Heinrich Kruse
Seegeschichten. Neue Folge
Heinrich Kruse

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Jung' oder Dirn?

          »Hilf mir. Ich kann nicht mehr!« Mit diesen verzweifelten Worten
Sah sich Johanna empfangen, die freundliche Tante, von ihrer
Aelteren Schwester Marie, der verwittweten Kapitän Marquard.
»Schwester, Du bist auffallend erregt,« so sagte die Tante,
»Und mein Pathenkind, mein prächtiges Julchen, es glühet
Ja wie Purpur. Was giebt's?« Und noch Athem schöpfend, erwidert
Jener die Wittwe darauf: »Ich habe gezüchtigt den Unband.
Seit mein seliger Mann bei den Goodwin Sands ist geblieben,
Ist auf mich ja gefallen die ganze Sorge des Hauses.
Und sie wird mir nicht schwer, ich habe ja leidlich zu leben;
Denn mein Mann, vorsorglich wie immer, versicherte, eh' er
Aus von London lief, noch den Schiffspart, der ihm gehörte.
Haus zu halten allein sind gewohnt wir. Die Frauen der Schiffer
Leben als Wittwen ja stets. Wie selten nur seh'n wir die Männer!
Nur die Erziehung der Kinder ist mir zu beschwerlich.« »Du hast ja 18
Nur zwei Töchter, Marie.« »Jawohl, und die ältere, Anna,
Ist so, wie es sich ziemt für Mädchen, gesetzt und bescheiden.
Aber der Range da wird noch zu früh in die Grube mich bringen.«
»Julchen, was hat sie gethan?« »Sie ist wie der wildeste Junge.
Kein Baum ist ihr zu hoch; sie klettert zum obersten Wipfel,
Rudert allein im Kahn, springt über die breitesten Gräben –
Denk Dir, das Unglückskind, die wilde Hummel, ist eben,
Als ein Junge gekleidet, und vom Janhagel bejubelt,
Bis zur obersten Spitze des Kupferwerkes geklettert!«
Daß Steinwerder ein Inselchen ist in der unteren Elbe,
Mit Packhäusern und Werften bedeckt, in der Nähe von Hamburg,
Ist wohl Manchem bekannt. Es befindet sich dort auch das große
Kupferwerk, wo man sammelt das Erz der entlegensten Gruben,
Und man reinigt es dort und gießt es in funkelnde Barren.
Um nicht belästigt zu werden von Rauch und den giftigen Dünsten,
Ward in die Höhe geführt ein mächtiger, riesiger Schornstein,
Fast zu sehn wie ein Thurm, und die äußere eiserne Treppe
Führt durch die Luft hinauf bis zum himmelanragenden Gipfel.
Muthige Knaben erstiegen zuweilen die Treppe, doch wenn sie
So hoch etwa gelangt wie ein Großmast, wurden sie bange,
Daß sie, von Schwindel ergriffen, hinunterstürzten und stiegen
Langsam wieder die Treppe hinab mit bebenden Knieen.
Dort war also hinauf das verwegene Julchen geklettert.
»Julie sieht,« wie die Mutter erzählt, »aus der Ferne der Knaben
Treiben sich an und denket bei sich: »Das kann ich doch besser!« 19
Und läuft blindlings heraus und steigt auf die Treppe. Was kehrt sie
Sich an meine Verbote! Und steigt und steigt in die Höhe –
Schwindel kennt sie ja nicht – und klimmt bis zur obersten Spitze.
Unten versammelt indeß sich ein Haufe von müßigen Gaffern,
Starrt nach Julchen hinauf und ruft: »Ein verwegener Junge!«
Plötzlich war sie verschwunden. Man wußte nicht, wo sie geblieben.
Nämlich sie schlüpfte hinein in den Schlot, sich die innere Treppe
Anzusehn; doch schien sie bequemer ihr nicht, als die äuß're,
Und war dunkel dazu; drum ging sie wieder ins Helle.
Und wie ein Wiesel vom Taubenschlag, so schoß sie behende
Wieder herab, und es riefen Hurrah und klatschten die Menschen.
»Das ist Alles noch kein Unrecht,« so versetzte die Tante.
»Was kann Julchen dafür, mein liebliches Pathchen und Herzblatt,
Daß sie gesund und schlank sich der kräftigsten Muskeln erfreuet?«
Aber die Mutter erwiderte ihr kopfschüttelnd: »Johanna,
Wär' sie ein Junge, – nun gut. Doch ein wohlerzogenes Mädchen
Muß in Zucht und Sitte sich fügen. Sie hat mich mit Bitten
Lange dermaßen bestürmt, bis ich Julchen erlaubte, die Kleidung
Ihres Bruders Johann, der blieb auf See mit dem Vater,
Anzulegen zum Scherz, doch nur im Haus und im Garten;
Aber sie ward wie wild, in der männlichen Kleidung, der langen 20
Röcke entledigt, doch trieb sie's so arg wie heute noch niemals.
Ist das nicht ein Skandal? Das muß ich erleben an meinem
Eigenen Kind!« Und es lief von Neuem die Galle ihr über.
Und schon erhob sie den Arm, um Julien weiter zu schlagen.
Aber es trat dazwischen die gütige Tante und sagte:
»Laß das, Schwester! Sie ist kein Kind mehr.« »Aber die Schande,
Welche sie über uns bringt!« »Es ist nicht so schlimm, wie Du sagest.
Julie wurde ja gar nicht als Mädchen erkannt, und man glaubte,
Daß sie ein Junge sei, ein artiger Junge!« »Ich schlüpfte,
Wieder heruntergelangt, in die offene Pforte des Gartens.
Niemand hat mich erkannt!« so bekräftigte Julchen die Rede.
