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Vom Volksspott

 

»Man muss nicht alles glauben, was die Leute sagen,
man muss aber auch nicht glauben, dass sie ohne Grund sagen.«

Kant

 

In brüderlicher Bosheit hänseln und verspotten einander benachbarte Volksstämme, Landschaften und Örtlichkeiten; die Gepflogenheit ist so alt wie die Menschen selbst und bei allen Völkern des Orients und Okzidents daheim. Die Spottdichtung, an der jung und alt seine Freude hat, ist ein wild wucherndes Gewächs am großen Baume unserer Volksdichtung und wird gemeinhin absichtlich oder unabsichtlich übersehen.

Auf den folgenden Blättern nun werden: Spitznamen, in anderen Landschaften Übernamen genannt, Ortsneckreime, Trutzliedlein, Stichelschwänke und spöttische Redensarten der Volkssprache zusammengetragen, wie sie Gegenden und Bewohnern, Städten, Marktflecken, Dörfern und Einschichten des Böhmerwaldes anhaften, und zu einer lustigen und kurzweiligen Beschreibung von Land und Leuten des Böhmerwaldes zusammengefasst.

Der Volkspott gehört zur Weisheit des Volkes und wird durch Jahrhunderte von Geschlecht zu Geschlecht überliefert. Gelegenheiten, wo sich ein Spott gut anbringen lässt, gibt es genug: unter den Kindern, die aus verschiedenen Dörfern zur Schule wandern, ist der Spott gang und gäbe; Hüterbuben kürzen sich die Zeit, indem sie einander über die Gemeindegrenzen Spottliedlein zusingen. Das heranwachsende Jungvolk, Burschen und Mädchen, sind die treuesten Hüter dieses Volksgutes; an den Kirchenfesten, auf dem Tanzboden, beim Fensterlngehen blüht unter ihnen lustig der Spott, und Händel und Raufereien fangen meist mit Spötteleien an. Wenn Bauern und Bürger aus verschiedenen Gegenden zusammenkommen, sucht in guter Stunde einer dem andern etwas am Zeug zu flicken, und da reibt sich an den Dörfern und Städten der Spott am meisten. Recht oft kann man im Volke hören, wie sich Leute mit dem Spitznamen ihrer Heimat zu erkennen geben.

Gerne hört natürlich niemand seine Heimat verspotten, zumal da manchmal aus alten Nachbarstreitigkeiten der Spott herrührt und die Sache oft nicht gerade schmeichelhaft ist für die, die es angeht. Meist aber wird der Spott von der heiteren Seite aufgefasst und Gleiches mit Gleichem vergolten; denn das enge Zusammenleben und die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt selber hat es bei den Leuten mit sich gebracht, dass sie einander auch ein wenig hänseln und necken. Haben doch die Leute überall für die schwachen Seiten ihrer lieben Nebenmenschen ein recht feines Gefühl.

Alles Mögliche muss zum Spott herhalten: von Armut und Not werden wir wohl auf jedem Blatte lesen; die Holzhauer, Waldbauern und Kleinbürger des Böhmerwaldes sind ein armes Volk und es heißt scherzhaft vom Böhmerwald, dass es da nur arme Leute gibt, Bettelleute und Leute, die gar nichts haben. Trotzdem ist Frohsinn und Heiterkeit nirgends so daheim wie im Böhmerwald. Oft ließen Begebenheiten aus früheren Tagen, die geschehen oder auch nicht geschehen sind, sei es eine Schandtat, ein Schabernack oder eine Dummheit, Spitznamen und Stichelgeschichten entstehen. Hie und da hat schon der Ortsname zur Reimspielerei und spöttischen Deutelei herausgefordert. Oder es sind wieder Besonderheiten der Bewohner, die den Nachbarn auffallen und lächerlich vorkommen, Merkwürdigkeiten in Blutmischung und Gehaben, in Gestalt und Tracht, endlich Lebensgewohnheiten und Erwerbsverhältnissen. Auch die Mundart wird gern verspottet, die sich von Dorf zu Dorf ändert; jedes Dorf hält seine Mundart für die schönste, die andern aber für plump und derb. Ein Ziel des Spottes ist fast immer das Kirchenfest, um das sich ja eigentlich das Bauernjahr dreht. Und so werden noch eine Menge andere Dinge verspottet.

