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Den 7. August.

Mein Arzt ist mit mir ganz zufrieden. Was mich innerlich quält, vertrau' ich dem Papier an und setze es ab wie Weinsteinsäure. Ich kann dann ruhiger sein, und weiter will vor der Hand auch der Medicus nichts. Physisch bin ich zu Stunden noch abgemattet; ich wollte, ich hätte Jemanden, dem ich meine Gedanken in die Feder dictirte; das Schreiben afficirt mich noch, der Gänsekiel hat einen gewissen stupenden Duft für meine Riechnerven, der mich anwidert, wie nervenschwache Frauen die Stricknadeln nicht führen können, weil der Metallgeruch sie unangenehm aufregt. Auch in der Bewegung der Finger beim Stricken mag für sie derselbe stechende Reiz liegen wie für mich in dem knisternden Getanze der Feder. Von meiner Umgebung dürfte ich freilich Niemanden meine Gedanken schriftlich in die Hand oder in die Dinte geben, es würde mich selbst erst recht in die Dinte führen, man würde glauben, Documente meines gestörten Gehirns Schwarz auf Weiß zu haben. Also muß ich schon selbst den Kiel reiten in kranken wie in gesunden Tagen. Meine Tageblätter werden metaphysische Sennesblätter gegen mein inneres Leiden.

Mein Äsculap schickte mir einen Jünger seiner Kunst zum Besuche. Es war ein blutjunger hübscher Mensch, der seinen Cursus vollendet, seine Reisen eben zurückgelegt hat, halb Deutschland durchlaufen ist und sich nun hier in der Irrenanstalt, was er draußen in der vernünftigen Welt verabsäumt, Menschenkenntniß einsammeln will. Auch praktische Curen mag er hier versuchen wollen. Er erzählte mir viel von seinen Studienjahren, die er in Halle und Jena zugebracht, von seinem Aufenthalt in Wien und Prag. Ich war sehr lammgeduldig, das gefiel ihm, und so wurde er redselig, um mich für mein gutes Verhalten zu belohnen. Alles, was er sagte, bezog sich nur auf Blutcirkulation, Magenkneifen, schlechte Verdauung und Klystirspritzen. Höchstens verstieg er sich auf klimatische Verhältnisse der Gegenden die er gesehen. Er kennt nur das Thier im Menschen. Galerien hat er nie besucht, in Cirkel ist er wenig gekommen, ethnographische Studien liebt er nicht eben sehr, er kennt von Sachsen, Böhmen, Östreich nur die Krankenhäuser. Das heißt freilich das Leben und die Menschen nur da aufsuchen, wo sich eine äußere Stelle für ein Pflaster zeigt; die Kenntniß innerer Wunden bleibt auch der Ahnung nach fern. Ich spielte auf literarische, auf politische Themata an, hütete mich aber wohlweislich, näher in diese Gebiete einzugehen, da ich merkte, er könne nicht folgen. Vielmehr ließ ich die größte Theilnahme blicken, als er mir wiederholt die Einrichtung der wiener Lazarethe detaillirte. Man muß den Leuten zeigen, daß man gerade auf den Punkt so langweilig ist wie sie, mehr nicht, sonst halten sie Dich für bornirt, weniger auch nicht, sonst giltst Du für seltsam. O die Kunst, durchs Leben zu kommen, ist schwer, sehr fein und schwer! Aber ich will's noch so weit bringen, daß der junge Heilkünstler, der jedenfalls ein Abgesandter und Spion des alten ist, mich für den simpelsten und nach seiner Art vernünftigsten Menschen unter dem Monde hält. Alle Extravaganz gilt ja eben für Verrücktheit.

Der Äsculapgeselle war noch bei mir, als der kleine Altmeister dazukam. Er ist der Onkel des angehenden Arztes. Als sie so Beide vor mir standen, scheinbar mich nicht beobachtend, und doch blos versammelt, um mir die Physiognomie abzulauschen und mir die Prognose zu stellen, kamen sie mir Beide wie psychologische Barbiere vor, die mir gern den Wahnsinn von der Seele rasirt hätten und nur nicht wußten, wie sie mich einseifen sollten.