Tante Johanna versetzte: »Das herrliche Mädchen, Du hast sie
Braun und blau schon geknufft, und ich soll Dir noch gar dabei helfen?
Armes Julchen!« so sagte die Tante begütigend, strich ihr
Aus den Augen das Haar und streichelt' ihr freundlich die Wange.
Sie stand da, ein Thränchen im Aug', doch trotzig und zornig
Ueber die schlechte Behandlung. »Erbittre das Kind nicht!« so sagte
Tantchen zur älteren Schwester. »Sie kann ja dafür nicht, daß Gott ihr
Herrliche Glieder geschenkt und Muth und Freiheit von Schwindel.«
»Willst Du sie gar noch vertheid'gen?« so sagte die Wittwe. »Ich hab' ihr
Strenge verboten, in männlichem Kleid aus dem Garten zu gehen.«
»Aber sie hat ja Strafe und fast zu reichlich erhalten.« 21
Endlich gelang es der Tante, die aufgeregten Gemüther
Wieder zu stillen. So glättet mit Oel man die tobenden Wellen.
Niemand hat sie erkannt! mit dem Troste ging man zu Bette.
Doch was geschah? Man las die ganze Geschichte am andern
Morgen mit ausgeschriebenen Namen im Correspondenten
Sammt anzüglichen Worten. Es wurden die Mütter getadelt,
Welche die Töchterlein nicht in Zucht und Ordnung erzögen.
Selber die Obrigkeit wurde ermahnt, zu steuern dem Unfug.
Ja, so stand es zu lesen im Hamburger Correspondenten.
Und man erinnere sich an die sittsamen früheren Zeiten.
Schlittschuhlaufen und Schwimmen, allein zu reisen und andre
Unanständige Dinge, sie waren den Mädchen verboten.
Und nun gar vor dem gaffenden Volk auf Thürme zu klettern,
War unglaublich und kaum für möglich zu halten. Die Mutter
Schwur: »Ich kann die Schande nicht überleben!« und tobte
Aerger als je. Doch wagte sie nicht zu schlagen die Tochter,
Die im schweigenden Trotz ihr bange machte. Doch Julchen
War auch selbst wie vom Donner gerührt, als sie in dem Blatte
Las die Geschichte mitsammt der angehängten Ermahnung.
O, in die Zeitung zu kommen, das war doch das Schlimmste des Schlimmen!
Während der Züchtigung schon war sie entschlossen, nicht länger
Sich mißhandeln zu lassen und fortzugehn in die Fremde.
Und nun schien es ihr ganz unmöglich, im Hause zu bleiben,
Das durch sie in den Mund böswilliger Leute gekommen.
Julie nahm, was sie hatte von männlichen Kleidern, und zog sich
Als ein Knabe nun an und schor sich die goldenen Locken, 22
Wühlte das Haar durcheinander und schnürte ihr Bündel. Die Frauen-
Kleider ließ sie zurück im Kleiderschranke verschlossen,
Ging nicht wieder hinab in die Stube zur jammernden Mutter
Und entschlüpfte vom Hause. Die Mutter kam, sie zu holen;
Aber sie fand – was soll das bedeuten? – die Kammer verschlossen.
Julie ging indeß mit eilenden Schritten zum Hafen,
Einzuschiffen sich dort, zunächst womöglich nach England,
Sei es als Passagier – ihr fehlte das Geld nicht, sie hatte
Ihre Ersparnisse mit – sei's, wenn ihr lächeln das Glück will,
Dienst zu finden im Schiff; doch war das kaum zu erwarten.
Fort, nur fort in die Welt! Und als sie zum Hafen gekommen,
Dort, wo Wirthschaft steht an Wirthschaft und laut aus den Kneipen
Schallt Matrosenlärm und Gesang aus heiseren Kehlen,
Da flog, während sie eben vorbeizuschreiten gedachte,
Plötzlich die Hausthür auf, und ein Haufen von tobenden Menschen
Wurde herausgejagt von dem fluchenden Wirth und den Kellnern.
Lange schon hatte ein blutiger Streit im Innern gewüthet,
Aber der Wirth, dem weniger lag an den blutenden Köpfen,
Als an zerbrochenen Flaschen und Spiegeln und krachenden Stühlen,
Sah wohl, daß er den Kampf nicht anders zu enden vermochte,
Als wenn er eine der beiden Partei'n auf die Straße hinauswarf.
Welche, das war ihm gleich; doch er wählte natürlich die schwächre. 23
Fluchte der Wirth in der Thür, so schimpften von draußen die Gäste,
Schlugen aus Rache die Fenster ihm ein. Das wollten die drinnen,
Die mit Hilfe des Wirthes gesiegt, nicht dulden und drangen
Zornig heraus auf die Straße, wo sich fortsetzte der Aufruhr.
Plötzlich erscholl ein gellender Schrei aus der Kämpfenden Mitte,
Markerschütternd. Man hatte zum Messer gegriffen. Ein Mann fiel
Jammernd und blutend zu Boden. Er war in die Hüfte gestochen,
Blutete auch am Kopf, und man trug ohnmächtig in's Haus ihn.
Wer war's? Detlev Dirksen. Er wurde von Allen bedauert,
Denn er war klug und hübsch und sollt' am nämlichen Abend
Noch nach Bahia versegeln. Es lag im Hafen die Jolle
Lange bereits, um ihn zurück zu bringen zum Schiffe,
Das in der Mitte des Stroms dalag, schon klar für die Reise.
Statt nach Brasilien wurde der Arme gebracht zum Spitale.
Als das Julie hörte, so hatte sie rasch sich entschlossen,
Ging mit beschleunigtem Schritt ans Ufer und sprang in die Jolle.
