Heinrich Kruse
Seegeschichten. Neue Folge
Heinrich Kruse

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Die Freunde.

I.
Die lustige Wittwe.

        Wittwe ten Brookhus war ein lebenslustiges Weibchen,
Wohnhaft in einem der Siele des Nordseestrandes von Friesland,
Und ihr seliger Mann war ein Bäcker gewesen, ein reicher
Bäcker, doch thut es nicht noth ausdrücklich das noch zu erwähnen.
Gras ist grün und Bäcker sind reich, das versteht sich von selbst ja.
Sie war knapp vom mürrischen Alten gehalten. Sobald ihm
Abzuschurren beliebte, begann sie ein fröhliches Leben.
Sie gab auf das Gewerb' und hatte genug an den Zinsen.
Rentnerin nannte sie sich und dünkte sich grade nicht wenig.
Leben und leben lassen! so sagte sie. Gastlichen Sinnes,
Kam sie, je voller es saß am Kaffeetische des Sonntags,
Desto zufried'ner herein mit der riesigen, bräunlichen Kanne.
Kein Napfkuchen war dichter gespickt mit Rosinen als ihrer.
Ja, sie nährte sich gut, und es schlug ihr zu, denn sie ging auf
Wie ein Teig und glänzte durch Fülle und Rundung der Glieder. 44
Aber sie blieb dabei doch immer beweglich und munter,
Ja, tanzlustig sogar und kugelte sie durch die Reihen,
Mußte man lächeln beinahe ob der unverwüstlichen Wittwe.
Wozu nützet der Uebermuth? wie es lautet im Sprichwort,
Kurz und dick läßt auch recht gut! so konnte sie sagen.
Lesen und Schreiben war all' ihr Wissen, doch ließ sie die Tochter
Edda besser erzieh'n und Musik und Sprachen erlernen.
Doch beim Lernen sogar war jeglicher Zwang ihr zuwider.
Als nun Edda getreten ins heirathsfähige Alter,
War sie die schönste am Ort, und die Mutter war nicht die letzte,
Das zu bemerken mit heimlichem Stolz. Sie sagte zur Tochter:
»Eddachen, nun ist gekommen die Zeit, wo, wenn wir auf Mönchgut
Wohnten, ein Unterröckchen wir hängten heraus an dem Hause,
Das da besagt: Allhier ist wohnhaft ein mannbares Mädchen.
Ja, bald werden die Herrn sich nach Dir ablaufen die Hacken,
Denn ein Mädchen wie Du, das ist so leicht nicht zu finden.
Wähle Dir, wer Dir gefällt, wenn er brav ist; wähl' auch nicht lange.
Jung gefreit, hat Niemand gereut. Und hüt' Dich besonders
Alte Jungfer zu werden und Affen zur Hölle zu führen.«
Edda sagte dann wohl an die Mutter sich schmeichlerisch schmiegend:
»Wenn ich nun lieber bei Dir, mein Mütterchen, bliebe?« »Ach, Unsinn!
Dazu sind doch die Mädchen nicht da, bei der Mutter zu bleiben.«
Trotz der Ermahnungen dauert' es länger, als sich es die Mutter 45
Hatte gedacht und gewünscht mit der auszurichtenden Hochzeit.
Freilich, es mangelte nicht an Bewerbern, wie sie voraussah,
Doch blieb spröde die Tochter, besonders wenn Jemand so dreist war
Ihr Anträge zu machen, bevor er sich ihrer versichert.
Solch' ein selbstgefälliger Mensch sah arg sich enttäuscht bald,
Denn sie wies ihn zurück. Zartfühlend und gütigen Herzens,
Suchte sie lieber es noch zu verhindern durch kluges Betragen,
Daß es zum Ausspruch kam und zum wohlgeflochtenen Korbe,
Denn, was könnte den männlichen Stolz wohl tiefer verwunden? –
Edda war nicht so kühl und wählerisch, wie man es glaubte;
Sondern sie wußte schon lange, wer ihr am besten gefiele.
Remmer Janssen war es, ein junger und tüchtiger Seemann,
Der als Knabe schon kam in das Haus. Die verstorbene Mutter
Remmers war mit der Wittwe befreundet gewesen. Sie nahm sich
Etwas des Sohnes auch an, seitdem er die Eltern verloren.
»Ist er der Mutter nicht ganz aus den Augen geschnitten?« so sprach sie.
»Hat der Junge nicht stets ein bescheidenes freundliches Wesen?
Hält er sich sauber und nett nicht immer in Kleidung und Wäsche?«
Kurz, er stand bei der Wittwe in Gunst und verdiente die Gunst auch.
Stets in der Schule gelobt war der fleißige sittige Knabe.
Rühmlich hatt' er die Prüfung für Schiffer bestanden und fuhr nun
Schon auf dem größesten Schiff und auf weitesten Fahrten als Steurmann.
Zwar ein wenig hatt' er geerbt und legte auch jährlich 46
Etwas zurück vom Lohn, doch in seiner bescheidenen Weise
Hielt er sich nicht für berechtigt auf Edda den Blick zu erheben.
Kehrt' er im Herbst zurück aus fernen Gewässern, so bracht' er
Stets was Seltenes mit und schenkte das Stück an die Tante,
Denn so ließ sie, die Wittwe, von Remmer Janssen sich nennen.
Ob er kannte den Spruch, der also lautet: Der Mutter
Schenk' ich, die Tochter denk' ich! Er hätte der heimlich verehrten
Edda so gern ein Geschenkchen gemacht, doch wagt' er das noch nicht.
Wie mit den Beiden es stand, das merkte die Wittwe schon lange,
Und sie gönnte ihm gern auch abzuschießen den Vogel.
Aber es währt' ihr zu lang und ihr thatkräftiges Wesen
Konnte das Drucksen nicht leiden. So pflegte sie öfter zu sagen.
Also wandte sie sich ganz plötzlich an Remmer und fragte:
»Sprich, wie gefällt Dir denn Edda? Du wirst ja roth bis zur Stirne
Und antwortest mir nichts, nicht einmal höflichkeitshalber:
›O, recht gut.‹ Als gestern ich Eddachen also befragte,
Sprich, wie gefällt Dir Remmer? erröthete sie bis zum Nacken
Und antwortete nichts, nicht einmal höflichkeitshalber:
›O, recht gut.‹^ Ihr stimmt merkwürdig zusammen, ihr Beide.
Kinder, ich glaube, Ihr habt Euch etwas zu sagen.« So nahm sie
Ihn bei der Hand und schob ihn hinein in die Stube, wo Edda 47
Hinter dem Goldlackbusch am Fenster wie Purpur erglühte.
Denn sie hatt' es gehört, durch die halbaufstehende Thüre.
Und nicht lange, so kamen erregt und mit freudigen Blicken
Remmer und Edda herbei, um den Segen der Mutter zu bitten.
Aber es konnte die muntere Wittwe ein Späßchen nicht lassen.
»So, so!« sprach sie gedehnt, »Ihr wollt Euch verloben? Das wäre
Ja recht nett, wenn nicht sich ein Hinderniß stellte entgegen.«
Ei, wie erschrak da das liebende Paar! Sie waren auf Alles
Eher gefaßt als dies. Kopfschüttelnd sagte die Mutter:
»Nein, Frau Steurmann klingt mir zu schlecht. Unmöglich, das geht nicht.
Frau Capitainin! so muß mein Eddachen heißen. Da mußt Du,
Remmer, noch fahren zur See, bis daß ein Schiff Du bekommen,
Und das kann denn wohl manch Jährlein noch dauern. Was meinst Du?«
Und sie weidete sich an den langen Gesichtern. »Indessen,«
Fuhr sie fort, »das Hinderniß läßt vielleicht sich noch heben.
Eddachen wurde ja nicht auf der Straße gefunden. Ich geb' ihr
So und so viel mit.« (Sie nannte ein artiges Sümmchen.)
»Remmer, wird das genügen, ein Schiff Dir zu kaufen?« »Ja freilich!«
Rief er mit frohem Erstaunen. »Dann steigst Du ja zum Captain auf;
Und Dein Ehegemahl heißt Frau Captainin.« Sie lachten
Alle Drei und umarmten sich dann in hellem Entzücken.
Anderen Tags kam Remmer und sprach so: »Wenn es Dir recht ist,
Mütterchen, bau' ich mir lieber ein Schiff, als daß ich es kaufe; 48
Denn ich habe schon lange darüber gedacht und gesonnen,
Wie man geschwinder zugleich und lenksamer bauet ein Seeschiff.«
»Davon versteh' ich so viel, wie Du vom Stricken und Häkeln,«
Sagte die Wittwe zu ihm. »Geh, Remmer, und baue das Schiff Dir.«
Und so ging er denn ab zur unteren Weser und fand dort
Einen vernünftigen Baas, der ihm schon lange bekannt war,
Und einging auf seine Gedanken und fest ihm versprach auch,
Bis zum Frühjahr solle die Galeasse gebaut sein.
Kiel und Rippen und Planken, er wählte sich sämmtliches Holzwerk
Selbst aus, Segel und Tau und Anker mit Kette und Alles.
»Wollt' ein Andrer soviel mitsprechen, ich würde,« so sagte
Lächelnd der Baas, »mich bedanken, ein Schiffsbaumeister zu heißen«,
Und so bewacht' er den Bau der Galeasse bis Weihnacht,
Doch dann zog ihn die Sehnsucht heim zum Bräutchen im Siele.
Und dort fand er auch Fracht sofort für das kommende Frühjahr,
Rapssaat überzufahren nach Holland oder nach England.
Denn wer konnte die Preise im Frühling schon wissen im voraus?
So blieb nur noch übrig die Mannschaft zu heuren. Als Steurmann
Dacht' er an Onno, den Freund, mit dem er zur Schule gegangen.

