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3.
Versuchungen.

Wer ich bin?« wiederholte Anna von Hoym mit erstauntem Blicke. »Diese Frage dürfte doch eher ich an Euch richten, der Ihr in meinem Hause seid!«

»In Euerem Hause? rief verwundert der Priester. »Seid Ihr denn die Gattin des Ministers?«

Frau von Hoym bejahte die Frage des Geistlichen mit einer stolzen Kopfbewegung.

Der Fremde schwieg eine Weile; sein Blick, der auf Anna gerichtet war, drückte Trauer und Theilnahme zugleich aus. Zwei große Thränen rollten über seine faltenreichen Wangen herab und er sprach in feierlichem Tone, indem er sich der jungen Frau näherte:

»Warum betratest Du, ein reines Gefäß der Tugend, diesen brennenden Boden? Warum beflecktest Du, die der Allmächtige zu seiner Verherrlichung schuf, Deine reinen Füße mit dem Staube dieses lasterhaften Babylon? ... O, Du strahlendes Geschöpf, Schwester der Engel, sag' mir, weshalb Du nicht von diesem Herde wüster Ausschweifungen, von diesem Orte der Verdammniß fliehst? – Warum Du in dieser Hölle verweilst! Wer war so niederträchtig, Dich in diese unreine Welt zu locken? So sprich doch! Du stehst so ruhig und gleichgültig, als wüßtest Du nicht, welche Gefahr Dir droht? Antworte mir – seit wann bist Du hier?«

Die junge Frau war so bestürzt über diese Rede, daß sie keinen Laut Hervorbringen konnte. Die Worte des alten Priesters hatten sie bewegt, verwirrt, eingeschüchtert, aber zugleich empört. Indes fehlte ihr der Muth, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben. Noch ehe ein Wort über ihre Lippen gekommen war, fuhr der Geistliche fort:

»Unglückliche! Wißt Ihr denn, wo Ihr seid? Wißt Ihr, daß Ihr auf schwankendem Boden steht, daß hier diejenigen verschwinden, welche Anderen im Wege sind, daß hier das Leben für werthlos erachtet, daß es für einen Augenblick der Wollust hingeopfert wird?«

»O, mein Vater, wie fürchterlich sind die Bilder, welche Ihr mir da zeigt!« rief Frau von Hoym. »Welchen Zweck verfolgt Ihr, indem Ihr mich derart erschreckt?«

»Meine Tochter, ich habe auf Euerer Stirne, in Eueren Augen gelesen, daß Ihr unschuldig seid, daß Ihr keine Ahnung davon habt, was hier vorgeht. Befindet Ihr Euch nicht erst seit kurzer Zeit hier?«

Anna erwiderte: »Seit wenigen Stunden.«

»Man sieht es Euch an, daß Ihr Euere Kindheit und Euere Jugend nicht in dieser Umgebung verbrachtet. Wie ganz anders sähet Ihr aus, wenn dies nicht der Fall wäre!«

»Ich wurde im Holstein'schen erzogen – dort liegt meine Vaterstadt. Während meiner Ehe mit dem Grafen Adolph von Hoym lebte ich immer auf dem Lande, sah Dresden nur aus der Ferne und ...«

»Und niemand hat Euch erzählt, was in der Hauptstadt vorgeht,« ergänzte der würdige Mann in leisem Tone. »Ja, ja, all das hatte ich beim ersten Anblick errathen. Gott erlaubt mir zuweilen, in die Tiefen der Menschenseele zu dringen. Als ich Euch erblickte, erfaßte mich das innigste Mitleid; es war mir, als sähe ich eine blendend weiße, abseits vom Wege aufgeblühte Lilie, der sich eine Rotte schändlicher Buben näherte, um sie zu zertreten. In jener Ferne, wo Ihr das Licht der Welt erblicktet, dort in der Einsamkeit hättet Ihr aufblühen, Euch entfalten sollen, für Gott allein!«

Der Geistliche schwieg und versank in tiefes Nachdenken. Nach langem Schweigen trat Anna an ihn heran und sagte mit bewegter Stimme: »Und Ihr, mein Vater, wer seid Ihr?«

»Ich? ... Ich? ... sagte er in gedehntem Tone. »Ich bin ein Unglücklicher, den Alle verspotten und verachten. Ich bin die verhallende Stimme in der Wüste, Derjenige, welcher den Verfall und den Ruin, die Zerstörung, die Tage der Prüfung und der Buße prophezeit. Ich bin das Werkzeug des Herrn; meine Stimme ist zuweilen mächtig, auf daß die Menschen sie hören und – meiner alsdann spotten mögen. Ich bin der Priester, dem die Gassenjungen nachlaufen, dessen schwarzes Gewand sie mit Koth bespritzen, den sie mit Steinen bewerfen; ich bin Derjenige, dessen Warnungen verachtet werden, ein Thor in den Augen der Mächtigen und Reichen der Erde, vor Gott aber ein Gerechter, Reiner!«

Bei den letzten Worten erlosch die Stimme des ehrwürdigen Mannes und er neigte traurig das Haupt.

