Heinrich Kruse
Seegeschichten. Neue Folge
Heinrich Kruse

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Kriegszeiten.

            Krieg! Wer dachte bei uns wohl an Krieg? Wie wenn mitten im Winter,
Wo sonst rieseln die Flocken des Schnees auf die Erde herunter,
Plötzlich ein blendender Blitz und rollender Donner uns aufschreckt:
Also wurden die Deutschen verstört durch die plötzliche Kunde,
Frankreich habe den Krieg uns erklärt, aus irgend 'nem Grunde,
Wenn man auch nicht ihn verstand. Sehr deutlich verstanden wir aber,
Daß die Franzosen am Rhein nach leidiger alter Gewohnheit
Wollten ein wenig, wo möglich auch viel von Neuem erobern. –
Was zu Lande geschehn, wie die tapferen deutschen Soldaten
Rückten in Frankreich ein und alle französischen Heere
Sammt Napoleon selber, dem Kaiser, gefangen genommen,
Wissen wir Alle. Doch wie's indeß aussah auf den deutschen
Meeren und Küsten, darüber erlaubt mir jetzt zu berichten.
    Hartlepool ist ein Ort nicht weit von der Tyne und Newcastle,
Wo Steinkohlen man gräbt in unerschöpflicher Menge.
Schiff an Schiff lag dort mit deutscher Bemannung im Hafen,
Alle nicht wenig erschreckt durch die Kunde vom Kriege mit Frankreich, 178
Zwar wir hatten ja auch Kriegsschiffe bekommen, wir Deutschen,
Doch nur wenige erst, und »König Wilhelm«, das größte.
Das Millionen gekostet, war nicht im Stande, so hieß es.
Deutschland war auf dem Meere verdammt zu kläglicher Ohnmacht.
Also saßen die Unsern wie Mäuse im Loche, vor welchem
Lauert der grimmige Kater, die ganze französische Flotte.
Tage und Wochen vergingen. Sie blieben in Sorgen und rathlos.
    Unter dem deutschen Geschwader war auch von der freundlichen Insel
Spiekerooge ein Kuff, Johanna, Kapitän Edden.
Edden war längst schon taub und gebrechlich geworden. So hatt' er
Abgegeben das Schiff an Ayme, den ältesten der Söhne,
Hochgewachsen und schlank. Er machte sich nichts aus Gefahren,
War von Kopf bis zu Fuß ein stattlicher, trotziger Friese.
    Ayme, der Schiffer des Kuffs, saß einst mit den beiden Matrosen,
Folkert und Dirk, in der kleinen Kajüte zusammen als Kriegsrath.
»Ja, was machen wir jetzt?« so sagte mit zorniger Stimme,
Schlagend die Faust auf den Tisch, nun Ayme, der muthige Schiffer.
Dirk sprach gleichermaßen, nur weinerlich etwas und furchtsam:
»Ja, was sollen wir machen?« Und Folkert sagte dasselbe
Ganz hilflos; denn er richtete stets nach dem älteren Dirk sich.
»Man soll immer das Nächste bedenken!« so sagte der Schiffer.
»Aber das nächste ist doch, so deucht mir, zu essen zu Mittag.
Halb zwei Uhr ist es ja schon, und es knurrt uns nachgrade der Magen. 179
Koch, Du bist wohl aus Rand und Band! Was giebt es zu Mittag?«
    »Sackkook!« sagte der Koch. Da erhellten sich alle Gesichter.
Sackkook ist ein Schiffergericht, wohlschmeckende Klößchen,
Welche man kocht im Sack. Koch Folkert holte das Essen,
Und so langten sie zu, bis völlig die Schüssel geleert war.
»›Und sie stillten den Gram mit Essen!‹ so heißt es im Liede«,
Sagte der Schiffer behaglich; »doch heißt es im Lied auch: ›Sie tranken
Innig gerührt dazu! Wie wär's mit 'nem Gläschen Genever?‹«
»Gerne!« sagte der Eine, der Andere sprach: »Mit Vergnügen!«
Also genehmigten denn sie sich einen Genever von Schiedam.
    Als nun der hitzige Trunk in den Adern ihm glühte, so rief er:
»Sollen wir, meiner Six, hier bleiben, so lange der Krieg währt,
Sieben Jahre vielleicht, vielleicht auch dreißig, wer weiß es?
Wovon sollen wir leben, zumal bei den englischen Preisen?
Kinder, es geht nicht so. Ich denke, wir fahren nach Hause!«
»Ja, das saget sich leicht; allein die französische Flotte«,
Rief kopfschüttelnd da Dirk: »Mir ist schon, als wär' ich gekapert!«
»O die französische Flotte! Wer weiß denn, ob sie schon da ist?
Ja, mit dem Maul sind stets sie bereit. Sie erklärten den Krieg uns.
Mehrere Wochen vergingen, sie kamen nicht einmal zum Rheine.
Viel Geschrei und wenig Wolle! So sind die Franzosen,
Zu leichtsinnig, um pünktlich zu sein. So kenn' ich das Völkchen.
Nehmen wir an, sie wären schon da, so wissen wir Deutschen 180
Besser Bescheid doch gewiß auf der Nordsee, als die Franzosen,
Weit und breit ist die See. Wir schlüpfen schon durch nach der Heimath.«
»Wenn Ihr es meint, Kapitän –« »Ich mein' es –« »so wollen wir fahren.«
    Und am anderen Morgen war schon die Johanna verschwunden.
Noch in der Nacht kam an ein Schiff mit der sicheren Nachricht,
Daß die französische Flotte bei Helgoland sich gesammelt.
Aber es ließen sich nicht abhalten die muthigen Friesen.
»Wißt Ihr was?« rief Ayme, »wir halten uns möglichst nach Norden.
Alle französischen Blicke sind jetzt nach Süden gerichtet.
Gierig spähen sie aus nach der Mündung der Weser und Elbe
Und nach den mächtigen Schiffen mit kostbarer Ladung befrachtet.
Hier im Norden ist wenig zu holen.« »Da habt Ihr nicht Unrecht,«
Sagte der pfiffige Dirk und kratzte sich hinter den Ohren.
»Aber wir müssen zuletzt doch vorbei an der feindlichen Flotte.
Das wird schwierig sein.« »Nicht schwierig nur, sondern unmöglich,
Soll es bei Tage geschehn. Wir schlüpfen vorüber zur Nachtzeit.
Neumond haben wir jetzt, und der Himmel ist wolkig und neblicht.«
    So war Aymes Plan, und sie hatten mit günstigem Winde
Auch schon, ohne dem Feind zu begegnen, die jütische Küste
Glücklich erreicht. Und eben erhob sich leuchtend die Sonne
Ueber den Nebel der Frühe, als Koch, der nach der Combüse
Wegtrug grade das Kaffeegeschirr, stillstand, mit dem Daumen 181
Hinter sich weisend, und sprach: »Kap'tän, das scheint mir verdächtig.
Seht nur, da liegt so ein Rauch auf der Kimmung.« »Folkert, ich seh' nichts!
Du, Du siehst wie ein Luchs, und mit unbewaffnetem Auge
Siehst Du alle Trabanten des Jupiter: Gieb mir das Fernrohr!«
Aufmerksam und lange besah sich der Schiffer die Stelle.
»Donnerwetter,« so rief er zuletzt, »wahrhaftig, Du hast Recht,
Denn ich sehe die Fahne des Rauchs. Kein Zweifel, ein Dampfschiff!
Ja, und der Rauch wird dichter! Das Schiff kommt näher! Wie sollen
Wir entgeh'n, Gott straf' mich, dem großen französischen Dampfer!«
    »Laß mich auch durch's Fernglas gucken!« entgegnete Folkert.
»Ja, er führet die Flagge, allein sie flattert im Winde,
Und so kann ich nicht seh'n, zu welcher Nation er gehöret.
Aber Ihr irrt, Kapitän, er ist kein verdammter Franzose.