 

II.
Onno.

        Onno Marquard war ein kluger erfahrener Seemann,
Der sich hinaufgedient vom Jungen zum vollen Matrosen.
Aber er hatte nicht Glück, das im menschlichen Leben nach Cäsar
Immer am meisten vermag, wie für Feldherrn auch für Matrosen.
Neulich war sein Schiff ihm untergegangen bei Skagen,
Dort, wo der Strand mit den Trümmern gescheiterter Schiffe bedeckt ist.
Wurde gerettet er auch in dem Boot mit der übrigen Mannschaft,
War doch die Seemannskiste mit Kleidungsstücken und Wäsche,
Auch mit einigem Gelde verloren gegangen. In Mißmuth
Kam nun Onno zurück zu der heimischen Insel in Friesland.
Allzuviel war es nicht, was der Seemann sich auf die hohe
Kante gelegt, denn er war ein leichtes und fröhliches Weltkind.
»Lustig gelebt und selig gestorben,« so pflegt' er zu sagen,
»Heißet dem Teufel die Rechnung verdorben. Was nützt uns das Leben,
Wenn wir nicht es genießen? Es hat von der Welt ja ein Jeder
Gerade so viel und nicht mehr, als er sich mit den Zähnen herausreißt.«
Ja, so dachte der Mensch. Wie er handelte, werden wir sehen.
Onno suchte nach Heuer umsonst in benachbarten Häfen,
Und so kam er noch übler gelaunt von der Suche nach Hause.
Ohne Beschäftigung saß er an jeglichem Abend im Wirthshaus,
Spann ein Seemannsgarn nach dem anderen, während ein Doornkaat 50
Glitt nach dem andern herab in die immer durstige Kehle.
Bitter beklagt' er das stets ihn verfolgende schmähliche Unglück
Und das Hundeleben an Bord. Er verschwor sich, er gehe
Niemals wieder zur See. »Wie wär' es denn,« fragte ihn Ulrich,
Sein Kamerad und Nachbarskind, »wenn wir beide zusammen
Eine Schaluppe uns kauften, die bei Frau Fock zum Verkauf steht,
Und auf Gewinn und Verlust miteinander betrieben den Fischfang?«
»Aber ich hab' kein Geld,« sprach Onno. Und Ulrich: »Ich auch nicht,
Aber das schadet ja nicht. Das bleiben wir schuldig.« »Vortrefflich!
Zwei, drei Jahre, so haben wir abbezahlt die Schaluppe«
»Topp, und uns werden gar bald die Netze zerreißen, wie weiland
Beim Fischfang es geschah im galiläischen Meere.«
Also betrieben denn Onno und Ulrich zusammen den Fischfang.
Aber da hatte schon wieder 'ne Eule gesessen für Onno,
Denn die Schaluppe war morsch und schlecht im Stande und langsam;
Spät und spärlich kam in dem folgenden Jahre der Schellfisch.
Auch war stürmisch der Herbst und der Seegang manchmal so heftig,
Daß sie nicht wagten hinaus mit der alten Schaluppe zu fahren.
Hundert Mark die Person, das kam aus dem sämmtlichen Herbstfang.
Dabei soll ein Fischer bestehn! Drum murrte schon Onno
Aerger denn je, als plötzlich ein Schimmer des Glücks sich ihm zeigte. 51
Remmer Janssen, sein Spielkamerad, erschien auf der Insel
Und er begegnete gleich dem alten Freund, den er suchte.
»Remmer Janssen! Wo kommst Du denn her?« so fragte ihn Marquard.
»Willst Du das Altarbild in unserer Kirche Dir anseh'n,
Das mit Hülfe der Fremden, die hier im Sommer sich baden
Unser Pastor uns gestiftet?« »Nein,« sagte der Freund aus dem Siele,
»Ich bin hergekommen, um Dich zu heuren.« »Was sagst Du?
Hast Du, Remmer, ein Schiff?« »Das hab' ich, es steht auf der Helling,
Du sollst Steurmann werden.« »Ei, Remmer, wer gab Dir das Geld denn?«
»Nun, ich habe mit besserem Glück,« sprach Jener, »gefahren,
Und mir ein wenig gespart, allein es würde nicht reichen;
Aber ich habe mich kürzlich verlobt.« »Mit wem und wie heißt sie?«
»Edda heißt sie. Du kennst doch die Wittwe des Bäckers im Siele?«
»Freilich, ich kenne die Mutter und auch ihr Töchterlein kenn' ich,
Und ich sehe das heitere Kind mit den goldenen Zöpfen
Noch vor mir mit der Mappe im Arme, sie ging in die Schule.«
»Nun, aus Kindern werden ja Leute und Edda ist jetzt wohl
Zwanzig Jahr und darüber und mein holdseliges Bräutchen.«
»Gottverdamm' mich, Du bist ein Glückskind, Remmer, und hast auch
Glück für mich selbst noch dazu!« rief Onno mit frohem Erstaunen.
»Denn ich muß es gestehen, ich habe die Netze zu flicken
Und an die Angel zu stecken den Wurm von Herzen schon längst satt.« 52
Remmer und Onno vereinigten bald sich über die Heuer,
Onno sollte sofort nach Elsfleth gehen, beschloß man
Und baldmöglichst das Schiff im Frühjahr bringen zum Siele.
Remmer Janssen ließ auf der Insel nicht länger sich halten.
Und so schieden die Freunde mit einem vertraulichen Handschlag.
Onno fuhr nach der Weser und Remmer zurück nach dem Siele,
Wo man sich rüstete schon mit Macht zur fröhlichen Hochzeit.

 