»Welch seltsamer Zufall, daß ich Euch, mein Vater, an der Schwelle dieses Hauses begegnete,« sprach nachdenklich Frau von Hoym. »Ihr warnt mich vor den Gefahren, die mich umgeben. Ist das nicht ein Fingerzeig Gottes?«

»Es ist ein Werk der Vorsehung,« erwiderte feierlich der Greis. »Wehe denen, die ihre Winke nicht befolgen! ... Doch Ihr wolltet erfahren, wer ich bin ... Mein Name ist Schramm; ich bin nur ein armer Prediger, der zu seinem Unglück auf der Kanzel die Wahrheit gesprochen hat und den nun die Rache der Mächtigen verfolgt. Ich bin hierhergekommen, um Herrn von Hoym, der mich in seiner Jugend kannte, zu bitten, sich für mich zu verwenden. Was aber führte Euch hierher, verehrte Frau? Wer veranlaßte Euch, nach Dresden zu kommen?«

»Mein Gemahl,« erwiderte einfach Frau von Hoym.

»Bittet ihn, diesen Ort allsogleich verlassen zu dürfen! Ich habe sie Alle gesehen, diese Schönen des Hofes, und ich kann Euch versichern, werthe Frau, daß Ihr tausendmal schöner als diese vielgerühmten Schönheiten seid. Wehe Euch, wenn Ihr hier verweilet. Giftige Spinnen werden Euch mit ihren Intriguen umgarnen, werden kein Mittel scheuen, um Euch zu verführen. Mit süßen Reden, Sirenengesang, Sinnengenüssen, fascinirenden Blicken, Lügen – damit wird man Euch zu Fall bringen. Sinne und Augen werden Euch geblendet werden; man wird Euch mit der Schande vertraut machen, bis Ihr endlich berauscht, entkräftet, besiegt in den Abgrund stürzt, der schon so Viele verschlang.«

Die junge Frau furchte die Stirne und entgegnete: »Ich bin nicht so schwach, als Ihr meint. Wohl weiß ich, daß man mir Fallen stellen wird, indes lechze ich nicht nach den Freuden und Genüssen dieser Welt, welche ich von oben herab betrachte, weil sie tief unter mir liegt.«

»Vertrauet Eueren Kräften nicht, mein armes Kind,« rief der exaltirte Priester; entfliehet dieser Hölle und rettet Euere unschuldige Seele vor sicherem Verderben!«

»Wohin sollte ich fliehen?« fragte die junge Frau. »Ist doch mein Schicksal an dasjenige meines Gatten gebunden, liegt es doch nicht in meiner Macht, diese Fesseln zu sprengen. Ich bin übrigens Fatalistin und glaube, daß ich dem, was mich erwartet, nicht entgehen kann. Fasciniren und berauschen, besiegen lasse ich mich nicht. Ich bin stolz und stark und werde Diejenigen, welche mich verführen und gängeln wollen, bezwingen und beherrschen.«

Mit verwundertem, erschrockenem Gesichtsausdruck starrte der Geistliche die junge Frau an, die in stolzer Haltung vor ihm stand, eine bezwingende Gewalt im Auge, ein verächtliches Lächeln auf den Lippen.

In diesem Augenblick ging die Thür auf und ins Zimmer trat Graf Hoym, auf dessen gemeinen Zügen die Ausschweifungen der vergangenen Nacht deutlich ihre Spuren hinterlassen hatten. Sein Aeußeres war nichts weniger als vornehm; von rüstigem Wuchs, hatte er linkische Bewegungen, seine lebhaften grauen Augen schossen häufig Blitze und seine Stirne furchte und glättete sich fortwährend mit nervöser Hast.

»Schon wieder hier, wahnwitziger Fanatiker!« rief der Minister, als er Schramm erblickte. Dabei trat er in das Zimmer, warf einen finsteren Seitenblick auf seine Frau und fuhr, ohne diese zu begrüßen, in zornigem Tone fort: »Immer das alte Lied. Zuerst machst Du dumme Streiche und dann kommst Du zu mir, damit ich die Dir drohende Gefahr abwende. O, ich weiß alles – Du wirst davongejagt und in irgend eine Einöde, unter Bauern, geschickt werden! Und ich bin nicht gewillt,« fuhr Hoym mit erhöhter Stimme fort, »Dich in Schutz zu nehmen. Danke Gott, daß man Dich in einen vergessenen Erdenwinkel schafft – es hätte Dir Schlimmeres zustoßen können. Glaubst Du denn, daß Euch Schwarzröcken an unserem Hofe alles erlaubt sei?« schrie der Minister und trat so nahe an den Geistlichen heran, daß man glauben konnte, er wolle Hand an ihn legen; »vermeint Ihr, daß man dasjenige, was Ihr das Wort Gottes nennt, auch den Leuten ganz unverblümt sagen könne, die an die süße Kost der Schmeichelei gewöhnt sind? Wollt Ihr hier etwa die Rolle der Apostel, der Heidenbekehrer spielen?«

»Ich bin ein Werkzeug des Herrn,« versetzte ruhig der Geistliche, »und habe geschworen, für die Wahrheit zu kämpfen. Im Nothfalle wäre ich auch bereit, mich dem Märtyrerthum zu weihen.«

»Einer solchen hohen Ehre wirst Du nicht theilhaftig,« hohnlachte Hoym. »Du kannst nur Fußstöße und Hiebe erhalten, verspottet und davongejagt werden.«

