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9.
Heimsuchungen.

Wer hätte bei all den leichtfertigen Vergnügungen und nichtigen Cabalen, mit welchen sich der Dresdener Hof ergötzte und beschäftigte, vermuthen können, daß sich nebenher auch ein politisches Drama abspielte, an welchem König August in für ihn verhängnißvoller Weise betheiligt war? Während das schwedische Heer Polen mit Krieg überzog und Karl XII. Sieg auf Sieg erfocht, tröstete sich August auf schwankendem Throne mit der Liebe über die erlittenen Niederlagen. Waren ja doch die schwarzen Augen der nunmehr zur Reichsgräfin erhobenen Cosel die süßeste Entschädigung für alles Unglück, welches August-Apollo traf!

Unter Vergnügungen, Festen, Orgien stürzten die Fundamente zweier Reiche nach und nach zusammen, ohne daß sich die Blicke August's umdüstert, seine herkulischen Schultern unter der Wucht dieses zweifachen Schlages gebeugt hätten. Sachsen klammerte sich vergeblich an den Fortbesitz Polens an und jeden Tag gewann es mehr den Anschein, daß es schließlich werde preisgegeben werden müssen.

Maskeraden und Bälle fanden zwischen zwei Schlachten statt. Wenn der König nach einer Niederlage in Dresden eintraf, suchte er in dem tollen Wirbel der Hoflustbarkeiten sich zu betäuben, um die erlittenen Verluste und Demüthigungen zu vergessen.

Bei den rauschenden Klängen heiterer Tanzweisen erhielten Minister und Gesandte die Weisung, aufs neue, wenn auch vergebens, Hilfe und Verbündete zu suchen.

Höher als die physische Kraft des sächsischen Herkules ist seine moralische anzuschlagen, welche es ihm möglich machte, eine so schwere Heimsuchung mit einem Lächeln auf den Lippen, mit dem Becher voll Wein in der Hand zu ertragen. Vom Schlachtfelde flog er in die Arme der Gräfin Cosel, von diesen eilte er in sein Arbeitscabinet, wo geheime Depeschen ohne Unterbrechung sich kreuzten. Am Abend aber wurde getanzt, in der Nacht getrunken und des anderen Morgens wieder gefochten ... Es bedurfte wirklich einer eisernen Natur, um dieses rast- und ruhelose Leben auf die Dauer zu führen.

Was die schöne Cosel betrifft, so hatte es den Anschein, als werde sie sich länger als alle ihre Vorgängerinnen in der Gunst August's zu behaupten wissen. Kraft des ihr vom König gegebenen Eheversprechens betrachtete sie sich als die zweite, rechtmäßige Gattin August's und gab dies in ihrem Gebaren deutlich zu erkennen. Auf Reisen, im Kriege, inmitten der Gefahr war die Gräfin an des Königs Seite. Nichts flößte ihr Furcht ein, sie folgte ihm überall hin.

Sie hatte August gar bald durchschaut; es war ihr nicht entgangen, daß sie bereits erbitterte Feinde hatte. Um diese kümmerte sie sich nicht und der Wankelmuth August's machte ihr keine Sorge. Mit seltener Geistesgegenwart, feinem Takt und kindlichem Frohsinn begabt, wußte sie den leichtfertigen Mann zu beschäftigen, zu zerstreuen und zu lenken, so daß ihr Einfluß geradezu allvermögend wurde und Jede und Jeder schließlich einsehen mußte, daß ein Kampf gegen die Gräfin Cosel nur mit der Niederlage ihrer Gegner endigen könne, an einen solchen also gar nicht zu denken war, wenigstens für den Augenblick nicht mit offenem Visir. Wenn der wankelmüthige König von den durch seine Höflinge ihm gewandt in den Weg gelegten verbotenen Früchten naschte, wenn seine Liebe im Begriffe war, zu erkalten, so brauchte die schöne Cosel nur zu erscheinen, um sein Herz von neuem für sie zu entflammen, ihn alle übrigen Frauen vergessen zu machen. Das Glück hatte ihrer Schönheit einen neuen Zauber verliehen. Die Frauen suchten vergebens in ihren Zügen einen Fehler, eine Veränderung zu entdecken, aus der sie die Hoffnung hätten schöpfen können, daß sie auf dem Wege sei, an Schönheit abzunehmen. Die glückliche Cosel schien im Gegentheil mit jedem Tage schöner zu werden.