III.
Im Siele.

        Leinwand war schon lange gehäuft, um die einzige Tochter
Auszusteuern, es schien für Kinder und Enkel genügend,
Aber es fehlte noch stets ein Stück, und in jeglicher Stube
Wurde genäht und geschneidert, desgleichen gekocht und gebraten.
Aber die Wittwe ten Brookhus schwamm wie die Ent' auf dem Teiche
Fröhlich herum in der Schaar der geschäftigen dienstbaren Geister.
Das war etwas für sie! Am meisten das Backen der Kuchen,
Das kein Ende nahm, da in ihr sich die Bäckerin regte.
Remmer und Edda gefiel es dagegen am besten, als Hochzeit
War und der Hochzeitslärm vorübergerauscht und sie ruhig
Als ein glückliches Paar in der neuen Häuslichkeit lebten.
Früh wie das Eis aufging, kam Onno gefahren von Elsfleth,
Wo vom Stapel gelaufen die Galeasse, zum Siele.
Klein, doch schlank und zierlich gebaut und beflaggt und bewimpelt, 53
Schmuck wie ein Bräutchen; so lag nun das neue Schiff an dem Bollwerk,
Remmers schweigsamer Mund floß über vom Lobe des Fahrzeugs,
Das auf der Reise bereits sich als trefflicher Segler bewiesen.
Er umarmte den Freund und zog mit ihm nach dem Hause,
Wo schon harrten die Fraun, willkommen als Gast ihn zu heißen.
Aber die Abfahrt ging so rasch wie gehofft nicht von Statten.
Pünktlichkeit ist nicht gerade die Tugend des biederen Landmanns.
Langsam traf und verspätet der Raps allmählig im Siel ein,
Und so vergingen noch Wochen, bis daß Oelkuchen und Rapssaat,
Auch Stückgüter und sonstige Fracht im Schiffe verstaut war.
Nicht ungern sah Edda den Gatten noch etwas verweilen.
Remmer hatte sein Frauchen gebeten, sie möge recht freundlich
Gegen den Steurmann sein, doch es wäre nicht nöthig gewesen,
Denn ein Freund und Schulkamerad des geliebtesten Gatten
War ihr empfohlen von selbst. Ihr biederer Remmer verschwieg nicht,
Daß sein Freund ihm verstimmt und etwas verwildert erscheine,
Doch das erkläre sich leicht aus dem Unglück, das ihn verfolge,
Da er nun Steurmann werde und bessere Löhnung erhalte,
Sei er schon besseren Muthes. Er sei ein vorzüglicher Seemann,
Vielerfahren, geschickt und festen, entschlossenen Muthes.
Als nun Onno trat von Remmer geführt in das Haus ein,
Streckte sie freundlich die Hand ihm entgegen und hieß ihn willkommen. 54
»Remmer und ich sind eins, drum sind wir alte Bekannte,«
Sagte sie scherzend und gab damit den Ton des Verkehrs an.
Onno sollt' in dem Haus bis zur Abfahrt wohnen, die Reise
Zögerte aber sich hin von einem Tage zum andern.
Schön war das Wetter und schön war der Tag, noch schöner der Abend,
Den man im häuslichen Kreis zubrachte; denn Edda belebt' ihn
Durch Musik und Gesang und Onno durch heitre Gespräche.
Unerschöpflich erzählte der Vielerfahr'ne von Reisen
Und von Abenteuern zu Lande erlebt und zu Wasser,
Bald von Palmen und Negern und Tigerjagden und Schlangen.
»Als ich in Madras war«, so erzählte er einmal, »besorgt' ich,
Weil ich fließend das Englische sprach, die Geschäfte des Schiffes,
Und im Zollhaus machten den freundlichen Wirth die Beamten,
Die bei Sherry und Port in heiterm Gespräch sich ergötzten,
Während die Diener uns Luft zufächelten. Einer der Herren,
Der ein Geschichtchen erzählte, das lautes Gelächter erregte,
Schwieg mit einmal still, ganz todtenbleich im Gesichte,
Und sah starr auf das eigene Knie, worüber die bunte
Brillenschlange den Kopf mit den funkelnden Augen emporhob.
Mehrfach hatte sie sich um die Wade des Britten gewickelt.
Denkt Euch den Schrecken! sie ist die giftigste Schlange des Landes.
›Rührt Euch nicht, sonst seid Ihr des Todes‹, so rief ich dem Herrn zu
Und ich eilte hinaus und füllt' ein Schälchen mit Milch an,
Und das setzt' ich nahe der Schlang' auf den Boden. Sie sah es
Und sie wurde gelockt von der Milch und dem süßen Geruche,
Langsam ringelte bald sie sich ab von dem Beine des Britten,
Schlüpfte zur Schale mit Milch und trank. So ward er gerettet 55
Wie durch ein Wunder vom Tod, und die Diener erlegten die Schlange.
Während ich holte die Milch, da hatte der Mann mit der Schlange
Regungslos dasitzend, gefaßt in Erwartung des Todes,
Wie sein Erbe zu theilen mit leisester Stimme verkündigt.«
Dann sprach Onno vom Walfischfang in den nordischen Meeren,
Wie ein riesiger Wal sein Boot umschlang mit dem Schwanze,
Daß er mühsam dem Tode entging, dem die Andern erlagen.
Aber behaglicher war, was er sprach von den Inseln der Südsee,
Wo unschuldig die Menschen noch sind und nackend wie Eva
Einst im Paradiese, die hübschesten Mädchen herumgehn.
Edda kräuste die Lippen dazu; dann wandte er klüglich
Anderswohin das Gespräch und erzählte von Constantinopel,
Und den verschleierten Schönen des Sultans; denn auf dem ganzen
Erdball schien er bekannt und bewandert, der rüstige Seemann.
»Ist denn Alles auch wahr?« frug Edda Remmer. »Das Meiste«,
Sagte mit Lächeln ihr Gatte, »er schneidet nicht auf mit dem großen
Messer und schmückt ein wenig er aus, so ist das verzeihlich.
Seine Geschichten erzählt er ja oft und es setzt sich allmählig
Hier und dort etwas an, wie der Schneeball wächset im Rollen.
Aber Du mußt es gesteh'n, im Erzählen ist Onno ein Meister!«
»Ja, Dein Freund ist ein Mann von Geist und seltenen Gaben.
Ob er auch gut sein mag?« »Wie, zweifelst Du daran?« »Beinahe«.
»Edda, warum?« »Ich kann es Dir nicht mit Gründen belegen,
Aber er blickt manchmal so schlau und begehrlich.« Doch Remmer 56
Nahm mit Wärme des Freundes sich an. »Ich habe ihn immer
Treu und verläßlich gefunden, er ist mir ein lieber Genosse.«
So ward Edda beruhigt und lauschte geschmiegt an den Gatten
Voll Theilnahme auf Onno's Geschichten mit leuchtenden Augen.
Edda war schön, und die Schönheit ist wie die Sonne des Frühlings,
Welche den niedrigsten Strauch mit Blüthen und Blättern bekleidet.
Auch im Innern von Onno begann es Knospen zu treiben,
Und sein sehnlichster Wunsch war der reizenden Frau zu gefallen.
Onno kannte wohl sonst nur gemeine Begierden, doch Edda
War von höherer Art als die Weiber, womit er verkehrte,
Daß er zusammen sich nahm und sich schicklich betrug. Ja er wagte
Nicht einmal zu lange sie anzusehn, obgleich er
Gerne den Blick niemals von der schönen Erscheinung gewendet.
Edda schien mit Bewundrung an seinem Munde zu hängen,
Und ihm klopfte das Herz bei den leuchtenden Blicken der Schönen.
Ihre Bewunderung aber bezog sich auf seine Erzählung,
Nicht auf seine Person, die Edda's feinem Gefühle
Schon ja verdächtig geworden, doch Onno deutet' es anders.
Selber die Freundlichkeit, die sie ihm zeigte im Umgang,
Ward mißdeutet von ihm. Sie galt nur dem Freunde des Gatten,
Onno legte sie aus, wie ihm es die Eitelkeit vorlog.
Eins nur war, das ihn manchmal befremdete. Wenn er so dasaß 57
Sehnsuchtsvoll und hoffend und harrend der Himmelserscheinung –
Denn das war sie für ihn – ließ Edda sich gar nicht erblicken.
Und sie schien das Gesellschaftsgemach absichtlich zu meiden.
Aber es klärte sich auf beim Abschiednehmen. Sie reicht' ihm
Eine gehäkelte Börse von blauer Seide, die heimlich
Sie für ihn fertig gemacht, er sollte vorher es nicht merken.
»Nimm es zu heiterer Stunden Erinnerung, nimm es zum Danke«,
Sprach sie, »daß Du versprochen mir hast mein Glück zu beschützen.
Ich kann nicht mitfahren zur See, drum ist es mir tröstlich,
Onno, daß ein Freund und Jugendgenosse wie Du bist,
Treu zur Seite ihm steht, aus Noth und Gefahr ihn zu retten«.
Onno legte die Hand aufs Herz und gab ihr zur Antwort:
»Edda, verlaß Dich auf mich, ich bringe Dir Remmer so blühend,
Wie er nun vor Dir steht und wohlbehalten nach Hause.«
So sprach Onno und dacht' es vielleicht auch, als er es sagte,
Denn nicht plötzlich kommen die bösen Gedanken zum Durchbruch,
Sondern wie dreimal und viermal der Wolf umkreiset die Hürde,
Eh' er begierig nach Blut einbricht und erwürget die Schafe,
Also verschaffen nur langsam die schlimmen Gedanken sich Eingang.
Freilich, es sollte die Freundschaft schon ihn von bösen Begierden
Abzuhalten genügen, doch gleich wie der Mond von der Sonne 58
Also pflegt vor der Liebe die Freundschaft auch zu erbleichen.
Sturm und Regen und Hagel verzögerte dann noch die Abfahrt,
Bis sich der Himmel geklärt. Da sang man: »Die Anker gelichtet!«
Darauf gingen sie Alle zum Hafen hinunter. Die Frauen
Hatten versprochen, sie wollten nicht weinen, doch konnte sich Edda
Kaum losreißen von ihrem geliebtesten Gatten, sie zog ihn
Immer von Neuem ans Herz, bis weggenommen das Laufbrett.
Langsam fuhr mit schwachem, doch günstigem Winde und vollen
Segeln das zierliche Schiff auf der Nordsee glitzernde Fläche.
Mütterchen ging nach Haus, Gott überlassend das Andre.
Edda stieg auf den Deich, wo sie lange den Segelnden nachsah.
Als noch kaum zu erkennen das Schiff am Rande des Meeres,
Blieb sie doch stehn; da Remmer vielleicht nach ihr sah mit dem Fernrohr
Und sie schwenkte noch einmal das Tuch; dann schlug sie es vor sich
Ueber die Augen, woraus wie ein Bergquell stürzten die Thränen.

