F. G. Kühne.

Mondstein, den 1. August 1834.

Seit kurzem hat mich das Fieber verlassen, das von Stund' an, als man mich – ohne daß ich weiß warum – hieher transportirte, meine Nerven heftig durchschüttelte. Fast acht Tage hab' ich, wie mein Arzt versichert, bewußtlos dagelegen. Schrecklich! so lange todt gewesen zu sein und doch existirt zu haben. Dem geistigen Nichts habe ich mich nun entwunden, meine Seele hat sich ins Dasein wieder hineingerettet, und ich könnte mich über den Wiederbeginn meines Lebens als Mensch freuen, wäre ich nicht an einem Orte erwacht, wo das Bewußtsein eines Jeden für zerrüttet gilt, wo man – wenn man es noch nicht ist – wahnsinnig werden kann, weil man dafür gehalten wird.

Vom Fieber habe ich nur noch eine nachwirkende Lähmung in meinen Gliedern, mein Kopf ist wieder auf der rechten Stelle, mein Geist beginnt – um mit umgekehrtem Lear zu reden – nicht mehr zu schwärmen. Wenigstens fange ich an, das Dunkle als dunkel, das Lichte als licht zu erkennen. Ganz klar mag's freilich noch nicht allerwegen mit mir sein. Aber kann es, soll es dem armen Erdenmenschen überhaupt völlig klar werden im Gehirn? Kann er in der höchsten, feinsten Bergluft ausdauern? Wir wissen ja, er bedarf einer Atmosphäre, die mit Wasserstoffen, mit Nebel also, gesättigt ist. Oben auf den Bergen, wo die Freiheit wohnt, muß er bluten. Es ist ein schlimm Ding mit den Höhen des Lebens! Es wird uns droben luftig, zugluftig, der Schnupfen wird blutig. Purpurrothe Thränen entstürzen unsern Augen, selbst Riech- und Gehörwerkzeuge müssen Blut lassen, wenn wir den Montblanc besteigen, oder sonstige Gipfel des Lebens. Wir sind für niedriges Terrain, für Dunstatmosphären geschaffen. Es gibt sogar Fälle, daß Ohren und Nasen abgeschnitten werden, falls sich Einer zu hoch versteigt; dann bluten sie doch gewiß! Ich sage, die Menschheit ist für den Nebel gemacht, für Halbdunkel, und wenn es der Menschheit nicht ganz hell werden darf, – die Mächte erlauben's ja nicht, ich meine die Mächte des Schicksals, die Mächte der Natur, – wer will verlangen, daß es mit mir ganz klar werde? – Auch dem innern Menschen wird's nicht sonnenhell in seiner Seele. Durch unsere lichteste Weisheit ziehen Streifnebel des Irrthums, des Wahns, des Aberglaubens, und wie uns Furcht oder Hoffnung bewegt, danach philosophiren wir über das Diesseits und das Jenseits, das unentdeckte Land. Ach! wir wissen wol was wir sind, aber nicht was aus uns werden kann. Lieber Himmel! was ist denn binnen kurzem aus mir geworden? – Ein Wahnwitziger, – die Menschen halten mich dafür. An und für sich ist Niemand etwas: die Welt macht ihn erst dazu. Die Macht der Meinung hat ein furchtbares Gewicht; sie kann wie ein Fluch auf uns lasten: das fühl' ich bitter. Die Meinung beherrscht Alles im Leben, heutzutage mehr als je; die allgemeine Stimmung ist allgemeine Königin. Und wenn die Bourbonen hundertfach ihr gutes Recht auf den Thron hätten und nie verlieren könnten: die Menge steht auf und schreit: Nein! so ists mit Allem aus. Ob der zehnte Karl die Grundsäulen des constitutionellen Frankreichs umstoßen wollte oder nicht, ob er Tyrann war ober nicht; darauf kommt es nicht an, er war es nicht mehr als viele Andere; aber daß er für einen Volksfeind galt, daß man sagte, er sei ein Zwingherr, das hat ihn gestürzt. Die Meinung siegt, und Das, was man Recht nennt, tritt ohnmächtig und bleich zurück wie die Lilie. – Hat sich denn Frankreich regenerirt durch die Julirevolution? Ist das Frankreich von 1834 ein anderes, wie das von 1830 vor der Katastrophe? So wenig wie der National von 1834 ein anderer ist als der alte National schlechthin. Frankreichs Minister sind nur so lange liberal, als sie nicht Minister sind. Der König der Franzosen benimmt sich wie ein König von Frankreich und ein König von Gottes Gnaden. Louis Philipp hat sich auf dem neuen Throne arrangirt wie ein Alter, er ist ein kleiner Augustus; wenn er stirbt, kann er fragen: Hab' ich nicht gut gespielt? Und Niemand wird antworten, denn Jedermann hat es längst bejaht, das Spielen nämlich, nicht das Gute.

