Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Mit Gordon Cumming.

Kurze Zeit nachdem Cecil Rhodes die ersten Diamanten gefunden hatte, wimmelte schon ganz Südafrika von Abenteurern, welche mit Hacke und Schaufel den Boden aufwühlten.

So leicht wie in Brasilien, wo der Diamant höchstens metertief lagert, ging das hier aber nicht. Nur in den allerseltensten Fällen und nur in sehr wenigen Gebieten findet man den Kapdiamanten in geringer Tiefe oder gar gleich an der Erdoberfläche, in andres Gestein eingesprengt.

In Afrika beginnt die sogenannte ›rote Erde‹, die Lagerungsstätte des Diamanten, erst sehr tief unter der Oberfläche, alles andre muß abgebaut werden, und da kann ein einzelner nichts mehr machen, da reicht auch nicht mehr das Kapital eines Privatmannes aus, da können nur noch Aktien-Gesellschaften etwas schaffen. Man wolle bedenken, daß die Diamantbergwerke in Südafrika die tiefsten der Erde sind, noch tiefer als der Kohlenschacht bei Shaffold in England, der schon bis unter den Meeresgrund getrieben worden ist, und da sind Bohrungen und Maschinerien nötig, gegen welche alles, was wir von deutschen Bergwerken kennen, Spielerei ist.

Eins der ersten in solch großem Maßstabe betriebenen Diamantbergwerke war die Koulyeld-Mine, nahe bei dem weit in die Wildnis vorgeschobenen Städtchen Graaftburg, welches durch eine provisorische Eisenbahn Anschluß nach Kapstadt bekommen hatte.

Während des englischen Transvaal-Krieges, den wohl jeder noch in lebhafter Erinnerung hat, ist so viel über diese südafrikanischen Diamantminen und ihre Betriebsweise geschrieben worden, daß wir uns eine ausführliche Schilderung derselben ersparen können. So wollen wir, ohne auf Einzelheiten einzugehn, bei der Koulyeld-Mine nur bei dem verweilen, was jeder, der an den Rand des Kessels trat, auf den ersten Blick sah. Bemerkt sei bloß noch, daß es in dieser Gegend viele solche Ausschachtungen gab, welche alle zusammen mit dem Namen Koulyeld-Minen bezeichnet wurden. Wir wenden uns der größten zu, ersteigen einen Damm, stehn vor einem eisernen Geländer und blicken direkt hinab in einen trichterförmigen Kessel von wenigstens hundert Meter Tiefe, also, um einen Maßstab zu geben, etwa fünfmal so hoch oder tief wie ein vierstöckiges Haus.

Dieser Kessel enthält denn auch wirklich in treppenartigen Absätzen fünf Etagen. Auf dem untersten Absatz bemerkt man in der roten Wand ein Loch, von hier oben aus gesehen wie ein Bienenflugloch. Das ist einer der Hauptzugänge zu dem eigentlichen Schacht, der jetzt bereits 600 Meter tief unter die Erde reicht.

In dieses Förderloch führt eine Kette ohne Ende, an der kleine Eimer befestigt sind; leer gehn sie hinein, mit roter Erde gefüllt kommen sie wieder heraus, wandern 20 Meter hoch nach der ersten Etage, werden an eine andre Kette gehängt, welche sie nach der zweiten Etage befördert, und so fort, bis die Eimer oben über den Damm laufen und auf dem ›Screen‹ ausgeschüttet werden, wo Neger die rote Tonerde nach den funkelnden Steinen durchsuchen – natürlich unter den nötigen Sicherheitsmaßregeln.

Uns interessieren hauptsächlich die Etagen. Diese Terrassen, mit Ausnahme der obersten, sind mit Hütten dicht besetzt, und des Abends, wenn Schicht gemacht ist, entwickelt sich hier ein regelrechtes Dorfleben – nur daß Frauen und Kinder fehlen.

Hier wohnen nämlich die Neger und die weißen Aufseher, welche im Bergwerk selbst beschäftigt sind, und diese kommen während der Zeit, für welche sie sich verpflichtet haben, für ein bis drei Jahre, überhaupt nicht mehr an die Erdoberfläche. Die Sortierer und die andern, welche oben beschäftigt sind, müssen jeden Abend aufs gründlichste untersucht werden, auf eine menschenunwürdige Weise; jeden Abend erhalten sie ein kräftiges Abführmittel, und wo man den eventuell gestohlenen Diamanten sucht, das läßt sich wohl denken. Das alles kann man sich bei den Erdarbeitern ersparen. Es ist ganz unmöglich, daß sie von unten auf eigne Rechnung einen Diamanten heraufschmuggeln können. –

»Waih geschrien, wie haißt unmöglich?«

Auf dem Damme an dem Eisengeländer stand ein Mann im Tropenanzuge, die Daumen in den Westenärmellöchern, den Bauch herausgereckt und blickte mit sattem Lächeln in den Trichter hinein.

Was sonst sein Aeußeres betrifft, so wollen wir nur noch erwähnen, daß er eine edelgebogene Nase und etwas wehmütig geschweifte Beine hatte.

Das war der Direktor der Koulyeld-Kompanie, von deren Diamantminen diese hier also nur eine einzige war, Mr. Veit Lazar, ein englischer Jude, Inhaber der Hälfte aller Aktien, an sich schon ein vierzigfacher Millionär.

Ja, dieser krummbeinige Jude konnte aber auch etwas! Zum Beispiel hatte er die ursprünglichen Aktienbesitzer so übers Ohr gehauen, daß die meisten von ihnen jetzt immer noch nicht aus den Augen sehen konnten und ein halbes Dutzend von ihnen Selbstmord begangen hatte.

Also mit sattem Lächeln blickte das gutmütige Gesicht hinab in den Trichter, in dem einige hundert schwarze und weiße Menschen arbeiteten, die sich ihm für ein bis drei Jahre mit Leib und Seele verkauft hatten. Auch das Sonnenlicht hatte er ihnen für diese Zeit abgekauft, das Recht auf die Erde – ja, sogar das Innere der Arbeiter hatte dieser Jude gekauft. Denn er konnte es nach Belieben umkehren, konnte ihnen jeden Darm aus dem Leibe ziehen und ihn untersuchen, ob vielleicht ein gemauster Diamant drinsteckte.

Aber wie sollte denn hier ein Diamant entwendet werden? Das war ganz unmöglich.

»Waih geschrien, wie haißt unmöglich?«

Mr. Veit Lazar hatte eigentlich gar keinen Grund zu seinem satten Lächeln.

Seit einiger Zeit kamen auf den Diamantenmarkt geschliffene und ungeschliffene Steine, von denen die Koulyeld-Kompanie ganz bestimmt sagen konnte, daß sie aus ihren Minen stammten, daß sie dieselben aber nicht bezahlt bekommen hatte. Wie die Herren das bestimmen konnten, das ist hier nicht zu erklären, das versteht nur der Fachmann. An den ungeschliffenen Steinen, die auf den Diamantmärkten von Amsterdam und London feilgeboten wurden, konnten sie das nun ganz, ganz bestimmt erkennen. Außerdem hatte die Kompanie beim Geschäftsabschluß dieses Jahres fünf Millionen Dividende weniger verteilen können als letztes Jahr, und noch immer war die Ausbeute überhaupt nicht so, wie sie laut Urteil aller Sachverständigen sein sollte.

Kurz und gut, hier wurden Diamanten haufenweise gestohlen, und gerade die größten, schon seit langer Zeit und jetzt noch!

Na, sattessen konnte sich Mr. Veit Lazar deswegen schon noch, und dieses satte Lächeln war nun einmal seine Gewohnheit – aber immerhin, das durfte nicht mehr so fortgehn, dieses schier unergründliche Rätsel mußte endlich einmal gelöst werden. Erst waren hundert Pfund Sterlings Prämie für Entdeckung der Art, wie der Diebstahl ausgeführt wurde, ausgesetzt gewesen, die Prämie wurde immer gesteigert, jetzt waren es schon zehntausend Pfund – zweimal hunderttausend Mark.

Diese außerordentliche Summe lockte viele abenteuerliche Pfiffköpfe aus aller Welt hierher. Aber da waren schon genug Beamte da, welche Tag und Nacht Auge und Ohr offen hielten und über das Problem nachgrübelten, und wenn diese, die aus jahrelanger Erfahrung Land und Leute kannten und schon in alle Tricks eingeweiht waren, das Problem nicht lösen konnten, dann brauchten jene Pfiffköpfe nicht erst zu kommen, die noch nicht einmal eine Diamantmine gesehen hatten. –

Zwei Herren näherten sich dem Damme.

»Dort oben steht Mr. Lazar,« sagte der eine, lüftete den Strohhut und ging wieder zurück.

Der andre, offenbar ein Fremder, mußte einen Paß besitzen, daß er bis hierher geführt worden war, denn er befand sich bereits innerhalb der Grenzen des Heiligtums, das kein fremder Fuß betreten darf.

Er begab sich hinauf, näherte sich dem Allmächtigen, zog den Hut.

»Habe ich die Ehre, Herrn Veit Lazar zu sprechen?«

Der Jude drehte nur den Kopf auf dem dicken Halse etwas herum und musterte den Fremden durch den Zwicker, den er auf der Nasenspitze balancierte.

»Na? Was woll'n Se?«

»Eduard – Kappel – ist mein Name,« sagte der Fremde mit Betonung.

»Wie haißt, Eduard Kappel,« mauschelte der Jude weiter, ohne seine Stellung zu ändern. »Kenn ich doch keinen Eduard Kappel. Werden Se sagen, was Se woll'n von mir?«

»Ich hatte Ihnen doch mitgeteilt, daß ich mich Ihnen unter dem Namen Eduard Kappel vorstellen würde. Sollten Sie den Brief ...«

Mit einiger Lebhaftigkeit drehte sich Mr. Veit Lazar auf seinen Türkenbeinen herum, das satte Lächeln kam wieder zum Vorschein.

»»hh, drrr Nobody!!« schnarrte er, aber ohne seine Daumen aus den Westenärmellöchern zu nehmen. »Schon rrrecht, schon rrrecht. Ham Se mitgebracht Ihre Garderobe und Ihre andern Sachen, daß Se werden uns vormachen können Ihren Hokuspokus?«

Teufel, dachte Nobody, was ist denn das für ein sonderbarer Kauz?

Nobody hatte sich nicht etwa angeboten, diesen rätselhaften Fall aufzuklären, sondern Mr. Veit Lazar hatte durch Worlds Redaktion sehr höflich angefragt, ob er ihn, Nobody, nach Koulyeld, respektive nach Graaftburg einladen dürfe, wann er ihn gegebenenfalls erwarten könne, selbstverständlich sei er sein Gast.

Daraufhin hatte Nobody brieflich geantwortet, er würde in etwa sechs Wochen dort eintreffen. Eine weitere Korrespondenz hatte nicht stattgefunden, und da der Diamantendiebstahl noch immer nicht aufgeklärt war, die Prämie noch bestand, so mußte der berühmte Privatdetektiv doch hochwillkommen sein.

»Mr. Lazar hatten mich doch aufgefordert ...«

»Schon recht, schon recht, und es freit mich sehr, daß Sie sind gekommen gerade heite. Heit abend wird' ich geben ein kleines Fest ... klein for mich,« erläuterte er mit einer Handbewegung, dann aber schnell wieder den Daumen in das Westenarmloch steckend, »und werden Sie da doch machen Ihre Verwandlungen und Ihre Zauberkunststückchen und den andern Hokuspokus, weswegen Sie sind so berühmt?«

Hallo!! Jetzt aber merkte unser Nobody etwas!

Also nicht als Detektiv, sondern als Hokuspokusmacher war er hierherbeordert worden!

Am liebsten hätte er dem Juden ins Gesicht gelacht oder ... ihm eine Antwort gegeben, die sich jener nicht aufgeschrieben und hinter den Spiegel gesteckt hätte! Denn die Behandlung, die der reiche Jude ihm zuteil werden ließ, zeigte ja ganz offenbar, daß er ihn als einen Possenreißer, als einen Jahrmarktskünstler betrachtete, und danach behandelte er ihn.

Aber Nobody tat keins von beiden, was er so gern getan hätte – weder lachte er Mr. Lazar ins Gesicht, noch haute er ihm eine herunter, auch klärte er ihn nicht über seinen Irrtum auf, sondern ... Nobody zog seinen Hut.

»Zu viel Ehre für mich,« sagte er ernst mit tiefer Verbeugung. »Ich bin Ihr ergebener Diener und hoffe, Ihnen und Ihren werten Gästen einen genußreichen Abend verschaffen zu können.«

»Schon recht, schon recht. Hab' schon gehört viel von Ihnen. Und was wird kosten die Geschicht'?«

»Ich rechne für die Privatvorstellung gewöhnlich ein ... einhundert Pfund.«

Nobody hätte beinahe ein Pfund gesagt. Aber so ein berühmter Taschenspieler konnte für eine Privatvorstellung doch nicht nur zwanzig Mark verlangen.

»Hundert Pfund?« meinte Mr. Veit Lazar mit hochgezogenen Brauen. »Das ist viel Geld, viel Geld for einen Abend. Da ist natürlich inbegriffen die Fahrt her und auch die wieder zurück.«

»Mr. Lazar,« wagte der Hokuspokusmacher bescheiden einzuschalten, »obgleich ich im Zwischendeck gefahren bin, kostet die Fahrt von New-York bis hierher mich doch zwanzig Pfund, ebensoviel zurück, da blieben mir nur noch sechzig Pfund, und die muß ich doch auf fast zehn Wochen verrechnen, da kommt auf die Woche doch nur sechs Pfund, und wenn ich ...«

»Schon recht, schon recht! Ich werde Ihnen geben hundert Pfund und die Hin- und Herfahrt extra, ich bin ein nobler Mann, aber Sie müssen geben sswai Vorstellungen.«

Nobody drückte Dank und Zusicherung zugleich durch eine tiefe Verbeugung aus.

»Natürlich Zwischendeck!«

»Meine Mittel haben mir nie erlaubt, eine andre Klasse zu benutzen.«

Mr. Veit Lazar blickte sich wie vorsichtig um, und dann fuhr er in leiserem Tone fort: »Ich werde Ihnen geben noch fünf Pfund extra ...«

»O, Sir, Sie sind die Freigebigkeit selbst!«

»... wenn Sie meinen Gästen werden sagen, daß ich Ihnen bessahle for diese eine Vorstellung tausend Pfund Sterling, so man Sie wird fragen deshalb.«

Nobody wußte gar nicht, was das eigentlich war – wie eine geheimnisvolle Gewalt, die ihm die rechte Hand nach hinten zog, auf daß er sie auf die feiste Wange des vierzigfachen Millionärs legen möge, und das nicht allzu sanft. Aber Nobodys Wille war stärker als die geheimnisvolle Gewalt, es knallte nicht. Wieder eine tiefe Verbeugung!

»Wie Euer Gnaden befehlen!«

»Und dann werden Sie sagen, ich hätte bessahlt for Sie noch extra die Hin- und Herfahrt von New-York erster Kajüte.«

Himmel, was war das nur für eine geheimnisvolle Gewalt, die partout wollte, daß es knallte? Aber wieder nur eine tiefe Verbeugung.

»Dann können Sie gehn jetzt in die Tavern, welche Sie sehen dort. Es verkehren dort nur weiße Aufseher und andre solide Leit. Sie können essen und trinken dort, was Sie werden wollen, Sie werden auch schlafen dort, es sollen sein sehr saubere Betten mit nur sehr wenig Wanzjes und andres Vieh, und ich werde bessahlen alles, ich bin ein nobler Mann, und ich waiß, daß Sie ssain ein anständiger Mann, welcher nicht leben wird über seine Verhältnisse. Heit abend um sechs werden Sie ssain dann in meinem Palais in Graaftburg; jedes Kind kann Ihnen ssaigen das Palais des rraichen Veit Lazar, welcher ist Direktor vons Ganze. Haben Sie mitgebracht einen Frack?«

»Einen Frack habe ich wohl im Koffer, aber er ist ...«

»Aber er wird ssain schäbig. Waiß schon, waiß schon. Sie müssen gekleidet sein anständig, wenn Sie kommen in mein Haus, und sind heit abend bei mir nur hochfeine Leit, englische Lords und Baronets mit ihren Schicks ... mit ihren Damen und andres hochfeines Volk, Sie werden bekommen einen Frack von einem Diener von mir.«

Ein gnädiges Kopfnicken, der ›Hokuspokusmacher‹ war bis auf weiteres entlassen. Und Nobody ging bescheiden davon. Er hatte überhaupt die letzten Worte des Juden, wenn er sie auch verstanden, nur noch mit halbem Ohre gehört. Seine Gedanken waren zuletzt mit etwas andrem beschäftigt gewesen.

Gerade als er sich dem Direktor vorgestellt hatte, war es elf Uhr gewesen, um welche Zeit die eine Schicht im Bergwerk ihr Mittagessen einnahm. Schon vorher war unten aus dem Bienenflugloche ein Trupp Arbeiter hervorgekommen, das waren die Köche, welche jetzt für ihre hungrigen Kameraden schnell das Essen zubereiteten. Ueberall vor den Hütten flackerten Feuer auf.

Dann strömte aus dem Schacht ein großer Schwarm von schwarzen Arbeitern, sie verteilten sich auf den einzelnen Etagen, an gefährlichen Leitern hinaufklimmend, mit Hast verzehrten sie das, was ihnen die Köche vorgesetzt hatten.

Was das für eine Speise war, konnte Nobody von hier oben aus natürlich nicht erkennen, und doch war es für ihn von Wichtigkeit, und er beobachtete dabei noch etwas andres, was ihn höchlichst interessierte, was wir aber erst später erfahren dürfen, um der Erzählung nicht vorzugreifen.

Nobody hatte eigentlich keine Erlaubnis, sich auf diesem Damme aufzuhalten, der also schon mit zum Heiligtum gehörte, weil er sich aber nun einmal da befand, wies ihn auch niemand hinaus, keiner der ihm begegnenden Beamten hielt den Fremden an, obgleich dieser auch noch ein Fernrohr aus der Tasche gezogen hatte und durch dieses angelegentlich in den Kessel hinabspähte, langsam um diesen herumgehend.

Er hielt einen Kaffer an, der es nicht so eilig zu haben schien, gab ihm eine Zigarre.

»Speak english?«

»Yes, Massa.«

»Was gibt es denn dort unten zum Mittagessen?«

»Durramus mit Hammelfleisch.«

Der über die Zigarre erfreute Neger erklärte weiter, daß die Hammel abends geschlachtet würden, alles dort unten, abends gab es auch die Hauptmahlzeit, und nur was übrigblieb, wurde mittags mit Durramus aufgewärmt.

»Und es bleibt immer genug Fleisch übrig?«

»O, Massa, viel Fleisch, sehr viel Fleisch.«

Natürlich, das Hammelfleisch war ja hier fast billiger als das Brot.

»Wann essen die andern?«

»Um zwölf, es wird geklingelt.«

Nobody hatte nichts mehr zu fragen, er setzte seinen Weg fort, rund um den Kessel, bis er an den Eingang zurückkam, durch welchen er den innern Ring betreten hatte. Er durfte ohne weiteres passieren, denn dort, wo es etwas zu stehlen gab, konnte er nicht gewesen sein.

Sein Ziel war ein isolierter Hügel, schon mehr ein kleiner Berg, der sich in einer Entfernung von etwa einem Kilometer nördlich von dieser Mine erhob.

Es ging sehr lebhaft in den Koulyeld-Minen zu, man glaubte sich mitten in ein überfülltes Fabriketablissement versetzt; die Arbeiter hatten auch ein ansehnliches Dorf mit Läden, Wirtshäusern und dergleichen entstehn lassen, aber wie sie in Wirklichkeit einsam mitten in der Wildnis lagen, das zeigte eine Antilope, welche vor Nobodys Füßen aufsprang, als er kaum den äußern Ring überschritten hatte, und auf dem felsigen Berge, den er nach einer Viertelstunde erreichte, hausten noch Paviane.

Er erkletterte ihn, ohne von den Affen, welche sehr gefährlich werden können, belästigt zu werden, er hütete sich eben, sie zu reizen, und ein Mensch war ihnen nichts Neues mehr, sie kannten vielmehr schon den Herrn der Schöpfung und die unheimliche Donnerbüchse.

Auf einem vorspringenden Felsen, von dem aus er die Mine überblicken konnte, faßte Nobody Posto, und hier blieb er unbeweglich stehn, immer das Fernrohr vor dem Auge.

Nicht lange, so vernahm er ein helles Läuten, das war die Glocke welche die zweite Schicht zum Essen rief – und da plötzlich ließ Nobody das Fernrohr sinken, riß einen Revolver aus der Tasche, feuerte ihn über sich in die Luft ab; dem Knalle folgte das heisere Krächzen eines Raubvogels, und alles war wieder still.

 

Mr. Veit Lazar konnte seine Villa in Graaftburg mit Recht ein Palais nennen. Nur betreffs der Gäste, die er heute bewirtete, hatte er etwas renommiert.

Es waren etwa zwanzig Herren, welche aber weniger zur englischen Aristokratie, als vielmehr zu den Börsenjobbern gehörten, wenn auch einige adlige Namen darunter waren. Im übrigen freilich doch hochangesehene und sogar weltbekannte Männer.

Sie machten auf der Privatjacht eines Börsenfürsten eine Reise um die Erde, jedenfalls mit geschäftlichem Hintergrunde, es galt wahrscheinlich wieder eines jener riesigen englischen Aktienunternehmen, welche die ganze Welt umspannen, sie wußten aber mit dem Geschäft auch das Vergnügen zu verbinden.

Jetzt hielten sie sich in Südafrika auf, hatten eingehend alle Bergwerke besichtigt, zuletzt die Koulyeld-Minen, waren schon seit einiger Zeit Gäste des mit ihnen im Bunde stehenden Veit Lazar.

Nobody, der dem englischen Juden nur als Zauberkünstler bekannt zu sein schien, war gerade zur rechten Zeit gekommen, denn heute abend fand ein Fest statt zu Ehren eines gar berühmten Mannes, der sein Erscheinen zugesagt hatte, und um diesen Mann einmal näher kennen zu lernen, ihn in einer Gesellschaft zu beobachten, deshalb hatte sich Nobody gedemütigt und war wirklich gekommen, um sich als Hokuspokusmacher zu produzieren, allerdings nicht in einem geliehenen Frackanzuge, sondern in seinem eignen.

In dem bekannten Werke ›Brehms Tierleben‹ läßt der Verfasser bei Schilderung der südafrikanischen Fauna sehr häufig einen gewissen Gordon Cumming sprechen, besonders wenn es sich um selten gewordene Tiere handelt, welche sich aus dem Bereiche der Feuerwaffe immer weiter ins Innere zurückgezogen haben; dann bei Beschreibung von Elefantenjagden zitiert Brehm immer Gordon Cumming, bei der Streitfrage über die Wanderungen der rätselhaften Springböcke läßt der gewissenhafte deutsche Naturforscher, obgleich er Afrika aus eigenster Anschauung kannte, das Urteil dieses englischen Jägers als kompetent gelten.

Der Name Gordon Cumming ist auch in jedem Konversations-Lexikon zu finden. Da heißt es gewöhnlich nur, daß Gordon Cumming, ein Engländer, in Südafrika das ist, was Jules Gerard in Nordafrika, ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn, der sich auch durch sein Werk ›Fünf Jahre Jägerleben im Innern Südafrikas‹ einen bekannten Namen gemacht hat.