 

IV.
Seereisen.

        Aber das Schiff fuhr hin mit dem Schönfahrtssegel. Ein kleiner
Unfall hatte sich zwar noch ereignet am Tag vor der Abfahrt.
Ein halbwüchsiger Bursche, der zum Schiffsjungen bestimmt war,
Sehr anstellig und klug, ward plötzlich vom Fieber befallen.
Kläglich war es zu seh'n, wie der sonst rothbäckige Junge 59
Blaß zu Bette nun lag, mit den Zähnen klappte und weinte,
Nicht aus Schmerz, nur weil er die Fahrt mitmachen nicht konnte.
Hat sechs Wochen auch noch am tückischen Fieber gelegen.
Nur drei Mann am Bord, das war eine schwache Besatzung,
Aber es waren doch drei sehr starke und kundige Männer,
Remmer und Onno und Peter, ein langer Matrose; von Elsfleth
War er herübergekommen, ein guter und williger Seemann.
Wußt' er auch sonst nicht viel, so verstand er doch seine Geschäfte.
Und so dachten die Drei: wir behelfen uns ohne den Jungen.
Fröhlich ging auch die Fahrt bei heiterstem Wetter von statten.
Ruhig zog ihr Schiffchen die Bahn und richtig wie Argo,
Jenes gepriesene Schiff, das nach eigenem Willen sich lenkte.
Glücklich und rasch ward London erreicht. Sie löschten die Ladung
Und dann fuhren sie leer nur mit Ballast über nach Husum,
Um dort lebendes Vieh zu holen, die prächtigsten Rinder.
Schön war der Sommer; es schliefen die furchtbaren Stürme der Nordsee.
Dreimal und viermal machten mit Glück sie den nämlichen Seeweg
Hin nach Husum und wieder zurück nach den Häfen von England.
Und dann brachten zuletzt sie Malz nach Bergen in Norweg.
Fracht auch konnten sie dort nach der Ostsee haben mit Hering,
Aber es war schon spät, sie mochten soweit nicht versegeln
Und am Ende noch gar einfrieren. Sie hatten so glücklich
Und so lohnend gefahren das Jahr, daß die Fracht sie verschmähten,
Und sie hißten die Segel zur fröhlichen Fahrt nach der Heimat.

 

V.
Ein Blitz aus der Hölle.

      Nacht war's, Onno stand am Ruder und drehte es lässig,
Aber er dachte dabei wohl kaum an das Schiff und die Richtung,
War er doch tief in Gedanken versunken und immer dieselben.
Liebt Dich Edda? so fragte er sich. Er hatte die Frage
Freilich schon lange entschieden bei sich und zu eigenen Gunsten.
Ueberragte den Freund er nicht an Leib und an Seele?
Und was hätte wohl Remmer für sich in die Wage zu legen?
Remmer ist jünger, doch nur um ein paar Jahre. Was macht das?
Onno ist noch nicht so alt, um nicht um die Jüngste zu freien.
Neulich bemerkt' er, er hatte darauf bisher nicht geachtet,
Daß auf dem Scheitel von Remmer das Haar schon dünner geworden,
Während das seine noch strotzte von Fülle der goldenen Locken,
Und er mit Simson sich könnte an Muth und Stärke vergleichen.
Und wie voll aus der Brust klang männlich und schön ihm die Stimme,
Welche er mehr noch schätzte, seitdem sie Edda bezaubert.
Jetzt war Edda gebunden und treu – das wußt' er – dem Gatten.
Aber wenn frei sie ward und hätte von Neuem zu wählen,
Wem dann reichte sie lieber die Hand? So, dachte sich Onno,
So ist's Remmer allein, der ihn glücklich zu werden verhindert. 61
Ist dies Hinderniß aber für unüberwindlich zu halten?
Kann ihn Krankheit nicht hinraffen in blühender Jugend?
Wie, wenn Remmer zum Mastkorb stieg' und er fiele herunter
Auf das Verdeck und sich bräche den Hals? Wie, wenn er beim Baden
Würde befallen vom Krampf wie neulich? Er wäre ertrunken,
Wenn nicht auf sein Geschrei ihm Peter zu Hilfe gekommen.
Und manch' anderer Zufall bringt ja Verderben dem Menschen.
Könnte man nöthigen Falls nicht selbst nachhelfen dem Zufall?
Käm' im Wasser er um, wer könnte da wissen ob Remmer
Fiel von selbst hinab, ob hinein er gestoßen von Andern?
Du sollst nicht nach dem Weibe des Nächsten begehren! So lautet
Gottes Gebot. Doch hatte sich Onno dagegen so lange
Weiter und weiter verfehlt, bis er kam zur Grenze des Frevels.
Ja, wenn Remmer nicht wäre, so dachte er immer von Neuem,
Denn dann hätt' er die Frau und das Schiff und das Haus und das Erbe.
Onno war ein verkommener Mensch; doch wollte man glauben,
Habsucht hätt' ihn geleitet beim Handeln, so thäte man Unrecht.
Was ihn bezwang, war Liebe, die Menschen und Götter beherrschet
Und zum Verbrechen uns treibt und zum Wahnsinn, rasende Liebe.
Onno fuhr empor aus den Träumen. Er pflegte die Börse,
Die er als Liebespfand ansah, zum Gebrauche zu heilig,
Stets an der Brust zu tragen. Nun zog er das zarte Gewebe
Heimlich hervor und bedeckte es still mit feurigen Küssen. 62
Und dann barg er von Neuem den Schatz in der Nähe des Herzens.
Onno hatte schon lang in denselben Gedanken versunken
Langsam am Helme gedreht, und der Wagen, das himmlische Sternbild,
Hatte die Deichsel bereits nach unten gekehrt. Den Matrosen,
Wache zu halten bestimmt, sah vorne er sitzen am Gangspill,
Wie er saß auf den Ringen des Taus und nickte und nickte.
Manchmal sank ihm der Kopf vornüber; er raffte sich auf dann,
Doch sank wieder in Schlaf. So war es denn Onno allein jetzt,
Der wach war auf dem Schiffe. Er band mit dem Stricke den Helm fest,
Und dann schlich er sich leis auf den Zehen herab zur Cajüte.
In die Cajüte? Warum? Was hatt' er da unten zu schaffen?
Nun, er wollte vielleicht nachsehn, ob Remmern der Schlag traf,
Oder ein Unfall sonst. Er trat hinein zur Cajüte.
Siehe, da stand auf dem Tisch ein schwaches und zitterndes Nachtlicht,
Neben dem Lämplein lag ein blankes geöffnetes Messer,
Neulich in London gekauft, mit elfenbeinerner Schaale,
Dessen sich Remmer des Abends bedient zum Scheeren des Bartes.
War es nicht seltsam fast, wie der Stahl aufblitzte und gleißte!
Ich bin fertig bereits, so schien er zu sagen. Was säumst Du?
Remmer schlief in der Coje, den Kopf nach hinten gesunken,
Aber der Hals stand vor, entblößt, umspielt von dem Lichte.
Onno schaute sich um, da fuhr's wie ein Blitz aus der Hölle
Plötzlich ihm durch das Gehirn, und er griff zum blinkenden Stahle,
Welcher wie Macbeths Dolch ihn zog zum schlafenden Duncan. 63
Wie er mit furchtbarem Hiebe das scharfgeschliffene Messer
Stieß in die Kehle herunter des arglos schlafenden Freundes,
Daß durchschnitten der Hals bis nach unten ward, bis zum Wirbel,
Wie das Alles geschehn, das vermochte er selbst nicht zu sagen.
Eh' es gedacht, war schon es vollführt. Zu schreien vermochte
Remmer nicht mehr, er röchelte noch ein wenig, doch leise
Und schon war er auf immer geschieden vom blühenden Leben.
Onno öffnet ein Fenster im Heck und zerret die Leiche
Bis zur Oeffnung und stößt sie hinaus in die rauschende Tiefe.
Aber es war viel Blut aus der Wunde geflossen, das Laken
Triefte von Blut. Er nahm es und schleudert' es weit in das Wasser.
Nunmehr galt es auch jegliche Spur von Blut zu vertilgen,
Darum wusch die Cajüte er aus mit Wasser und Seife,
Säuberte sie mit dem Schwamm und rieb sie ab mit dem Wischtuch.
Darauf ergriff er das ganze Geräth, das zum Reinigen diente,
Und warf Alles hinaus in die dunkle verschwiegene Tiefe.
So, nun ist es geschehn, kein Zeugniß der That mehr vorhanden.
Und dann stieg er hinauf zum Verdeck, um nach Peter zu sehen.
Der saß immer noch da auf dem Tauwerk, nickend und nickend.
Klar war's, daß er verschlafen die That und er wußte von gar nichts.
Doch nun weckte ihn Onno mit lautem Lärmen und Schreien.
»Peter, was sagst Du dazu? Hast Du es gesehen? Wie schrecklich!« 64
Peter rieb sich den Schlaf aus den Augen und fragte: »Was giebt es?
Steurmann, was ist geschehen?« »O Peter, ein schreckliches Unglück,
Hast Du wohl es bemerkt, daß schon seit mehreren Tagen
Unser Captain ganz stumm und melancholisch geworden?«
»Nein,« sprach Peter, »das fiel mir nicht auf; denn unser Captain ist
Ja schweigsamer Natur und ein Mann von wenigen Worten.«
»Seit vorgestern gefiel mir Remmer gar nicht, er hatte
Etwas Stieres im Blick und der Irrsinn kam nun zum Ausbruch.«
»Wie, wahnsinnig?« –»Jawohl, denn höre nur, was sich begeben.
Während ich steh' an dem Helm und steuere, schleicht der Captain sich
Aus der Cajüte hervor starrblickend. Zur Reling geschlichen
Schaut er darüber hinaus, als suche er etwas im Meere.
Eh' ich zu rufen vermag: Halt, Remmer, was machst Du? was soll das?
Hat er sich über die Reling geschwungen und springt in das Wasser.«
»Unser Captain ist ins Wasser gefallen?« »Er ist nicht gefallen,
Sondern er sprang hinunter, befallen vom plötzlichen Wahnsinn.«
»Unser frommer Captain Selbstmörder geworden. Entsetzlich!«
»Ja, da hast Du wohl Recht, es ist ein erschreckliches Unglück
Plötzlich von Sinnen zu kommen; doch ist nichts häufiger, Peter,
Weder Du noch ich, noch sonst wer ist davor sicher.«
Aber was ist zu thun?« sprach Peter. »Wir müssen ihn retten. 65
Freilich, es ist sehr schwer, selbst wenn bei helllichtem Tage
Fiel ein Mann über Bord, aus dem Wasser den Menschen zu retten,
Doch für Remmer, er ist mein theuerster Freund auf der Erde,
Müssen wir thun was möglich und was unmöglich ist, Peter.«
»Nun, so müssen wir rasch beidreh'n und zurück zu der Stelle.«
Onno ging sehr gern darauf ein, denn er wußte am besten,
Daß sie schon weit entfernt von dem Ort, wo er Remmer ins Meer warf.
Also nickte er denn und sprach beipflichtend zu Peter:
»Freilich! Ich rief Dich ja an, um mir beim Wenden zu helfen.«
Und sie wandten das Schiff und fuhren zurück auf dem Wege,
Welchen sie eben gemacht. Nicht lange, so sagte der Steurmann:
»Hier, hier ist er ins Wasser gesprungen, da drüben auf Borkum
Deckten sich grade die Bake und hinter ihr stehend der Leuchtthurm.«
Also ließen das Boot sie herab ins Wasser und riefen:
»Remmer! Remmer!« Umsonst, es schwiegen die Nacht und die Tiefe.
Und sie suchten und suchten, am eifrigsten immer der Mörder.
Und als Peter bemerkte: »Es ist noch zu dunkel zum Suchen,«
Eilt' er zurück zu dem ankernden Schiff und hatte ein Tönnchen
Theer mitgebracht und steckt' es in Brand und ließ es so schwimmen.
Und sie suchten von Neu'm bei dem weithinleuchtenden Scheine.
»Stehen wir ab,« sprach Peter zuletzt, »es ist Alles vergebens,
Gott schenk' unserm Captaine die ewige Seligkeit!« »Amen!«
Fügte noch Onno hinzu, als käm' es ihm tief aus der Seele. 66
Und so fuhren sie wieder an Bord und huben das Anker,
Mit dem fest sie gelegt ihr Fahrzeug, während sie suchten,
Und dann setzten die Reise sie fort in der früheren Richtung
Zwei Mann nur noch an Bord, doch das Wetter war ruhig und heiter.

