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Notizen

 

Juni 1906

Zwischen Ibsen-Essays von Karl Hauer und Frank Wedekind

Dieser Entlarvung eines berühmten Spiritisten stimme ich durchaus zu. Nur daß ich ausdrücklicher meine tiefste Verehrung bekunden möchte für den Dichter, der »Kaiser und Galiläer« und »Die Kronprätendenten«, »Brand« und »Peer Gynt«, »Frau Inger« und »Die nordische Heerfahrt« geschaffen hat – und dann hinging, um ein Rationalist des Wunderbaren zu werden, doch aus der nüchternsten Sache von der Welt, der Gesellschaftskritik, ein dramatisches Abracadabra zu machen. In jenen Zustand von Nichtberauschtheit zu verfallen, in dem man bereits weiße Pferde sieht, und als genialer Proktophantasmist ein Zeitalter zu schrecken. In faustischen Nebel, den eine seltene Wortkunst erzeugte, vermag die Phantasie des Betrachters ihre Gestalten zu stellen. Der Nebel eines modernen Ibsen-Dialogs ist uneinnehmbar, einer kahlen Gedankenprosa antwortet kein Echo jener Fjordwand, die einst des großen Dramatikers Ibsen große Kulisse war. »Und dann ist sie (die Wildente) auf dem Meeresgrund gewesen.« »Warum sagen Sie Meeresgrund?« »Was sollt' ich sonst sagen?« »Sie könnten sagen: Boden des Meeres – oder Meeresboden.« »Kann ich nicht ebenso gut Meeresgrund sagen?« »Ja, aber für mich klingt es immer so seltsam, wenn andere Leute Meeresgrund sagen.« Goethe: »Die Mütter sind es!« »Mütter!« »Schaudert's dich?« »Die Mütter! Mütter! – 's klingt so wunderlich!« Und doch wie anders! ... Aber ist's nicht auch wunderlich, zu sehen, wie sich das Vernunftgesindel der Tageskritik, wie sich alte Literaturprofessoren, deren psychologisches Verständnis gestern noch bis zur Enträtselung von Raupach und deren Modernität bis zur Genehmigung von Richard Voss reichte, plötzlich verständnisvoll um Ibsen bemühen? Da dürfen wir Jüngeren ehrlicher bekennen, daß wir vom Ibsen des bürgerlichen Dramas nicht viel mehr begreifen, als daß er der Apostel der Lehramtskandidatinnen geworden ist. Ein lebertraniger Moralist hat, soweit wir Zauberformeln verstehen, den Fortschritt der Menschheit in der geistig-sittlichen Belastung des Weibes erblickt und dem gedrückten »Weibchen« (Elvsted, Maja), in dem der echte Naturwille seine Erfüllung findet, jene Homuncula, die nur mehr der Trieb zu übersinnlichen Freuden gefährdet, gegenübergestellt; hat den Zwang, Puppe zu sein, als ein Problem der Frau erfaßt und nicht das Recht, Puppe zu sein. Er steht am Ende einer langen Reihe von Dramatikern, für die »Mann und Weib eins« sind und die, wenn sich ein Konflikt ergibt, den dramatischen Knoten aus dem verlorenen Jungfernhäutchen knüpfen. Er ist einer, der den Unterschied der Geschlechter so begreift, daß er die männlichen Eigenschaften auf die Frau überträgt. »Worauf es ankommt, das ist die Revolutionierung des Menschengeistes.« Aus dem Germanisch-Christlichen etwa ins Christlich-Germanische. Mit Wahrheit, Freiheit und Lebertran! Es gilt »Adelsmenschen« zu erschaffen. Hoffentlich werden sie auf das Ordensband des Herzogs von Meiningen nicht wenig stolz sein.