In Wirklichkeit ist das nicht so einfach, und soll hier mit kurzen Strichen das Leben dieses seltsamen Charakters skizziert werden.

Sir Roualeyn Gordon Cumming war als der zweite Sohn eines Lords englischer Baronet, ein sehr reicher Mann mit großem Grundbesitz in der Grafschaft Suffolk.

Schon von frühester Jugend an war er ein passionierter Jäger gewesen. Er hatte ja auch Gelegenheit genug, dieser Leidenschaft zu frönen, bei Fuchshatzen und dergleichen, und da er nicht auf den Ertrag seiner Güter angewiesen war, hatte er das ganze Areal von einigen tausend Ackern in einen Wildpark verwandelt oder es vielmehr einfach verwildern lassen und Hochwild aller Art hineingesetzt, dessen Jagd seinen Lebenszweck bildete.

Das genügte aber dem leidenschaftlichen Nimrod noch nicht. Des Nachts jagte er auf fremdem Gebiete, der schwerreiche Lord wurde zum unverbesserlichen Wilddieb. Erwischen konnte man ihn nie dabei, doch die Nachbarn wußten ganz genau, daß es kein andrer als Sir Cumming war, der des Nachts unter ihrem Tierbestande aufräumte, das konnte man ihm auch indirekt beweisen.

Auf Wilddieberei steht in England die Tretmühle, das heißt Zuchthaus. Na, ins Zuchthaus wollte man den englischen Baron wegen seiner dummen Streiche doch nicht bringen. Cumming mußte zahlen, immer zahlen – bis er eines Nachts den gesamten Tierbestand des neu angelegten Wildparkes seines Nachbars niederknallte. Da zeigte ihn dieser an, verlangte die ganze Strenge des Gesetzes.

Sir Gordon Cumming hatte keine Lust, im Zuchthaus das Rad zu treten, er ließ alles im Stich, floh nach Afrika, und ward nicht mehr gesehen.

Als nach fünf Jahren sein Vergehen verjährt war, kam er in Kapstadt wieder zum Vorschein. Er hatte die ganze Zeit im Innern Afrikas ein Jägerleben geführt; die Frucht seiner Erfahrungen war jenes Werk, dem Alfred Brehm die Auszüge entnommen hat, welches in England selbst in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet ist.

Er kehrte nicht wieder nach England zurück. Er führte sein Jägerleben weiter, verschwand wieder im Innern, ganz allein, kam aber nach Jahresfrist wieder in die südlichen Kolonien, jetzt von einer Negerkarawane begleitet, die seine Jagdbeute trug, Elefantenzähne, Wildhäute und dergleichen. Diese machte er zu Geld, und dann kehrte er abermals in das Innere Afrikas zurück.

Und so hat er es noch zweiunddreißig Jahre lang getrieben. Der Wert seiner Jagdbeute betrug immer 2000 bis 4000 Mark; für dieses Geld lebte er acht Tage in einem Hotel als Gentleman, der aber sein von Blut und Schmutz starrendes Lederkostüm, das er selbst angefertigt, niemals auszog, trank den teuersten Champagner, rauchte Zigarren das Stück zu fünf Mark; jeder, der sich ihm nahte, mußte mittrinken, die Hauptsache war, daß in acht Tagen das ganze Geld alle war, und wenn er das glücklich fertig gebracht hatte, dann schulterte er wieder seine Büchse und marschierte ab in das unbekannte Innere Afrikas, ganz allein, um nach zehn bis zwölf Monaten mit einer neuen Karawane zurückzukommen.

Also zweiunddreißig Jahre hat er es so getrieben! Und nun muß man dabei bedenken, daß er ein schwerreicher Mann war, der so etwas nicht nötig hatte! Sein Vermögen in England wurde auf rund 500.000 Pfund Sterling oder 10 Millionen Mark geschätzt. Wohl war es einmal konfisziert gewesen, aber als die Strafe verjährt, war es wieder freigegeben worden. Doch Gordon Cumming hat sich nie wieder darum gekümmert, wollte gar nichts mehr davon wissen. Er wollte nur noch von seiner Büchse leben.

Im Jahre 1886 blieb der vierundsechzigjährige Greis zum ersten Male aus, er ist nie wieder aus dem Innern Afrikas zurückgekehrt. Man fand nur seine Spur auf, Buschmänner konnten von seinem Tode erzählen. Ein angeschossenes Rhinozeros hatte ihn zu Brei zertreten.

In sein riesiges Vermögen, zu dem die 10 Millionen unterdessen angewachsen waren, und über welches er auch letztwillig nicht verfügt hatte, teilten sich lachende Erben, die Gordon nie gekannt hatte. –

Wieder einmal war Gordon Cumming mit einer Karawane, die seine Jagdbeute schleppte, aus dem Innern Afrikas zurückgekehrt, er hatte alles gleich in Graaftburg verkaufen können, zahlte die schwarzen Lastträger ab, und was ihm nun noch übrigblieb, verzehrte er als splendider Gentleman in Graaftburg, in welchem wegen der Minen, die von manchem reichen Manne besucht wurden, ein sehr komfortables Hotel entstanden war.

Wenn es einmal gelang, den merkwürdigen Sonderling zu fassen, über den die tollsten Anekdoten zirkulierten, so war er stets der Mittelpunkt der Gesellschaft. Mr. Lazar hatte ihn persönlich aufgesucht, ihn eingeladen, und Gordon Cumming hatte zugesagt. Da allerdings würde der eitle Jude seinen Gästen etwas bieten, was eine Erinnerung für ihr ganzes Leben bedeuten würde. Mit dieser tatsächlichen Berühmtheit, mit dem weit- und geldverachtenden, menschenscheuen und weiberhassenden Gordon Cumming an einem Tische gesessen zu haben, das machte in England jeden selbst zur berühmten Person.

Das hatte Nobody erfahren, und eben deswegen folgte auch er als ›Hokuspokusmacher‹ der Einladung. Es wäre ihm ja vielleicht nicht schwer geworden, die persönliche Bekanntschaft dieses gewaltigen Nimrods in andrer Weise zu machen, aber vor allen Dingen war es für ihn von größtem Interesse, diesen Sonderling einmal in einer glänzenden Gesellschaft beobachten zu können.

Ja, es war wirklich eine solche, die sich in der luxuriösen Villa versammelt hatte. Wenigstens die Damen verbreiteten Glanz. Es waren dies zum Teil Offizierswitwen und andre Damen, wie man sie in jeder englischen Kolonie zahlreich vertreten findet, selbst ganz außerhalb der Zivilisationsgebiete, wenn nur ein Hotel oder ein Offizierszelt vorhanden ist. Sie gehören nicht gerade zur halben Welt, aber auch nicht zur ganzen – in England geschiedene Frauen und dergleichen, die schon das Kolonialleben gekostet haben und nicht wieder davon lassen können. Es ist dies eben eine nicht näher zu schildernde Spezialität Englands, das in aller Welt seine außerordentlich hochbezahlten Wegebauingenieure, Offiziere und Pionier-Kaufleute hat, und diese Damen sind dazu da, jenen das einsame Leben in der Wildnis zu verschönern, sie folgen ihnen überallhin.

Sehr jung war keine von ihnen, aber reizvoll und pikant waren sie alle, und sie alle waren in tiefdekolletierten Toiletten und mit Juwelengeschmeide erschienen, daß sie sich bei jeder Hoffestlichkeit hätten sehen lassen können.

Der Flirt zwischen den blitzenden Weibern und den alten Sündern war bereits im besten Gange, als Nobody erst auf der Bildfläche erschien.

Mr. Veit Lazar nahm ihn in Empfang, ohne ihn nach der Herkunft seines tadellosen Frackanzuges zu fragen. Er griff ihm in den Westenausschnitt und zog ihn in die Mitte des Saales.

»Drrr Nobody,« stellte er ihn vor, wie man etwa seinen Gästen einen dressierten Hund vorführt, »drrr Nobody aus New-York, welcher ist so ein großer Taschenspieler. Ich habe ihn geladen ein zu mir von New-York, daß er soll ssaigen, was er kann.«

Der weltgewandte Nobody wußte sich schnell aus dieser unangenehmen Situation zu befreien; sofort war er es, der die befrackten Herren und die fächerklappernden Damen beherrschte, und dann war der alte Lazar sehr erstaunt, wie diese dem ›Hokuspokusmacher‹ entgegenkamen, ihn umdrängten, ihm Komplimente machten, förmlich um seine Gunst buhlten.

Ja, er wußte, daß dieser ›Hokuspokusmacher‹ auch ein Privatdetektiv war, aber ... er hatte sich eben noch gar nicht darum gekümmert, ein Bekannter hatte ihm nur erzählt, was für erstaunliche, ans Ueberirdische grenzende Kunststückchen er von diesem Nobody einmal gesehen habe.

Jetzt also hörte er zum ersten Male, daß dieser Mann auch solch ein scharfsinniger Detektiv sein sollte, der schon die rätselhaftesten Fälle gelöst hatte. Aber ihn deshalb wegen der Diamantenangelegenheit zu Rate zu ziehen, daran dachte Lazar nicht im entferntesten. Dazu waren Berufenere da.

»Sie kommen gewiß hierher, um die Entwendung der Diamanten aufzuklären?« fragte eine Dame.

»Waren Sie schon in Südafrika, Mr. Nobody?« fragte gleichzeitig eine andre, und so wurden in demselben Moment noch zwanzig andre Fragen an Nobody gestellt.

Er beantwortete nur die zweite.

»Nein, meine Gnädige, Südafrika ist mir gänzlich unbekannt. Von Afrika kenne ich überhaupt nur den Norden.«

Veit Lazar verzog den Mund. Er hatte genug gehört.

Das Interesse für den berühmten Detektiv schwand vorläufig, als endlich der erwartete Gordon Cumming erschien.

Gordon Cumming war ein kleiner, schmächtiger Mann, aber sehnig, überhaupt nur aus Sehnen und Knochen bestehend. Sein Kopfhaar war schon schneeweiß, doch in merkwürdigem Gegensatze dazu hatte der lange Vollbart seine ursprüngliche, rotbraune Farbe behalten.

Auch in diese Gesellschaft kam er in dem Lederanzuge, der zwar nicht gerade von Blut und Schmutz starrte, der aber doch die Spuren der Strapazen von einigen Jahren aufwies, und man durfte der Behauptung wohl glauben, daß der zehnfache Millionär dieses selbstgefertigte Jagdkostüm so lange trug, bis es ihm vom Leibe fiel.

An dem Gürtel hing ein langes Messer in der Scheide, ein großer Beutel für Tabak und einige kleinere, alles von Leder.

Ueberhaupt der ganze Kerl war von Leder. Lederartig war das schwarzgebrannte Gesicht, lederartig die faltigen Hände, zäh wie Leder mußte er selbst sein, und auch in der Gesellschaft war er ledern.

»Es freit mich unendlich, daß Sie mir geben die Ehre, zu sein mein Gast,« begrüßte ihn Mr. Veit Lazar.

Die scharfen, blauen Augen Cummings wanderten im Kreise umher.

»Ist hier Mr. Nobody?« erklang es dann kurz.

»Drrr Nobody ist hier ...«

»Ah, dann ist es gut! Ich hörte, daß Mr. Nobody hier anwesend sein würde. Ich möchte den Herrn kennen lernen, sonst wäre ich gar nicht gekommen.«

Sprach's, und von diesem Augenblicke existierte die ganze Gesellschaft nicht mehr für ihn, er hielt sich nur an Nobody.

Voriges Jahr, als er in einer Hafenstadt gewesen, war ihm zufällig eine Nummer von ›Worlds Magazine‹ in die Hände gekommen, in der Nobody eine amerikanische Büffeljagd beschrieben hatte. Aus den übrigen Spalten erfuhr er, was dieser Nobody sonst für ein Mann war.

»Ich habe das ganze Jahr, als ich am Garib auf Kafferbüffel jagte, lebhaft an Sie gedacht. Denn aus jeder Ihrer Zeilen sprach Leben und Wahrheit, Sie hatten das Benehmen der amerikanischen Bisons, wenn sie gejagt werden, ihre Todesnot in einer Weise beschrieben, wie ich es sonst noch nie gelesen habe, und ich zog immer Vergleiche zwischen dem Bison und dem Kafferbüffel.«

Bei diesen Vergleichen blieb es auch. Er verglich das amerikanische Tierleben mit dem afrikanischen, wobei sich aber zeigte, daß der blutdürstige Jäger auch der liebevollste Beobachter des kleinsten Vögelchens sein konnte.

Denn ein blutdürstiger Jäger war Gordon Cumming. Man lese nur in ›Brehms Tierleben‹ nach, wie er einen Elefanten fesselte und ihm an den verschiedensten Stellen zahllose Schüsse beibrachte, mit der Begründung, er habe die verwundbarste Stelle herausfinden wollen, und wie er dann kaltblütig berichtet, daß zuletzt aus den Augen des gemarterten Tieres große Tränen hervorgequollen seien. Brehm ist empört über solch eine Grausamkeit. Ja, und dennoch – Gordon Cumming war eben der wissenschaftliche Vivisektor unter den Jägern, und jetzt merkte Nobody, wie er auch in harmlosester Weise das Leben jedes Tierchens studierte.

Unterdessen konnten die Herren und Damen beobachten, wie sich ein Pfundmillionär an der Tafel benimmt, der dreißig Jahre lang im Urwald, in der Steppe und in der Kalihari-Wüste zugebracht hat.

Nun, er betrug sich nicht anders als am Lagerfeuer. Er setzte sich, unbeachtet der Tafelordnung, neben Nobody, warf den auf seinem Teller liegenden Blumenstrauß über die Schulter hinter sich, zog sein Jagdmesser und legte los. Als einmal, während er aufmerksam Nobodys Auseinandersetzungen zuhörte, eine Fliege sich seinem Teller näherte, hob er, in Gedanken versunken, langsam sein Messer – schwubb, die Fliege war auf dem Tischtuche halbiert, und dann aß er weiter.

Die Tafel wurde aufgehoben, und jetzt wurde der ›Hokuspokusmacher‹ von dem Gastgeber nicht dazu befohlen, sondern, vorwiegend seitens der Damen, mit Bitten bestürmt, doch einige seiner Taschenspielerkunststückchen, von denen man schon so viel gehört, zum besten zu geben.

Gut, Nobody war bereit dazu. Als er nach Südafrika gereist war, hatte er sich allerdings nicht auf so etwas eingerichtet, aber am Nachmittag einige Vorbereitungen getroffen, hatte auch einen kleinen Handkoffer mitgebracht.

Nur ein einziger Zauberapparat hatte ihn von New-York hierherbegleitet – und zwar ein ganz merkwürdiges Instrument, von dem später die Rede sein wird.

Natürlich ging Nobody nicht erst einmal hinaus, um in seinem Koffer zu kramen, er hatte ja schon gewußt, wie alles kommen würde, und was er zu den nächsten Experimenten brauchte, das hatte er schon alles bei sich, in den Taschen, in den Aermeln, in den Achselhöhlen, in den Schäften seiner Stiefeletten und Gott weiß wo, und auch schon manchen Gegenstand in diesem Zimmer und in andern hatte er heimlich präpariert.

Er produzierte sich als Salontaschenspieler. Es sei über seine Kunststückchen nur gesagt, daß die Zuschauer eins unerklärlicher fanden als das andre und aus dem Staunen gar nicht herauskamen.

Wie Nobody dabei verfuhr, sei bloß bei seinem letzten Experiment in diesem Genre ausführlicher beschrieben.

»Ich bitte um ein frisch gelegtes Ei. Es muß von einer weißen Henne mit blauen Augen sein. Kann ich ein solches bekommen?«

Ein schwarzer Diener brachte auf silbernem Teller bald das gewünschte Ei. Ob es nun gerade von einer weißen Henne mit blauen Augen frisch gelegt worden, das war sehr die Frage, aber Nobody, der es gegen das Licht des Kronleuchters hielt, erklärte es für das richtige.

Während er noch so dastand, die erhobene Hand mit dem Ei gegen den Kronleuchter ausgestreckt, erzählte er mit gewandten Worten eine Geschichte, was für eine merkwürdige Bewandtnis es mit solchen Eiern habe – und da plötzlich, durch eine eigentümliche Fingerbewegung in Rotation versetzt, begann das Ei auf seiner Fingerspitze zu tanzen, lief über seine Hand hin, über seinen Arm, hinten um seinen Nacken herum, kam auf dem andern, wagerecht gehaltenen Arm wieder zum Vorschein, tanzte über den Arm hin, bis Nobody das Ei in seiner linken Hand hatte.

Es war ganz unbegreiflich, wie er das Ei sich so drehen lassen konnte, daß es sich so lange auf die Spitze stellte, einen solchen Weg zurücklegte, auch noch hinter seinem Nacken herum.

Das heißt, dieses Jongleurstückchen gehörte nicht zum eigentlichen Experiment – scheinbar nicht! – er wollte eben das Ei in die andre Hand nehmen, und da, wie er erzählte, jonglierte er es so nebenbei auf diese eigentümliche Weise hintenherum, ließ es über seine Arme laufen. Solche Gelegenheiten, wenn er seine fabelhafte Gewandtheit zeigen konnte, ließ er sich überhaupt nie entgehn.

Das war aber eine Täuschung des Publikums. Derartige Jongleurkunststückchen waren oftmals die Hauptsache, um die staunenden Anwesenden zu zwingen, ihm zuzusehen, und in diesem Augenblicke machte er irgend etwas andres, bereitete den eigentlichen Trick vor. In diesem Falle hatte er das ihm gebrachte Ei gegen ein andres, das er vorher präpariert hatte, vertauscht, ohne daß das Publikum eine Ahnung davon gehabt hätte.

»Bitte, meine Gnädige, wollen Sie dieses Ei einstweilen in der erhobenen Hand halten. So, danke! Ich möchte es ausbrüten lassen. Ich glaube, es steckt etwas ganz Besonderes darin. Wir befinden uns in Afrika, der Heimat des Straußes. Bei den Straußen beteiligt sich bekanntlich auch das Männchen am Brutgeschäft. Ich möchte daher dieses Hühnerei von einem Herrn ausbrüten lassen. Wer von den Herren hat die meiste Hitze?«

Diese Frage rief unter den alten Herren und den kokettierenden Damen kein geringes Lachen und Kichern hervor. Nobody wußte ja, in was für einer Gesellschaft er sich befand, und danach sprach und handelte er – etwas pikant.

Einer, der ganz besonders gern das mysteriöse Hühnerei ausbrüten wollte, war Mr. Veit Lazar. Er wollte zeigen, daß er trotz seiner grauen Haare noch Jugendfeuer habe. Der alte Jude, ein Witwer, war überhaupt ein Schwerenöter, er poussierte nicht schlecht, und dabei hatte es nichts zu sagen, daß sein erwachsener Sohn zugegen war, Mr. Isaak Lazar, ein Judenbengel mit ebenfalls wehmütig geschweiften Beinen, überhaupt der alte Lazar in zweiter Auflage.

»Ich, ich werde ssaigen, daß ich habe Feier im Laibe,« rief Papa Lazar, sich zum Brutgeschäft hervordrängend.

Geschickt wußte Nobody die Aufdringlichkeit des Mannes zu parieren, er wandte sich an einen andern, sehr dicken Herrn, der sich ebenfalls bemerkbar gemacht hatte.

»Sie, Mr. Pin? Dann gestatten Sie erst, daß ich Ihren Puls prüfe, ob Sie auch die nötige Blutwärme ...«

Mit jener Schnelligkeit, welche Nobodys Taschenspielerei auszeichnete, und die eben alles so verblüffend machte, hatte er ein an der Wand hängendes Thermometer genommen, oder vielmehr einen mittelalterlichen Spieß aus Bronze, auf dem ein Thermometer angebracht war, so ein bekannter Zimmerschmuck, und – die Damen schrien laut auf vor Schreck! – hatte den spitzen Spieß dem dicken Herrn mit voller Wucht in den Wanst gerannt.

Daß dieser selbst nichts davon fühlte, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Die Umstehenden aber glaubten ganz, ganz deutlich zu sehen, wie die Spitze wenigstens drei Zoll in dem Leibe verschwand, und ebenso schrecklich, wie humoristisch wirkte es, wie dann Nobody mit einer scheinbaren Kraftanstrengung, sich mit den Füßen einstemmend und mehrmals ansetzend, den Spieß wieder aus dem dicken Bauche des Herrn herausriß.

Das waren eben Kunststückchen nur so nebenbei, gar nicht zum eigentlichen Experiment gehörend, worin Nobody als Salontaschenspieler unerreichbar war.

Er betrachtete schnell das Thermometer.

»By Jove, einundvierzig Grad! Das ist die Fieberhitze eines menschlichen Vulkans! Das Huhn braucht zum Ausbrüten 21 Tage; Sie, Mr. Pin, bedürfen nur ebensovieler Sekunden dazu. Bitte, gnädige Frau, geben Sie ihm das Ei – ich fasse es gar nicht mehr an – stecken Sie es ihm in die hintere Fracktasche – ganz gleichgültig, in welche – das heißt, wünschen Sie einen Hahn, dann in die rechte; im linken Frackschoß wird stets eine Henne ausgebrütet – also Sie wünschen einen Hahn, schön, es soll ein Hähnchen werden – nun setzen Sie sich auf diesen Polsterstuhl – immer setzen Sie sich fest hin, es ist ein Hahn, der ist nicht so empfindlich wie das schönere Geschlecht – ich zähle bis 21 ... 5-10-19, 20-21 ... Bitte, stehn Sie auf und greifen Sie in Ihre Fracktasche. Bei Ihrer Brutwärme muß das Geschäft glücklich vonstatten gegangen sein. Greifen Sie nicht gar zu fest zu, es ist ein noch ganz schwaches Geschöpfchen, dem Sie das Leben gegeben haben.«

Der Herr stand auf, machte gleich ein recht dummes Gesicht, er fühlte nämlich in seinem Frackschoß etwas krabbeln, aber er war kein ängstlicher Mann, und wenn er auch gewußt hätte, daß es eine Maus gewesen wäre, er hätte doch zugegriffen, er tat es also und ... hatte in der Hand einen Kanarienvogel!

»Das ist doch unsrer?!« rief der junge Lazar.

Dem war so! Zwischen zwei Wandspiegeln auf einem Tischchen stand ein Vogelbauer, ein jeder von der Gesellschaft wußte ganz bestimmt, daß er darin einen muntern Kanarienvogel gesehen hatte, und sie alle glaubten – glaubten! – daß sich das Tierchen soeben noch darinbefunden habe. Der Herr aber hatte in seiner Fracktasche nur noch leere, zerbrochene Eierschalen.

Wie Nobody es fertig gebracht hatte, aus dem Bauer den Kanarienvogel herauszupraktizieren und in die Rocktasche des Herrn hinein, dem er sich niemals genähert hatte, das war einfach unerklärlich, und Nobody gab auch keine Erklärung; er ging wie gewöhnlich schnell zu einem andern Experimente über.

Das Brutgeschäft müsse noch einmal wiederholt werden; er forderte diesmal gleich zwei frische Hühnereier. Sie wurden ihm gebracht, und jetzt war der alte Veit Lazar der Glückliche, welcher an den beiden Eiern sein Feuer beweisen durfte.