Wrickte sie schnell und behend durch alle die mächtigen Schiffe
Ueber die Fläche dahin gradwegs auf das ankernde Barkschiff –
Frithjof ward es genannt und geführt von Kapitän Wolter –
Klomm wie ein Turner hinauf und fragte dann nach dem Kap'täne.
Aber er war nicht an Bord. Sie wandte sich dann an den Steu'rmann,
Einen gar schönen und kräftigen Mann von schwedischer Herkunft. 24
Axel Bergström war sein Name, ein stattlicher Seemann.
Und sie begrüßte ihn also erröthend mit fliegenden Worten:
»Herr, Ihr wartet auf Detlev Dirksen, den leichten Matrosen.«
»Freilich!« »Ihr wartet umsonst.« Sie erzählte ihm, was sie erlebte.
»Tausend Tonnen voll Teufel!« so fluchte darauf, sich das krause
Haar ausraufend, der Schwede, »was hatte denn Dirksen, der Raufbold,
Noch so spät am Lande zu thun? Daß Gott ihn verdamme!
Denn wir sind nur knapp mit Mannschaft versehen. Die Heuer
Ist zu hoch. Wir sind schon völlig gerüstet zur Abfahrt,
Auch ist umgesprungen der Wind. Wir könnten schon morgen
Kriegen die Dünen in Sicht. Allein wir können nicht segeln,
Eh' für den Schlingel von Dirksen Ersatz wir bekommen.« Er fluchte
Wieder die Teufel herbei in Legionen. Da sagte
Julie schüchtern: »Sie könnten vielleicht mich selber gebrauchen.«
»Dich? Du bist noch zu jung. Ich kann Spielvögel nicht brauchen.«
Julie ließ nicht locker: »Es käm' auf einen Versuch an.
Ich bin Seemanns Sohn,« so sprach sie zu ihrer Empfehlung,
»Und ich kenne das Schiff, wie ein alter befahrner Matrose.«
»Ei, Du bist ja wie Milch und Blut, ein sauberes Püppchen.
Aber Du siehst mir nicht aus, als könntest Du brassen die Segel,
Wenn sich biegen die Masten im Sturm.« – Sie ließ ihn die Rede
Nicht vollenden und sprach zum Steurmann also mit Lächeln:
»Herr, Ihr könnt ja versuchen, ob ich zu klettern verstehe!«
Und schon war sie die Wanten hinauf im Nu wie verschwunden. 25
»Ah, ein tüchtiger Bursche,« so sprach nachschauend der Steurmann,
»Denn er zwänget sich nicht, wie ängstliche Neulinge pflegen,
Durch das Soldatenloch; nein, unter den Puttingswanten
Steiget er frei hinaus in die Luft. Da gilt es, zu kriechen,
So wie die Flieg' auf Glas mit dem Rücken nach unten herumkriecht.
Herrlich, wie er es macht, der schlanke Geselle! Zum Küssen!«
Und so rief denn nach oben hinauf der bewundernde Steurmann:
»Schone Dein Sonntagszeug und komme nur wieder herunter.
Hast Du die Seemannskiste bei Dir?« »Nein,« sprach sie verlegen,
»Nun, das schadet auch nicht. Der Kaptän, so sagt' er mir eben,
Will erst morgen früh mit der Ebbe die Elbe hinab gehn,
Und so hast Du noch Zeit, vom Lande Dir Alles zu holen.«
Julie fuhr zurück in die Stadt und kaufte im Hafen
Beim Schiffshändler die Kiste und Arbeitszeug und was sonst sie
Nöthiges brauchte, sich ein und kam bald wieder an Bord an,
Früh fuhr anderen Tags mit günstigem Winde die Bark ab
Und glitt rasch vorbei an den reizenden Ufern der Elbe.
Julius, denn so nannte sie sich, stand vorn an dem Bugspriet,
Sah nach der Stadt nicht zurück und nicht nach der heimischen Insel.
Vorwärts nur, weit weg in die Welt! Und als sie gekommen
Nach Blankenese, dem äußersten Ziel, wohin sie gereist war,
Dachte sie jubelnd bei sich, daß sie nun in die Welt schon gelangt sei.
Julie war für die Rolle, die sie zu spielen beschlossen,
Ganz wie geschaffen. Gewohnt, in freier Luft sich zu tummeln,
War sie schon etwas gebräunt, und Wind und Wetter und Sonne 26
Gaben ihr bald auf der Fahrt ein braunes und männliches Aussehn.
Ihre Stimme war tief, ein Alt, um den sie berühmte
Primadonnen beneiden gekonnt. Von der Schule her konnte
Englisch sie schon und übte sich nun mit Matrosen aus England.
Auch kam sehr ihr zu Statten ihr festes, entschlossenes Wesen.
Wenn sie so stramm dastand im blauen Tuche mit goldnen
Ankerknöpfen, wer hätte sie da für ein Mädchen gehalten?
Breit war die Stirn, und es standen ihr fast gradlinig die Brauen,
Und ihr blickten darunter so klug und freundlich die blauen
Augen hinaus in die Welt und schienen vor Freude zu leuchten.
Galt sie als Mädchen für wild, so ward sie als sanft und gefällig
Bald bei der Mannschaft beliebt, und namentlich zeigte der Steurmann
Wohlgefallen an ihr. Wenn nicht ein Weilchen der junge
Bursch' ihm vor Augen gekommen, so war er verdrießlich und fragte:
»Wo bleibt Julius denn?« Und sonst sehr schweigsam und wortkarg,
Lobte er Julius doch als pünktlich im Dienst und verlässig.
