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10.
Ein Ring.

Nachdem König August sich mit der Gräfin auf Kosten der armen Henriette Duval versöhnt hatte, ging er in die Trinkhalle, um im Kreise seiner Vertrauten und im Genusse feurigsten Weines der Liebe Wechselfälle und der Schweden zu vergessen.

Beim zweiten oder dritten Humpen wandte er sich, von neuem in bester Laune, an Fürstenberg mit den Worten:

»Wie schade, Fürstchen, daß Du mir die polnischen Depeschen nicht brachtest! Hättest Du die Cosel in dem seltsamen Anzuge gesehen, in welchem der alte Bose sie sah, so würdest Du Dich gewiß mit ihr versöhnt haben.«

»Ich dachte, die Gräfin müsse noch das Bett hüten,« bemerkte der Günstling.

»So ist es! Und der beneidenswerthe Bose hat sie im Nachtgewande gesehen, denn sie sprang in seiner Gegenwart aus dem Bette, um mir einen Brief aus der Hand zu reißen, den mir die arme Henriette geschrieben. Es folgte ein fürchterlicher Auftritt! Sie ist eifersüchtig wie eine Tigerin. Es würde mich gar nicht wundernehmen, wenn sie eines schönen Tages ihre Drohung ausführte und mir eine Kugel durch den Kopf jagte.«

Fürstenberg's Blick flog blitzschnell über die Versammlung. Er schien sich überzeugen zu wollen, daß sich unter den Gästen kein Freund der Gräfin befand.

»Wenn die Gräfin sich erlaubt, das Herz Euerer Majestät ganz zu beanspruchen,« sagte der Fürst mit einem eigenthümlichen Lächeln, »so sollte sie zu vermeiden trachten, daß ihr Benehmen Aergerniß gebe und Argwohn errege.«

König August hob langsam den Kopf, zog die Brauen finster zusammen und erwiderte in eiskaltem Tone:

»Fürstenberg, nimm Dich in Acht. Wer Beschuldigungen vorbringt, muß sie im Nothfalle auch durch Beweise zu bekräftigen wissen. Ich kann wahrlich kein Gewicht auf Deine Worte legen, indessen wünschte ich, daß Du deutlicher sprächest.«

»Dazu bin ich jetzt gleichsam gezwungen,« antwortete der Vertraute August's. »Nicht mir allein ist das seltsame Gebaren der Gräfin während Euerer Abwesenheit, Sire, aufgefallen, sondern auch all den Herren, die uns jetzt umgeben. Wenn Ihr sie fragen würdet, königlicher Herr, wie Gräfin Cosel ihre Zeit verbrachte, als Ihr nicht in Dresden ward, so müßten sie erwidern: Den ganzen Tag war das Palais mit Menschen gefüllt, ein Schwarm von Günstlingen drängte sich um sie; Graf Lechereine der Aeltere stand mit ihr auf vertrautem Fuße, verbrachte seine Tage bei ihr, bisweilen mit seinem Bruder, am häufigsten aber ohne denselben. Er war bei allen Mahlzeiten zugegen und verließ die Gräfin nie vor Mitternacht.«

Unter allen den ausländischen Edelleuten, welche damals am Dresdener Hofe lebten, zeichneten sich die beiden Grafen Lechereine sowohl durch ihre männliche Schönheit und ihren Geist, als durch ihre Bildung und ihr vornehmes Wesen aus. Nach Dresden gekommen, um ihr Glück zu machen, hatten sie natürlich darnach gestrebt, sich die Protection der mächtigen Cosel zu erringen und waren so glücklich gewesen, auf deren Verwendung zu Kammerherren ernannt zu werden. Das hohe Ansehen, in welchem die beiden Grafen bei Hofe standen, erfüllte die Hofschranzen mit Furcht und Neid zugleich und diese suchten ihnen auf alle mögliche Weise zu schaden. Der Aeltere schien Fürstenberg besonders gefährlich, so daß er es für angezeigt hielt, ihm die Ungnade des Königs zuzuziehen, in der Hoffnung, sich dadurch eines Gegners zu entledigen, dessen glänzende Eigenschaften große Besorgniß in ihm erregten.

