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Notizen

 

Dezember 1913

Ein Klagelied

Der von mir, ich kann und will es nicht leugnen, gewiß persönlich und an der empfindlichsten Stelle angegriffene und schwer verletzte Richard Moses Meyer hat – freilich ehe er das letzte Heft der Fackel zu Gesicht bekommen hatte, wo ich ihm also neuerlich an den Leib rückte – im ›Kunstwart‹ den folgenden Klagelaut ausgestoßen:

... Gewiß, – wie jede redliche Arbeit von denen, die ihren Sinn nicht verstehn, immer verachtet worden ist, so hat auf uns der große Karl Kraus in Wien – ich habe es seit heute morgen schriftlich, daß das nächste Jahrhundert nach ihm heißen wird – das Wort gemünzt, Literaturgeschichtschreibung sei Unfähigkeit zum Journalismus; ein Wort so originell wie es seine Aussprüche fast alle sind, denn es ist ja nur eine Variation der Wendung von den Journalisten als Leuten, die ihren Beruf verfehlt haben ...

M. scheint also einen Brief gekriegt zu haben. Natürlich hat er vollkommen recht mit der Behauptung, daß ich nur bereits vorhandene Aussprüche variiere. Nie war dies mehr der Fall als in dem Wort über die Literarhistoriker. Diese haben ich wollte wirklich nur variieren – sogar den Beruf zum Journalisten verfehlt, und indem ich es sagte, wiewohl es auch ohne das Bismarckwort bestehen kann, profitierte der Witz von dem Wissen um dieses Wort. Die Assoziation, die sich bei der Wendung »Unfähigkeit zum Journalismus« einstellt, lautet, um es dem M. ganz begreiflich zu machen: »Journalismus = Unfähigkeit zu«. Als ich den gekränkten Tadel des M. las, freute ich mich, wie richtig er den Zusammenhang erfaßt hatte. Aber ich wußte noch nicht, woher er's wußte. Erst als ich jüngst in Berlin, eben dort, wo der Richard Moses Meyer seine Professur betreibt, mit seiner Kastrierung einen starken Achtungserfolg erzielte – die Leute wollten noch mehr haben und es dürfte selten noch vorgekommen sein, daß man nach einer Kastrierung viermal gerufen wird –, erst im Vorlesen also entdeckte ich hocherfreut eine Stelle, in der ich den vom M. zitierten Aphorismus gleichsam kommentiert hatte. Daß Literaturgeschichte die Unfähigkeit zum Journalismus sei, hätte ihn so im allgemeinen vielleicht gar nicht alteriert. Aber eben im Zusammenhang mit ihm selbst hatte ich geschrieben:

... was sie mit halbem Ohr aufgeschnappt haben. Ich werde ihm noch die Hälfte nehmen, diesem M.! In ihren Literaturgeschichten haben solche Individuen, die sogar den Beruf des Journalisten verfehlt haben, den Drang ...

Hier stehts also ganz ausdrücklich, und man sieht, daß ich wirklich bei der Betrachtung der Literarhistoriker vom Bismarckwort gar nicht loskomme, wiewohl doch dieses auf die Journalisten und nicht auf die Literarhistoriker geht. Der Meyer hat recht. Aber er reize mich nicht, im Büchmann nachzusehen. Er kann nicht wissen, wieviel Zitate es gibt, die ich noch für ihn herrichten kann. Er selbst, der Meyer, ist ja auch schon vorhanden, in hunderttausend Exemplaren; was wäre er, wenn ich ihn mir nicht schmackhaft machte? Seitdem es ihn gibt, ist das Leben furchtbar monoton geworden. Es wäre rein nicht auszuhalten, wenn ich nicht auch auf der Welt wäre und mir nicht zum Leibspruch das bereits vorhandene Wort: Variatio delectat gewählt hätte. Aber – bitte – diesmal nicht weiter sagen! Ich bin ganz unselbständig. Alles, was einem andern einfällt, ist imstande, mir wieder einzufallen. Und es ist kein Ende. Am besten, man fängt sich mit mir nichts an – wie die Leute sagen, die den Beruf haben, den die Journalisten verfehlt haben, deren Beruf die Literarhistoriker verfehlt haben.