Wer sich den Spottüberlieferungen der deutschen Stämme oder bei anderen Völkern ein wenig umgesehen hat, wird bald merken, dass unser Volksspott allenthalben Gegenstücke aufweist. Ein Großteil der volkstümlichen Überlieferungen ist eben Wandergut und bleibt da und dort hängen. An den spotthaften Schnaderhüpfeln oder Trutzliedlein, die überall vorkommen, wird bloß der Ortsname von Gegend zu Gegend geändert. Manches entsteht auch unvermittelt aus denselben Verhältnissen heraus. Immerhin ist beim Volksspott viel noch bodenständig, mehr als bei der übrigen Volksdichtung. Im Böhmerwalde selber tauchen dieselben Necknamen und Stichelschwänke an verschiedenen Orten auf. Für den gemeinen Mann aus dem Volke sind ja im Allgemeinen der Kirchdorfsprengel und die angrenzenden Ortschaften die Welt, in der sich sein ganzes Leben abspielt; hinter der nächsten Stadt, vielleicht noch einem Wallfahrtsorte oder Viehmarkte hört sein Gesichtskreis auf. In so einer abgeschlossenen Welt, die oft von Bergzügen oder von alten Kulturgrenzen eingesäumt ist, ist Sitte und Brauchtum und auch die Volksdichtung eigenartig entwickelt. Darüber hinaus kennt der Mann aus dem Volke seine Heimat wenig, höchstens noch vom Hörensagen; und so ist ihm auch der Volksspott über die engere Heimat hinaus fremd. Nach solchen größeren zusammenhängenden Landschaften des Böhmerwaldes ist auch die Spottdichtung auf den folgenden Blättern dargestellt.

In dem Spottbüchlein ist zusammengetragen, was der Verfasser seit Jahren in Bauernstuben und Wirtshäusern erfahren, was er auf der Landstraße von Bettelleuten, Hausierern, Marktfahrern und Viehhändlern gehört hat, die ja weit umher kommen und das Volk kennen; auch was ihm liebe Freunde und Landsleute aus verschiedenen Gegenden des Böhmerwaldes mitgeteilt haben. In manchen Gegenden ist wohl der Volksspott weniger gang und gäbe. Viel ist auch schon vergessen, dafür wird aber nach Zeit und Gelegenheit immer Neues hinzugedichtet. Oft ist dem Volke selber Sinn und Entstehung eines Namens dunkel, und die Leute dichten und deuteln auch an den Spottnamen herum. Manches mag dem Verfasser freilich nicht zu Ohren gekommen sein; darum, wer etwas weiß, was in dem Büchlein nicht steht, lasse es sich nicht verdrießen und teile es dem Verfasser mit.

Der Volksspott ist als Überlieferung ehrwürdig und sitten- und kulturgeschichtlich nicht unwichtig, weil er Handel und Wandel in alten und jungen Tagen, wenn auch oft ein wenig verzerrt, beleuchtet und Land und Leute fein kennzeichnet. Unser Spottbüchlein soll alte Volksüberlieferungen vor der Vergessenheit bewahren und ein bescheidener Beitrag zur volkskundlichen Darstellung unseres lieben Böhmerwaldes und zur Sitten- und Kulturgeschichte des bayerischen Stammes sein. Es soll aber auch den Landsleuten Freude und Unterhaltung bringen und ein wenig helfen, »dass die alten Bräuche nicht abkommen« und das Volk seine Dichtung vergisst. Daran, dass manches derb ist, wird sich der Freund des Volkes nicht stoßen.

Wäre denn zuletzt noch davon ein Wörtlein zu reden, dass sich etwa ein Landsmann getroffen fühlt, weil auch sein Heimatörtlein mit dem Spottnamen an die große Glocke gehängt wird. Dem sei gesagt, dass nicht aus böser Absicht der Verfasser dieses Spottbüchlein geschrieben hat, sondern aus Liebe zur Heimat und zur Wissenschaft; auch weil er seinem Böhmerwald ein ähnliches Büchlein schenken wollte, wie es unser Mutterstamm, die Bayern, schon seit Jahren in dem »Bayerischen Schelmenbüchlein« haben, auf das sie recht stolz sind. Alle Beleidigten und Kritikaster mögen sich trösten mit dem alten Sprüchlein: »Was sich liebt, das neckt sich« oder an das Wort Goethes denken, dass ja der Spott die Lieben nicht vertreibe, und des Verfassers Gruß annehmen: »Nichts für ungut, Freund und Landsmann!«


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