Ich bat die Herren um Lectüre zu Füllung der langen Weile. Ich bedarf in der That fremden Stoffes, wenn ich mich in der Einsamkeit meines Gemüthes nicht ganz aushöhlen soll. Zu poetischen Entwürfen fehlt Anregung und Laune, und der kritische Gedanke ist ein Blutsauger. Das sagte ich den Herren nicht, ich deutete blos an, ich hätte ein Bedürfniß, mich verstandesmäßig zu beschäftigen. Der ältere Äsculap versprach, indem er mich verließ, aus der Bibliothek der Anstalt Entsprechendes zu schicken. Bald darauf brachte er selbst eine Handvoll Bücher zur Auswahl. Es war ziemlich von allen Facultäten etwas. Von poetischen Sachen Gellert's Fabeln und ein Band Contes moraux von einer französischen Stiftsdame, die die Unmoralität sehr haßte, weil sie zu sehr mit ihr bekannt geworden war. Historisch waren es einige Abrisse der Weltgeschichte, von Reisewerken eine Fußwanderung durch die lüneburger Haide. Ich erröthete über die Zumuthung des Mannes und fühlte, daß ich zum Besten meines Gemüthszustandes Bedenken tragen müsse, an diesen Schätzen einen Geistesbankerott zu erleben. Ich sagte ihm, ich interessire mich für alle gleich stark, mir würde die Auswahl schwer, er möchte mir sämmtliche Schriften erlauben. Mit pfiffiger Miene, indem er den Zeigefinger wohlmeinend aufhob, rieth mir der gute Mann, nicht zu schnell mit der Lectüre zu wechseln und mich überhaupt nicht geistig zu überladen. Ich konnte ihm das mit gutem Gewissen versprechen, und so ging er mit seinem Gefährten und ließ mir Alles und ließ mir Nichts.

Lieber Himmel, für einen Ermatteten solche Hungercur! Vielleicht ist's unrecht, Gellert's harmloses Kindergeplauder da mithineinzuziehen, allein was soll mir Gerstenschleim, wenn ich Burgunder brauche? Ich bedarf einer recht tüchtigen Lection, wenn ich nicht in mich versinken und Blut aus den Fingerspitzen saugen soll. Gebt mir ein Buch, das wie eine Posaune tönt, und ich blase, bis mir der Athem ausgeht; dann spüre ich doch, warum ich Athem hatte. Ein Waldhorn gebt mir, und ich will mit den Tönen mein Herz anschwellen, damit es in ihnen seine eignen Pulse fühlt, die hinausschlagen möchten in die grüne, frischduftende Welt. Auch ich möchte ein Echo suchen in der Weite des Lebens, wie der Waldhornton, nur so die unendliche Sehnsucht dämpft, wenn er im Wiederhall seinen Bruder findet. Oder wenn es mein Schicksal ist, allein zu bleiben in der Welt und echolos in mir selbst Alles zu suchen, so gebt mir eine Flöte, ich lulle mich ein in verschmelzende Wehmuth und zerlöse in weichen Thränen meine metaphysischen Grillen, diese ewig zirpenden Heimchen im Bäckerladen meines kochenden Herzens.

