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Neuerlicher Versuch einer Übersetzung aus Harden
So dornig der Pfad auch ist, der bildungshungrige Leser zum Verständnis dieser merkwürdigen Sprache führt, in der die geheimsten Zauber von Delphi und Grunewald aufzuklingen scheinen, der Übersetzer hat es sich zur Pflicht gemacht, nicht zu erlahmen, sondern die Deutschen durchaus zu jenem Genuß zu erziehen, auf den sie einen Anspruch haben: daß sie nämlich verstehen, was sie seit achtzehn Jahrgängen mit so lebhaftem Interesse lesen. Ist es denn nicht ein unerträglicher Zustand, daß einer die politischen Geschicke Deutschlands lenkt und die politischen Geschicke Deutschlands ihm aufs Wort parieren, ohne zu wissen, was das Wort bedeutet? Ist es nicht endlich an der Zeit, dem anerkannt ersten Publizisten Deutschlands zu der ihm gebührenden Stellung zu verhelfen? Indem es gelingen mag, seine gedankliche Leistung losgelöst von allen Eigentümlichkeiten formaler Natur dem Publikum zu bieten, wird auch der gemeine Mann in der Lage sein, die letzte Entscheidung über die sozialen und kulturellen Probleme der Epoche zu vernehmen, während dem Feinschmecker wieder die esoterischen Reize einer Sprache offenbar werden sollen, die niemand spricht, so daß er sie genießen und zugleich in angenehmer Entfernung erkennen wird, wie schwer das Leben ist. Auch diesmal aber muß der Übersetzer, der sich für andere plagt, Nachsicht für jene Stellen erbitten, wo unüberwindbare Hindernisse ihm den eindeutigen Ausdruck verwehrt oder gar noch größere Verlegenheit bereitet haben. Welches Deutschen Bildung wäre heute so ausgereift, daß er, namentlich in der Sommerfrische, immer jene Behelfe wie Zettelkasten, Brockhaus und so weiter bei der Hand hat, die nun einmal notwendig sind, um hinter die eleusinischen Mysterien eines politischen Leitartikels zu kommen? Wahrlich diese Sprache ist leichter erlernt als verstanden. Sie hat ihre Vorzüge und ihre Nachteile, und sie ist durch ihre chiffrierende Art, zugleich zu verkürzen und zu verwirren, dem Diplomaten ein quälender Zeitvertreib und dem Privatmann eine angenehme Tortur. Die Desperantosprache bietet wie keine andere die Möglichkeit, sämtliche Nationen auf dem gemeinsamen Boden gegenseitigen Mißverstehens zusammenzuführen. Wenn man zum Beispiel einem Japaner zuriefe: »Schälle täuben«, so würde er es unfehlbar für einen russischen Schlachtruf halten und sich zurückziehen; ein Russe würde sagen, es sei die Bezeichnung für einen hyperboreischen Volksstamm, der bei der Völkerwanderung zurückgeblieben ist; ein Hyperboreer würde glauben, es sei deutsch; und ein Deutscher würde sich die Ohren zuhalten, womit er instinktiv das Richtige träfe, denn der Satz ist nicht nur abscheulich, sondern bedeutet nichts anderes als: »Gerüchte sind trügerisch«. Aber wer kann das sogleich wissen? Wer weiß, was ein Wort bedeutet? Wenn ich nicht einst dem Schöpfer dieser Sprache auf den Kopf zu gesagt hätte, daß der Satz »Strählt die Miauzer«, so viel bedeuten müsse, wie »Streichelt die Katzen!«, noch heute würde man in jenem Dunkel tappen, in dem zwar die Miauzer sehen können, aber nicht die, welche sie strählen sollen. Da diese Sprache heute nur einer ganz und gar beherrscht, so können die andern von Glück sagen, wenn sie ein Zipfelchen des Verständnisses erhaschen. Sie ist ein schweres Kleid von Brokat, das einer gezwungen ist schwitzend über den alltäglichsten Gedanken zu tragen. Diese zu enthüllen und in einem übertrieben alltäglichen Gewand, in dem sie sich wohler fühlen, zu präsentieren, soll nicht zuletzt der Zweck der philologischen Übung sein. Jeder mag aus ihr lernen, wie leicht es ist, eine schwer verständliche Sprache zu sprechen, und daß nur die liebe Not ein so prunkvolles Leben fristet. Freilich ist neben dem Mangel an Humor und Temperament auch eine gewisse Ausdauer und Zähigkeit des Charakters erforderlich. Anfänger, die den Ehrgeiz haben, sich im Desperanto zu vervollkommnen, seien darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht genügt, sich einige ausgestopfte Banalitäten anzueignen, sondern daß auch die Erwerbung eines Zungenfehlers unerläßlich ist. Schwerer als das viele Neue, das sie zulernen müssen, wird es ihnen ankommen, in den wichtigsten Augenblicken ihres Lebens auf das »s« zu verzichten, zum Beispiel beim Zeugungakt. Ich warne Neugierige. Der Meister selbst, dem sie nacheifern, ist einmal an einer der größten Schwierigkeiten, die sich ihm bei seinem Neuerungwerk entgegenstellten, gescheitert. Er hatte schon für alle sprachlichen Skrupel, die sich ergaben, einen »Schwichtigunggrund« gefunden, und kein »s«, das nicht etwa der Genitiv mit sich brachte, wurde im Haushalt geduldet. Er war bei dieser asketischen Lebensweise fünfundvierzig Jahre alt geworden, alle Deutschen huldigten ihm, von den Regierungräten abwärts bis zu den Handlunggehilfen, und besonders diese. Da gratulierte ihm sein Dämon zum – Geburttag. Er brach zusammen. Denn das ging wirklich nicht. Nie hat er das Wort geschrieben. Sondern behalf sich mit Abkürzungen wie etwa: »der Tag, an dem der erste Blick ins Sonnenlicht sich jährt«, »die Wiederkehr der Stunde, die den heut zur Mannheit Emporgereckten ins Dasein rief«, und dergleichen. Nie hat er das Wort geschrieben. Es ist die geheime Tragik in seinem Leben ... Wen nur der Glanz seiner Sprache lockt und nicht ihre Schatten nüchtern, wen ihre Schälle täuben und nicht ihre Stöße schüttern, wen nur ihr Ruch tört und nicht ihr Stank stört, der folge mir getrost durch diesen Deutschungversuch.
Juli 1910