Das neue Frankreich ist also das alte, und der alte rechtmäßige Karl sitzt auf dem Hradschin und blickt nach Westen in die sinkende Sonne und fragt: Warum? warum das Alles? Ach! so sitze ich hier im Irrenhause auf dem Bette und frage: Warum? warum bin ich hier? Beim ewigen Gott! ich weiß es nicht, ich weiß es nicht und kann es nicht finden. Man hat sich auf der Reise meiner Person bemächtigt; ohne allen Gesetzesgebrauch noch Anstandssitte hat man mich festgenommen, und wie ich den Ersten, der mich ergriff, zu Boden geschleudert, mir die Hände gebunden, mich in eine verdeckte Kutsche gepackt und fortgeschleppt. Ich hörte auf der Reise viel munkeln von Verhaftbefehlen gegen Alle, die nur jemals im Geruche der Burschenschaftlerei gestanden; die frankfurter Unruhen hatten zu dieser Maßregel einen nur zu triftigen Beweggrund gegeben, oder nicht Beweggrund, Veranlassung, Befürchtungsgrund, nicht Beweggrund. Großer Gott! Bewegung! verruchtes Wort! Wie kann ich Bewegung den Verfolgern der Bewegung zumuthen. Den Grund boten die frankfurter Trivialitäten; auf den Grund wollte man der Sache kommen, selbst wenn sie bodenlos sein sollte. Aber ich für mein Theil war nie Burschenschaftler gewesen, ich konnte nicht verdächtigt werden, ich konnte vor Gericht nichts aussagen, ich bin weit unschuldiger noch als Staberl, der mit einem Flüchtling den Rock wechselt und so dessen Signalement auf seinen Rücken nimmt. Ich war zeitlebens ein viel zu timider Mensch, ich war zu geizig mit meinen Gedanken, um einen einzigen derselben für zehn Revolutionsideen umzutauschen. Ich lebte in B. so still wie eine Kirchenmaus Jahr aus Jahr ein. Stille Kirchenmäuse zernagen freilich oft die Hostien im Tempel und zerfressen die Sacramente des Lebens, allein man stellt Gift hin neben die heiligen Dinge und ist dann sicher gegen den Zahn der Kritik so kleiner Wesen. Auch für den Zahn der Zeit hat man Gift genug; man kann ruhig schlafen und Alles gut sein lassen. Politische Zeitungen hatte ich gelesen, politische Gedanken im Kopfe gehegt, des Völkerlebens Lust und Leid im Herzen getragen, allein nie ein Wort hinausgesprochen aus der verschlossenen Brust; Gedanken und Gefühle waren unausgebrütete Eier geblieben unter den schirmenden Flügeln einer policeilichen Stiefmutterhenne. Mein Ich hatte ich selten hinausgedrängt auf den Markt des Ruhmes; ich hatte mehr als eine Persönlichkeit, mehr als mein Ich suchen wollen und war freilich so vereinsamt geblieben, daß ich doch nichts hatte und behielt von all meinem emsigen Forschen und Grübeln, als dies mein armes, kleines, winziges Ich. Ich schien der gefahrloseste, weil unbrauchbarste Mensch im Staate, ich war von je der stillste Bürger dieser Erdenwelt. Elegien könnte ich schreiben über dies mein stilles wissenschaftliches Vegetiren: warum mich gefänglich einziehen? Blos auf mein ehrlich Gesicht hin und mit einem kraftgültigen Paß versehen, hatte ich mich in das Ausland, d. h. in ein deutsches Ausland, hineingewagt. Meiner Schulden wegen konnte ich nicht gefänglich eingezogen werden, denn mich drückten keine; ein Engagement hatte ich nicht, wie reisende und ausreißende Künstler, im Stich gelassen, denn mich band keines; wegen versäumter Amtspflicht konnte ich auch nicht eingezogen werden, denn ich war ja in meiner Heimat ein eben so amtloses wie harmloses Individuum. Ich wollte eine Vergnügungsreise machen, sowie ich überhaupt nur zum Vergnügen leben und zum Vergnügen sterben will, wenn's sein muß. Ich lebe in meiner Heimat, wie man so zu sagen pflegt, ganz frei und ungebunden, amtsfrei und – so lange Gott will – schuldenfrei. Sollte man diese Freiheit nicht erlauben?

