Heinrich Kruse
Seegeschichten. Neue Folge
Heinrich Kruse

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Die Schutzzölle.

            Seitwärts schlich ich mich sacht, um Mittagsruhe zu halten;
Denn faulenzend erblickt nicht gern ein Matrose den andern,
Weil sie immer davon Abbruch für sich selber besorgen.
Eh' ich in Schlummer versank, entsandt' ich die Blicke noch einmal
Ueber die Weite des Meers und die endlos rollenden Wogen.
Siehe, da naht uns ein Mast, ein winziges Wesen! Ich sagte:
»Steurmann, blicket mal hin! da treibt wohl ein Boot auf den Fluthen,
Welches die Mannschaft verlor, wie wir neulich es sahen im Golfstrom,
Halb mit Wasser gefüllt und ein Spiel für Wellen und Winde?
Denn wie sollt' ein so winziges Schiff sich wagen ins Weltmeer?«
»Nein! entgegnet er mir. Denn es hat ja Segel am Maste,
Und hält richtig den Lauf. Sie wollen zu unserem Schiffe,
Und, ich wette darauf, ein Schmuggler ist drinnen. Sie schwärmen
Weit Europa voraus, um die kommenden Schiffe zu fassen.
So, wenn der Bauer zu Markt ein Kalb bringt, lauern die Fleischer 85
Fern am Wege schon auf, vorkommend der eine dem andern.«
Leicht kam über die rollende See schon geflogen das Schifflein,
Nur ein einziger Mast (so die schwächliche Stange zu nennen,
Kommt mir fast wie Vergrößerung vor!), spitz war es im Kiele,
Wie ein Schnabel gebaut; zwar war ein halbes Verdeck drauf,
Doch ganz niedrig und eng, bloß unterzukriechen im Regen.
Zwei Mann sahen wir nur; bei der Ruderpinne der eine;
Aber der andere hielt mit den Armen umschlungen die Stange,
Um beim Tanzen der See nicht hinaus in die Tiefe zu stürzen.
»Nichts zu handeln?«
                                    So rief uns der Mann am Mast schon von fern an.
»Nichts zu handeln mit Euch!« rief unser Captain in Erwid'rung.
Ihr Spitzbuben, Ihr lebt vom Betrügen; ich werde mich hüten;
Sputet Euch, weiter zu kommen. Ich will, so rief er verdammt sein,
Wenn ich mich je einlasse, mit muffigen Schmugglern zu handeln!
Fort! aus den Augen! hinweg!«
                                                  So schrie er und stampfte vor Aerger,
Plötzlich drehte herum wie auf einem Fuße das Fahrzeug,
Und nicht lange, so war's schon hinter den Wellen verschwunden.
Als wir bei lustigem Wehn am folgenden Tag im Kanale
Uns schon nahten den Nadeln von Wight, so sahn wir ein Briggschiff
Ruhig vor Anker inmitten der Bai. Bald setzt es ein Boot aus,
Das frisch rudert gerad' in den Wind nach unserem Schiffe. 86
Unsere Mannschaft kam auf Deck neugierig zusammen.
Als es uns nahe genug, so warfen wir ihnen ein Tau zu
Und so schoß es heran. Rasch sprang ein Mann in die Höhe,
Klein nur, doch sehnig und fest. Capitain, mit verlegener Miene,
Nähert sich höflich dem Mann, und verneigt sich. Der danket dem Gruß kaum,
Stemmet die Hand in die Seite. Wer war's? – Ein lumpiger Schmuggler
Mit zehn Flicken im Zeug. Doch blickt er herab auf uns Alle,
Als wenn wir ein verdächtiges Schiff, als wär' er gesendet,
Nachzusehen an Bord, von der ganzen Englischen Flotte!
»Nun, was wollen Sie, Herr?« so begann auf Englisch die Rede
Unser Captain; doch flucht er sogleich, ihn erkennend, auf Plattdeutsch:
»Warte, Du Lump! Lauskerl! Ich geb' Dir von hinten 'nen Fußtritt,
Daß Du fliegest von Bord! – Wie darfst Du wagen, Du Schubjack –«
Aber besorgt, daß der Britte gemerkt, was er eben gesprochen,
Sagt er, ergebenst und tief: »Mein Herr, was steht zu Befehle?«
»Herr, ich wünsche zu handeln. Was habt Ihr? Wir bringen Euch Fische,
Eben geangelt, und Kohl.«
                                          »O Du Halunke!« so schimpfte
Wieder auf Deutsch Capitain, sich sorgsam hütend vor Englisch.
Und am Ende, so ward doch fertig der Handel; wir gaben
Tabak dem Schmuggler und Rum für den Blumenkohl und die Fische.
Als sie wieder zur Brigg abfuhren, so schimpfte Captain noch 87
Ihnen auf Plattdeutsch nach. »Ja, sagt' ich zu ihm da, was hilft das?
Nun kommt Alles zu spät, Capitain. Ich schämte mich wirklich.
