Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Die Folgen einer Wette.

Die Empfangssäle des königlichen Schlosses strahlten im Glanze zahlloser Lichter. Noch nie war in denselben ein herrlicheres Fest gegeben worden. Wer hätte beim Anblick dieser fabelhaften Pracht geglaubt, daß die furchtbarsten Schicksalsschläge erst jüngst Sachsen getroffen hatten, daß die Finanzen des Landes gänzlich erschöpft waren.

König August trug eine mit Edelsteinen übersäete, höchst geschmackvolle Tracht; an dem Griff seines Degens, an den Schnallen seiner Schuhe blitzten feurige Diamanten; seine majestätische Gestalt schien verjüngt, mit Einem Worte, er glich mehr einem Sieger, der inmitten der denkbar glänzendsten Umgebung seinen Triumph feiert, als dem, was er in Wirklichkeit war, nämlich ein Fürst, der vergebens die Krone gegen einen mächtigen Feind zu behaupten sich abmühte.

Mit Edelsteinen und kostbarem Geschmeide hatten sich auch alle Damen überladen. Einige waren von so seltener Schönheit, daß sie jeden Schmuckes hätten entrathen können und dennoch den Beschauer durch ihre Erscheinung geblendet haben würden.

Ein heiterer Tusch begrüßte den Eintritt der Königin, die wie gewöhnlich schlicht und einfach gekleidet war. König August schritt ihr mit ritterlicher Ehrfurcht lebhaft entgegen, um sie zu ihrem Sitze zu geleiten. Die üblichen Begrüßungen und Vorstellungen fingen an ...

Noch waren aber die eigentlichen Helden des Tages nicht erschienen. Die gewaltige Stirne des Königs hatte sich schon verfinstert, er warf seinem Günstling Fürstenberg von Zeit zu Zeit bedeutsame Blicke zu, welche dieser nur zu wohl verstand.

Plötzlich ließ sich ein eigenthümliches Gemurmel, gleichsam ein vielstimmiges Flüstern der Bewunderung, vernehmen; Damen und Herren traten zurück, um einen freien Raum zu bilden und Fürstenberg flüsterte dem König zu: »Sire, sie kommen!«

Da schritten in der That Graf Hoym und dessen Gemahlin Hand in Hand durch die Gasse, welche die ihre Köpfe neugierig hervorstreckenden Ballgäste bildeten. Der Anblick war entzückend. Man hatte am Dresdener Hofe noch nie etwas Reizenderes gesehen, als diese wunderschöne Frau, die mit der Majestät einer Königin zwischen der sie musternden Menge so ruhig und stolz dahinschritt. Ihr ernstes, hoheitsvolles Wesen flößte den Anwesenden eine eigenthümliche Scheu ein, sie imponirte Allen und Alle gaben dies durch ein leises Flüstern der Bewunderung, des Staunens kund.

König August hatte sich vergebens bemüht, dem Blick der jungen Gräfin zu begegnen. Anna von Hoym ließ sich zur Königin, der sie vorgestellt werden sollte, hinführen, blickte aber dabei auch nicht einmal flüchtig auf den König. Man sah ihr an, daß sie keine Neugier empfand, die vielgepriesene apollinische Schönheit August's zu sehen, daß der Glanz und die Pracht, von welchen sie umgeben war, sie keineswegs verwirrten.

August, der die Gräfin sofort zu bezaubern gewünscht, hatte eine Stellung angenommen, welche der jungen Frau mit einemmale zeigen sollte, wie herrlich ihn die Natur ausgestattet. Verlorene Mühe! Gräfin Hoym schien ihn nicht zu bemerken, was den verwöhnten Fürsten nicht nur erzürnte, sondern auch überraschte.

Der arme Hoym war furchtbar bleich und glich einem zum Tode Verurtheilten. Es entging ihm nicht, daß seine Feinde ihn mit geheimer Schadenfreude betrachteten, daß der ganze Hof ihn im Stillen auslachte. Er gab sich Mühe, ruhig, gleichgiltig zu erscheinen, doch es gelang ihm nicht. Sein Gesicht verrieth daß er unaussprechlich litt, daß martervolle Empfindungen sein Inneres durchwühlten.

Die Königin heftete ihre sanften Augen auf die junge Gräfin und ein wehmüthiges Lächeln flog dabei über ihre Lippen. Auch sie wußte, welche Gefahr der schönen jungen Frau drohe; ein Gefühl des Mitleids regte sich in ihr und sie seufzte leise.

