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Notizen

 

Mai 1913

Ein Brief

Die meisten Briefe, die im Verlag der Fackel geschrieben werden, haben durchaus keinen geschäftlichen Inhalt. Es sind Antworten an Einsender, deren Annäherung als schimpflich empfunden wurde, motivierte Entziehungen des Abonnements, wenn der Abonnent mit Berufung auf diese Würde sich zu weit vorgewagt hatte, Kündigungen des Freiexemplars an Redaktionen, die über die Pflicht hinaus, den »Inhalt« abzudrucken, zu einer Kritik übergegriffen hatten, Zurechtweisungen von Behörden, die sich für verpflichtet hielten, den Herausgeber von einem Abonnement auf die Fackel zu unterrichten, Verweigerungen von Nachdrucken mit Grundlegung zu späteren Haßausbrüchen und dergleichen mehr. Man sieht, es gibt auch im Verlag viel zu tun. Einer dieser Briefe lautet:

 

Wien, 24. April 1913.

An die Schriftleitung der Deutschen Tageszeitung, Berlin.

Ein Berliner Ausschnittbureau übersendet uns den Artikel, den Sie am 14. April über Peter Altenberg gebracht haben und der mit den Worten beginnt:

»Peter Altenberg, so schreibt Adolf Bartels im 18. Bogen seines deutschen Schrifttums, heißt eigentlich Richard Engländer.«

Sonst zitieren Sie keinen weiteren Ausspruch dieser Autorität, sondern gehen zu einem Nachdruck der Altenberg'schen Skizze »So wurde ich« über, in der des Anteils gedacht ist, den der Herausgeber der Fackel an der Publikation des ersten Altenberg'schen Buches hat, und die mit den Worten schließt: »Und was bin ich geworden?! Ein Schnorrer!« Dazu schreiben Sie: »Nun, Peter mag sich trösten, das ist ein guter alter jüdischer Beruf. Uns Deutsche interessiert an der Skizze vor allem, wie die Juden ihrem Rassegenossen helfen. Die sechs älteren »Werke« von Peter Altenberg haben inzwischen die 7., 4., 3., 4., 4., 3. Auflage erlebt, obschon er als Schriftsteller eigentlich »parlamentarisch« kaum zu charakterisieren ist. Man höre noch zwei Aphorismen von Peter Altenberg: ...«