Stand er nicht hier am Bord, als hätt' er Befehle zu geben?
Und Ihr standet vor ihm, wie'n Junge vor seinem Captain steht!
Ihr mit dem Hut in der Hand, und Er mit dem Hut auf dem Kopfe!«
»Ja, so sagte Captain, und was für ein lumpiger Hut war's!
Hast Du's gesehn?«
                                »Ja wohl! ein alter verschlissener Hut war's,
Fuchsig, der Deckel entzwei, und es schienen der Mond und die Sterne,
Sagt' ich, von oben hinein.«
                                            »Und, Heinrich, die Jacke mit Flicken!«
»Ja, mit Flicken die Jacke, Captain. Um so größer die Schande!«
»So ein Knirps!« sprach zornig Captain.
                                                                »Ja, sagt' ich, der Mann ging
Euch nur unter das Kinn. Ein Auge nur hatte der Kerl noch.
Aber der winzige Kerl mit dem alten zerrissenen Hute
Und mit den Flicken im Zeug, der nur Ein Auge noch hatte,
Leuchtete also Euch an mit dem einzigen Auge, Ihr konntet
Gar kein Herz Euch fassen, Captain. Wie mochte das zugehn?«
»Ja, ich wund're mich selbst. Ich fürchtete mich vor dem Kerl nicht;
Denn sie waren nur vier, wir zwanzig. Bewahre, gefürchtet
Hab' ich mich nicht vor dem Lump!«
                                                          »Was brauchtet Ihr denn so zu dienern?
Warum schlosset Ihr, Herr, der gestern noch wollte verdammt sein, 88
Würf' er sich je so weg, mit Schmugglern Geschäfte zu machen,
Heut' mit dem Schmuggler doch ab? und grüßtet dem Kerl in das Boot nach?
Warum gabt Ihr ihm nicht, womit Ihr drohtet, den Fußtritt?«
»Ja, das war – so sagte Captain. Ich weiß es doch selbst nicht,
Heinrich – das war – –«
                                      »Der Kerl war ein Engländer, das war es!«
Half ihm der Steurmann ein, der zwar stets schweigend gehorchte,
Aber dem Treiben des Herrn mit Verdruß zusah und Verachtung.
Steurmann fuhr zur See bloß, daß er Beschäftigung habe,
Da er Vermögen besaß und sich nähren vom Eigenen konnte;
Oft schon hatt' er's versucht, doch ließ es zu Haus' ihn nicht ruhen
»Hinter dem Stickbeernbusch.« Fern blieb er der übrigen Mannschaft.
Nicht sein Kleid bloß war, auch die Seele von feinerem Stoffe.
Meiner nur nahm er sich an, wie ein Vater des Sohnes, und wandte
Jetzt auch wieder zu mir das Gespräch, nach seiner Gewohnheit
Etwas erziehend an mir. »Sieh, Heinrich, so sprach er, das Briggschiff
Dienet als Hauptquartier und Räuberhöhle den Schmugglern.
Fünf, sechs Boote gehören dazu; doch das ist noch wenig,
Englands Ufer ist nicht mit Möven und Tauchern und Reihern,
Und was sonst noch brütet und schwirrt am Strande des Meeres,
Dichter besetzt, als es rings von verwegenen Schmugglern umschwärmt wird. 89
Wo nur Wellen ans Land hinkommen, da kommen auch Schmuggler.
Wie schneeweiß dort schimmert die Küste, wo duftiger Goldlack
Quillt aus jeglichem Spalt! und das Land dahinter der Freiheit!
Ringsum rollet das Meer, das Gott für die Freiheit geschaffen!
Aber sie haben die Ufer umstellt mit Wachen und Posten,
Die ihr Häuschen gebau't auf den Gipfeln und Ecken der Klippen,
Oft nur ein Wetterdach, mit spärlichem Rasen beworfen.
Und dort halten sie Wacht, unaufhörlich, die Wächter und Zöllner,
Lugend nach Schmugglern und spähend ins Meer, wie ein Rabe nach Fischen.
Und dann kreuzen noch rings die bewaffneten fliegenden Kutter,
Hier von den Nadeln von Wight bis hoch zu den stürmischen Orkneys,
Von dort wieder hinab durch die Irische See in das Weltmeer.
Also versucht man das Meer in Fesseln zu schlagen. Es geht nicht!
Denn stets bringen die Schmuggler verbotene Waaren bei Nachtzeit,
Oder bei Tag: nichts hält sie zurück. In die Schluchten des Kalksteins,
Welche das Meer aushöhlt, fährt rasch ihr Boot in der Fluthzeit,
Und dort laden sie aus, und bergen die Ballen und Fässer
In das geheimste Geklüft. Dann graben sie Gänge vom Ufer
Hinten hinaus in das Feld, und kriechen bei Nacht aus der Erde. 90
Alle Bewohner sind mit in dem schändlichen Handel. Es ziehen
