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Notizen

 

Dezember 1911

Kokoschka und der andere

Der deutsche Kunstverstand wird jetzt, wie sichs gebührt, von einem hineingelegt, der das Talent hat, sich mit dem Blute eines Genies die Finger zu bemalen. Das ist immer so. Hier hockt eine Persönlichkeit, und draußen bildet sich sofort die Konjunktur, die der andere ausnützt, der laufen kann: die Cassirer der Kunst können es nicht erwarten, dem unrechten Mann die Quittung auszustellen. Das Talent weiß, daß es durch eben das anzieht, wodurch das Genie abstößt. Dieses ist der Schwindler, jenem glaubt man's. Und es versteht sich fast von selbst, daß über einen, der nicht Hand und Fuß hat, aber gestikulieren und laufen kann, eine Monographie geschrieben wird, in der der Satz steht: »Die farbige Ausdeutung der Erscheinung ist von erlauchter Nachdenklichkeit«. Das war immer so. Den Künstler beirrt es nicht und darf es nicht kränken, daß von eben dem Haß und dem Unverstand, der seines Wertes Spur verrät, der Nachmacher sich bezahlt macht. Aber freuen darf es ihn, daß Else Lasker-Schüler – der man auch noch lange die vielen vorziehen wird, die's von ihr haben werden – den folgenden Brief, an den andern, veröffentlicht hat:

»Ihre ostentative Kleidung hat mir Freude gemacht dem eingefleischten Publikum gegenüber. Es lag nicht nur Mut, auch Geschmack darin. Ich ging doppelt gerne mit Ihnen nach München in Ihre Bilderausstellung, aber es hingen nicht Ihre Bilder an den Wänden, sondern lauter Oskar Kokoschkas. Und da mußten Sie gerade mich mitnehmen, die Ihr Original kennt. Hielten Sie mich für so kritiklos – oder gehören Sie zu den Menschen, die Worte, Gebärden des Zweiten anzunehmen pflegen, darin sie verliebt sind? Sie sind, nehme ich an, in Kokoschka verliebt und Ihre Bilder sind abgepflückte Werke, darum fehlt ihnen die Wurzel. Das Bild Heinrich Manns hat mir ausnehmend gefallen wie eine glänzende Kopie und ich sah in seinen Farben und Rhythmen außer dem Schriftsteller auch den Maler Oskar Kokoschka, nicht Sie ... Man kopiert doch ehrlich in den Museen die alten Meister und setzt nicht seinen Namen darunter. Kokoschka ist ein alter Meister, später geboren, ein furchtbares Wunder. Und ich kenne keine Rücksicht in Ewigkeitsdingen. Sie sollten auch pietätvoller der Zeit gegenüber sein ...«

Das sehe ich nicht ein. Die Zeit, die die Originale verschmäht, hat es nicht besser verdient, als von den Kopisten beschlafen zu werden. Ich verstehe wahrscheinlich von Malerei weniger als jeder einzelne von jenen, die das Zeug haben, sich von berufswegen täuschen zu lassen; aber von der Kunst sicher mehr als sie alle zusammen. Hier fühle ich, sehe, was geboren ist, und kenne meine Oppenheimer.

Zwei Bücher

Wer der Fackel glaubt, möge Karl Hauer nicht vergessen, dem der Vorsprung der beweglichen Unfähigkeit noch immer den Platz weggenommen hat, auf den ihn die Lebenssorge anwies. Da im weiten Gebiet literarischer Existenzen alles besetzt und bestellt war und zwischen Redakteuren, Dramaturgen und Lektoren nicht mehr ein Fingerbreit Aussicht, blieb jenem nur noch übrig, in schwere Krankheit zu verfallen. Mit der Sicherheit aber, die die Not verschafft, soll sich das Gewissen dieser stellenvermittelnden Zeit nicht abfinden. Das wollen wir ihr versalzen. Mindestens hat sie die Pflicht, die Gelegenheit zu benützen, die es erlaubt, einem Schriftsteller auf die würdigste Art zu helfen: die Gelegenheit, sein Buch zu kaufen. Karl Hauers Essays » Von den fröhlichen und unfröhlichen Menschen« Verlag Jahoda & Siegel, Wien und Leipzig. sind erschienen, sie wiederholen und vermehren im Buche den Genuß, den die durchklärende Kraft und Meisterschaft dem Leser gewährt hat. Sie machen nicht zuletzt deutlich, worin sich dieser Denker von jenen, die am meisten über die Habilitation des Menschen nachgedacht haben, unterscheidet: er ist tiefer in dem, was er erkennt, als in dem, was er vertritt; er sucht nur, was er gefunden hat, und darum ist er auch dort tief, wo andere nicht einmal wahr sind. Sollte diese unerbittliche Güte, die kein Wort verschwendet, noch auf ein formwürdiges Leben treffen, so beweise es sich durch die Bereitschaft, einen Außerordentlichen zu hören, zu entschädigen und die Forderung der Fröhlichkeit, die es ihm nur zu stellen gewährte, ihn auch erfüllen zu lassen.