Als die bei Vorstellungen vorgeschriebenen Ceremonien vorüber waren, stimmte das Orchester eine Polonaise an. Der König und die Königin eröffneten den Ball ...

Fürstin Teschen hatte sich noch nicht gezeigt. Sonst fehlte niemand; sogar Hülchen, August's Egeria, war trotz ihrer Unpäßlichkeit auf den Hofball gekommen, natürlich nur, um ihre Neugier zu befriedigen.

Kaum war der erste Tanz zu Ende, als von neuem ein eigenthümliches Flüstern die Säle durchwogte. König August blickte nach dem Eingang und nahm eine in Schwarz gekleidete Dame wahr, die im Rahmen der Thür stand und nicht zu wissen schien, ob sie die Schwelle übertreten solle oder nicht. Es war Ursula. Der König, den die Theilnahmslosigkeit, die Indifferenz der Gräfin Hoym gereizt hatten, näherte sich der Fürstin mit lebhaften Schritten und fragte, als er an sie herangetreten war, in spottendem Tone:

»Hat Euch ein schwerer Verlust getroffen, Fürstin, der Euch die schwarze Farbe anzulegen nöthigte? Wen habt Ihr verloren?«

»Euch habe ich verloren, Sire!« erwiderte mit gedämpfter Stimme die Fürstin.

Aller Augen hatten sich auf August und Ursula geheftet. Jetzt wanderten die Blicke von der Geliebten des Königs auf Anna von Hoym, wie um die Schönheit dieser beiden Frauen zu vergleichen, und alle Anwesenden, sowohl die Herren als die Damen, erklärten, daß der Gräfin die Palme gebühre, daß sie nicht nur die Teschen, sondern alle Frauen des Hofes durch die Schönheit ihrer Gestalt und die plastische Vollendung ihres Gesichtes in den Schatten stelle. Die Augen Anna von Hoym's hatten einen unbeschreiblichen Glanz. Es waren einzige Augen mit blitzartigen Blicken. Neben ihnen verschwanden die der übrigen Damen, wie die Sterne vor der Sonne erbleichen.

August ward nicht müde, das einzig schöne Geschöpf zu betrachten. Als Frau von Vitzthum zu der jungen Gräfin trat, um sie von ihrem Gatten zu trennen, winkte der König diesen herbei und machte zu gleicher Zeit Fürstenberg ein Zeichen, er möge sich ihm nähern.

»Lieber Graf,« begann der König, nachdem Hoym und Fürstenberg seinem Winke Folge geleistet hatten, »ich entscheide die Wette zu Eueren Gunsten ... Du hast die tausend Ducaten gewonnen,« fuhr August in familiärem Tone mit gedämpfter Stimme fort, »Fürstchen muß Dir das Geld morgen auszahlen. Lass' Dir also Glück wünschen, nicht allein zu der gewonnenen Wette, sondern auch zu der unvergleichlichen Schönheit Deiner Frau. Sie ist unstreitig das schönste Weib meines Reiches. Die vox populi wird meinem Urtheile beistimmen, davon bin ich überzeugt. Glücklicher Hoym!«

Der Minister hatte während der Rede seines Königs den Kopf auf die Brust fallen lassen. Hoym schien keineswegs glücklich; er glich vielmehr einem Menschen, den das Unglück gebeugt, ja vernichtet hat, einem reuigen Sünder, der gezwungen ist, zu schweigen, am liebsten aber vor Schmerz laut aufschreien möchte.

Fürstenberg zog seinen Gebieter auf die Seite und fragte ihn, ob er die Unkosten der Wette, die Se. Majestät zu Gunsten Hoym's entschieden, wirklich tragen müsse.

»Still, Fürstchen, beklage Dich nicht,« sagte August, seinem Günstling lachend die Hand zum Kusse reichend. »Zahle die tausend Ducaten mit froher Miene. Ich schenke Dir die zehnfache Summe zum Lohne dafür, daß Du mir den Anblick eines Meisterwerkes der Natur verschafftest.«

Damit ging der König, seiner Gewohnheit, die in Ungnade Gefallenen zu trösten, getreu bleibend, zu der Fürstin Teschen, die, von Allen verlassen, allein in einer Ecke des Saales saß. Diejenigen, welche August nicht kannten, waren gar sehr darüber verwundert, daß der König sich mit der von aller Welt für abgedankt erklärten Favoritin unterhielt. Die alten Höflinge aber, welche erst vor Kurzem gesehen, wie der König den Kanzler Weichling am Vorabend seiner Verhaftung umarmt hatte, wußten nur zu gut, was das huldvolle Benehmen des Fürsten gegen seine Geliebte zu bedeuten habe. Auch Gräfin Reuß und Hülchen waren zu scharfsinnig, um sich durch diese Komödie täuschen zu lassen.