Ja, nun erkenn' ich die Flagge! Das Schiff ist ein ehrlicher Deutscher.«
»Gott sei gelobt!« sprach Ayme. »Wir wollen nicht weiter nun segeln,
Sondern ihn hier abwarten, den lieben willkommenen Landsmann.«
»Herr,« rief Folkert darauf, in der Hand noch haltend den Dolland,
»Herr, ich kenne das Schiff!« so rief er. »Im vorigen Jahre
Ward ich bekannt mit ihm in den Londoner Docks, und es heißet:
›Friedrich Wilhelm der Vierte‹. Ein Schiff dem zu Ehren zu bauen, 182
Konnte doch nur sich ereignen im Anfang seiner Regierung,
Ehe wir wußten, was wir an dem preußischen Könige hatten.
Friedrich Wilhelm war ein Mann von glänzenden Gaben,
Aber er war kein Mann, er war kein Wilhelm der Erste.«
Also plauderte Ayme und scherzte behaglich, nach schwerer
Sorgen Erledigung froh. »Wir wollen erwarten den Landsmann!«
    Und sie riefen ihm schon aus weiter Entfernung entgegen.
Er antwortete drauf, gradwegs aus Baltimore käm' er
Und sei nach Cuxhaven bestimmt. »Ob er glücklich gefahren?«
»Ja, bis jetzt.« Und näher gekommen erzählt er dann Alles,
Wie es begeben sich hat. In Baltimore, wo er zum Laden
Lag am Quai, war auch, im Sturm ein wenig beschädigt,
Eingelaufen ein Schiff der französischen Flotte. Es hatte
Ausgebessert den Schaden beinah, und der Führer des Schiffes,
Commandant Leboeuf, der freundlich verkehrt mit den Deutschen,
War ein artiger Herr aus Bordeaux. Doch als nun der Krieg kam,
Nahm ein protziges Wesen er an mit dem deutschen Kap'täne.
Prahlte wie ein Gascogner; sobald sich rührte der Deutsche,
Kapert' er ihn auf der See, Schiff wäre verloren und Ladung.
    Unser Kap'tän, ein ruhiger, tüchtiger Schiffer ans Rostock,
Ließ ihn flunkern und fluchen und sagte zu seiner Besatzung:
»Leute, wir müssen doch auch dabei sein!« Und in der Nacht drauf
War bei den Deutschen es still auf dem Deck; doch unten im Raume
Schaffte man heimlich und eifrig. Mit Fett und anderen Stoffen,
Welche nicht Rauch erzeugen, ward hurtig geheizt die Maschine,
Alles bereitet zur Fahrt, und in mitternächtlicher Stille
Wurden die Anker geschlippt und die Taue gekappt, und es setzt sich 183
Leise das Schiff in Bewegung. Da erst, als rauschen die Räder,
Merkt im französischen Schiffe der müde, verschlafene Ausguck,
Was sich begiebt, und schlägt gleich Lärm; doch war es zu spät schon,
Ehe in Gang die Maschine gebracht, war der Deutsche verschwunden.
»Und wir fuhren,« so sprach der Kap'tän, »an die Spitze von Schottland,
Ohne ein Schiff nur zu seh'n mit einer französischen Flagge.
So weit hatten wir Glück; doch nun so nahe dem Ziele,
Sagt, wie sollen wir jetzt erreichen die Küste von Deutschland?
Denn aus Feuerschiffen und Thürmen erlosch ja das Feuer,
Tonnen und Zeichen sind fort von der See. Was sollen wir machen?
Lootsen sind nicht für Geld und gute Worte zu haben.«
    »Ei, so folgt mir nach, denn ich bin der sicherste Lootse.
So wie die Maus auf dem Boden das Korn kennt, kenn' ich die Gegend
Hier um den friesischen Strand. Wie der zierliche, kleine, wie Silber
Glänzende Lootsenfisch vor dem Haifisch, sagt man, voranschwimmt
Und ihm weiset den Weg, so wollen den Weg wir Euch zeigen.
Sieh, da dämmert es schon. Wir dürfen auf unseren Schiffen
Heut' in der Nacht kein Licht anstecken. Wir müssen, wie Diebe,
Sacht uns schleichen vorbei an Helgoland.« »O, Ihr seid mir,«
Sagte der Rostocker Schiffer, »als rettender Engel erschienen.«
Richtig! So kamen des Nachts sie vorbei am gefährlichen Eiland,
Und sie begrüßten am anderen Morgen die Mündung der Elbe. 184
    »Hier ist bereits Ditmarschen, das Land der tapferen Bauern,«
Sprach nun Ayme, »und bald schon erreicht ist der Hafen von Büsum.
Dorthin bin ich befrachtet und muß ausladen die Kohlen.
Freund, kaum hat man sich zusammen gefunden, so muß man
Auch schon wieder sich trennen, so geht es im Leben. Ein Trost ist,
Berg und Thal kommt nicht, wohl aber die Menschen zusammen.«
Und so trennten sich seelenvergnügt und dankbar die Freunde,
Einer nach Büsum links, rechts nach Cuxhaven der Andre.
    Aber der Schiffer von Spiekeroog, der kühn die Blockade
Hatte gebrochen, war nun ein gefeierter Held an der Küste.
Jeder begehrt' ihn zu sehn und zu hören. Die Badegesellschaft
Büsums drängte sich an ihn heran, um ihn zu bewirthen
Und sich bewirthen zu lassen von ihm mit Schiffergeschichten.
Wie ein Wasserfall, so floß ihm vom Munde die Rede,
Während die Friesen doch sonst still sind und von schweigsamer Haltung.
Wilhelm der Schweigende war ein Mann nach dem Herzen des Volkes!
    »Aber was nun?« so fragten sie ihn. Und es sagte der Schiffer:
»Nunmehr verlangt mich nach nichts, als nach Haus zu den Meinen zu kommen!«
Denn ihm winkte ein freundliches Heim. War das niedrige Haus auch
Alt und einfach nur, in der Wand mit Kojen zum Schlafen,
War es doch sauber und schmuck, und Anna Maria, die Hausfrau,
War mit goldenem Haar und mit blau leuchtenden Augen 185
Eine Krone der Frauen, verständig und fleißig und tapfer,
Hochgewachsen wie er! Und schöne Knaben und Mädchen
Hatte sie ihm geboren, und Theda, die älteste, war schon
Fünfzehn Jahr, beinahe so groß wie die Mutter, nur schlanker.
Alles das mußten die Gäste von Büsum erzählen sich lassen.
Aber, so sagten sie ihm, er werde doch reisen zu Lande,
Da zu gefährlich es jetzt auf der See sei durch die Franzosen.
»Nein, ich gehe zur See, ich bleibe bei meiner Johanna,
Meine Johanna bei mir. Wir sind zusammengewachsen.«
»Recht so,« sagten die Fremden. »Ihr sprecht wie ein richtiger Seemann.«
    Also fuhren sie ab, und der Wind war Osten zu Norden.
Aber sobald sie Wursten erreicht, da bauschten die Segel
Kaum sich noch auf, und am Abend war ganz windstill es geworden.
Ja, sie konnten fürwahr sich kaum von der Stelle bewegen.
Also hatte der Seemann Zeit, sich im stillen Gemüthe
Auszumalen die Wonne des Wiedersehns mit den Seinen,
Welches in Nacht und in Sturm wie ein Morgenroth sich ergießet.
Erst am siebenten Tag sah'n steil aus dem Meere sie ragen
Wangeroogs alten Thurm und dahinter im Strahle des Abends
Lag mit Weiden und Vieh die benachbarte Insel, das liebe
Spiekeroog, und Ayme erkannte sein Edden'sches Stammhaus.
Denn vier kräftige Linden beschatten es gegen den Süden;
Wo sie über das schützende Dach aufragen, die Bäume,
Wurden im Wipfel sie dürr: an dem Zeichen erkannt' er die Stelle.
Ob sein Vater noch lebt? Wie wird sein prächtiges Weib wohl
Ihren verschollenen Mann empfangen? Die reizenden Kinder!