»Gottes Wille geschehe!« erwiderte demüthig Schramm. »So lange ich hier weile, wird mich keine Gewalt der Erde zum Schweigen bringen.«

»Du predigst vor tauben Menschen,« fiel der Minister ein. »Doch genug des müßigen Geredes! Thue, was Du willst, mich geht es nichts mehr an. Ich will und kann mich nicht für Dich verwenden. Kann man hier doch nur mit Mühe sein eigenes Haupt schützen. Ich habe Dir übrigens oft genug gesagt, daß man zu schweigen, oft auch zu schmeicheln wissen muß, will man nicht zertreten werden. Was ist da zu machen? Die Zeiten von Sodom und Gomorrha sind wieder gekommen! Lebe wohl, Schramm! Gott helfe Dir! Ich habe nicht die Zeit, Dich weiter anzuhören.«

Der Geistliche verbeugte sich schweigend und schritt nach dem Ausgang. Indem er die Schwelle betrat, wendete er das Haupt und warf auf Frau von Hoym einen vielsagenden Blick. Der Minister fing diesen Blick auf und erbebte.

»Schramm, Du thust mir leid,« sagte er begütigend. »Ich werde für Dich thun, was in meiner Macht steht. Aber um Gottes willen, verhalte Dich still, vertiefe Dich in Deine Bibel und lege Deiner Zunge Zügel an ... Ich rathe Dir's zum letztenmal!« ...

Schramm verließ schweigend das Zimmer; er schien die Rede des Ministers überhört zu haben. Als das Ehepaar allein war, trat eine peinliche Pause ein. In sichtlicher Verlegenheit ging Hoym im Cabinet hin und her, nahm ein Papier vom Schreibtisch, legte es wieder nieder, hüstelte und sah seine Gattin verstohlen an. Eine gewisse Kälte herrschte seit einiger Zeit zwischen den beiden Gatten. Der Minister scheute vor der bevorstehenden unvermeidlichen Aufklärung zurück.

Die junge Frau brach endlich das Stillschweigen. »Weshalb ließet Ihr mich hierher kommen, Graf?« frug sie in vorwurfsvollem Tone.

Hoym fuhr von seinem Sitze auf. »Weshalb?« wiederholte er und begann das Zimmer mit lebhaften Schritten zu durchmessen. »Weil mir niederträchtige Menschen so viel zu trinken gaben, daß ich nicht mehr wußte, was ich that, ich Unglücklicher, ich Thor, ich Wahnsinniger!«

»Ich darf also nach Laubegast zurückkehren?« fragte Anna kalt.

»Nein, das dürft Ihr nicht! Aus der Hölle entkommt man nicht so leicht,« lachte er bitter. »Mir habt Ihr es zu verdanken, daß Ihr hineingeriethet. Und Ihr werdet nicht wieder herauskommen, das dürft Ihr mir getrost glauben!«

Bei diesen Worten riß Hoym seinen Rock auf, als fürchte er, zu ersticken, und warf sich wie verzweifelt in einen Lehnstuhl. »Es ist zum Wahnsinnigwerden!« fuhr er leise fort. »Wer aber vermöchte dem Könige die Stirne zu bieten!« ...

»Dem Könige?« fragte befremdet die junge Frau in gedehntem Tone.

»Ja wohl, Verehrteste, dem Könige! Mit Allen müßte ich ringen; denn Alle haben sich gegen mich verschworen: der König, Fürstenberg, Vitzthum, vermutlich auch meine Schwester. Sie haben erfahren, daß ich eine schöne Gattin besitze; sie wissen, daß ich ein Thor bin, und fanden Mittel, mich zu zwingen, ihnen mein Weib zu zeigen.«

»Wer mag mit ihnen von mir gesprochen haben?« frug Anna mit vollendeter Ruhe.

Der Minister war verwirrt und schwieg. Er vermochte es nicht, einen Fehler zu bekennen, dessen schreckliche Folgen er schon jetzt zu fühlen begann. Zähneknirschend, der schrecklichsten Folter preisgegeben, stampfte er mit den Füßen ... Plötzlich stand er auf, sein Zorn legte sich, sein Gesicht erbleichte und nahm einen kalten, ironischen Ausdruck an.

»Es ist zu spät, zurückzutreten; dem Nebel ist nicht mehr auszuweichen. Man hat mich gezwungen, Euch nach Dresden zu rufen, Anna. Der König wünschte es ... Und August-Jupiter pflegt Diejenigen, welche sich seinen Wünschen entgegensetzen, zu vernichten, er treibt mit Allem und Allen sein Spiel und eignet sich Anderer Schätze und Eigenthum an, um diese alsdann mit seinen königlichen Füßen zu zertreten, sie beiseite zu stoßen.«

Der Minister hielt plötzlich inne und blickte erschrocken im Zimmer umher, wie um sich zu überzeugen, daß kein Fremder seine Worte vernommen habe. Hierauf begann er von neuem auf und ab zugehen und fuhr fort: »Ich habe mit Fürstenberg gewettet, daß Ihr schöner als all' jene Frauen seid, welche aus ihrer Schönheit hier am Hofe Münze schlagen. Bin ich nicht ein Thor? O, gebt es nur getrost zu! Ich war wahnsinnig! ... Unser vielgeliebter König wird über unsere Wette entscheiden, und mir fallen natürlich die tausend Ducaten zu!«

Das Gesicht der jungen Frau drückte die tiefste Verachtung aus.

