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11.
Meister Böttcher's Erfindung.

Als August an demselben Abend die Cosel besuchte, theilte er ihr, seiner Gewohnheit, ihr nichts zu verheimlichen, treu bleibend, den Plan Schulenburg's und das am Morgen mit dem General gepflogene Gespräch mit, ohne zu ahnen, daß seine Geliebte diesen Plan nicht nur billigte, sondern ihn mit ausgedacht hatte und eifrig bemüht gewesen war, ihn zu verwirklichen, ja daß sie sich mit dem Gedanken trug, ihn ausführen zu lassen, ob der König es nun billige oder nicht. Gräfin Cosel ging sogar weiter als die übrigen Verschwörer, sie wollte den verhaßten Eroberer nicht bloß überfallen und auf den Königstein bringen, sondern auch hinrichten lassen.

Die Weigerung des Königs, Schulenburg's Plan gutzuheißen, erzürnte sie nicht wenig. Sie sprang von ihrem Lehnstuhl auf und rief: »Das ist nicht möglich! Wie, Sire, Ihr wolltet die Gelegenheit von Euch weisen, sich an diesem Räuber, der Euch so sehr gedemüthigt, zu rächen? Ihr müßt Schulenburg Euere Einwilligung ertheilen!«

»Ich werde es nicht thun,« erwiderte August in trockenem Tone. »Weshalb? Weil ich überzeugt bin, daß sich Jemand finden wird, der mich an dem Uebermüthigen rächt, ohne daß ich mich bloßstelle. Reden wir nicht weiter davon!«

Gräfin Cosel erkannte an dem Tone von August's Stimme, an seinen zusammengezogenen Brauen, daß er in diesem Augenblicke von dem gefaßten Entschluß nicht abzubringen sei, und lenkte als kluge Frau das Gespräch in andere Bahnen. Nachdem die Gräfin von Diesem und Jenem gesprochen, erkundigte sie sich nach Böttcher, dem Alchymisten, der, in einer der Basteien des Schlosses wohnend, noch immer zugleich als Gefangener und als vornehmer Cavalier behandelt wurde; denn August hatte die Hoffnung, daß der Alchymist das große Werk vollenden werde, noch nicht aufgegeben.

Meister Böttcher lebte nun schon seit mehreren Jahren auf Kosten des Königs als großer Herr. Außer der Freiheit fehlte ihm nichts. Seine Zimmer waren aufs reichste ausgestattet; er besaß einen sehr gut unterhaltenen Garten, dessen Beete mit den schönsten und seltensten Blumen geschmückt waren, durfte zu seiner Zerstreuung auf dem um das Schloß und die Festung herumführenden Weg spazieren gehen und so viele Gäste einladen, als er wollte. Er selbst mochte längst überzeugt sein, daß er das große Geheimniß niemals entdecken werde; in Fürstenberg und dem König aber, der ihm um keinen Preis die Freiheit schenken wollte, hielt er noch immer die Hoffnung wach, daß das Werk gelingen werde.

Gräfin Cosel, welcher Böttcher täglich seine schönsten Blumen sandte, um sich die Gunst der allmächtigen Dame zu erwerben, hegte schon längst den Wunsch, das Laboratorium des Alchymisten in Augenschein zu nehmen. August hatte jedoch bislang diesen Besuch immer vertagt. Heute aber bat die schöne Frau so dringend, der König möge sie zu Böttcher führen, daß August ihr willfahrte.

Er trat an das Fenster und machte Meister Fröhlich, der unten im Hofraume mit einigen Höflingen seinen Scherz trieb, ein Zeichen, daß er heraufkommen möge.

Wenige Minuten später stand der Hofnarr, über dem dicken Bäuchlein die Hanswurstjacke, auf dem Rücken den ungeheuer großen silbernen Kammerherrnschlüssel, vor seinem königlichen Gebieter.

Dieser sagte zur Gräfin: »Meister Böttcher müssen wir unseren Besuch ankündigen. Wenn wir unangemeldet bei ihm erschienen, dürften wir ihn in lockerer Gesellschaft antreffen ... Höre, Fröhlich!« fuhr er gegen diesen gewendet fort, »ich ernenne Dich zu meinem Kämmerer. Man soll nicht sagen können, daß Du diesen schweren Kammerherrnschlüssel umsonst trägst. Walte also Deines Amtes, das nur wenige Stunden währen soll, und gehe nach der Jungfernbastei, um Meister Böttcher zu melden, daß die Göttin Diana in wenigen Minuten bei ihm erscheinen wird ...«

»Begleitet von Herkules-Apollo,« fügte Gräfin Cosel in scherzendem Tone hinzu.