König August war während der Rede des Ex-Statthalters vollkommen ruhig geblieben, hatte mit anscheinender Gleichgiltigkeit zugehört, allein Fürstenberg und besten Genossen, welche ihren Gebieter wohl kannten, ließen sich durch diese vollendete Ruhe nicht täuschen. Der kalte Ausdruck von August's Gesicht verrieth ihnen, daß der abgeschossene Pfeil getroffen hatte.

»Du zürnst der Cosel, weil sie Dir nicht zugethan ist – das verrathen Deine Worte, Fürstenberg,« sagte August langsam. »Warum sollte die Gräfin keine Gäste bei sich empfangen, warum sollte sie sich mit Lechereine, der ein sehr geistreicher Mensch ist, nicht unterhalten? Steht es ihr doch frei, sich zu zerstreuen.«

»Es war nicht meine Absicht, den Ohrenbläser zu spielen. Was ich gesagt, entschlüpfte unwillkürlich meinen Lippen,« erwiderte Fürstenberg mit erkünstelter Treuherzigkeit. »Die Gunstbezeugungen, mit welchen mich mein gnädiger König huldvollst überhäuft, machen mir die Ungnade der Gräfin Cosel minderfühlbar. Untröstlich wäre ich nur, wenn die Liebe und Treue Euerer Majestät schwarzen Undank zum Lohn erhielte.«

August's Stirne verfinsterte sich wiederum. Die vollen Pocale blieben unberührt, Keiner der Anwesenden wagte zu trinken. Eine Weile herrschte eine peinliche Stille im Saale. Endlich erhob sich der König von seinem Sitze, entließ die Höflinge mit einem Winke und ging schweigend aus dem Saale.

Fürstenberg sah ein, daß er eine Thorheit begangen hatte. Wenn August irgend eine Favoritin loszuwerden wünschte, war es ihm angenehm, wenn man ihm hierzu Gelegenheit bot, ja er pflegte seinen Vertrauten den Auftrag zu geben, die Betreffende scharf zu beobachten, sie über irgend einem Vergehen zu ertappen, welches den erwünschten Bruch herbeiführen und rechtfertigen könnte.

An dem Unmuth, den Fürstenberg's Worte in dem König erweckt hatten, erkannten die Höflinge, daß August der Gräfin nicht nur nicht überdrüssig sei, sondern daß er sie noch liebe. Alle waren über das Geschehene bestürzt. Fürstenberg allein lächelte, aber es war ein gezwungenes Lächeln, das die Angst, die ihn erfüllte, nur schlecht verbarg.

Niemand ahnte, daß der treue Zaklika Zeuge dieses Auftrittes gewesen. Gräfin Cosel, die wohl wußte, daß der junge Pole ihr ganz ergeben war, sandte ihn häufig mit geheimen Aufträgen an den König. Auch heute hatte sie ihm ein Briefchen anvertraut, worin sie August aufs liebevollste bat, den Abend in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Mit diesem Billet war Zaklika ins Schloß geeilt.

Niemand durfte den König während des Zechens stören, allein dieses Gebot galt für Zaklika, den Pagen der Cosel, nicht. Ihm stand der Trinksaal, wo der König und seine Vertrauten versammelt waren, immer offen.

Er hatte sich leise hineingeschlichen, im Schatten der riesigen Credenz einen günstigen Augenblick, das Billet der Gräfin dem König zu überreichen, unbemerkt abwartend. Da begann Fürstenberg von seiner angebetenen Gebieterin zu reden ... Zaklika entging kein Wort, er begriff, daß der Gräfin eine große Gefahr drohe, von der sie unverzüglich in Kenntniß gesetzt werden müsse. Ohne das Billet dem König zuzustellen, eilte er zu seiner Herrin zurück.

Als diese in sein bleiches, bestürztes Gesicht sah, fragte sie rasch mit zitternder Stimme: »Was ist geschehen? Sprich!«

Zaklika erzählte der Gräfin mit fliegendem Athem, was Fürstenberg dem König gesagt hatte.

Während seiner Rede hatte die Gräfin Cosel mehrmals die Farbe gewechselt und die tiefste Entrüstung in Geberde und Blick zu erkennen gegeben. Als Zaklika zu Ende war, nahm sie ihm den für den König bestimmten Brief ab und machte ihm ein Zeichen, daß er sich entfernen möge. Der Pole gehorchte.