»Das ist erbärmlich, niederträchtig, mein Herr!« rief Anna mit bebender Stimme. »Ihr habt mich in Laubegast gefangen gehalten, mich zur Einsamkeit, zur Langweile verurtheilt, und nun bringt Ihr mich hierher, damit ich gleich einer Schauspielerin auf der Bühne mit meinen Augen, meinem Lächeln Euch zu einer Handvoll Ducaten verhelfe. Welche Niederträchtigkeit, welche Schmach!«

»Ueberhäuft mich mit Vorwürfen, Anna, zeigt mir die Verachtung, welche ich Euch einflöße, ich habe sie wohl verdient. Mein Vorgehen war schmählich ... und unbegreiflich,« fügte Hoym schmerzlich hinzu. »Das reizendste Geschöpf von der Welt durfte ich mein nennen, seine Schönheit strahlte nur mir – und ich war so stolz und glücklich, einen solchen Schatz zu besitzen! ... Da flüsterte mir ein böser Dämon ein unsinniges Wort, eine Art Herausforderung ins Ohr, und ich verlor den Verstand.«

Der Unglückliche rang verzweifelt die Hände. Die Gräfin aber wendete sich gegen die Thür und sagte in befehlendem Tone: »Lasset anspannen, Herr Graf. Ich müßte mich vor mir selber schämen, wenn ich noch einen Augenblick hier bliebe. Habt Ihr mich verstanden, Graf? Ich will meinen Wagen, meine Pferde!« Hoym lächelte mit Bitterkeit und sagte: »Habt Ihr denn noch nicht begriffen, Gräfin, daß Ihr geradezu eine Gefangene seid. Es würde mich nicht Wunder nehmen, wenn die Ausgänge dieses Hauses besetzt wären. Glaubt mir, Gräfin, Ihr könnt nicht fliehen, und gelänge es Euch auch, die Dragoner des Königs würden Euch verfolgen und zurückbringen.«

Die Gräfin sank in den ihr zunächst stehenden Lehnstuhl und schlug in heller Verzweiflung die Hände vor das Gesicht. Ihr Gemahl trat an sie heran, berührte leise ihren Arm, wie um ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sprach in besänftigendem Tone: »Vielleicht ist das Uebel nicht so groß, als es mir erscheint. Wir wollen kalt und besonnen reden. Anna, hört mich an! Hier fallen nur diejenigen Frauen, welche Lust dazu haben. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr ja häßlich erscheinen, eine strenge, abstoßende Miene zur Schau tragen ... Das dürfte uns Beide retten.« Hier dämpfte Hoym seine Stimme und er flüsterte: »Ihr kennt unseren König wohl nicht? ... Er ist ein großmüthiger, prachtliebender Fürst, Gräfin,« fuhr der Minister ironisch fort, »der das Gold, welches ihm aus meinen Accisen und aus dem schwarzen Brot der Armen zufließt, mit vollen Händen ausstreut! Einen herrlicheren König hat die Welt nicht aufzuweisen; es ist keiner, dessen Vergnügungen kostspieliger, zahlreicher und seltsamer wären. Er bricht die stärksten Hufeisen in zwei Stücke, er bricht die Herzen der Frauen und wirft sie achtlos, beiseite, er wirft seine Lieblinge in den Kerker – dies alles vollbringt er mit unvergleichlicher Anmuth! August ist ein so liebenswürdiger Fürst, wenn man seine Launen befriedigt!«

Nachdem sich der Graf wiederum überzeugt hatte, daß kein Lauscher in der Nähe sei, fuhr er in leisem, kaum hörbarem Flüstertöne fort: »Er liebt die Frauen, ja; es dürfen aber nicht immer die nämlichen sein, er bedarf immer wieder neuer Waare. Den Tribut, welchen die Griechen jenem Ungeheuer zu liefern hatten, das sich mit Jungfrauen sättigte, fordert auch der starke August vom sächsischen Volke. Wer vermöchte seine Opfer zu zählen! Viele sind bekannt, Hunderte aber in Vergessenheit gerathen. Der Geschmack des Königs ist gar eigenthümlicher Art. Wenn er des Sammtes und der Seide überdrüssig ist, findet er an gröberer Waare Gefallen. Die Welt schreibt ihm drei Gattinnen linker Hand zu – ich könnte deren mehr als zwanzig aufzählen. Aurora Königsmarck ist noch immer schön, die Spiegel noch immer jung, Prinzessin Teschen die Favoritin des Tages; allein er ist ihrer satt, er lechzt nach neuer Beute. Warum solle er auch nicht, der liebe, gute Augustin! Wer vermöchte ihm zu widerstehen, ihm, der schön ist wie ein Apollo, stark wie ein Herkules, imposant wie ein Jupiter, wollüstig wie ein ...«

»Warum erzählt Ihr mir das?« unterbrach, sichtlich entrüstet, die Gräfin ihren Gatten. »Meint Ihr, ich sei so niedrig, beim ersten Wink des Fürsten die Bahn der Ehre zu verlassen? Ihr verkennt mich, mein Herr, Ihr beschimpft mich!«

»Ich kenne den Adel Eueres Herzens, meine Anna,« sagte er mit Wärme; »weiß aber zugleich, wessen diese Hofleute fähig sind. Der König und seine Vertrauten flößen mir Furcht ein, nur Eines vermöchte mich zu beruhigen ... Euere Liebe,« setzte er stockend hinzu.