Er mußte sie in die Frackschöße stecken, in jede Tasche eins, sich ebenfalls zum Ausbrüten daraufsetzen.

»Eins – zwei – drei – vier ...« zählte Nobody schnell.

Schmunzelnd saß der alte Jude auf den Eiern. Da es ganz ausgeschlossen war, daß Nobody dasselbe Experiment wiederholte, so war alles voll der gespanntesten Erwartung, was diesmal aus den Eiern kommen würde.

Aber was war denn das? Das roch ja recht ... nein, das war ja ein pestilenzialischer Gestank, der plötzlich das Zimmer durchzog, gerade wie ...

»Neunzehn – zwanzig – einundzwanzig ... bitte, stehn Sie auf, greifen Sie in Ihre Fracktaschen!«

Mr. Veit Lazar stand auf, aber es schien ihm nicht ganz geheuer zu sein, nur zögernd steckte er die rechte Hand in die linke Fracktasche ... brachte sie mit einer Schmiere besudelt wieder zum Vorschein.

»O,« sagte Nobody bedauernd, »das Ei ist faul gewesen. Faule Eier können freilich nicht mehr ausgebrütet werden. Da haben Sie es zerdrückt. Hoffentlich doch nicht auch das andre?«

Jawohl, ganz gewiß! Auch an dem andern Hosenbeine lief schon die stinkige Sauce herab, die aus dem Frackschoß quoll.

Die Wirkung dieses Spaßes ist gar nicht zu beschreiben. Das verdutzte Gesicht des alten Juden, wie er die schmierige Hand betrachtete, das bedauernde Gesicht Nobodys, und nun die Pointe des Witzes, die beiden faulen Eier, die der alte Jude zerquetscht hatte ... ein Herr fiel vor Lachen mit dem Stuhle um, eine Dame mußte ihre Taille aufschnüren lassen, sie kam in Gefahr des Erstickens.

Das war Nobodys Rache gewesen für die niederträchtige Behandlung, die ihm Mr. Veit Lazar hatte zuteil werden lassen.

Als er am Nachmittag durch die Stadt geschlendert war, einige Besorgungen für seine Zaubervorstellung machend, hatte er einen Chinesen beobachtet, der in seinem Gärtchen grub und aus einem Loche mehrere Eier zum Vorschein brachte.

Nobody wußte gleich, was das bedeutete. Der eigentümliche Geschmack des Chinesen ist bekannt, die Eier ißt er am liebsten, wenn sie recht stinken – das brauchen wir übrigens gar nicht ekelhaft zu finden, wir essen zum Entsetzen andrer Völkerschaften auch verfaulten Quark, Käse genannt – und so vergräbt der Chinese die Eier und holt sie erst wieder hervor, wenn sie grün und blau angelaufen sind.

Diese hier hatten gerade die nötige Beschaffenheit, Nobody kaufte zwei Stück, vertauschte sie mit den gebrachten Eiern, Mr. Veit Lazar mußte sich daraufsetzen.

Lange Zeit währte der allgemeine Lachkrampf; aber schließlich muß alles einmal ein Ende nehmen. Als Mr. Lazar, der seinen Anzug gewechselt hatte, mit sauersüßem Gesicht wiedererschien, wurde Nobody schon mit andern Bitten bestürmt.

»Ist es wahr, Mr. Nobody, stehn Sie mit Geistern in Verbindung?«

»Ach, machen Sie doch einmal einen spiritistischen Rapport, so wie Sie ihn dem Rechtsanwalt Clane vorgemacht haben.«

Also selbst hier hatte man von jenem Experiment gehört, und Nobody erklärte sich bereit, es zu wiederholen, nur sprach er jetzt von der Hilfe dienstbarer Geister.

Die Vorbereitungen wurden getroffen. Man begab sich in einen andern Salon, und das war auch sehr nötig, denn die faulen Eier hatten ihre Wirkung gründlich getan. Seine erste Aufmerksamkeit widmete Nobody der Beleuchtung. Es waren mehrere Gasflammen vorhanden, nur eine durfte brennen bleiben, welche aber auch vollständig ausreichte, um das Zimmer zu erhellen. An dem Gasarm war eine Stellvorrichtung vorhanden, und Nobody richtete es so ein, daß, wenn man den Hahn zudrehte, noch immer ein winziges Flämmchen brannte, allerdings gar keine Helligkeit verbreitend. Aber nur eine Drehung des Hebels, und die große Flamme war wieder da.

Dieses Auf- und Zudrehen des Hahnes sollte auf Nobodys Befehl ein Diener besorgen, der jedoch auf der andern Seite des Zimmers stand, also jedesmal, wenn Nobody Licht oder Finsternis kommandierte, erst hingehn mußte.

Die zweite Vorbereitung galt der Unterlage, auf welcher der von Geisterhänden zu transportierende Gegenstand liegen sollte. Nobody wählte einen kleinen, runden Tisch, belegte ihn mit einer schwarzen Decke, deren Zipfel noch bis auf den Boden reichten, und bat um Besorgung eines Stückes Samt. Dieses wurde ihm gebracht, er schnitt es siebenkantig zu – die Sieben ist eine mystische Zahl, und mystisch mußte es dabei doch zugehn, da ließ es Nobody auch nicht an einem geheimnisvollen Kauderwelsch fehlen, wie er überhaupt immer dabei sprach – dieses Stück Samt wurde mitten auf das Tischchen gelegt, dieses selbst, um welches die Anwesenden dann die sogenannte magnetische Kette bilden sollten, in den Hintergrund des Zimmers gestellt.

Auf der andern Seite führte eine Nebentür in ein kleines Kabinett. Im Rahmen dieser Tür befestigte Nobody ein schwarzes Tuch, aber nur kniehoch, so daß er darübersteigen konnte, und das Kabinett wurde hell erleuchtet, sollte es auch bleiben.

Nachdem Nobody noch einmal aufmerksam die Beleuchtungsverhältnisse geprüft hatte, schrieb er den Herrschaften vor, was sie zu tun und zu lassen hatten, um seinem ihm dienenden Geiste Aziel, einem Luftgeiste zweiter Ordnung, etwas behilflich zu sein, ihn aber auch nicht in seinem geheimnisvollen Treiben zu stören.

Die Gesellschaft mußte sich um das Tischchen setzen. Auf das Stückchen Samt wurde der Gegenstand gelegt, welcher von der Geisterhand zu Nobody hingetragen wurde, und zwar würde dieser selbst hellerleuchtet dort in der Tür stehn. Auf sein Geheiß wurde die magnetische Kette gebildet, und zwar diesmal so, daß jeder seinem Nachbar den einen Arm auf die Schultern legte.

Nun fehlte bloß noch eine Hauptsache, die zum Gelingen des Experimentes unbedingt zu gehören schien.

»Hat einer der Herren ein Stückchen Papier bei sich? Gleichgültig, was es ist. Einen Brief? Wenn Sie ihn nicht ... oder eine Visitenkarte, ja, danke. Sie erhalten sie dann zurück.«

Nobody nahm die Visitenkarte, rollte sie zusammen, nahm sie zwischen die flachen Hände, rollte weiter, und – Gott weiß, wie er es machte – die zusammengerollte Visitenkarte schien aus seinen Händen hervorzuquellen, die Rolle wurde immer länger und länger – und dann war das überhaupt kein Papier mehr, sondern Holz, ein weißer Stab, der mit magischen Zeichen in roter Schrift bedeckt war, der unvermeidliche Zauberstab, nur daß ihn Nobody selbst erst aus nichts oder doch nur aus einer kleinen Visitenkarte fabriziert hatte. Die Zuschauer kamen aus dem Staunen gar nicht heraus.

»Es ist nötig, daß ich meinem Luftgeiste den Weg vorschreibe, den er zu nehmen hat, und da Aziel nur ein Luftgeist zweiter Ordnung ist, ist er auch noch etwas an die Erde gebunden, also muß ich ihm den Weg auch am Boden vorschreiben.«

Nach dieser Erklärung berührte der Hexenmeister mit der Spitze des weißen Stabes das Stück schwarzen Samt, fuhr langsam mit der Spitze über den Tisch, an der herunterhängenden Decke hinab und über den mit einem Teppich belegten Boden weiter bis nach der halbverhangenen Tür, in welcher er dann stehn würde.

Auch bei jenem englischen Rechtsanwälte hatte Nobody erst mit einem Lineal jenen magischen Strich gezogen, den Weg bezeichnend, den der Ring nehmen sollte, und so dürfte der geneigte Leser schon jetzt, ehe er eine ausführliche Erklärung erhält, zu der richtigen Ansicht kommen, daß dieses Vorzeichnen des Striches bei diesem verblüffenden Experimente die Hauptsache war.

Alles war fertig; die Herren und Damen setzten sich im Kreise um das Tischchen.

»Also bitte, legen Sie einen Ring auf das Samtstück!«

»Ich werde legen meinen Ring drauf,« sagte Mr. Veit Lazar, einen Ring mit kolossalem Diamanten vom Finger ziehend.

Nobody ging nach der Nebentür, stieg über das schwarze Tuch und blieb hinter diesem im Türrahmen stehn.

»Bilden Sie die magnetische Kette!«

Jeder streckte beide Arme aus, auf jeder Schulter lag eine Hand.

»Dunkel!« kommandierte Nobody weiter.

Wie vereinbart, ging von der andern Seite der Diener hinüber nach dem Gasarm, drehte den Hahn ab, daß nur noch ein winziges Flämmchen blieb, und kehrte wieder an seinen frühern Platz zurück.

In dem Salon herrschte vollständige Finsternis. Das Nebenzimmer war erleuchtet, die Tür offen, und es währte nur wenige Augenblicke, dann hatte sich das Auge an den plötzlichen Wechsel von Licht und Finsternis gewöhnt, und es konnte wenigstens die Umrisse der um den Tisch herumsitzenden Menschen unterscheiden, am deutlichsten die Damen, welche weiße Kleider trugen.

Sonst aber war es doch sehr dunkel, und ob zum Beispiel auf dem Samt noch der Brillantring lag, das konnte man absolut nicht sagen. Er war eben nicht zu sehen.

Ja, wo aber sollte er sonst sein? Als der Diener das Licht ausgedreht hatte, hatte der Ring auf dem Samtstück gelegen, und es war durchaus unverständlich, wie er von dort wegkommen sollte – wenn man eben nicht mit unsichtbaren Geistern rechnete.

Nobody hatte genug von diesen erzählt, er hatte überhaupt sein Publikum vorzubereiten gewußt, und so war unter den Damen wie auch unter den Herren kein einziger, dem es in der herrschenden Dunkelheit nicht mehr oder weniger unheimlich zumute gewesen wäre.

Nobody selbst stand hinter dem kniehohen Tuche in dem Türrahmen, von Licht umflossen, allen sichtbar, auch denen, die ihm den Rücken zuwandten, indem diese ihn doch in einem Wandspiegel sehen konnten. Die Entfernung zwischen ihm und dem Tischchen betrug etwa zehn Meter. Eine Verbindung durch Schnüre und dergleichen war hier ganz ausgeschlossen. Wenn der Ring wirklich in Nobodys ausgestreckte Hand geflogen kam, dann ... konnte das eben nur mit Hilfe überirdischer oder übersinnlicher Kräfte vor sich gehn!

Nur wenige Sekunden stand Nobody so regungslos da, die rechte Hand in der Richtung nach dem Tischchen ausgestreckt.

»Aziel akam bene mahesto!!« erklang es dann plötzlich mit lauter Stimme von der Tür her. »Eins! Zwei! Drei!!! – Licht!«

Schnell ging der Diener hinüber, drehte die Flamme auf, es wurde hell und ... die im Kreise Sitzenden sahen nur noch das Stück Samt auf dem Tische liegen; der Ring war verschwunden.

»Ich habe ihn hier in meiner Hand. Soll ich zu den Herrschaften oder wollen Sie zu mir kommen? Ich möchte mich gar nicht mehr dem Tischchen nähern.«

Man sprang auf, eilte nach der Tür – Nobody hatte des Hausherrn Diamantring in der Hand, und es war vergebens, daß man hinter das kniehohe Tuch blickte und in das Kabinett drang, die Wanderung des Ringes von dem Tische in Nobodys Hand ließ sich auf natürliche Weise nicht erklären, die meisten glaubten denn auch lieber an einen spiritistischen Apport, an das Mitwirken von unsichtbaren Geisterhänden, und schauten sich dementsprechend nur mit ängstlichen Augen um, ob der ›Aziel‹ nicht doch irgendwo zu erblicken wäre.

»Warum stehn Sie denn dabei hinter dem Tuche?« wurde Nobody gefragt.

»Damit Sie meine Füße nicht sehen. Denn in dem Augenblicke, wenn ich den Ring in die Hand bekomme, manifestiert sich der Geist zu meinen Füßen, er wird sichtbar, und die Herrschaften würden etwas erblicken, was für nicht ganz starknervige Personen die schlimmsten Folgen haben könnte, und außerdem bin ich diese Diskretion meinem mir dienstbaren Geiste schuldig.«

Mit dieser Erklärung mußte man sich wohl oder übel begnügen. Die meisten hatten auch wenig Lust mehr, zu sehen, was sich da zu des Hexenmeisters Füßen abspielte. Die Sache war ihnen doch nicht recht geheuer.

Das Experiment wurde mehrmals wiederholt. Ein Ring nach dem andern flog auf Nobodys geheimnisvollen Befehl von dem Tische in seine Hand, aber nicht nur das, sondern die Ringe kehrten aus seiner Hand auch wieder auf die Samtunterlage zurück. Er variierte den spiritistischen Apport auch. So wurde in dem Salon in einiger Entfernung ein zweites Tischchen aufgestellt, wieder ein siebeneckiges Stück Samt daraufgelegt, und jetzt wanderten die Ringe, während Nobody wie vorher in der Türe stand, zwischen den beiden Tischchen hin und her. Vorher hatte er allerdings zwischen ihnen mit seinem Zauberstab den magischen Strich gezogen.

Zuletzt sollte der Ring allen hörbar in ein auf dem Samt stehendes Wasserglas fallen, eben sprach der in der Tür stehende Nobody seine Zauberformel, als plötzlich die Gasflamme aufleuchtete.

Der junge Lazar war heimlich von seinem Stuhle aufgestanden, hatte die Flamme aufgedreht, um zu sehen, was da in der Dunkelheit vor sich ginge. Es hatte keinen Zweck gehabt. Der Ring lag noch auf seiner alten Stelle, nichts Verdächtiges war zu bemerken. Es war ja auch ganz ausgeschlossen, daß Nobody einen Helfershelfer in Fleisch und Blut haben konnte, der Diener stand in der Nähe der Tür und war immer zu sehen, es wäre auch ganz unbegreiflich gewesen, wie jemand unbemerkt durch den Kreis der Engzusammensitzenden schlüpfen könnte, um den Ring zu nehmen.

Bei diesem plötzlichen Eingriff, der einem Vertrauensbruche gleichkam, zeigte sich zwischen Nobodys Augenbrauen nur ein Fältchen, nichts weiter. Er hatte kein Ehrenwort abgenommen, sondern die Herrschaften vorher nur gebeten, ihn bei seinen Experimenten nicht zu stören, eventuell könne das auch schlimme Folgen für ihn haben. Er hatte so etwas bei den Herren und Damen eben nicht vorausgesetzt, und nun war es doch geschehen.

Dafür hatte die Vorstellung aber auch ein Ende.

»Ich bedauere,« sagte Nobody kalt, als er gedrängt wurde, doch wenigstens dieses eine Experiment zu vollenden, und er blieb bei seiner Weigerung.

Die Herrschaften hatten aber auch genug gesehen, sie wollten endlich einmal darüber sprechen, außerdem machte sich bei der herrschenden Schwüle der Durst bemerkbar, es wurde Champagner serviert, dieser tat seine Wirkung, und bald war in einem andern Salon wieder ein allgemeiner Flirt im Gange.

Wenn Nobody solch eine Zaubervorstellung gab, beobachtete er stets, wie er überhaupt das Menschenstudium zu einem Sport gemacht hatte, aufmerksam, was für einen Eindruck seine Experimente auf das Publikum machten.

Hier hatte er also sehr geistergläubige Zuschauer vor sich. Der Ungläubigste von allen schien der alte Lazar zu sein; das drückte sich in seinem verächtlichen Lächeln aus; der Jude glaubte nur an die Macht des Goldes, sonst an nichts weiter, ebenso vielleicht sein Sohn, was dieser ja dadurch bewiesen, daß er den Hexenmeister hatte entlarven wollen.

Wer aber war der Gläubigste unter ihnen? Offenbar Gordon Cumming!

Als Nobody zuerst die Taschenspielerkunststückchen gemacht hatte, schien der Jäger dafür nur sehr wenig Interesse gehabt zu haben. Als sich über des Gastgebers Unglück mit den faulen Eiern alles in Lachkrämpfen wälzte, hatte Cumming nur ein flüchtiges Lächeln gezeigt, in dem Nobody etwas wie Wehmut erkannt hatte. Als jedoch die unsichtbaren Geisterhände mit ins Spiel kamen, da wurde Gordon Cumming die heilige Andacht selber; ehrfürchtig blickte er nach dem Geisterbanner, scheu suchten seine Augen die Geister selbst zu erspähen.

Kurz und gut, wenn einer fest überzeugt war, daß dieses Wegtragen der Ringe nur mit Hilfe von Geistern geschehen konnte, so war das Gordon Cumming.

Ist das nun nicht seltsam, daß solch ein Mann, der das ganze Jahr allein in der wilden Einsamkeit zubringt, sich vor Geistern, vor Gespenstern fürchtet?

Nein, Nobody mit seiner Menschenkenntnis fand dies ganz und gar nicht seltsam oder sich widersprechend.

Es ist eine altbekannte Tatsache, daß der einsame Aufenthalt in Gottes freier Natur viel stärker zu Visionen und zur Geisterseherei anregt, als die einsame, finstere Kammer oder Klosterzelle. Moses, Johannes und Christus, Buddha, Zoroaster und Mohammed – sie alle, alle haben ihre göttlichen Offenbarungen nicht in finsterer Zelle, sondern in der Wüste erhalten, in der einsamen Wildnis. Auch an die Jungfrau von Orleans mag man hierbei denken.

Sehr interessant in dieser Beziehung ist das leider vergessene Tagebuch eines gewissen John Vasly, eines der ersten Waldläufer, welcher, die Büchse über der Schulter, in die Urwälder Amerikas eindrang. Ein halbes Jahr lang hat er keinen Menschen gesehen, und da erzählt er, wie mächtig diese Einsamkeit auf seine Phantasie eingewirkt hat; er, sonst der nüchternste Mann, hörte aus dem Rauschen der Bäume Stimmen, überhaupt sprach alles zu ihm, die zwitschernden Vögel erzählten ihm Geschichten, so deutlich, daß er sie gleich nachschreiben konnte, und zwar phantastische Geschichten, auf die er sonst im ganzen Leben nicht gekommen wäre, die er wirklich für göttliche Offenbarungen halten konnte.

Nobody wußte ganz bestimmt, daß gerade auf den praktischen, eisenfesten Mann der Wildnis seine Geistervorstellung den allertiefsten Eindruck gemacht hatte, und er verfolgte eine ganz bestimmte Absicht, als er bald die immer lauter werdende Gesellschaft verließ und eine einsame Nische aufsuchte.

Richtig, es dauerte denn auch gar nicht lange, so trat Gordon Cumming zu ihm.

»Mr. Nobody!«

»Sir?«

»Ich möchte Sie gern einmal unter vier Augen sprechen.«

»Bitte, ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

Ohne weiteres zog Cumming die schweren Portieren vor dem Eingange der Nische zu, überzeugte sich, daß keine Oeffnungen vorhanden waren, und ließ sich jenem gegenüber auf dem Diwan nieder. Schon die Augen des Jägers verrieten, daß jetzt etwas Mystisches kommen würde.

»Ich begreife nicht,« begann er, »wie jene Leute, nach dem, was sie soeben von Ihnen zu sehen bekommen haben, sich noch gesellschaftlichen Freuden und einem Gespräch über irdische Nichtigkeiten hingeben können.«

»Das liegt im Charakter des Menschen,« entgegnete Nobody, der sofort wußte, was jener meinte. »Denken Sie an die mittelalterlichen Zeiten, als die meisten Menschen noch fest von der Existenz eines Himmels und einer Hölle überzeugt waren. Aber der Glaube an die ewige Verdammnis mit den schrecklichsten Höllenqualen hat doch nicht jene Schandtaten verhindern können, an denen gerade das Mittelalter so reich war, wo etwa ein Fürst, um auf den Thron zu gelangen, mit kaltem Blute Mutter und Vater vergiftete und alle Geschwister dem Henker überlieferte – trotz der Erwartung, dafür einst im feurigen Pfuhl gebraten zu werden.«

»Sie haben recht. Ich aber gehöre nicht zu jenen ... jenen ... oberflächlichen Menschen.«

»Ja, weil Sie ständig in der Einsamkeit leben und daher viel Zeit haben, über alles nachzudenken.«

»Mag sein!«

»Und nun möchten Sie wissen, wie ich diesen sogenannten spiritistischen Apport zustande bringe?«

»So ist es.«

Nobody beugte sich weit vor und dämpfte seine Stimme zum leisesten Flüstern herab.

»Sir Cumming, glauben Sie wirklich, daß ich diesen Apport mit Hilfe von Geistern vollbringe?«

Auf dem verwitterten Gesicht des Jägers war eine staunende Ueberraschung zu lesen.

»Nicht?« erklang es, und es war ein bedauernder Tonfall dabei.

»Sir Cumming, glauben Sie denn wirklich an Geister?«

Der Detektiv sah, wie schwer jenem die Antwort wurde, der Geistergläubige hatte diese spöttische Frage eben gar nicht erwartet, und Nobody kam ihm zuvor.

»Nein, Sir Cumming! Mögen jene Herrchen und Dämchen glauben, ich hätte diesen sogenannten spiritistischen Apport mit Hilfe meines mir dienstbaren Luftgeistes vollbracht, das habe ich ja eben gewollt. Sie sollen nicht, wenn Sie der Weg wieder in Ihre Einsamkeit zurückführt, über meine Geistertheorie nachgrübeln, denn – sie ist Humbug. Es geht alles auf ganz natürliche Weise zu. Ich offenbare Ihnen mein Geheimnis – hier, das ist der ganze Zauberapparat!«

Bei diesen Worten hatte Nobody in die innere Fracktasche gegriffen; der maßlos erstaunte Cumming sah in seiner Hand ein kleines, schwarzes Tier, mit seinem buschigen Schwanz an ein Eichhörnchen erinnernd, aber bedeutend kleiner, und der Tierkenner mochte es eher für die Abart eines Wiesels halten. Jedenfalls war es ein allerliebstes Tierchen, wie es jetzt auf dem flachen Handteller saß und mit den Vorderpfötchen das Schnäuzchen putzte, mit den funkelnden Aeuglein ohne Scheu den fremden Mann betrachtend.