»Die Teschen ist unwiderruflich verloren,« flüsterte Gräfin Reuß der Nachbarin ins Ohr, »denn der König überhäuft sie mit Artigkeiten!«

»Wisset Ihr auch, Fürstin,« begann der König, indem er Ursula's Trauergewänder mit dem Blicke streifte, »wisset Ihr auch, daß Ihr nie so schön aussahet wie heute? Ihr ruft mir jenes Warschauer Turnier ins Gedächtniß, bei welchem Ihr in Folge eines mir zugestoßenen Unfalles in Ohnmacht fielet.«

»Ihr seid allzu gütig, Majestät,« erwiderte die Prinzessin, indem sie bitter lächelte. »Mich dünkt indes, daß Frau von Hoym ohne allen Vergleich schöner ist als ich und daß deren Schönheit alle mit jenem Turnier und jener Ohnmacht verknüpften Erinnerungen in Vergessenheit bringen wird.«

»Möglich, daß die Schönheit der Gräfin die Euerige übertrifft – wie schön sie aber auch immer sein möge, es ist etwas auf Erden, das für mich größeren Werth hat als all' ihre Reize, und dieses Etwas ist ein zärtliches, warmes Herz, das in einer großmüthigen, edlen Brust schlägt. Liebe Ursula, folgt meinem Rathe, verweilet nicht länger hier, entzieht Euch den auf Euch gerichteten Blicken des Hofes und geht nach Hause, um Euch umzukleiden, das blaßblaue Kleid, welches ich so sehr liebe, anzulegen und mich zum Souper zu erwarten.«

Das blasse Antlitz der Fürstin färbte sich. »Mein König!« sprach sie tiefbewegt. »Ist es möglich? August liebt mich noch? ...«

»Ursula,« sagte der König im Tone sanften Vorwurfes, »warum zweifelt Ihr an mir? Wozu sollte ich eine Unwahrheit aussprechen? Wozu Liebe heucheln?«

König August heuchelte in diesem Augenblick in der That nicht. Wie groß auch der Eindruck war, den die Schönheit der Gräfin Hoym auf ihn gemacht, diese hatte ihm dennoch eine Art Angst eingeflößt, ihn gleichsam abgestoßen. Denn die junge Frau verrieth in Blick, Gang und Haltung, daß sie von energischem, herrschsüchtigem Charakter war. Herkules-August fühlte, daß diese Omphale seiner Allgewalt Eintrag thun würde. Anna's Antlitz schien zu sagen: »Ich will herrschen!« Das Ursula's aber: »Ich liebe Dich, mein Gebieter, und sterbe daran.« August fand Gräfin Hoym allzu ernsthaft, allzu hochmüthig. Daher hielt er es für gut, die Fürstin zu beruhigen, um deren Neigung nicht zu verlieren. Er war in diesem Augenblick nicht willens, sich in das Joch eines Weibes zu geben, dessen gefährliche Macht er vorempfand, und das nicht einmal Lust zu haben schien, ihn zu unterjochen.

Gräfin Hoym war äußerst geschmackvoll gekleidet. Man bemerkte nur wenige Edelsteine an ihr; ihre harmonische Toilette, ihre eigenthümliche Haartracht brachten ihre außerordentliche Schönheit zur vollsten Geltung.

Die Maler der damaligen Zeit stellen uns Anna von Hoym mit einem vollkommen ovalen Antlitz, einem außerordentlich zarten Teint, einem sehr kleinen Munde, einer zierlichen Nase und großen, schwarzen, ausdrucksvollen Augen dar. Anna's Wuchs, ihre Hände und Füße entsprachen diesem schönen Gesichte, das rasch und häufig die Farbe wechselte.

Die zahlreichen Blicke, welche auf sie geheftet waren, die Pracht, der Luxus, der sie umgab, schienen sie nicht im geringsten einzuschüchtern. Aus all ihren ruhigen, gemessenen Bewegungen ersah man, daß sie kein Neuling, sondern eine gewandte Weltdame sei. Der herzogliche Hof, an dem sie erzogen worden, konnte sich mit dem Dresdener nun freilich nicht vergleichen, doch es war immer ein Hof gewesen, wo die junge Gräfin frühzeitig jene sichere Haltung sich angeeignet hatte, welche die Damen der großen Welt auszeichnet.