»Ich habe Euch Treue gelobt, die muß Euch genügen,« fiel Anna mit edlem Stolze ein. »Mein Herz habt Ihr nicht zu gewinnen verstanden. Ihr seid jedoch im Besitze meines Wortes. Frauen meines Schlages lassen sich keinen Eidbruch zu Schulden kommen.«

»Der Glanz einer Krone ließ schon so manche ihre Pflichten vergessen!« seufzte Hoym.

»Die Maitresse eines Mannes vermöchte ich nie und nimmer zu werden!« rief die Gräfin leidenschaftlich. »Es wäre mir nicht möglich, diesen Makel auf der Stirne zu tragen ...«

»Dieser Makel prägt sich nicht tief ein, Gräfin. Er schmerzt nur secundenlang; die Wunde vernarbt schnell, man fühlt sie nur allzu bald nicht mehr ...«

»Euer Benehmen ist schmachvoll, Graf,« unterbrach ihn Anna in heftigem Tone. »Nachdem Ihr mich gezwungen habt, hierherzukommen, führt Ihre beleidigende, schimpfliche Reden, erschreckt mich mit Drohungen ...«

Sie kam nicht weiter, gerechter Zorn schnürte ihr die Kehle zu. Bewegt trat Hoym näher.

»Vergebt mir, Anna,« sagte er demüthig. »Mein Verstand hat sich verwirrt, ich weiß nicht mehr, was ich Ihne, was ich sage. Meine Ahnungen betrügen mich gewiß, meine Befürchtungen werden sich als grundlos erweisen! ... Morgen ist großer Hofball. Seine Majestät wünscht, daß Ihr Euch auf demselben zeigt. Wenn Ihr Euch Mühe gebt, minder schön zu erscheinen, so sind wir gerettet, Anna. Es ist ja so leicht, linkisch, ungraziös, unliebenswürdig, zerstreut zu sein, gelangweilt und langweilig auszusehen. Sucht dem König zu mißfallen, ich verliere so gerne meine Wette ...«

»Spart Euch die Mühe, fortzufahren; denn ich bin nicht gewillt, diese Komödie zu spielen. Mir ist alles, was falsch ist, in hohem Grade verhaßt. Seid indes in Betreff Euerer Ehre unbesorgt – Anna Constanze von Brockdorf zählt sich nicht zu jener Classe von Frauen, welchen es nach königlicher Gunst gelüstet, die ihre Ehre gegen eine Handvoll Edelsteine eintauschen. Macht Euch keine Sorgen, Graf, ich werde nicht auf dem Hofball erscheinen.«

Hoym wechselte die Farbe und sagt nach kurzer Pause:

»Bedenkt, Gräfin, daß es sich durchaus nicht um eine Kinderei handelt, sondern daß mein Vermögen, ja mein Kopf auf dem Spiele steht. Ihr müßt auf diesem Ball erscheinen – es ist des Königs ausdrücklicher Wunsch.«

»Den ich nicht erfüllen werde,« erwiderte stolz die Gräfin.

»Sie wollen August dem Starken trotzen?« fragte Hoym.

»Weshalb nicht? Er ist unser Gebieter, das Land gehört ihm; es existiren indes zwei Dinge in diesem Lande: die häusliche Ehre und die Familien seiner Unterthanen, über die hat der König nicht zu verfügen, über die hat Gott zu bestimmen. Was hätte ich also von Seite August's zu befürchten?«

»Euch widerführe freilich nichts, dieses weiß ich!« lachte Hoym bitter. »Ist doch König August gegen alle Frauen von übertriebener Galanterie. Ich aber käme nach Königstein, unsere Güter würden confiscirt werden und den Höflingen zufallen ...«

Hoym schlug beide Hände vor das Gesicht und fuhr, wie vom Schmerze überwältigt, mit gebrochener Stimme fort:

»Ihr kennt diesen Menschen nicht, Anna. Wenn ihm auch die Anmuth eines Apollo eigen ist, so gleicht er nichtsdestoweniger auch dem blitzeschleudernden Jupiter. Er verzeiht Ungehorsam niemals. Ich wiederhole es, Ihr müßt bei Hofe erscheinen, Anna, oder ich bin ein verlorener Mann!«

Frau von Hoym schritt, ohne ein Wort zu sagen, aufs neue dem Ausgange zu. Er folgte ihr und flehte sie an, sie möge dem König nicht trotzen. In demselben Augenblick ging die Thür auf und ein Diener meldete:

»Gräfin Reuß und Frau von Vitzthum.«

Hoym wandte sich mit zorniger Miene gegen den Diener, in der Absicht, diesem zu bedeuten, daß in diesem Augenblick niemand vorgelassen werden dürfe. Indes war es schon zu spät, schon zeigte sich im Rahmen der Thür die aristokratische Erscheinung der reizenden Gräfin, hinter welcher der neugierig vorgestreckte Kopf der Schwester Hoym's sich sehen ließ.