*

Albert Ehrenstein, dessen » Tubutsch«, Verlag Jahoda & Siegel, Wien und Leipzig. mit zwölf Zeichnungen von Oskar Kokoschka, außer dem neuen Hauptstück die in der Fackel veröffentlichten Arbeiten »Ritter Johann des Todes« und »Wanderers Lied« enthält, stellt den merkwürdigen Fall vor, daß in Wien eine dichterische Kraft auflebt, die mit dem ersten Wort sich einer Region entrückt, in welcher die Kunst eben noch zum beliebten Nebenbei einer wertlosen Hauptsache, Leben genannt, sich eignet. Hier aber ist ein Unteilbares; und wie einer sich das Leben schafft, der es ablehnt und dem es gut genug ist, als sein Stiefelknecht zu ihm zu sprechen, und wie einer sich von der Unscheinbarkeit die Visionen brockt, als stünde er vor des Lebens goldnem Baum: das ist zumal in dieser Gegend, in der die Plauderer und Psychologen das fertige Material bearbeiten, neu und ergreifend. Die reale Linzerstraße hat für diesen Karl Tubutsch mehr Himmel und Erde als ein weites Land, das jenen vorschwebt, die das Können können. Ihm sterben bloß zwei Fliegen, und er glaubt, daß sie Pollak heißen. Ich kann ihm darin nur recht geben. Nicht worauf so ein Kurioser kommt, sondern wovon er ausgeht, bestimmt das Maß seiner Phantasie. Er ist von jenen, die ein zu trauriges Gesicht haben, um das Leben nicht mit lachendem Rücken anzuschauen. Er hat viel gegen die Welt, die nicht viel für ihn hat; aber wie er sie hinter sich sieht und schafft, ist reicher Ersatz für beide. Er kommt auf langem Weg in die Literatur daher, fast von Laurence Sterne, seine Reise ist gefühlloser und doch an Enttäuschungen reicher. Wenn er geht, läßt er einen wohltuenden Schwefelgestank zurück. Zuweilen tritt sich sein Humor selbst auf die Füße: so sieht er noch immer durch ein Hühnerauge eine ganze Welt. Manchmal spricht ihm der Intellekt in Witz und Vision hinein, manchmal kommen alle drei ins Wortgemenge. Aber sein Geist ist ohnedies anders erschaffen, als es gewohnt, erlaubt und den andern gesund ist. Als er zur Welt kam, mochte er gerade Wichtigeres zu tun haben, und hätte jenes unterlassen, wenn er sich nicht in die Nabelschnur einen Knopf gemacht hätte; er hätte sich sonst an ihr erhängt. Nun, da er hier ist, gefällt es ihm nicht. Wenn's brennt, hat er noch die Geistesgegenwart, das Sprungtuch in die Flamme zu werfen. Er ist einer von dem viel bemerkenswertem Stamme jener Asra, welche sterben, wenn sie leben.