Ein Kulturdokument

Welche kaum vorstellbaren Möglichkeiten das Sudelgewerbe bietet, zeigt die Affäre, die sich an die Sammlung für Else Lasker-Schüler geknüpft hat. Ist es ausdenkbar, daß in derselben Stunde, in der ich am Schreibtisch saß, um die Lüge zu zerstören, einer in Berlin, der dem Fall doch näher wohnt, am Schreibtisch saß, sie zu unterstreichen? Am 17. November erschien in der Fackel eine Notiz, die jetzt wiederholt werden muß, um bei den Schuldigen die Scham zu wecken und bei den Zeugen das Gefühl für die Schamlosigkeit:

Zu meinem psychoanalytischen Abenteuer sei mitgeteilt, daß nicht nur in dummen Witzblättern – in nichtwissenschaftlichen –, sondern auch in der ›Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller‹ lange nach der Aufklärung durch die Fackel, die Notiz fortwuchert: ›Für Else Lasker-Schüler hatte ein Komitee von klangvollen Namen (Pauline Fürstin zu Wied, Helene Fürstin Soutzo, Selma Lagerlöf, Karin Michaelis, Richard Dehmel, Karl Kraus, Adolf Loos, Peter Nansen, Prof. Walter Otto und Arnold Schönberg) einen Aufruf erlassen. Das Ergebnis waren 11 Mark 5 Pf. Man wird diese Ziffer als ein Kulturdokument nicht vergessen dürfen.‹ – Der Aufruf war zuerst auf dem Umschlag von Nr. 366/67 der Fackel erschienen und ging von da in die Tagespresse außerhalb Wiens über. Sechs Wochen später ergab die Sammlung 4660 Kronen und in Nr. 370/71 wurde mitgeteilt, daß der Scherz durch die Tölpelhaftigkeit einer Berliner Zeitung entstanden war, welche die Summe von 11 Mark, die ihr übermittelt wurde, besonders und auffällig ausgewiesen hat, anstatt den Empfang den Spendern brieflich zu bestätigen und stillschweigend die Summe der Sammelstelle (Prof. Otto) zu überweisen. Drei Monate später – viel dürfte wohl nicht mehr hinzugekommen sein – taucht die Notiz im Fachblatt der Schriftsteller auf. Es weiß somit von der Existenz der Fackel genau so viel wie das im gleichen Verlag erscheinende ›Literarische Echo‹. Das deutsche Publikum, das die Wortführer dieser Fachjournalistik füttert, hat sich ja im Fall Lasker-Schüler nicht sehr angestrengt. Aber Ziffern, die sich berichtigen lassen, sind immerhin noch bessere Kulturdokumente als Zeitschriften, die die Wahrheit durch die Lüge berichtigen.

Am 15. November erschien im ›Geistigen Eigentum‹ (Zeitschrift für Literatur und Pressewesen, Organ des Deutschen Schriftsteller-Verbandes, des Journalisten- und Schriftsteller-Vereins Urheberschutz, sowie des Deutschen Schriftstellerinnen-Bundes, mit der Beilage ›Der Bunte Abend‹: Organ der Vortrags-Vereinigung Deutscher Künstler, Charlottenburg, X. Jahrgang, Heft 4) diese Notiz:

Ein Kulturdokument. In einer Schriftstellerzeitung findet sich folgende Mitteilung: »Für Else Lasker-Schüler hatte ein Komitee von klangvollen Namen einen Aufruf erlassen. Das Ergebnis waren 11.05 Mark. Man wird diese Ziffer als ein Kulturdokument nicht vergessen dürfen.« – »Das ist«, so schreibt dazu der › Türmer‹, »in der Tat ein Kulturdokument, aber in einem etwas anderen Sinne, als die Veröffentlicher meinen. Es zeugt: 1. Wie vollkommen gleichgültig die Gesamtheit des Volkes diesen Kaffeehausberühmtheiten gegenübersteht, die einem als Kulturbildner aufgeschwatzt werden sollen. Daß diese die »maßgebende Kritik« darstellenden Herrschaften zwar sehr freigebig mit Lorbeer, aber um so knauseriger mit ihrem Geldbeutel sind. Denn wenn die kritischen Lobhudler der Lasker-Schüler sich auch nur mit bescheidenen Gaben an der Spende beteiligt hätten, wäre ein anderes Ergebnis zustande gekommen. 2. In noch höherem Maße, als für die kritischen Lobredner, gilt das eben Gesagte für die Unterzeichner des Aufrufs. Es ist ja wunderbar bequem, andern Geldopfer als Kulturpflicht hinzustellen, sich selber aber mit einer Namensunterschrift zu begnügen, durch die man noch der eigenen Eitelkeit frönt. – Endlich aber offenbart sich hier aufs schroffste, welch roher und grober Unfug es ist, die Öffentlichkeit mit Dingen zu belästigen, die sie nichts angehen. Die Schriftstellerorganisationen sollten es sich zur Aufgabe machen, alle derartigen unwürdigen Betteleien unmöglich zu machen, statt sie noch zu unterstützen; denn nichts kann den Stand so schwer schädigen, wie diese Almosengesuche an die Allgemeinheit, die dadurch nicht besser werden, daß sie in hochmütigem Tone vorgetragen werden.« Diese Ausführungen des ›Türmer‹ können wir Wort für Wort unterschreiben; sie decken sich zum Teil mit unseren Ausführungen über den »geschminkten Stil«. Wir müssen uns dagegen wehren, daß uns Autoren, die ihre Talentlosigkeit mit krausen Worten aufputzen, die kein Mensch zu verstehen vermag, als Genies aufgeschwatzt werden. Der Vorgang zeigt auch, daß das deutsche Volk, das sich noch immer für Schiller, Goethe, Lessing, Uhland, Kleist, Heine begeistert, von den modernen Kaffeehausdichtern nichts wissen will. Das zeugt von dem gesunden Urteil des deutschen Volkes, das im übrigen nicht nötig hat, gerade bei dieser Gelegenheit seine Freigebigkeit und Opferwilligkeit zu dokumentieren. Diese Opferwilligkeit hat es hundertfach bei großen würdigen Aufgaben bewiesen. Hier hat es eine Forderung abgelehnt, die gar nichts mit der Kunst und nichts mit den Interessen des deutschen Volkes zu tun hat, und die auch literarische Kreise ganz richtig als unwürdige Bettelei empfunden haben.

Was den ›Türmer‹ betrifft, der ehedem nach einem Tauschexemplar der Fackel ausgelugt hatte, so habe ich das seine wegen Langweile zurückgeschickt. Daß er auch frech sein kann, habe ich bei flüchtigem Gähnen nie bemerkt. Er ist eine der allerdümmsten deutschen Revuen und es ist natürlich ganz gleichgültig, wie er und seine »literarischen Kreise« über Else Lasker-Schüler denken. Es ist auch gleichgültig, daß er sich über die 11 Mark, die er einem witzigen Schmock geglaubt hat, seine Gedanken macht. Da ein anderes Ergebnis zustandegekommen ist, so sind seine Betrachtungen darüber, daß ein anderes Ergebnis zustandegekommen wäre, wenn die Lobhudler mehr gespendet hätten, überholt. Aber für die Bemerkung, daß es wunderbar bequem sei, »sich selber mit einer Namensunterschrift zu begnügen, durch die man noch der eigenen Eitelkeit frönt«, muß er eins auf die Gosche bekommen. Er kann ja noch immer nicht wissen, ob und wieviel die Unterzeichner gespendet haben, es ist auch nicht nötig, es ihm auf die Nase zu binden, aber mit jenen Spenden, die ich für ein Lügenmaul bereit habe, bin ich gar nicht knauserig, sondern sehr freigebig, das kann er mir glauben. Von dieser Opferwilligkeit lasse ich gern auch etwas dem Fachblatt zukommen, das nicht anders kann, als die Ausführungen des ›Türmer‹ Wort für Wort zu unterschreiben. Schreiben kann es nicht, aber eine Lüge unterschreibt es gern und einen Aufruf für einen Dichter unterzeichnet es prinzipiell nicht. Es ist ja auch hier wieder ganz gleichgültig, wie solche Knechte über eine Lasker-Schüler denken und ob ein Wisch, der im ›Bunten Abend‹ Verse von Kaffeeschwestern bringt, einen Dichter unter die Kaffeehausdichter rechnet. Aber die unvergängliche Dreckigkeit, die in dem Glauben warm wird, daß das deutsche Volk seine Künstler verhungern läßt, es darin bestärkt und ganz gewiß entsetzt sein wird, zu erfahren, daß dies nicht einmal der Fall ist und daß für Else Lasker-Schüler fast 5000 Mark zustande gekommen sind – die ist schon kein »Kulturdokument«, sondern ein Fibelstück. Von solchem Pöbel, der die Interessen der deutschen Schriftsteller und Schriftstellerinnen schützt, ist nicht zu erwarten, daß er eine Lüge freiwillig berichtigt, und es wäre schade um die Mühe, ihn zur Berichtigung zu zwingen. Es genügt, daß der Fall als eine Aussage über den Stand deutscher Sitte und deutschen Geistes von 1913 aufbewahrt wird. Was hier vorliegt, ist Deutschlands geistiges Eigentum. Was hier beiliegt, ist Deutschlands bunter Abend.