Fürstin Teschen verließ den Ballsaal, nachdem sie dem König einen süßen, langen Blick zugeworfen hatte. Als sie verschwunden war, blieb August gleichsam zögernd eine Weile an derselben Stelle stehen, um alsdann hinter den Stuhl der Gräfin Hoym zu treten. Er betrachtete sie lange, ohne sich zu regen. Da wendete Anna zufällig den Kopf, nahm den König wahr und erhob sich von ihrem Sitze; als aber August bat, sie möchte ungestört auf ihrem Platze verweilen, setzte sie sich mit der größten Gelassenheit, ohne die geringste Verwirrung zu zeigen.

Wenn der König den Wunsch kundthat, mit Jemandem zu sprechen, so erheischte die Sitte von den Hofleuten, discret auf die Seite zu treten. Nach der Bitte des Fürsten, Gräfin Hoym möge von neuem platznehmen, faßte Vitzthum den Finanzminister beim Arme und zog ihn unter dem Vorwande mit sich fort, er habe ihm Dinge von hoher Wichtigkeit zu eröffnen.

»Ihr lasset Euch heute zum erstenmale an unserem Hofe blicken, Gräfin,« begann der König in verbindlichem Tone. »Einen wahren Triumph habt Ihr gefeiert, Gräfin. Gestattet mir, Euch zu sagen, daß ich hocherfreut bin, ein Gestirn mehr an meinem Himmel leuchten zu sehen.«

»Sire, in dunkler Nacht kann der kleinste Funke für einen Stern gelten; solche Funken aber erlöschen von einem Augenblick zum anderen. Empfanget indes meinen besten Dank für die unverdiente Schmeichelei, königlicher Herr!«

»Ich habe nur wiederholt, was Alle, welche uns umgeben, sagen,« erwiderte August.

»Sire, die Welt pflegt sich zu irren; am Neuen findet sie immer Gefallen. Wahrhaft schön ist jedoch nur das, was uns nach vielen Jahren noch ebenso theuer ist, als es uns am ersten Tage war.«

August glaubte, die Gräfin spiele auf die Fürstin und auf sein zärtliches Benehmen gegen dieselbe an. Er schwieg eine Weile und bemerkte alsdann:

»Ihr seid allzu bescheiden, Gräfin!«

»Mit nichten, Sire!« erwiderte Anna. »Nur lege ich keinen Werth auf Schönheit.«

»Die Schönheit des Antlitzes ist ja der Widerschein der Seelenschöne.«

Die Gräfin senkte den Blick und erwiderte nichts. August fuhr fort:

»Nach Euerer langjährigen Einsamkeit, zu welcher Euch dieser grausame Hoym verurtheilte, muß dieser Hof einen eigenthümlichen Eindruck auf Euch machen?«

»Durchaus nicht, Sire,« entgegnete Frau von Hoym. »Der Hof, an welchem ich meine Jugend verbrachte, war zwar beiweitem nicht so prächtig wie dieser, allein alle Höfe gleichen sich ja ...«

»Worin?« fiel August rasch ein.

»Darin, daß an jedem mit Meisterschaft Komödie gespielt wird.«

»Oho! Welche Rolle spiele denn ich an meinem Hofe, Gräfin?«

»Wahrscheinlich die Rolle eines Directors, das heißt die Rolle Desjenigen, den Alle betrügen und plündern.«

Der König blickte sie mit halbem Lächeln verwundert an. »Ihr seid also der Ansicht, Gräfin, daß hier alles falsch sei, daß sich hier Alle verstellen?«

»Wie könnte es anders sein? Hören doch die Könige höchst ungern die Wahrheit.«

»Ihr thut uns bitter Unrecht, Gräfin. Wir suchen im Gegentheil nach Menschen, welche uns diesen Nektar: die Wahrheit, zu bieten den Muth hätten ...«

»Und Ihr findet meistens nur solche, welche Euch das Gift der Schmeichelei beibringen,« ergänzte die junge Frau mit spottendem Munde.

»Aus Eueren Worten ersehe ich, daß Ihr es nicht liebt, an einem Hofe zu leben. Ich beklage dies gar sehr, da ich mich der Hoffnung hingab, daß ich Euch zu bewegen vermöchte, bei uns zu verweilen und unseren ›dunklen Hof‹ durch den Glanz Euerer schönen Augen zu erhellen.«

»Ich wäre bloß eine Dissonanz an dem Hofe Euerer Majestät,« erwiderte in trockenem Tone die Gräfin. »Meine Stimme vermöchte nie und nimmermehr sich mit denen der klebrigen in Einklang zu setzen.«

Um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken, begann der König einige der umstehenden Damen und Cavaliere zu mustern und ließ dabei so treffende, scharfe Bemerkungen fallen, daß Frau von Hoym ihm gar bald gestand, er kenne den Charakter, die Neigungen, die Fehler all dieser Leute besser, als sie vermuthet hatte.