Ich warf die Bücher zusammen und ging zu meinem Reisekoffer. Zwischen Futter und Lederdeckel hatte ich ein kleines Buch versteckt, aus Besorgniß, man würde es, obwol es keineswegs politischen Inhalts war, auf der östreichischen Grenze requiriren. Es war ein polizeilich unschädliches Buch, die Geschichte eines unglücklichen Philosophenmenschen, Medwin's Memoiren über seinen Freund Shelley. Ich kannte den Inhalt längst, aber es war das einzige Buch, das ich mit mir führte, und so nahm ich's vor und machte mit dem Bekannten mich noch bekannter. Mit dem armen Shelley, dem verstoßenen Kinde der Felsenmutter England, bin ich freilich so lange Zeit schon geistig vertraut, daß keine nähere äußere Notiz über ihn die Lineamente seines Bildes, das in meiner Seele lebt, anders stellen und ordnen könnte. Ich kenne seine Werke nur fragmentarisch, selbst in London wird man ihrer selten habhaft, aber aus den Bruchstücken war mir seine Gestalt jäh und fertig zusammengerückt; vor dem ersten Anblick des Gebildes, das mir in der Seele aufstieg, war ich erbebt, denn es kam mir vor, als erblickte ich im Spiegel meine eignen Züge. Es gab eine Zeit, wo ich nur mit Zittern und geheimer Furcht nach der Feder griff, um irgend einen Gedanken, einen Einfall aufzusetzen, denn der bleiche Shelley bückte sich jedesmal über meine Schulter und flüsterte mir stille Worte zu oder färbte mit seinem Geisterhauch die meinigen. Es waren schlimme Tage meines Lebens. Ich fühlte mich verkannt, verlassen, vereinsamt, ich wähnte keinen Freund zu haben unter Denen, die meine Bekannte hießen. Die Hypochondrie webt ein furchtbares Lügengespinnst. Ich war krank, hohl, lebensmüde, und wenn der feuchtkalte Novemberabend über die graue Winterlandschaft meiner Seele heraufzog und Niemand zu der einsamen Stätte kam, wo ich mir selbst schreckliche Besuche machte, dann trat Shelley, mein lieber Bysshe Shelley, ungesehen, unangemeldet zu mir ins stille Gemach. Ich liebkoste den Armen, Verkannten, Verödeten, bis in den Tod Verfolgten, ich streichelte seine fahlen Wangen, ich weinte in sein gedankendüstres, gramumflortes Angesicht und nannte ihn meinen liebsten, weil meinen einzigen Freund, denn er war ich selber. Die grauen Abendstunden, wo ich mir selber Stirn an Stirn gegenüber so gefahrdrohend hätte sein können, flohen schneller unter der stummen Conversation mit meinem lieben Bruder, und wenn ich spät mein Lager suchte, siehe, mein Shelley ging mit mir schlafen, Arm in Arm träumten wir von einem Sonnenschein des Lebens die lange Nacht hindurch. Morgens war er verschwunden, aber mit der abendlichen Dämmerung zog die traute Schattengestalt wieder ein in meine einsame Clause. Was treibt den Gestorbenen nur zu dir? fragte ich mich am Tage, und dann bildete ich mir ein, er sei zu früh geschieden, er habe sein Leben nicht ausgelebt, weil er nie geliebt war, und müsse deshalb als Geist noch wandeln, um nachzuholen, was Niemand erlassen, Niemand auf dem weiten Erdenrund entzogen werden darf, nämlich geliebt zu werden von einem Herzen, das wie das seinige schlägt.

Shelley's Schicksale waren nicht die meinigen gewesen. Er war immer Engländer und zollte seiner Volkseigenthümlichkeit den schuldigen Tribut. Er war unzugänglich, steif, unbequem als Mensch; das können wir Deutsche auch sein, aber Hume's skeptische Schriften waren in seiner Jugend eine Zeitlang sein Evangelium, und als Student in Oxford schrieb er seine berüchtigten »Hinterlassenen Papiere der seligen Base,« die ihm den Verdacht des Atheismus zuzogen und den Verfolgungseifer einer bornirten, buchstabengelehrten Geistlichkeit erregten. Medwin, der Verfasser des Buches über Shelley, nennt die Gedichte halb toll; allein es konnte nur momentane Verirrung eines isolirten Gedankenzuges sein, was ihn am Dasein eines Gottes zweifeln ließ. Die Schlange, die ihre Häute abwirft und weiter schleicht, kann nicht für Alles, was sie abstreifte, haften. Der forschende Gedanke ist diese Schlange, die sich durch alle Sphären dialektisch windet, mit Allem sich behäutet und das Vergängliche von sich wirft. Der Gedanke muß irren, damit er die Wahrheit finde; der Mensch erfährt ohne Sünde nicht, was Tugend ist. Wir sollten nicht beten: Vater, führe uns nicht in Versuchung, wir sollten bitten: Vater, führe uns hindurch! Das Thier, der Stein irrt und sündigt nicht, nur die Menschheit gewinnt in jedem Irrthum der Wahrheit eine neue Seite ab. Den einzelnen Durchgangspunkt des Denkens aber festhalten und aus ihm ein Netz ziehen über den ganzen Menschen, heißt dem Teufel ins Handwerk greifen, der seinen Spaß daran hat, dem Gehirn einen Gedanken als fix einzuverweben und den Embryo in seiner weitem Geburt zu stören, sodaß das Uhrwerk der Seele plötzlich stille steht.