Nur, wenn er gar zu verwegen gewesen, so regnet' es Flüche:
»Ich will muthige, nicht waghalsige Leute, Du Range!«
Aber, sie merkte es wohl, was ihn gegen den Liebling in Harnisch
Hatte gebracht, war nichts, als die ausgestandene Sorge.
Julien war so zu Muth, als wenn Gott eigens das Weltall,
Sonne und Sterne und Mond und die endlos rollenden Wogen
Hätte geschaffen für sie, und sie jauchzte vor Lust und vor Wonne. 27
Seekrank wurde sie nie, und selbst in der Bai von Biscaya,
Jener verrufenen Ecke, wo sich mehr todt als lebendig
Schleppen die Meisten herab in die Koje und jammern und stöhnen,
Ging sie munter herum und ließ sich schmecken das Essen.
Von Brasilien wurde der Frithjof, Hamburger Vollschiff,
Kapitän Wolter, befrachtet auf Indien nach Surabaja,
Lief Batavia an und Honkong, kam auch nach Japan.
Auf dem chinesischen Meere befiel sie ein furchtbarer Taifun,
Unter den Stürmen, die brausen auf Erden, der schrecklichste. Schon war
Bis in den äußersten Kreis des Strudels die Barke gerathen,
's war ein Orkan, um die Zähne den Hals hinunter zu wehen,
Alles war Nacht, sie konnten nicht sehen und hören und mußten
Uebermenschlich sich mühn, um nicht fortgerissen zu werden
Bis in die Mitte des Wirbels, wo nicht mehr zu retten das Schiff ist.
Und kaum war es entflohn aus dem Rachen des Todes, so kamen,
Mit Seeräubern bemannt, drei große chinesische Dschunken
Beutelustig heran. Da galt es den Kampf um das Leben.
Kamen sie Alle zugleich, war Schiff und Ladung verloren,
Aber die größte der Dschunken, die sah, wie der mächtige Frithjof
Alles, was Leinwand heißt, beisetzt, um zu fangen die Brise,
Welche zum Glück aufsprang, war besorgt, es entwische die Beute,
Und eilt weit voraus vor den andern. Man sah schon das Raubschiff
Näher und näher kommen und wimmeln von gelben Gesichtern.
Doch auf dem Frithjof rüstet sich Alles zur tapferen Abwehr:
Und zwei Carronaden, die sonst mehr dienen zum Staate, 28
Als zum Gebrauche, sie werden mit kräftiger Ladung versehen,
Zwar sie tragen nicht weit, indeß in geringer Entfernung,
Richtig gezielt, so weit auf schwankendem Borde das möglich,
Können die Carronaden verheerend wirken und furchtbar.
»Artilleristen sind nicht an Bord,« so rief der Kap'tän aus,
»Aber wer hat von der Mannschaft die besten und sichersten Augen?«
»Julius!« rief Bergström, und der schlanke und muthige Bursche
Trat ganz sicher heran an das kurze Geschütz. Daß die Kugeln
Pfiffen bereits durch die Luft, das merkte er gar nicht und schien sich
Nicht an die knatternden Schüsse der wilden Piraten zu kehren.
Muth sei kein Verdienst bei Napoleon, sagten die Leute,
Denn er kümm're sich nicht um Gefahren und kenne die Furcht nur
Dadurch, daß er bemerke, wie andere Menschen sich fürchten.
So furchtlos stand Julius da und richtete einen
Prüfenden Blick auf das nahende Schiff der Piraten, den andern
Auf die Mündung des Rohrs. Er dreht es ein wenig zur Seite
Und dann legt' er die brennende Lunte gelassen auf's Zündloch.
Feuer! Ein furchtbarer Krach. Getroffen am Fuß war der Hauptmast
Auf der chinesischen Dschunke. Er brach in Splitter und senkte
Sich auf die Seite mit Segeln, mit Bambusrohren und Tauen.
Doch die Piraten, die sahen die Dschunke schon fertig zum Kentern, 29
Schrieen entsetzt und dachten an nichts als die eigene Rettung.
Ja, ein Kernschuß war's, und die folgenden Dschunken der Räuber
Hatten genug zu thun, um die Kameraden zu retten,
Während der Frithjof stolz mit sich blähenden Segeln davonzog.
Julius wurde von Allen umarmt und gelobt und gepriesen,
Aber er sagte verwundert: »Was hab' ich gethan denn? Ich habe
Nur das Geschütz ein wenig gedreht. Was will das bedeuten?«
»Mußt zur Marin' abgehn!« sprach freudestrahlend der Steurmann.
»Und ich sehe Dich schon in Admiralsepauletten!«
Julie freute sich wohl bei dem Lobe, doch dachte mit Lächeln:
»Admiral? Das werd' ich wohl nicht. Mir wär' es am lieber,
Bergström würde Kap'tän und ich – ich seine Kap'tänin.«
Juliens weibliches Herz gab ihr für männliche Wesen
Noch ein besondres Gefühl. Vor Allem der treffliche Steurmann
Hatt' es ihr angethan. Man sah es ihm an, daß aus gutem
Haus er entstammte. Er war aus Goeteborg, wo sein Vater
Lebt als vermögender Mann, ein geachteter Rheder und Kaufmann.
Axel Bergström war ein Mann, wie sie nie ihn gesehen.
Alles gefiel ihr an ihm, schon die tadelloseste Wäsche,
Seine vortreffliche Haltung, sein grades und männliches Wesen,
Auch an Gewandtheit fehlt es ihm nicht; ein trefflicher Tänzer,
War er im Ballsaal wohl bei den tanzenden Damen gelitten,
Wenn sie nur nicht Anspruch auf Unterhaltung erhoben.
Denn bei tiefem Gefühle verstand er es nicht, sich zu äußern.
Auch der Kapitän und die ganze Besatzung des Schiffes 30
War auf Julius stolz als den Ausbund aller Matrosen.