»Die Geheimnisse der Komödie, von der Ihr gesprochen habt, sind mir bekannt, wie Ihr seht. Diese Leute vermeinen insgesammt, daß sie mich anführen, gängeln, beherrschen, und das finde ich sehr ergötzlich. Ich sehe zu und belächle im Stillen ihre Einfalt.«

»So blicken auch die Götter auf die Sterblichen nieder,« sprach die Gräfin.

August-Jupiter schien an dem Compliment der jungen Frau Gefallen zu finden. Er sah sie an, ohne die feurige Bewunderung, welche seine Augen ausdrückten, zu verbergen. Zum erstenmale begegneten sich die Blicke der Beiden ... der König fand in Anna's Augen nur kalte Neugier, in die sich eine Art Scheu mischte. Enttäuscht, verneigte er sich, ohne ein Wort zu sprechen, vor der Gräfin und entfernte sich langsam, wie in Gedanken verloren. Die Höflinge, die ihre Augen nicht von ihm abgewendet hatten, beobachteten ihn aufmerksam, und Fürstenberg, der ihm zunächst stand, redete ihn an.

»Wäre es allzu indiscret, zu fragen, Sire, ob die Schönste nicht auch ...«

»Nicht auch die Geistreichste sei?« fiel August seinem Günstling in die Rede. »Du hast es errathen, Fürstchen, sie hat auch Geist. Man muß Hoym bedeuten, daß er seine Frau unter keiner Bedingung aus Dresden entfernen dürfe. Er muß sie hierlassen; hörst Du? ... Sie ist reizend, freilich noch etwas wild – doch das giebt sich mit der Zeit.« Hier blickte August zu der Gattin des Ministers hinüber und sah, daß ein Kreis von Damen sie umringte, unter welchen er Gräfin Reuß, Frau von Vitzthum und Fräulein Hütchen bemerkte. »Sie huldigen ihr bereits, halten sie für das neue, ausgehende Tagesgestirn – haha,« fuhr der König mit gezwungenem Lachen fort. »Fürstchen, ich fürchte, die Intriguen-Künstlerinnen haben sich gar sehr verrechnet.«

Fürstenberg sah seinen König mit weitgeöffneten Augen an.

»Ihr habt Euch Alle in ihr verrechnet. – auch Du,« flüsterte August seinem Günstling vertraulich ins Ohr. »Frau von Hoym ist ein zauberhaftes Wesen, das leugne ich nicht, sie besitzt aber zu viel Energie, zu viel Scharfsinn! Wenn die Zügel in ihre Hände fielen, würde sie Alle beherrschen, alles leiten wollen. Gott bewahre uns davor! Es handelt sich daher bloß um eine Caprice, die nur wenige Tage währen soll. Ihre Schönheit ist verführerisch, ihr Charakter aber fürchterlich.«

Damit wandte sich der König und ließ seinen Günstling wie versteinert stehen.

Während dieser Scenen, wo so viel kleinlicher Ehrgeiz, so viel Eigennutz und Eitelkeit im Spiele waren, hatte wohl niemand einen blassen, jungen Mann bemerkt, der, an den Thürpfosten des Ballsaales gelehnt, alle Anwesenden um Kopfeslänge überragte.

Seit dem Eintreten der Gräfin Hoym war er nicht von der Stelle gewichen; seine Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen und flammten wild auf, als der König sich ihr näherte. Anna hatte den jungen Mann während ihres Gespräches mit August nicht bemerkt. Erst als dieser sie verließ, zogen die Augen des jungen Menschen ihre Blicke an.

Sie mußte unwillkürlich nach der Richtung sehen, wo er stand, und erbebte, als sie ihn erblickte – es war Zaklika, ihr stiller Verehrer.

Ihre Augen blieben lange an dem bleichen Gesichte haften, dessen ängstlicher, Mitleid erregender, trauriger Ausdruck sie in hohem Grade bewegte. Sie war selbst sehr bleich geworden, sie bemerkte nicht, was um sie her vorging, was gesprochen wurde; ihre Augen wanderten immer wieder nach jener Thür, an dessen Pfeiler Zaklika regungslos stand und unverwandt zu ihr hinüberblickte. Warum kehrten ihre Gedanken, ihre Blicke immer wieder zu dem ernsten Jüngling zurück?