Ich bin in B. blos Mensch, Doctor der Philosophie, auch Magister der brotlosen Künste. Wäge ich diese drei Würden gegen einander ab, so fällt auf die Menschenwürde das meiste Gewicht. Ich bin nichts, rein nichts, man kann mich nicht verhaften. Philosophen beargwöhnt man, sie haben oft falsche Begriffe von der Freiheit verbreitet. Advocaten und Doctoren der Philosophie standen an der Spitze der neuesten trostlosen Bewegungen. Allein ich als Philosoph demonstrire Jedem, nach Hegel, daß Freiheit und Nothwendigkeit identisch sind, und bin demnach ein gefahrloses Wesen. Ich bin sonst ein stiller friedlicher Mensch, aber wenn man mich reizt, so habe ich einige dialektische Fünffingergriffe bei der Hand, die ich dem Inquisitor um die Ohren schlage, daß ihm seinerseits die fünf Sinne vergehen. Ich kann als Philosoph nicht arretirt werden; auch lebe ich nicht von der Philosophie, vielmehr lebt und zehrt der Philosoph in mir vom Menschen in mir; als absoluter Philosoph will ich nichts Anderes sein als ein absoluter Mensch. Bin ich nun als absoluter Mensch unschuldig: wer will mich verhaften? Als Magister der brotlosen Künste sterb' ich mehr als daß ich lebe. Aber gesetzt ich hätte mein Brot von den brotlosen Künsten: bedauern mögt ihr mich; wer will mich aber verhaften? Ich lebe nur zum Vergnügen, und wenn mir Einer beweist, ich würde, falls ich länger des Vergnügens wegen lebte, vergnügenshalber umkommen, so beweist das noch nicht, daß ich vergnügenshalber gefänglich eingezogen werden darf. Das ist kein Privatvergnügen mehr, das greift in die Sache der Gerechtigkeit und Staatsverwaltung, und die Zeiten sind vorüber, wo Recht und Gerechtigkeit blos zum Vergnügen der sogenannten Großen dieser Welt gehandhabt wurden. Lebten wir in einem ancien régime, so wüßte ich, daß es lettres-de-cachet gäbe und tröstete mich dann mit dem nicht unbedeutenden Range eines Wirklichen Geheimen Staatsgefangenen; allein in dem Bewußtsein, weder innerlich noch äußerlich etwas Burschenschaftliches an mir zu tragen, glaubte ich sicher meines Weges gehen zu können und bin doch bitter getäuscht.

Aber wie trug sich die Sache nur zu? – Während ich darauf sinne, merke ich erst, wie absorbirend ein Fieber auf die Gedächtnißkraft wirkt. Das klare Denken hält noch schwer. Mit den geistigen Functionen gehts wie mit dem Magnete; lange Unthätigkeit erschlafft ihn. Aber ich muß es finden.