Ein Jahr war vergangen und noch war der Himmel ihres Glückes von keinem Wölkchen getrübt worden. König August hatte einen herrlichen Palast für seine Geliebte aufführen lassen. Dieser Bau, ein wahres Meisterwerk, hieß das »Palais der vier Jahreszeiten« und bestand in Folge der sinnreichen Anordnung eines geschickten Architekten aus vier verschiedenen Appartements, deren Gemächer den Bedürfnissen der verschiedenen Jahreszeiten entsprachen. Die Sommerwohnung war luftig, in ihren Räumen herrschte angenehmes Halbdunkel; das Winterappartement hingegen wohlverwahrt und geschlossen, damit kein rauhes Lüftchen in die lichten, mit moosweichen Teppichen belegten Zimmer eindringen könne. Die Wände, die Decken, die Möbel strotzten von Gold, Sammt und Seide, in allen Ecken und Enden standen chinesische Vasen – mit Einem Worte, alles Schöne, Kostbare, Bequeme, was die Welt zu bieten vermochte, war in diesem einzigen Palaste vereint.

Dem Heere wurde der Sold nicht ausbezahlt, dafür hatte aber die Favoritin des Königs ein fabelhaft prächtiges Palais.

Es war mit einem geradezu feenhaften Balle eingeweiht worden, den die von Diamanten blitzende, königlich schöne Cosel mit demjenigen Manne eröffnet hatte, welchen sie leise ihren Gemahl nannte. Alle waren bezaubert gewesen von der hinreißenden Anmuth der jungen Frau, von ihrer majestätischen Haltung, ihrem würdevollen Wesen, ihren räthselhaften, dunklen Augen.

Gräfin Cosel erregte unter Fremden und Einheimischen immer mehr und mehr Bewunderung. Endlich begann die Geistlichkeit, theils auf Anregung einer aus Unzufriedenen gebildeten Partei am Hofe, theils aus aufrichtiger Entrüstung über das so offen zur Schau getragene Verhältniß des Königs zu der Gräfin, von der Kanzel aus die moderne Bethsabe zu schmähen; ja, Gerber, ein damals berühmter Prediger, gab eines Tages eine Beschreibung der zweiten Bethsabe zum Besten, und diese Schilderung verrieth deutlich genug, daß von der Geliebten August des Starken die Rede sei. Es erhob sich in der Gemeinde ein lautes Murmeln und Flüstern und der Name Cosel ging von Mund zu Mund.

An jenem Tage wurde in Dresden nur von Cosel-Bethsabe gesprochen. Die Gräfin erfuhr es und war darüber entrüstet.

Als der König in bester Laune in ihr Zimmer trat, fand er sie in Thränen aufgelöst.

»Was fehlt meiner holden Königin?« fragte er, der Gräfin Rechte erfassend und sie zwischen seinen Händen gefangen haltend.

»Gerechtigkeit, mein König, Gerechtigkeit!« rief die schöne Frau. Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme und sie fuhr in schmerzerfülltem Tone fort: »Ihr sagt, daß Ihr mich liebt, Sire! ... Ach, wenn das wahr wäre, würde man es nicht wagen, mich zu beschimpfen. Gehörte Euer Herz wirklich mir, so dürfte Solches nicht ungestraft geschehen!«

»Was ist denn geschehen?« fragte besorgt der König.

Gräfin Cosel beantwortete diese Frage nicht, sondern rief erregt: »Gerber muß bestraft werden, exemplarisch bestraft werden. Das wird die Verwegenen, denen nicht einmal die Krone heilig ist, einschüchtern!« Hier warf sie sich August zu Füßen und fuhr fort: »O, mein König, dieser Gerber hat es gewagt, mich die Bethsabe Sachsens zu nennen!«

August lächelte.

»Es ist ein unverdienter Schimpf!« rief zornig die Gräfin, »Ich bin keine Bethsabe, ich bin die Gemahlin meines Königs! O, bestrafe den Nichtswürdigen, bestrafe ihn!«

Dabei umschlang Anna die Knie des Königs, schmiegte sich an ihn und schluchzte laut. August schien sich die Sache nicht besonders zu Herzen zu nehmen, denn er erwiderte ziemlich trocken:

»Jeder Priester hat einmal in der Woche einen Ort und eine Stunde, wo er sagen kann, was er will. Dagegen vermag ich nichts zu thun. Wenn aber irgend einer von den geistlichen Herren so vermessen wäre, außerhalb der Kirche unziemende Worte gegen Dich fallen zu lassen, so würde ich ihn festnehmen lassen. Heute habe ich nicht das Recht, Gerber zu bestrafen. Es schützen ihn die Kirchenmauern, innerhalb welcher jene Worte, die Dich beleidigten, ausgesprochen wurden.«

Der Vorfall wurde nicht weiter besprochen. Gerber blieb ungestraft, indessen griff er die Gräfin nicht wieder an und der Name »Cosel-Bethsabe« gerieth in Vergessenheit ...