Meister Fröhlich aber sagte mit einer tiefen Verbeugung: »Ich will gleich den ganzen Olymp anmelden.« Hierauf verneigte sich der Hofnarr auch vor dem König und verließ in der steifen Haltung eines von der Wichtigkeit seines Amtes durchdrungenen Kammerherrn den Salon.

Der Alchymist gab gerade ein großes Diner. An der reichbesetzten Tafel bemerkte man neben Freund Fürstenberg den Cabinetsrath Nehmitz und den berühmten Tschirnhausen, der ein eifriger Liebhaber der Alchymie war.

Das Zimmer, in welchem sich die heitere Gesellschaft befand, nahm den ersten Stock der »Jungfernbastei« ein und war mit eleganten Möbeln, Spiegeln, Credenzen, Statuen und Bronzen aufs glänzendste ausgestattet. An der Decke prangte goldener Zierat, die massiven Mauern waren mit kostbaren, persischen, blumendurchwirkten Seidentapeten bekleidet, welche die in das Laboratorium hinab- und zu dem Schlafzimmer des Alchymisten hinaufführenden Thüren kunstvoll verhüllten.

An der munteren Tafel fiel Böttcher durch seine männlich schönen, ausdrucksvollen, heiteren Gesichtszüge auf. Er war so reich gekleidet, sein Antlitz war so blühend, daß man ihn eher für einen vornehmen, lebensfrohen Gast gehalten hätte als für den berühmten gefangenen Alchymisten, den Besitzer tiefer Geheimnisse. Auf dem Gesichte des jungen Mannes, der voll Witz und Geist die Fröhlichsten an Heiterkeit überbot, war keine Spur jener Ermüdung und Erschöpfung zu entdecken, wie sie die Folge von in wissenschaftlichen Forschungen verbrachten Nächten zu sein pflegt.

Soeben hatten die Herren auf das Wohl des vielgeliebten Alchymisten getrunken und war dieser aufgestanden, um für den ihm gebrachten Toast seinen Dank auszusprechen, als der Hofnarr des Königs im Rahmen der Thür erschien.

»Sieh' da, Fröhlich!« riefen mehrere Stimmen zugleich. »Was suchst Du hier?«

»Gemach, meine Herren! Vor Euch steht nicht der Possenreißer Fröhlich, sondern ein Abgesandter des Königs, der mich für heute zu seinem Kammerherrn ernannt hat. Als solcher melde ich, daß Diana und Herkules den großen Alchymisten Böttcher mit ihrem Besuch beehren werden und mir auf dem Fuße folgen. Dixi!«

Bei diesen Worten stieß der Hofnarr mit seinem Stock auf den Boden.

Die Gäste hatten sich mittlerweile erhoben und verließen jetzt eiligst den Saal. Nur Fürstenberg und Nehmitz waren geblieben, um mit Böttcher die Tafel wegzuräumen.

Eine Viertelstunde später hatte der Raum ein anderes Ansehen; die Stühle standen an ihrem Platze, der Boden war mit Blumen bestreut, große Sträuße schmückten Etagèren und Tischchen, und der Alchymist selbst, einige duftende Orangenblüthen in der Hand, harrte auf der Schwelle seiner hohen Besucher, die alsbald erschienen.

Als Böttcher der schönen Gräfin ansichtig wurde, beugte er das Knie und sprach:

»Den Göttern huldigt man knieend und kann ihnen nur Weihrauch und Blumen darbringen.«

Gräfin Cosel nahm lächelnd die Blüthen, welche ihr der Alchymist reichte, und trat, gefolgt von dem Könige und Böttcher, in den dämmerigen Saal. Nachdem Lichter herbeigebracht worden waren, schaute die reizende Frau neugierig im Zimmer umher und drückte alsdann ihr Staunen darüber aus, daß nirgends eine Spur von dem großen Arcanum zu entdecken sei. August erklärte ihr, daß der Alchymist nicht hier, sondern im Laboratorium der Scheidekunst obliege.

»Was ich aber sehen möchte, ist gerade das Laboratorium,« sagte die junge Frau.