Holdere Wesen sind nicht auf Erden zu finden! »He, Folkert!« 186
Rief er, »und Dirk, ich lasse Euch hier zurück auf dem Schiffe,
Denn wir können nicht landen. Zu weit schon ebbt es am Strande,
Aber die Sehnsucht läßt mir keine Ruhe. Ich gehe!
Ich will schlafen noch heut' in meinem eigenen Hause.«
    Und schon zieht er die Wasserstiefel sich an, und er watet
Muthig nach Spiekeroog durch Prielen und sumpfige Stellen,
Wo ihm das Wasser beinahe zu hoch; doch er konnte im Nothfall
Schwimmend erreichen das Land. So betritt er die heimische Insel.
Nicht mehr blitzen die Fenster des Kirchleins, schon ist es dunkel.
Ayme wird nicht es gewahr, daß er tritt in ein Nest, das unscheinbar
Hatten die Möven im Sande gebaut, und ein Pärchen er aufschreckt,
Welches ihn, wie mit Gelächter, verhöhnt und kreisend umherfliegt.
    Aber was ist denn das? Wer wandelt so spät noch am Strande?
Wer ist die ganz in den Mantel gehüllte Gestalt? In den Händen
Blinkt ein Gewehr. »Wer da?« so ruft von fern schon die Wache,
Ohne doch näher zu treten. Es kehrt sich der muthige Ayme
Nicht an den Ruf und schreitet voran. »Halt! Stille gestanden!«
Schreiet der Posten ihn an. »Sonst schieß' ich! So ist es befohlen!«
»Ja, er könnte die Dummheit begehen!« So brummte da Ayme. 187
Und stand lieber doch still. »Wir müssen die Insel bewachen,«
Sagte der Posten darauf. »Wer seid Ihr? Seid Ihr Franzosen?«
»Nein, wir fressen nicht Frösche!« entgegnete lachend der Schiffer.
»Und wer seid Ihr denn selbst? Mir ist, als kennt' ich die Stimme.
Weiblich klingt sie beinah, als wärest Du Anna Maria,
Frau von Ayme Edden, dem Schiffer.«»Das bin ich auch wirklich.«
»Wie? Du wärest?« – »Ich bin's!« »Und ich bin Ayme.« Da flogen
Auf einander die hohen Gestalten, entzückt sich umschlingend.
Sie, sie weinte vor Freude, und er, er hielt sich am Küssen.
Und sie lachten und weinten und waren die glücklichsten Menschen.
    Ayme sagte zuletzt und strich ihr die goldenen Haare:
»Anna Maria, was soll denn die Inselbewachung bedeuten?
Seid Ihr denn Alle verrückt auf Spiekerooge geworden?«
»Weißt Du, es heißt für gewiß, daß hier anlanden der Feind will.«
»Unsinn, Anna Maria! Was wäre bei uns wohl zu holen?
Nun ist nirgend ein Ort noch ein Oertchen am baltischen Meere
Oder am Nordseestrand, wo nicht die Bewohner es fest sich
Hätten gesetzt in den Kopf, daß dort und nirgendwo anders
Sei zu erwarten die Landung der ganzen französischen Flotte.
Blind macht Alle die Furcht!« »Doch der Obrigkeit muß man gehorchen.
Haus für Haus wird angesagt für den nächtlichen Wachtdienst.
Wo kein Mannsbild ist, da müssen die Frauen auf Dienst ziehn. 188
Vater ist willig, doch hört er ja nicht, und nächtliche Wachen
Sind auch nicht gut mehr zuzumuthen dem redlichen Alten.
Darum zog ich den Mantel mir an und griff zum Gewehre.«
»Gottesvergessenes Weibchen, Du drohtest mich ja zu erschießen!«
»O, Du brauchtest nicht bange zu sein. Ich habe noch niemals
Abgedrückt ein Gewehr. Ich fürchte mich schier vor dem Dinge!
Wenn es von selbst losginge! Drum hab' ich es gar nicht geladen.«
»Ah, so bewacht Ihr das Land!« sprach Ayme mit fröhlichem Muthe.
Und so lachten zusammen die Gatten, wie harmlose Kinder.
    »Aber wie steht es denn jetzt mit dem Seebad und mit den Gästen?«
»O, wir hofften das Beste und durften es hoffen. Im Juni
Waren die Wohnungen meist schon vermiethet. Im Dorfe war Niemand,
Der nicht gern sein Haus nach seinem Vermögen verbessert,
Spiegel und Möbel gekauft und Geräth und behagliche Betten.
So kam Juli heran mit den Schaaren willkommener Fremden.
Da ward plötzlich es Krieg, und verscheucht flohn sämmtliche Gäste;
Denn die Franzosenangst umnebelte alle Gedanken.
Einige sagten sogar, und fanden auch gläubige Ohren,
Daß die Franzosen vergiftet die Nordsee hätten!« »Potz tausend!«
»Andere sprachen: ›Es kann ja nicht sein!‹ doch badeten nicht mehr.
Da war mehr kein Halten. Sie stritten um Wagen und Pferde,
Um nach dem Schiffe zu fahren und sich nach Hause zu flüchten. 189
Viele erhielten Befehl und mußten zum Meere sich stellen.
Aber auch ohne Befehl griff Mancher beherzt zu den Waffen.
    Seit sechs Jahren schon wohnet bei uns eine pommersche Herrschaft,
Graf Wachtmeister, ein altes Geschlecht von schwedischer Abkunft,
Vater und Sohn, von hoher Gestalt und von männlicher Schönheit.
Axel, der würdige Alte, und Erich, der blühende Jüngling,
Ohne Herablassung, doch offen und grade mit Jedem,
Jeden nach seinem Verdienst und innerem Werthe nur schätzend.
Sie sind gebildet und reich und begütert in Pommern und Schweden.
Alles das können sie nicht abändern und nicht es verhehlen.
Darum darf man sie freilich wohl Aristokraten benennen;
Doch wer sie kennt, der weiß, daß bessere Menschen nicht leben.
Und so sagte der Vater zum Sohn nach kurzem Bedenken:
›Erich, ich reise zum König, um wieder in Dienste zu treten.
Ja, ich zieh' in den Krieg, und Du – Du bleibst nicht zu Hause!‹
Und in den Armen lagen sich weinend die herrlichen Menschen.
So war Alles beschlossen im Augenblicke. Sie packten,
Und schon fuhren sie ab am nämlichen Tag mit dem Fährschiff.
Nehmt Euch, Ihr kleinen Franzosen, in Acht vor den Heldengestalten,
Denen Ihr zwischen den Beinen bequem durchliefet, Ihr Knirpse!
Mir auch standen die Thränen im Aug' und das Herz vor dem Halse.«
    »Aber warum erzählst Du mir Alles das, liebe Marianne,
Ehe Du mir noch berichtet von unserem eigenen Hause? 190
Warum stehen wir still? Wir können auch plaudern im Gehen.«
Und so gingen sie denn durch die Dünen und dann durch das Wäldchen,
Eichen und Erlen, wo frisch aus dem Erdreich sprudelt die Quelle.
Aymen antwortete drauf sein prächtiges Weibchen und sagte:
»Vater ist jetzt ganz taub; doch ist es ihm lieber so, sagt er,
Als zur Zeit, wo er nur schwer hörte, und Alles ihn anschrie,
Während er halb nur verstand. Jetzt kann er mit Schreiben sich helfen.
Vater ist immer mit Allem zufrieden. Er sagte noch neulich
Welch ein Glück es doch sei, daß er hier auf der Insel geblieben;
Denn wer sollte wohl sonst im Sommer die Gäste des Bades
Mit Garnelen versorgen? ›Wenn auch nur wenig es einbringt,‹
Sagt er, ›so freut es mich doch, mich nützlich noch machen zu können.‹
    Unsere Aelteste ist hoch aufgeschossen und ist auch
Fünfzehn Jahre beinah und übt mit den älteren Wichtern
Ein sich im Scheibenschießen.« »Im Scheibenschießen? Was sagst Du?