Hatte Hoym gehofft, daß die Vorkommnisse der gestrigen Nacht in Dresden noch nicht bekannt geworden, so ergab sich aus dem Besuch dieser beiden Damen, daß er sich leider getäuscht. Was er gestern im Rausche gethan, mochte heute schon Allen bekannt sein. Jedenfalls wußten die beiden Damen darum; denn Gräfin Reuß würde das Haus des Ministers nicht betreten haben, wenn sie nicht gewußt hätte, daß dessen Gattin sich in demselben befand.

Die Damen traten ein, der Lakai entfernte sich. Gräfin Reuß war eine noch ziemlich junge, ungemein vornehme Frau von etwas üppigem Wuchs mit einem heiteren Gesichtsausdruck. Ihre frischen rothen Wangen hoben sich von ihrem matten Teint reizend ab und das schwarze Kleid, welches sie trug, hob ihre schöne Gesichtsfärbung hervor. Die Gräfin war im Ganzen eine sehr anziehende Erscheinung und niemand konnte weniger geeignet erscheinen, Schrecken einzuflößen als sie. Trotzdem hatte Hoym bei ihrem Anblick die Farbe gewechselt. Für ihn hatte dieser Besuch eben eine drohende, schreckliche Bedeutung ...

Gräfin Reuß ging, ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen, mit ausgestreckten Händen auf die Dame des Hauses zu, indem sie in sanftem, harmonischem Tone sagte:

»Da seid Ihr endlich, theuere Gräfin! Ich kann Euch mit Worten nicht ausdrücken, wie erfreut ich über Euere Ankunft bin, wie glücklich es mich macht, die Erste zu sein, welche Euch in Dresden willkommen heißt. Glaubt um des Himmels willen nicht, daß mich bloße Neugier hierher trieb; o nein, was mich zu Euch führt, ist der Wunsch, Euch nützlich sein zu können.«

Als sie endlich Anna's Hände nach einem letzten kräftigen Druck losließ, verneigte sich diese vor der neuen Bekanntschaft. Es war eine tiefe Verbeugung, doch zugleich eine kalte, gleichsam abwehrende.

»Euch, Graf,« fuhr die schöne Frau, zu dem Minister sich wendend, fort, »Euch sollte ich zürnen, weil Ihr mich von der Ankunft Euerer Gemahlin nicht in Kenntniß gesetzt habt. Ganz zufällig erfuhr ich die gute Nachricht von Hülchen.«

»Wie, Hülchen wußte es schon?« entfuhr den Lippen Hoym's, der seinen Unwillen nicht länger zu verbergen vermochte.

»Gewiß! Ganz Dresden weiß um die Ankunft Euerer lieben Gattin,« erwiderte Gräfin Reuß in anscheinend harmlosem Tone. »Man spricht überall nur von Euch Beiden. Und Jedermann ist der Meinung, daß es von Euch, Graf, recht war, Euere arme Gemahlin dem Einsiedlerleben, das sie schon seit so langer Zeit führt, zu entreißen ... Ihr werdet also morgen bei Hofe erscheinen?« fuhr sie, an die Gattin Hoym's sich wendend, fort. »Für Euch, die Ihr die Welt nicht kennt, ist dies ein großes Ereigniß. Ich bitte Euch, Gräfin, ganz über mich und Frau von Vitzthum zu verfügen, wir wünschen Beide sehnlichst, Euch mit Rath und That beizustehen.«

»Ihr seid sehr gütig, Gräfin,« versetzte Frau von Hoym ruhig. »Es war zwischen meinem Gatten und mir eben von diesem Feste die Rede. Mir scheint es indes nicht unumgänglich nothwendig, daß ich diesen Hofball besuche. Ich werde doch das Recht haben, unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit zu Hause zu bleiben. Man dürfte mir Glauben schenken,« fügte Anna mit einem leisen Anflug von Ironie hinzu, »da unverhofftes Glück nicht selten erschüttert, die Nerven angreift ...«

»Ich rathe Euch, Gräfin, von diesem Vorwande keinen Gebrauch zu machen,« fiel Gräfin Reuß lebhaft ein. »Niemand würde Euch Glauben schenken, da Ihr die Kraft und Schönheit einer Juno besitzt und durchaus nicht darnach ausseht, als wenn Ihr so leicht erregbare Nerven hättet.«

Mit diesen Worten nahm die schöne Dame die Hand an, welche ihr Graf Hoym bot, um sie in den Salon zu geleiten.