Das Herz der schönen Frau schlug heftig. Es litt sie nicht länger in dem engen Alkoven. Sie erhob sich vom Lager, legte ein bequemes, aber elegantes Gewand an und trat, nachdem sie, in Nachdenken versunken, eine Weile in ihrem Schlafzimmer auf und nieder gegangen war, in das anstoßende, hellerleuchtete Gemach, an dessen Wänden mehrere die Hauptereignisse der Regierung August's des Starken darstellende Bilder hingen.

Gräfin Cosel blieb vor einem derselben stehen und betrachtete feuchten Auges das Bildniß des Königs. Plötzlich rief eine Stimme – es war die Stimme August's – in erregtem Tone:

»Wie, Ihr geruht mein Conterfei zu betrachten?! Wohl aus Zerstreuung, was? ... Denn ich vermuthe, daß Ihr mir diese Ehre bei vollem Bewußtsein nicht mehr erweisen würdet!«

»Ihr beliebt zu scherzen, Sire, denn es ist nicht denkbar, daß Ihr im Ernste zu sagen vermöchtet, ich könnte eines Anderen gedenken, wenn meine Augen auf Euerem Bildniß ruhen. Wessen beargwöhnt Ihr mich, königlicher Herr?«

Der König ging in höchster Aufregung in dem Gemach auf und ab und schwieg. Aus seiner Miene las Anna mit geheimer Freude, daß er erzürnt, also eifersüchtig und folglich verliebt sei. Sie ließ indessen nicht merken, wie dieser Beweis von Liebe sie beseligte, sondern fuhr in kaltem Tone fort:

»Ich begreife Euere Majestät nicht; Euer Benehmen ist geradezu räthselhaft. Ich bin mir keines Vergehens bewußt und doch scheint Ihr mir zu zürnen. Erweiset mir die Gnade, mich anzuklagen, auf daß ich mich rechtfertigen könne.«

»Rechtfertigen!« fiel wüthend der König ein. »Meine Gnädige, es giebt Dinge, die sich nicht rechtfertigen lassen! Glaubt Ihr denn, daß ich mich auch fernerhin werde hintergehen lassen? Mit nichten! Ich besitze jetzt Beweise ...«

»Beweise!« unterbrach Gräfin Cosel den Fürsten in schmerzerfülltem Tone. »Beweise, die mich verurtheilten! ... August, Du träumst, Du schwärmst! O sprich! Ich verstehe Dich nicht ... Ach, glaube mir, ich bin unschuldig!«

Bei den letzten Worten hatte die geängstigte Frau ihre Arme um den Hals ihres Geliebten geschlungen. Er versuchte, sich von denselben zu befreien, allein die Gräfin klammerte sich fest um ihn und bat unter Thränen, er möge sich ihrer erbarmen.

»Sage mir doch wenigstens, welcher Schuld man mich zeiht, August!« flehte sie. »Ein elender Verleumder mag mich zu verderben gesucht haben.«

Cosel's Thränen, die reichlich flossen, dämpften den Zorn des Königs. Er ließ sich von der Geliebten auf das Sopha niederziehen und versuchte nicht, ihr seine Hände, die sie erfaßt hatte, zu entziehen.

»Ich beschwöre Dich, August, sage mir alles. Sei barmherzig, foltere mich nicht länger! Die Angst macht mich sonst wahnsinnig! ... Hast Du aufgehört, mich zu lieben? Hegst Du den Wunsch, mich zu verlassen? Ach, es gab eine Zeit, da Du mich so sehr liebtest, daß Du mir alles, selbst ein Vergehen verziehen hättest. Heute aber, ich erkenne es nur zu gut, gehört Dein Herz einer Anderen und ...«

»Schweige! – Da Du es wünschest, sollst Du alles erfahren. Fürstenberg –«

»Ha, Fürstenberg! Von ihm erwarte ich das Schlimmste – er ist mein Feind –«

»Fürstenberg theilte mir mit, die ganze Stadt sei über Dein Verhältniß zu Lechereine entrüstet.«

»Lechereine? –« fragte Gräfin Cosel gedehnt, in ungläubigem Tone.