So was lebt nicht! Wozu?« »Wir müssen uns hier doch vertheid'gen.
Theda ist sehr anstellig; sie tanzt am besten im Dorfe,
Und sie traf auch gleich mit dem anderen Schuß in das Schwarze.«
»Aber die Jungen?« »Gedeih'n rothbäckig wie Borsdorfer Aepfel.
Niemand ist so glückselig und froh wie unsere Knaben;
Denn seit der Krieg ausbrach, ist kaum noch von Schule die Rede.« 191
    Ayme fragte zuletzt: »Was macht denn unsere Ilse,
Unsere Jüngste, das herzige Kind mit den offenen, großen
Augen, so blau wie die Tremsen?« Sie sagte: »Die Kleine ist drollig.
Neulich kam sie zu mir, um einzugestehn mit Bedauern:
›Mutter, ich habe noch keine, gar keine Verehrer gefunden.
Aber, nicht wahr, das thut ja wohl nichts?‹ ›Nein‹, sagt' ich, ›das thut nichts.
Und Du brauchst Dich auch nicht darum zu grämen, mein Ilschen.
Siehe, Du bist noch jung, und wirst Du älter und bleibst nur
Fleißig und gut, so werden Dir auch die Verehrer nicht fehlen.‹
›Fleißig und gut!‹ so sprach Nesthäkchen und sagte bedächtig:
›Aber man muß doch schön auch sein, um Verehrer zu finden.‹
Innerlich mußte ich lachen, doch sagt' ich mit ehrbarer Miene:
›Hübsch ist Jede, die hübsch sich beträgt.‹ Drei Monate später
Kam sie munter und froh. Ich fragte: ›Was giebt es, Du Kleine?‹
›Mutter, mir haben die Mädchen erzählt in der Schule, es hätten
Drei, vier Knaben – sie nannte dabei sie alle mit Namen –
Hätten gesagt, ich sei sehr nett!‹ ›Da hast Du ja auch schon
Deine Verehrer! Allein Du mußt Dich nach ihnen nicht umsehn.‹
›Nein, das thu' ich auch nicht: doch ich kann doch darüber mich freuen.‹«
    So in trautem Gespräch mit der lieben verständigen Hausfrau
War jetzt Ayme zum Dorf schon gelangt auf dem Wege, mit Eber-
Eschen bepflanzt, die im Herbste mit hochroth funkelnden Beeren 192
Locken die Drosseln zum Schmaus, so Krammetsvögel man nennet,
Welche sich schaarenweis ausruhn auf der lieblichen Insel.
Sieh, da erhob sich der Mond, sehr groß und roth, und man sah nun
Ueber dem glitzernden Meere der Watten die Küsten von Friesland.
Und da stand schon das Haus mit den Linden. Sie klopften und klopften.
Während es drinnen sich regte im Hause, versetzte mit Rührung
Ayme, betastend die Bank, die stand vor der Thüre der Wohnung:
»Wenn ich im wechselnden Leben so recht, recht glücklich mich fühle,
Sitz' ich im Geist stets hier auf der Bank vor dem eigenen Hause.«
    Als man da drinnen die Stimme vernahm, die bekannte, des Vaters,
Was für ein Jubeln und Jauchzen erhob sich im schweigenden Hause!
Nackt aus dem Bette gesprungen, so kamen die Buben gelaufen,
Während die sittsamen Mädchen vorher sich ein wenig verhüllten.
    Vater umarmte mit Stolz sein blühendes Mädchen und sagte:
»Theda, Du führest mit Recht den Namen der Gräfin, der großen;
Denn Du bist kräftig und streitbar, wie sie.« Doch es wollen die Knaben
Nicht vor der ältesten Schwester zurückstehn, klettern am Vater
Beide empor und umhalsen und küssen den lange Entbehrten.
Aber ihr Vater, er nahm auf die Arme die liebliche Kleine.
»Ilschen,« so sagt' er zu ihr, »ich bin nun auch Dein Verehrer.« 193
»Ich kann Schlittschuh laufen, Papa!« Das waren die ersten
Worte, womit Klein-Ilschen den lieben Vater begrüßte,
Denn wir Menschen sind alle geneigt, ein wenig zu prahlen.
»Ei, was Du sagst!« »Jawohl, das kann sie!« bezeugte die Mutter.
»Denn sie erklärte, sie wolle das Schlittschuhlaufen erlernen,
Und was sie will, das will sie; sie ist ein entschlossenes Wesen.«
Hoffentlich nehmet Ihr Theil am genügsamen Glücke des Seemanns,
Wenn er nach Fahrten und Stürmen zur Heimath, der lieben, zurückkehrt.
    Nun schwamm schon drei Tage in einem Meere von Wonne
Ayme, der muthige Schiffer, der Stolz und die Freude der Insel.
Und er erzählte so lange, bis rauh ihm wurde die Kehle;
Aber danach, am vierten, befragt' er den jüngeren Bruder:
»Ulrich, wie ist Dir zu Muthe?« »Nicht gut!« antwortete Jener.
»Denn im Harlinger Siel liegt Woche vor Woche mein Fahrzeug
Müßig und fault.« »Noch mehr,« so sprach sein Bruder, »verdrießt mich,
Daß ich gezwungen nun werde, die Tage dem lieben Herrgott
Abzustehlen und zu faulenzen. So schön es auch hier ist,
Thätigkeit bin ich gewohnt, und wenn ich raste, so rost' ich.«
    Ulrich, der jüngere Edden, war los und ledig, ein lust'ger
Junggeselle. Er war auch Schiffer geworden und hatte
Eine Schaluppe gekauft mit fremdem Gelde; das macht' ihm
Keine Sorge. Er war Hans ohne Sorge von jeher.
»Ja, es ist sehr langweilig!« versetzte zu Ayme der Bruder,
Dem das Vergnügen das Wichtigste war. Es liebten ihn Alle;
Aber er sprach manchmal, und er that manchmal, was er vorher 194
Nicht wohl hatte bedacht. »Langweilig nur?« sagte der Bruder.
»Wenn wir stets ausgeben und nichts einnehmen, wie soll das
Enden zuletzt, mein lustiger Freund, als mit Hunger und Kummer?«
    Und so beschlossen die Brüder, etwas zu erwerben zusammen.
Schiffen und Fischen sind nahe verwandt, drum wollten sie fischen.
Also gingen sie früh am anderen Morgen zum Strande
Schnüvers zu fangen. Das sind von den guten Fischen die besten.
Und sie zogen das Netz entlang; doch es störte des Nachbars
Hund sie dabei und machte sich stets vor dem Netze zu schaffen.
Als sie es nun auszogen, da zappelte nicht es im Sacke,
Hatten sie doch darin nur wenige Krabben gefangen.
Und so merkten die Schiffer, daß sie aus der Uebung gekommen.
Auch am rechten Geräth für den Fischfang fehlt' es den Brüdern.
»Fischer sind Plümper,« so sagte verstimmt da der ältere Ayme,
»Und wenn nichts sie fangen im Netz, so sind sie nur Stümper.
Aber die Zwei und dreißig, sie nöthigen uns, sich zu plagen.«
    Mehr als Alles verdroß ihn das ewige Schwatzen und Jammern
Von den Franzosen. »Sie wagen sich nicht in das seichte Gewässer.
Jeden Franzosen, der hier sich zeigt, den verzehr' ich lebendig.
Aber ich weiß, was ich thue!« Und er telegraphirte nach Büsum. 195
»Könnt Ihr noch Kohlen gebrauchen?« so fragte er an bei dem Makler.
»Gern, um den doppelten Preis!« so erfolgt' umgehend die Antwort.
Damit ging er zu Folkert und Dirk. »Nun, Jungen, was sagt Ihr?
Was ich mehr als gewöhnlich verdiene, das theilen wir redlich.«
»Das soll ein Wort sein!« sagten die Leute. So ward es beschlossen.