Es war doch gewissermaßen eine Ironie des Schicksals, daß Karl XII., dieser Barbar mit dem Tituskopf und den hohen Stulpstiefeln, daß dieser strenge, unbeugsame Soldat dazu ausersehen war, den schönen August-Apollo, den König mit der sammtenen Tracht, dem kostbaren Jabot und dem goldenen Cüraß, zu besiegen, zu demüthigen. Was man sich von den Schweden erzählte, grenzte an das Fabelhafte. August hörte zu und schwieg. Die sächsischen Soldaten, welche durch Zwangsaushebungen zusammengebracht worden waren, desertirten massenweise und ergriffen die Flucht, sobald sie des Feindes ansichtig wurden.

In Polen erblaßte August's Stern immer mehr und mehr trotz aller Bemühungen der für seine Sache Kämpfenden, zu denen sich Flemming, Prebendowski und Dombski zählten. Die Mission der zu dem Schwedenkönig abgesandten Gräfin von Königsmarck, der einstigen Geliebten August's, blieb erfolglos. Karl XII. hatte ihr nicht einmal Gehör geschenkt.

Das Glück war August dem Starken entschieden abhold. Alle seine Hoffnungen schlugen fehl. Sein Alchymist vermochte noch immer nicht das heißersehnte Gold herzuzaubern, sein Finanzminister konnte nirgends mehr Geld auftreiben und seine geliebte Cosel gab ungeheuere Summen aus. Seine Unterthanen flüchteten vor den Zwangswerbern in die Berge und zogen in Schaaren verwüstend im Lande umher; der Adel wollte sich nicht ausplündern lassen und die Prediger donnerten von der Kanzel gegen die Räuberei der Fahnenflüchtigen und Abtrünnigen, gegen die Gewaltthaten der königlichen Beamten.

Daß August da zuweilen Anflüge von übler Laune hatte, läßt sich begreifen. Es waren aber zum Glück nur Anflüge. Ein Lächeln der Cosel vermochte die umdüsterte Stirne des bedrängten Monarchen aufzuheitern ... Und wenn Abends das Orchester im »Palais der vier Jahreszeiten« die Quadrille der »vier Welttheile« aufspielte, wurde Asien durch August und Anna in märchenhaft prächtigem Costüme dargestellt.

Es waren also mehrere Jahre vergangen; während derselben hatte jener furchtbare Kampf fortgewüthet, war das Glück nicht müde geworden, August den Starken zu verfolgen. Der König aber hatte sich nicht verändert; Schlachten, Niederlagen, Bälle, Jagden, Maskeraden folgten einander noch immer in bunter Wechselfolge. Da verbreitete sich plötzlich die Nachricht, daß Karl XII. mit seinem Heere in Sachsen eingedrungen sei. Ein panischer Schrecken erfaßte alle Gemüther, alle Lustbarkeit hörte mit einemmale auf.

Nach der Schlacht bei Fraustadt, welche die Sachsen gewohntermaßen verloren hatten, wimmelte es überall von Fahnenflüchtigen; sie wurden zu Dutzenden aufgehenkt, weil sie ihre Pflicht nicht gethan hatten.

Karl XII. war am 1. September über die Oder gegangen und stand als Feind des Reiches in Sachsen. Die Bewohner der Ortschaften und Dörfer, durch welche die Schweden ziehen sollten, hatten von Seite der sächsischen Behörden den Befehl erhalten, sich und ihre Habe in den Bergen Böhmens und Schlesiens in Sicherheit zu bringen. Es war aber schon zu spät. An der Spitze seiner zwanzigtausend Soldaten zog Karl XII. durch das Land, indem er den Bewohnern desselben vollständige Sicherheit für ihre Person und ihre Güter versprach und sie aufforderte, sich seinem Schutze anzuvertrauen. An einen Widerstand war nicht zu denken. Die Schweden verbreiteten sich über das ganze Land und lasteten schwer auf dem sächsischen Volke. Ein Häuflein sächsischer Soldaten, das den Rest der Armee Schulenburg's bildete, flüchtete, vom Feinde verfolgt, nach Würzburg.

Dresden, welches vom Hofe verlassen worden war, versuchte dem Feinde zu widerstehen, in Leipzig aber wurde in Folge der Versprechungen des Schwedenkönigs, Hab und Gut und Leben der Einwohner zu schützen, die Herbstmesse eröffnet.

Nachdem sich Karl XII. über das Abgabensystem in Sachsen unterrichtet, legte er dem Lande schwere Kriegssteuern auf.