»Das ist – das ist ...«

»Ein javanisches Ayka,« ergänzte Nobody, »ein noch sehr wenig bekanntes, nur auf Java vorkommendes Tier; die Zoologen sind sich noch nicht einig, ob es zu den Nagern oder zur Gattung der Marder gehört. Ich kann behaupten, daß es ein Eichhörnchen, also ein Nager ist, es nagt denn auch mit Vorliebe Nüsse, den Blutdurst des Marders kann man ihm leicht abgewöhnen. Dieses Ayka ist die unsichtbare Geisterhand, in Wirklichkeit mein Apportierhund.«

Nobody nahm aus der Tasche eine Haselnuß, warf sie von sich auf den Boden, das Ayka wußte, daß die Nuß ihm gehören sollte, aber obgleich es ein Baumtier ist, welches sich in den weitesten Sprüngen gefällt, machte es doch nicht den kleinen Sprung von der Hand auf den Teppich hinab, sondern kletterte an Nobodys Rock und Hosenbein hinab, freilich nur wie das Huschen eines schwarzen Schattens, auch für das schärfste Auge selbst im hellen Ampelschein kaum sichtbar, nahm die Nuß ins Mäulchen, zurück zu seinem Herrn, am Hosenbein wieder hinauf, und war unter Nobodys Frack verschwunden, kam auch nicht wieder zum Vorschein.

Daß es nicht gesprungen, sondern geklettert war, das war offenbar Dressur.

»Wissen Sie, welches Tier einen noch feinern Geruchssinn hat als der beste Jagdhund?«

Mit dieser Frage begann Nobody seine Erklärung, mit welcher er nicht nur sein eignes, sondern auch das Geheimnis einer besondern Spezialität der chinesischen Gaukler preisgab.

Ja, der erfahrene Jäger und Tierbeobachter wußte es. Es ist das Schwein.

Erstaunlich ist es, was für einen feinen Geruch das Wildschwein hat. Es verfolgt die leiseste, älteste Spur, die es zum verendeten Wilde führt; denn das Schwein frißt bekanntlich auch Fleisch. Unser gewöhnliches Hausschwein leistet dasselbe. Man muß es daraufhin nur eingehend beobachten. Es sind denn auch schon Versuche angestellt worden, ob man das Schwein nicht zur Jagd benutzen kann, und Tatsache ist, daß es im Verfolgen der Fährte den besten Jagdhund in den Schatten stellt. Auch sonst ist das Schwein ein sehr kluges Tier, es läßt sich zu allem abrichten. Freilich den selbstdenkenden Jagdhund hat es nicht ersetzen können, und so weit, daß der Jäger mit ›Halali und Schweinegrunzen‹ zum fröhlichen Waidwerk geht, wird es wohl niemals kommen. Wer sich für diese Versuche, das Schwein als Jagdhund zu benutzen, interessiert, findet in ›Brehms Tierleben‹ darüber ausführlich berichtet. Uebrigens dürfte allgemein bekannt sein, daß man das Schwein zum Aufsuchen der unterirdisch wachsenden Trüffeln gebraucht.

»Eine nicht minder scharfe Witterung,« erläuterte Nobody weiter, »haben Ratten und Mäuse, allerdings wieder in andrer Hinsicht, sozusagen mehr für den Hausbedarf. Dies haben schon seit uralten Zeiten die chinesischen Gaukler zu benutzen gewußt. Sie richten Ratten ab, eine sehr kleine, tiefschwarze Art, die sie denselben Hokuspokus ausführen lassen, den Sie vorhin von mir gesehen haben. Doch wohl nur selten wird ein Europäer so etwas in China zu sehen bekommen. Er muß denn gerade Gast am kaiserlichen Hofe gewesen sein und ein besonderes Vertrauen genossen haben. So etwas sehen zu dürfen ist eben das Priviligium des Kaisers: bloß spezielle Hofgaukler erhalten die Erlaubnis, solche Ratten abrichten zu dürfen, das hängt mit der chinesischen Geheimniskrämerei, mit dem Kastenwesen und mit dem chinesischen Zopfe zusammen.

»Kurz, ich glaube, daß ich der einzige Europäer bin, welcher weiß, wie der chinesische Gaukler seine scheinbar übersinnlichen Apporte zustande bringt. Ich habe nämlich einmal einen chinesischen Hofgaukler zum Freunde gehabt, lebte viele Jahre lang in engster Gemeinschaft mit ihm – in der Kerkerzelle. Da hat er mich in alle seine Geheimnisse eingeweiht. Als ich dann den Detektivberuf ergriff, kultivierte ich auch diesen spiritistischen Apport. Ein Detektiv kann solche Taschenspielerei und andern Hokuspokus manchmal recht gut gebrauchen. Ich dressierte eine schwarze Ratte. Aber es ist nicht angenehm, immer eine unreinliche, übelriechende, fleischfressende Ratte mit sich in der Tasche herumzuschleppen. Ich probierte es mit andern Tieren, zum Beispiel mit Wieseln und Eichhörnchen. Hatte wenig Glück damit.

Als ich mich einmal in Java aufhielt, beobachtete ich im Walde ein Ayka, welches auf Eierraub ausging. Offenbar hatte dasselbe es hauptsächlich auf schon angebrütete Eier abgesehen, es fraß immer nur das noch unentwickelte Junge, und ich wurde gewahr, mit welch wunderbarer Sicherheit es durch Beschnüffeln solche Eier von den andern herausfand. Ich fing das Tierchen, es zeigte sich sehr gelehrig, besaß eine äußerst feine Witterung, und so hatte ich gefunden, was ich gesucht. Außerdem ist es sehr reinlich, begnügt sich mit Nüssen, fühlt sich in meiner Tasche ganz behaglich. Aber nicht etwa, daß ich das arme Tier nun ständig mit mir herumschleppe! Eigentlich ist es nur ein Zufall, daß ich gerade ein Ayka bei mir habe. Ich hatte mir kurz zuvor, ehe mich Mr. Lazars Einladung nach Südafrika rief, ein Ayka aus Java schicken lassen. Mein bisheriges wurde altersschwach. Wie sollte ich mir die Zeit während der langweiligen Seefahrt besser vertreiben, als indem ich das Tierchen dressierte? Ich nahm es in meiner Kabine täglich vor, und so hatte ich, als ich hierherkam, meinen Zauberapparat fertig, obgleich ich gar nicht ahnte, daß mich der Diamantenjude nur als Hexenmeister eingeladen hatte.

Wie nun das Ayka als Apportierhund arbeitet, können Sie sich wohl denken. Ich reibe einen Stock kräftig zwischen meinem Händen, daß das Holz etwas von meiner Witterung annimmt, und ziehe damit einen Strich auf dem Boden, den Weg bezeichnend, den das Ayka zu nehmen hat. So unendlich schwach auch der Geruch sein mag, das Ayka findet die Spur dennoch und verfolgt sie. Ich stelle mich hinter das Tuch – wie wenigstens in diesem Falle, das Experiment läßt ja zahllose Variationen zu, aber schließlich ist es doch immer dasselbe – gebe dem Ayka ein geheimes Zeichen, es schlüpft aus meiner Tasche, klettert an meinem Beine hinab, kriecht unten durch das Tuch und verfolgt die von mir ausgehende Spur, diese führt an den Tisch, dessen Decke herunterhängt. Das Ayka klettert hinauf – es erklimmt aber auch die glatteste Holzwand, nur macht das dann etwas Geräusch – und auf dem Samt oder Papier, wo die Spur endet, findet es einen Gegenstand, den es mir bringt. Auf ein andres geheimes Zeichen, das zum Beispiel darin besteht, daß ich ihm einen Klaps auf den Kopf gebe, bringt es den Ring auch von einen Tisch zum andern. Oder es trägt den Ring von mir wieder auf den Tisch. Die Stühle habe ich selbst vorher aufgestellt, danach ziehe ich meinen Strich, daß es nicht mit den Füßen der Sitzenden in Berührung kommt. Außerdem hütet es sich vor solch einer Berührung, es ist menschenscheu, durch Dressur. Und wenn einmal plötzlich Licht wird, so verbirgt es sich blitzschnell in einem Versteck, und darin hat es etwas los, da wartet es, bis ich ihm unbemerkt eine Gelegenheit gebe, daß es wieder in meine Tasche schlüpfen kann.

Wie ich das Tierchen so dressiert habe, kann ich Ihnen nicht des längern schildern. Es ist höchst einfach. Ich will nur sagen, um es menschenscheu zu machen, habe ich an Bord zwei Matrosen eingeweiht, die mußten es ein paarmal tüchtig in den Schwanz kneifen, und es dauerte gar nicht lange, so wollte mein Aykachen von keinem Menschen mehr etwas wissen. Es ist nur froh, wenn es wieder in meiner Tasche ist. Zudem ist es überhaupt ein Nachttier, es versteckt sich sofort, wenn es im Dunkeln von Licht überrascht wird. Ebenso brauchen Sie nicht allzu hoch über seine Intelligenz zu denken. Es kann hübsch apportieren, weiter nichts, und viel mehr wird in sein Spatzengehirn wohl auch nicht hineingehn.«

Nobody hatte nichts mehr zu erklären, und er sah, daß Gordon Cumming eine solche Erklärung nicht erwartet hatte. Er sagte das auch.

»Das allerdings hätte ich nicht erwartet,« murmelte er.

»Es wäre Ihnen wohl lieber gewesen, wenn ich wirklich einen dienstbaren Luftgeist gehabt hätte?« lächelte Nobody.

Der überraschte Blick verriet, daß sich Nobody wieder einmal als Gedankenleser bewiesen hatte, wie auch die Gegenfrage zeigte, nur daß sie etwas lange auf sich warten ließ.

»Mr. Nobody, glauben Sie an Geister?« erklang es dann zögernd.

Jetzt war es Nobody, der nicht recht mit der Sprache heraus wollte, bis er sich klar war, was er darauf zu entgegnen hatte.

»Sie berühren da ein Thema, über welches ich nicht gern spreche. Denn das hängt mit der Religion zusammen. Doch indem Sie allgemein von ›Geistern‹ sprechen, wird mir die Antwort leichter. – Nein, an das, was man im Volke unter Geistern versteht, glaube ich nicht.«

Wieder fiel Gordon Cumming in tiefes Sinnen, und abermals wußte der Gedankenleser, was jener jetzt dachte.

»Sie aber glauben an Geister?«

»Ja und nein. Es geht gegen meine Vernunft. Doch ich habe auf meinem letzten Rückmarsch aus dem Innern hierher etwas erlebt, etwas gesehen, was mich an die Existenz von Geistern, oder wie man es sonst nennen mag, zu glauben berechtigt.«

»Das wäre!« rief Nobody überrascht. »Darf ich es erfahren?«

»Als ich Sie die mir unbegreiflichen Experimente ausführen sah, war mein Entschluß schon gefaßt, Ihnen mein seltsames Abenteuer zu erzählen, und gerade jetzt, da Sie mir eine natürliche Erklärung gegeben haben, hoffe ich auf eine ebensolche in bezug auf meinen Fall.«

»Bitte, vertrauen Sie sich mir an! Ich bin höchlichst gespannt.«

Der alte Jäger stand auf und spähte zwischen den Portieren hindurch. Die Gesellschaft hatte diesen Salon wiederum mit einem andern vertauscht, aus welchem Musik erscholl, es wurde getanzt, in diesem Salon hier war niemand mehr zu erblicken, aber er war noch hell erleuchtet, und so hielt es Cumming für das beste, die Portieren zurückzuschlagen. Dann konnte sich ihnen kein Lauscher unbemerkt nähern.

»Kennen Sie die Ufer des Garib, speziell den Teil, wo er unterirdisch aus dem großen Kalkgebirge hervortritt?« fragte er zunächst, als er sich wieder gesetzt hatte.

»Sollten Sie vielleicht den Oranje-River meinen?«

»Ja. Diesen Namen haben ihm die Buren gegeben. Bei den Hottentotten und Kaffern heißt er Kai-Garib, das ist Kalkfluß, eben weil er scheinbar wie eine riesige Quelle aus dem Kalkberg hervorbricht. In Wirklichkeit hat der Garib seinen Ursprung viel weiter östlich, er verschwindet nur einmal in dem Kalkgebirge, durch das er sich einen Tunnel gewaschen hat, und kommt erst viele Meilen weiter unten wieder zum Vorschein. Kennen Sie diese Gegend?«

»Ich habe von diesem Naturphänomen schon gehört, dortgewesen bin ich noch nicht. Ich habe Afrika zwar schon wiederholt besucht, auch in der Kapkolonie habe ich mich längere Zeit aufgehalten, aber ins Innere bin ich noch nicht gekommen, noch nicht einmal hierher, und ich hatte einen Grund, hier zu sagen, daß ich überhaupt noch nie in Südafrika gewesen sei. Ein Detektiv hat manchen Vorteil, wenn er sich unwissend stellt.«

»Mir wiederum ist nichts verhaßter als die Prahlerei, wenn jemand einmal in eine Hafenstadt hineingerochen hat und nun gleich im ganzen Lande zu Hause sein will. So lassen Sie sich erst einen kurzen Ueberblick über die Gegend geben, in welcher mir das Abenteuer passiert ist. Später muß ich darüber noch ausführlicher sprechen.

Wenn ich mich ins Innere begebe, so verfolge ich zunächst immer ein und denselben Weg, bis ich mich in meinen eigentlichen Jagdgründen befinde, und dieser Weg führt mich durch das Negerreich Koran, an beiden Ufern des Garib gelegen, nördlich an das wüste Land der Buschmänner grenzend. Dieser Name Koran hat nichts mit der heiligen Schrift der Mohammedaner zu tun. Was ein Kraal ist, wissen Sie doch? Ein Dorf aus armseligen Lehmhütten. Ein fester gebautes Haus nennen die Hottentotten Kor, Koran wäre also ein Land mit Steinhäusern.

Die Koraner oder Kai-Korais, wie sie sich selbst nennen, sind die fleißigsten und intelligentesten Hottentotten Afrikas, leben unter einem Könige, sind noch selbständig. Ackerbau und Viehzucht stehn auf hoher Stufe, sie haben nette Dörfer, wenn Sie dabei natürlich auch nicht an europäische Verhältnisse denken dürfen, und trotz der vortrefflich angebauten Flächen kann man dort auch noch den Löwen jagen.

Es ist vier Wochen her, als ich, von Norden her aus der Wildnis kommend, mich wieder den Grenzen dieses Landes nähere. Es fällt mir auf, daß ich in recht dürftigen Gegenden neue Dörfer treffe, von deren Bewohnern ich bestimmt weiß, daß sie bisher und noch voriges Jahr in den fruchtbaren Niederungen dicht am Strome gehaust hatten. ›Der Ukangara hat uns befohlen, von dort auszuwandern und uns hier anzusiedeln,‹ lautet die kurze Antwort auf meine Frage nach dem Grunde.

Ich muß hierzu bemerken, daß die Koraner trotz ihrer sonstigen höhern Entwicklung sehr abergläubisch sind, wie überhaupt alle Hottentotten; es sind Fetischanbeter; neben dem König herrscht ein allmächtiger Zauberer mit seiner Sippschaft, der Ukangara, dessen Befehlen das Volk blindlings gehorcht. Trotzdem ist die Regierung für ein Negerreich eine ideale. Denn der weltliche und der geistliche Herrscher sind miteinander einig. So ist auch die Branntweineinfuhr in Koran durchaus verboten, und selbst heimlich wird kein Koraner es wagen, einen Tropfen Branntwein über die Lippen zu bringen, nur weil der Ukangara es verboten hat. So groß ist die Macht dieses Zauberers, so bedingungslos wird seinem einfachen Befehle gehorcht. Die Koraner haben auch einige seltsame Gebräuche, die sie als Geheimnis bewahren, und noch kein Europäer, noch kein Neger eines andern Stammes ist hinter diese Mysterien gekommen, er ahnt sie nicht einmal, weil der Hohepriester seinem Volke eben verboten hat, darüber auch nur zu sprechen. So war es also ganz ausgeschlossen, daß ich erfahren konnte, weswegen einzelne Dörfer von der fruchtbaren Ufergegend in diese Oede ausgewandert waren.

Nun, ich führte meine kleine Karawane weiter nach Süden, kam durch wohlangebautes Land. Ueberall in den Dörfern ein drückendes Schweigen. Ich konnte nichts erfahren. Als ich noch vier Meilen von dem Strome entfernt war, stieß ich auf das erste verlassene Dorf, und von da an bis zum Strome traf ich auch keinen einzigen Menschen mehr. Die allgemeine Auswanderung mußte schon vor vielen Monaten erfolgt sein, das Kulturland war bereits wieder stark verwildert, ich merkte es sogar an der Zunahme von jagdbarem Wilde und Raubzeug.

Am Ufer des Garib fand ich Fährten einer Herde von Spießböcken. Ich beschloß, in der Nacht einige zu erlegen. Wir brauchten überhaupt Fleisch, denn in der fruchtbaren Gegend, in welcher es bei meinem letzten Durchmarsch Hammel und Rinder und Brot und Gemüse in Ueberfluß gegeben hatte, war gar nichts derart mehr aufzutreiben. Ich ließ das Lager aufschlagen, und gegen Abend ging ich allein auf die Pürsch.

Es war eine mondlose, stockfinstere Nacht. Dennoch sah ich aus meinem Versteck im Schilf die gelben Spießböcke kommen. Ich habe gar gute Augen. – Hören Sie, Mr. Nobody? Ich habe gar gute Augen, welche auch die Finsternis durchdringen.«

Nach dieser wiederholten Versicherung machte der Erzähler eine kleine Pause, er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Da plötzlich,« fuhr er dann fort, »wie ich eben auf einen stattlichen Bock anlegte, hörte ich ein plätscherndes Geräusch, der Bock verschwand mit einem Sprunge, ich wendete den Kopf – und sah – da sah ich ...«

Der alte Jäger ward von einer gewaltigen Erregung ergriffen.

»Nun, was sahen Sie?« fragte Nobody.

»Ein Boot. Von sechs Ruderern fortbewegt, stromabwärts, ein siebenter führte das Steuer.«

»War denn an dem Boote so etwas Besonderes?«

Wieder mußte sich der eisenharte Mann, der sonst sicher nichts von Angstschweiß wußte, die Perlen von der Stirn wischen.

»Es waren keine Menschen von Fleisch und Blut, welche die Ruder bewegten, sondern es waren – es waren ...«

»Geister?«

»Gerippe!«

»Gerippe?« wiederholte Nobody.

»Es waren menschliche Skelette. Herr, ich bin kein Anatom, aber ich habe menschliche Gerippe genug gesehen, ich kenne die Lage jedes Knöchelchens – es waren unverletzte menschliche Gerippe, die ihre Arme da im Rudertakte bewegten.«

»Konnten Sie denn dieselben in der finstern Nacht deutlich sehen?«

»Ganz deutlich, obgleich sie wenigstens in einer Entfernung von 20 Metern an mir vorüberfuhren. Jedes Knöchelchen konnte ich deutlich erkennen, jeden Zahn in dem grinsenden Totenschädel, alles. Es ging von den Knochen wie ein weißleuchtender Schein aus.«

»Wie – ein – weißleuchtender – Schein,« wiederholte Nobody langsam, in Gedanken versunken. Doch er riß sich schnell wieder davon los.

»Konnten Sie das Boot sehen?«

»Nein, es war zu dunkel dazu. Nur das Plätschern und die Bewegungen der leuchtenden Skelette verrieten mir, daß sie ein Boot ruderten. – Mr. Nobody, halten Sie mich nicht etwa für einen Feigling. Ich glaube auch nicht an Geister und Kobolde. Ja, ich bin etwas abergläubisch, ich gestehe es ganz offen, ich schieße kein Muttertier am Mittwoch, den ich für meinen Unglückstag halte, ich schieße niemals, wenn ich ... kurz und gut, ich treibe aus Aberglauben manche Kinkerlitzchen ...«

»Sie sind so abergläubisch wie jeder echte Jäger, dem man zum Pürschgange kein Glück wünschen darf.«

»Jawohl, das war das rechte Wort. Aber an Gespenster und dergleichen glaube ich nicht. Vorhin haben Sie mich mit dem mir unerklärlichen spiritistischen Apport etwas in den Harnisch gebracht, ich war sehr erregt, bin es noch, und da empfinde ich die Rückwirkung von dem, was ich damals erlebt habe, jetzt noch mit doppelter Deutlichkeit. Und damals habe ich mich gefürchtet, ich gestehe es ganz offen.«

»Da ist auch gar nichts weiter dabei. Ich habe mich auch schon manchmal vor etwas gefürchtet, was ich zuerst für ein Gespenst hielt, die Haare sind mir vor Angst zu Berge gestanden.«

»So ging es auch mir. Versetzen Sie sich nur in meine Lage! Erst marschiere ich tagelang durch ein bevölkertes Gebiet, und überall finde ich ein scheues, ängstliches Wesen. Hier ist irgend etwas passiert. Aber was? Ein großes Geheimnis! So komme ich selbst immer mehr in eine zaghafte Stimmung. Dann ziehe ich stundenlang durch eine Gegend, die ich seit Jahrzehnten nur als blühendes Gefilde gekannt habe, belebt von fleißigen Arbeitern, von fröhlichen Kindern – auf einmal ist alles ausgestorben, eine schweigende Wildnis ...«

»Ich verstehe, ich verstehe!« fiel Nobody jenem ins Wort. »Dies alles machte auf Sie einen unheimlichen Eindruck, Sie waren schon vorbereitet, irgend außergewöhnliches, sagen wir gleich, Spukhaftes zu erleben. Aber daß Sie sonst frei von Geisterfurcht sind, beweisen Sie schon dadurch, daß Sie in dieser finstern Nacht das Lager verließen und allein auf die Jagd gingen.«

»Ja, und nun kam noch etwas andres hinzu. Erinnerungen, alte Märchen wurden in mir wach. Dazu aber muß ich Ihnen ausführlicher über die Korais erzählen, über ein von ihnen gehütetes Geheimnis, ich werde wohl der einzige Weiße sein, dem es einmal offenbar wurde.

Es gibt unter den Korais keine Männer und Frauen, welche älter als 60 Jahre sind. Mit dem sechzigsten Jahre werden sie nämlich getötet. Weshalb? Der Altersschwäche wegen! Es sind Ueberzählige, unnütze Esser. Das ist die einzige barbarische Sitte, welche dieses sonst sehr friedliche, schon auf einer ziemlich hohen geistigen Stufe stehende Volk hat. Dabei wäre dieser Mord gar nicht einmal nötig, denn an Nahrungsmitteln ist niemals Mangel, und es gibt doch auch genug kräftige, arbeitsfähige Männer von 60 Jahren. Für das Volk hat diese Sitte übrigens durchaus nichts Grausames oder Schreckenerregendes. Sie kennen es nicht anders, sie nehmen es hin, wie die alten Bauern in manchen Gegenden Europas, die, wenn der Sohn erwachsen ist, zum Wohnhause hinausgeworfen werden, mit einer Kammer über dem Stall und mit den vom Tisch fallenden Brocken sich begnügen müssen. Es kommt ihnen nicht bei, sich darüber zu beschweren, denn früher haben sie ihre alten Eltern ebenso hinausgestoßen. So nimmt auch der Korai die Sache ganz harmlos. Wenn seine Zeit gekommen, ißt sich der Todeskandidat noch einmal toll und voll, es wird im Dorfe deswegen ein Fest gegeben; er besteigt mit den andern alten Leuten ein Boot, sie fahren ab und – verschwinden aus dieser Welt.«

»Wohin werden sie gebracht?« fragte Nobody. »Wie ist ihre Todesart?«

»Einen Augenblick, ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich bin kein Mann, der nur mit den Negern verkehrt, um Vorteil von ihnen zu haben. Ich interessiere mich für alles. So dachte ich auch über den Grund dieses Massenmordes der alten Leute nach; denn irgend ein solcher mußte doch vorhanden sein. Vielleicht etwa, daß dieses Volk der Korais früher anderswo gehaust hat, auf einem sehr dürftigen Boden, dem man nur mit Mühe das tägliche Brot abrang; da war die barbarische Sitte, die unnützen Brotesser zu beseitigen, angebracht, das wurde zu einem religiösen Kultus, der schon so tief im Volke wurzelte, daß es die barbarische Sitte auch beibehielt, als es die öde Gegend verlassen und sich in diesem fruchtbaren Lande angesiedelt hatte.