 

Juni 1912

Erklärung

Absichtlichkeit und Zudringlichkeit von Mißverständnissen, die sich um das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen gebildet haben, legen mir die Pflicht auf, das Folgende zu erklären: Das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen ist mir peinlich. Jeder Anhänger, den ich in Berlin verliere, ein Gewinn. Ich habe nie von irgend jemand Förderung, Verbreitung, Eintreten, Wohlwollen oder Begeisterung erwartet, verlangt oder auch nur – wie nachgewiesen werden kann – stillschweigend geduldet. Wer in Kneipen oder Kneipzeitungen das Gegenteil behauptet, ist ein Schmierfink, auch wenn er nicht zufällig die »fünf Frankfurter« verfaßt hat. Ich habe mit Berliner literaturpolitischen Bestrebungen, mit Futuristen, Neopathetikern, Neoklassizisten und sonstigen Inhabern von Titeln ebensowenig zu schaffen wie mit Wiener Kommerzial- oder Sangräten. Ich hasse das Publikum; und ich zähle die Schmarotzer an seinen Mißverständnissen zum Publikum. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß jeder Gymnasiast, dem die in unserer Zeit vorhandenen Süchte und Dränge und sonstigen ekelhaften Plurale zu einem »Niveau« verholfen haben, mehr taugt als Mörike und Eichendorff. Ich bin nicht der Meinung, daß die Meinung in der Kunst genügt, glaube, daß das bloße Rechthaben gegen den Journalismus mit ihm identisch ist, und sage, daß jeder, der ernsthaft behauptet, daß Rudolph Lothar ein Übel sei, sich einer Verdoppelung des Rudolph Lothar schuldig macht. Ich sage, daß Polemik vor jeder anderen Art von schriftlicher Äußerung durch Humor legitimiert sein muß, damit nicht die Null zum Übel werde, sondern das Übel nullifiziert sei. Polemik ist eine unbefugte Handlung, die ausnahmsweise durch Persönlichkeit zum Gebot wird. Lyrik ohne Berechtigung greift nur den Täter an; der schlechte Angriff auch alle Unbeteiligten. Ich halte Polemik, die nicht Kunst ist, für eine Angelegenheit des schlechten gesellschaftlichen Tons, die dem schlechten Objekt Sympathien wirbt. Ich halte das Manifest der Futuristen für den Protest einer rabiaten Geistesarmut, die tief unter dem Philister steht, der die Kunst mit dem Verstand beschmutzt. Ich halte das Manifest der futuristischen Frau, der ich jede perfekte Köchin vorziehe, für eine Handlung, der ein paar lustlose Rutenhiebe zu gönnen wären. Ich halte Else Lasker-Schüler für eine große Dichterin. Ich halte alles, was um sie herum neugetönt wird, für eine Frechheit. Ich achte und beklage einen Fanatismus, der nicht sieht, daß unter den Opfern, die er der Kunst bringt, diese selbst ist. Ich verfluche eine Zeit, die den Künstler nicht hört; aber sie zwingt ihn nicht, ihr das zuzuschreien, was er ihr nicht zu sagen hat. Ich weiß, daß die schonungsloseste Wahrheit über diesen Punkt noch immer so viel Ehre übrig läßt, daß das Gesindel ringsherum keinen Anlaß zur Freude haben kann. Überhaupt möchte ich jedem einzelnen in dieser Hunnenhorde, aus der kein Attila ersteht, jedem einzelnen dieser Literaturhamster, die kein Fell geben, den Rat erteilen, nichts von meiner Mißbilligung polemischer Minderwertigkeit oder lyrischen Dilettantismus auf den andern zu beziehen, sondern alles auf alle. Auch möchte ich bitten, den Verkehr mit mir in jeder Form abzubrechen und im Pendel zwischen Verehrung und Büberei es definitiv bei dieser zu belassen, aber so, daß kein Aufsehen entsteht. Man soll mir keine Drucksorten und keine Briefe schicken. Ich weiß Bescheid. Es wäre mir peinlich, wenn ich genötigt wäre, Berlins kulturelle Mission als einer straßenreinen Stadt gegen den Schönheitsdreck zu verteidigen und nachzuweisen, daß der übelste Abhub der Wiener Geistigkeit sich jetzt dort vor den Betrieb stellt. Ich bin für Asphalt und gegen Gallert. Ich bin für Berlin: nämlich für die Chauffeure und gegen die Neutöner, für das Reviersystem und gegen die Weltanschauung, für die Kellner und gegen die Gäste.


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