Shelley war ein denkender Mensch, und was er war, war er ganz und leidenschaftlich; er hatte mit Dämonen zu kämpfen, bei denen es sich um Tod und Leben handelt. Man spielt nicht ungestraft mit ihnen! Wenn man den Finger reicht, fodern sie die Hand; wenn man ihnen die Hand reicht, lechzen sie nach dem Blute darin. Hast Du einmal mit ihnen angebunden, laß sie sich satt trinken, und erwürge sie, wenn sie trunken sind von Deinem Herzblut. Faust kann nicht umkehren auf seinem Wege, den Bund mit dem Teufel nicht aufheben. Shelley's Gedankenfäden zerriß aber die feige, schlechte Welt; man hielt ihn bei dem einen Punkte fest, in den er sich momentan hineinverirrt, er wurde als radicaler Gottesleugner verflucht, und Alles wich scheu vor ihm zurück. Man stieß ihn aus der Gemeinschaft des wissenschaftlichen Lebens; mit seinen Verwandten zerfiel er, selbst seine Geliebte, Miß Harriet, ward irre an ihm und floh einen Menschen, der, wenn er keinen Gott kannte, auch nichts von Liebe wußte. So stand er plötzlich verlassen und still da. Alle Quellen, die sein inneres Leben nährten, Freundschaft, Liebe, Streben, Ruhmsucht, alle waren versiegt; er war fürchterlich einsam mit seiner Zweifelsucht an Gottes Dasein und erst jetzt vielleicht dem Punkte nahe, Atheist zu werden. Er floh sein Vaterland, das ihn verstieß und in dem er selbst gewaltsamen Angriffen auf seine Person ausgesetzt war. Aber auch die Ferne gibt ihm keinen Frieden. Er kehrt zurück, er sucht die zerrissenen Fäden seiner frühern Verhältnisse wieder anzuknüpfen, er verheirathet sich, blos aus unsagbar drängendem Verlangen, ein Wesen das seinige zu nennen. Vergebens bemüht er sich, unter den Seinigen das verwandtschaftliche Recht wieder zu erlangen, er muß England von neuem verlassen. Selbst sein Weib verstand ihn nicht, und um seine Seele legte sich eine harte Rinde, die Niemand mehr zu durchbrechen vermochte. Bald nachher sprach ihm das Gericht nach dem Tode seiner Frau die Fähigkeit ab, seine Kinder zu erziehen. So war Shelley jetzt völlig auf sich selbst verwiesen, eine Welt voll Schmerz und Verzweiflung lag in seinem Innern unorganisch durcheinander. Diese chaotische Masse seiner Gefühle zu ordnen, ward die Aufgabe seiner Vernunft. Das Verhältniß zu Byron schien in Italien, wohin sich Shelley gewandt, immer enger zu werden, mit dem Wetterleuchten ihrer Verzweiflung erleuchteten sie sich gegenseitig die Nacht ihres innern Lebens. Ein düsteres Geschick trieb sie zu einander; wären sie noch nicht zu tief in das Labyrinth des Unglücks hineingerathen, sie hätten sich noch mit einander retten können. Ihre Herzen waren schon zu wund gestochen, um das strömende Blut zu stillen; sie fanden sich nur, weil sie Beide inselhaft von der zürnenden Woge des Lebens umspült wurden, sie waren zwei Schiffbrüchige auf einer schmalen Felsenklippe. Ein seltsamer Freundschaftsbund zwischen Byron und Shelley! Zur gegenseitigen Liebe hatten sie nicht mehr Freude genug im dunklen Herzen, sie drückten sich die Hand, die kalten Hände hielten sich krampfhaft fest, sie hatten ihre Lust daran, einander ins Auge zu starren; es war eine gräßliche Lust, wenn Jeder am Wahnsinn des Andern sich den Trost abnahm, er sei nicht allein toll aus Unglück.