Wien sollte das Ziel meiner Reise sein. Zuvor besuchte ich jedoch in Welmar meinen Onkel. Welmar ist das Hauptstädtchen des Ländchens Tz. und in diesem Fürstenthümchen Tz. ist mein Oheim nach dem Regenten selbst das bedeutendste Thierchen, ein Präsidentchen, ein kleiner Omnipotens. Ich fand den grämlichen Staatsmann, der mir, obschon ich seiner Schwester Sohn bin, nie wohlgewollt, in zu drückender Amtslast, um ihn lange zu behelligen. Als fahrender Literat und denkender Müßiggänger war ich dem Oheim von je ein Dorn im Auge. Dazu kam ein Familienhaß, an dem sein bittersalziges Aristokratenherz Schuld war. Denn obwol einer adeligen Mutter Sohn, bin ich doch eines bürgerlichen Vaters Kind, mithin ein Bürgerkind, so gut und schlecht wie eines in der Welt. Das konnten die Verwandten meiner Mutter nie vergessen, und der Ruin meines väterlichen Glückes war nur ein Grund mehr zu Haß und Verachtung gewesen. Gleichwol mußte ich den Onkel in einer Erbschaftsangelegenheit sprechen, und blieb so einige Tage in Welmar und in seinem Hause. Die Abende brachte ich im Theater zu, die Morgenstunden waren einer jungen Sängerin gewidmet, die sich mit ihrer kranken Mutter im Residenzstädtchen aushielt und dort in Concerten gastirte. Sie war eine expatriirte Polin; Victorine Miaska war ihr Name. Sie zieht in Deutschland umher und lebt von ihrer Stimme, da sie von ihrem Patriotismus in Polen nicht mehr leben kann. Sie hatte aus Polen nichts weiter gerettet als sich und die kranke Mutter, ihre blühende Jugend, ihre Schönheit, ihre wunderbar sanfte, süße Stimme und eine seltene Heiterkeit der frischen Seele, – und das war viel, unendlich viel aus Polen gerettet. Wer hat aus Polen jemals eine Lust zum Leben mitgebracht? Wer kann das blutende Vaterland ohne blutendes Herz verlassen, aus dem Grabe als Lebendiger aufsteigen? Victorine hatte es gekonnt. Ein stiller Leichtsinn trug die Seele des schönen Mädchens und hatte sie behütet vor Schwermuth und Todeslust. Ihre Familie hatte an dem Aufstande in Warschau lebhaft Theil genommen; Peter Wisotzky war Victorinens Vetter. Ihr Vater und zwei Brüder waren gefallen für die Sache ihres Landes, der Dämon der Freiheit hatte sie in den Kugelregen von Ostrolenka getrieben, aus dem Keiner von ihnen wiederkehrte. Während vom Donner der Kanonen die Erde bebte, saß das stille Kind tröstend und pflegend am Bette der kranken Mutter, die mit dem Tode rang. Ein milder Schutzgeist breitete um Victorinen die schirmenden Flügel. Vater, Brüder, Verwandte, Freiheit, Vaterland, Alles sank um sie her, und unter Trümmern stieg sie unversehrt hervor, eine wunderbare, frischblühende Knospe. Sie war nicht mehr Kind genug gewesen, um den Aufruhr der wildbewegten Elemente des Lebens nicht sympathetisch in sich selbst mitzuerleben, Haß und Rache, Freiheitslust und Siegestaumel, Alles hatte sie mitgefühlt, aber Schmerz und Unglück schienen mit leisen Zügen in die Herzblätter der jugendlichen Seele eingeschrieben, ihr Genius hob sie hinweg über das Grab der vernichtenden Trübsal und der trostlosen Verzweiflung. Sie war Kind gewesen, die Sorge um die kranke Mutter war ihr Beruf; das wilde Schauspiel des Krieges, der sie umtobte, war auf der Tafel ihres Gedächtnisses nur wie eine schreckliche Mythe stehen geblieben. Sie lebte darauf mit der Mutter ein Jahr lang in Dresden; ihr Talent entwickelte sich rasch, man pries den Wohllaut ihrer Stimme, und so wollte sie durch die Welt ziehen und der Welt es singend sagen, was Schmerz sei und bittre Todesqual, was es heißen wolle zu jubeln für Freiheit und Vaterland und für den Jubel zu bluten. Sie konnte es sagen, denn sie hatte es erlebt, sie konnte es wissen, denn sie war eine Polin. Weil sie es aber hinaussang aus tiefster Brust, so blieb das Herzeleid nicht gefangen in der Seele und nagte nicht am eignen Lebenskeime: so blieb sie heiter und still unter Todesgesängen; im Aufruhr aller Leidenschaften, die sie sang und singend wie Sternschnuppen aus dem tiefblauen Himmel ihrer Seele schleuderte, blieb sie ein einfach harmloses Mädchen voll rührender Einfalt, ja voll Scherz und spielender Anmuth. Sie hatte in einem jener Concerte, die sie in Welmar gab, die Arie aus Mozart's Don Juan gesungen, in welcher Donna Anna den Ottavio zur Rache aufruft. Nur eine Polin kann den Aufruhr singen, wie er Anna's Gemüth durchbebt, nur eine Polin kennt die Süßigkeit der Rache, die Wonne des Hasses, die Wollust einen Tempelräuber zu ermorden. Nach der Liebe ist der Haß die schönste Leidenschaft. Jemand hassen, der dir die Krone des Lebens stahl und mit frecher Hand in dein Heiligthum griff, das macht dich zum Halbgott. Religionskriege sind die blutigsten, aber auch die schönsten, und wäre der Gott, der die Gemüther entflammt, auch nur ein Dämon, ein Phantom, – die Poesie der Leidenschaft redet und tönt in tausend Zungen. Und ein Volk, das seine Ketten zerbricht, schürt das Feuer des Religionskrieges; die Freiheit ist auch eine Religion, sie ist die Religion unsers Jahrhunderts. Und auch Donna Anna predigt einen Religionskrieg; ihre Mädchenehre ist ihre Religion. Nicht der erschlagene Vater nur, das geraubte Palladium der Jungfrau will seine Rache. In dieser Flamme steht sie vor uns, selbst im Trauergewande ist sie eine Priesterin des Hasses, selbst die weiße bleiche Wange lodert in voller Glut, sie ist eine brennende Lilie.