Daß die Korais die alten Leute töten, ist an sich kein Geheimnis. Ich fragte nach dem Grunde. ›Das ist nun einmal so,‹ wurde mir geantwortet, ›wenn der Mensch 60 Jahr alt ist, kann er nicht mehr so arbeiten, er ißt mehr, als er verdient, also muß er sterben. Er wird im Boot in den heiligen Kai-Felsen gerudert, dort verschluckt ihn der Strom, dem unser Land seine Fruchtbarkeit verdankt.‹ Eine andre Erklärung hörte ich niemals, aber – ich hatte immer das sichere Gefühl, daß die Leute mehr wußten, als was sie mir erzählten, daß sie mir etwas verschwiegen.

Einstmals kam ich gerade hinzu, als dem Strome das jährliche Todesopfer gebracht werden sollte. Ich wollte kein sichtbarer Zuschauer werden, man hätte mich wohl auch kaum zugelassen, ich wollte heimlich beobachten, vielleicht, daß ich dadurch mehr entdeckte. Doch ich will gleich sagen, daß ich sehr wenig zu sehen bekam.

Sie kennen also das Kai-Gebirge nicht? Da muß ich die Gegend erst etwas beschreiben, wenigstens Kai-Felsen, das ist der westlichste Berg des Gebirges, aus dem der unterirdische Strom wieder zum Vorschein kommt. Wie überall in Südafrika, steigt auch dieses Gebirge jäh aus der Ebene empor, was vor allen Dingen für den Kai-Felsen gilt. Wie die Mauern stehn auf allen Seiten die Kalkwände, an ein Ersteigen ist gar nicht zu denken. Oben horsten zahllose Raubvögel, und unten, auf der westlichen Seite, tritt aus einer mächtigen Höhle der Garib hervor, nur wenig eingezwängt, schon mindestens 100 Meter breit.

Das ist die heilige Höhle der Korais, hier wohnt ihr Schutzgeist, den sie anbeten, aber nicht etwa ein scheußliches Ungeheuer, dessen Maule der Strom entspringt, und der die Todesopfer verschlingt, welches Bild ein phantastischer Kopf leicht entwerfen kann, sondern es ist ein unsichtbarer Geist, der nur in der Gestalt von hölzernen Fetischen angebetet wird.

Hier in dieser Gegend bis zu dem Eingange der Höhle sind oder vielmehr waren die Stromufer dicht bewohnt. Trotzdem gelang es mir, mich so weit heranzuschleichen, daß ich die Boote in die Höhle einfahren sehen konnte. Es waren neun, jedes mit etwa zehn Todeskandidaten besetzt, Männer und Frauen, außer diesen noch mit Ruderern und Priestern. Das war in der Nacht, und erst in der zweiten Nacht kamen die Boote wieder zum Vorschein, nur noch mit den Ruderern und den Priestern besetzt. Wo waren sie so lange gewesen? Wie weit waren sie auf dem unterirdischen Strome ins geheimnisvolle Innere des Berges oder des ganzen Gebirges eingedrungen? Was hatten sie dort drinnen gemacht?

Die dem Tode Geweihten sollten einfach in den Strom gestürzt werden, wo sie, da sie nirgends an den glatten Wänden einen Halt fanden, unrettbar ertrinken mußten. Vielleicht auch erhielten sie vorher einen Schlag auf den Kopf. Ich aber habe keine einzige Leiche aus der Höhle heraustreiben sehen, damals nicht und niemals!

Ueber dem Verbleib der alten Leute schwebte also jedenfalls ein Geheimnis. Ich wollte es lösen; es reizte mich überhaupt, einmal in die Höhle einzudringen. Dazu bedurfte es einiger Vorbereitungen, so z. B. war unumgänglich eine Blendlaterne nötig, damit ich in der Höhle sehen konnte, ohne selbst von draußen gesehen zu werden. Denn der Eingang wenigstens wird oder wurde ständig bewacht, daß kein Fremder eindringen konnte. Diese Blendlaterne mußte ich mir erst verschaffen; so verschob ich die Entdeckungstour bis auf das nächste Jahr, wenn ich wiederkommen würde.

Es sollte nichts daraus werden. Ein Zufall ersparte mir das Unternehmen, mir wurde alles auf andre Weise offenbart. Ich stehe bei allen Stämmen, mit denen ich in Berührung komme, in dem Rufe eines Wunderdoktors, der besonders die Elefantiasis zu heilen vermag. Sie wissen, diese in Afrika weitverbreitete Krankheit ist eine Art von Wassersucht, welche zumal die Beine ergreift, die wie Elefantenfüße anschwellen. Daher der Name. Mein Ruf betreffs ihrer Heilung ist ganz unbegründet. Ich vermag nur das Wasser abzuzapfen, wovon die Neger nichts wissen, und so für einige Zeit eine Linderung der Schmerzen herbeizuführen.

Als ich nun das nächste Mal nach Koran kam – es ist jetzt schon acht Jahre her – wurde ich zum damaligen Ukangara gerufen, der heftig von der Elefantiasis befallen worden war, von meiner Kur gehört und nur auf meine Rückkehr gewartet hatte. So kam ich vor den in seinem Lande allmächtigen Zauberer, der sonst unnahbar ist. Zu meinem Staunen fand ich einen höchst aufgeklärten Mann mit fast europäischer Schulbildung, der selbstverständlich an den ganzen Schwindel, den er dem Volke vormachte, selbst nicht glaubte.

Die Kur dauerte eine Woche, wir wurden vertraut miteinander, ich fragte um das, was ich wissen wollte, und zum Danke für meine Bemühungen gab er mir die gewünschten Erklärungen, selbstverständlich gegen mein Versprechen, das mir offenbarte Geheimnis des Koranvolkes mein eignes sein zu lassen. Doch das ist nun hinfällig, ich darf sprechen. Was ich erfuhr, war folgendes:

Vor vielen Jahrhunderten – genau läßt sich das nicht mehr feststellen, es liegt dem Ganzen überhaupt viel Sage zugrunde – saß an den Ufern des Garib ein ganz andres Volk. Nennen wir es die Gariber, echte Hottentotten, was die Kai-Korais jetzt nicht mehr sind. Die Gariber hatten unter den Einfällen der räuberischen, damals noch sehr zahlreichen Buschmänner zu leiden, sie riefen deshalb die südlich benachbarten, kriegerischen Korais, damals noch echte Kaffern, zu Hilfe. Diese befreiten die Gariber von der Geißel, beschlossen aber zugleich, jene selbst zu unterjochen, sich ihres fruchtbaren Landes zu bemächtigen. Dazu mußten vor allen Dingen der König und seine ganze Verwandtschaft, wie auch alle angesehenen Personen beseitigt werden, denn die Korais selbst waren damals nur ein schwaches Häuflein, es liegen hier überhaupt besondere Verhältnisse vor ...«

»Ich verstehe schon,« sagte Nobody, »es handelt sich hier offenbar nicht um die Ausrottung eines Volkes durch das andre, sondern nur um eine Verschmelzung und um die Errichtung einer neuen Dynastie.«

»So ist es! Die Gariber waren es übrigens ganz zufrieden, daß die mißliebig gewordenen Häuptlinge gestürzt wurden, sie sehnten sich nach einem andern König mit neuer Regierungsform, der Mord geschah also mit allgemeiner Zustimmung des Volkes.

Nun muß ich Ihnen erst etwas andres erzählen, was mir der Ukangara offenbarte. Seit uralter Zeit war der Kai-Felsen ein Heiligtum der Gariber, aber nicht die Höhle, aus der der Strom kommt, sondern oben das zerklüftete Plateau. Dort sollte ihr Gott hausen, dem man von Zeit zu Zeit Opfer darbrachte. Der Aufstieg erfolgte immer von der Höhle aus. Das Regenwasser hatte einen Schacht ausgewaschen, dieser war erweitert worden, durch ihn gelangte man aus dem Innern der Höhle hinauf.

Als nun wieder einmal dort oben eine Feierlichkeit zu Ehren des Gottes stattfand, wurden die sämtlichen Häuptlinge der Gariber mit ihrer Sippschaft meuchlings in den tiefen Felsenkessel gestürzt, an dessen Rand sie betend gestanden hatten.

Die Tat war geschehen. Zerschmettert lagen sie alle unten. Nur einer, ein alter Mann, richtete sich noch einmal halb auf und sprach über seine Mörder einen Fluch aus, der etwa in den Worten ausklang: ›Unsre Knochen sollen auferstehn und an euch zu unsern Rächern werden!‹«

»Aha, aha, ich verstehe!« meinte Nobody.

»Dieser Fluch,« fuhr Cumming fort, »muß dem abergläubischen Volke, das also mit dieser Ermordung seiner bisherigen Häuptlinge einverstanden gewesen war, doch sehr zu Herzen gegangen sein. Der Ukangara wurde befragt, was da zu tun sei, um den Fluch unschädlich zu machen, und der Zauberer entschied, daß alljährlich so und so viele Menschen von dort oben in den Kessel gestürzt werden müßten, zur Versöhnung der blutigen Schatten – und so geschieht es denn auch seither; jedes Jahr werden dort oben die über sechzig Jahre alten Korais geopfert, ein Fraß für die Raubvögel, und die Furcht vor den wiederkommenden Knochengerippen der ermordeten Häuptlinge wurzelt noch jetzt, nach Jahrhunderten, tief im Volke, deshalb gehn sie alle freudig in den Tod.

Sehen Sie, Mr. Nobody, an alles dies dachte ich, während ich so einsam im Schilfe lag und in die Finsternis spähte. Warum dieses gedrückte Benehmen des sonst so heitern Völkchens? Warum hatten sie plötzlich die alte Heimat an den Ufern des Stromes verlassen? Sollte da vielleicht wieder etwas mit der Auferstehung der Knochen ... und wie ich eben dies denke, da plötzlich sehe ich die sieben Skelette auf dem Wasser an mir vorüberschweben, auf dem Strome, der aus jener Höhle kommt! Mir war die Jagdlust vergangen, ich rannte nach dem Lager und legte mich hungrig schlafen, wurde die ganze Nacht von wüsten Träumen geplagt. Am andern Morgen setzten wir über den Strom, fanden auch auf der andern Seite alles verlassen, erlegten aber bald Jagdwild genug.

Das ist nun genau zwölf Tage her. Unterdessen habe ich gegrübelt und gegrübelt, um eine natürliche Erklärung für diese leuchtenden Skelette zu finden – vergebens. Befragt habe ich deswegen noch keinen Menschen. Auch den Leuten meiner Karawane sagte ich nichts davon, denn sie wären mir samt und sonders davongelaufen. Als ich Sie nun vorhin den spiritistischen Apport ausführen sah, daran glauben mußte, daß Sie mit Geistern in Verbindung ständen, beschloß ich, mich Ihnen zu offenbaren, Sie über Ihr Urteil in dieser Sache zu fragen.«

»Hm!« brummte Nobody. »Waren Sie denn während der ganzen zwölf Tage der Ueberzeugung, daß Sie es da wirklich mit gespenstischen Knochengerippen zu tun hatten?«

»Nein. Ich habe noch nie an so etwas geglaubt. Als jene Nacht dem hellen Tage wich, war bei mir der Entschluß gefaßt, dieser Sache auf den Grund zu gehn. Ich mußte nur erst meine wertvolle Jagdbeute in Sicherheit bringen, dann wollte ich zurückkehren, allein, und Nachforschungen zur Aufklärung des Rätsels anstellen. Unterdessen habe ich Sie kennen gelernt. Sie ... imponieren mir. Wollen Sie mich auf dieser Expedition begleiten?«

»Ihr Anerbieten ehrt mich. Ich nehme es an. Doch darüber sprechen wir später! Jetzt gestatten Sie mir erst einige Fragen. Sie sagten, daß Sie in dieser Nacht wüste Träume gehabt hätten, und Sie standen überhaupt unter dem Einflusse von Spukgeschichten. Konnten Sie, als Sie im Schilfe lagen, nicht eingeschlafen sein und die Erscheinung der Skelette nur geträumt haben?«

»Nein, ich habe nicht geschlafen, ich habe die rudernden Gerippe wirklich gesehen.«

So einfach diese Erklärung gegeben worden war, so überzeugend wirkte sie. Nobody glaubte daran.

»Haben Sie sich unterdessen ein Urteil gebildet, wie der Spuk auf natürliche Weise zu erklären ist?«

»Ja und nein! Ich habe daran gedacht, daß es Neger sein könnten, welche auf ihren schwarzen Körper mit Phosphor ein Knochenskelett gezeichnet haben. Aber einmal wissen die Leute dort gar nichts von Phosphor, auch die Zauberer haben ihn nicht unter ihren Mitteln, mit denen sie ihren Hokuspokus machen, und dann waren es auch nicht jene leuchtenden Striche, wie ich sie vom Phosphor kenne. Ich bin nämlich in einer klösterlichen Pension erzogen worden, da haben wir oftmals mit Phosphor Spukgeschichten an die Wand gemalt. Aber das leuchtet ganz anders, das flackert unruhig hin und her. Nein, Phosphor war es nicht.«

»Aber Sie sind überzeugt, daß es Neger gewesen sind, die sich so mit einer leuchtenden Substanz bemalt haben?«

»An was anders soll man denken, wenn man nicht an lebendig gewordene Skelette glauben will?«

»Sie sagten, die Skelette hätten geleuchtet.«

»Nicht gerade das. Nicht etwa wie Phosphor. Es strahlte kein Licht aus. Ich meinte nur, daß die Knochen weißleuchtend aus der Finsternis hervortraten.«

»Etwa so?«

Nobody war aufgestanden, hatte die Gasflamme ausgedreht, in dem kleinen Räume herrschte vollständige Finsternis, und plötzlich sah Cumming ein kleines, weißleuchtendes Menschenskelett vor sich in der Luft schweben, kaum fünf Zentimeter groß, aber vollkommen ausgeprägt, jeder Knochen war deutlich erkennbar.

Der Schreck des alten Mannes war begreiflich.

»Mann, wer sind Sie, daß Sie ...«

Schon hatte Nobody die Gasflamme wieder angezündet, und jetzt sah Cumming an der Stelle in der Luft, wo er soeben noch das leuchtende Gerippe erblickt hatte, in Nobodys Hand ein Streichholzetui, mit bunten Steinen mosaikartig ausgelegt. Aber von einem Skelett keine Spur.

»Haben die Skelette so ausgesehen?«

»Ganz, ganz genau so! Nur daß sie in Lebensgröße waren und sich bewegten. Aber was für ein Figürchen war denn das nur?!«

Nobody hatte sich zur Erinnerung an sein spukhaftes Abenteuer in Red Castle eine Streichholzbüchse fertigen lassen, in die aus Plättchen von Schwefelbarium, welches in der Finsternis leuchtet, ein menschliches Gerippe eingelegt war. Er hatte mit dieser Spielerei schon manchen Scherz gemacht, hatte sogar schon manchen Vorteil davon gehabt, zumal wenn ihn sein Detektivberuf unter unzivilisierte Völker führte.

»Wissen Sie nicht, daß es ein Gestein gibt, welches die am Tage aufgesaugten Sonnenstrahlen wieder ausstrahlt, und daß die heutige Chemie hieraus eine Farbe herstellt, welche diese Eigenschaften in noch viel größerem Maßstäbe besitzt?«

Nein, der Jäger, welcher alljährlich nur für eine Woche in eine Stadt kam, hatte noch nichts davon gehört, diese Erfindung war ja auch noch sehr jung.

Nobody zeigte ihm noch das leuchtende Zifferblatt seiner Taschenuhr, und dann stimmte Cumming ihm bei, daß es sich hier um Menschen handle, welche sich mit einer solchen oder ähnlichen Substanz anmalten und als Skelette auftraten, die alte Sage von der Wiederkehr der Ermordeten als Gerippe benutzend, um die Bewohner jener Gegend zu ängstigen.

Aber aus welchem Grunde? Handelte es sich dabei nur um einen schlechten Scherz? Und wer waren die Personen, welche, schon ziemlich weit im Innern Afrikas, von dieser leuchtenden Farbe wußten, sie besaßen und zu solchem Geisterspuk benutzten?

»Lassen Sie mich erst noch einige Fragen stellen, ehe ich Ihnen mein Urteil hierüber sage. Offenbar sind die Skelette doch auch von den Bewohnern der Flußufer gesehen worden, das ist dem Ukangara zu Ohren gekommen, dieser hat den Befehl gegeben, die Ufer zu räumen, man will den Spuk, den in Erfüllung gegangenen Fluch wenigstens nicht mehr sehen, wenn man ihn dadurch auch nicht abwenden kann.«

»So ist es ganz sicher,« bestätigte Cumming.

»Ist das noch derselbe Zauberer, den Sie damals geheilt haben?«

»Nein, der ist gestorben. Der jetzige soll ein Mann sein, welcher dem krassesten Aberglauben huldigt. Es könnte ja sein, daß dieser erst den Spuk arrangiert hat, um sich beim Volke ...«

»Bitte, wollen Sie Ihr eignes Urteil noch zurückhalten. Wurden Sie nicht an dem Weitermarsch in der Richtung nach dem Strome gehindert?«

»Nein. Kein Verbot und gar nichts, man ließ mich absolut nicht merken, daß man um einen Spuk wußte. Nur das Benehmen der ganzen Bevölkerung war im allgemeinen ein scheues. Erst auf der andern Seite merkte ich etwas. Hier war das bisher angebaute Flußufer ebenfalls in einer Breite von etwa vier englischen Meilen von den Bewohnern geräumt worden. Als ich nun diese Grenze erreichte, wieder auf Neger traf, erzählte man mir abermals nur von dem Befehle des Ukangara, die Stromufer zu verlassen, ohne Angabe des Grundes, man habe einfach zu gehorchen – dann aber versuchte ein Dorfvorsteher mich vorsichtig auszufragen, ob ich nicht an dem Strome ein besonderes Abenteuer erlebt habe. Doch das tat er eben so vorsichtig, daß ich, hätte ich die Skelette nicht zufällig gesehen, gar nicht auf den Verdacht gekommen wäre, es läge hier ein Spuk vor.«

»Da ist doch eigentlich merkwürdig, daß man Ihnen den Durchmarsch durch das Land nicht gleich verboten hat.«

»Das ist nicht gut angängig. England hat schon lange ein Auge auf dieses reiche Gebiet geworfen. Es fehlt ihm nur ein Grund, den Frieden zu brechen und Koran zu annektieren. Durch dieses führen wichtige Handelsstraßen, dem öffentlichen Verkehr übergeben; eine Sperrung derselben würde den Engländern gleich einen Grund zur Annektierung geben ...«

»Aha! Ich verstehe! Das genügt mir. Wo hätten Sie Ihre Nachforschungen auf eigne Faust begonnen?«

»In der Höhle, aus welcher der Strom hervorkommt. Die Skelette saßen offenbar in einem Boote, sie mußten aus der Höhle gekommen sein, welche von meinem Verstecke nur eine englische Meile weit entfernt war.«

»Sind Sie unterdessen schon in dieser Höhle gewesen?«

»Nein. Ich überzeugte mich später, daß ein heimliches Eindringen in dieselbe unmöglich war, so gut wurde sie bewacht, und die Schilderung des Ukangara hatte meine Neugier beseitigt. Es gab darin gar nichts zu sehen.«

»Der Kai-Felsen ist von außen unbesteigbar?«

»Vollständig. Nur durch den innern Schacht.«

»Und oben hausen Raubvögel?«

»Es wimmelt dort von ihnen. Die jährlichen Todesopfer haben sie in zahllosen Schwärmen angelockt, und sie bleiben ja dort oben ungestört.«

Plötzlich sprang Nobody auf und begann in dem kleinen Gemach mit kurzen Schritten auf und ab zu gehn. Schon längst war er von einer gewaltigen Erregung befallen worden. Doch er hatte sich bisher so zu beherrschen gewußt, daß auch die scharfen Augen des Jägers nichts davon bemerkt hatten. Jetzt erst machte sie sich Luft, Nobody erstreckte den Spaziergang auch einmal durch den Salon, und als er zurückkam, blieb er vor Gordon Cumming stehn.

»Es ist wunderbar! Wunderbar!!« stieß er im leisesten Flüstertone hervor. »Nein, an Geister glaube ich nicht – wohl aber an eine Bestimmung des Schicksals im menschlichen Leben, und hier liegt eine solche vor. Sir Cumming, es war bestimmt vom Schicksal, daß wir uns hier in Afrika treffen sollten! – Wissen Sie, daß in den Koulyeld-Minen Diamanten auf eine rätselhafte Weise entwendet werden?«

Ja, der Jäger wußte darum, aber die Aufregung des Detektivs konnte er sich deswegen nicht erklären.

»Nun, ich habe dieses Rätsel gelöst, aber nur den ersten Teil, und um den andern zu lösen, dazu hat mich das Schicksal hier mit Ihnen zusammengeführt, auf daß Sie mir Ihr Abenteuer mit den Skeletten erzählen sollten. Hören Sie mich an!«

Noch lange blieben die beiden in flüsterndem Gespräch in dem kleinen Kabinett zusammensitzen, bis sie von der Gesellschaft endlich vermißt und aufgesucht wurden, und da hatten sie ihre Verabredung schon getroffen.

 

Mr. Veit Lazar hatte gerade seine Morgentoilette beendet, als ihm ein Herr angemeldet wurde, der ihn zu sprechen begehre, und da Lazar durch das Fenster in dem Kommenden schon Nobody erkannt hatte, wurde dieser sofort vorgelassen.

Der alte Jude stellte sich höchst erzürnt. Gestern hatte er zu seinem Gaste wegen der faulen Eier nichts gesagt, es kam erst heute.

»Sie kommen zu holen Ihr Geld? Ich werde Ihnen ziehen ab ßwanzig Pfund Sterling für einen Frack und für eine Hose, was Sie mir haben ruiniert.«

»Sie können ziehen ab mir ßwanzig Pfund Sterling, aber ich werde kommen zu Ihnen, um mir zu holen 50.000 Pfund Sterling.«

Mr. Lazar achtete nicht darauf, daß jener ihm nachäffte, er hatte nur die große Zahl gehört, und natürlich glaubte er seinen Ohren nicht recht trauen zu dürfen.

»Was wollen Sie?«

»50.000 Pfund Sterling! Ich weiß, daß Ihr Scheck bei der Bank von England gültig ist, und bitte mir einen solchen über 50.000 Pfund Sterling ausschreiben zu wollen.«

Der Jude sah sich schon mit ängstlichen Augen nach Hilfe um.