Daß Sie zwei Aphorismen von Peter Altenberg nicht verstehen und sich überhaupt unfähig fühlen, ihn als Schriftsteller parlamentarisch zu charakterisieren, würde uns natürlich nicht aufregen und gewiß nicht Stoff zu einem Brief an Sie geben. Was uns, den Verlag der Fackel, interessiert, ist nur die Stelle Ihrer Notiz, wo Sie sich erdreisten, das Eintreten des Herausgebers der Fackel für Peter Altenberg als die »Hilfe der Juden für ihren Rassegenossen« darzustellen. Es kann natürlich nicht unsere Sache sein, Ihnen eine bessere Ansicht über diesen Punkt beizubringen oder Ihnen zu versichern, daß jede Zeile, die Sie und jedes deutsch-antisemitische Blatt je geschrieben haben, jenem jüdischen Drang verwandter war als die Erkenntnis, aus der der Herausgeber der Fackel für Peter Altenberg eintritt, ganz abgesehen davon, daß die Sprache Altenbergs deutscher und sein Inhalt christlicher ist als sämtliche Jahrgänge, die sämtliche deutsch-christlichen Schriftleiter Deutschlands und Österreichs bisher zusammengeschrieben haben. Sie würden's ja doch nicht glauben und beweisen läßt sichs nicht so leicht wie die Konfession. Was uns aber interessiert, ist die Tatsache, daß Sie jene Bemerkung über den Herausgeber der Fackel denselben Lesern vorsetzen, denen Sie durch Jahre in eindringlichen Hinweisen und geradezu begeisterten Notizen die Lektüre der Fackel, wohl zur Aufklärung über die Verworfenheit der jüdischen Presse, empfohlen haben. Nun würde uns dieser Wechsel der Gesinnung nicht besonders aufregen, da wir die Verworfenheit der Presse ohne rassenmäßige oder konfessionelle Nuancen ins Auge fassen und nie daran gezweifelt haben, daß sich die antisemitische Presse von der jüdischen zu ihren Gunsten höchstens durch die geringere Geschicklichkeit unterscheidet. Auch ist der Herausgeber der Fackel der Ansicht, daß die deutsche Treue, jedenfalls insofern sie von den deutschen Schriftleitern strapaziert wird, an Wert hinter der ärgsten jüdischen Pofelware nicht zuweit zurücksteht, und er hat auf die Beständigkeit einer nationalen Anhängerschaft noch nie übertriebene Hoffnungen gesetzt. Das alles ist uns also gleichgültig, und Ihr Tadel kann uns so wenig anhaben wie Ihre Komplimente. Was uns ausschließlich angeht, ist das geschäftliche Verhältnis, in dem wir, wie sich zu unserer Beschämung herausstellt, zu Ihnen stehen und das natürlich nicht durch ein Urteil, wohl aber durch eine Unsauberkeit alteriert werden kann. Es besteht darin, daß Sie von uns ein Freiexemplar ständig erhalten, welches Sie seinerzeit erbeten haben und das Ihnen im Sinne einer rein administrativen Übung bewilligt wurde, der die kostenlose Propaganda unserer preßfeindlichen Absichten durch die Presse nicht unerwünscht war. Für das Freiexemplar haben Sie die Verpflichtung übernommen, den »Inhalt« der Fackel abzudrucken. Diese Verpflichtung haben Sie wiederholt durch ungeschickte Nachdrucke von Aufsätzen überboten, deren Erlaubnis Ihnen gegeben oder von Ihnen genommen wurde. Wir erinnern uns, daß Ihnen sogar einmal der honorarfreie Abdruck einer umfangreichen Satire »Der Fortschritt«, ausnahmsweise (unter der Bedingung sorgfältigen Druckvergleichs) gestattet wurde. Dies alles bringen wir aber nicht etwa vor, um Ihnen zu beweisen, daß die Schnorrerei nicht nur ein guter alter jüdischer Beruf ist. Wir wollen Ihnen bloß bekanntgeben, daß wir künftig nicht gesonnen sind, undankbaren Vertretern dieses Berufes entgegenzukommen, und darum das Freiexemplar einstellen. Sie mögen sich dann mit Recht darüber beklagen, daß die Juden den Angehörigen einer fremden Rasse nicht helfen wollen.

Der Verlag der Fackel.

 

Geteilte Ansichten

Die Ansichten der ›Frankfurter Zeitung‹ über mich sind geteilt. Da läßt sie einen schreiben:

... der ganze Horizont eines Menschen unserer Zeit ... ist durch die tausenderlei Anzeigen, Inserate und Plakate mitgebildet. Deshalb durfte auch der Satiriker Karl Kraus einen seiner stärksten und schärfsten Essays »Die Welt der Plakate« nennen. Indem er die mehr oder minder klug, mehr oder minder geschmackvoll, mehr oder minder aufdringlich, mehr oder minder grotesken Reklamemethoden in einer Art von Phantasmagorie als Welt für sich zeigt, übt er so bittere, aber tiefgehende Kritik an der Welt der »Wirklichkeit«.

Tagszuvor aber hat Herr Ganz, der Wiener Korrespondent, geschrieben:

... ein Autor, der Mitarbeiter der ›Neuen Freien Presse‹ ist, hat gegen alle die Feindseligkeiten zu kämpfen, die diesem Blatte im Laufe der Jahre mit Recht oder Unrecht erwachsen sind. Der Wiener Bildungsmob teilt sich gegenwärtig in zwei Lager, in solche, die noch auf die ›Neue Freie Presse‹, und solche, die schon ebenso blind auf Karl Kraus schwören, und die Literaten in solche, die sich mehr vor der ›Neuen Freien Presse‹, und solche, die sich mehr vor Kraus fürchten. Solchen Leuten ist ein Autor und sein Werk ausgeliefert, namentlich ein neuer Mann, der noch keinen Auslandskredit hat und für den die Aufnahme, die er in Wien findet, fast ein Lebensschicksal bedeuten kann.