Darauf ging er zum Bruder, erzählte ihm Alles und sagte:
»Ulrich, willst Du nicht auch Dir die Langeweile vertreiben?«
Ulrich besann sich nicht lang und sagte: »Mit großem Vergnügen!
Ayme, Du bist so klug, so neunmalweise, ich thue,
Was ich will, Du findest daran nur zu tadeln und mäkeln.
Darum will ich es machen, gerad wie der Rostocker Schiffer,
Dem Du sagtest, Du wolltest als glänzender kleiner Pilotfisch
Ziehen voraus und ihm weisen den Weg, er solle nur folgen.
Wenn ich's mache, wie Du es befiehlst, so muß ich im Recht sein.«
»Gut! Wir segeln nach Hartlepool. Doch laß Dich nicht kapern.«
    Ulrich war ganz fröhlich und sprach zum Bruder mit Rührung:
»›Speculant‹, so heißt mein Schiff; drum will ich auch einmal
Speculiren. Du sollst ein Wunder an mir noch erleben.
Wenn wir schwimmen im Geld, so bezahl' ich Dir für das mir gütigst
Zum Schiffskaufe geliehene Geld zum ersten, zum aller-
Ersten Male auch Zinsen!« Er klopft' ihn dabei auf die Schulter,
Und sprach seelenvergnügt: »Du bist ein prächtiger Kerl doch, 196
Daß Du so Manches an mir, doch niemals tadelst, wozu Du
Hättest das Recht, daß ich als Schuldner der säumigste Mensch bin.«
»Laß es nur gut sein, Ulrich. Doch bitt' ich Dich, laß Dich nicht kapern.«
    Oftmals fuhren die Brüder hinüber zum Siel, wo die Schiffe
Müßig am Bollwerk lagen, und rüsteten Alles zur Abfahrt.
Sprachen jedoch von nichts, bis endlich ein Briefchen vom Siele
Kam von Ayme an Anne Marie. Er meldete kürzlich:
»Theuerste Frau, erschrick nur nicht: wir versegeln nach England,
Kehren jedoch gar bald zurück und schwimmen im Gelde.
Aber ich komme vorher noch zu Euch.« Und er kam denn auch wirklich,
Schon am anderen Tag; doch er sprach bei der ersten Begrüßung:
»Unsere Reise ist fest und sicher beschlossen. Wir wollen
Nicht davon sprechen; es taugt niemals, Zweckloses zu reden.«
Und dann war er so munter und heiter, daß schwere Gedanken
Gar nicht kamen zu Wort. Und Anna Maria, sein treues
Weib, ließ sich's nicht nehmen, ihn noch zum Strand zu begleiten.
    »Schatz, ich erhalte die doppelte Fracht,« so sprach er im Gehen;
Darum will ich denn auch so gut, Marianne, es haben,
Wie der Pastor und der Ortsvorstand, Postmeister und Wirthe
Und wie die sämmtlichen Großen des Dorfs, indem ich –« »Indem Du?«
Sprach sie, in fragendem Tone gespannt. Er sagte: »Indem ich
Kaufe ein seidenes Kleid für meine geliebte Gemahlin.« 197
    »Bringe Dich selbst nur zurück; ich brauche nicht seidene Kleider,«
Sagte das treue bescheidene Weib, beinahe beleidigt.
»Aber was machst Du denn da?« »Du siehst,« sprach Ayme, »die Ebbe
Schritt weit vor, und das Wasser ist abgeflossen; zum Schiffe
Kann ich rudern nicht mehr, drum muß ich waten und ziehe
Mir Seestiefel nun an.« »Nein, laß das!« sagte die Hausfrau.
»Halten die Nähte auch dicht, durchfeuchtet sind dennoch die Stiefel,
Und Du erkältest Dich, Mann.« »Wie soll es denn werden?« »Ich trage
Die paar Schritte Dich schon.« »Du wolltest, mein prächtiges Frauchen –«
»Nicht Umstände gemacht. Ich nehme Dich jetzt auf die Hucke.«
Und so trug sie den Mann mit festen und sicheren Schritten,
Wenn auch bebten die Kniee, zu seinem schon wartenden Schiffe.
Ayme sprach: »Du Perle von Weibe, wie soll ich Dir danken?
Aber mir ist, als müßt' ich mich schämen.« Sie sagte dagegen:
»Hat nicht Gott es gesprochen: ›Der Mensch braucht eine Gehilfin!‹
Darum schuf er das Weib. So laß Dir, Ayme, die schwache
Hilfe gefallen. Geleite Dich Gott, Du mein Ein und mein Alles!«
Darauf schritt sie zurück zum Strand mit bekümmertem Herzen.
    Noch in der nämlichen Nacht stach Ayme und hinter ihm Ulrich
Muthig in See, nicht achtend den Krieg und die feindliche Flotte,
Um nicht müßig zu gehen und abzuwehren den Hunger;
Denn uns Menschen beherrscht ja der leidige Magen und treibt uns, 198
Gleich wie ein Vogt, zur Arbeit an. Mit günstigem Winde
Fuhren sie rasch entlang an alle den friesischen Inseln,
Glitten auch über die Doggersbank ungefährdet hinüber,
Wo man doggert, das heißt, wo man fischt mit Schnüren von Angeln.
Auch bei den Goodwinsands passirten sie, ohne zu scheitern.
Und so gelangten sie bald zur gesegneten englischen Küste.
Dort, wo Schiffe von jeder Gestalt, so große wie kleine,
Einer beständig in Fahrt begriffenen Flotte vergleichbar,
Stets wie ein Kranz zur Verzierung gelegt sind rund um die Insel.
Und so kamen sie denn nach Hartlepool, wo die deutschen
Schiffe noch lagen zusammen, verzagt und den sicheren Hafen
Nicht zu verlassen sich trauend. Doch als nun der muthige Friese
Edden von Spiekeroog ankam, der mit seiner Johanna
Zweimal hatte die See durchkreuzt, und erzählte, er habe
Nicht ein einziges Orlogschiff der Franzosen gesehen,
Riefen sie Alle: »Hurrah!« Und der Kamm schwoll mächtig den Deutschen.
»Was der kann, das können wir auch!« so sagte der Eine,
Aber der Andere meinte, es käme doch sehr auf das Glück an.
    Während sie so rathschlagten, erhob sich plötzlich ein Lärmen
Und ein Geschrei aus der Stadt, man konnt' aus dem Stimmengewirre
Nur ein einziges Wort »Napoleon!« deutlich vernehmen.
Nämlich, es war am Tag von Sedan, am zweiten September.
Als man die Kunde vernahm, Napoleon wäre geschlagen
Und ein Gefangener nun von König Wilhelm, da schien erst
Manchem die Kunde zu gut, und sie wollten noch nicht daran glauben.
Doch als auch schon die Zahl der eroberten Feldgeschütze 199
Und der gefangnen Franzosen verkündigt wurde, da brauste
Stürmischer Jubel empor aus dem Munde der Deutschen, sie wollten
Feiern ein Siegesfest, so ward einmüthig beschlossen.
    Ebenso warfen die Lader, die englischen Schiffsarbeiter,
Schaufeln und Spaten zu Boden, um Feierabend zu machen,
Nicht aus Freude, aus Zorn. Sie grollten den Deutschen schon lange,
Und man sah sie die Blätter zerstampfen mit grimmigen Füßen,
Die von der Schlacht von Sedan und dem Siege der Deutschen erzählten.
Aber am andern Tag, als die Schiffe zu laden begannen,
Hatten die Leute sich anders besonnen; denn wo es Verdienst giebt,
Da sind stets Engländer zur Hand, so gut, wie die Juden.
    »Hoch! Hoch! Hoch!« so riefen beständig die Schiffer beim Festschmaus.
Wie viel Male sie heute den König und Bismarck und Moltke
Leben gelassen bereits und die Wacht am Rheine gesungen,
Wußten sie selbst wohl nicht. Sie schwärmten im Jubel des Sieges.
»Kinder, der Krieg ist aus!« rief Ulrich in höchster Begeistrung.