»Waih geschrien, Sie sind meschugge!«

»Mit nichten. Ich bin auch nicht voll des süßen Weines, da die bekannte zehnte Stunde noch nicht gekommen ist. Sie haben doch eine Prämie von 10.000 Pfund für die Entdeckung ausgesetzt, auf welche Weise aus Ihren Mienen die Diamanten verschwinden. Nun, ich bin mit 10.000 Pfund nicht zufrieden, ich verlange 50.000, und das ist die Sache auch wert.«

Sofort verschwand die Angst des Juden; mit großen Augen blickte er den Sprecher an.

»Soll das heißen, daß Sie wissen, auf welche Weise gemaust werden die Diamanten aus den Minen?«

»Jawohl, das soll es heißen!«

»Sie wissen es?«

»Ich weiß es,« nickte Nobody.

Auf des Juden fetten Zügen trat ein ungläubiges Lächeln hervor.

»Mein lieber Herr, ich habe Sie schon gefragt, ob Sie sind bereits gewesen in Südafrika ...«

»Lassen wir das doch!« unterbrach ihn Nobody nachlässig. »Ich bin eben nicht nur ein Hokuspokusmacher, sondern auch ein Detektiv – kurz und gut, ich habe es herausgebracht, wie die Diamanten aus den Minen entwendet werden, und ich bin mit 10.000 Pfund nicht zufrieden, ich verlange 50.000.«

Nobody sah, wie der Jude mit sich rang, um einer gewaltigen Aufregung Herr zu werden und ... Nobody las hinter der Stirn jenes auch schon einige besondere Gedanken.

»Auf welche Weise werden sie gemaust?« erklang es dann lauernd.

»Auf eine ganz merkwürdige Weise.«

»Wie haißt – auf eine ganz merkwürdige Weise! Sagen Sie es mir!«

»Schreiben Sie den Scheck über 50.000 Pfund aus, dann werden Sie es sofort erfahren.«

»Gott der Gerechte, 50.000 Pfund, Sie sind wirklich meschugge!« ächzte der Jude, und dann begann der Handel.

Denn Nobody blieb diesmal, wie es sonst seine Gewohnheit war, nicht fest bei seiner ersten Forderung, er hatte gewußt, daß er es mit einem Juden zu tun hatte, bei dem es ohne Feilschen nicht abging, und danach seine Forderung eingerichtet. Er ging also herunter, der Jude herauf und so sehr sich Nobody dabei auch beeilte, verstrich doch eine Viertelstunde, ehe sich die beiden bei 30.000 Pfund entgegengekommen waren.

»Gut, schreiben Sie mir einen Scheck über 30.000 Pfund aus!«

»Wie haißt – erst muß ich wissen, ob es auch ist gut, was Sie mir werden sagen. Ich werde Ihnen geben eine Zusicherung.«

»Nix Zusicherung,« ahmte Nobody mit einer entsprechenden Geste dem Juden nach, vielleicht unbewußt, denn so etwas steckt sehr schnell an. »Geben Sie mir den Scheck!«

So ging das wiederum eine Weile fort, bis der Jude nichts mehr einzuwenden hatte, sich hinsetzte und den Scheck über 30.000 Pfund auf den Namen Nobody ausschrieb. Es war eine gewaltige Summe, die da mit etwas Tinte aus Papier in bares Geld verwandelt wurde, aber Mr. Veit Lazars Unterschrift war gültig, jede Bank löste diesen Scheck ein, und Cecil Rhodes hat in diesem Lande, wo bare Münze selten ist, Schecks von hundertfachem Mehrwert ausgeschrieben.

Noch ein kurzer Kampf, ehe der Jude den kostbaren Scheck aus den Händen gab, und die Enthüllung des Rätsels konnte beginnen. Nobody hatte einen Stuhl genommen, erwartungsvoll saß ihm Lazar gegenüber.

Nobody erzählte in einem Zuge, hatte nur wenige Worte nötig.

»Die schwarzen Bergwerksarbeiter wohnen auf den Terrassen. Dort läßt man sie ganz ohne Aufsicht, in der Annahme, daß von dort aus ein Herausbefördern der Diamanten ganz unmöglich ist. Diese Annahme ist falsch. Der größte Fehler ist der, daß man den Negern die Möglichkeit läßt, im Bergwerk gefundene Diamanten heimlich mit hinaus auf die Terrassen, in ihre Hütten nehmen zu können. Auf den Terrassen wimmelt es von Geiern und andern Raubvögeln. Sie sind mit den Diamantendieben verbündet. Die Neger wickeln bei ihren Mahlzeiten die heimlich beiseite gebrachten Diamanten in Fleischlappen und werfen sie den sehr dreisten Raubvögeln vor, diese verschlucken das Fleisch mit Inhalt und fliegen davon, ihren Horsten zu, wo sie im Nest den unverdaulichen Stein wieder von sich geben. Die Neger haben natürlich draußen Helfershelfer, welche die Horste der Raubvögel kennen und dort die Edelsteine aufsuchen. Das habe ich im allgemeinen sehr bald erkannt, und daß dem wirklich so ist, davon habe ich mich überzeugt. Ich habe gestern mittag einen aus der Mine kommenden und nach Norden fliegenden Geier geschossen, schnitt ihm den Magen auf – richtig, er enthielt hier diesen Diamanten.«

Nobody zog aus der Westentasche einen ungeschliffenen Stein und gab ihn dem Juden. Er war größer als eine Haselnuß, und wenn er auch beim Schleifen fast um die Hälfte kleiner werden würde, so repräsentierte er doch noch immer ein ansehnliches Kapital. Nur 10 solcher Steine, und die Prämie von 30.000 Pfund war schon wieder herausgeschlagen.

»Ueberzeugen Sie sich,« setzte Nobody noch hinzu, »daß auf diese Weise wirklich so viel Diamanten aus Ihren Minen entwendet werden; ich habe mir also das Geld ehrlich verdient, und es liegt nur noch an Ihnen, dafür zu sorgen, daß die Neger keine Diamanten mehr aus dem eigentlichen Bergwerk herausschmuggeln können, um sie dann auf den Terrassen von den Raubvögeln weiterexpedieren zu lassen.«

Der Jude hatte den Sprecher immer starr angesehen, auf den Diamanten hatte er nur einen Blick geworfen und sofort erkannt, daß dieser wirklich aus einer Koulyeld-Mine stammte – und jetzt plötzlich sprang er erregt von seinem Stuhle empor, streckte die Hand aus.

»Waih geschrien, geben Sie mir wieder meinen Scheck!!« schrie er.

Nobodys verwundertes Gesicht war ganz angebracht.

»Was wollen Sie? Den Scheck wiederhaben? Soll das etwa heißen, daß ich mir die Prämie mit dieser Enthüllung nicht verdient hätte?«

»Wie haißt verdient! Was Sie mir da haben erzählt, wissen wir schon lange, das hat beobachtet mein Sohn Isaak schon längst. Sie glauben's nicht? Wird es Ihnen mein Sohn sagen selbst. Isaak, Isaakchen!!«

Mit diesem Rufen nach seinem Sohne rannte der würdige Herr hinaus. Langsam erhob sich Nobody von seinem Stuhle, in halbgebückter Stellung blickte er mit einem unbeschreiblichen Gesicht jenem nach. So blieb er noch längere Zeit stehn, immer nach der Tür blickend, bis er endlich auch Worte fand.

»Himmeldonnerwetter!! Ich war ja auf irgend ein Hindernis gefaßt, aber solch eine plumpe Schurkerei – nein, so etwas ist mir denn doch noch nicht passiert, da bleibt die Weltgeschichte doch wirklich stehn!«

Veit Lazar kam wieder herein, ihm nach sein Sohn, der Alte in verjüngter Ausgabe.

»Isaak, wie werden gemaust die Diamanten in unsern Minen?« begann der Vater sofort.

Der Judenbengel brachte es fertig, ein höchst erstauntes Gesicht zu machen.

»Wie haißt, was wirst du noch fragen? Hab' ich es dir nicht schon gesagt? Die Kaffern wickeln ein die Steine heimlich in Fleischlappen und werfen sie hin den Geiern, daß die Vögel sie bringen in ihr Nest, wo man sie holt wieder heraus, sie zu bringen ans den Markt.«

Der alte Lazar machte nach Nobody hin nur eine Handbewegung, welche ausdrückte: na, hab' ich's nicht gesagt?

»Und wann hast du gesehen das?«

»Weiß ich's doch schon seit einigen Wochen; aber hatten wir doch ausgemacht, es zu halten geheim, bis wir wissen, wo sind die Nester der Geier, um zu bestrafen die andern Diebe.«

Jetzt streckte der alte Lazar die Hand wieder nach Nobody aus.

»Haben Sie es gehört? Geben Sie mir wieder meinen Scheck!«

Doch Nobody rührte sich nicht. Er war wirklich zur Statue erstarrt.

»Geben Sie mir wieder meinen Scheck!« wiederholte Veit Lazar schreiend. »Mein Sohn hat es gewußt schon vor Ihnen!«

Da drehte sich Nobody langsam um, dem Fenster zu, beschattete seine Augen mit der Hand und blickte so in die Sonne.

»Wahrhaftig,« erklang es feierlich, »die Sonne bleibt stehn am Himmel – sie erbleicht nicht einmal ob solch einer ungeheuern Lüge!«

»Wie haißt Lüge?!« schrie der Alte erbost. »Wir werden beweisen Ihnen, wer hier recht hat, und wer hier ist der Lügner!«

Isaak Lazar aber hob die rechte Hand und sagte in dem feierlichsten Tone, dessen seine freche Stimme fähig war: »Gott meiner Väter, will ich doch verlieren meine rechte Hand, wenn ich nicht gesprochen habe die Wahrheit, daß ich schon habe gewußt darum.«

»Geben Sie mir meinen Scheck zurück!« schrie der Alte immer wieder. »Und Sie können ihn auch gar nicht einlösen, ich werde ihn machen ungültig!«

Da wußte Nobody, was er zu tun hatte. Er zog den Scheck aus seiner Tasche, zerriß ihn und warf die Fetzen dem Alten vor die Füße, und dann klang es wirklich feierlich, als er noch einmal das Wort nahm: »Ich gehe! Nur noch eins möchte ich sagen. Ich habe in meinem Leben viele Juden kennen gelernt, von denen ich wünschte, daß ich sie meine Freunde nennen dürfte, und dieser Ehrenmänner gedenke ich jetzt, um ihretwillen will ich euch Juden nicht verdammen. Dir aber, Isaak Lazar, wünsche ich einen gnädigen Gott, der deinen Schwur nicht gehört haben will! – Wir sind fertig miteinander.«

Er wandte sich der Tür zu und ging.

 

Bald wußten das Geheimnis alle höheren Beamten. In einer schnell zusammenberufenen, geheimen Konferenz wurde es ihnen mitgeteilt. Nobodys wurde dabei natürlich mit keinem Worte Erwähnung getan. Mr. Isaak Lazar war es gewesen, der schon seit langer Zeit die Wahrheit herausgefunden hatte, wie die Diamanten entwendet wurden, er hatte seine Entdeckung nur für sich behalten oder nur seinem Vater davon Mitteilung gemacht, bis er seiner Sache ganz sicher war. Es war an dem, und jetzt also war es Zeit, daß alle andern Beamten ihre Kräfte daransetzten, um nun auch herauszubringen, wohin die Raubvögel die Diamanten trügen.

Die Aufregung unter den vorstehenden Mitgliedern der Aktiengesellschaft war eine kolossale. Alle begaben sich nach der Mine, um die essenden Neger zu beobachten, aber ganz unauffällig, und jetzt, da man wußte, worauf man seine Blicke zu richten hatte, konnte auch allgemein bestätigt werden, was Nobody auf den ersten Blick erkannt hatte. Hier freilich wurde nur dem Scharfblick des jungen Lazar Bewunderung gezollt.

Auf den Terrassen flatterten Geier und andre Raubvögel in Menge herum. Diese, welche den afrikanischen Dörfern niemals fehlen, fast zu den Haustieren gerechnet werden können, sind überhaupt sehr dreist; hier, wo nur so selten Menschen sich auf der Terrasse befanden und niemand sie störte, waren sie es doppelt. Bis dicht an die Feuer kamen sie heran, um mit Gier die ihnen hingeworfenen Fleischbrocken zu verschlingen.

Ob in diese die Diamanten hineinpraktiziert wurden, das freilich konnte man von hier oben aus nicht erkennen, auch nicht mit dem besten Fernrohr. Daß dies geschähe, das war von Nobody auch nur eine Vermutung gewesen, der scharfsinnige Detektiv hatte sich beim Anblick der Raubvögel eben sofort gesagt, daß mit Hilfe dieser Tiere recht wohl die unterschlagenen Edelsteine aus der sonst von aller Welt abgeschlossenen Mine herausbefördert werden konnten; daraufhin hatte er einen Geier geschossen und durch die Untersuchung des Mageninhaltes seinen Verdacht bestätigt gefunden.

Dasselbe taten jetzt die Beamten. Die besten Schützen erlegten einige von den Minen kommende, nach Norden streichende Raubvögel – immer alles ganz unauffällig, so weit entfernt, daß die Minenarbeiter die Schüsse gar nicht hörten – untersuchten den Mageninhalt.

Zuerst glaubte man, daß sich Nobody oder vielmehr der junge Lazar mit seiner Annahme geirrt habe. In den Magen von vier geschossenen Raubvögeln verschiedener Art wurden zwar Speisenüberreste gefunden, doch kein Diamant. Als man aber einen kleinen, einen sogenannten Kapuzinergeier ausnahm, fand man gleich zwei mittelgroße Diamanten.

Die Versuche wurden fortgesetzt, und so vergewisserte man sich nach und nach, daß es immer nur diese kleinen Kapuzinergeier waren, welche Diamanten im Magen hatten.

»Jawohl, der Vogel, den ich schoß, war auch ein Kapuzinergeier,« behauptete erst jetzt Isaak mit der größten Dreistigkeit. Es wurde darauf weiter kein Gewicht gelegt. Die Beamten ahnten ja schon längst, daß sich der junge Lazar wahrscheinlich nur mit fremden Federn schmücke. Aber wer wagte denn dem zu widersprechen!

Weiter wurde konstatiert, daß nicht alle, sondern nur diejenigen Kapuzinergeier mit Diamanten gefüttert worden waren, welche beim Verlassen der Mine einen ganz bestimmten Strich einhielten, ungefähr einen nordnordwestlichen, und außerdem ...

»Die haben doch alle gestutzte Schwanzfedern!« rief einer der Jäger.

Denjenigen erlegten Raubvögeln, in deren Magen man Edelsteine gefunden hatte, waren sämtlich die Schwanzfedern gestutzt, oder man hatte eine Art von Zeichen, ein Dreieck hineingeschnitten.

Nun war alles klar. Es brauchte bei den Vögeln nicht gerade eine Dressur vorzuliegen, aber jedenfalls handelte es sich nur um bestimmte Kapuzinergeier, deren Horst man kannte und erreichen konnte, diese wurden markiert, die Arbeiter in den Minen kannten das Zeichen, nur diesen Vögeln warfen sie Fleischlappen vor, in die sie Diamanten eingewickelt hatten. Um die Sache zu bemänteln, mochten sie ja auch andern Vögeln Fleisch und Knochen vorwerfen, aber nur die gezeichneten erhielten die entwendeten Edelsteine zum Forttragen.

Jetzt, da man es wußte, konnte man das auch unten in der Mine beobachten, schon mit bloßen Augen. Die kleinen Kapuzinergeier waren die frechsten geworden, eben deshalb, weil sie am meisten gefüttert wurden, und wenn man nun schärfer beobachtete, so konnte man ganz deutlich bemerken, wie die Neger besonders solche mit gestutzten Schwänzen bevorzugten, wie sie dieselben zur Seite lockten, um ihnen ein Stück Fleisch hinzuwerfen, das einen aus dem Bergwerk entwendeten Diamanten enthielt.

Es brauchte also durchaus kein Zufall gewesen zu sein, daß Nobody gerade einen Kapuzinergeier mit dem Revolver erlegt hatte. Er hatte eben schon vorher diese Beobachtung gemacht, daß sich die Neger gerade mit diesen Vögeln beschäftigten, auf einen solchen hatte er es von vornherein abgesehen gehabt, und als ein Kapuzinergeier, von der Mine kommend, über seinen Kopf dahinflog, hatte er ihn mit einer Kugel herabgeholt.

Wie aber sollte man erfahren, wohin die Vögel die Diamanten brachten, wo sie nisteten? Man sah die Davonfliegenden im fernen Aether verschwinden, und durch die Luft ist keine Fährte zu verfolgen.

Doch das war ja sehr einfach. Man nahm einzelne der Neger aufs Korn; es waren drei, von denen man ganz bestimmt behaupten konnte, daß sie gerade solchen Geiern mit markierten Schwänzen Fleischbrocken vorgeworfen hatten, der eine Vogel wurde auch beim Auffliegen gleich erlegt, man fand richtig in seinem Magen einen sehr großen Diamanten. Alle drei wurden ins Verhör genommen, und obgleich dieses mit Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfand, drang doch der ganze Sachverhalt in die Straßen von Graaftsburg. Ob nun ein Vertrauensbruch vorlag oder wie es sonst geschehen war – jedenfalls war alles bekannt, die ganze Stadt und Umgegend sprach davon, und die schwarzen Arbeiter in den Minen zeigten ein scheues, ängstliches Wesen, denn sie mochten schon ahnen, weswegen ihre drei Kameraden fortgeholt worden waren, und was ihr Los sein würde. –

Nobody war gleich, nachdem er Mr. Lazar verlassen hatte, in das Hotel geeilt, in welchem Gordon Cumming wohnte, hatte mit diesem eine längere Unterredung gehabt und war dann wieder auf die Straße gegangen, um weitere Erkundigungen einzuziehn, was der Raub seines Geheimnisses – denn anders kann man die Handlungsweise des Juden doch nicht nennen – für Folgen zeitigen würde.

Gordon Cumming machte sich unterdessen daran, aus dünn geschnittenen Lederstreifen aus der Haut des Nilpferdes eine Peitsche zu flechten, den berühmten oder berüchtigten Schambock, mit dem die Buren die zwölf Zugochsen vor ihrem Treckwagen lenken, und mit dem sie auch ihre schwarzen Diener karbatschen – trotz aller Sympathie, deren sonst die Buren sich auch bei uns erfreuen.

Die Peitsche war schon ziemlich fertig, als Nobody wiederkam. Er sah, wenn nicht verstört, so doch furchtbar ernst aus.

»Mein Gott, das habe ich nicht geahnt!« war das erste Wort, das er hervorbrachte.

»Was haben Sie nicht geahnt?« fragte der Jäger.

»Sie haben sich von der Wahrheit meiner Angaben zu überzeugen gewußt – und da haben die Bluthunde drei der Neger hergenommen, die sie dabei beobachteten, wie sie Geiern Diamanten vorwarfen, und haben sie auf eine scheußliche Weise gefoltert, um von ihnen zu erfahren, mit wem sie im Bunde stehn, wer es ist, der den Vögeln dann die Diamanten abnimmt!«

»Wundert Sie denn das?« meinte Cumming kaltblütig. »Das hätte ich Ihnen vorher sagen können, daß so etwas geschehen wird.«

»Und Sie haben es mir nicht gesagt!« schrie Nobody in förmlicher Verzweiflung. »Dann hätten die Halunken doch natürlich auch von mir nichts erfahren. Oder – sollen wir ihnen unsre Vermutung nicht jetzt noch mitteilen? Den dreien wird freilich nicht mehr zu helfen sein, den einen sah ich schon als Leiche fortschaffen – wie ein Kadaver auf eine Schubkarre geworfen, um ihn irgendwo zu verscharren.«

»Bah, machen Sie sich nichts daraus! Beruhigen Sie sich! Vor allen Dingen machen Sie sich nicht etwa Vorwürfe. So etwas ist hier an der Tagesordnung. Denken Sie denn, das sind die drei ersten, die wegen dieser Diamantensache gefoltert werden? Jeden Tag drei! Und die Schwarzen wissen, daß sie wegen jeder Kleinigkeit einer Tortur unterworfen werden, damit rechnen sie schon, wenn sie sich für ein paar Jahre engagieren lassen, das nehmen sie auf ihr Risiko.«

Diese Erklärung, deren Richtigkeit auf der Hand lag, diente allerdings sehr zu Nobodys Beruhigung. Er brauchte auch gar nicht erst zu fragen, ob so etwas denn gesetzlich erlaubt sei. Nein, natürlich nicht, sondern es ist nach englischem Gesetze streng verboten. Aber wo kein Kläger ist, da ist eben auch kein Richter. So dachte Nobody nur an eine gelegentliche Privatrache.

»Und was haben die Neger im Folterblock denn nun ausgesagt? Haben Sie das erfahren können?«

»Das Volk in den Straßen und in den Schenken scheint sehr gut unterrichtet zu sein. Nein, gar nichts haben sie aus den Negern herausgebracht. Nur der eine von ihnen, wegen seines schwarzgrauen Haares Pfefferkopf genannt ...«

»Pfefferkopf? Den kenne ich. War bis vor einem Jahre Karawanenführer.«

»Das könnte wohl stimmen. Er ist erst vor einem Jahre in die Minen eingetreten, und da hat er nun ausgesagt, er habe kurz vorher die Bekanntschaft eines Negers gemacht, der ganz geheimnisvoll aufgetreten sei, wahrscheinlich ein großer Häuptling – also so eine Art von ›Großem Unbekannten‹ – der habe Pfefferkopf von einer schwarzen Verbrüderung erzählt, von einem Geheimbunde, der ein großes, vereinigtes Negerreich anstrebe, dazu aber brauche man Geld, und nun solle Pfefferkopf als Arbeiter in die Diamantmine gehn und auf die kleinen Kragengeier aufpassen, die in den Schwanz ein Dreieck eingeschnitten hätten, das seien abgerichtete Vögel, denen solle er Fleischstücke vorwerfen, in die er Diamanten einwickle, natürlich ganz unbemerkt, diese Diamanten würden dann im Interesse des einstigen Negerreiches verwendet werden – na, kurz und gut. Sie wissen wohl, worauf es ankommt. Pfefferkopf ist denn auch darauf eingegangen und hat auch noch andre schwarze Minenarbeiter eingeweiht. Aber wer der große Unbekannte gewesen ist, wo den Geiern die Diamanten abgenommen werden, davon, heißt es, will er absolut nichts gewußt haben, das konnten ihm auch die größten Folterqualen, unter denen er verendet ist, nicht auspressen.«

»Dann hat er es auch wirklich nicht gewußt,« meinte Cumming, der unterdessen immer an seiner Peitsche weiterflocht. »Ich kenne Pfefferkopf, er ist im Ertragen von Schmerzen nie ein Held gewesen, und seinen eignen Vater würde er um eine Pfeife Tabak verraten haben. So ist also anzunehmen, daß wir vorläufig allein um das Geheimnis wissen, und wir wollen ...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch. Ein Kellner erschien.

»Mr. Ephraim läßt fragen, ob er Mr. Cumming sprechen darf.«

»Wer ist dieser Ephraim? Kenne ich nicht.«

»Der zweite Direktor von den Koulyeld-Minen,« erklärte der Kellner.

»Empfangen Sie ihn, ich gehe einstweilen in das Nebenzimmer,« sagte Nobody schnell und verschwand.