»Ach, Gräfin, es ist nur eine dunkle Höhle, worin eine dumpfige Luft herrscht, welche eine Göttin nicht einathmen darf.«

»Wohl aber eine neugierige Frau,« meinte die Gräfin, und blickte zu dem König auf.

Dieser sah Fürstenberg fragend an. Der Günstling behauptete, die Stiege, welche zu dem Laboratorium hinabführte, sei zu finster für die zarte Gräfin.

Die schöne Frau zuckte aber mit den Achseln, wendete sich von dem Zaudernden ab und sagte zu Böttcher: »Vorwärts, Meister! Die Götter befehlen es!«

Da der König schwieg und den Wunsch seiner Geliebten erfüllen zu wollen schien, verbeugte sich der Alchymist vor der Gräfin, erfaßte mit der Linken einen Leuchter und drückte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf einen in der Wand eingefügten Knopf von Bronze, den die Uebrigen bis dahin nicht bemerkt hatten. Eine Thür that sich geräuschlos auf. Böttcher ging voraus, der König reichte Gräfin Cosel die Hand, um sie über die steile, unbequeme Stiege hinabzugeleiten.

Der Alchymist öffnete eine am Fuße der Treppe liegende Thür aus massivem Eisen und führte seine hohen Besucher in einen ungeheueren, von einer angeschwärzten Decke überwölbten Saal ein. Neben den riesenhaften Pfeilern, auf welchen die Wölbung ruhte, standen die mit Tiegeln, Retorten und allerlei seltsam geformten Gefäßen bedeckten Glühöfen. Auf den Regalen an den Wänden waren Phiolen und Pocale von verschiedener Größe aufgestellt, auf den eichenen Tischen, welche den mittleren Raum des Saales einnahmen, lagen in buntem Durcheinander uralte Bücher in Schweinsleder gebunden und mit messingenen Klammern versehen, Werkzeuge, Pergamente und wunderlich geformte, merkwürdige Gegenstände, von denen man nicht begriff, wozu sie dienen könnten.

Der Anblick war so ernst und düster, so imponirend, daß die Gräfin, leise zusammenschauernd, den Arm des Königs nahm, der gedankenvoll umherblickte. Die geheimnißvolle Stätte, wo dereinst die überschwänglichsten, jahrelang von ihm genährten Hoffnungen sich erfüllen, die goldenen Träume, denen er seit Jahren nachhing, sich verwirklichen sollten, schien ihm eine Art von Ehrfurcht einzuflößen. Während seine Blicke so umherschweiften, fiel ihm plötzlich ein in einem Winkel stehender Tisch auf. Dort stand eine Reihe kleiner Tassen aus Porzellan, welche die Farbe und den Glanz des Jaspis hatten. Und August der Starke, der bekanntlich ein großer Porzellanliebhaber war und seine besten Soldaten gern gegen Chinavasen eingetauscht hätte, stürzte zu dem Tische hin, ergriff eine der kleinen Tassen und betrachtete sie von allen Seiten, wobei seine Züge ebenso viel Ueberraschung als Freude ausdrückten.

»Was ist das Böttcher?« rief er. »Es scheint chinesisches Porzellan zu sein, die Form der Tassen verräth aber, daß sie nicht aus China stammen.«

»Es ist Porzellan, Sire, das ich selber verfertigt,« erwiderte der Alchymist ruhig.

»Wie, Du solltest diese reizenden Täßchen angefertigt haben? Es ist nicht möglich – gestehe nur, daß Du Dir einen Scherz zu machen erlaubtest!«

Anstatt zu antworten, holte der Alchymist einige Untertassen und reichte sie der Gräfin mit einer tiefen Verbeugung.

»Also wirklich Dein Werk,« fuhr der König fort. »Böttcher, Du bist in der That ein Zauberer, denn nur ein solcher konnte das Geheimniß der Chinesen entdecken! Bis Du die Kunst erlernst, Gold zu brauen, sollst Du Porzellan fabriciren. O Böttcher! warum hast Du mir niemals gesagt, daß ein so kostbares Talent in Dir steckt?! Wußtest Du denn nicht, daß ich für einige Vasen und Becher mit dem polnisch-sächsischen Wappen den braven Chinesen fünfzigtausend Thaler ausgezahlt, daß ich meine ungeheuren Vasen von japanischem Porzellan gegen ein prächtiges Dragonerregiment von dem König von Preußen erhandelt habe?«

»Ich bitte Euch nicht zu vergessen, königlicher Herr, daß dies nur ein Versuch ist,« sagte Böttcher, auf die Täßchen weisend.