Trotzdem hielt sie sich immer ein wenig zurück, und sie ließ sich
Nicht gern nahekommen. Sie fürchtete stets die Entdeckung.
Aber je länger, je besser verstand sie, die Rolle zu spielen;
Niemand schöpfte Verdacht. Zwei Jahre bereits und darüber
War sie nach Osten und Westen, nach Norden und Süden gefahren,
Aber im dritten Jahr, wo das Vollschiff lag in dem Hugly,
Ward es geladen mit Reis und befrachtet für »Mündung der Elbe.«
Also ging es nach Hause zurück und der Heimat, der süßen.
Und da schien zu erwachen in Julie endlich der Frauen
Häuslicher Sinn. Ihr war so, als hätte für Abenteuer
Sie ihr Müthchen gekühlt und hätte Verlangen, ein Mädchen
Wieder zu sein. Als das Schiff, theilweise die Ladung zu löschen,
Hatte gelandet im Y, vor Amsterdam, und die Mannschaft
Urlaub hatte bekommen, da sah man Julius stehen
Lang in der Kalverstraat vor den glänzenden Läden. Sie sah dort
Hauben und Hüte sich an, Armbänder und rothe Corallen.
»Wo bleibt Julius denn?« so fragten einander die Leute,
Welche sich im Schaufenster die zierlich geordneten Waffen
Oder auch Bilder besehen in goldenen Rahmen, ein Fläschchen
Boonekamp of Magbitter gekauft und andre Getränke,
Welche der Seemann liebt. »Wo bleibt er denn?« fragten die Leute,
»Ei, dort hinten, dort steht er ja noch und kann sich nicht trennen
Von den Geschäften der Kalverstraat. Er starrt wie bezaubert
Hin auf die Spitzen und Broschen und Kinkerlitze und allen
Affigen Weiberkram.« Da hörte zuerst man die Frage: 31
»Ist es am Ende 'ne Dirn?« Doch die Meisten bestritten das eifrig.
Zwar, als es galt, Deutschland zu befrei'n vom Joch der Franzosen,
Traten auch tapfere Jungfrau'n ein in die Reihen der Krieger.
Doch Matrosen zur See, das ist nicht glaublich und möglich.
Aber die Frage war einmal gestellt und kam nicht zur Ruhe.
Als die Matrosen des Abends beim Gangspill saßen zusammen,
Meinte der Koch, ein gewitzigter Kerl: »Um das zu erkennen,
Giebt es ein sicheres Mittel.« »Was wäre denn das für ein Mittel?«
»Wenn die Person dasitzt, so wirft in den Schooß man ihr etwas.
Ist sie ein Weib, so zieht es dabei auseinander die Kniee,
Da sie also gewohnt, mit dem ausgebreiteten Kleide
Aufzufangen den Wurf; doch wenn es ein Mann ist, so zieht er
Enge zusammen die Kniee, um festzuhalten die Sache.«
Und wie gesagt, so gethan. Man warf ihm, dem leichten Matrosen
Julius, unversehns in den Schooß einen zierlich gesteppten
Pelzhandschuh, und siehe, er zog auseinander die Kniee.
Darauf vermehrten sich freilich die Stimmen für »Mädchen.« Doch Alle
Wurden noch nicht durch die Probe bekehrt. Und plump auf die schöne
Julie einzudringen zur Lösung des Räthsels, dazu war
Zu anständig das Volk. Theerjacken, sie fühlen doch zarter,
Als manch Einer sich denkt. Am meisten betroffen war Steurmann.
Ihm stand plötzlich es fest, daß andern Geschlechtes sein schöner
Liebling war, und er glaubte sich jetzt auf einmal erleuchtet 32
Ueber den Zug, der ihn zu dem herrlichen Wesen gezogen
Gleich von Anfang an und stärker mit jeglichem Tage.
Aber er wagte nicht mehr, sein Wohlgefallen zu äußern,
Unbefangen wie sonst. Er pflegte zuweilen zu sagen:
»Ohne Dich kann ich nicht sein!« Jetzt da sich die Möglichkeit aufthat,
Julie stets zu behalten und nie von ihr sich zu trennen,
Faßten ihn Schauer der Wonne und namenloses Entzücken.
Einmal stand er so da, in Gedanken verloren, und rieb sich
Eifrig die Hände vergnügt. »Ei, friert Euch?« fragte den Steurmann
Kapitän Wolter. »O nein, das ist so meine Gewohnheit,
Noch aus frühester Zeit, wenn mich frohe Gedanken bewegen.«
»Was für frohe Gedanken? wenn so zu fragen erlaubt ist.«
Anfangs wollte er nicht antworten; dann sagt' er entschlossen:
»Ungefangene Fische, Kap'tän. Ich steh' in Verhandlung
Ueber ein Schiff, dreimastiger Schoner, der fast noch wie neu ist,
Und ich bekomme davon wohl neunundvierzig und fünfzig
Vierundsechzigstel Part! Da fahr' ich nach meinem Belieben;
Brauche nicht erst Umfrage zu halten bei sämmtlichen Rhedern.
Und auf eigenem Schiff zu gebieten, das ist doch das Beste.«
»Nun, Ihr habt ja Vermögen: ich gratulire im voraus.«
Aber zu anderen Zeiten beschlichen ihn nagende Sorgen.
Kann sie mich lieben und bin ich für sie nicht zu alt schon geworden?
Dreizehn Jahre zuweilen, zuweilen auch vierzehn Jahre,
Wie der Geburtstag fiel, war älter der Mann als das Mädchen.
Julie ahnte indeß gar nichts von solchen Bedenken.