Ihre Naturen waren sehr verschieden, ihr innerer Mensch war schon zu alt geworden, um noch aus sich hinüberzutreten in die Seele des Bruders; nur ihr Geschick, verstoßen, verkannt, verachtet und verflucht zu sein, war ihnen gemeinsam. Byron war ein tobender Schamane, wenn ihn die Begeisterung wie eine Furie überfiel; er schwärmte lachend und höhnend im Irrgarten der dunklen Gefühle umher, aus denen Shelley tiefsinnend und still den Ausgang suchte. Nicht Mondlicht wollte Byron über die Nachtstücke seiner Leidenschaft hinstreuen, mit Blitzen zerriß er die Wolken seines Gemüths und suchte, wie eine raffinirte Buhlerin ihren argwöhnisch finstern Geliebten, den Dämon der Verzweiflung mit Liebäugeln zu bestricken. Shelley suchte sich mit der Kraft des Gedankens einem sonnenhellen Morgen des Lebens entgegenzuarbeiten; er studirte und mühte sich ab, wo Byron schwelgte und sich berauschte. Zu metaphysisch, um Dichter zu sein, und doch zu poesievoll, um abstracter Denker zu sein, lag etwas Zwiespältiges in Shelley's Wesen, das miteinander kämpfte, ohne einen Sieg der Versöhnung zu erleben. Das Studium Plato's befreite ihn von dem Materialismus, dem er früher verfallen schien; seine Gedichte waren aber nur wie ein metaphysischer Schrei aus tiefer, schmerzbeklommener Seele, mit dem er sich augenblicklich Luft verschaffte. Seine mannichfaltigen literarischen Arbeiten verriethen das Streben, sich gegen alles Schicksal und gegen alle Mächte der Leidenschaft ein klares, unerschütterliches Bewußtsein zu sichern. Ein frühzeitiger Wellentod war nur ein kindischer Wunsch, ein traumartig aufgestiegenes Gelüst gewesen, für die brennende Qual der Seele ein stilles Ziel zu finden. Für die Dauer des irdischen Daseins suchte er, um sich vor Selbstmord zu retten, im Gedankenleben einen sichern Anker zu gewinnen, aber dieser Anker lag für ihn doch nur im Wellengrund des Meeres. Das bittere Geschick, das ihm Alles versagte, versagte ihm nicht den frühen Tod. Ohne ihn zu suchen, fand er ihn; das war sein einziges Lebensglück, das er je gehabt. Bei einem Sturme im Busen von Spezzia fand er Ruhe. Byron zog seine Leiche aus den Fluten und verbrannte die Gebeine des Freundes.