Es sollte mir außerordentlich leid tun, wenn der Glaube, den ich bei einem Teil des Wiener Bildungsmobs schon finde, und die Furcht, die ein Teil der Literaten vor mir hat, der Karriere des Herrn Sil Vara geschadet haben. Aber ich kann nur versichern, daß ich nichts dafür kann. Nie habe ich Wert darauf gelegt, den Wiener Bildungsmob den Armen der Neuen Freien Presse zu entreißen, umsoweniger, als er sich von dem, der auf die Frankfurter Zeitung schwört, nicht wesentlich unterscheidet, und mir, der nicht Machtbestände verrücken will, verwachsen Bildungsmob und Presse zu einem einzigen Vollbart, der auch das Antlitz des Wiener Korrespondenten der Frankfurter Zeitung zieren kann. Aber noch die Ansichten dieses Ganz über mich sind geteilt, denn er hat mich ehedem mit Lichtenberg verglichen und nennt mich jetzt eigentlich einen Schmarotzer an Snobismus und Feigheit. Daß die Furcht vor mir noch keinem Literaten bei mir genützt hat, weiß jeder Literat. Furcht ist im Gegenteil eine Fährte, und jeder trachtet nicht so sehr mir aus dem Weg zu gehen, als mich aus seinem Wege zu bringen. Ich lege ja auch in der Tat viel weniger Wert darauf, daß die Herren mich grüßen, als daß sie keine Schweinereien machen. Furcht ist so verfehlt wie Unerschrockenheit, die Wiener Briefe schreibt. Man kann auch furchtlos Dummheiten begehen. Und ich werde es schon noch dahin bringen, daß die Herren, die das Ausland bedienen, so unreinen Mund über mich halten, wie die Landsleute. Das wäre das weitaus Vernünftigste. Ich werde jede Entstellung und Beschmutzung des Bildes der Fackel in jedem einzelnen Falle nachsichtslos verfolgen. Die Behauptung, daß der halbe Bildungsmob auf mich so blind schwört wie der andere auf ein korruptes Tagblatt, wird von fremden Lesern zu der Vorstellung ergänzt, daß mein Werk ebenso ein Opfer an den Bildungsmob ist und hier eine ähnliche Intimität besteht wie im »andern Lager«. Solchen Leuten ist ein Autor ausgeliefert, der noch keinen Auslandskredit hat! Der Journalist schreibt es nieder, der Tölpel glaubt es. Es korrespondiert etwa mit jenem banalen Zweifel, der sich an die Tatsache meiner Vorlesungen heftet und den Kopf darüber schüttelt, wie ich derselben Schichte, deren Wesenheit mir die Erregung eingebe, die Gestaltung vorlesen könne. Ach, diese Esoteriker, die nicht einmal die Qualität haben, Publikum zu sein, mögen mich nur schalten lassen. Ihnen, den Einzelnen, könnte ich's nicht vorlesen, doch mir selbst bringe ich's zu Gehör und der Masse sage ich's ins Gesicht. Diese mag, wenn es vorüber ist, in Einzelne zerfallen, deren Urteil und Tonfall von neuem die Erregung rechtfertigt, aber im Saal schließen sie sich zu jener Hörfähigkeit, die mein Glossentext nicht entbehren kann. Zwischen Text und Vortrag wäre ein künstlerischer Widerspruch, wenn ich das täte, worauf der Dramenschreiber angewiesen ist: mein Werk von einem andern vortragen zu lassen. Oder wenn ich irgendein anderer der heute lebenden Autoren wäre, die ihre Sachen selbst vorlesen. Die, denen es gilt, hören gut zu. Zwar manche, die ein Grauen überkam, sind dann im Zwischenakt intelligent geworden. Das ist mir recht, das Gesetz der Theaterwirkung ist erfüllt, und der Widerspruch ist nicht in mir. Die Frechheit soll sich nur melden. Was unter und trotz ihr mit nach Hause genommen wird, wirkt nach und stört späterhin Schlaf und Verdauung.