 

VI.
Peters Ende.

            Als am anderen Morgen gebückt mit dem Kaffeegeschirre
Peter betrat die Cajüte, so schnüffelt' er etwas und sagte:
»Riecht es nicht hier?« und schnüffelte nochmals. »Riechen? Wonach denn?«
Gab ihm Onno zurück. Zwar sprach er mit scheinbarem Gleichmuth,
Aber ihm klopfte das Herz. »Wonach, das kann ich nicht sagen.
Aber mich dünket, es riecht wie ein Schlächterladen.« Die Angst wuchs
Onno noch bei dem Wort; gern hätte er etwas erwidert,
Aber er wußte nicht was und fürchtete sich zu verrathen.
»Trink' mal!« sagt' er zu Peter und gab ihm ein Gläschen mit Cognac.
Peter nickte und trank, da roch es denn freilich nach Cognac.
Heiter strahlte die Sonne herab. In dem kleinen Gemache
Glänzte der Wiederschein der glitzernden Wogen da draußen.
Peter sah noch scharf nach einer erleuchteten Ecke,
Eh' er sich wieder entfernte. Was mag in der Ecke zu sehn sein?
Onno warf nun den Blick in den nämlichen Winkel. Entsetzlich!
Offen und blank liegt dort ein Häuflein geronnenen Blutes.
Unbegreiflich! Wie war beim Reinigen das ihm entgangen? 67
Peter hatte das Blut am Boden gesehen. Er konnte
Nicht mehr zweifeln daran, sein guter Captain war ermordet.
Onno hatt' in dem Kopf nur Raum noch für Einen Gedanken:
Rette Dich! Fort mit Peter! Er wird Dich als Mörder verklagen.
Und so stürzt' er ihm nach auf das Deck, wo der lange Matrose
Neben dem Bugspriet steht, von der Sonne bescheinen sich lassend,
Da es schon kalt und herbstlich geworden. Er wandte den Rücken
Onno zu, der ohne Verzug auf den arglosen Menschen
Wie ein Wüthender stürzt. Er packt ihn mit riesigen Kräften
Und dann schleudert er ihn mit furchtbarem Stoß auf die Wellen.
Hoch auf spritzte die See und Peter versank in die Tiefe,
Tauchte dann wieder empor, schrie Hilfe und jammerte kläglich,
Krampfhaft hält er sich fest an dem segelnden Schiff mit der Rechten,
Und fleht laut um Erbarmen. Doch Onno geht zu dem Boote
Und holt einen der Riemen hervor, die Peter noch neulich
Weiß und grün sorgfältig gestrichen. Er hebet den Riemen
Hoch in die Luft empor und schmettert ihn nieder auf Peter,
Auf die geklammerte Hand, womit sein Leben er rettet.
Jeglicher Finger war vom wuchtigen Schlage zerbrochen.
Lautlos sinkt er sofort mit der blutenden Hand in den Abgrund.
Mein Verbrechen war nur, so klagte der römische Dichter,
Daß ich Augen besaß. So konnt' auch Peter wohl sagen.
Als er verschwunden ihn sah, sprach Onno »Nun bin ich gerettet!«
Ja, kein irdischer Zeuge der That war übrig geblieben,
Die nur Gottes Auge, die leuchtende Sonne, gesehn hat. 68
Freilich, das jüngste Gericht! Allein, wer weiß, ob es wahr ist?
Onno hatte die Kirchen schon längst nur von außen gesehen.
»Ei was,« hatte er oft im fröhlichen Kreise gerufen,
»Unsere Pfaffen, Ihr Kerls, sie wissen nicht mehr, als wir alle!«
Onno athmete auf. Noch einmal reinigt' er gründlich
Seine Cajüt' und besprengte sie mit wohlriechendem Wasser.
Nahe schon war er dem Siele, doch bog er noch nicht in die Einfahrt
Ein, die mit Büschen besteckt anzeiget dem Schiffer die Straße,
Denn erst sollte die Sonne herabgehn, ehe er lande,
Dreister wohl mochte er hoffen sein Lügengewebe im Dunkeln
Vorzutragen; drum kreuzt' er noch hin und her in den Watten.

 