»Ja, Graf Lechereine, meine Gnädige! Man versicherte mir, daß der Graf sich nicht einmal die Mühe gebe, die Gefühle, welche Ihr in ihm erregt, zu verbergen; der verliebte Thor soll während meiner Abwesenheit jeden Tag bei Euch gewesen sein – ja, es heißt, er habe Euch bis tief in die Nacht –«

Anna ließ ihn nicht zu Ende reden. »Ich habe den Grafen empfangen,« sagte sie stolz. »Ich weiß, daß er mich liebt. Was gehen mich aber seine Gefühle an? Ich ließ ihn Madrigale recitiren, er durfte mir Artigkeiten sagen. Das unterhielt mich, ich gestehe es; aber das ist doch wahrlich kein Verbrechen! Auch gab ich mir keine Mühe, der Welt zu verheimlichen, daß mich Graf Lechereine amüsirt. Warum sollte ich auch? Ihr glaubt also, mein König, daß man mich nur zu lieben brauche, um wiedergeliebt zu werden?! O, wie mich das schmerzt!« rief die Gräfin, die Hände fest an ihr Herz drückend. »Ihr habt Eueren Glauben an meine Ehrenhaftigkeit verloren, Sire. Die Worte eines Fürstenberg erscheinen Euch glaubwürdiger als die meinigen.«

Hier brach sie in heftiges Weinen aus und sank, die Hände vor das Gesicht schlagend, wie erschöpft in die Kissen des Sophas zurück. August war besiegt. Er fiel vor der Geliebten nieder, schlang seine Arme um ihren Leib und rief in reuevollem Tone:

»Vergieb, meine Cosel, vergieb! Glaube mir, daß meine Eifersucht der leidenschaftlichsten Liebe entstammt. Dieser Fürstenberg – o, ich kenne ihn wohl – er ist in der That die giftigste Schlange, die ich je an meinem Hofe genährt. Vergieb mir!«

»Wenn Du gestattest, daß die Verleumdung Deinem Throne sich nahe, wird nichts unentweiht bleiben.«

»Sei unbesorgt! Ich schwöre Dir, daß ich in Zukunft niemandem gestatten werde, ein Wort wider Dich hervorzubringen. Versprich aber, den Fürstenberg nicht merken zu lassen, daß Du weißt, wie schmählich er gehandelt hat.«

Gräfin Cosel gelobte, dies zu thun und ließ es an Liebesbetheuerungen nicht fehlen. Vollkommen beruhigt, kehrte August in das Schloß zurück. Er richtete am folgenden Tage auch nicht einmal das Wort an den Statthalter und gab diesem deutlich zu erkennen, wie sehr er ihm zürne. Lechereine aber erhielt noch im Laufe des Vormittags den Besuch des Obersthofmarschalls und erfuhr durch diesen, daß er auf Befehl des Königs Dresden in den nächsten vierundzwanzig Stunden verlassen müsse.

Bestürzt, außer sich, eilte der Graf in das Palais der »vier Jahreszeiten«. Zaklika war es, der Gräfin Cosel meldete, daß Lechereine sie zu sprechen begehre.

»Sage ihm, daß ich diejenigen nicht empfangen könne, welche sich die Ungnade des Königs zugezogen, daß ich aber lebhaft bedauere, ihn nicht mehr sehen zu dürfen. Nimm diesen Ring,« fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, und zog dabei einen Ring vom Finger, den ihr der König unlängst gegeben hatte, »und gieb ihn dem Grafen Lechereine.«

»Gnädige Gräfin!« stieß der junge Pole, der beim Anblick des Ringes erbleicht war, gepreßt hervor. »Verzeihet – aber dieser Ring – des Königs Ring –« stammelte er.

Gräfin Cosel, die keinen Widerspruch duldete, warf das Haupt stolz zurück, zog die schönen Brauen zusammen und sagte vornehm:

»Ich habe Dich nicht um Deinen Rath gefragt, sondern Dir einen Befehl ertheilt, dem Du allsogleich Folge leisten wirst!«

Sie wies mit der Hand auf die Thür. Der arme Zaklika hütete sich, noch ein Wort zu sagen und verließ nach einer tiefen Verbeugung das Zimmer.

Am anderen Tage traf König August die Gräfin Cosel bei der Toilette. Er bemerkte sofort, daß der Ring, den er ihr vor Kurzem gegeben, nicht an ihrem Finger steckte.