Frau von Vitzthum und Anna folgten ihnen. Die Erstere legte ihren Arm in den ihrer Schwägerin, hemmte ihre Schritte und flüsterte ihr zu: »Liebe Anna, Du hast keinen Grund, Dich vor diesem Balle zu fürchten, Dich zu weigern, auf demselben zu erscheinen. Einmal muß Deine Sklaverei, Dein monotones Leben aufhören – ich bin glücklich darüber, daß diese Stunde endlich gekommen zu sein scheint. Du wirst unseren Hof – unseren einzigen Hof, unseren herrlichen König sehen! Beneidenswerthe! Dir winkt die glänzendste Zukunft, das magst Du mir glauben, und ich wünsche Dir von Herzen Glück dazu.«

»Ich habe mich an die Einsamkeit gewöhnt,« antwortete Anna. »Ich empfinde keine Sehnsucht nach etwas Anderem.«

Die Damen hatten den Salon erreicht, aus dem sich soeben Herr von Hoym in Folge der Meldung eines Dieners, Beamte der Accise wünschten ihn zu sprechen, entfernt hatte. Gräfin Reuß ließ sich zwischen der Dame des Hauses und deren Schwägerin nieder und sagte, die Hände der Ersteren ergreifend: »Es ist für mich ein wahres Glück, Euch in die Welt, welche Ihr noch nicht kennt, einführen zu dürfen. Verschmäht meine Rathschläge nicht. Ich kann Euch in vielen Dingen von Nutzen sein. Graf Hoym hat Euch unwillkürlich einen Schemel unter die Füße geschoben, aus dem gar bald ein Piedestal werden kann. Gräfin, Ihr könnt Euch auf die höchsten Höhen schwingen ... Seid Ihr doch schön wie ein Engel.«

Gräfin Hoym schwieg eine Weile, sie wußte offenbar nicht, was sie auf diese Rede erwidern solle. Nach einigem Nachdenken hob sie in kaltem Tone an: »Wenn Ihr die Vermuthung hegt, daß ich mich mit ehrgeizigen Plänen trage, so täuscht Ihr Euch, verehrte Gräfin. Ich stehe nicht mehr in dem Alter, wo man frivolen Träumen nachhängt. In meiner Einsamkeit hatte ich Zeit und Muße genug, über die Welt und über mich selbst nachzudenken, und das Ergebniß davon ist, daß ich nichts Anderes wünsche, als jenen Frieden und jene Ruhe, welche ein einsames Leben bieten.«

Gräfin Reuß lachte und behauptete, die schöne Einsiedlerin von Laubegast werde gar bald anderen Sinnes werden. »Einstweilen lasset uns auf ein anderes Thema übergehen, ein Thema von höchster Wichtigkeit, lasset uns von der Toilette reden, die Ihr, theuere Gräfin, morgen tragen werdet. Liebe Vitzthum, kommt uns hierbei zu Hilfe, lasset uns berathen, wie sich unser schöner Schützling ankleiden soll. Ihm dürfen wir diese Sorge nicht überlassen, weil er sich nicht mit dem erforderlichen Ernste damit befassen würde.«

»Wie sie sich auch immer kleiden möge, Anna wird unfehlbar die Schönste sein,« schmeichelte die Schwägerin. »Die Teschen, welche die Jugendfrische verloren hat, kann sich mit unserer theueren, jugendlichen, schönen Anna nicht messen. Sie wird alle Frauen des Hofes an Schönheit überstrahlen. Nach meiner Ansicht wäre die einfachste Toilette für Anna am passendsten. Anderen, minder schönen Frauen ist es gestattet, sich der Schminke und des Flitters zu bedienen; Anna aber bedarf keiner solchen Zuthat, um vollendet schön zu sein. Ein schlichter, mädchenhafter Anzug würde sich am besten für sie eignen.«

Dieses Gespräch wurde lange fortgesetzt. Im Anfang schwieg Gräfin Hoym. Das zuvorkommende, fast zudringliche Benehmen, die Dienstwilligkeit dieser beiden Damen, welche auf Anna nicht den Eindruck uneigennütziger Wesen machten, erfüllte die junge Frau mit Angst und Mißtrauen. Allmählich ließ sie sich aber von dem Interesse, welches Toilettefragen den Damen einzuflößen pflegen, fesseln und betheiligte sich an der so wichtigen Debatte. Darüber verflog die Verstimmung, welche die jüngsten Geschehnisse hervorgerufen. Die junge Frau war jetzt heiter, sie lachte und warf häufig witzige, treffende Bemerkungen hin.

Gräfin Reuß nahm alle Bonmots der Herrin des Hauses mit schallendem Gelächter auf und überschüttete sie förmlich mit Complimenten.

»Ihr seid ein anbetungswürdiges Geschöpf,« rief sie. »Wie unwiderstehlich, wie unvergleichlich in Geberden und Reden! Ihr habt Euch in Euerer Zurückgezogenheit allen Zauber, alles Feuer der ersten Jugend bewahrt, theuere Gräfin. Morgen wird sich der ganze Hof zu Eueren Füßen werfen. Hoym sollte schon jetzt alle feine Pistolen laden. Die Teschen aber wird bei Euerem Erscheinen gewiß in Ohnmacht fallen.«

Und nun erzählte Gräfin Reuß, wie Fürstin Lubomirska bei dem Ringelstechen in Warschau, als König August vom Pferde geworfen wurde, vor Schreck und Theilnahme in Ohnmacht fiel, und sich dadurch die Neigung des königlichen Helden eroberte. Beide hätten das Bewußtsein zu gleicher Zeit verloren; wie angenehm das Erwachen gewesen, ließe sich begreifen.