»Hab' ich die Ladung an Bord, so fahre ich, ohne zu säumen.«
Und neun andere Schiffer erklärten: »Ich fahre! Ich fahre!«
    Aber zur Vorsicht mahnte der immer besonnene Ayme:
»Metz und Paris sind noch nicht über. Der Krieg ist zu Lande
Noch nicht zu Ende gebracht. Auf der See bleibt Alles beim Alten.
Fahre Du, wenn Du willst, doch lasse Dich, Ulrich, nicht kapern.« 200
Ulrich sagte: »Ich weiß nicht, warum Du mich immer ermahnest,
Mich nicht kapern zu lassen. Was soll das, Ayme, bedeuten?
Soll man gekapert werden, so wird man gekapert. Da hilft nichts.
Kann man dabei was thun?« »Nicht viel, mein Lieber, doch etwas.
Wagen gewinnt und wagen verliert. Ganz ohne Gefahr setzt
Nichts im Leben man durch; doch muß man sie möglichst verringern.
Siehe, wir haben zu thun bis Freitag Morgen. Am Freitag
Darf man aber nicht segeln, das weiß ein Jeder. Drum warten
Wir bis zum anderen Tag und machen davon uns im Dunkeln.«
    So sprach Ayme; jedoch was geschah? In der Frühe des Freitags
Wehte ein herrlicher Wind, den Ulrich verlieren nicht wollte,
»Wegen des Aberglaubens,« so sprach er. Am helllichten Tage
Ging er in See, und man sagte sogar, er habe die deutsche
Flagge geführt an der Gaffel, als wären wir mitten im Frieden.
Wenn man mausig sich macht, so wird man verzehrt von der Katze.
Wenige Stunden war kaum die Schaluppe von Ulrich gesegelt,
Siehe, da stieß auf sie, wie der Habicht stößt auf die Taube,
Ein französischer Kreuzer, besetzte sie, brachte das deutsche
Fahrzeug auf nach Brest, wo das Prisengericht es verdammte.
Und dann weg mit der Prise, pascholl! nach dem Westen von Frankreich.
Was aus Ulrich geworden, darüber verlautete gar nichts. 201
    Als es am Freitag tagte, da rieb sich Ayme die Augen,
Ulrichs schmucke Schaluppe war nicht mehr im Hafen vorhanden;
»Mein leichtsinniger Bruder!« so dacht' er mit Schütteln des Kopfes,
»Ja, ein Windhund ist er und bleibt er!« Dann sprach er zur Mannschaft:
»Habt Ihr die Ladung auch sicher verstaut?« »Ja!« sagten die Leute.
»Nehmet die Decke noch ab von der Ladung und legt eine Lage
Schmiedekohlen darüber, die feinsten und schwärzesten Kohlen.«
»Wozu das, Kapitän?« so fragten ihn beide Matrosen.
»Wer kann wissen, wozu das gut ist!« sagte er schmunzelnd.
Nun, sie wunderten sich und thaten, was ihnen befohlen.
»So! Jetzt breitet darüber nur wieder den großen Presenning.«
    Samstag früh, da noch finster es war, fuhr auch die Johanna,
Aber es wehte so stark von Osten her, daß sie nach Büsum
Nicht zu steuern vermochten. Sie mußten die nämliche Straße,
Die sie gekommen, zurück auch fahren, und glücklich gelangten
Sie bis zur Doggersbank. Am Horizonte erblickten
Sie ein Linienschiff, doch sah es nicht, oder es wollte
Nicht wahrnehmen die kleine Johanna. Es schwand in der Ferne.
Rasch kam auf sie zu ein anderes Schiff, die Fregatte
La belle Poule, und als zu entkommen die Deutschen versuchten,
Feuerte scharf der Franzose und zwang sie zu halten. Sie sahen
Neben dem Schiff aufprallen die große Kanonenkugel,
Und wie sie hüpfte und hüpft' auf der Fläche, so hüpften die Herzen 202
Unserer Schiffer! Nun sollt' es trotz aller gepredigten Weisheit
Ayme nicht besser ergeh'n, als dem vielgescholtenen Ulrich.
Schon kam von der Fregatte ein Boot zum Schiffe gerudert.
Folkert – er war nicht sehr hell – rief aus: »Wir werden wohl Alle
Nun als Galeerensklaven verkauft!« Dirk sagte dagegen:
»Wenn sie sprechen mit uns, was sollen wir sagen? Wir haben
Kein Französisch gelernt, Kapitän.« Ihm erwiderte Ayme:
»O, sagt immer nur: Bon!« Und das Boot stieß jetzt an das Schiff an.
»Herr, wir könnten den Deetz einschlagen den Kerlen mit unsern
Handlichen Speichen!« so flüsterte Dirk. »Still!« sagte der Schiffer.
»Nicht Dmnmheiten gemacht. Das bitt' ich mir aus!« Und ein kleiner
Lieutenant sprang schon behende an Bord mit etlichen Leuten,
Fragte, woher und wohin, und ließ die Papiere des Schiffes
Sich vorlegen und las darin, als ob Deutsch er verstände.
»Ihr habt Kohlen geladen?« »Ja wohl!« »So zeigt mir die Probe!«
Ayme sagte darauf, zu seinen Matrosen gewendet:
»Hebt den Presenning auf und zeiget dem Herrn Offiziere,
Was für Kohlen wir führen.« Der prüfte bedächtig die schwarzen
Diamanten und sagte: »Wir können die Kohlen nicht brauchen!«
»Wie, sind die Kohlen nicht gut?« so sprach wie verwundert der Schiffer.
»Sie sind gut, mein Herr, und ich darf wohl sagen, vortrefflich,
Aber wir können sie nicht für unsre Marine verwenden.
Das sind Kohlen für Schmiede und nicht, um Maschinen zu heizen; 203
Denn sie ballen sich leicht beim Brennen in Klumpen zusammen,
Und sie verstopfen den Rost durch reichliche Schlacken.« Indeß so
Ayme belehrt sich sah von dem kleinen französischen Lieutenant
Ueber die Dinge, die er so gut schon wußte, wie Jener,
War ganz plötzlich verschwunden vom Tisch aus dem Achterverdecke,
Sieh, ein Fläschchen mit Rum und ein Kistchen mit guten Cigarren.
»Bon! Bon!« schrieen mit Macht, als den frechen Raub sie bemerkten,
Dirk und Folkert zugleich; doch es half ihr Schreien zu gar nichts.
Alles blieb in den Taschen der Seesoldaten verschwunden.
Krieg ist Raub! Das wissen die Herren Franzosen am besten.
Ayme that, als merkte er nichts, sich ärgernd im Stillen,
Daß um die Kleinigkeit Lärm machten die Leute zur Unzeit.
»Ueber die Ladung deckt nun wieder den großen Presenning!«
Rief er den Seinigen zu. Dann wandte er sich zu dem Lieut'nant.
»Haben der Herr Kapitän noch sonst etwas zu befehlen?«
Denn nichts schmeichelt den Menschen so sehr wie Standeserhöhung.
Und der Franzose versetzte, verlegen fast, zwirbelnd den Schnauzbart:
»Haltet Euch im Kielwasser von unsrer Fregatte: doch dürft Ihr
Weiter nicht bleiben zurück als hundert Klafter aufs Höchste.
Glückliche Reise!« so sprach der Franzose, sich artig verneigend.
Und er grüßte sogar aus dem Boot noch verbindlich und freundlich. 204
Unter den Tugenden scheint mir die Höflichkeit nicht die geringste.
    »So! Nun müssen wir zieh'n in die Sklaverei und das Elend!«
Jammerte Folkert. Jedoch sein Schiffer verwies ihm die Rede.
»Wißt Ihr, mir schien der Musjö ein wenig verlegen und kleinlaut,
Gleich, als hätt' er die Hiobspost von Sedan schon erfahren,
Und nun denkt der Franzose bereits an die Wiedererstattung
Und die Entschädigungskosten beim abzuschließenden Frieden.