 

September 1913

Ähnlichkeit

Ein analytischer Schmock, einer von jenen, die jetzt aus allen Spalten grinsen, berichtet in der ›Frankfurter Zeitung‹ über eine Plauderei, die der bekannte Erotiker Franz Blei in Berlin abgehalten und bei der er Fragen aus dem Auditorium kulant beantwortet hat.

Wie er in schlichten, nichteifernden Worten sein Bekenntnis gab, konnte man in den ausdrucksvollen Zügen das feine Theologengesicht entdecken, das Max Oppenheimer malte. Verblüffend ist in solchen Momenten auch eine gewisse Ähnlichkeit Bleis zu dem in mancher Hinsicht geistesverwandten Karl Kraus; nur daß der Wiener Kaffeehaustheologe ein so strenger Stilkünstler ist, daß er nur vorlesen kann und sich zu solchen Stegreifexperimenten nicht hergibt.

Was die Kaffeehaustheologie anlangt, so könnte man mit Recht jeden Pfarrer einen Kaffeehaustheologen nennen, der keine Köchin hat und deshalb im Kaffeehaus den Kaffee nehmen muß. Was die Geistesverwandtschaft mit Herrn Blei anlangt, so ist sie insofern ersichtlich, als Herr Blei meine Aphorismen mit Interesse gelesen hat. Da ich mich aber für Bilderhandel nicht interessiere, so dürfte die Ähnlichkeit doch wieder nur sehr oberflächlich sein und höchstens eine »zu« mir, aber nicht mit mir. Alles in allem, vermute ich, wird das Gesicht des Herrn Blei meinem Gesicht so verblüffend ähnlich sein, wie ein Porträt des Herrn Oppenheimer einem Porträt von Kokoschka.

Ein Führer

Aus der Fülle der Bewerber, die den Schinder nicht erwarten können, drängt sich einer vor. Er ist auf den ersten Blick der unwahrscheinlichste, wenn nicht die andern, die sich noch gedulden müssen, sich als unwahrscheinlicher herausstellen. Man soll nichts berufen. Max Geißlers »Führer durch die deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts«. Der Verleger, dessen Name preisgegeben werden muß – es ist die Firma Alexander Duncker in Weimar – sagt mit Recht:

Kein Volk darf sich rühmen, ein Werk dieser Art zu besitzen, das an Zuverlässigkeit und Größe der Anlage, oder auch nur der Idee nach, ähnlich wäre Max Geißlers Führer durch die deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts.

Der ›Brenner‹ zitiert unter anderen die folgende Stelle:

Heym, Georg » ...Er war das Haupt einer Gruppe junger Berliner Dichter, die sich Neopathiker nennen. Zu ihnen gehören auch Verhaeren, Johannes V. Jensen, Whitman ...«

Ferner ergibt sich diese Perspektive:

Peter Altenberg Thomas Koschat

» Eine sehr üble Erscheinung auf dem deutschen Parnaß, die ein groteskes Spiel mit sich selbst und etwa dem Cafehauspublikum spielt, oder was auf seiner Höhe steht. Der Dichter als Karikatur. Aber allem Anschein nach aus raffinierter Berechnung. Bohémien in seinem Leben und Schaffen – ein Gaukler, der in Peter Hille einen Bruder besaß, zu dessen Karikatur er sich hinabarbeitete. Dabei vergißt er, das Hängekleidchen einer mitunter recht schlecht gespielten Kindhaftigkeit abzutun. Aber – warum denn nicht? ... So lang es Publikum gibt, das zu so etwas sich bekehrt und Literaturgeschichtenschreiber, die über seine Dirnenfreundschaften und Dirnenseele sich entzücken ... warum denn nicht? Er steht sich besser bei dieser Sorte Bohème als in anderem Kostüm. Seine Dichtung ist unreif wie die Komödie seines Daseins, ein Mosaik von banalen Gemeinplätzen und Frivolitäten, und möchte Dirnenmoral auf den Thron setzen.«