»Wo ist der Ring, den ich Euch zu tragen bat?« fragte der Eifersüchtige. »Er steckt nicht an Euerem Finger.«

Anna verlor ihre Geistesgegenwart nicht. Sie nahm eine besorgte Miene an und fing an, das Juwel zu suchen; da es aber nicht zum Vorschein kam, verfinsterte sich die Stirne August's.

»Wo ist der Ring?« fragte er mit unheimlicher Ruhe.

Gräfin Cosel schwieg, die Kammerfrau aber sagte, die Gnädige habe ihn schon gestern nicht am Finger gehabt.

Die schöne Frau warf der vorwitzigen Zofe einen drohenden Blick zu, während König August sich mit der Faust vor die Stirne schlug. Es war plötzlich der Verdacht in ihm aufgestiegen, daß seine Geliebte dem Grafen Lechereine den Ring gegeben haben könnte.

»Höret auf zu suchen,« sagte er mit heiserer Stimme. »Ich weiß, daß der Ring sich nicht finden wird, aber ich weiß auch, wo er zu finden wäre.«

Die Gräfin wurde verlegen. Der König entbrannte in heftigem Zorn. Er schrie und tobte, ließ seine Geliebte, die sich rechtfertigen wollte, nicht zu Worte kommen, und geberdete sich wie ein wilder Löwe. Seine donnernde Stimme war weithin vernehmbar. Die Kammerfrauen der Gräfin stahlen sich leise davon, um nicht Zeugen des schrecklichen Auftrittes zu sein.

Der Zorn des Königs hatte seinen Höhepunkt erreicht, Gräfin Cosel war weinend in einen Sessel gesunken – da wurde heftig an die Thür gepocht. Im nächsten Augenblicke erschien Zaklika zitternd und bleich auf der Schwelle.

»Euer Gnaden werden mich entschuldigen, wenn ich ohne Erlaubniß hier eindringe ...« stockte er. »Ich habe aber erfahren, daß Ihr den Ring suchet, den ich drüben im Cabinet auf dem Boden gefunden.«

König August warf einen Blick auf den goldenen Reif, welchen Zaklika der Gräfin gereicht hatte, und wurde roth. Die Cosel steckte den Ring langsam an ihren Finger, ohne den jungen Polen anzusehen und verließ alsdann das Zimmer. Der König aber stürzte ihr nach und bat sie kniefällig, ihm zu verzeihen. Erst nach langem Flehen ließ sich die schöne Frau herbei, August mit Vorwürfen zu überhäufen, die er mit sichtlicher Zerknirschung über sich ergehen ließ ... Endlich schlossen sie Frieden. Die kleine Episode hatte die Liebe des Königs mächtig geschürt und die Macht der Gräfin erhöht.

Gegen Mitternacht verließ König August seine Cosel, um sich in sein Cabinet zu begeben, wo der Ministerrath seiner harrte.

Kaum war die Gräfin allein, als sie nach Zaklika sendete. Sie war begierig, Aufklärung über das Geschehene zu erhalten.

Der treue Zaklika hielt seiner Gewohnheit gemäß in dem Vorsaale der gräflichen Gemächer Wache. Er saß, ein Buch in der Hand, am Tische und schien zu lesen. In Wirklichkeit aber war er mit seinen Gedanken beschäftigt. Als Gräfin Cosel's Zwerg – sie ließ sich gleich August am liebsten von Zwergen bedienen – dem polnischen Edelmann meldete, daß seine Gebieterin ihn zu sehen wünsche, erschrak er und wechselte die Farbe; denn er fürchtete sich vor dem Verhör, das ihm bevorstand. Er hatte zwar der Gräfin einen großen Dienst geleistet, war aber zugleich einem ihrer Befehle nicht nachgekommen, und Zaklika wußte, daß Ungehorsam in den Augen der stolzen Dame geradezu ein Verbrechen war. Mit dem Bewußtsein, gefehlt zu haben, trat er bei seiner Gebieterin ein und verharrte schweigend in schüchterner Haltung, mit hochklopfendem Herzen neben dem Eingang.