Während Imhoff und Pfingsten bei Altranstädt, wo sich das Lager der Schweden befand, mit Karl einen Waffenstillstand mit nachfolgendem Frieden abschlossen, fuhr König August seltsamerweise zu kämpfen fort und schlug den schwedischen General Marderfeld bei Kalisch in Polen. Er entschuldigte sich später gegenüber dem Schweden damit, daß er behauptete, Imhoff und Pfingsten hätten ihre Vollmacht überschritten, und ließ, um seine Ehre zu retten, Beide in den Kerker werfen.

Schließlich mußte sich August aber doch den harten Bedingungen des im September 1706 abgeschlossenen schimpflichen Friedens von Altranstädt fügen. Daß er auch in die Auslieferung Patkul's, der die Seele der Pläne gegen Schweden gewesen, einwilligte, wurde allgemein bitter getadelt. Auch war er sich bewußt, daß er damit eine schändliche That begangen, und fühlte, um welch hohen Preis er den Frieden erkauft hatte.

Zur Ratification des besagten Altranstädter Friedens ging August nach Sachsen zurück.

Gräfin Cosel aber befand sich schon von neuem in Dresden. In den ersten Zeiten des so unglücklichen Feldzuges war sie ihrem König überallhin gefolgt, hatte alle Mühen und Beschwerden des Soldatenlebens mit ihm getheilt, ja sie war von dem Wunsche beseelt gewesen, sich als Mann zu verkleiden und an August's Seite zu kämpfen. Der König aber hatte dies nicht gestattet; er sagte, daß von den zwei Dingen, welche ihm die liebsten auf Erden seien, nämlich seine Cosel und seine Krone, er sich wenigstens Eines erhalten wolle und seine theuere Geliebte daher keiner Gefahr aussetzen dürfe. Hierauf hatte Zaklika den Befehl erhalten, die Gräfin nach Dresden zurückzugeleiten. Während der Reise schloß der junge Pole, aus Furcht, es möchte dem ihn anvertrauten Schatze ein Leids widerfahren, kein Auge, nicht weil ihm sein König eingeschärft hatte, die Gräfin wie seinen Augapfel zu hüten, sondern weil ihm sein Herz gebot, über die geliebte Frau wie ein Schutzengel zu wachen.

Die schöne Gräfin würdigte ihn während der Reise fast keines Blickes. Leidend und traurig kehrte sie nach der Hauptstadt zurück. Dort angelangt, ergriff sie mit ihren weißen Händen die Zügel der Regierung und herrschte als Königin, ohne sich im mindesten um Fürstenberg und die Minister zu kümmern, die König August mit der Leitung der Staatsgeschäfte betraut hatte. Dies vermehrte natürlich die ohnehin nicht geringe Zahl ihrer Feinde.

Gräfin Cosel's erste Freundinnen, die bekanntlich erwartet hatten, daß sich die junge, weltfremde Frau von ihnen als blindes Werkzeug gebrauchen lassen würde, waren in ihren Hoffnungen aufs bitterste enttäuscht worden, indem Anna unmittelbar nach ihrer sogenannten Erhebung sich jede Einmischung in ihre Angelegenheiten von Seiten der Gräfin Reuß, des Fräuleins Hülchen und sogar des Vitzthum'schen Ehepaares verbat und sich aufs entschiedenste weigerte, den Rathschlägen und Winken dieser nach Macht und Einfluß strebenden Coterie Folge zu leisten – ein Act der Selbstständigkeit, der den gesammten Hof mit Schrecken erfüllte und der Gräfin Cosel die Feindschaft der Reuß-Fürstenberg'schen Partei zuzog.

Im Kriege wie im Frieden blieb sich August immer gleich, er ging immer Liebesabenteuern nach, ohne welche er einmal nicht leben konnte. Er verlor sein Reich, eroberte aber dafür unzählige Frauenherzen; denn wenn er auch die Cosel noch liebte, so verfiel er dennoch, sobald er fern von ihr war, immer wieder in seine frivolen Gewohnheiten.

Der besiegte, vom Unglück verfolgte König bedurfte mehr als je der Zerstreuung. Die Hofleute, welchen die herrschsüchtige, despotische Cosel Schrecken einflößte, beeilten sich, seinen Wünschen zuvorzukommen, und hofften dadurch sowohl sich selbst als ihn von dem Joche der schönen Despotin zu befreien. Fürstenberg, die Gräfin Reuß und deren Partei hatten keinen sehnlicheren Wunsch als den, die mächtige Favoritin zu stürzen. Gräfin Cosel aber baute zu sehr auf ihre Reize und ihren Einfluß, als daß sie es für nöthig erachtet hätte, sich vor den Intriguen dieser feindseligen Schaar in Acht zu nehmen. Wenn man sie vor ihren Feinden warnte und ihr sagte, daß diese ihr gefährlich werden könnten, glitt ein ungläubiges Lächeln über ihre stolzen Lippen.