 

Juni 1907

Herr Harden, der Zitatenreiche, druckt unter einem Essay von Hedwig Dohm über Frauenlyrik einige Sätze von Luther, Rousseau, Goethe und Jean Paul ab, die das Lob weiblicher Handarbeit in der Dichtkunst in nicht unpassender Weise entwerten. Luthers starkes Wort: »Wenn Weiber wohlberedt sind, das ist an ihnen nicht zu loben; es steht ihnen an, daß sie stammeln und nicht wohlreden können. Das zieret sie viel besser«, macht eigentlich auch alle Beredsamkeit der Männer über das Weib überflüssig. In unklar zusammengestellten Zitaten aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe verblüfft eine Bemerkung, die Goethes Arzt, Hofrat Rehbein, fallen läßt und die wie eine Ahnung modernster Erkenntnisse vom Uterus anmutet. Herr Harden zitiert sie unvollständig, weil er die Bedeutung solcher Erkenntnisse geringer einschätzt als die Bedeutung der Marokko-Konferenz. Die Stelle lautet vollständig: »Das Gespräch kam nun auf die Dichterinnen im allgemeinen, und der Hofrat Rehbein bemerkte, daß das poetische Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine Art von geistigem Geschlechtstrieb vorkomme. ›Da hören Sie nur‹, sagte Goethe lachend, indem er mich ansah, ›geistigen Geschlechtstrieb! – wie der Arzt das zurechtlegt!‹ – ›Ich weiß nicht, ob ich mich recht ausdrücke‹, fuhr dieser fort, ›aber es ist so etwas. Gewöhnlich haben diese Wesen das Glück der Liebe nicht genossen, und sie suchen nun in geistigen Richtungen Ersatz. Wären sie zu rechter Zeit verheiratet und hätten sie Kinder geboren, sie würden an poetische Produktionen nicht gedacht haben!« Goethe sagt dann: »Ich will nicht untersuchen, inwiefern Sie in diesem Fall (Therese von Jakob, Übersetzerin serbischer Volkslieder) recht haben; aber bei Frauenzimmertalenten anderer Art habe ich immer gefunden, daß sie mit der Ehe aufhörten. Ich habe Mädchen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber sobald sie Frauen und Mütter wurden, war es aus; sie hatten mit den Kindern zu tun und nahmen keinen Griffel mehr in die Hand.« Freilich, nie sollte man ein der Frauenrechtlerei feindliches Bekenntnis durch Goethes prächtige Absage an die Männer auszugleichen versäumen: »Man hatte die gelehrten Weiber lächerlich gemacht und wollte auch die unterrichteten nicht leiden, wahrscheinlich, weil man es für unhöflich hielt, so viele unwissende Männer beschämen zu lassen.« Und – in der Ausführung des Rehbein'schen Gesprächs –: »Doch unsere Dichterinnen mögen immer dichten und schreiben so viel sie wollen, wenn nur unsere Männer nicht wie die Weiber schrieben! Das ist es, was mir nicht gefällt. Man sehe doch nur unsere Zeitschriften, wie das alles so schwach ist und immer schwächer wird!« Zum Beispiel die ›Zukunft‹. Dilettanten nämlich und Frauen, sagt Goethe, haben »von der Poesie sehr schwache Begriffe. Sie glauben gewöhnlich, wenn sie nur das Technische los hätten, so hätten sie das Wesen und wären gemachte Leute; allein sie sind sehr in der Irre.« Sie haben »von der Wichtigkeit der Motive in einem Gedicht keine Ahnung«. Und machen Gedichte, die »bloß durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln«. Der lyrische Hausarzt der ›Zukunft‹ ist Herr Dr. Salus, und die Rechtsanwälte des Herrn Harden, Suse und Sello, dichten bekanntlich gleichfalls. Und in derselben Nummer der ›Zukunft‹, in der Goethes Verurteilung der Frauenlyrik zitiert wird, ist eine Probe männlicher Verskunst enthalten: nicht weniger als vier Seiten Verse eines der beiden dichtenden Rechtsanwälte, und siehe, im Inventar dieser Poesie finden wir: Lothos, Narzissen, Jasmin und Orchideen, Elfenhände und Engelsschwingen, glühende Pokale und Weihrauchkessel, Altar und Orgel, einen Silberflor und ein blütenweiches Kissen und – beinahe hätte ich ihn vergessen – einen Sarkophag. Harden, der Unerschrockene, hat wohl nicht gefürchtet, daß seine Leser ihm die Absicht zutrauen könnten, Goethes Wort von den Männern, die wie die Weiber schreiben, in derselben Nummer zu erweisen.


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