Schön wie eine Göttin, mit aufgelösten Haaren und zerstörter Toilette ging die Gräfin lebhaften Schrittes im Zimmer auf und nieder. Als der junge Pole eintrat, blieb sie plötzlich stehen, maß ihn mit einem stolzen Blick und fragte zornig:

»Wer verlieh Dir das Recht, meinen Befehl zu mißachten? Wer erlaubte Dir, mir nicht zu gehorchen? Habe ich Dich jemals ersucht, mein Thun und Lassen zu verhehlen? Ich staune über Deine Vermessenheit.«

Zaklika ließ das Haupt auf seine Brust sinken und schwieg eine Weile, um sich alsdann in die Höhe zu richten und in treuherzigem Tone zu sagen:

»Ich bekenne, daß ich gefehlt habe, Gräfin! Wenn Ihr aber der Zeit gedenket, da Ihr in Laubegast weiltet, der Gefühle Euch erinnert, die Ihr in einem Wahnwitzigen wachgerufen und die noch immer nicht erloschen sind, so werdet Ihr mein Benehmen begreifen, ja verzeihen. Ich wollte Euch retten ...«

»Welche Anmaßung!« unterbrach ihn Gräfin Cosel heftig. »Ich brauche in gefahrdrohenden Stunden Niemandes Beistand! Von meinen Dienern fordere ich unbedingten Gehorsam. Weiter verlange ich nichts. In meiner Nähe dulde ich keine gemüthvollen Lakaien, ihre Gefühle verachte ich. Wahrlich, Du warst allzu vermessen und hast mich beleidigt.«

Zaklika senkte wiederum das Haupt und schwieg.

»Es bedarf nur eines Wortes aus meinem Munde,« fuhr die Gräfin zürnend fort, »um den König zu bewegen, Dich auf den Königstein zu schaffen oder gar zum Tode zu verurtheilen ... Du einfältiger Knabe! Wer sagte Dir, daß es mir nicht lieber gewesen wäre, den König zu erzürnen, als dem Grafen Lechereine kein Andenken an mich mit auf die Reise zu geben!«

Der junge Mann bemerkte leise: »Graf Lechereine hat ein solches erhalten ... einen Ring ...«

»Einen Ring?« fragte erstaunt die Gräfin. »Was für einen Ring?«

Raimund Zaklika erzählte, daß ihm eine innere Stimme gesagt habe, König August werde eines Tages nach dem Ringe, den er der Gräfin gegeben, fragen.

»Ich behielt diesen Ring,« fuhr Zaklika fort, »um Euch denselben im Nothfalle zurückerstatten zu können. Dem Grafen Lechereine aber gab ich einen anderen, der mir gehörte und jenem ähnlich sieht.«

Gräfin Cosel heftete einen langen Blick auf den jungen Mann, der es nicht wagte, in ihre Augen zu sehen. Sie war verwirrt, bewegt. Sich gewaltsam fassend, sagte sie in kühlem, aber nicht unfreundlichem Tone:

»Wenn dem so ist, magst Du eine Belohnung ansprechen.«

»O nein, gnädige Gräfin! Sagt nur, daß Ihr mir verzeiht. Einen anderen Lohn begehre ich nicht.«

Die schöne Frau blickte ihn aufs neue schweigend an. In ihren dunklen Augen lag ein räthselhafter Ausdruck. Sie schien mit sich zu kämpfen, ihr Zorn hatte sich schon vorhin gelegt, jetzt war es, als ob ein warmes, menschliches Gefühl der Teilnahme sich in ihr rege. Sie war aber zu hochmüthig, um sich von einer solchen Empfindung überwältigen zu lassen. Mit kaltem Gesichtsausdruck trat sie in stolzer Haltung an den jungen Mann heran, streifte von einem ihrer zarten Finger einen kostbaren Ring und reichte ihn Zaklika hin, ohne ein Wort zu sprechen.

Ihm schwindelte ... Wie schön war diese blendend weiße Hand, wie verführerisch nahe! ... Sein Gesicht abwendend, sagte Zaklika mit bebender Stimme:

»Diesen Ring, gnädige Gräfin, kann ich nicht annehmen, es knüpfen sich allzu traurige Erinnerungen an ihn.«

Sie steckte den Goldreif wieder an ihren Finger und streckte Zaklika schweigend ihre Hand hin. Dieser beugte das Knie, drückte die Hand der angebeteten Frau mit Inbrunst an seine Lippen und stürzte alsdann aus dem Zimmer.