Der Eintretende war ein älterer Herr, der sich mit kriechender Höflichkeit benahm, viel von der Ehre sprach, den berühmten Jäger sprechen zu dürfen – welches höfliche Auftreten ihm aber zu keinem Stuhle verhalf. Er mußte stehn bleiben, während Cumming im Sitzen weiterflocht.

»Nun, was wollen Sie?« fragte er zwischen den Zähnen hervor, welche die qualmende Tabakspfeife halten mußten.

»Ich wollte den berühmtesten Jäger Afrikas um sein Urteil bitten.«

»Los damit! Machen Sie es so kurz wie möglich, habe keine Zeit.«

»Ist es möglich, zu bestimmen, wo ein Raubvogel nistet, wenn er ...«

»Ah so,« wurde der Sprecher gleich unterbrochen. »Es handelt sich wohl um die Kapuzinergeier, welche die Diamanten fortschleppen?«

»Das ist es!« rief der alte Herr, erfreut ob solch eines Entgegenkommens. »Haben Mr. Cumming schon davon gehört? Ja, wir geben uns der großen Hoffnung hin, daß Sie selbst den Horst dieser Raubvögel ...«

Wiederum brach der Sprecher ab, obgleich der Jäger nur eine Hand erhoben hatte, aber diese deutete nach der Tür, und dann sagte er nur ein einziges Wort: »Naus!«

Mißzuverstehn waren diese Bewegung und dieses Wort nicht, es muß aber bemerkt werden, daß Mr. Ephraim ja noch gar nichts von dem Zwischenfall mit Nobody wußte, und ebensowenig, daß Cumming mit diesem gemeinschaftliche Sache machte.

»Aber ... aber, Mr. Cumming,« stotterte der erschrockene alte Herr.

»Hinaus, sage ich!!«

Der Direktor floh vor dem erhobenen Schambock davon. Doch er kam nur bis zur Tür.

»Halt, noch einen Augenblick!« erklang da eine andre Stimme in weit sanfterem Tone, und Mr. Ephraim blieb noch.

Ein dritter Mann stand im Zimmer; Mr. Ephraim hatte ihn heute schon auf der Straße gesehen, und es war ihm gesagt worden, daß dies der berühmte Detektiv Nobody sei, der gestern abend der Gesellschaft in Lazars Villa so eine wunderbare Vorstellung gegeben habe.

»Sind Sie hier im Auftrage von Mr. Veit Lazar?«

»Ja.«

»So sagen Sie ihm, daß ich, Nobody, imstande bin, den Horst jener Raubvögel aufzufinden, und daß ich ihn auch aufsuchen werde.«

Neue Hoffnungsfreudigkeit kehrte im Herzen des alten Herrn ein. Mit diesem Manne ließ sich wenigstens sprechen.

»Sie können es wirklich?«

»Jawohl, ich werde den Horst dieser Kapuzinergeier, wo sie die entwendeten Diamanten ablegen, mit untrüglicher Sicherheit aufzufinden wissen ...«

»Dem Himmel sei Dank!« rief Mr. Ephraim jubelnd.

»... und ich werde die Herren oder sonst jemanden hinführen. Aber nur unter einer Bedingung!«

»Nennen Sie dieselbe!«

»Ich beanspruche eine Belohnung.«

»Selbstverständlich! Was kommt es uns aufs Geld an, wenn so viel auf dem Spiele steht! Nennen Sie die Summe, welche Sie verlangen!«

»Ich verlange kein Geld, sondern meine Belohnung soll darin bestehn, daß ich –« hier nahm Nobody dem Jäger die Peitsche aus der Hand und ließ sie durch die Luft pfeifen – »daß ich dem alten Lazar, wie auch seinem vortrefflichen Herrn Sohne mit diesem Schambock ein Dutzend Hiebe aufzählen darf, jedem ein Dutzend – nicht elf, nicht dreizehn – gerade ein Dutzend. Gehn Sie hin und fragen Sie die beiden, ob sie damit einverstanden sind! Wenn ja, dann führe ich sie zu dem Geierhorst.«

Mr. Ephraim war sich nicht im unklaren, daß dieser Mann wirklich im Ernste sprach, er sah es ihm gleich an den funkelnden Augen an, und jetzt ließ er sich nicht wieder in seiner Flucht aufhalten.

»Bravo, das haben Sie gut gemacht!« lachte Gordon Cumming. »Aber nun heißt es vorsichtig sein und die Augen offen halten.«

»Weswegen?«

»Nun, Sie haben ihm doch gesagt, daß Sie den Geierhorst aufspüren können; die wollen doch nun wissen, wie Sie das machen, und wir sind hier in einem Lande, wo Gewalt vor Recht geht, wo allein jener Jude zu befehlen hat, und dem kommt es nicht darauf an, auch einmal einen Weißen, von dem er etwas erfahren will, der Tortur zu unterwerfen.«

»Daran habe ich bereits gedacht, und ich werde gegen alle Fälle gerüstet sein; mich sollen die Spitzbuben weder mit Gewalt noch mit List bekommen,« entgegnete Nobody.

 

Die Vorsicht, welche er aufgewendet hatte, um einer ihm gestellten Falle zu entgehn, wäre jedoch nicht nötig gewesen. Nobody, wie Cumming trafen ihre Vorbereitungen zur schnellen Abreise, ohne im geringsten daran behindert zu werden.

Der Grund, weshalb man dies nicht tat, lag klar auf der Hand. Nobody hatte doch gesagt, er könnte den betreffenden Geierhorst aufsuchen, und er würde es tun – und da hielt man es für das beste, ihn ruhig gehn zu lassen – natürlich um ihm zu folgen. Eingeborne Jäger, welche jede Spur zu verfolgen verstanden, gab es in dieser Gegend genug. Auf diese Weise würde Nobody die Eigentümer der Diamanten dennoch dem Ziele zuführen.

Da hieß es, so schnell als möglich zu handeln, um jenen möglichst zuvorzukommen. Am späten Nachmittag war der Direktor bei ihnen gewesen, und am Abend brachen die beiden schon nach Norden auf, hatten sich unterdessen mit allem versehen, was sie zu ihrer Expedition brauchten, vor allen Dingen hatte Nobody in der Stadt auch ein kleines, ledernes Boot aufgetrieben, welches zusammengefaltet auf einem dritten Pferde, das noch manches andre tragen mußte, mitgenommen ward.

So rückten sie noch vor Anbruch der Dunkelheit ab; das erste Nachtlager, welches mehr wegen der Pferde nötig war, wurde schon in der öden Sandsteppe einer vollkommenen Wildnis gehalten, und wegen der etwaigen Verfolger durfte nicht einmal ein Feuer angezündet werden.

Was für ein Ziel nun Nobody im Auge hatte, wo er die Ablagerungsstätte der Diamanten bestimmt zu finden glaubte, darüber wird der geneigte Leser nicht im Zweifel sein.

Als Nobody die Tatsache konstatiert hatte, daß es Geier waren, welche die Edelsteine entführten, stand er vor dem Problem, wie die Spur eines Vogels zu verfolgen ist, um dessen Horst zu finden. Aber er vermochte dieses Problem nicht zu lösen. Etwa den Geiern so nachgehn, die Nase immer in der Luft, das geht leichter auf dem Papiere als in der Wirklichkeit. Der phantastische und doch so praktische Nobody war sogar auf ganz seltsame Ideen gekommen. An die amerikanischen Honigsammler hatte er gedacht, welche die Biene, die sie verfolgen wollen, mit Schwefelblume anblasen, sogar sein javanisches Eichhörnchen hatte er verwenden, es auf einen auffliegenden Geier werfen wollen.

Aber das waren eben alles phantastische Projekte gewesen. Dann, als er hörte, daß er den berühmten afrikanischen Jäger, in der Gesellschaft treffen würde, hatte er sich diesem offenbaren und ihn um Rat fragen wollen.

Da nun erzählte ihm Cumming von den Skeletten, und was damit zusammenhing, und Nobody zweifelte nicht daran, daß diese Skelette mit der Entwendung der Diamanten im engsten Zusammenhange ständen; auf dem unbesteigbaren Kalkfelsen, auf dem so viele Raubvögel horsteten, würde man wohl auch den Schlüssel zu dem Geheimnisse finden.

Zwar war es nur eine Vermutung, aber, wie gesagt, Nobody glaubte sich nicht darin zu irren.

In beschleunigten Eilmärschen, lediglich den Pferden die notwendigste Ruhe gönnend, wurde die Tour zurückgelegt, immer durch eine menschenleere Sandsteppe, nur mit Antilopen bevölkert, bis am sechsten Tage die Gegend fruchtbarer wurde und sie in das Gebiet der Korais kamen.

Hatte sich Gordon Cumming unterwegs immer gewundert, in seinem Begleiter, der noch niemals in Südafrika gejagt haben wollte, einen Jäger kennen zu lernen, der ihm in nichts nachstand, so kannte sein Staunen keine Grenzen, als Nobody eines Abends ein schwarzes Dorfoberhaupt, als er mit dem Arabisch sprechenden Neger allein war, in hypnotischen Zustand versetzte.

Allein Nobody erfuhr sehr wenig von dem Manne.

Der Befehl des Ukangara, die Stromufer zu verlassen, hing in der Tat mit dem Erscheinen der Skelette zusammen. Der Dorfhäuptling selbst hatte sie nicht erblickt, wohl aber einige andre aus seinem Dorfe, der Ukangara hatte sich von der Wahrheit des Gerüchtes überzeugt, der Schreck war groß, und da also war der Befehl gekommen, die Flußufer zu räumen.

Mehr konnte der Hypnotisierte nicht aussagen, und ebensowenig wußte er, ob man die Skelette schon wieder einmal gesehen hatte. Nobody bezweifelte es, denn der Verkehr zwischen den beiden Ufern fand nur noch auf einem einzigen Wege statt, der hinter dem Kai-Felsen, den man sich schon in der Ferne erheben sah, über den Strom führte, und dorthin würden die Skelette ihre Expeditionen wohl nicht ausdehnen. Wenigstens glaubte Nobody einen Grund zu der Annahme zu haben, daß die Diamantenräuber vom Kai-Felsen nur stromab und wieder zurückführen.

Man hatte die Gastfreundschaft des Dorfhäuptlings am Abend beansprucht, und die beiden Jäger ließen sich nicht abhalten, ihren Weg noch vor Anbruch der Nacht fortzusetzen. Uebrigens war Gordon Cumming hier ja schon seit Jahren bekannt, den konnten nächtliche Raubtiere nicht abschrecken.

Dieses Dorf war das letzte an der neuen Grenze des bewohnten Gebietes gewesen, so hatte man also nur noch vier englische Meilen bis zum Flußufer. Wohl stand über dem Horizont ein Viertel des Mondes, wohl verfolgten die Reisenden einen etwa bis vor neun Monaten viel begangenen Pfad – aber wenn Gordon Cumming diesen nicht seit 30 Jahren alljährlich zweimal betreten hätte – Nobody allein hätte trotz seiner Argusaugen und seines sonstigen Spürsinnes bald weder ein noch aus gewußt, eine solch undurchdringliche Finsternis herrschte in dem Walde, den sie passieren mußten, und von einem Wege war keine Spur mehr zu entdecken, der tropische Graswuchs hatte schon längst alles überwuchert. Außerdem nun hatten sich in dem verlassenen Gebiete, das so recht für sie geschaffen war, Löwen und andre Raubtiere zahlreich wieder eingestellt und machten ihr Nachtkonzert, so daß die beiden Reiter genug zu tun hatten, ihre zitternden Pferde im Zaume zu halten.

»Hier ist die Stelle, an welcher ich im Schilfe lag, als ich die Skelette vorüberfahren sah,« flüsterte Cumming.

Nobody hatte die Nähe des Stromes schon an dem modrigen Geruch wahrgenommen, jetzt sah er den Wasserspiegel zwischen dem Schilf im Mondschein blinken.

Die beiden stiegen ab und begannen sofort, das lederne Boot abzuladen und gebrauchsfähig zu machen.

Denn wie sie vorgehn würden, das hatten sie schon unterwegs zur Genüge verabredet, wobei sie an den gegenwärtigen Mondschein und an alles gedacht hatten.

Nobody wollte von hier aus erst allein als Kundschafter im Boot nach dem nur noch eine Viertelstunde entfernten Felsen fahren und ihn von innen erklimmen. Einer mußte unter allen Umständen draußen bleiben, denn man wußte nicht, was dem andern zustoßen würde. Ein Schuß mußte hier noch gehört werden, selbst wenn er im Innern des Felsens abgefeuert wurde. War Nobody bis zu Tagesanbruch noch nicht zurück, so war ihm etwas passiert, und dann mußte Cumming ihm unter allen Umständen zu Hilfe kommen. Im übrigen werden wir an der Ausführung sehen, was die beiden ausgemacht hatten.

Nobody war mit allem ausgerüstet, was er zu seiner Expedition brauchte, die ihn in ein dunkles, rätselhaftes Etwas führen sollte; noch ein Händedruck, er stieg ins Boot und handhabte das eine Ruder, mit welchem er das Wasser hinter das Boot drückte, und Cumming sah ihn in der finstern Nacht verschwinden.

Die Strömung war eine sehr schwache, schnell kam Nobody vorwärts. Die Wasserfläche lag im Schatten, oben vom Felsen aus konnte das kleine Boot unmöglich gesehen werben. Aber wenn die ›Skelette‹ nun am Rande oder in der Höhle selbst eine Wache ausgestellt hatten? Es half alles nichts, Nobody mußte es riskieren; denn es hatte keine Möglichkeit gegeben, sich vorher von dem Vorhandensein einer etwaigen Wache zu überzeugen, man konnte eben, wie Cumming bestimmt wußte, nur vom Wasser aus in die Höhle eindringen, und ringsherum war alles Sumpf.

Doch ungehindert lenkte Nobody sein Lederboot in die Höhle ein, alles war totenstill, und nun hielt er es schon nur noch für ein kleines Wagnis, einen Strahl seiner bis dahin verdeckten Blendlaterne vorauszusenden.

Er beleuchtete graue, glatte Felswände, die Decke, so niedrig, daß ein im Boote stehender Mann sie mit der Hand erreichen konnte, zeigte hin und wieder schachtähnliche Löcher, welche das auf dem Plateau sich ansammelnde Regenwasser durchgewaschen hatte.

Des Kundschafters wartete jetzt eine schwere Arbeit. Er mußte erst den Schacht suchen, der von Natur aus und durch Arbeit von Menschenhänden nach oben geführt worden war. Cumming konnte gar nicht sagen, wo sich dieser befand, er hatte damals, als ihm der Ukangara davon erzählt, weiter kein Interesse dafür gehabt, und von dem Dorfhäuptling in seinem hypnotischen Zustand hatte Nobody nur erfahren können, daß man im Boote etwa zehn Minuten weit fahren müsse, bis man zu dem Schachte gelange, in dem eine Leiter befestigt sei.

So drang Nobody immer tiefer in die Höhle ein. Nun war diese aber fast 100 Meter breit, und überall zeigten sich an der Decke solche Löcher, und wenn Nobody auch die kleinen gar nicht beachtete, so mußte er doch immer wieder hin und her fahren.

Er hatte Glück. Das kleine Loch dicht an der rechten Wand hätte er am allerwenigsten für den betreffenden Schacht gehalten. Es war ein Zufall gewesen, daß er gerade darunter hinweggefahren, ein Zufall, daß er, den Blendstrahl nach oben gerichtet, gerade hinaufgeblickt hatte.

Da sah er zwei goldig schimmernde Stäbe hinauslaufen, dazwischen Querleisten – eine Leiter – nicht von Eisen, sondern von Kupfer – das mußte der gesuchte Schacht sein!

Das Boot war schnell an der letzten Sprosse angebunden. Aber durfte es hier liegen bleiben?

Wenn nun einige der geheimnisvollen Felsbewohner draußen waren und gerade heute nacht zurückkehrten, wenn man überhaupt sein Boot hier fand?

Nein, es mußte fort. Nobody knüpfte es wieder los, band dafür ein kurzes, stärkeres Seil an der Leiter fest, das er herabhängen ließ, und ruderte weiter stromaufwärts, und siehe da, die bisher glatten Felswände wurden nach und nach immer zerklüfteter, geräumige Höhlen zeigten sich, und in eine, welche Nobody für das sicherste Versteck hielt, steuerte er sein Boot. Befestigen konnte er es nicht, es fehlte jeder Felsvorsprung, aber das war auch nicht nötig, die Strömung drückte es gegen die Innenwand der Höhle, und so lag es ganz sicher.

Jetzt befestigte Nobody den Revolver, die Munitionstasche und die brennende Blendlaterne auf seinem Kopfe, was er sonst brauchte, hatte er bei sich, und so ließ er sich über den Bootsrand in das dunkle Wasser hinab und schwamm mit langen Stößen stromab. Die Stelle, an welcher das Seil herabhing, hatte er sich wohl gemerkt, auch leuchtete ihm ja die Laterne, welche er aber jeden Augenblick verlöschen konnte.

Es war nicht nötig, nichts störte die finstre Ruhe. Er kletterte an dem Seil hinauf, knüpfte es hinter sich ab, stieg weiter die Leiter empor, der Schacht machte gleich eine starke Biegung, er umkletterte die Ecke, und ...

Wohl jeder andre hätte vergessen, sich an der Leiter festzuklammern, wäre gleich wieder hinabgestürzt, und hätte Nobody nicht schon einmal etwas ganz Aehnliches erlebt, und hätte er überhaupt nicht schon gewußt, welcher Hilfsmittel sich diese ›Skelette‹ bedienten, so wäre es ihm wohl nicht anders gegangen.

Als er um die Ecke gebogen war, fletschte in seiner nächsten Nähe ein scheußliches Ungeheuer ihm die Zähne entgegen, hell leuchtend aus der Finsternis hervortretend.

Wie gesagt, ein andrer hätte sich nicht erst die Mühe genommen, dieses Ungeheuer näher zu studieren. Nobody aber konstatierte, daß es nur ein Drachenkopf war, den die intelligenten Felsenbewohner mit einer leuchtenden Farbe an die Wand gemalt hatten, der Hinterleib und der Schwanz waren nur mit kurzen Strichen angedeutet, es war mit wirklich künstlerischem Geschick eine recht wirksame Perspektive erzielt worden. Der Beschauer glaubte in eine große Höhle zu blicken, welche das riesige Ungeheuer ganz ausfüllte, bereit, jeden Eindringling zu verschlingen.

»Dieser Perspektiven-Künstler war sicher kein Neger,« brummte Nobody, als er seine Kletterpartie an dem Ungetüm vorbei fortsetzte.

Nun aber konnte er den vorausgeschickten Blendstrahl erst recht nicht vermissen. Der Drache war doch offenbar nur deshalb an die Wand gemalt worden, um einen fremden Eindringling vom Betreten des Schachtes zurückzuschrecken. Sollten aber die intelligenten Felsbewohner, welche schon die neueste Erfindung der Farbentechnik kannten und benutzten, nicht noch andre Mittel angewendet haben, um einem Fremden das Eindringen unmöglich zu machen oder wenigstens vor ihm rechtzeitig gewarnt zu werden? Da hieß es aufpassen, daß man nicht in Stricke und Gruben fiel oder an einen Draht stieß, der vielleicht eine Klingel in Bewegung setzte, und da war die Blendlaterne in dieser Stockfinsternis unbedingt nötig.

Nobody hatte den Felsen rund 150 Meter hoch geschätzt, eine ganz beträchtliche Höhe, und er klomm äußerst langsam empor, um ja rechtzeitig jedes Hindernis zu erspähen. Aber ein solches wollte sich nicht zeigen. Endlos stieg die Leiter jäh empor, aus purem Kupfer gefertigt, woran die Landschaft Koran reicher ist als an Eisen. Absätze gab es nicht, aber der Schacht war so eng, daß man sich bequem mit dem Rücken gegen die Wand lehnen und so ausruhen konnte.

Da sah der immer in die Höhe blickende Kletterer die Leiter oben plötzlich aufhören. Der Schacht war zu Ende, er wurde von einer Felsendecke abgeschlossen. Aber das war nur scheinbar, Nobody brauchte sich mit keiner Falltür, an welche er zuerst gedacht hatte, zu beschäftigen, der senkrechte Schacht setzte sich nur rechtwinklig fort.

Eine kurze Zeit mußte Nobody auf Händen und Füßen kriechen, dann konnte er sich wieder aufrichten und ... da sah er etwas, was sein Mißtrauen in hohem Maße erregte.

Der wagerechte Gang war nur etwa dreiviertel Meter breit, er endigte in einer geräumigen Höhle, und kurz vor dem Eingang zu dieser lag am Boden ein Brett, welches genau in den schmalen Gang paßte und ungefähr zwei Meter lang war. Da es nun auch in den Felsen eingelassen war, so daß es gar nicht hervorstand, so wäre Nobody mit unfehlbarer Sicherheit daraufgetreten.

Schließlich sah das Brett ja ganz harmlos aus, aber Nobody hätte sich dennoch gehütet, daraufzutreten, auch wenn er nicht den grünumsponnenen Kupferdraht bemerkt hätte, der unter dem Brette hervorkam, an der Wand emporlief und in ziemlicher Höhe in einem Loche in der Wand verschwand.

»Ich will der allerdümmste Detektiv sein, wenn das nicht eine verdammte Falle ist,« brummte Nobody, mit dem Blendstrahl die Wände ableuchtend, »und mich soll es gar nicht wundern, wenn die nicht eine elektrische Batterie besitzen, welche beim Drauftreten eine Höllenmaschine oder so etwas Aehnliches explodieren läßt.«

Doch es half nichts, wollte er weiter, so mußte er über das Brett hinweg, was denn auch mit einem kleinen Satze geschehen war, auf die Gefahr hin, daß es doch noch irgendwo knallte.

Nein, es knallte nicht, Nobody befand sich in der geräumigen Höhle, in der sich einst viel Regenwasser angesammelt hatte, bis dieses sich nach unten einen Abfluß erzwungen. In der Mitte führte nach oben wieder ein Schacht, und durch diesen, der höchstens noch zehn Meter hoch war, drang das helle Mondlicht herein.

Nobody verlöschte die Laterne, machte dafür seinen Revolver schußbereit, um gegebenenfalls aus diesem einen Feuerstrahl senden zu können, und kletterte die letzten zehn Meter hinauf.

Vorsichtig steckte er den Kopf durch die Schachtöffnung. Er erblickte ein kleines Plateau, von einem natürlichen Wall umgeben, sowie zwei von Brettern aufgeführte Hütten, aber kein Mensch war zu sehen, nichts regte sich.

Mit einem katzenähnlichen Sprunge war Nobody zum Schachte hinaus und lag im Schatten der nächsten Hütte, schmiegte sich an die Bretterwand. Der Sprung hatte keine Folgen gehabt. Nach einer Weile schlich er wie eine Schlange um die Hütte herum, lüftete die Leinewand, welche den Eingang verhüllte, steckte vorsichtig den Kopf hindurch. Durch eine Spalte drang der Mondschein, Nobody sah mit Decken belegte Lagerstellen, aber keinen Menschen darauf.

Wir wollen es kurz machen. Noch eine halbe Stunde schlich Nobody so auf dem Plateau und auch außerhalb desselben, auf einem zerklüfteten Terrain, umher, und dann gab er seine Vorsicht auf, denn er war überzeugt, daß sich überhaupt niemand hier oben befand.