Victorine war ganz die Anna, wie sie Mozart musikalisch dichtete. Man hat von Anna's Liebe, von einer geheimen Hinneigung zu dem Räuber ihrer Ehre gefabelt; es war nur eine Verwechslung der Begriffe, man kennt zu wenig die Poesie des Hasses, darum wollte man Liebe nennen, was man nicht deuten konnte. Victorine kannte, wie Anna, nur den Haß. Ich glaube, Victorine konnte nicht lieben, weil die eine große Leidenschaft schon alle Glut der Empfindung in ihrer Seele verzehrte. Und doch lebte die Leidenschaft nur in ihren Tönen. Hatte sie ausgesungen, so war sie weich und gut, oft tändelnd und neckisch, und wenn sie an meinem Arme aus dem Concerte zurückkehrte, hatte sie tausend kleine närrische Einfälle oder war sorgsam still auf das Wohl der Mutter bedacht, die im Hotel das Zimmer hütete. Ihr Gemüth war keusch und rein, so harmlos wie das Gemüth des Dichters, der die Sünde schildert, nicht weil er sie liebt und übt, sondern weil er muß, und er muß es, weil in der Sünde alles Das, was menschlich heißt, wie zu einem Fruchtknoten jählings zusammenschießt und auseinanderfällt. Victorine hatte nie geliebt, am wenigsten mich. Aber sie duldete mich, weil ich an ihrem Wesen mich still weidete, weil ich ihre ganze Erscheinung ruhig über mich walten ließ. Sie war gesprächig und freundlich; ihre Heiterkeit zog wie ein Balsamhauch durch meine Seele. So habe ich manche Blume geliebt im Leben, habe ihren Duft getrunken und bin dann fortgeschlichen, wenn es mich betäubte.