Das innige Band, welches zwischen ihr und dem Könige bestand, ward durch die Geburt zweier Mädchen fester geknüpft. Die stolze, hochmüthige Frau sagte sich im Stillen, daß August kein Weib zu finden vermöchte, welches sie verdunkelte, daß nur sie allein die Freuden und die Leiden ihres königlichen Geliebten zu theilen im Stande sei – sie, die vor dem Feuer des Feindes, dem Geklirre der Waffen nicht zurückschreckte, die vor langen, windschnellen Ritten, vor kalten, unter Gottes freiem Himmel im Bivouak verbrachten Nächten nicht zurückbebte.

Bei aller Zuversicht witterte jedoch die Gräfin, daß sich August während seines jüngsten Aufenthaltes in Warschau eine Untreue hatte zu Schulden kommen lassen. Sie irrte sich nicht. Der ihrer strengen Aufsicht entgangene König hatte mit der Tochter einer Schenkwirthin, bei welcher seine Officiere täglich einzukehren pflegten, ein Liebesverhältniß angeknüpft. Gräfin Cosel erfuhr es und sagte, sie werde dem König eine Kugel durch den Kopf jagen. August lachte herzlich, als ihm die Drohung der schönen Frau hinterbracht wurde. Indes liebte der Treulose »seine Cosel« noch immer. Von allen Favoritinnen, die im Laufe der Zeit die Gunst August des Starken besessen, war Gräfin Cosel Diejenige, welche seinem Herzen am nächsten stand.

Mit gewohnter Gleichgiltigkeit auf den sie umgebenden Kreis von Neidern und Verehrern blickend, den Statthalter Fürstenberg durch maßlose Ansprüche fortwährend reizend, erwartete Gräfin Cosel den ungetreuen königlichen Geliebten mit Ungeduld. Der Krieg, dessen Unkosten, der Ruin des Landes, der Verlust der Krone, die feindliche Besatzung, kurz, nichts vermochte sie, ihre Lebensweise zu ändern, von ihrem Hang zum Luxus und zur Verschwendung abzubringen.

Die Gräfin wurde geradezu königlich unterhalten. Dem Alchymisten Böttcher, der von einem Tag zum anderen das große Werk vollbringen sollte, durfte kein Wunsch versagt werden; Fürstenberg, der sich eine Leibwache angeschafft hatte, stolzirte mit derselben in der Stadt herum; die italienischen Sänger und deren Director kosteten dem Staate Tausende von Thalern und dabei hauste der Feind im Lande und brandschatzte die Bevölkerung.

Am 15. December – es war im Jahre 1706 – traf König August mit heiterem, strahlendem Gesichtsausdruck, einem Halbgotte gleich, in Dresden ein, um seiner Schande das Siegel aufzudrücken, um den ihm aufgedrungenen Vertrag zu unterzeichnen. Kaum hatte er seinen Wagen verlassen, als er zur Cosel eilte.

Im Vorzimmer stieß er auf den treuen Zaklika, der, auf die Lehne eines Sessels gestützt, in tiefes Nachdenken versunken schien. Beim Anblicke des Königs richtete er sich schnell auf und sagte:

»Sire, die gnädige Gräfin ist leidend ... der Arzt erwartet jeden Augenblick die Geburt ...«

Der König machte ihm ein Zeichen, daß er schweigen möchte, schob ihn sanft beiseite und drang in die Gemächer der Gräfin ein. Als die Stille, welche hier herrschte, durch das leise Wimmern einer dünnen Kinderstimme unterbrochen wurde, beschleunigte August seinen Schritt.

Die schöne Frau war auf ihrem Lager ausgestreckt. Marmorblaß, von den eben ausgestandenen Leiden erschöpft, streckte sie dem König beide Hände entgegen, während sie mit den Augen auf das Kindchen wies, das die Wärterin im Arme hielt. August nahm das kleine Geschöpf, küßte es zärtlichst und nannte es sein Kind. Hierauf gab er es der Wärterin zurück und setzte sich, die Hände vor das Gesicht schlagend, auf den Rand des Bettes.