Stand er nicht da vor ihr in der Blüthe der Kraft und der Schönheit? 33
Wie viel Jahre er zählte, das wußte sie nicht; doch es konnten
Ueber die dreißig nur wenige sein. Und sie selber, sie war ja
Nicht mehr weit vom zwanzigsten Jahr. Wenn er sich nur geäußert,
Hätte sie weggelacht ihm solche Bedenken. Doch schien er,
Schweigsam stets, jetzt völlig verstummt und verschloßner als jemals.
Und sie merkte daran, daß er wußte, sie wäre ein Mädchen.
Einmal sah er sie an mit einem verzehrenden Blicke,
Und sie erröthete sanft. Das diente statt jeder Erklärung.
Aber es nahte das Schiff nun schon sich der Mündung der Elbe,
Und man hatte nicht Zeit, auf Andre zu achten. Ein Jeder
Hatte genug zu thun, um sich fein zu machen für Hamburg.
Als sie die Elbe erreicht und das endlose Häusergewirre,
Das man Hamburg nennt und Altona, und auch den hohen
Schlot vom Kupferwerk Steinwerders, da schickte sich Jeder
Fröhlich zur Abfahrt an, und am ersten der leichte Matrose.
Als sie zum Abschied ihm darreichte die Rechte, so hätte
Steurmann gern ihr gesagt ein herzliches Wort, doch es ging nicht.
Aber er drückt' ihr die Hand so kräftiglich, daß es ihr weh' that.
Weh und zugleich doch wohl, und er starrte ihr nach, da gewandt sie
Sprang in das Boot, und als nur wenige Schläge der Riemen
Hatten das Boot vom Schiff entfernt, da holte die schöne
Julie, siehe! den reizendsten Hut nach der neuesten Mode,
Den sie heimlich gekauft in Amsterdam, aus dem Beutel,
Setzte ihn lachend sich auf und sprang in die Höhe und rief aus 34
»Ich bin 'ne Dirn!« So plagte der Uebermuth sie. Die Mannschaft
Stand an der Reling entlang, um nachzusehen dem Liebling,
Und sie brachten ein Hoch auf sie aus mit endlosem Jubel.
Julie wußte bereits auch ohne Worte, sie wurde
Unaussprechlich geliebt. Und von innerer Heiterkeit strahlend,
Schritt sie mit eilendem Fuß auf das alte vertrauliche Haus zu.
Niemand traf sie daheim, als die Magd, die nicht ihr bekannt war,
Und so schlüpfte sie rasch in ihr freundliches Stübchen von eh'mals,
Holte den Schlüssel hervor zum Kleiderschranke, wo ihre
Frauenkleider noch hingen, und zog sich an, wie ein Mädchen.
O, wie unbequem und hinderlich schien ihr die Kleidung!
Und dann eilte sie wieder herunter zur Stube, der besten,
Ordnete ihre Geschenke auf Tisch und Stühlen und kniete
Nieder, das Antilopenfell – sie hatt' es in Java
Mit Entzücken dereinst sich gekauft – vor dem Sitze der Mutter
Stolz ausbreitend. Da traten herein schon Mutter und Schwester.
Und sie verwunderten sich der Gestalt, die lag auf dem Boden.
»Wer ist das?«, so riefen sie aus. Sie sagte mit Lachen:
»Ich!«, sprang fröhlich empor und umarmte die staunenden Lieben.
»Sorgt nicht um mich; ich werde mich schon durchschlagen!«, so hatte
Sie an die Mutter geschrieben beim Abschied; ließ aus der Fremde
Auch von Zeit zu Zeit Nachrichten gelangen nach Hause,
Aber nur kurz, ganz kurz: »Ich befinde mich wohl und zufrieden, 35
Und ich verdien' ein artiges Geld.« Mehr stand in dem Brief nicht.
Denn was brauchte man auf Steinwerder zu wissen, daß Julchen
Ein Matrose geworden? Sie hätten die Köpfe geschüttelt
Und noch lauter als früher bedauert die seufzende Mutter.
Doch in der Freude des Wiederseh'ns ward Alles vergessen.
Endlos mußte sie nun von Ländern und Völkern erzählen.
Aber am liebsten berichtete sie von dem herrlichen Manne,
Der sie freundlich beschützt, von dem Steurmann, wußte so viele
Tugenden an ihm zu rühmen, daß man am Ende sie fragte:
»Ist er denn völlig frei von Fehlern?« Sie sagte mit Lachen:
»Ja, da kann man sich lange besinnen! Ihm fehlen die Fehler
Bis auf den einen: er flucht zu viel nach schwedischer Sitte.
»Hunderttausend Tonnen voll Teufel, so pflegt er zu schwören.
Das ist etwas zu viel, wie mir deucht, und hundert genügten,
Hundert Tonnen. Man könnte die Teufel ja enge verpacken,
Und ich gewöhne vielleicht ihm das häßliche Fluchen noch ganz ab,
Daß nicht höher er schwört, als bei seinem Engel von Weibe.«
»Und wann kommt denn der Herr?« »In zwei, drei Tagen aufs Höchste
Kommt er und hält um mich an.« »Und das ist sicher?« »Wie Amen
In der Kirche! Ja wohl! Doch wird's recht sauer ihm werden;
Denn er ist schüchtern und kann mit Worten sich gar nicht behelfen.
Aber verlaßt Euch drauf: in zwei, drei Tagen, da kommt er.«
»Hat er das wirklich versprochen?« »Je nun, nicht gerade versprochen. 36
Doch es versteht sich von selbst.« »Du übermüthiger Kindskopf!
Seid Ihr Beide verlobt?« »Jawohl, allein nicht mit Worten.