»In Schildereien, Kurzgeschichten und in zahlreichen Liedern aus seiner kärntnerischen Heimat ... hat er ein Denkmal sich errichtet im Herzen seines Volkes, im Herzen der Menschheit. Am 13. November 1912 trat er als Hofkapellensänger in den Ruhestand, Ehrenmitglied der Wiener Hofoper; 45 Jahre lang hat er als Führer des Opernchores gewirkt und zur Feier des Tages wurde sein Liederspiel ›Am Wörthersee‹ aufgeführt. Sechs Operndirektoren sah Koschat kommen und gehen. Ursprünglich für das Studium der Naturwissenschaft bestimmt; er wurde aber im Angesicht der Kärntenschen Wälder und Seen ein Sänger und Poet. In seinen 110 Werken rauschen vor allem die Quellen des Gefühls und Gemüts; in den meisten Fällen ist er Dichter und Komponist zugleich – ›Verlassen‹ ist die schmerzvollste und populärste Schöpfung K's. Sie findet sich in seinem lustigen Liederspiel ›Am Wörthersee‹, ebenso › Armes Diandle, tua nit wanen‹ ... Stürmischer Jubel umbrauste K., als er am Schlusse des Abends in seiner Nationaltracht vor dem Vorhange sich zeigte ...«

Und mit so was lebt man auf einem Planeten!

 

Oktober 1913

Eine Einladung

Sehr geehrte Redaktion!

Der unterzeichnete Hellerauer Verlag gibt sich die Ehre, Ihre geschätzte Redaktion zu dem Besuche der deutschen Uraufführung von

Paul Claudels »Verkündigung«

für Sonntag, den 5. Oktober, abends ½ 6 Uhr

ergebenst einzuladen.

Diese Aufführung steht in keinem Zusammenhang zur Bildungsanstalt Jaques-Dalcroze. Diese hat nur den Saal zur Aufführung hergegeben und nur dieser Saal in seiner Anordnung von Bühne und Zuschauerraum, seiner Beleuchtungsart und der damit gegebenen Bühnenaufgabe steht zu Claudels Stück in einer wesentlichen Beziehung. Diese darstellerisch zum Ausdruck zu bringen, soll eben Aufgabe dieser Aufführung sein. Im übrigen unterrichtet über die künstlerische Absicht dieser Veranstaltung ein Programmbuch, das Ihrer geschätzten Redaktion mit der Übersendung der Eintrittskarten am 1. Oktober zugehen wird ... Die Hauptprobe zu dieser Aufführung findet Donnerstag, den 3. Oktober statt und zwar abends ½ 6 Uhr bis gegen 10 Uhr, falls es gelingt, die mitwirkenden Kräfte für diesen Abend von ihren Verpflichtungen in Leipzig, bezw. Berlin zu befreien, sonst vormittags 11 Uhr. Auch hiezu erlaubt sich ... Mit Rücksicht auf die Eigenart der Aufführung ... mit großem Danke begrüßen, wenn die Besucher der Premiere durch einen kurzen Bericht über die Hauptprobe etwas vorbereitet würden.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst
Hellerauer Verlag.

Was hiermit geschieht. Nicht ohne die Bemerkung, daß dieser Hellerauer Verlag es ist, der nicht nur diese Aufführung, sondern auch die deutsche Übersetzung dieses Werkes von Claudel in diese Hand genommen hat.

Er ist doch ä Jud

 

Mittwoch, 1. Oktober 1913

Geehrter Herr!

Unter dem Eindruck der gestrigen Vorlesung im Musikvereinssaale, möchte ich mir erlauben, Sie auf Ihren persönlichen Mut zu prüfen. Bitte – versuchen Sie, in Ihrer Fackel, eine Erklärung dafür zu finden, resp. zu geben, daß Ihr Auditorium, Ihr begeistertes Auditorium, fast durchwegs gerade aus jenen Juden besteht, die Sie so heftig angreifen und kritisieren.