»Anna,« sagte er leise, »Jedermann verachtet mich ... Auch Du wirst mich gar bald nicht mehr lieben. Alles ist dahin! Das Glück hat August verlassen; ich bin besiegt, entthront, man hat mir alles entrissen!«

»Je unglücklicher, desto theuerer,« erwiderte Gräfin Cosel mit thränenerfüllten Augen. »Und wenn August in Ketten läge, so würde er seiner Cosel nur um so theuerer sein!«

»Geliebte!« rief August bewegt. »Dieses Trostes bedurfte ich. Der Feind ist in meinem Lande,« fuhr er in düsterem Tone fort. »Ich bin machtlos, auch meine Verbündeten sind es. Ganz Europa jauchzt dem Sieger zu, er ist's, der in meinen Landen befiehlt und ich bin nur mehr ein Schattenkönig!«

August suchte jetzt nicht mehr seinen Kummer zu verbergen, ja er schüttete im Gegentheil seine Seele vor der Geliebten aus, deren aufrichtiger Zuneigung er sicher war. Da die leidende Frau aber der Ruhe bedurfte und der König sich keine Ruhe gönnen durfte, mußte August die Gräfin bald wieder verlassen. Officiere, Würdenträger, Beamte, kurz, eine Unzahl von Personen harrten im Schlosse auf ihn.

Am folgenden Tage ritt August, von General Pflug und einem Diener begleitet, nach Leipzig, um sich von dort aus in das Hauptquartier des Königs von Schweden zu begeben. Diesem hoffte er durch den Glanz seiner Erscheinung zu imponiren, um von ihm minder harte Friedensbedingungen zu erlangen.

Sobald Karl XII. erfuhr, daß König August nach Altranstädt komme, ritt er demselben entgegen, um ihm die Hälfte des Weges zu ersparen. So geschah es, daß beide Könige unterwegs zusammentrafen.

In Günthersdorf, wo Graf Piper weilte, erfuhr August von Sachsen, daß Karl XII. nicht in Altranstädt sei. August der Starke stieg vom Pferde und beschloß, den König von Schweden in Günthersdorf zu erwarten.

Die beiden Monarchen begegneten einander am Fuße der Treppe. Niemals dürfte man zwei in Haltung und Charakter verschiedenere Menschen gesehen haben, der Eine glich einem Puritaner, der Andere einem Elegant vom Hofe Ludwig's XIV.

Die erbitterten königlichen Feinde begrüßten sich aufs herzlichste; vor dem Eingang der Säle entstand ein höflicher Wortwechsel wegen des Vortrittes, der nach vielen gegenseitigen Verbeugungen und Artigkeiten damit endete, daß der König von Schweden den König von Polen, daß der Sieger den Besiegten vorangehen ließ. Erst umarmten sich die Beiden, schüttelten sich herzlich die Hände und traten alsdann in eine Fensternische, um ein Zwiegespräch anzuknüpfen, das nahezu eine Stunde währte und von niemandem vernommen wurde. Als sich August II. von dem Schwedenkönig verabschiedete, sah er blaß und müde aus.

Dieser Tag blieb August dem Starken unvergeßlich. Düster und schweigsam kehrte er nach Leipzig zurück, wohin ihm Karl XII. folgte, um ihm einen kurzen Etikettebesuch abzustatten. An den Punkten des Vertrages wurde nichts geändert.

Es folgte ein Jahr der bittersten Demüthigungen. Die fortdauernde Anwesenheit der schwedischen Truppen drückte König August schwer. Wie gern hätte er diese drückende Last abgeschüttelt, selbst um hohen Preis! Die Tage, an denen er von Leipzig nach Altranstädt reiten mußte, waren die schmerzlichsten, qualvollsten seines Lebens.

Einen seltsamen Anblick boten dieser König von Sachsen in seiner mit Gold und Spitzen überladenen französischen Tracht und jener schwedische Monarch mit seinem dunkelblauen, mit Messingknöpfen versehenen Soldatenrock, den hirschledernen Beinkleidern und den hohen, plumpen Stiefeln. So oft sie zusammenkamen, suchte Jeder den Anderen an Artigkeit zu überbieten. Politische und geschäftliche Fragen waren durch den Schweden aus ihren Gesprächen aufs entschiedenste verbannt worden. »Diese Dinge,« sagte Karl, »gehen mich nichts an, um die haben sich Piper und Cedernhjölm zu kümmern.«

Karl XII., der August II. versichert hatte, daß er seit Jahren nicht die Zeit gefunden habe, seine Stiefeln auszuziehen, schlug alle Einladungen des Letzteren beharrlich aus. Dieser aber war hin und wieder bei dem Schweden zu Gaste, obwohl er für dessen Mahle, die von spartanischer Einfachheit waren, keine besondere Vorliebe hatte, weil Karl bei Tische kein Wort sprach; man aß bei ihm unter tiefstem Schweigen und die Mahlzeit währte immer eine volle Stunde ...