Die Gräfin stand eine Weile regungslos an derselben Stelle. Ihre Augen hafteten an der Thür, hinter welcher Zaklika verschwunden war, sie füllten sich plötzlich mit Thränen und seufzend sagte Anna bei sich: »So lieben die Niedrigen der Erde ... die Liebe der Fürsten, der Hochgeborenen aber ist anders, ganz anders!« –

Was Karl XII. betrifft, so machte er noch immer keine Anstalten, abzuziehen, und ging von den festgesetzten Bedingungen des harten Friedens nicht ab. Er behandelte den Adel mit unerbittlicher Strenge, den König aber mit ironischer Höflichkeit, und seine Herrschaft lastete schwer auf dem ganzen Lande. Durch schwedische Soldaten ließ er die Unterthanen August's für sein Heer mit Gewalt anwerben.

Die Sachsen waren über all die erlittenen Demüthigungen und gebrachten Opfer empört, außer sich. Die Kühnheit der Schweden hatte sich in Frechheit verwandelt. Sie streiften, den Sachsen gleichsam zum Hohne, in kleinen Schaaren durch das Land, und thaten, als ob sie bei sich zu Hause wären. Die braven Sachsen waren darüber entrüstet und litten unsäglich unter diesen jammervollen Verhältnissen.

Endlich begab sich Schulenburg zum König.

»Bringt Ihr eine gute Botschaft, General?« fragte August den Feldherrn. »Kommt Ihr mir zu melden, daß die Schweden abziehen?«

Schulenburg schüttelte mit sehr wehmüthigem Lächeln das Haupt. »Nein, Sire, diese Freudenbotschaft kann ich Euerer Majestät nicht melden. Ich meine indes, daß man sich unschwer der Feinde entledigen könnte.«

»Diese Meinung theile ich nicht,« versetzte der König. »Wenn uns der Himmel eine Schaar ausrottender Engel mit dem heiligen Michael an der Spitze herabschickte, und Ihr, General, die ganze himmlische Rotte befehligen würdet, so wäre es vielleicht möglich, die Schweden zu verjagen. Denn nur ein Wunder könnte dies zu Stande bringen.«

»Mich dünkt, Sire, daß wir des Erzengels entbehren könnten, da die Verzweiflung unseren Muth erhöht hat. Die Schweden sind im Lande zerstreut, auch sind sie nicht sehr zahlreich. Was den Sachsen die Schweden fürchterlich erscheinen läßt, ist der Vermessene, der sie befehligt. Man brauchte nur den Tollkühnen zu bewältigen, um sich der Uebrigen spielend zu bemächtigen.«

»General!« rief König August entrüstet. »Wie, wir sollten uns bei herrschendem Frieden eines Mannes bemächtigen, der uns und unserer Loyalität vertraut?!«

»Gerade deshalb! Seine Unvorsichtigkeit ist eine Waffe, welche wir gegen ihn gebrauchen können, um die erfahrene Schmach, die erlittenen Demüthigungen zu rächen. Ich habe mit einigen zuverlässigen Officieren das Terrain bereits recognoscirt. Der Schwedenkönig wird schlecht bewacht. Es wäre ein Leichtes, ihn in der Nacht zu überraschen, sich seiner zu bemächtigen und ihn auf den Königstein zu schaffen. Mögen sie ihren Fürsten dann holen, mögen sie uns belagern. Ich werde nicht capituliren, Sire! Sollte es aber dazu kommen, so müßte mir der König mit seinem Kopfe für alles bürgen, ich gäbe Karl XII. nicht eher frei, als bis sie einen von mir aufgesetzten Vertrag unterfertigt, sich allen Bedingungen, die ich ihnen stellen möchte, unterworfen hätten.«

»Und wenn der Anschlag mißlingen sollte – was dann?«

»Für den Fall, daß er fehlschlägt, nehme ich alle Folgen auf mich.«

»Ihr seid ein Schwärmer, General!« sagte der König. »Uebrigens werde ich meine Einwilligung zu einer solchen That nie und nimmermehr geben. Meine Ehre ist mir zu heilig, als daß ich mich der List und des Verrathes bedienen möchte, um mich an meinen Feinden zu rächen. Bei Gott, das soll nicht geschehen!« rief er aus und fuhr in gedämpftem Tone fort: »Aufrichtig gestanden, ich hasse den Schwedenkönig und erwürgte ihn gerne, wenn er in meine Hände fiele. Ihn aber bei nächtlicher Weile zu überfallen, ihn, der uns vertraut, auf den Königstein zu schleppen, das kann und darf ich nicht gestatten, General. Es wäre meiner nicht würdig!«

»Hat auch er sich gegen Euere Majestät immer so ritterlich benommen?« fragte Schulenburg ernst.