Seht einmal da die Hand!« »Sie scheint ein wenig geschwollen.«
»Bergström drückte sie so. Ich hätte beinahe geschrieen.«
Zwei, drei Tage vergingen, doch wer nicht kam, war der Steurmann.
Julie hatte noch lange zu singen:
                Lavendel, Myrt' und Thymian,
                Das wächst in meinem Garten,
                Wie lang' bleibt doch der Freiersmann,
                Ich kann es kaum erwarten.
                                                      Sie wurde doch stutzig,
Als nun schon drei Wochen mit Hoffen und Harren vergingen.
»O, was kann es nur sein, das Axel verhindert, zu kommen?«
»Nichts, als daß ihm so schwer das Frei'n und die Werbung bevorsteht.«
Wenn ein Mädchen sich huldigen läßt und mit Worten und Blicken
Schlau zu vermehren die Schaar der verliebten Verehrer bemüht ist,
Und sie mit Hoffnungen lockt, die sie nicht zu erfüllen gemeint ist,
Kann man zu hart nicht rügen den Leichtsinn und die Gefallsucht.
Doch wenn ein Mädchen bemerkt, daß ein schüchterner Mann sie begehret
Und von Herzen sie liebt' und sie herzlich erwidert die Neigung,
Muß sie das Ihrige thun, um dem Mann, dem das Reden ja obliegt,
Etwas die schwierige Pflicht zu erleichtern. Ja, dachte sie bei sich, 37
Ja, ich will ihm, dem prächtigen Mann, in seiner Verzagtheit
Freundlich entgegenkommen. So hatte sie bei sich beschlossen,
Aber sie hätte nicht nöthig gehabt, sich das noch besonders
Vorzunehmen. Denn als nun endlich das Pförtchen des Gartens
Klingelte und Er kam, so flog sie von selbst ihm entgegen.
Bergström war sehr fein und sauber gekleidet. Er schien ihr
Stattlicher noch als sonst. Sie traf ihn bereits in dem Garten,
Denn er hatte vergebens den Ring an der Pforte gezogen:
Da er zu spät erst merkte, daß offen die Thür geblieben.
Julie eilt' auf ihn zu und sagte mit lachendem Munde:
»Tausend Tonnen voll Teufel, da seid Ihr endlich gekommen,
Steurmann – Doch ich sollt' Herr Bergström sagen. Entschuldigt!
Vom Ausschauen nach Euch sind lang uns die Hälse geworden.«
Also schalt sie ihn aus, doch reichte sie freundlich die Hand ihm.
»Ei, wie weiß und wie weich sind die Hände geworden,« so rief er.
»Axel, bedenkt, ich hab' inzwischen auch redlich gefaulenzt.«
Als sie ihn Axel genannt, so glitt ein freundliches Lächeln
Ueber die Züge des tapferen Manns, der zagte vor Liebe.
»Und ich habe mich auch mit Mandelkleie gewaschen.
Ja, wir Mädchen sind eitel. Doch darf deshalb man uns tadeln?
Wir und die Blumen sind da, um ein wenig die Welt zu verschönern.
Aber Ihr haltet die Hand ja so fest, als ob Ihr sie gar nicht 38
Loszulassen gedenket.« Wie erschrak er da plötzlich! Ihm war so,
Als er Julien sah in weiblicher Kleidung, als thäte
Vor ihm der Himmel sich auf und ihm schwebt' ein Engel entgegen,
Und so stand er geblendet und merkte nicht, daß er die Hand noch
Fest in der seinigen hielt und gegen die Sitte verstoße.
Nicht ohne brennende Scham gab frei er die Rechte des Mädchens.
Dann fiel immer von Neuem das Alter ihm ein. Der Gedanke,
Daß er vielleicht, ein gebrochener Mann, anträte den Rückweg –
Alles das ging durcheinander im Kopfe des Aermsten. Er wollte
Reden, doch brachte es nur zu abgerissenen Worten:
»Ich – ich wollte – ich kam, um eine mir wichtige Nachricht
Mitzutheilen.« »Und welche?« so fragte sie voller Erwartung.
Und sie glaubte bereits, nun käme die Werbung. Doch ward es
Schlimmer und schlimmer mit ihm, und er sagte in heller Verzweiflung:
»Fräulein, mir ist nicht wohl. Mir ist, als ginge die Welt rund.
Wenn man mich fragt, wer ich sei, und was mittheilen ich wolle,
Weiß ich es nicht.« Sie sagte zu ihm: »Das kommt von der Schwüle,
Die hier herrschet im Haus.« Sie standen bereits auf der Diele.
»Laßt in die Luft uns gehen. Da wird es sich geben.« Sie reichte 39
Ihm vorsorglich den Arm und führt' ihn hinaus in den Garten,
Harmlos plaudernd, um ihn zu beruhigen. »Seht mal die Beete,
Die ich meine zu nennen gewohnt war. Da pflegt' ich im Frühling
Mir Aurikel zu pflanzen, wie Kinderaugen zu sehen,
Primeln und Anemonen und gold'ne Narcissen und Veilchen,
Duftige Veilchen, die schon uns erfreu'n, wenn die knotigen Knospen
Unter dem Gras wir erspähn. Dort seht Ihr die Apfelbäume,
Wo ich so oft, zu Mutters Verdruß, in den Wipfel geklettert:
Und hier glänzen die Pfirsiche schon in dunkelstem Purpur,
Die am Spaliere gereift. Sie sind überreif, und sie fallen
Uns von selbst in die Hand, sobald wir sie leise berühren.
Legen Sie, bitte, die Hand, hier unter die reifste der Früchte,
Fassen Sie eben nur an.« Und richtig, sie fiel in die Hand ihm.
Und sie theilten die köstliche Frucht und schmausten zusammen.
Axel erholte sich bald von dem ohnmachtähnlichen Anfall.