»Ein Erfolg, willst Du sagen,« verbesserte der König. »Das erste Tafelservice sollst Du der Göttin Diana zu Füßen legen. Gehe bald ans Werk!«

Damit wandte sich August gegen die Gräfin mit der Bitte, eines der Täßchen zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag mitzunehmen, und verließ dann mit ihr das Laboratorium Johann Friedrich Böttcher's.

Dieser Tag war für Sachsen in der That ein denkwürdiger. Der Erfindung Böttcher's verdankt das Land unermeßliche Reichthümer. Der Alchymist hatte da eine wahre Goldmine entdeckt. Diesem unvergeßlichen Tage folgte gar bald ein wohl nicht so segensreicher, doch nicht weniger ereignißvoller.

Obwohl Schulenburg den Plan, Karl XII. zu überfallen und auf den Königstein zu bringen, nach dem mit König August gepflogenen, dem Leser schon bekannten Gespräche aufgegeben hatte, so war doch das Leben des Schwedenkönigs insoferne nicht außer Gefahr, als Flemming und Gräfin Cosel noch immer auf Rache sannen und Karl durch seine an Verwegenheit grenzende Unvorsichtigkeit seinen Feinden häufig die Gelegenheit bot, sich an ihm zu rächen. Fast hatte es den Anschein, als habe er von dem geplanten Anschlag Wind bekommen und wolle den Sachsen beweisen, daß sie ihm keine Furcht damit eingeflößt hätten, denn seine Vermessenheit ging so weit, daß er meistens ohne Gefolge, ohne Escorte das Land durchstreifte.

Wie unvorsichtig der junge König auch war, so fiel es doch niemanden ein, daß er es wagen könnte, seine Feinde in ihrer Behausung, in Dresden, aufzusuchen. Eine solche Tollkühnheit hätte ihn bei der herrschenden Erbitterung der Gemüther theuer zu stehen kommen können, denn es war nichts weniger als unwahrscheinlich, daß die Dresdener durch eine verzweifelte That, der vielen Trübsale und Demüthigungen wegen, die er ihnen in den letzten Jahren bereitet hatte, sich an ihm rächen würden. Freilich hatte während der Regierung August's II. das Wohlleben die Bevölkerung verweichlicht und verderbt, ihr ihre frühere Energie geraubt.

Am 1. September – an dem Tage, wo der mit dem Kaiser von Oesterreich zu Gunsten der Protestanten in Schlesien abgeschlossene Vertrag unterfertigt worden war – hatte Karl XII. Altranstädt endlich verlassen, in der Absicht, seinem Heere nachzuziehen, das schon am 15. August aufgebrochen war, um über Schlesien und Polen gegen Norden zu rücken.

Der größte Theil der schwedischen Truppen hatte den sächsischen Boden bereits geräumt. Am 6. September standen nur noch einige die Nachhut bildende Regimenter in der Nähe von Leipzig.

Der König von Schweden hatte in Oberau bei Meißen Nachtquartier gehalten. Am frühen Morgen, der gar prächtig war, unternahm er mit ganz geringer Begleitung einen weiten Spazierritt. Während desselben tauchten bei einer plötzlichen Wendung des Weges die Kirchenthürme und Mauern Dresdens am Horizont auf. Karl hielt sein Pferd an und betrachtete mit gedankenvoller Miene eine lange Weile die Hauptstadt. Dann wendete er sich zu den Officieren, welche ihn begleiteten, und rief:

»Meine Herren, die Stadt liegt so nahe, warum sollten wir unseren Spazierritt nicht bis dorthin ausdehnen?«

Es mochte 3 bis 4 Uhr Nachmittags sein, als die kleine Schaar vor dem geschlossenen Stadtthore hielt und Einlaß begehrte.

Ein Trabant, sagten sie zu dem wachehabenden Officier, verlange vor König August geführt zu werden, um Sr. Majestät ein Schreiben Karl's XII. zu überreichen.

Wenige Minuten später betraten der König und seine Officiere die Hauptwache. Flemming, der zufällig auf derselben sich befand, war starr vor Staunen, als er in dem vermeintlichen Trabanten des Schwedenkönigs Karl XII. erkannte. Der Zufall schien seinen mörderischen Plan zu begünstigen. Fast hätte der General vor Freude darüber die Fassung verloren. Sich gewaltsam zusammennehmend, erbot er sich, die schwedischen Officiere zum König zu geleiten.