Mehrere Wochen waren vergangen. Die leidigen Verhältnisse hatten sich nicht verändert. Armer August! Der Schwede machte noch immer keine Anstalten, aufzubrechen und sein Heer hinwegzuführen. Jener mußte also den verhaßten Anblick wohl oder übel ertragen; zudem sah er sich genöthigt, Geld und immer wieder Geld aufzutreiben, um seine gewohnte prächtige Lebensweise fortführen zu können, denn jetzt, wo er so unglücklich war, konnte er der Lustbarkeiten schon gar nicht entrathen.

Während König August in Dresden Bälle gab und durch den Glanz seiner Hofhaltung alle Welt in Erstaunen setzte, ließ König Karl seine Soldaten fortwährend manöveriren. »Fürstchen«, der Ex-Statthalter, dem alles zu sagen gestattet war, hatte allein hie und da den Muth, seinen Gebieter aus den wollüstigen Träumereien, in denen er schwelgte, aufzurütteln und ihn in die trostlose Wirklichkeit zurückzurufen.

Wir können es nicht unterlassen, Einiges über diesen erbitterten Feind der Cosel mitzutheilen, dem wir im Laufe der Erzählung unter Denjenigen, welche den Sturz der Gräfin anstrebten, häufig begegnen werden.

Fürst Egon von Fürstenberg, ein geborener Oesterreicher und eifriger Katholik, that sich weder durch seinen Charakter, noch durch außerordentliche Fähigkeiten hervor, war aber ziemlich kühn, dazu aufgeräumt und witzig, und zeichnete sich besonders dadurch aus, daß er August den Starken zu den größten Inconsequenzen zu verleiten wußte.

Dieser Mann war bei dem Einfluß, den er auf König August ausübte, den Feinden der Gräfin Cosel ein unschätzbarer Bundesgenosse, denn er konnte gelegentlich durch hingeworfene Worte das Vertrauen, welches der König in seine Geliebte setzte, die Liebe zu ihr, die Hochachtung, welche August für sie hegte, zu untergraben suchen.

Fürstenberg ließ sich von seiner Freundin, der Gräfin Reuß, und deren Partei als Werkzeug gebrauchen. Die Gräfin konnte es der schönen Cosel nicht verzeihen, daß sie in dem Alleinbesitze der Macht, zu der sie ihr, wie sie sagte, verholfen, bleiben wollte und blieb. Zu der Reuß-Fürstenberg'schen Partei hatten sich alle Diejenigen geschlagen, welche systematisch jeden Machthaber zu bekriegen pflegen.

Diese feindseligen Menschen hatten sich der Hoffnung hingegeben, daß jetzt, wo die Liebe des Königs zur Cosel in Folge der langen Trennung erkaltet sein müsse, es ihnen gelingen dürfte, ihre mächtige Feindin zu Fall zu bringen. Doch sie sollten gar bald einsehen, daß sie sich getäuscht hatten, daß die ewig schöne, ewig junge Cosel dem König noch immer unendlich theuer war, daß die Stunde noch immer nicht geschlagen hatte, sie offen zu bekämpfen.

Gräfin Cosel zog August wieder an sich und fesselte ihn ganz wie ehedem. Er verließ sie während ihrer Genesung nur auf Augenblicke. Eines Tages saß er wieder im Alkoven neben der im Bette liegenden Gräfin, als ein Page mit der Meldung erschien, es seien aus Warschau, wo der König noch einigen Anhang hatte, wichtige Depeschen angelangt. August erhob sich, um sich in sein Cabinet zu begeben, die Cosel aber bat ihn, zu bleiben und den Ueberbringer der Depeschen in ihrem Schlafgemach zu empfangen. Der starke August, der seiner schönen Geliebten nichts abzuschlagen vermochte und sich in alle ihre Launen zu fügen pflegte, willfahrte auch diesmal ihrem Wunsche und ließ den Minister – es war Bose – in dem Schlafgemache der Gräfin vor.