Ja, sie haben nicht Lust, uns zu kapern, so will es mir scheinen.
Darum ist mein Rath: wir halten uns in der Entfernung,
Die man uns vorschrieb, nur Anfangs und bleiben zurück bald.
Erst nur wenig, wie absichtslos, doch weiter und weiter,
Endlich machen wir Kehrt und segeln nach Hause!« »So sei es!«
Sagte da Dirk. »Ja, ja, wir nehmen französischen Abschied!
Ihr wißt immer zu rathen. Die Schmiedekohlen – ich muß nun
Lachen darüber! – sie waren gar eine gelungene Kriegslist.«
    Schon am anderen Tag war ihnen die große Fregatte
Aus dem Gesichte gekommen. »Sie lassen uns laufen!« so sagte
Ayme, der Schiffer, mit lachendem Munde. »Ich konnt' es mir denken!
Nun Hurrah für Anne Marie und die Kinder, die süßen!«
Wenn am Abend die Pferde sich nähern dem heimischen Stalle,
Laufen sie schneller und wiehern. So schien, je näher der Heimath, 205
Rascher zu segeln das Schiff. Schon war es an Borkum und Baltrum
Nur so vorüber gesaust. Man sah von der anderen Seite,
Diesmal von Westen, den Thurm von Wangeroog steil sich erheben
Neben den Dünen von Spiekeroog und dem grünenden Eiland,
Aber die Schiffenden wären beinah noch im Hafen gescheitert,
Nicht durch Sturm, denn der Wind war schwach; doch es tobte die Brandung
Wüthend um Spiekeroog. Wie sollte das Schiff sie durchbrechen?
    »Leute, es gilt anjetzt in die Ozuner Balge zu laufen!«
Sagte der Schiffer. Sie mühten sich ab, doch wollt' es nicht glücken,
Denn ihr Schiff, die Johanna, gehorchte nicht länger dem Steuer,
Sondern es ward durch die wachsende Fluth gradwegs auf das Ufer
Weiter und weiter nach Süd in die donnernden Fluthen geworfen.
Wenn da das Schiff aufstieß, so war es verloren. Es konnte
Nicht aushalten die wuchtigen Stöße der brausenden Brandung.
Ayme, der muthige, wurde von Furcht ergriffen, als so er
Sah sich getrieben auf Legerwall, wie die Schiffer es nennen.
»Nun, Gott helf uns, Marie!« so sagt' er und küßte den Trauring.
»Leute, ich steig' auf den Mast und kommandire den Helmsmann.
Denn Seezeichen sind ja nicht mehr im Wasser geblieben.«
Wie vom Hügel ein Feldherr blickt auf das wogende Schlachtfeld,
Mußt' er das Wogengetümmel beschauen. Da saß er nun oben, 206
Schrie mit Gewalt, um verstanden zu werden, und sah, wie die Seinen
Jeglichen Nerv anspannten; doch war es vergeblich. Die Kräfte
Mußten erlahmen. »Wenn Gott nicht hilft, so sind wir verloren!«
Seufzte der Schiffer, und sieh, Gott half! Kraus wurde das Wasser,
Denn es erhob sich der Wind. Da blähten sich wieder die Segel,
Und es gehorchte das Schiff dem am Steuer drehenden Folkert.
    Aber auf Spiekeroog, wo man lange den Kampf mit den Wellen
Hatte mitangesehn und das Schiff, die Johanna, erkannte,
Stand am Strande geschaart theilnehmend die ganze Bevölk'rung.
Und sie begrüßten mit Jubel das glücklich gerettete Fahrzeug.
»Ist ein Franzose gekommen nach Spiekerooge?« Von Weitem
Rief so Ayme Edden hinaus zum versammelten Dorfe.
»Nein!« so rief man zurück. »Sehr gut,« sprach Ayme, »für mich das;
Denn sonst müßt' ich ihn ja aufessen lebendig, so hab' ich
Euch es versprochen!« Da hörte man lautes Gelächter am Strande.
    Anna Maria empfing ihn mit Lachen und Weinen. Das Lachen
War für jetzt, doch das Weinen für alle die traurigen Tage,
Welche die Seinen erlebt, seitdem er sie plötzlich verlassen.
»Doch nun bleibst Du bei uns!« so bat ihn die Frau und die Kinder. 207
    »Ja, ich bleibe bei Euch, so lang der abscheuliche Krieg währt.
Das ist ein Glücksspiel jetzt; man gewinnt bei dem Spiele so viel nicht,
Als wie kostet das Licht, das man anstecken dazu muß.
Darum bring' ich auch nicht von hier nach Büsum die Ladung.
Mögen die Kohlen sie sich abholen von hier; es genügen
Ja Schleppkähne dazu. Wir wollen den Winter genießen;
Denn wir ließen es sauer genug uns werden im Sommer.«
    Als man nach Ulrich ihn fragte, da zuckt' er die Achsel und sagte:
»Daß sein Schiff ›Speculant‹ von einem Franzosen gekapert,
Habt Ihr gehört, und Weiteres kann ich selbst nicht berichten.
Hoffentlich lebt er ja noch, und es wär' auch schade um Ulrich.
Ein leichtsinniger Mensch, doch der liebenswürdigste Junge!«
    Metz war übergegangen indeß, und endlich Paris auch,
Wo so lang' nichts Neues es gab, von den Deutschen erobert.
Aber von Ulrich war noch keinerlei Kunde gekommen.
Da, als Eddens mit Weib und Kind einst sitzen bei Tische
Und ein bescheidenes Mahl von getrockneten Fischen verzehren,
Tritt er zur Thüre herein und rufet mit fröhlichem Lachen:
»Ja, ich bin's und nicht mein Geist!« Da springt von den Stühlen
Alles empor und begrüßt den fast schon verloren Geglaubten.
»Vater, Du lebst auch noch!« so sagt' er, den Alten umarmend.
»Das ist Gnade von Gott!« »Wie ist es Dir, Ulrich, ergangen?«
Fragen ihn Alle zugleich. Erst küßt er sie ab, und dann sagt' er:
»Anfangs schlecht und nachher sehr gut.« »Und wo kommst Du denn her, sprich!« 208
»Ich, ich komme von Bismarck her.« »Ei, rede nicht Unsinn!«
»Was ich Euch sage, ich komme von ihm, von unserem Bismarck.«
»Und wo trafst Du ihn denn?« »Nicht weit von Paris, in Versailles.
Wie's mir in Frankreich ging? Ich wurde von einem zum andern
Orte beständig geschleppt, zuletzt nach Bordeaux, das die Weine,
Oder zum wenigsten doch uns liefert die Namen der Weine.
Ein Quartier war immer noch schlechter und mehr mir zuwider,
Als mein früheres war. Mit welchem Entzücken vernahmen
Wir, die gefangenen Deutschen, daß ausgehungert Paris sei,
Daß schon der Friede geschlossen, und ausgewechselt wir würden.
Als wir kamen zuerst nach unseren Posten, da fielen
Fast um den Hals wir den uns auf Deutsch anredenden Leuten.
Sieh, und plötzlich umarmt mich als alten und werthen Bekannten
Jemand, geschmückt mit dem eisernen Kreuz. Wer war es? Der junge
Erich, der prächtige Mensch. Er bewirthet mich fürstlich, begleitet
Dann mich zur Bahn und sagt: ›In Versailles ist jetzt auch mein Vater,
Ulrich, den mußt Du besuchen!‹ Wir dutzen uns noch aus der Kindheit. –
Und so ging ich denn gern in Versailles zum Grafen, dem Vater.
    Nun, er empfing mich denn auch mit seiner gewöhnlichen Güte.
Und nachdem er mit mir nur wenige Worte gewechselt, 209
Sagte er: ›Ulrich, kommt, Ihr müßt mir folgen zu Bismarck.‹
›Bismarck!‹ rief ich. ›Wie käm' ich dazu, zu der Ehre, mich Bismarck
Vorzustellen? Ihr scherzt.‹ ›Nein, nein, er wartet auf Euch schon.