Zu dieser Stunde befand sich König August meistens im Zeughause. Dort gab er sich der Kurzweil hin, die er so sehr liebte und die bekanntlich darin bestand, seine herkulische Kraft zu üben. Auch heute war er mit seiner steten Begleiterin, der Gräfin Cosel, dort. Eben hatte der starke Mann, der seine Riesenkraft zu Niemandes Nutz und Frommen zu gebrauchen liebte, ein Hufeisen in zwei Stücke gebrochen, als heftig an die Thür gepocht wurde.

»Herein!« rief August der Starke, und blickte nach dem Ausgange.

Da erschien der König von Schweden auf der Schwelle. Hinter ihm stand Flemming, der seinem Gebieter durch bedeutsame Zeichen zu verstehen gab, daß er nur auf einen Wink von seiner Hand warte, um sich des Unvorsichtigen, Tollkühnen zu bemächtigen. Auch Gräfin Cosel, die neben August stand, raunte diesem die Worte zu: »Ein Fingerzeig Gottes! Hütet Euch, ihn nicht zu befolgen.«

Karl, der an den versteinert Dastehenden herangetreten war, mochte errathen haben, was die stolze Gräfin ihrem königlichen Geliebten zugeflüstert; denn er warf, nachdem er diesen auf das freundlichste begrüßt hatte, einen stechenden Blick auf sie und wandte sich dann, eine Frage in den Augen, von neuem gegen den sächsischen Fürsten.

König August, der sich von seiner Verwunderung mittlerweile erholt hatte, bat die Gräfin in kaltem Tone, ihn mit dem König von Schweden allein zu lassen, und verwandelte diese Bitte in einen Befehl, nachdem Gräfin Cosel mit einer stolzen Kopfbewegung ihm zu verstehen gegeben, daß sie nicht willens sei, sich zurückzuziehen.

Die schöne Frau gehorchte, nicht ohne einen Blick voll Haß auf den schwedischen König zu werfen, der eine Rüstung in einer Fensternische aufmerksam betrachtete, um sich den Anschein zu geben, als höre und sähe er nicht, was um ihn her vorgehe.

Nachdem Gräfin Cosel den Saal verlassen hatte, sagte Karl mit einem Anfluge von Ironie zu August, der mit bezauberndem Lächeln sich ihm näherte: »Ich habe Euere Riesenkraft oft rühmen hören, mein Bruder, und es würde mich außerordentlich freuen, wenn Ihr auch mich durch dieselbe in Erstaunen setzen wolltet.«

August nahm eine Eisenstange vom Boden auf und bat König Karl, er möge ihm seine Hand reichen. Dieser streckte seine Rechte aus, während August die Eisenstange in seiner Hand zu einem Reif bog. Diesen Reif legte er dem Schwedenkönig an und zerbrach ihn dann, gleichsam spielend, in zwei Stücke.

Die Beiden blickten sich schweigend in die Augen. Ohne ein Wort zu sprechen, warf der sächsische Herkules den Ring beiseite und König Karl ging, die Waffen des Arsenals zu besichtigen.

»Waffen genug habt Ihr,« meinte der Schwede. »Wie schade, daß so Wenige in diesem Lande sie zu gebrauchen verstehen.«

Hierauf verfügten sich die beiden Monarchen in das Schloß. König Karl wünschte der Familie August's, die vor Kurzem nach Dresden zurückgekehrt war, einen Besuch abzustatten.

Inzwischen hatte sich in der Stadt die Nachricht verbreitet, daß Karl XII. in Dresden sei. Das Volk war hierüber in Bewegung gerathen; die Einwohner, namentlich die protestantischen, liefen in den Straßen zusammen, es verlangte sie, denjenigen Mann zu sehen, der sich jüngst um ihre Glaubensgenossen in Schlesien so verdient gemacht hatte.

Flemming traf die nöthigen Anordnungen, um zu verhüten, daß ihm der Schwedenkönig entkomme. Er kam, um uns zu verhöhnen, sagte er bei sich, das soll er büßen. Auf allen Straßen und Plätzen wurden Soldaten aufgestellt, ein Theil der Cavallerie lauerte aber auf der nach Meißen führenden Landstraße auf den König von Schweden. Für den Fall, als August der Starke sich so schwach erweisen würde, seinen Feind entwischen zu lassen, sollte dieser auf offener Straße außerhalb der Stadt umzingelt und gefangen genommen werden.