Medwin, der das alles so schlicht dumm erzählt, sah ihn noch wenige Zeit vor dem Tode. Shelley's Körperbau war klein, dürftig, sein Aeußeres jugendlich, fast knabenhaft scheu und weich, in sein Haar mischte sich schon früh etwas Grau, sein Nervensystem schien völlig zerrüttet, da er der immerwährenden Schlaflosigkeit wegen sich an den Genuß des Opiums gewöhnt hatte. In seiner Rede lag viel einfache Würde; man sah ihm nie an, daß hinter der stillen bleichen Wange ein Feuer tobte, das er mit überlegener Verstandeskraft zurückdrängte. Er glich scheinbar einem, früh gealterten Manne, der eine erworbene Ruhe als kärglichen Triumph aus vielen Leiden davongetragen: so weit brachte ihn sein Denken. Aber der tiefere Beobachter merkte bald, daß, bei all diesem redlichen Bemühen nach Klarheit und Frieden mit sich und der Welt, der Wahnwitz nur an einem Haar über seinem Haupte hing. So wenig nutzte ihm sein Denken. Schrecklich, schrecklich! Klar und fest genug, um nicht selbstmörderisch zu enden, denn so weit brachte ihn sein Denken, war er doch nicht Herr genug über sich, um dem Wahnsinne zu gebieten und ihm zuzuherrschen: Flieh, Gespenstermacht, für immer und ewig, ich bin ein Kind des Lichtes, mein Gott ist kein Gott der geistig Todten, mein Gott hat nur Macht über die geistig Lebendigen! Des armen Shelley Bewußtsein starb an seinem Denken.

Ich kann mir vorstellen, daß, wer ein gewisses Maß von Unglück und innerer Zerrissenheit ausgeschöpft hat und doch dem Selbstmorde entfloh, wahnsinnig wird, denn irgendwie muß er einen Ausweg finden. Ich kann mir den jungen Werther vorstellen, wie er nicht mit einem Pistolenschuß endet, sondern im Irrenhause.

Es gibt gewisse Grenzen in der innern Erfahrung, über die hinaus nicht blos der Verstand, nein, der ganze Mensch nicht mehr Stich hält: dann muß etwas springen und zerplatzen, um diese Schranke fortzuräumen. Das Gehirn tobt und pocht gegen die Wände seiner Kammern wie ein siedendes Meer: entweder befreit es ein Schuß, oder es befreit sich selbst, und die Schale zerbirst, und die Bande des innern Menschen gehen zum Entsetzen aus allen Fugen. Ach, ach! ein leiser Druck, ein leichter Kugelknall trennt Leib und Seele, und es ist geschlichtet und geschieden, was nicht mehr zusammen wirthschaften konnte! Aber wenn das Gehirn Dir aus dem Schädel schäumt, wenn das Meer des Wahnsinns Dich in seinen Fluten begräbt, so gibt es ein jahrelanges Schauspiel zum Erbeben und zum Erkalten, es gibt ein Skandal; mein Freund, Skandal vermeide! Die Zeiten sind ohnedies vorbei, wo man die Ueberreste eines Unglücklichen, der sich dem Trauerspiel der Irrungen des Daseins und dem Wahnsinn, der auf ihn lauerte, freiwillig entwand, zu schänden und zu verfluchen sich nicht entblödete. Der Selbstmörder ist kein Heiliger, kein Märtyrer der Wahrheit, aber er ist ein Märtyrer des Irrthums und der Lüge, die der Welt gleisnerisch hofirt und in dem Drang der Verhältnisse sich gerade in ihm zu einem Knäuel verworrener Seltsamkeiten zusammenzog, das wie der gordische Knoten nicht zu lösen, nur zu durchhauen war. Die Zeiten, wo man ihn wie den gemeinsten Verbrecher einscharrte, sind vorüber; man gibt ihm höchstens als einem Sonderling eine abgelegene stille, aber nicht entehrte Friedensstätte. Gott, Gott! es ist ja nicht leicht, von der Sonne Deiner lieben Erdenwelt zu scheiden, es lebt sich auch in dunkler Nacht so licht und schön, auch im Unglück so behäbig gut, es muß einer schon gräßlich gemartert werden, wenn ihm nichts mehr bleibt als ein Sprung in die kalten Wellenarme des Todes. Und die Menschen erkennen das auch still an, sie geben es ruhig zu, sie halten die Stätte nicht für entweiht, wo ein freiwilliges Opfer des Lebens sein müdes Gebein hinstreckt. Die Epochen der Barbarei liegen hinter uns; die Zeit des Lichtes, der Aufklärung ist heraufgezogen; die Sonne der Vernunft hat ihren höchsten Punkt erreicht. Wahnsinn ist aber, wenngleich unverschuldet, ein Verbrechen gegen den lichten Gott und die lichte Vernunft. Es ist eine Sünde gegen den Schöpfer, sich, sein Geschöpf, zur Caricatur umzuwandeln, ein Vergehen gegen die Weisheit unserer Tage, denn der Wahnwitzige läßt die Natur den Geist überflügeln und feiert diesen Umsturz der Weltordnung durch einen Triumph, zu dem der Teufel die Pechfackeln anzündet.