Ich muß gestehen, daß ich sowohl von der Wirkung Ihrer Persönlichkeit als Ihrer lebendigen Vortragsart angenehm überrascht war – trotzdem ich seit Anbeginn der Fackel deren treuer Leser bin; noch mehr überrascht war ich über das Auditorium, welches Ihnen, unter dem Banne Ihrer Vortragskunst, frenetischen Beifall zollt – um schon in der Garderobe auszurufen: »Er ist doch ä Jud'!«

Es würde mich freuen, wenn Sie mir dieses psychologische Rätsel lösen könnten, und wäre Ihnen dankbar, wenn dies unter Wahrung des redaktionellen Geheimnisses geschehen könnte. In Hochachtung – –

Ein treuer Leser der Fackel seit Anbeginn sein und erst im fünfzehnten Jahr neugierig, ob ich Mut habe: das ist kurios. Indes, da ich die Angelegenheit nicht so sehr für ein Problem des Mutes als der ästhetischen Einsicht halte, so kann ich zwar antworten, aber ohne zu wissen, ob nicht in fünfzehn Jahren wieder ein Leser mich fragt, ob ich eigentlich Mut habe. Es ist eine herzige Ansicht, daß ich in der Fackel alles ausdrücken könnte, was mich bewegt, mit Ausnahme jener Realität, der ich es vorlese, oder: daß mich die Erscheinungen in dieser nicht bewegen und daß ich blind sei für ihre erschreckende Ähnlichkeit mit dem Leben, das außerhalb des Vortragssaales von mir gesichtet wird. Man muß nicht seit fünfzehn Jahren, sondern nur seit zwei Jahren die Fackel gelesen haben, um zu wissen, warum ich aus ihr vorlese. Man muß nicht spüren, daß in vielen meiner Arbeiten die Fähigkeit schon enthalten ist, das Geschriebene den Leuten ins Gesicht zu sagen. Aber man muß wissen, daß ich darauf hingewiesen habe; sonst ist man ein so schlechter Leser wie Hörer. Doch selbst einer, der nie eine Zeile gelesen und nur die letzte Vorlesung gehört hat, muß wissen, daß ich mir über die gedankliche Tragweite meines Vortrags keine Illusionen mache und ihr Ende eben dort sehe, wo die Garderobe beginnt. Daß ich unter Hörern wie unter Lesern Hörer und Leser für vorstellbar, möglich und existent halte, die mehr als einen Reiz oder selbst eine Erschütterung durch den Tonfall von etwas, was sie nicht verstehen, mitnehmen, braucht nicht gesagt zu werden. Die Masse kann und soll nicht verstehen. Sie leistet genug, wenn sie sich aus trüben Einzelnen zu jenem Theaterpublikum zusammenschließt, das der unentbehrliche Koeffizient schauspielerischen Wertes ist. Dieses Publikum, wenn es nur richtiges Publikum ist, bewährt sich am wenigsten an solchen geistigen Gestaltungen, deren Stoff ihm geläufig ist, weil es von ihnen kaum mehr als den Humor der stofflichsten Assoziationen, der Nomenklatur (Männergesangverein, Bahr, Concordia, Zifferer, Grubenhund) erfaßt, und bewährt sich am besten dort, wo es von der rhythmischen Wirkung der Pflicht jedes Verständnisses überhoben wird: an den gedanklich schwersten, aber von der dynamischen Welle zu jeder Seele getragenen Stücken, gegen deren Stofflichkeit, deren »Tendenz« die fünfhundert Einzelnen rebellieren müßten. Darum ist es erklärlich, daß die »Chinesische Mauer«, von der kaum ein Wort verstanden wird, den Saal in Aufruhr bringt. Je stärker solche Wirkung auf die empfangende Masse war, desto heftiger ist die Reaktion der sich am Schlusse wiederfindenden Individuen. Es ist vollkommen gleichgültig, ob das Publikum aus Verehrern oder Feinden, Theosophen oder Monisten, Denkern oder Generalkonsuln, Wienern oder Persern, Christen oder Juden besteht. Von welcher Menschenart es ist, zeigt sich erst im Zwischenakt und in der Garderobe. Das psychologische Rätsel besteht in der Anziehung einer Vielheit, der man doch das Gefühl nachrühmen muß, daß sie