Als Karl XII. an der Seite August's vom Arsenal nach dem Königspalaste ritt, schloß er aus dem geschäftigen Kommen und Gehen der Hofleute, aus der zusammengelaufenen Menge, aus den aufgestellten Truppen, kurz, aus dem erregten Aussehen der Stadt, daß er in der Gefahr stehe, seine Freiheit, vielleicht sein Leben zu verlieren. Das hinderte ihn jedoch nicht, der Königin einen langen Besuch abzustatten.

Während König Karl sich mit der hohen Frau unterhielt, gelang es Flemming, seinen königlichen Gebieter auf die Seite zu ziehen.

»Majestät,« begann er mit bebender Stimme, »die Stunde der Heimzahlung hat geschlagen. Der Schwede ist in Euerer Macht.«

»Er vertraut meiner Loyalität und meiner Ehre, darum soll ihm nicht ein Haar auf seinem Haupte gekrümmt werden,« lautete die Antwort August's.

»Euer Majestät gedenken sich gegen einen so unerbittlichen Feind großmüthig zu erweisen? Nein, das werde ich nicht dulden, ich werde mein Volk für die vielen Drangsale der letzten Jahre rächen – und sollte mein Ungehorsam mich den Kopf kosten!« rief Flemming aus.

»Es handelt sich jetzt nicht um Deinen Kopf, sondern um meine Ehre, hörst Du? Ich verbiete Dir, auch nur das Mindeste ohne meinen ausdrücklichen Befehl zu unternehmen.«

»Dann bleibt mir nichts zu thun übrig, als Euer Majestät den Degen zu überreichen, der Euch nicht mehr vonnöthen ist,« sagte trotzig der General, indem er Anstalt machte, seinen Degen aus der Kuppel loszulösen.

König August legte die Hand auf den Arm des Generals und sagte mit einem gebietenden Blick: »Lass' das, Flemming, und vergiß nicht, wer ich bin, vergiß nicht, daß hier niemand außer mir befugt ist, Befehle zu ertheilen.«

Flemming's Blut kochte. Er blickte kühn in die zornfunkelnden Augen des starken August und sagte in fürchterlichem Tone: »Und Euch wird Sachsen verloren gehen, ebenso wie Euch Polen verloren ging.«

Nach diesen Worten verließ General Flemming den Saal, während König August mit sorglosem Gesichtsausdruck zu seinem hohen Gaste zurückkehrte, der sich eben von der Königin verabschieden wollte. August vermochte ihn, seinen Besuch zu verlängern; er ließ köstliche Erfrischungen herbeibringen und war wie immer von bestrickender Liebenswürdigkeit. Auch Karl gab sich Mühe, artig zu sein und arglos zu erscheinen, er ließ sich jedoch keinerlei Erfrischungen aufdrängen.

Gräfin Cosel war während dieser Vorgänge in der höchsten Aufregung. Dem treuen Zaklika eröffnete sie, daß sie den verhaßten Schweden an irgend einer Straßenecke erschießen werde. Zaklika war über diese Aeußerung nicht wenig erschrocken. Die fieberhafte Aufregung seiner Gebieterin ließ ihn befürchten, daß ihre Worte mehr als eine leere Drohung waren. Er beschwor sie, von ihrem mörderischen Plane abzustehen, der insofern die Stadt in Aufruhr versetzen würde, als das Volk, welches auf den Straßen und Plätzen wimmle und sich an den Schwedenkönig herangedrängt hatte, diesen nicht als einen Feind betrachte, sondern als eine Stütze des Protestantismus, daß das Volk in ihm den Schirmherrn seiner schlesischen Glaubensgenossen sehe.

Zaklika täuschte sich nicht; das Volk in den Gassen war Karl XII. nichts weniger als feindlich gesinnt, und August, der seine Sachsen genau kannte, wußte wohl, daß ein Attentat auf das Leben oder die Freiheit des protestantischen Monarchen nicht ohne schlimme Folgen bleiben würde und es schon aus diesem Grunde angezeigt war, eine solche Gewaltthat zu unterlassen.