VII.
Empfang im Siel.

        Schon war das letzte Roth an dem Abendhimmel verglommen,
Als er langsam fuhr in das stille Gewässer des Hafens.
Aber das Schiff war längst schon erkannt von den Leuten im Siele.
»Remmer Janssen ist da!« so sprach ein Nachbar zum andern,
Und so standen geschaart schon viele Bekannte am Bollwerk.
»Remmer Janssen, willkommen! Du hast ja glücklich gefahren,
Remmer, wo bist Du? Wo steckt der Captain, der Matrose, der Junge?
Steurmann, seid Ihr allein an Bord? Was bedeutet das Alles?«
»Ach, ein Unglück ist uns begegnet, ein schreckliches Unglück!«
Onno erzählte die Lüge, die gleich nach der That er sich aussann,
Jetzt mit größerm Bedacht und fast glaubwürdig zu hören.
Und er beklagte gerührt den Verlust des vertrautesten Freundes,
Und er wischte dabei mit dem Tuch sich die trockenen Augen. 69
Niemand wagte dagegen auch laute Zweifel zu äußern,
Aber das Schweigen der Menge bewies, daß Zweifel sich regten.
»Und wo ist denn Peter, der lange Matrose, geblieben?«
»O wie ist es so wahr, daß ein Unglück selten allein kommt.
Peter fiel über Bord. Ich weiß nicht, wie es geschehn ist.
Denn ich beschäftigte mich, die Papiere von Remmer zu ordnen.
Aber er rief mich, ich sprang ans Deck und warf ihm ein Seil zu,
Das er auch glücklich erhaschte. Ich zog ihn langsam zum Bord an.
Höchst vorsichtig, so wie man größere Fisch' an der Angel
Hebt aus dem Wasser ans Land und glaubte schon Peter gerettet.
Da riß leider der Strick an einer beschädigten Stelle.
Ich sah Peter ertrinken vor meinen sichtlichen Augen,
Denn er konnte nicht schwimmen.« »Er konnte nicht schwimmen,« so fielen
Zwei, drei Stimmen bekräftigend bei, was Onno zu gut kam.
»Das war ein ehrlicher williger Mensch und ein tüchtiger Seemann,
Daß um die Welt zu fahren ich bessern Gefährten nicht wünschte.«
»Aber wo ist denn der Junge geblieben?« So fragte ihn Jemand.
»Der kam gar nicht mit. Wir behalfen uns ohne den Jungen,
Denn er erkrankte vorher.« »Am Wechselfieber,« bezeugten
Mehrere Stimmen zugleich. Am Schlusse beklagte sich Onno
Ueber sein trauriges Loos, sein stets ihn verfolgendes Unglück.
»Als nun mein theuerster Freund auf Erden so schrecklich geendet,
Und mein guter Matrose, so treu wie Gold, mir entrissen,
Blieb ich allein auf unserem Schiff zurück als Besatzung. 70
Freunde, versetzt Euch einmal in meine verzweifelte Lage!
Wenn ein Gedanke von Sturm aufkam, so war ich verloren.
Denn ich konnte nicht steuren zugleich und die Segel bedienen,
Gaffel nicht reffen noch Topp, wenn es noch so nöthig gewesen.
Kentern mußte das Schiff, und ich ward Speise der Fische.
Aber der gütige Gott, er, der dem geschorenen Lamme
Mildere Luft zuschickt, gab mir auch ruhiges Wetter.
Und so bin ich mit Müh' und Noth entronnen dem Tode.
Aber das Jammergeschick den vertrautetsten Freund zu verlieren!
Und mir steht nun bevor noch der schwere Gang zu den Seinen.
Heute vermag ich nicht mehr die Unglücksbotschaft zu melden,
Denn ich bin zu erschöpft und wie werd' ich den Jammer ertragen?
Darum bereitet sie vor.« Es war von Onno nicht unschlau,
Daß er die Todtenglocke nicht selbst zu läuten sich vornahm.
Als er am andern Morgen das Haus betrat, wo der Frohsinn
Hatte geherrscht bisher – jetzt war es die Stätte des Jammers –
War schon über das Siel und weiter die Kunde geflogen,
Remmers Schiff sei ohne ihn selbst nach Hause gekommen,
Und auf dem Todtenschiff nur der Steurmann übrig geblieben.
Er trat ein, als gebrochener Mann, kaum mächtig der Rede,
Doch bald floß ihm vom Munde die wohlbekannte Erzählung,
Die er zum dritten Mal nun noch vollkommener vortrug.
Aber es ließ ihn Edda damit zu Ende nicht kommen.
»Das sind Lügen!« so rief sie ihm zornig entgegen. »Ich hab' erst
Vor drei Tagen von Remmer den glücklichsten Brief noch erhalten,
Heiter und froh, und er wußte sich nie zu verstellen und heucheln, 71
Dir, Dir hab' ich ihn anvertraut, Du solltest ihn schützen,
Und nun kommst Du und hast – ich weiß nicht, was Du gethan hast.
Aber wer lügt, dem trau' ich Alles, das Schlimmste sogar zu.«
Und sie wies ihm die Thür, er wagte nicht, nicht zu gehorchen.
Und war viel zu bestürzt, auch nur ein Wort zu erwidern.
Schweigend gab er den schweren von Geld vollstrotzenden Beutel,
Welchen er mitgebracht, auf dem Flur in die Hände der Wittwe.
»Nehmt, es ist Euer, das Geld, das Remmer im Jahre verdient hat.
Wenn er am Leben geblieben, so hätt' er mir eine Belohnung
Für die geleisteten Dienste gegeben. Er sprach schon darüber,
Doch nach solchem Empfang nähm' ich von Euch nicht 'nen Stüver.«
Staunend wog mit den Händen die Wittwe die Schwere des Beutels
Und sie staunte noch mehr, als die Summe sie las in der Rechnung.
Das war mehr, weit mehr als die Frauen zu Hause erwartet.
»Ja, Du bist ein ehrlicher Mensch«, so sprach sie zu Onno,
»Nimm Dir die wilden Worte von Edda nicht so zu Gemüthe,
Siehe, es sprachen aus ihr nur der Schmerz und die erste Verzweiflung,
Onnochen, sei nur ruhig, es wird wohl Alles noch gut gehn!«
Rief von der Schwelle ihm nach, leichtlebig wie immer, die Wittwe.
Wie ganz anders war der Empfang, als Onno sich dachte!
Als er davon ging, war zur Hälfte das Feuer verloschen,
Das so lange gebrannt in ihm für die reizende Edda.
Nichts entzündet die Liebe so sehr in dem Herzen der Menschen,
Als wenn wieder geliebt wir uns wissen oder doch glauben,
Aber begehrungswürdig erschien ihm Edda noch immer, 72
Und nicht durften vergebens die schrecklichen Thaten geschehn sein.
Edda konnte die gegen ihn ausgestoßenen Worte
Durch kein Zeugniß beweisen, ward auch von der eigenen Mutter
Ja der Verdacht nicht getheilt. Wie sollte denn Onno verzagen?
Wenn ihm die Wittwe von Remmer die Hand reicht an dem Altare,
Würde ja jeder Verdacht für jetzt und immer beseitigt.
Also wagt er's und kehrte zurück in das Haus zu der Wittwe.
Edda empfing ihn ruhiger jetzt und ließ ihn auch reden.
Und er verstand so schön zu reden. Er wollte nicht klagen,
Daß sie von heftigem Zorn entbrannt sei gegen den Menschen,
Der nicht zu halten vermochte sein heilig gegeb'nes Versprechen.
Und dem nicht es geglückt aus dem Wasser den Gatten zu retten;
Aber sie würde wohl selbst zugeben bei kälterem Blute,
Daß sie mit schwarzem Verdacht im ersten Schmerz ihn befleckte.
Und im mildesten Ton und mit untadligen Worten
Floß wie der Thau von Hermon aus Onno's Munde die Rede,
Zauberer giebt's, die giftige Schlangen beschwören; sie tanzen
Nach der Musik und sind harmlos für Menschen geworden.
Also glaubte auch Onno bezähmt und besänftigt den Argwohn,
Der so bedrohlich im Busen von Edda sich gegen ihn regte
Und so wagt er zuletzt noch hinzuzufügen die Worte:
»Edda, Du bist noch jung und vor Dir liegt noch das Leben,
Und Dir ist wohl Trost und voller Ersatz noch beschieden.«
Das kam aber zu früh, o, viel zu frühe für Edda,
Und sie wußte sogleich und erkannte mit weiblichem Scharfsinn,
Wen als Trost und Ersatz für den Gatten ihr Onno bestimmte, 73
Und sie schnellte empor und rief in tiefster Entrüstung:
»Onno, Du bist nicht werth, daß Du vor Remmer Dich bücktest,
Um ihm, dem herrlichen Manne, die Riemen der Schuhe zu lösen.
Onno, mir grauet vor Dir! Geh! Geh und komme nicht wieder!«
Damit war er entlassen. Er war ein Sünder und Mörder.
Aber, wenn man bedenkt, wie es jetzt im innersten Herzen
Onno's aussehn mußte, dem jegliche Hoffnung auf Erden
Und im Himmel verschwunden und der mit umnachteter Seele
Sorglos noch und heiter zu scheinen genöthiget wurde,
Um den Verdacht zu zerstreuen, von dem er umgeben sich wußte,
Regt sich in uns für den schrecklichen Menschen doch etwas wie Mitleid.