»Als die Fürstin die Augen wieder öffnete,« fuhr die Gräfin Reuß fort, »sah sie August vor ihr knien ... O, wie haben sich die Zeiten geändert! Jetzt dürfte den König eine Ohnmacht der Teschen-Lubomirska nicht im mindesten bewegen. Ihr Reich ist seinem Ende nahe. Während der jüngsten Leipziger Messe soll er über seinem Glücke bei den französischen Schauspielerinnen sie zu lieben verlernt haben, und man will wissen, daß er unlängst dem Fürsten Egon von Fürstenberg anvertraut habe, sein Herz sei frei und er wolle es der ersten Schönen, welcher er begegnen werde, zu Füßen legen.«

Diese Rede ängstigte die junge Frau. »Ich will hoffen, verehrte Gräfin,« sagte sie, »daß in Eueren Worten keine Anzüglichkeit liegt, daß Ihr mich nicht im Verdacht habt, ich wolle gegen Schauspielerinnen und Favoritinnen in die Schranken treten. Wahrlich, der Preis lockt mich nicht! Wie könnte ich mich mit einem Herzen begnügen, das durch die Liebe zu einer Teschen entweiht wurde!«

Gräfin Reuß erröthete bei diesen Worten, die sie nicht erwartet hatte.

»Natürlich!« erwiderte sie rasch. »Wer dachte auch an dergleichen! Ich plaudere, um zu plaudern. Uebrigens kann es nicht schaden, Euch auf alle Fälle zu wappnen. Doch lasset uns zu unserem früheren Gespräche zurückkehren. Wir schicken Euch also Kleidermacherinnen und Kaufleute. Für den Fall, als Ihr Euere Diamanten in Laubegast gelassen habt, oder Ihr solche nicht besitzet, empfehlen wir Euch Herrn Noeyer – ein verschwiegener, zuvorkommender Mann – der Euch feenhafte Hals- und Armbänder, welche am Hofe noch nicht getragen wurden, leihen wird.«

Damit verabschiedeten sich die beiden Damen von der Gräfin Hoym, die ihren Besuch schweigend bis an die Thür des Salons begleitete. Der Minister, dessen Cabinet mit Accisebeamten gefüllt war, hatte sich nicht mehr blicken lassen.

Die beiden Damen stiegen, ohne ein Wort zu sprechen, in den Wagen der Gräfin Reuß und schwiegen lange. Endlich fragte Frau von Vitzthum: »Was denkt Ihr von meiner Schwägerin?«

Gräfin Reuß antwortete: »Mich dünkt, daß Euer Bruder sich von heute an als Witwer betrachten darf. Anna ist zwar stolz und ihr Widerstand dürfte von langer Dauer sein. Schwierigkeiten aber reizen den König. Sie ist schön wie ein Engel, geistreich, kühn, seltsam – kurz, sie besitzt Eigenschaften, welche nicht nur anziehen, sondern auch zu fesseln vermögen. Suchen wir sie für uns zu gewinnen, ehe sie die Zügel erfaßt; denn nachher dürfte uns dies nicht mehr gelingen. Wir wollen mit vereinten Kräften wirken, Theuerste! Durch dieses Geschöpf werden wir den König, die Minister, Alle und Alles leiten können! Was die Teschen betrifft, so ist sie unwiderruflich verloren. Dafür danke ich dem Herrn! Habe ich doch von dieser sentimentalen, langweiligen Person nie das Geringste erlangen können! Uebrigens sehe ich nicht ein, warum die Teschen-Lubomirska nicht zufrieden sein sollte. König August hat ihr Kind anerkannt, ihr einen fürstlichen Namen verliehen, sie besitzt immense Reichthümer. Wozu braucht sie noch mehr? Ihre Herrschaft hat lange genug gewährt. Der König langweilt sich, er ist unglücklich. Es ist daher nur billig, daß wir Mittel finden, ihn zu zerstreuen, ihm sein Mißgeschick vergessen zu machen. Fürstenberg soll uns helfen, die Teschen zu stürzen und Anna von Hoym zu erheben. Hierzu wird ein großer Aufwand von Takt, Schlauheit und Geduld erforderlich sein. Anna ist zu stolz, um sich im Sturme erobern zu lassen.«

»Der arme Hoym!« lachte Frau von Vitzthum. »Wenn er nur halbwegs klug ist ...«

»Wird er sich die Erhebung Anna's zunutze machen,« ergänzte die weltkluge Dame. »Der Roué liebt seine Gattin schon längst nicht mehr. Außerdem hat er die Grube, in die er fallen wird, selbst gegraben.«

»Diese Grube dürfte Fürstenberg's Werk sein,« meinte Hoym's Schwester.

»Nein, nein! Der gute Mann hat es sich selbst zu verdanken, wenn ... wenn ... König August an seiner Frau Gefallen findet. Doch hört! Anna sollte morgen ein goldgelbes Kleid und rothe Korallen tragen. Das würde ihrem rabenschwarzen Haar, ihrem kindlich-frischen Teint gut stehen. Ist Euch der Glanz, die Glut ihrer Augen niemals aufgefallen?«

»Ja – ihre Augen drücken aber eine grenzenlose Weltverachtung aus.«

»Diesen Fehler werden sie verlieren, das mögt Ihr mir glauben! Wenn Anna den König sieht, wenn dieser sich Mühe giebt, ihr zu gefallen, so verliert sie den Kopf, dafür stehe ich, und dann verschwindet auch jener hochmüthige, überlegene Ausdruck, der in ihren Augen liegt.«


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