Es war ihr, als ob er sie an ihre Vergangenheit erinnern wollte. Er trat ihr an der Schwelle des neuen Lebens entgegen, wie die Verkörperung ihres bisherigen friedlichen Daseins, wie eine Mahnung, wie ein Vorwurf ...

Die junge Gräfin vermochte sich über die Empfindungen, welche sich in dieser Stunde in ihr regten, keine Rechenschaft zu geben. Eine innere, Unheil verkündende Stimme ängstigte sie; sie erlebte im Geiste die wunderlichsten Dinge. Der düstere, ernste Mann am Thürpfeiler erschien ihr wechselweise wie ein Gespenst, wie eine Drohung, wie die Verkörperung eines finsteren, furchtbaren Verhängnisses. So oft sie seinen auf ihr ruhenden, sie gleichsam durchbohrenden Augen begegnete, durchbebte ein Schauer ihren ganzen Körper. Sie gab sich Mühe, ihre Ahnungen, ihre kindische Furcht zu verscheuchen; doch es gelang ihr nicht. Ihr ganzes Wesen war erschüttert.

In dieser Stimmung fand Hoym seine Gattin, als er mit der Frage herantrat, ob er sie jetzt nach Hause geleiten dürfe. Anna erhob sich, ohne ein Wort zu sagen, und folgte ihm sichtlich zerstreut.

Gräfin Reuß trat Herrn und Frau von Hoym in den Weg und bat so dringend, sie möchten mit ihr soupiren, daß der Minister die Einladung nicht ausschlagen konnte. Statt nach Hause zu fahren, begab sich das Ehepaar zur Gräfin, deren Haus der Sammelplatz der einflußreichsten Würdenträger und Edelleute des Hofes war und in dem namentlich Fräulein Hülchen sich hervorthat, jene Egeria August's, deren Rathschläge er nicht selten befolgte. Die übrigen Herren und Damen dieses Kreises beachtete August nicht, ja er spottete ihrer oft, stand aber nichtsdestoweniger, freilich ohne es zu wissen, unter ihrem Einfluß.

Gräfin Reuß war eine der bedeutendsten und thätigsten Persönlichkeiten des Dresdener Hofes; sie kannte alle galanten Geheimnisse des flatterhaften Königs und wußte immer, welche Gestirne an seinem Himmel auf, welche niedergehen würden.

Graf Hoym durchschaute die Gräfin; er begriff, daß sie gegen ihn und seine Gattin nur deshalb so zuvorkommend war, weil sie in Anna die künftige Favoritin des Königs sah; er wußte, daß sie sich Anna's Erhebung, das heißt deren Fall zunutze zu machen hoffte. Darüber war der Minister empört, aber er wagte nicht, dies zu verrathen, weil es gefährlich gewesen wäre, sich mit der so mächtigen Dame und ihrer Vertrauten, Fräulein Hülchen, zu verfeinden. Hoym zwang sich also, äußerlich ruhig zu erscheinen. Er konnte aber nur mit Mühe seinen Ingrimm verbergen.

In dem hellerleuchteten großen Salon des gräflichen Hauses ging es heute lebhafter als sonst zu. Hier wurde medisirt, dort war von der Mode die Rede, in jener Ecke von Geschäften, in dieser von Liebesabenteuern. Gräfin Reuß hatte Fürstenberg in ein an den großen Salon stoßendes Boudoir geführt, um ihn zu fragen, welchen Eindruck Frau von Hoym auf den König gemacht und was dieser von der schönen Gräfin gesagt habe.

»Frau von Hoym scheint den König durch ihr hartes, hochmüthiges Wesen gereizt zu haben,« sagte Fürstenberg, indem er auf ein Zeichen der Gräfin an ihrer Seite platznahm. »Seine Eigenliebe mag darunter sehr gelitten haben. Indes ist die Gräfin von sinneberückender Schönheit und August läßt sich, wie Ihr wißt, immer von seinen Sinnen gefangen nehmen. Er wird für die Gräfin um so gewisser in Liebe erglühen, als ihm ihr herrisches Wesen Furcht einflößt. Dazu ist sie auch ihm gegenüber marmorkalt und er selbst verbirgt es sich nicht, daß es ihm nicht leicht sein wird, sie zu erobern. Nichts reizt so sehr als der Widerstand.«