 

VIII.
Die Sühne.

    Wenn er im Wirthshaus saß, umgeben von Freunden – so nannt' er
Jeden, der mit ihm trank, und er ließ freigebig darauf gehn,
Hing ihm Alles am Mund. Er bezauberte alle Cumpane
Durch die Beredsamkeit. Ob Jemand ein Cicero werde,
Oder ein Catilina, wer weiß, was darüber entscheidet?
Einst als er lautes Gelächter erregte durch seine Erzählung,
Trat ein Fremder herein. Er bestellte sich etwas und sagte:
»Wißt Ihr es schon?« »Was denn?« so riefen sie Alle zusammen.
»Peter, der als Matrose gedient auf dem Schiffe von Remmer
Janssen, wurde gefunden. Er trieb beim Siel auf den Strand an.
Und sein Leichnam zeigte die Spuren von einer Gewaltthat.« 74
Onno sträubte sich jegliches Haar bei der Meldung des Fremden.
Stehen die Todten denn auf, noch eh' es zum jüngsten Gericht bläst?
Onno ward weiß wie der Kalk an der Wand, so bestürzt und verworren,
Daß ihm die Sprache verging und als er sich wieder ermannte:
Sprach er mit heiserer Stimm', als steckte ihm was in der Kehle:
»Peter – ich hab' es Euch wohl schon erzählet. Er hatte ein Unglück,
Daß er zerquetschte die Hand, als er rutschte vom Maste herunter.
Nein, er spaltete Holz und beschädigte sich mit dem Beile.«
»Doch die beschädigte Hand war die rechte,« so sagte der Fremde,
»Und man führt mit der rechten die Axt. Man kann mit dem Beile
Nur sich die linke verletzen.« Verlegen entgegnete Onno:
»Nun, so wird er wohl doch vom Maste herunter gerutscht sein,
Aber es ist schon spät. Ich gehe nach Hause.« Er dachte
Rasch aus dem Staub sich zu machen. Doch Niemand zweifelte länger,
Daß er, Onno, es war, der den armen Matrosen ermordet.
Also ließen sie nicht ihn entwischen. Er wurde noch trotzig,
Als sie den Weg ihm vertraten, und fragte: »Was wollt Ihr?« Sie sagten:
»Komm' nur mit, Du hast den Matrosen ermordet.« Sie brachten
Ihn, so sehr er sich sträubte, zum Bürgermeister des Ortes,
Der nach kurzem Verhör abführen ihn ließ ins Gefängniß.
Peter wurde erkannt von der eigenen weinenden Mutter 75
Und auch Onno wurde geführt zu der Leiche. Er sagte:
»Das ist Peter, jawohl, ich erkenne ihn schon an dem gelben
Dichten und gleich geschorenen Haar, das dem guten Gesellen
Ueber die niedrige Stirn so hing, als wär' es ein Strohdach.«
Also sprechend betheuert er laut ein erheucheltes Mitleid.
»Ich that Alles, um Dich zu retten, mein Peter, das weißt Du,
Und nun wollen die Herrn noch gar zum Mörder mich machen!«
Aber so leidig er sprach, er fand nicht Glauben im Volke,
Und sie erzählten, als Onno heran zu der Leiche getreten,
Wär' als Zeichen das Blut aus dem Munde von Peter geflossen.
Und nicht lange, so kam auch ein amtliches Schreiben aus Keitum,
Worin der Vogt von Sylt ankündigte, daß auf der Insel
Angetrieben ein Mann von dreißig Jahren, ermordet,
Denn sein Hals war tief bis herab zum Wirbel durchschnitten,
Nur mit dem Hemde bekleidet. Das Zeichen der Wäsche war R. J.
Und auf dem Friedhof für die Ertrunkenen wurde der Fremdling
Unter Gesang und Predigt und viel Theilnahme des Volkes,
Welches herbeigeströmt, zur Erde bestattet. Da waren
Auch zwei Badegäste von Husum unter der Menge
Und sie baten, den Sarg vorher noch öffnen zu lassen;
Denn sie glaubten den Todten zu kennen. Als nun der Küster
Hebt von der Todtenlade den Deckel, so rufen die Herren
Beide zugleich: »Das ist der Captain Herr Janssen vom Siele,
Denn wir haben ihn oft auf dem Markte in Husum gesehen.« 76
Jetzt half Leugnen nicht mehr, und Onno bekannte nun Alles,
Daß er Remmer ermordet und Peter ins Wasser geworfen.
Scharfer Verstand war das beste an Onno. Er kam zu der Einsicht,
Daß ein jedes Verbrechen, wenn noch so schlau es ersonnen,
Noch so entschlossen zu Ende geführt, auch Thorheit zugleich sei,
Oder ein Wahnsinn fast, und starb als reuiger Sünder.
Wodurch wurde der Sünder bekehrt? Durch geistlichen Zuspruch?
Möglich. Doch ist ein Prediger noch, der mächtiger seine
Stimme als alle erhebt. Der Tod ist's, der König der Schrecken.
Ja, und die Reue war echt, denn sie dauerte fort, als der König
Auf sein Gnadengesuch abschlägig beschieden. Er sagte:
»Unser Monarch hat Recht, denn der schwarze Verrath an dem Freunde
Ist noch zu milde bestraft durch den Tod von den Händen des Henkers.
Martern ließ ich mich gern und mit glühenden Zangen mich zwicken,
Könnt' ich dadurch erleichtern die Schuld, die jetzt auf mir lastet.
Und wenn Gott mich allein nach seiner Gerechtigkeit richtet,
Bin ich verloren. Ich hoffe, wenn auch mit Zittern, auf Gnade.
Ich bin kein katholischer Mann und habe nicht Heil'ge,
Welche für mich bei Gott fürbitten. Doch Remmer, das weiß ich,
Er, er wird mir verzeih'n und mir Gottes Vergebung erflehen.
Ja, das thut mein Remmer. Er war der beste der Menschen.« 77
Und ihm strömten dabei aus den Augen die heißesten Thränen.
Aber sie konnten den Todten nicht wieder zum Leben erwecken.
Möge so Jeder verderben, der Thaten wie diese verübt hat!

 