Und sie dachte, nun würd' er ein Herz sich fassen und sprechen.
Aber sie sah, ihm perlte die Stirn vor Angst, daß er reden
Sollte und mußte und doch nicht wußte die Worte zu finden.
»O, wie ist es doch möglich,« so dachte sich Julie schweigend,
»Daß der vortreffliche Mann so wenig weiß, was er werth ist!«
Denn sie wußte ja nicht, was heimlich das Herz ihm bedrückte.
»Seltsamer, schüchterner Mann, wenn Du sie nicht hättest, Dein kluges
Julchen, Du kämest fürwahr nicht über den Graben. Wohlan denn!«
Und sie neigte ihr schönes Gesicht zu dem Ohr des Geliebten,
Nur mit leisem Geflüster, obgleich doch Niemand sie hörte: 40
»Du bist, glaub' ich, gekommen to pop the question – mit andern
Worten: um Dich zu verloben.« Er brachte mit glühenden Wangen:
»Ja, ja!« mühsam hervor, und verschlang sie nur immer mit Blicken.
»Sieh, wir müssen uns jetzt mit einander verloben, da hilft nichts.
Auch ist es nicht so schwer, wie Du es Dir, Axel, wohl vorstellst.
Du hast eben geseh'n, wie die Frucht, sobald sie gereift ist,
Wenn Du sie noch so leise berührst, Dir gleich in die Hand fällt,
Wie Du unter den Pfirsich die Hand hinlegtest, so leg' sie,
Bitte, mir unter das Kinn und sprich – Du brauchst es nur leise,
Lieber, zu thun – und sprich: »Dein, Julie, bin ich auf ewig.«
Und ich sage dasselbe. Dann sind wir ein glückliches Brautpaar.«
Da war endlich der fröhliche Muth auch Axel gewachsen,
Und er that, wie sie ihm gebot, indessen nicht leise,
Sondern er rief ganz laut mit kräftiger, männlicher Stimme:
»Ich bin, Julie, Dein! Dein, Dein! Auf immer und ewig!«
Julie barg ihr schönes Gesicht an der Brust des Geliebten
Und sprach also zu ihm mit lieblicher, inniger Stimme:
»Ich bin Dein, Du bist mein. Ich habe Dich sicher in meinem
Herzen verschlossen: Der Schlüssel dazu ist verloren gegangen.«
Axel war so selig zu Muth, als ging er auf Wolken.
Während das liebende Paar dastand ganz in sich verloren,
Siehe, da waren zur Stell' auch Mutter und Schwester. Ihr Kommen 41
War von dem Pärchen so wenig bemerkt, wie es merket der Au'rhahn,
Wenn er sich sehnend bewirbt um die Gattin, daß an der Fichte
Schleichet der Jäger heran, wo die lockenden Töne erschallen.
»Ach, da seid Ihr!« so rief jetzt Julie fröhlich. »Ich muß Euch
Ordentlich, wie sich gebührt, vorstellen. Dies, Axel, ist meine
Treffliche Mutter und ihre gerathene Tochter, ich selbst bin
Leider die ungerathene nur. Ich bin wie das Küchlein,
Das aus dem Entenei ist geschlüpft, aufs Wasser gegangen.
Und dies ist Herr Bergström, Mutter, von welchem ich viel Euch
Habe erzählt, doch nicht zu viel. Als kundiger Steurmann
Führt er ein prächtiges Schiff, den großen gekupferten Frithjof.«
Bergström aber ergriff das Wort und sprach sich verneigend:
»Steurmann bin ich nicht mehr. Ich hab' mich inzwischen verändert.
Neulich in Amsterdam war ein Dreimastschoner zu kaufen,
Der gar sehr mir gefiel, und ich habe mit täglichen Briefen
Fleißig verhandelt, es ist seit gestern der Handel geschlossen.
Woll'n Sie gütigst verzeih'n, daß durch so viele Geschäfte
Hier und in Amsterdam, wohin ich zu reisen genöthigt,
Ich es versäumt, sogleich hier aufzuwarten den Damen?
Siehe, das wollt' ich Dir schon vorhin mittheilen, mein Julchen.«
»Auch gut!« sprach sie. »Es klingt Frau Steurmann lange so gut nicht,
Als wie: Frau Kapitän!« Da fragte die Mutter verwundert:
»Seid Ihr denn wirklich verlobt?« »Ja wohl!« »Auf immer und ewig!«
Und vier glückliche Menschen umarmten sich, weinend vor Freude. 42
Schelmerei und neckischer Scherz war Julien's Leben,
Und so sprach sie, geschmiegt an ihren Verlobten, mit Schalkheit:
»O, Ihr glaubt nicht, wie klug und geschickt mein Axel es anfing,
Um mich schüchternes Täubchen zu einem Geständniß zu bringen,
Wie ein kühner Corsar, so hast Du die Braut Dir erobert,
Bist Du nicht stolz darauf?« »Ei« sagt' er, »Du spottest ja meiner,
Ich bin stolz auf Dich, Du hast mir ein wenig geholfen!«
Und sie lachten zusammen, wie ausgelassene Kinder.
Axel, nachdem er das Schwerste so rasch und so glücklich bestanden,
Schien von Neuem belebt, und ihm flossen die Worte vom Munde.
»Julie,« rief er, »ich gebe sobald Dich nicht wieder aus Händen.
Später, da haben die Frau'n ja mit Hindernissen zu kämpfen,
Doch ich nehme Dich mit auf die Reise, die Erste des Schiffes.«
»Aber als was, mein Schatz? Wie bringst Du mich unter im Schiffsbuch?«
»Herrliches Julchen, ich nehme Dich mit als Reserve-Matrosen.«

 


 


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