»Ihr glaubt also, daß Anna von Hoym die Teschen verdrängen wird?«

Fürstenberg nickte mit dem Kopfe. »Für August ist es im Augenblick noch eine Laune und weiter nichts. Er möchte es vermeiden, ein dauerndes Verhältniß mit ihr anzuknüpfen. Wenn ich mich anders nicht irre, wird Gräfin Hoym indes diesen Plan vereiteln.«

»Und der Charakter der Gräfin? ...«

»Ist schwer zu bestimmen. Mich dünkt, daß weder ihr Gatte noch ihre Verwandten sie kennen; ja sie dürfte sich selbst nicht kennen, sie dürfte sich selbst ein Räthsel sein. Die Verhältnisse werden sie umwandeln. Heute aber ist sie eine stolze, ehrbare, begabte Frau von energischem Charakter und seltenem Geiste.«

»Seid Ihr der Ansicht, daß sie sich leiten und lenken lassen dürfte?«

Nach einigem Nachdenken gab Fürstenberg der Gräfin Reuß eine ausweichende Antwort. »Ich für meinen Theil ziehe es vor, mit geistreichen Menschen zu verkehren, als mit einfältigen, die nicht wissen, was sie thun.«

Er schwieg; die Gräfin sah nachdenkend vor sich hin. Nach einer kleinen Weile ging Fürstenberg in den Salon, während die Gräfin, mit wichtigen Gedanken beschäftigt, langsam das Boudoir durchmaß. Endlich kehrte auch sie in den Salon zurück. Sie stützte sich auf die Lehne des Sessels, in welchem Gräfin Hoym saß und fing an, mit ihr zu plaudern. Frau von Hoym stand natürlich auf; die gewandte Dame des Hauses aber zog sie mit sich fort und führte sie unter artigem, anscheinend harmlosem Geplauder in das Boudoir, in welchem sie kurz vorher mit Fürstenberg gesprochen.

Nachdem die beiden Damen platzgenommen hatten, begann Gräfin Reuß in vertraulichem Tone: »Liebe Gräfin, habt ein wenig Geduld, seid ein Bißchen nachsichtig und höret das, was Euch eine wohlmeinende Freundin zu sagen hat, an, ohne sie zu unterbrechen. Ich will Euch rathen, Euch beistehen. So unerfahren Ihr auch sein möget, müßt Ihr dennoch errathen haben, daß man Euch nicht ohne Zweck nach Dresden gerufen. So erfahret denn, wie die Dinge hier stehen! Der König ist der Teschen überdrüssig ... Er kann aber ohne Liebe nicht leben! Das ist sein Fehler. Lasset uns dem so großen, so gütigen Fürsten, dem die Welt alles verzeiht, diesen Fehler Nachsehen! Wir, die wir den König umgeben, müssen trachten, diesen Fehler womöglich gutzumachen. Ihr, Gräfin, könnt, wenn Ihr nur wollt, am Hofe die höchste Stellung einnehmen.«

»Mir ist jedes ehrgeizige Gefühl fremd, Gräfin,« lautete die kalte Antwort Anna's. »Reichthümer erscheinen mir nicht verlockend. Und ich bin vermählt, ich wünsche eine ehrbare Frau zu bleiben.«

»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden, wenn Euer Leben nicht ein martervolles wäre,« versetzte lächelnd Gräfin Reuß. »Hoym ist ein blasirter, liederlicher Mensch, den Ihr nicht lieben könnt, dem Ihr nicht ewig die Treue zu bewahren vermögen werdet. Euer Herz wird früher oder später seine Rechte beanspruchen!«

»Sollte mein Herz dereinst sprechen, so werde ich dessen Stimme ersticken!«

»Ein-, zweimal dürfte Euch dies gelingen. Dann werden aber Trauer und Ekel sich einfinden, die Verzweiflung wird Euch blind machen und Ihr werft Euch in die Arme des ersten Besten. Ihr werdet unglücklich sein ... es ist unser Aller Schicksal! Ich kenne die Welt, besinnt Euch, jetzt, wo es noch Zeit ist. Der König ist liebenswürdig und schön, seine Liebe kann einem Weibe die Erde in ein Paradies verwandeln ...«

»Der König ist leichtfertig und wankelmüthig,« fiel Anna erregt ein. »Solch' lose Bande, solch' kurze Liebschaften sind aber Dinge, die ich nicht begreife, die ich verachte, von denen ich mich mit Abscheu abwende. Dergleichen ist nicht für mich, Gräfin!«