König August geleitete Karl XII., nachdem er sich von der Königin verabschiedet hatte, durch die menschenerfüllten Straßen der Hauptstadt, in welchen eine unheimliche Grabesstille herrschte. Es war, als ob die tausend und abertausend Menschen, welche die beiden Seiten der Straße und alle Fenster der Häuserreihen besetzten, den Athem anhielten. Sie schienen kein Wort, das von den Lippen der königlichen Reiter kommen würde, verlieren zu wollen. Diese aber schwiegen während des ganzen Rittes. Für die Salven, welche zu Ehren Karl's XII. auf August's Befehl gegeben wurden, neigte Jener gegen Diesen dankend das Haupt, ohne ein Wort zu sprechen. Am Stadtthor, das an der nach Meißen führenden Landstraße liegt, angelangt, wollte Karl von August Abschied nehmen, dieser aber, der Flemming zu gut kannte, um nicht zu vermuthen, daß der General außerhalb der Stadt über König Karl herfallen würde, wenn er diesen allein ziehen ließe, gab ihm bis Neudorf das Geleite, um seine eigene Ehre zu retten und seinen Gegner vor einem Ueberfall zu bewahren.

In Neudorf reichten sich die beiden Könige zum Abschied die Hände. Nachdem sie die letzten Worte miteinander gewechselt hatten, gab Karl seinem Pferde die Sporen und sprengte davon. August blickte ihm nach und fragte sich im Stillen, ob er recht gethan, der Stimme der Ehre gefolgt zu sein ... Da kam ein Mann zu Pferd an ihn herangesprengt. Es war General Flemming, der in dem an die Landstraße grenzenden Wäldchen auf den König von Schweden gelauert hatte.

»Wenn Euere Majestät glauben,« rief der General mit flammenden Augen, »daß die Welt diesen Act der Großmuth bewundern, daß derselbe die Auslieferung Patkul's sühnen werde, so täuscht Ihr Euch! Lachen werden die Menschen darüber ...«

»Schweig', Flemming!« befahl der König. Dabei wendete er dem General den Rücken, kehrte in Galopp nach Dresden zurück und begab sich in das Palais der vier Jahreszeiten, wo er von Gräfin Cosel, die über das Betragen des König fast noch mehr erzürnt war als Flemming, mit Thränen und bitteren Vorwürfen empfangen wurde.

»Ihr wagt es, Euch mir zu nähern,« rief die Cosel mit Heftigkeit, »nachdem Ihr meine Rathschläge nicht befolgt und eine heillose Thorheit begangen habt, indem Ihr an Euerem Feinde nicht Rache geübt ... Mit einem Schlage hättet Ihr ihm vergelten können, was er Euch, was er Euerem Volke angethan! Statt dessen ... O ich kann es kaum aussprechen – ließet Ihr ihn unversehrt von dannen ziehen! Dem starken August scheint der schwedische Barbar Furcht eingeflößt zu haben! Schämt Euch ...«

Hier brach sie in leidenschaftliches Schluchzen aus. Der König aber warf sich, sichtlich gelangweilt, in einen Lehnstuhl und sagte trocken:

»Ich konnte es nicht über mich bringen, mich auf eine so schmachvolle Weise an meinem Feinde zu rächen. Was ich gethan, bereue ich keineswegs. Ein Anderer wird ihm heimzahlen!«

»Das walte Gott!«

Am folgenden Tage legte August, von seiner Umgebung, die ihm wegen seiner Handlungsweise gegenüber dem Schwedenkönig herbe Vorwürfe machte, gedrängt, die Sache einem Kriegsrath vor. Die mit General Flemming übereinstimmenden Officiere äußerten sich dahin, daß ein Mann, dessen Gewaltthätigkeiten so oft die Rechte der Völker verletzt hatten, wenn er einmal seinen Feinden in den Weg laufe, nicht Anderes verdiene, als gefangen genommen zu werden und den Gefahren seiner Lage so lange ausgesetzt zu bleiben, als er sich weigerte, diejenigen Bedingungen zu erfüllen, welche man ihm aufzuerlegen als billig finden sollte.

König August schwieg, als er dieses Verdict vernahm.

Es wird behauptet, daß der schwedische Gesandte bei der Nachricht von dem abgehaltenen Kriegsrath ausgerufen habe: »Ganz ohne Frage wurde in dieser Sitzung darüber debattirt, was nur am Tage zuvor hätte ausgeführt werden können!«

 

Ende des ersten Bandes.

 


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