hier etwas durchzumachen habe, und in der Verwandlung von fünfhundert Männern und Weibern zu der Einheit Weib, die Publikum heißt. Die Reaktion wird je nach dem Grade der Erziehung mehr oder minder geräuschvoll ausfallen. Leute, die durch den Eintritt in die Vorlesungen eine größere Geschmacklosigkeit beweisen als durch die Art ihres Austrittes, werden am heftigsten gegen die ihnen aufgezwungene Pflicht, Teil einer eindrucksgefügen Einheit zu sein, sich auflehnen. Sie sind die lautesten und bringen deshalb das ganze Publikum in Verdacht, das ja wohl auch Personen aufweist, deren Widerstand Anstand bleibt. »Er ist doch ä Jud!« ist das Urteil, das jene schon in die Vorlesung mitbringen, nur widerwillig für 2 ½ Stunden aufgeben und mit dem Überrock wieder in Empfang nehmen. Man bedenke aber, was es heißt, aus Leuten, die »jeden Früh aufkommen« und dann den ganzen Tag wach und intelligent bleiben, am Abend eine willige Einheit zu machen, als Vorleser, ohne Maske, ohne Orchester. Niemand, zu allerletzt der oben steht, kann es ihnen übelnehmen, daß sie sich hinterdrein salvieren und jene Einwände hervorsprudeln, die ihnen bei der Hand waren, ehe sie sich der Reinigung ihrer Leidenschaften unterwarfen. Wenn sie schon baden gehn müssen, so wollen sie doch nachher wieder schmutzig sein. »Er ist doch ä Jud!« haben sie immer, auch hinter der Erscheinung, deren suggestive Wirkung eine Welt umarmt hat, ausgerufen. Das wäre das geringste. Viel unappetitlicher sind Rufe wie die bereits von mir in satirische Dialoge eingepflanzten: »Was er davon hat, fortwährend mit den Angriffen auf die Presse, möcht ich wissen!« »Alle Welt is für Heine – er muß gegen Heine sein!« Nach Anhörung eines jener Dialoge soll einer bemerkt haben: »Jüdeln kann er wie unsereins, aber schimpfen tut er doch!« Ein anderer resümierte schlicht: »Er war doch froh, wenn er in die Presse hineingekommen war!« »Möcht wissen, was er sagen möcht, wenn ein anderer so über ihn vorlesen möcht«, äußerte eine Mädchenblüte. »Die Presse ist doch das bestgeschriebenste Blatt, und wenn er sich auf den Kopf stellt!«, rief eine Matrone. »Ich bitt Sie, Brotneid!«, enthüllt ein Wissender. Man hat auch schon Sätze gehört wie: »Ich hab dir gesagt, ich geh nur zu Salzer!« »Alles niederreißen – treff ich auch.« »Was ist das gegen früher! Er hat sich ausgeschrieben.« »Auernheimer hat er heut in Ruh gelassen.« »Der Gerasch liest im kleinen Finger besser!« »Nichts für junge Mädchen, das nächste Mal bleibst du mir zuhaus.« »Er wird sich noch Feinde machen.« »Schnupfen hat er auch.« »Die was so stark applaudiert haben, das ist die Clique, die Journalisten!« Das letztemal soll bemerkt worden sein: »Sagen Sie mir um Gotteswillen, was will er nur von den Leuten?« »Siehst du, das ist also Karl Kraus der Gemeine, aber – lesen kann er!« »Nicht einmal ein reines Taschentuch hat er!« Und der ärgste und sicher unwahrste von allen Anwürfen: »Ich kenn ihn doch persönlich!« – Glaubt der Einsender, daß ich unter den Leuten, die so wieder zu sich kommen, sitzen könnte? Über ihnen ist's leichter. Vermeinte ich, daß die Wirkung, zu der ich sie zusammenschließe, vorhält, dann müßte ich mich, wie ich's ihnen bei der letzten Vorlesung sagte, wundern, daß nicht entweder die von mir gebrandmarkten Spitzbuben gelyncht werden oder ich. Solche Effekte bleiben aus. Aber daß sich die strafende Wirkung, die auszukosten die einzige Entschädigung für meine Nerven ist, über allen Zerfall und alle Schäbigkeit doch auf unsichtbare Art fortsetzt, ist der Glaube, der mir das Recht auf solchen Genuß und solche Erholung gibt.