Ich zähle unter den Gliedern meiner Familie einige Selbstmörder. Eine geliebte Tante sah ich in ihrem Blute schwimmen. Einfach, harmlos, sittig, hatte sie scheinbar frei und heiter als Hausfrau, Gattin und Mutter in ihren Kreisen gewaltet. Allseits hülfreich, thätig und besorglich, war sie der Gegenstand allgemeiner Liebe und Zuneigung gewesen. Ohne Proben der stillen, tiefgefühlten Achtung, die man gegen sie hegte, zudringlich ihr zu geben, fühlte Jedermann ihr ruhiges, harmonisches Walten wohlthätig auf sich wirken. Hinter der Hülle ruhiger Befriedigung barg aber die Frau eine stürmische, unbändige Seele, die, lange Zeit auf dem Räderwerke der häuslichen Thätigkeit getragen und anscheinend befriedigt, plötzlich gewaltsam den gemächlichen Gang der Alltäglichkeit durchbrach. Ihre harmlose Heiterkeit war nur Angewöhnung gewesen, ihre Melancholie hatte nur den Anstrich von äußerer Gefälligkeit gehabt. Zu größern Gefühlen und Thaten befähigt, lag ihr Gemüth hinter dem Spiele des sociellen Familienlebens verdeckt und ließ sich begraben unter dem Getriebe der herkömmlichen Thätigkeit weiblicher Tugend, bis ihr eigenstes Ich mit einem Male auferstand, die Decke der Gewöhnlichkeit von sich stieß und Luft schöpfte. Ihr erster Athemzug der Freiheit war ihr letzter als lebendiges Wesen; sie fiel von ihrer eignen Hand, Ach, mein Heiland! ich sah als Kind die schreckenvolle Begebenheit, deren Bild nie aus den Höhlen meiner Augen wich; ich sehe noch den Schauder der Umstehenden, wie sie an Allem, was Liebe und Vertrauen heißt, verzweifelten, da die Freundin, die alle still geehrt hatten, so treulos von ihnen schied; ich sehe die guten Menschen sich bleich und scheu verhüllen und voll Entsetzen auseinanderfliehen; mancher versank ebenfalls in Melancholie darüber und starb der Welt ab. Da lernte ich den Selbstmord hassen als ein schleichendes Gespenst, das im Dunkeln kommt und geht, – und doch! – einen mir theuren Menschen wahnsinnig zu sehen, würde ich noch weniger ertragen, und brächte mich um. Das fühle ich hier schwer und fest in diesem Asyl der Tollheit, wenn der blöde Schneidergesell unter mir seine herzzerschneidende Seufzerstimme erhebt. Der Gorgo will ich ins Angesicht schauen, die Leiche eines Selbstmörders will ich küssen, aber einem Wahnsinnigen, der mir als Mensch lieb und werth war, mag ich nicht ins Angesicht schauen. Ich hasse sein Bild meinetwegen; meinetwegen, ich fürchte, gerade weil ich ihn liebe, die Ansteckung.

Eben blickte ich in den Spiegel, der mir gegenüber hängt. – Ich kann froh sein, meine Züge sind noch die alten, geradlinig, unverzerrt.

Gott! was ist der Mensch für ein eitler Narciß!– Und doch, kann es einem verübelt werden, wenn er sich freut, daß er mit heiler Haut in dieser Welt der Gefahren davonkömmt? – Ich verdenke das Niemand.

*

 


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