Übereinstimmungen

Es gibt auch erfreuliche Übereinstimmungen. An dem Tage (17. November), an dem mein Satz im Druck erschien:

... Nur so kann er, was nicht vorhanden ist, behaupten: sein Ich. Helden und Heilige darfs nicht geben, weil sonst am Ende der Schleim lebensüberdrüssig würde. Das Weibmaterial, das in einer Zerfallszeit nicht mehr imstande ist, Anmut zu bilden, fliegt in der Welt herum und taugt eben noch dazu, sich am Manne zu rächen. Das Weib analysiert den Mann, die Intelligenz den Geist, immer sie, weil sie nicht ist wie er. Und ihre Rache heißt: er sei wie sie.

erschien von Altenberg um 6 Uhr abends der Satz:

Jeder Mensch rächt sich an dem anderen für das, was an ihm unzulänglicher ist! Der Dicke an dem Dünnen, der Rohe an dem Sanften, der Langnasige an dem Stumpfnasigen, der Krummrückige an dem Geradrückigen! Und die Frau?! Die rächt sich überhaupt. An dem Mann, daß sie eine Frau ist!

Und noch erfreulichere Übereinstimmungen. An dem Tage (17. November), an dem ich den schwachen Versuch machte, die Individualität eines Adjektivkünstlers nachzuzeichnen, erschien um 6 Uhr abends ein leidenschaftlicher, taumelnder, lodernder, prasselnder, pittoresker und plastischer Unband von Adjektiven, gegen den meine Persiflage ein Schmarren ist und in dessen lärmendem, leuchtendem, glühendem, flammendem, monumentalem und musivischem Tumult eben noch zu erkennen war, daß vor Richard Dehmel noch nie »Menschliches, Allzumenschliches mit einer so grimmig ehrlichen Gebärde und nackten Offenheit« geschildert worden ist (so unbedingt, so schrankenlos und mit einer solchen Trunkenheit des Bekennens, Enthüllens, Verstehens etc.) und daß bei Dehmel »dieselbe scheue Redlichkeit des Sagens« ist wie bei Hans Sachs (die scheu und sorgsam wache, behütende, ratende, mahnende Männlichkeit, die fast etwas Mütterliches hat und immer etwas Greisenhaftes, einen Zug von klugem und resigniertem Über-den-Dingen-Stehen etc.). Freuen wir uns, daß es solche Übereinstimmungen und überhaupt so bunte Dinge noch gibt. Und täglich um 6 Uhr abends. Und gleich unter den Sätzen eines Altenberg. Und zwischen Berchtold und dem Wolf aus Gersthof. Und überhaupt.

 

Mai 1913


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