»Dem Rohen ist es gestattet, ein Barbar zu sein und keine Bildung zu besitzen – ich aber, der ich vom Volke »der Starke«, von den Monarchen der »Prächtige« genannt werde, darf bei einer so niedrigen That die Hand nicht im Spiele haben.«

»Und wenn ich mich so weit vergäße, meinem Gebieter ungehorsam zu sein, und es wagte, diese That zu begehen – was dann?«

»Dann würde August der Starke Karl XII. vertheidigen, ihm ohneweiters die Freiheit schenken,« erwiderte ruhig der König.

»Welche Großmuth! Mich dünkt jedoch, daß ... Kurz, sprechen wir nicht weiter davon,« fügte der General mit einem eigenthümlichen ironischen Lächeln hinzu, machte dabei eine Verbeugung und wandte sich zum Gehen. Der König hielt ihn aber zurück, indem er seine Hand auf seinen Arm legte.

»Lieber General,« sagte August, »lasset den Plan fallen und redet mit Niemandem davon. Der Sieg, den Ihr mir verschaffen wollet, würde meine Ehre beflecken. Um den Preis der Ehre erkaufe ich keinen Sieg.«

Der alte Feldherr warf dem König einen beredten Blick zu, der zu fragen schien, ob er durch die Auslieferung Patkul's und die ungerechte Verhaftung Imhoff's und Pfingsten's seine Ehre nicht schon befleckt habe.

Der König verstand diesen Blick. Verlegen senkte er die Augen zu Boden und schwieg. Der General stand regungslos neben ihm.

Nach langer Pause sagte Schulenburg endlich: »Uns vermöchte nur noch ein Act der Verzweiflung zu retten. Mit einem einzigen Wurf könnten wir alles gewinnen – zu verlieren haben wir ohnehin fast nichts. Die polnische Krone, welche so viele Millionen gekostet, ist dahin, und die sächsische ist nahezu verloren. Wenn es uns gelänge, den Tollkühnen zu Fall zu bringen ...«

»Ueberlassen wir das einem Anderen,« unterbrach König August den General. »Seine Erfolge haben ihn berauscht; er wird in seiner Tollkühnheit unaufhaltsam vordringen und sich, ehe er sich's versieht, den Hals brechen. Diesen Augenblick wollen wir geduldig abwarten.«

»Und was soll Sachsen mittlerweile anfangen?«

»Sachsen? ... Ihr erinnert mich an mein Volk ... Es leidet, ist schwer bedrückt, ich weiß es ... doch dem läßt sich jetzt nicht abhelfen. Uebrigens gleicht das Volk dem Grase; heuer wird es mit Füßen getreten, im nächsten Jahre grünt es um so schöner.«

»Aber, Sire, Ihr redet von Menschen! ...«

»Nein, nur vom Pöbel! Wie könnte man sich um diesen kümmern, da so ernste Interessen auf dem Spiele stehen!«

Die Audienz war zu Ende. Der General verbeugte sich und schritt nach dem Ausgang.

»Weiß sonst niemand um Eueren Plan?« fragte der König.

Schulenburg blieb neben der Schwelle stehen und erwiderte: »Meine Officiere haben ihn entworfen. Ich weiß auch, daß General Flemming ihn billigt und der Meinung ist ...«

August fiel ihm in die Rede und fragte besorgt: »Alle Welt spricht also schon davon?«

»Bis jetzt wissen es nur Wenige.«

»Sorgt, daß die Sache nicht ruchbar werde, General. Gott befohlen!«

Schulenburg verließ nach einer Verbeugung das Zimmer. Der König sank in einen Lehnstuhl und sah nachdenklich vor sich hin. Er sann über seine Großmuth nach, die ihm nach der Auslieferung Patkul's wundernehmen mochte.


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