 

Juni 1913

Der Wagner-Brief

Der wehmütigen Deutung des Zitats, das die ›Neue Freie Presse‹ gebracht hatte:

»Als ich am letzten Abend«, schrieb Wagner an Jauner, »nach Ihrem üppigen Souper von Ihnen schied, wußte ich, daß ich nie wieder Wien betreten würde.« Und Richard Wagner ist nach dem Januar 1876 auch nicht mehr in Wien gewesen.

ist im letzten Heft durch den Abdruck des »ganzen Briefes« aus dem Glasenapp'schen Werk lebhaft widersprochen worden. Nun stellt sich heraus, daß auch der dort veröffentlichte Text noch nicht der ganze war, und da fast keine Weglassung bezeichnet ist, so liegt die Vermutung nahe, daß der Biograph den Wortlaut nicht selbst verstümmelt, sondern von einer Wiener Seite in verstümmelter Form empfangen hat. Der übernommene Text ist nur unwesentlich verändert; aber es fehlen ganze Sätze, die Wagners Sehnsucht nach Wien, wenn dies nach den bereits bekannten Stellen noch möglich ist, verdeutlichen. Es liegt zutage, daß die ›Neue Freie Presse‹, die Wagners Verzicht sentimental nimmt, selbst dessen infame Ursache war. Es ist aber auch ersichtlich, daß die Kulturgeschichte um diesen Beweis, um Wagners Aussage, gebracht werden sollte. Indes hätte man, ohne dem Andenken Wagners nahezutreten, höchstens ein Recht gehabt, das Andenken des bedeutenden Schriftstellers, den er nebst Hanslick angreift, durch eine Punktierung des Namens zu schonen. Das geschieht auch hier, wo die Entstellung, die schon vor der Fälschung begangen wurde, nachgewiesen wird. Wagner mußte jenem umsoweniger gerecht werden, als er an ihm nur die Ungerechtigkeit gegen Wagner sah. Dem Milieu der Wiener Presse aber, in das er ihn einbezogen hat, gebührt die ungekürzte Darstellung durch Richard Wagner, also mit den hier in Sperrdruck gesetzten Stellen, die in der Biographie fehlen:

Mein wertester Gönner und Freund!

Sie Unermüdlicher! Muß ich Ihnen immer wieder auf Ihre freundlichen Einladungen ausweichend antworten, da Sie den richtigen Grund meines Davonbleibens wohl verstehen, aber, wie es scheint, nicht zugeben wollen? Sie haben doch selbst Phantasie; können oder wollen Sie sich die Ergebnisse eines neuerlichen Besuches von mir in Wien nicht ausmalen? Ich dächte wir hätten doch genug davon das letzte Mal erfahren! Glauben Sie, daß die 6 Wochen im Winter 1875 als angenehme Erinnerungen in meinem Gedächtnisse leben? Selbst wenn ich mich gar nicht um die Aufführungen bekümmern, keiner Probe beiwohnen und bloß auf gut Glück bei den Vorstellungen Figur machen sollte, würde ich, wenn ich nur über die Straße gehe oder etwa einem Betteljungen ein Wort sage, von Eueren herrlichen Zeitungsschreibern im Koth herumgezogen werden, und – wie die Freunde nun einmal sind – alles von diesen mir wiedererzählen lassen müssen. Nein lieber Freund! Als ich am letzten Abend nach Ihrem üppigen Souper von Ihnen schied, wußte ich, daß ich nie wieder Wien betreten würde. Dort, wo ungestraft jeder Lumpenhund über einen Mann wie mich herfallen und seine Jauche über mich ergießen kann, da habe ich glücklicherweise nicht mehr mich blicken zu lassen. Nie! Nie! Grüßen Sie den Staatsrat Hanslick und ... und wie das Gesindel heißen mag. Ihnen, das heißt diesen Herren zürne ich nicht, denn ihr Metier scheint ihnen dennoch in Wien Geld einzubringen? Somit scheint das Publikum doch sie lieber zu haben als mich. Also meinen Segen!

Besten Glückwunsch und herzliche Grüße von Ihrem

 

stets ergebenen
Richard Wagner

Bayreuth, 5. September 1879.


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