Bismarck redet mit Jedem; denn lernen kann man von Jedem,
Pflegt er zu sagen. Er will von Euch sich lassen berichten,
Wie die Franzosen behandelt die kriegsgefangenen Deutschen.‹
›»Spricht er denn auch plattdeutsch?‹ ›Und ob! Das versteht sich am Rande;
Denn wie könnt' er denn sonst die Gedichte aus Jever verstehen?
Ja, und es macht ihm Vergnügen, sein Plattdeutsch leuchten zu lassen!‹
    Also der Graf geht richtig mit mir zur Wohnung von Bismarck.
Aber es war nicht leicht, hindurchzudringen zum Kanzler.
Generäle, Minister und Fürsten, so große wie kleine,
Warteten täglich ihm auf, und er ließ sie vor auch, die Fürsten,
Aber er machte nicht Gegenbesuche an Alle. Er sagte:
›Ich hab' mehr zu thun, als Gegenbesuche zu machen.‹
Und so standen wir lang im Gedräng, bis auf sich die Thür that
Und der gewaltige Mann im Rahmen der Thüre sich zeigte.«
Alle bestürmten nun Ulrich mit Fragen, was für ein Mann denn
Bismarck sei. Und Ulrich erwiderte kurz auf die Frage:
»Bismarck ist ein Mann! Mehr braucht man von ihm nicht zu sagen.
›Ulrich, der Friese?‹ so fragt er mit einem gewinnenden Lächeln.
Und ich verneigte mich tief. ›So bitt' ich denn näher zu treten.
Von nun ab,‹ so fügt er hinzu, ›bin ich nicht mehr zu sprechen.‹
Also mußt' ich mich setzen im Arbeitszimmer des Kanzlers 210
Und ihm Alles, was ich zu Wasser und Lande erlebte,
Was mir nur kam vor den Mund, haarklein nach der Wahrheit erzählen.
Manchmal nahm er 'nen riesigen Stift und notirte sich etwas.
Alles ist groß an dem Manne, sogar der gewaltige Bleistift.
Wir Ostfriesen geniren uns nicht, wir sind ja die alten
Freien Deutschen am Meer, die gleich sich achten mit Jedem.
Als er nun hörte, wie schlecht die gefangenen Deutschen behandelt,
Ward Bismarck fuchswild. ›Wir mußten hungern und frieren‹,
Sagt' ich, ›doch war es das Schlimmste noch nicht; denn das Schlimmste in Frankreich,
Das ist der Schmutz, der Gestank und die Flöhe und schlimmere Thierchen.
Daß ein Volk sich stets aufspielt als fein und gesittet,
Aber von Reinlichkeit leider und Sauberkeit keinen Begriff hat!‹
›Ja, Holländer und Friesen sind reinlich; man kann sich nicht wundern,
Daß Euch belästigt der Schmutz!‹ so sagte der Kanzler mit Lachen.
›Nehmet den stolzesten Pair von Frankreich, prächtig gekleidet,
Hochelegant, doch sötte man wohl aus der seidenen Nachtmütz'
Zwei Pfund Seife heraus.‹ In dem Punkt waren wir einig.
›Einmal sagte mir ein Franzose,‹ erzählt' ich dem Kanzler:
›Seltsam ist, daß Tag für Tag man sich wäschet die Hände,
Niemals aber die Füße.‹ ›Man darf Schmutzfinken sie nennen.
Ihr habt Schlimmes erlebt bei diesen Franzosen,‹ so sagte
Bismarck schließlich zu mir, ›und ich weiß, Dank Euren Berichten,
Jetzt von der Sache Bescheid. Sie sollen, die Herren Franzosen, 211
Jetzt uns zahlen für Alles. Wir haben im Sack die Milliarden!
Abraham Oppenheim sagte, daß höchstens man vier Milliarden
Könnt' aus Frankreich ziehn. Doch so klug auch sonst ja der Mann ist,
Diesmal glaub' ich ihm nicht. An falscher Bescheidenheit haben
Nie die Franzosen gelitten; drum müssen wir Deutschen denn auch nicht
Etepetete sein, wie wir zu Hause das nennen.
Nur nicht ängstlich, so sagte der Hahn zum Wurm und verschlang ihn.
Wenn man nicht ängstlich ist, drückt aus dem gesegneten Frankreich
Man wohl zehn Milliarden heraus. Doch will ich für diesmal
Mich mit der Hälfte, mit nur fünftausend Millionen begnügen.
Halten sie Frieden, nun gut! Doch fangen von Neuem sie Krieg an,
Lassen wir sie zur Ader, bis daß sie kriegen die Bleichsucht;
Denn wer Krieg anfängt, der begehet ein großes Verbrechen
Und muß büßen dafür. Doch wollen wir hoffen das Beste.
Seid nur ruhig, Ihr Schiffer. Für Eure gekaperten Schiffe
Werdet Ihr reichlich entschädigt und auch für die Schiffe, die müßig,
Lagen im Hafen, erhaltet Ihr Jeder ein artiges Sümmchen,
Um den verloren gegangnen Verdienst Euch baar zu ersetzen!‹«
    O, das klang wie Musik in den Ohren der Schifferfamilie.
Portwein wurde sogleich herbeigeschafft aus dem Keller
Und ein donnerndes Hoch dem Patrone der Rheder und Schiffer
Bismarck ausgebracht, und der Dank kam wahrlich von Herzen. 212
    »Ich darf sagen, daß wir einander gefielen«, so schloß nun
Ulrich seinen Bericht. »Doch konnten wir länger nicht plaudern;
Denn so sprach, sich erhebend der Kanzler: ›Es warten schon wieder
Einige Fürsten auf mich. Ich wollte, sie blieben zu Hause;
Denn hier stehn sie im Wege!‹ Wir schieden mit kräftigem Handdruck,
Und was ferner mir noch im wechselnden Leben begegne,
Ich kann sagen hinfort: ›Ich habe gesprochen mit Bismarck!‹
Morgen noch werd' ich ein größeres Schiff mir bestellen in Elsfleth.«
    »Ja, Du schwimmst nun im Geld, Du kannst wohl lachen. Das glaub' ich!«
Sagte zum lustigen Ulrich darauf sein ernsterer Bruder,
»Nimm es mir, Lieber, nicht übel, Du bist und bleibst doch ein Windhund.
Segelst am Freitag aus in die See, bei helllichtem Tage,
Und mit wehender Flagge und wunderst nachher Dich nicht wenig,
Wenn Du gekapert wirst. Doch Dir muß Alles gerathen.
Aber wie gehet es mir? Man pfleget mich immer zu rühmen,
Daß ich muthig und kühn und doch vorsichtig zugleich sei.
Aber was hab' ich davon am Ende der Rechnung? so frag' ich.
Da ich die Kohlen nicht konnte nach Büsum schaffen, so ward mir
Ausgezahlt nicht die doppelte Fracht, nur die immer gewohnte.
Ja, ein Pferd, das Hafer verdient, das kriegt ihn gewiß nicht!«
    Doch es versetzte darauf sein lustiger Bruder und sagte:
»Ayme, Du hast ja die Weisheit mit Löffeln gegessen, das weiß man.
Doch wenn ich schwimme in Geld, so hast Du Dich nicht zu beklagen; 213
Denn ich werde Dir jetzt, großmüthiger Bruder, mit einmal
Alle gestundeten Zinsen auf Heller und Pfennig bezahlen!«
    Ayme erwiderte drauf: »Ei, Ulrich, so hab' ich ja selbst noch
Einen Gewinnantheil an den Folgen des schrecklichen Krieges.
Aber ich habe den Krieg nun satt und hoffe von Herzen,
Daß wir Alle hinfort uns ruhig des Friedens erfreuen.
Und wir dürfen auch hoffen, daß uns die Franzosen nicht wieder
Fallen ins Land; denn sie haben erfahren die Wahrheit des Sprichworts:
»Wer will Unglück haben im Krieg, fang' an mit den Deutschen!«

 


 


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