Diese Worte brachten die Versucherin außer Fassung. Ihre Verlegenheit so gut als möglich verbergend, sagte Gräfin Reuß in ruhigem Tone:

»Solche Liebesbande haben immer Aussicht, unauflösliche, ewige zu sein. Und wenn sie es nicht sind, so liegt die Schuld daran nur an den Frauen, die sie nicht fest zu knüpfen verstehen. Schwüre sind nicht bindend, das dürft Ihr mir glauben, liebe Gräfin – der erste beste Priester kann sie mit einem Worte lösen. Fesseln können nur unsere Reize, unser Verstand, unser Takt. Mit diesen mächtigen Hilfsmitteln sind wir in der Lage, unsere Geliebten, unsere Gatten so lange als es uns beliebt, an uns zu ketten.«

»Wie armselig und wie trügerisch muß die Liebe, muß das Glück sein, welche man klugen Combinationen verdankt! Nach solcher Liebe, nach solchem Glück trage ich kein Verlangen! Ihr ward aufrichtig, Gräfin, auch ich will es sein. So erfahret denn, daß ich für den Fall, als ich jemals lieben sollte, nicht heucheln und berechnen könnte. Der Auserwählte würde mich an seiner Seite stehen sehen vor den Augen der ganzen Welt; ich würde Hoym verlassen, um Dem, der mein Herz gewonnen, zu folgen; aber nicht als seine Maitresse, sondern als seine Gattin vor Gott und den Menschen!«

»Gesetzt, er wäre ein König? ...«

»Auch einem König gäbe ich meine Ehre nicht preis,« erwiderte stolz die junge Frau.

»Aber, theuere Gräfin, es ist Euch doch bekannt, daß König August vermählt ist.«

»Um meine Liebe zu erringen, müßte er sich von allen Banden frei machen, müßte er mir ewige Treue geloben. Glaubt Ihr denn, meine Gnädige,« hier richtete sich die junge Gräfin stolz empor, »daß ich mich mit der Rolle einer Esterle, einer Königsmarck oder einer Teschen begnügen würde?«

Frau von Reuß starrte sie verwundert an; sie wußte in diesem Augenblicke nicht, was sie antworten solle. Endlich sagte sie: »Handelt ganz nach Belieben, werthe Gräfin. Ich habe Euch, wie es einer Freundin geziemt, von dem in Kenntniß gesetzt, was am Hofe vorgeht; ich hielt es für meine Pflicht, Euch einige Rathschläge zu ertheilen, die meiner Ansicht nach vortreffliche sind. Euch aber mißfallen sie – reden wir also nicht weiter davon. Dies soll jedoch unsere freundschaftlichen Beziehungen nicht im mindesten stören. Nur Eines möchte ich Euch noch sagen, nämlich dies: die Stellung, von welcher Ihr mit so stolzer Verachtung redet, die Ihr zu bekleiden verschmäht, ist keineswegs so verachtungswürdig, so niedrig, als sie Euch erscheint. Fürsten und Könige verneigen sich vor Derjenigen, welche sie einnimmt; ihr wird gestattet, das Land zu regieren, so daß sie in der Lage ist, manchem Uebel zu steuern, Unglückliche vor sicherem Verderben zu retten und Glückliche zu machen. Eine solche Macht hat doch einen hohen Werth!«

»Meine Ehre hat aber noch einen höheren, Gräfin,« erwiderte Anna kalt. »Reden wir nicht mehr davon.«

Gräfin Reuß verneigte sich, als wollte sie sagen: Wie Ihr wünscht. Dann faßte sie Frau von Hoym bei der Hand und führte sie in den Salon zurück, wo die Blicke fast aller Anwesenden sich den beiden Damen zuwandten. Man schien das Resultat des stattgefundenen Gespräches von ihren Mienen ablesen zu wollen. Anna's Wangen glühten, Gräfin Reuß aber war sehr blaß; Beide lächelten einander zu, als wäre nichts geschehen.

In diesem Augenblicke ließ sich das Geräusch heransprengender Pferde vernehmen, die Fensternischen des Salons färbten sich blutroth, wie vom Widerschein brennender Fackeln.

Fürstenberg stürzte an das Fenster. Es war König August, der, von Fackelträgern und Höflingen zu Pferd und zu Wagen begleitet, auf seinem Wege nach dem Palais Teschen an dem Hause der Gräfin Reuß vorüberfuhr. Er saß mit auf die Brust gesenktem Haupte in seiner Carrosse, gleich einem zu einer schweren Strafe Verurtheilten.


 << zurück weiter >>