IX.
Edda.

          Aber was ist aus Edda geworden? So hör' ich Euch fragen.
Darauf könnte ich so antworten wie Schiller, als Viele
Fragten: Was ist aus Thekla, dem herrlichen Mädchen, geworden?
Nur so lange sie lieben – sind uns anziehend die Mädchen,
Wie wir nach Nachtigallen nur fragen, so lange sie singen.
Edda soll uns indeß nicht bei Nacht und Nebel verreisen,
Und da ich hörte von ihrem Geschick, so bericht' ich darüber.
Edda ging zwei Jahre um ihren geliebtesten Remmer
Tief in Trauer gehüllt, noch tiefere Trauer im Herzen.
Remmers mit eigener Hand sorgfältig gezeichnetes Schiff hing
Wie ein Heiligthum an der Wand und schmückte die Wohnung.
Immer noch schien es in glücklicher Fahrt, mit schwellenden Segeln,
Edda hatte, so schien es, sie fallen gelassen auf ewig.
Schmolz im Märze der Schnee und fand sie im Grase das erste
Veilchen versteckt, so ward sie gerührt und sie dachte an Remmer,
Als er Geschenke noch nicht ihr anzubieten sich traute,
Bracht' er ein Sträußchen gesammelt der frühesten Veilchen und reichte
Ihr mit Erröthen es dar und Verlegenheit. Aber sie dankte
Ihm für die Gabe so freundlich mit offenen herzlichen Blicken, 78
Dunkelblau, wie das Veilchen, so war auch das Auge von Remmer
Und ihr war es, als säh' er sie an, da das Veilchen sie pflückte.
Und dann weinte sie leise, doch trocknete rasch sie die Thränen,
Wenn annahte die Mutter, der schon es der Trauer zu viel ward:
»Willst Du Dich denn einkleiden als Nonne schon oder Beguine?
Dazu bist Du zu jung, doch Jeder nach seinem Belieben.
Ich will länger nicht mehr wie der Uhu sitzen im Astloch,
Sondern des Lebens mich freuen, so lange mir noch es gegönnt ist.«
Und sie verkehrte wie sonst mit den alten Bekannten des Hauses,
Fehlte auch nicht beim Schützenfest und nicht bei dem Eislauf.
Als zwei Jahre nun um, was that sie, die lustige Wittwe?
Abends sucht sie zusammen die Trauerkleider von Edda,
Schließt sie im Koffer weg und legt ihr modische Kleider
Hin vor das Bett. Was sollte am Morgen nun Edda beginnen?
Und sie fühlte die Pflicht, sich den Wünschen der Mutter zu fügen.
Als sie wieder sich zeigte in buntem und heiterem Kleide,
Da glich Edda dem Schmetterling, der soeben aus schwarzer
Puppe hervorgekrochen sich wiegt in den Lüften des Frühlings.
Und bald ward sie auch selbst von Schmetterlingen umgaukelt.
Aber wie sehr sich auch mühte der flatternde Schwarm der Verehrer,
Sie blieb spröde und kalt für alte und junge Bewerber.
Am Zureden der Mutter hat nicht es gelegen.
Manchmal musterte sie die jungen Männer der Gegend,
Welche sie würdig hielt, durch Edda's Hand zu beglücken, 79
Und sie wußte an Jedem gar manches zu rühmen. Doch Edda
Lächelte nur und sagte: »Ich glaube Dir, Mütterchen, gerne,
Was Du Liebes und Gutes erzählst von den Herren und zweifle
Nicht im Geringsten daran, sie sind vortreffliche Leute;
Aber ich mache mir nichts aus ihnen.« Das war denn ein kurzer,
Doch ein triftiger Grund und nicht leicht ihn zu bestreiten.
Mütterchen schüttelt' ein wenig den Kopf und schwieg auch ein Weilchen,
Doch dann fuhr sie fort mit verdoppeltem Eifer und sagte:
»Aber das kannst Du doch nicht von Focko Ukena sagen,
Daß Du den Herrn nicht magst, denn Du kennst ihn, Kind, ja noch gar nicht.
Hast ihn kaum noch gesehn und ein paar Worte gewechselt.«
Focko Ukena war der Sohn und der einzige Erbe
Eines beträchtlichen Hofes, der nah an dem Siel in der Marsch lag,
Und war erst vor Kurzem von Reisen zu Hause gekommen
Anzutreten das Gut, und er stach in die Augen der Wittwe.
»Focko ist, wie man sagt, Ostfrieslands tüchtigster Landwirth,
Hat er doch eifrig studirt in Eldena oder was weiß ich,
Und ist dann auf Reisen gegangen. Er brachte aus England
Ayreshire-Kühe sich mit. Das ist die vortrefflichste Rasse,
Schwarz und weiß gefleckt, und man freut sich schon an dem Anblick.
Einen geräumigen Stall hat Focko gebaut für die Rinder,
Und so sauber und blank, man könnte küssen den Boden.
Und dort kirnet man nicht mit der Hand; im Kreise herumgeht
Immer ein Pferd und hält im Gange die Buttermaschine.
Rastlos ist er bemüht sein Gut in die Höhe zu bringen.
Und erst seine Person! So stattlich, so höflich, so vornehm!
Aber ich will ihn nicht loben, das hilft ja, Edda, bei Dir nicht, 80
Denn Du gleichst mit Erlaubniß den Ferkelchen, will man am Schwanz sie
Rückwärts ziehen, so streben sie quiekend, sich sträubend mit Leibes-
Kräften nach vorn und laufen davon in der anderen Richtung.«
Ihr entgegnete drauf die verständige Edda und sprach so:
»Mutter, Du sagtest, Du wolltest nicht Focko Ukena loben
Und hast doch, wie mir deucht, ihn mit vollen Backen gepriesen.«
»Nun, er verdient auch das Lob, das alle Leute ihm spenden,
Und ich will Dir was sagen – Nun, Eddachen, spitze die Ohren!
Focko hat, Liebste, auf Dich ein Auge geworfen. Er sagte:
›Sie ist die schönste und auch die gebildetste Dame des Ortes.‹«
»Das hat Focko gesagt? Sobald nur Jemand zu meinen
Gunsten ein Wörtlein sagt, so bildest Du, Mutter, Dir gleich ein,
Daß er den Rock sich bürste und Glanzhandschuhe sich kaufe,
Um als Freiersmann bei uns in die Thüre zu treten.
Und wer weiß, ob es wahr ist. Man sagt im Orte so Manches.«
Eifrig erwiderte ihr, mit der Hand abwehrend, die Mutter:
»Aber ich hab' es ja, Kind, aus der zuverlässigsten Quelle;
Denn mir hat es die Kaufmannsfrau am Markte berichtet,
Und der hat es ihr Bäschen erzählt. Du kennst ja die Folke,
Andergeschwister Kind; sie erfuhr es in der Aptheke,
Als sie dort vorsprach, um sich Räucherpulver zu kaufen,
Oder ob Magenmorsellen es war? Der Provisor erzählt' es
Und der hat es gehört von der jungen Tochter des Hauses,
Und der ward es vertraut von Focko's eigener Schwester.
Also siehst Du, es kommt aus der lautersten, sichersten Quelle.
Kind, ich weiß, was ich weiß. Auch hat ja Focko versucht schon
Anzubändeln mit uns. Wir möchten die Ehre ihm schenken
Ihn zu besuchen, so sprach er, um Haus und Hof zu besehen. 81
Aber wir werden uns nicht wegwerfen, Edda, was meinst Du?
Erst muß Focko bei uns aufwarten. So will es sich schicken.«
Kaum war gesprochen das Wort, so trat ein Knecht in die Stube,
Focko Ukena's Knecht mit der Kiep' auf dem Arme und sagte:
»Eine Empfehlung vom Herrn, er erlaube sich etwas zu schicken.«
Und was zog er hervor aus der Kiepe? Den riesigsten Hummer,
Sechs Pfund schwer, und die Scheeren mit Moos und Muscheln bewachsen.
Zappelnd zeigt er ihn auf, vor den Scheeren sich hütend. Von Farbe
Dunkelbraun, obgleich ein französischer Dichter den Hummer
Cardinal der Meere benannt; denn er hatte das Seethier
Wohl nur gesotten gesehen, wo hochroth Hummer und Krebs sind.
Während die Frauen das mächtige Thier, das kräftig die Glieder
Regte, mit Staunen besahn, doch ohne zu nahe zu kommen,
Klopft es und tritt Herr Focko herein, von der Wittwe bewillkommt,
Welche die Hand entgegen ihm streckt und ihn also begrüßet:
»Ei! Schön Dank! Doch wie kommt Ihr dazu, mir den Hummer zu schenken?«
»Habt Ihr vergessen, geehrteste Frau,« so entgegnete Focko,
»Was Ihr neulich gesagt? Ihr äßt nichts lieber als Hummer,
Welchen Ihr kennen gelernt bei Eurem Besuche in Hamburg.
Leider leben die Hummer ja nur an Felsengestaden,
Und wir müssen ihn hier, an der sandigen Küste, entbehren.
Doch er ist gestern gerathen den Fischern von Baltrum ins Schleppnetz,
Jener gewaltige Kerl. So verschmäht nicht die kleine Verehrung.«
»Ei, wie aufmerksam und gefällig!« so sagte die Wittwe,
»Wüßt' ich nur gegengefällig zu sein.« Ihr entgegnete Focko: 82
»O, nichts leichter als das: beehrt uns mit Eurem Besuche.«
Nun, man konnte doch nicht unhöflich sein, und so erschienen
Mutter und Tochter denn bald im benachbarten Hof auf dem Marschland.
Freundlich empfingen den lieben Besuch die Geschwister von Focko,
Während er selbst auf dem Felde die Sämaschine probirte,
Aber sie sandten nach ihm und mit freudegerötheten Wangen
Kam er eilig herbei, willkommen heißend die Frauen.
Und sobald sie ein wenig erquickt nach der Mühe des Weges,
Galt es das Haus und den Hof und die Landwirthschaft zu besehen.
Mehr wird nicht in der sächsischen Schweiz bewundert der Kuhstall,
Als hier Focko's Bau, wo achtzehn prächtige Kühe,
Sechs Ayreshire darunter, des reichlichen Futters sich freuten.
Dann ward der butternde Rappe beschaut und die räumige Kammer,
Wo man die schäumende Milch ausschüttet in gläserne Satten,
Dicht aneinander gereiht, und es geht ein fließendes Wasser
Mitten hindurch und erhält stets kühl und luftig das Milchhaus.
Pferde und Schafe besah man sodann und sämmtlichen Viehstand,
Bis zu den Hühnern und Tauben herab und dem kollernden Truthahn,
Der schrammt über das Pflaster des Hofs mit gespreiztem Gefieder.
Dann ward Haken und Pflug und die Ackergeräthschaft besichtigt,
Unermüdlich ist Edda in Fragen und ruht nicht, bis daß sie
Jegliches Werkzeug kennt und weiß, wozu es gebraucht wird. 83
Focko lachte das Herz im Leib bei dem innigen Antheil,
Welchen die Holdeste nahm an jedem Geschäfte des Landmanns.
»Ist sie nicht,« rief er begeistert nachher, »die geborene Landfrau!«
Auch am heitersten Tag geht unter die Sonne. Den ersten
Stern sah blinken man schon am Himmel. Ihn schauen mit Freuden,
Wenn sie lange gefastet, die Juden, sie dürfen dann wieder
Speise genießen und Trank. Ungern nur erblickte ihn Focko,
Denn nun ließen zurück nicht länger die Frauen sich halten,
Die vom Nachhausegehen schon zweimal hatten gesprochen.
Focko und beide Schwestern begleiteten sie bis zur Feldmark.
Und nachdem sie versprechen gemußt bald wiederzukommen,
Schritten in stillen Gedanken nun Mutter und Tochter der Stadt zu.
»Nun,« so unterbrach am Ende das Schweigen die Mutter,
»Edda, was sagst Du zu Focko? Ist das nicht ein Mann, wie er sein soll?«
Edda erwiderte drauf: »Man kann nichts gegen ihn sagen.«
Das war nicht für die Mutter genug. »Warum denn so mundfaul?
Fertige mich doch so kurz nicht ab. Was hat denn für einen
Eindruck Focko gemacht auf Dich?« »Nun,« sprach sie, »den besten.
Und ich muß es gestehn, ich habe noch Keinen gefunden,
Welcher so große Aehnlichkeit hat mit Remmer wie Focko.«
Damit wußte die Mutter genug und fragte nicht weiter.
Und es erfüllte sich Alles, wie sie es im Geiste voraussah.
Hochzeit wurde mit Pracht und Herrlichkeit wieder gefeiert,
Wozu Berge von Kuchen die lustige Wittwe gebacken.
Fröhlich wurde wie früher das freundliche Haus in dem Siele
Und bald war es belebt vom Geschreie der blühenden Enkel.

 


 


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