Man nannte mich im kleinstädtischen Welmar bald den ausgemachten Polinfreund. Das klang noch schlimmer als Polenfreund. Die kleine Victorine hatte Manchem, der sich ihr aufgedrängt, der aber ihr Wesen nicht begriff, spöttisch heimgeleuchtet mit Witz und Scherz; ich allein blieb in ihrer Nähe; ich, der timide, menschenscheue Sonderling, schien der Begünstigte. Das fand man spaßhaft oder lächerlich, mein Onkel Präsident suchte nach geheimen Gründen. Sein Argwohn ward mir lästig; ich verließ Welmar, in Wien hoffte ich Victorinen wiederzusehen.

Ungeliebt lieben zu müssen, war mir kein neues Erlebniß; das Verhältniß zur schönen Polin war nur eine Variation eines mir geläufigen Themas, es war ganz die alte Fuge, der alte Refrain meines Lebens bis zur Stunde. Gegen den kategorischen Imperativ der Kant'schen Lehre, das alte Sollen und Nichtsollen, in Gedanken debattirend, schlenderte ich der Grenze des Fürstenthums Tz. entgegen. Mir war ganz aufgelöst zu Muthe, still-gleichgültig, zahm-verzweiflungsvoll; in Wien, der freudeberauschten Kaiserstadt, wollte ich Befriedigung, Entschädigung suchen, wollte mich in die Materie des Lebens versenken, als denkender Mensch und der philosophischen Ansicht gemäß, daß man mit seinem ganzen Ich im Gegenständlichen aufgehn müsse, um das Object des Lebens zu begreifen und die Subject-Objectivirung des Erkennens absolut zu vollziehen. Es war ein Glück, daß ich nicht nach Wien kam; man kann auch der Wissenschaft wegen sündigen, auch der Wissenschaft wegen untergehn.

Ich hatte den Boden von Tz. verlassen und betrat, rückwärts schreitend im Alphabete und in der Cultur, das Land Z. Die Ländereien mehrer Souveraine laufen dort im Zickzack durch einander. Ich kam auf einen Länderfetzen von Y., dann wieder in ein Stückchen von Tz., endlich abermals – doch ich war schon irre in der deutschen Geographie, ich wußte nicht mehr, war ich in Y., Z. oder Tz., als ich in einem abgelegenen, romantisch versteckten Wirthshause den Polizeibeamten finde, der mir den Paß abfoderte, und nachdem er auf seine Weise sich überzeugt, ich sei der Rechte, mich in den Wagen steigen heißt. Ich drang darauf, man müsse mir den Verhaftsbefehl zeigen, eh' ich Gehorsam leisten könne; es finde hier ein Versehen statt, ich sei der Neffe des Präsidenten in Welmar. Nichts schreckte den Kaltblütigen zurück, der auf Alles gefaßt schien, und nur sein Bedauern kurz andeutete, mir den Grund seines Verfahrens nicht auseinandersetzen zu können. Der Fall war mir neu, ich wurde warm. Die Zudringlichkeit des Mannes nahm zu, ich wurde heiß, ich schwur, mich nicht ergeben zu wollen, ich würde der himmelschreienden Gewaltthat mich widersetzen. Aber unbewaffnet wie ich war, mußte ein ernstlicher Widerstand für Unsinn gelten, und auch den Versuch dazu bereute ich bald, weil ich meiner Unschuld und Würde etwas vergab. Den Helfershelfern meines Unverschämten war es ein Kleines, mich von hinten zu ergreifen, zu binden und in die bereitstehende Kutsche zu heben. Einer von ihnen stieg mit auf den Bock; mein Oberpeiniger im Wagen konnte sich ruhig eine Pfeife anzünden.