Völlig bewaffnet die Schmuggler daher auf heimlichen Wegen,
Oder in Banden mit offner Gewalt, und setzen das Leben
An den Gewinn. Kaum wohnt noch ein ehrlicher Mensch an der Küste!
Wie zwei Heere, so stehn sich die Zöllner und Schmuggler entgegen,
Führend in Müßiggang ihr Leben auf Kosten des Landes.«Hier werden Zustände geschildert, wie sei seitdem durch Peels freisinnige Revision des Zolltarifs größtentheils verschwunden sind.
Aber wir laufen noch ein an der Englischen Küste, da will ich
Dir auch zeigen, woher es denn kommt. Das kommt von der Thorheit!«
Also sagte zu mir mein Gönner, der obere Steurmann,
Während er sah nach den Wolken im Morgen. Sie thürmten sich schwarz auf,
Und bald hatten wir widrigen Wind und kamen nicht vorwärts.
Als wir so drei Tage gekreuzt, und die Dünen uns dennoch
Immer geblieben in Sicht und wir Schaden genommen, so liefen
Wir in Ramsgate ein, in den Hafen, den weit in die Wogen
Baute die menschliche Kunst. Denn gewaltige steinerne Dämme
Laufen hinaus in die wüthende See und umarmen den Hafen,
Wo, im stillen Gewässer, die Schiffe zu Hunderten lagen.
Aber wenn friedlich die See, so bekränzen nur wenige Barken
Dort den granitenen Kai; französische Fischer, sie bringen
Eier und Obst und Gemüse zum Vieles bedürfenden England.
Und nun lagen sie noch am gelegensten Platze zusammen,
Da sie hier ja zuerst ankamen und fast wie zu Haus sind. 91
Sonnenverbrannt, auf dem Kopfe die rothe Phrygische Mütze,
Die einst Länder beherrscht in gewaltigen Tagen, so waren
Jung und Alt beim Löschen beschäftigt. Sie schwatzten und sangen
Munter ein fröhliches Lied, und eine gewaltige Kiste
Schleppten sie schreiend ans Land. »Was mag wohl, fragt' ich, darin sein?«
»Kommt mit!« sagte zu mir mein Steurmann. Also wir gingen
Hinter dem lustigen Volk und seiner gewaltigen Kiste
Ueber den Damm bis zur Stadt, wo das Zollhaus stattlich erbaut ist.
Dorthin setzte die muntere Schaar der Franzosen die Kiste,
Wo schon viele der Kisten Erlösung erharrten. Die Herren
Haben so viel zu thun! Schwer war und wichtig die Arbeit.
Denn Zwei waren beschäftigt, die Tausendmaltausende Eier
Ein bei ein aus der Kiste zu nehmen, und zählten genau nach.
Aber der obere Zöllner, die Wichtigkeit fühlend des Amtes,
Stand gravitätisch dabei und schrieb mit dem eilenden Griffel
Jegliches Ei auf die Tafel, wie Clio die Thaten der Helden.
Langsam förderte sich das Geschäft; denn beamtete Leute
Leiden nicht unter Verzug wie die Eier, und werden auch faul nicht,
Sondern sie sind es bereits. Und wenn beim Packen der Eier
Eines zerbrach, so stand ein Topf zur Seite: sie schlugen
Sämmtliche Dotter darein, als gedächten sie Kuchen zu backen.
Also wurde der Zoll von den Eiern erhoben. Der Steurmann
Sah mit verächtlichem Blick auf die Posse hin: »Alles zum Schutze,
Sagt' er, der Industrie der Großbritannischen Hühner!
Oder (um deutlich zu sein) um theuer die Eier zu machen.
Siehe, so geht es dem Volk, das statt auf fleißige Hände, 92
Lieber auf faule Beamte vertraut und schlechte Gesetze.
Gebt ein verkehrtes Gesetz, und es wehrt die Natur sich dagegen!
Wie im Feuchten der Pilz, so sprießt aus der Thorheit der Menschen
Immer das Unrecht auf.«
                                        So sagte der treffliche Steurmann.
Aber die Fischer verkürzten die traurige Weile des Wartens
Singend im fröhlichen Chor: »Hoch lebe die Lieb' und der Tabak!«
* * *
Also hab ich's gewagt, und bin ein Dichter geworden.Die kleine Dichtung erschien vor mehr als fünfzig Jahren.
Lobt mich, Freunde, nun auch! Ihr zögert noch? schüttelt die Köpfe?
Habet noch dies und das zu bedenken? – O, wär' ich doch Cäsar!
Der Seeräubern sogar als Gefangener seine Gedichte
Vorlas. Wenn sie nicht gleich ihn gehörig belobt und bewundert,
Rief er: »Ihr seid nicht werth, so schöne Gedichte zu hören!
Wenn Ihr mich nicht gleich lobt, Ihr Schurken, so lass' ich Euch hängen!«

 


 


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