Der alte Herr machte zuerst dem König eine sehr tiefe Verbeugung und verneigte sich alsdann mit der gleichen Ehrerbietung vor der Gräfin, die, auf Spitzen und Daunen gebettet, einer blassen, auf frischgefallenem Schnee liegenden Rose glich. Hierauf wandte sich der Minister gegen seinen König, wies auf das Portefeuille in seiner Hand und sagte leise, kaum hörbar:

»Nachrichten von höchster Wichtigkeit, Sire! ... Aus Warschau!«

Der König trat ans Fenster und winkte dem Minister, er möge ihm folgen. Dieser gehorchte. Die Gräfin, welche das Wort »Warschau« vernommen hatte, blickte unverwandt auf August, von dessen Zügen sie den Eindruck, den die Nachrichten auf ihn machen würden, abzulesen hoffte. Mit seinen langen hageren Fingern überreichte der Minister dem Könige in ehrerbietiger Haltung der Reihe nach die Briefe, welche sein Portefeuille enthielt – lauter Briefe, deren großes Format und großes Siegel nicht verkennen ließ, daß sie geschäftlichen Inhaltes waren. Gräfin Cosel schaute, das Haupt auf die Hand gestützt, schweigend und regungslos auf die Gruppe in der Fensternische. Da ließ der Minister ein kleines Billet, ein Billet von bedenklichem Format, gewandt in des Königs Hand gleiten und murmelte dabei einige Worte. August erbrach das Briefchen, überflog es mit den Augen, wurde feuerroth und warf unwillkürlich einen scheuen, ängstlichen Blick auf seine Geliebte.

Diese richtete sich in die Höhe. »Was enthält dieses Billet?« fragte sie scharf.

»Geschäftliches; nichts, was Dich interessiren könnte!« erwiderte nachlässig König August.

»Bitte, zeige mir diesen Brief,« sagte Gräfin Cosel.

Anstatt zu antworten, schüttelte August den Kopf.

Eine tiefe Glut ergoß sich über das Antlitz der schönen Frau. Die Gebote des Anstandes und die Gegenwart des ehrwürdigen Alten vergessend, sprang Gräfin Cosel aus dem Bette, flog im leichten Nachtgewande ans Fenster und entriß dem König das Billet, welches ihren Argwohn erregt hatte; der Minister trat betroffen einige Schritte zurück und verhüllte schamhaft sein Gesicht mit beiden Händen, während August in sichtlicher Verwirrung sprachlos daneben stand.

Gräfin Cosel entbrannte über den Inhalt des Briefes in heftigem Zorn. Das Billet war von Henriette Duval, jener Wirthstochter in Warschau, die August's Maitresse gewesen. Die arme verlassene Frau theilte dem König mit, daß sie einer Tochter (der später so berühmten Gräfin Orselska) das Leben geschenkt, und fragte an, was sie mit ihrem Kinde anfangen sollte.

»Ertränken soll sie es!« rief Gräfin Cosel in heftigstem Zorne, indem sie den Brief der Unglücklichen in Stücke zerriß. »Ins Wasser werfen soll sie den Knirps. O, wie gerne thäte ich ein gleiches mit ihr!«

August lachte, seine Geliebte fing aber zu weinen an und warf sich, wie eine Verzweifelte die Hände ringend, auf ihr Lager. Als sich der Minister, der fühlen mochte, daß seine Gegenwart in diesem Augenblicke überflüssig war, zurückgezogen hatte, rief der König in flehendem Tone:

»Cosel, meine theuere Cosel, beruhige Dich um des Himmels willen ...«

»Welche Schmach!« schluchzte die Gräfin. »Mich, die ich alles für Dich hingeopfert, die ich Dir so viele Beweise der Neigung und Treue gegeben – mich zu verrathen!«

König August hatte schon häufig dergleichen Eifersuchtsscenen von Seiten der Cosel erlebt, die ihm bei jeder kleinen Untreue die bittersten Vorwürfe zu machen und so lange zu zürnen pflegte, bis der königliche Sünder ihr reuevoll zu Füßen fiel und feierlichst gelobte, sich zu bessern.

Diesmal war es aber nicht so leicht, Vergebung zu erflehen. Sein Vergehen schien der Gräfin unverzeihlich. August bedeckte vergeblich ihre zarten Hände mit Küssen, Cosel's zürnende Miene hellte sich nicht auf.

»Was soll ich thun, um Dich zu besänftigen?« fragte er schüchtern.

»Wenn Du dieser Elenden auch nur ein Wort schreibst, wenn Du Dich ihrer auf irgend eine Weise annimmst,« rief die Gräfin mit wahrhaft erschreckender Wildheit, »so begebe ich mich nach Warschau und tödte Mutter und Kind!«

Der König mußte geloben, daß er jeden Verkehr mit Henriette Duval abbrechen und die beiden unglücklichen Opfer seiner Laune ihrem Schicksale überlassen werde. Damit endete dieser Auftritt, über welchen Minister Bose, dem die stolze Gräfin keine geringe Furcht einflößte, wohlweislich schwieg, so daß er dem Hofe verborgen geblieben wäre, wenn nicht – König August selbst geplaudert hätte.


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