Wir fuhren den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein. Der Himmel hatte sich schwarz umzogen, ein Gewitter kündigte sich in lauten Schlägen an, der Regen goß in dichten Strömen. Das gehört zur abgenutzten Romantik der Entführungsgeschichten. Der Commissair bat mich, auszusteigen, ich sei am Orte meiner Bestimmung. Es war so dunkel, daß man keine Hand vor Augen sehen konnte. Mein Begleiter führte mich am Arme, der Diener ging mit einer Leuchte einen Bergpfad voran. Ganz durchnäßt gelangten wir vor den Stufen eines bedeckten Ganges an, wo man uns nach mehrmaligem Schellen eine rasselnde Pforte öffnete. Der Commissair überreichte dem Pförtner, in dessen Wohnung wir vorläufig eintraten, einen Brief mit der Bitte, den Director zu wecken und ihn von seiner Ankunft in Kenntniß zu setzen. Während Jener sich entfernte, nahm mir der Commissair den Riem von den Händen und ersuchte mich in leutseligen Worten, mich ruhig zu fügen, er wolle meiner Widersetzlichkeit nicht weiter gedenken. So ein geheimer Commissair kann Alles möglich machen, darum übersetzte auch der alte Jahn, der getreue Eckart des deutschen Freithums, das Fremdwort Commissair mit »Möglichmacher.«

Man führte uns über den Hof in ein freundlich möblirtes Zimmer, wo mich ein kleiner Mann zutraulich bewillkommnete, mir die Hand drückte und dem Diener des Hauses Befehl gab, mir trockne Kleider zu reichen.

»Vor allen Dingen, mein Herr«, sagte ich, über den Empfang befremdet, »mit wem habe ich die Ehre zu reden?« –

»Nennen Sie mich ihren Freund, dem nichts als ihr Wohl am Herzen liegt«, erwiderte der Kleine mit gefälligem Singsang und klopfte mir mit der humansten Art wie ein sich überlegenfühlender, aber wohlwollender Geheime-Rath einem schüchternen Candidaten die Schulter.

Das stimmte mich fast weichmüthig, denn ich hatte eher Kerkermauern und Daumschrauben als solche Leutseligkeit von einem Criminaldirector, oder wofür ich den Mann sonst hielt, erwartet. Er wechselte heimlich noch einige Worte mit meinem Möglichmacher, den er sodann entließ, und trat, als wären ihm Käuze wie ich schon oft vor Augen gekommen, ganz harmlos wieder zu mir, betastete meine Hand und fühlte mir nach dem Pulse. Das fiel mir auf, und ich fragte lächelnd: »Halten Sie mich für physisch krank, mein Herr? Für wen halten Sie mich überhaupt?« Er nannte mich bei Stand und Namen. »Den Neffen des Präsidenten in Welmar?« Er bejahte mit freundlicher Ergebenheit. – »Und doch kann man so rechtswidrig mit mir verfahren? Ich habe einen unverfälschten Paß; ich werde angehalten wie ein Landstreicher; ohne Anklage, ohne Grund, ohne Andeutung, von wem der Verhaftsbefehl ausging, werde ich fortgeschleppt. Bin ich einem Barbarengezücht in die Hände gefallen, das mit Fremden so türkisch verfahren darf? Aber es wird sich aufhellen, und ich will furchtbar Rechenschaft fodern. Nicht daß man mich einzieht, für die geheimnißvolle Weise, mit der es geschah, als herrsche hier bei lichtem Tage die alte Vehme, daher will ich mich rächen, gesetzmäßig Rache fodern.«

Der kleine Schwarzkopf mit der sanften Friedensmiene hatte inzwischen meine Hand nicht losgelassen. »Sie sind krank, Theuerster«, sagte er mit bedeutsamem Winke, »die Überraschung, die Hast der Reise, die Explosion des Wetters, Alles hat Sie afficirt; Sie fiebern stark, legen Sie sich nieder. Sie finden hier Alles zu Ihrer Bequemlichkeit, der Wärter bleibt zu Ihrer Dienstleistung im Zimmer, und ich, Ihr Freund, bin in der Nähe.«

Der Mann war ein geborner Sachse. Das Einschmeichelnde seines Wesens that mir unendlich wohl. Dabei hatte er Recht, ich fühlte jetzt erst, daß in mir Hitze und Frost durcheinandertobten. Ich war wie benommen im Gehirn, eine Betäubung befiel mich wie ein Schwindel und ich sank ermattet auf das Lager, das ich lange genug hüten sollte.

*

 


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