Jetzt betrat Nobody mit brennender Laterne die größere der beiden Hütten. Hier hatten die Felseneinsiedler geschlafen, gewohnt. Aus den Lagern und noch andern Anzeichen konnte er beurteilen, daß es ihrer sieben gewesen waren – so viel, wie Cumming vor fünf Wochen Skelette erblickt hatte. Außer einigen Decken, Kleidungsstücken und andern Sachen fand er in dieser Hütte noch einigen Proviant, einen Sack mit Hartbrot, Büchsen mit präserviertem Fleisch und eine mit kondensierter Milch, ferner einen großen Spirituskochapparat. Das war begreiflich, denn Holz würden sie hier oben wohl schwerlich zur Verfügung haben.

Ferner entdeckte Nobody eine Flasche, auf welcher stand: Smitts weiße Patent-Leucht-Farbe – und dann mehrere schwarze Trikotanzüge, auch mit Vorrichtungen zum Verhüllen des Gesichtes und der Fingerspitzen, zwar schon sehr defekt, aber noch immer konnte man auf ihnen deutlich die Zeichnung eines menschlichen Skelettes wahrnehmen.

»Hiermit ist der Beweis geliefert, daß sich unter den Skeletten weißfarbige Menschen verstecken, oder daß sich doch unter ihnen auch solche befinden. Sie malen sich nicht schwarz an, sondern sie tragen bei ihrem Spuk schwarze Trikots, auf die sie mit leuchtender Farbe die Knochengerippe gezeichnet haben.«

Noch etwas andres muß erwähnt werden, weil es auch in Nobodys Tagebuch betont ist: in dieser Hütte und überall wimmelte es von jenen kleinen Insekten, welche so gut springen und so niederträchtig beißen können. Das machte offenbar die dichte Nachbarschaft der vielen Raubvögel. Aus den Lumpen sprangen sie ihm gleich myriadenweise entgegen, und da Nobody nicht gegen die Stiche der kleinen Tiere gefeit war, hätte er am liebsten Reißaus genommen.

Aus alledem und aus besondern Anzeichen glaubte Nobody annehmen zu dürfen, daß die Bewohner das Plateau schon vor längerer Zeit verlassen hatten und seitdem nicht wieder hier gewesen waren. Vielleicht hatte Gordon Cumming vor fünf Wochen ihren Auszug beobachtet.

In der andern Hütte fand Nobody Vorrichtungen, um Diamanten schleifen zu können. Die Schleifplatte, Diamantstaub, ein Apparat, um Blei zu schmelzen, in welches die zu schleifenden Steine gespannt werden – alles war vorhanden. Aber das Diamantenschleifen ist eine gar schwierige Sache, ganz abgesehen davon, daß hierzu eine besondere Kunstfertigkeit gehört – jedenfalls war es nur bei einem Versuche geblieben, den rohen Steinen gleich hier den Schliff zu geben.

Unterdessen war es Mitternacht geworden, und Nobody dachte an den Freund, der unten mit Sorgen auf seine Rückkehr wartete. So begab er sich wieder hinab, und diesmal nahm die Klettertour kaum fünf Minuten in Anspruch.

Dann mußte er natürlich wieder ins Wasser und stromaufwärts bis zu seinem Boote schwimmen. Als er es endlich aus der Höhle heraussteuerte, in ziemlicher Nähe des Ufers, hörte er einen leisen Pfiff, dem das Heulen eines Schakals folgte, das war Gordon Cumming, welcher seinen alten Platz verlassen hatte. Nobody ruderte an das Ufer und traf mit dem Jäger zusammen. Dieser hatte die Helligkeit des höhergekommenen Mondes benutzt, um das Ufer zu erforschen, hatte in dem Kalkfelsen, dicht neben dem Eingang zur Höhle, eine geräumige Grotte entdeckt, in der jetzt die drei Pferde untergebracht waren.

So beschloß Nobody, sofort wieder nach dem Plateau zurückzukehren, seinen Begleiter mitnehmend, um bei Tagesanbruch die Untersuchung des Felsens fortzusetzen. Abermals wurde keine Vorsicht außer acht gelassen, das Boot wurde erst in jener Höhle versteckt und das von dem Schacht herabhängende Seil schwimmend erreicht, und zehn Minuten später betraten beide Männer das Plateau.

«Ich gestehe,« sagte Gordon Cumming, »daß schon das gemalte Ungeheuer genügt hätte, um mir das Betreten des Schachtes ein für allemal zu verleiden.«

Da der Mond inzwischen untergegangen war, konnten sie vorläufig nichts mehr tun, sie wollten die wenigen Stunden bis zum Tagesanbruch schlafen. Die Hauptsache war, daß sie sich schon am Ziele befanden. Cumming lagerte sich wie ein Gemsbock am äußersten Rande des Plateaus, Nobody legte zwei Bretter über den Schachteingang, so daß dieser vollkommen geschlossen war, und diese zwei Bretter dienten ihm als Bett.

Das heisere Gekrächz von zahllosen Raubvögeln weckte die beiden. Das Licht der aufgehenden Sonne änderte an dem Aussehen des kleinen Plateaus nichts; aber unbeschreiblich schön war der Blick, den man von dieser Höhe auf die im Morgenrot gebadete Umgegend hatte.

Zunächst konstruierte Nobody mit Hilfe eines seiner beiden Revolver und einer Leine eine ebenso einfache wie sinnreiche Alarmvorrichtung über dem Schachteingange. Die Bretter blieben darüber liegen; wenn jemand von unten heraufkam, so mußte er sie erst beiseite schieben, wodurch sich ein Schuß gelöst hätte.

Nach dieser Vorsichtsmaßregel verließen sie das Plateau und betraten die eigentliche Region der Raubvögel, ein wildzerklüftetes Felsengebiet, ein kleines Gebirge für sich. Ueberall hatten die Geier, welche vorherrschten, allerdings in den verschiedensten Arten, ihre Nester hingeklebt, sowohl gleich am Boden wie auch auf unerreichbaren Felsspitzen. Besonders am Rande eines Kessels befand sich ein Nest am andern, aus Reisig aufgebaut; und allen Anzeichen nach war dieser Kessel die einstige Opfergrube, in welche die dem Tode geweihten Korais gestürzt wurden. Von Knochen freilich war darin nichts zu bemerken, die wurden eben von den Geiern herausgeholt, und davon gab der Unrat Zeugnis, der sich um jedes Nest aufgehäuft hatte.

Zur Zeit hatten die Raubvögel weder Junge noch Eier, und soeben floh der letzte von ihnen aufkreischend vor den Menschen davon, um, wie seine Kameraden, der täglichen Atzung nachzugehn.

»Da ist ja schon einer,« sagte Cumming, bückte sich und nahm mit den Fingerspitzen aus dem Unrat, der gerade keinen angenehmen Duft verbreitete, einen ansehnlichen Diamanten.

Er hatte ihn in der Sonne blitzen sehen. Denn wenn der rohe Diamant auch nicht solch ein Feuermeer ausstrahlt wie der geschliffene, so unterscheidet er sich doch immer durch seinen Glanz von jedem andern Steine.

»Das ist das Nest eines Kapuzinergeiers,« erklärte Cumming weiter, »diese alle hier um den Kessel herum. Die Kapuzinergeier haben von ihren menschlichen Aufsehern die beste Stellung eingeräumt bekommen, und das wohl nicht ohne Grund, denn dort oben hinauf könnte niemand klettern.«

»Hier liegt auch einer,« ließ sich Nobody vernehmen, »hier noch einer.«

Auch er bückte sich, streckte die Hand aus, um das blitzende Steinchen aus dem weichen Unrat zu lösen, zögerte, machte ein mißtrauisches Gesicht, und schließlich griff er doch hinein.

»Na,« meinte er, »wenn man mit jedem Griffe so etliche tausend Taler aus dem Miste ziehen kann, dann besudelt man seine Finger schon gern einmal. Ich denke, die Skelette sind bereits lange fort, also ist der Mist auch schon seit längerer Zeit nicht mehr untersucht worden, und diese Raubvögel haben eine kolossale Verdauungskraft, bei denen geht's fix, da müssen wir also wohl etwas tiefer paddeln.«

»Ich danke für dergleichen,« knurrte der englische Baronet, der allerdings eher einem Zigeuner glich.

»Nicht mit den Händen, das haben wir nicht nötig. Ich habe vorn in der Bude einige Hacken stehn sehen, wohl schon zu diesem Zwecke bestimmt. Warten Sie, ich hole sie.«

Cumming wartete nicht, er begleitete Nobody auf dem Rückweg nach dem Plateau.

»Sprechen wir doch gleich darüber,« begann er. »Sie gedenken hierzubleiben?«

»Gewiß!«

»Um die Diamanten aus dem Miste zu graben?«

»Sicherlich! Ein solches Vermögen läßt man doch nicht liegen.«

»Für mich haben die blitzenden Dingerchen absolut keinen Wert.«

»Das glaube ich schon. Ich mute Ihnen auch nicht zu, sich an der schmutzigen Arbeit zu beteiligen, ich bitte Sie nur, mir hier oben Gesellschaft zu leisten. In einem Tage hoffe ich den ganzen Stall des Augias gereinigt, respektive den ganzen Mist umgewendet zu haben, und habe dabei wahrscheinlich noch mehr verdient, als die Prämie betrug, um welche mich jener edle Jude geprellt hat.«

»Was werden Sie mit den gefundenen Diamanten machen?«

»Na, sicher nicht sie dem Juden zurückgeben! Ich betrachte sie als eine Entschädigung. Aber ich werde sie auch nicht für mich verwenden; mein Gewissen möchte ich reinhalten. Ich überweise den Erlös irgend einem wohltätigen Zwecke, etwa jener vortrefflichen Gesellschaft in New-York, welche arme Neger aus Amerika nach dem Freistaat Liberia transportiert und ihnen dort auch zu einer Existenz verhilft.«

»Unter diesen Umständen werde ich Ihnen Gesellschaft leisten und mich an der Arbeit beteiligen,« sagte Gordon Cumming einfach.

»Besten Dank!«

»Wir müssen uns auch auf die Rückkehr der Skelette gefaßt machen.«

»O, mit diesen wollen wir beide schon fertig werden! Die haben denen in der Mine doch auch gesagt, sie wollten die gestohlenen Diamanten zu einem milden Zwecke verwenden, oder sie wollten ein Negerreich gründen. Gut, darauf pochen wir. Die gefundenen Diamanten gebe ich keinesfalls wieder her.«

Auf dem Plateau hatte schon vorhin ein Brett gelegen, aus irgend einem Grunde, einfach zufällig dorthingeworfen, und beim Anblick dieses Brettes, das ihnen gerade im Wege lag, fiel dem Engländer etwas andres ein.

»Wäre es nicht gut, wenn Sie erst einmal mit der nötigen Vorsicht untersuchten, was es mit dem eingelassenen Brette dort unten vor der Höhle für eine Bewandtnis hat? Sie vermuten also eine Höllen-Maschine, und der Gedanke ist doch nicht gerade angenehm, immer auf einem Vulkan zu ...«

Es war eine gewisse Ideenverbindung, daß Cumming bei diesen Worten auf das vor ihm liegende Brett trat, und ... er konnte seinen Satz nicht vollenden.

In demselben Augenblick, da sein Fuß das so harmlos daliegende Brett berührte, erfolgte eine furchtbare Detonation, ein Donnern und Krachen, der ganze Felsen schien aus den Fugen gehn zu wollen, und er schwankte wirklich, und zwar dermaßen, daß Nobody taumelte und fast gestürzt wäre.

Sonst war eine Folge der Explosion nicht zu bemerken, es war nur ein einziger, furchtbarer Krach gewesen, aber keine Feuererscheinung ward wahrnehmbar, und der Fels stand noch; nur die beiden Bretter, welche über dem Schachteingange gelegen hatten, waren verschwunden, wie weggeblasen, und aus diesem Loche stieg jetzt eine graue Rauchwolke empor.

»Der Ausgang ist verschüttet!!«

Gordon Cumming war es, der diese Worte schrie, und zugleich stürzte er auf das Loch zu.

Wenn wirklich die Explosion den Schacht unpassierbar gemacht hatte, dann allerdings befanden sich die beiden in einer bitterbösen Lage. Denn hier oben gab es nicht genug Seile, um sich die 150 Meter hinabzulassen, die beiden wären dem unvermeidlichen Verschmachtungstode ausgesetzt.

Hieran dachte Cumming, als er sofort nach dem Schachteingange stürzte, er wollte sich überzeugen, was die Explosion, die offenbar im Schacht selbst stattgefunden hatte, für einen Erfolg gehabt. Nobody aber dachte in demselben Augenblicke an etwas andres, an die zunächstliegende Gefahr, die seinem Begleiter drohte.

»Zurück, um Gottes willen, zurück, das ist Stickluft!!!« schrie er.

Seine Warnung kam zu spät, er hätte Cumming auch nicht mehr zurückhalten können. Dieser hatte den Schacht schon erreicht, die Rauchwolke war wieder verschwunden, so sah Cumming gar keinen Grund mehr, nicht in den Schacht zu blicken, er tat es – und da allerdings merkte er etwas, die Gefahr, er prallte zurück, oder wollte es wenigstens, er taumelte, tat einen Fehltritt und war in dem Schachte verschwunden.

Nobody wußte, daß nur eines seinen Freund retten konnte. Wenn Cumming hineingestürzt war, so mußte der Schacht doch auch noch offen sein, tiefer als zehn Meter konnte jener schwerlich fallen, nur bis auf den Boden der Höhle, und auch von hier aus sah Nobody das Ende der kupfernen Leiter.

Er schöpfte tief Atem, bis die Lungenflügel voll Luft gepumpt waren, hatte mit zwei Sätzen das Loch erreicht und stürzte selbst mehr hinab, als daß er hinabstieg, mit solcher Schnelligkeit glitt er an der Leiter hinunter.

Gelobt sei Gott! Seine Füße kamen gerade auf den Körper des dem Erstickungstode Preisgegebenen zu stehn! Aber demselben Ende war auch Nobody ausgesetzt, wenn er nicht rechtzeitig wieder hinaufkam; er spielte jetzt die Rolle eines Tauchers, der sich mit dem in seiner Lunge mitgenommenen Sauerstoff begnügen muß, bis er wieder die Wasseroberfläche erreicht.

Also schnell zugegriffen, den leblosen Körper wie einen Sack unter den einen Arm genommen und so wieder die Leiter emporgeklettert.

Das ist freilich leichter gesagt als getan. Es gehörte eben Nobodys Kraft und Gewandtheit dazu, um dies fertig zu bringen. Und es gelang, er erreichte das Tageslicht wieder, trat noch etwas außerhalb des Bereiches der Stickluft, dann ließ er den Körper seines Freundes zu Boden gleiten, schöpfte tief Atem und ...

Zur Statue erstarrt stand Nobody da. Der Mann, der dort mit blutendem Kopfe am Boden lag, das war nämlich Gordon Cumming gar nicht! Das war ein ganz fremder Mensch!

Doch Nobodys staunende Erstarrung währte nur einen Moment, er untersuchte auch nicht erst, wer dieser fremde Mensch wohl sein könne, grübelte nicht über das Rätsel seines Herkommens nach – sondern von neuem pumpte er seine Lungen voll Luft und war mit einem Satze zum zweiten Male in dem Schachte verschwunden.

Gerade neben der Leiter unterhalb des Schachtes lag Cumming also nicht. Der Taucher in den Stickgasen tastete in der Finsternis, mit fieberhafter Eile, hier hing das Leben von jeder Sekunde ab, und da berührte sein Fuß abermals einen menschlichen Körper, Nobody bückte sich und fuhr mit der Hand über das Gesicht, er fühlte einen langen Bart, wie Cumming ihn trug – der Mann hing wieder über seinem Arm, wieder ging es hinauf, gerade noch zur rechten Zeit erreichte er das Freie, mit furchtbarer Gewalt atmeten die gequälten Lungen auf, Nobody selbst brach neben dem Bewußtlosen, wenn nicht Toten, nieder, raffte sich wieder empor – und diesmal war es wirklich Gordon Cumming, dem er das Leben gerettet hatte, wie die sofort angestellte künstliche Atmung durch ihren Erfolg bewies.

Der lederzähe Jäger hatte bei dem tiefen Sturze nur geringe Hautabschürfungen davongetragen, nichts weiter. Gefährlicher schien es mit dem andern zu stehn, wenn er auch noch lebte. Die Wunde am Kopf war ganz bedeutend, und aus dem röchelnden Atem schloß Nobody auf eine innere Verletzung. Die beiden hatten volle Wasserflaschen mitgehabt, sie legten ihm einen Verband an und taten alles, was sie konnten, und inzwischen beschäftigten sie sich auch mit seinem Aeußeren.

Es war ein schon älterer Mann, ein Europäer, dessen schwarzbraunes Gesicht an Verwitterung dem des Jägers wenig nachstand. Gekleidet war er in jenen Anzug aus grober Leinwand, wie er in diesen Gegenden allgemein üblich ist, für jede Strapaze berechnet, an den Füßen hatte er hohe Schaftstiefel, und aus einem dicken Taschenbuche entnahm Nobody, daß er Jim Gravy hieß und ein ›Trader‹ war, das ist ein Händler, der mit der Erlaubnis der Regierung mit seinem zwölfspännigen Ochsenwagen durch die Wildnis zieht und den Negern seine Waren verkauft, mit ihnen Tauschhandel treibt. Nobody ließ den Mann unter den Händen seines Freundes; vor allen Dingen galt es, auf die eigne Sicherheit bedacht zu sein, die Wirkung der unterirdischen Explosion festzustellen.

Zunächst hob Nobody jenes Brett auf, auf das Cumming getreten war, wonach dann die Explosion erfolgte. Er tat es ohne besondere Vorsicht, die Vorrichtung würde schwerlich ein zweitesmal funktionieren.

Unter dem Brette war absolut nichts zu finden. Das war ganz einfach ein Brett, welches zufällig dort auf dem platten Felsboden gelegen hatte.

Ohne sich hierüber den Kopf zu zerbrechen, ging Nobody an eine Untersuchung des Schachtes, das war doch schließlich die Hauptsache.

Er brannte die Benzinlaterne an, entfernte die Glasscheiben, befestigte erstere vorn an einen Stock und näherte sich so dem Schachte, hielt die offen brennende Flamme über das Loch. Da dieselbe ruhig weiterbrannte, mußte sie zu ihrer Nahrung auch genügend Sauerstoff haben. Dann ließ Nobody die Lampe auch noch an einem Seil hinab, und da die Flamme nicht im geringsten kleiner wurde, so konnte Nobody daraus nicht nur schließen, daß in dem Schachte wieder gute Luft herrschte, sondern daß der Schacht auch noch unten offen sein mußte. Denn nur ein durchgehender Luftzug konnte den senkrechten Tunnel so schnell von den Stickgasen befreit haben.

Er stieg hinab und hatte auf dem ersten Absatz, den also die Höhle bildete, schnell die Ursache der Explosion gefunden. Daß Cumming in jenem Augenblicke, als die Detonation erfolgte, auf jenes Brett getreten war, das war nur ein Zufall gewesen. Das Brett dort oben hatte gar nichts damit zu tun. Das hier unten, welches in dem wagerechten Gange vor der Höhle lag, war der eigentliche Hebel gewesen, und jener Mann hatte ihn unbewußt in Bewegung gesetzt.

Unter diesem Brette fand Nobody eine kleine Trockenbatterie; wenn man darauftrat, so wurde ein elektrischer Strom geschlossen, er pflanzte sich in dem Leitungsdraht fort und entzündete eine Pulver- oder Dynamitmine, deren Lage Nobody freilich nicht kannte, und er hielt sich jetzt auch nicht damit auf, sie zu suchen.

Jedenfalls war irgendwo in den Felsen ein Loch gebohrt und dieses mit Sprengstoff ausgefüllt worden, in der Voraussetzung, daß die Explosion den ganzen Felsen in die Luft sprengen würde, mindestens das darüberliegende Plateau. Die Berechnung der Explosivkraft war aber falsch gewesen, der massive Felsen hatte dem Luftdrucke standgehalten, hatte nur bis in seine Grundfesten gebebt.

Jenem Manne freilich war sein unglücklicher Tritt schlecht bekommen, er war mit dem Kopfe gegen die Wand geschleudert worden, dort klebten noch die blutigen Haare, und wäre er nicht zufällig als erster in Nobodys Hände geraten, so wäre er in wenigen Minuten unrettbar erstickt.

Sonst hatte die Explosion keine Zerstörung angerichtet. Nobody gelangte auf der Leiter ungehindert an den Wasserspiegel, und daß an der untersten Sprosse ein Boot festgebunden war, fand er selbstverständlich. Es war das jenes Händlers. So wenig hatte Nobody an die schreckliche Möglichkeit glauben wollen, der Schacht könnte verschüttet sein, daß er gleich eine große Blechflasche mitgenommen hatte, welche er jetzt mit Wasser füllte.

Unterwegs gingen ihm die Fragen durch den Kopf, was für eine Bewandtnis es wohl mit dem fremden Manne haben könne. Gehörte er mit zu jener Bande? Aber wie konnte er da auf die Höllenmaschine getreten sein, deren Existenz ihm dann doch bekannt sein mußte? Oder war auch er nur auf einer Spur gewesen?

Nobody sollte die Erklärung sofort erhalten, sobald er wieder den Kopf aus der Oeffnung heraussteckte.

»Gerade ist er zu sich gekommen!« rief Cumming ihm entgegen.

Der Mann hatte die Augen geöffnet, blickte zunächst stier vor sich hin.

»Die Schufte haben eine Dynamitmine gelegt.«

Das waren seine ersten Worte, die er mit röchelnder Stimme hervorbrachte. Also er hatte noch eine Erinnerung an das, was sich ereignet hatte, konnte sich die Explosion erklären.

Dann erst sah er mit wirren Blicken um sich und auf die beiden Männer.

»Wo bin ich denn? Wer seid Ihr? – Gordon Cumming, wahrhaftig, Gordon Cumming!!« stieß er gleich darauf überrascht hervor.

»Hm,« brummte der erkannte Jäger, »jetzt ist mir's auch, als ob ich Euch schon einmal gesehen hätte. Seid Ihr nicht der Händler, der voriges Jahr bei Waterbrook mit dem Wagen in das Sumpfloch geriet?«

»Der bin ich, und Ihr halft mir heraus. Aber schon früher habe ich Euch oft genug gesehen. Was macht Ihr hier? Und wie komme ich hierher? Ich wollte doch ... ich bin doch ... ich weiß nicht ...«

»Ihr seid auf dem Plateau des Felsens, auf den Ihr hinauf wolltet,« kam Nobody dem Stockenden zu Hilfe. »Ihr krocht durch den Schacht, an den Ihr Euer Boot unten angebunden habt, und da seid Ihr auf ein Brett getreten, es erfolgte eine Explosion. Ist es nicht so?«

»Ja, ja, das verfluchte Brett, da haben mir die Skelette eine Falle gestellt, ich sollte mit in die Luft fliegen!« röchelte der Mann.

»Habt Ihr Schmerzen?« fragte Nobody zunächst, denn der Mann sah aus, als würde er demnächst ins Jenseits fahren.

Der Gefragte richtete sich halb empor – nein, der Kopf schmerzte ihm, aber sonst nichts, auch nicht in der Brust, obgleich seine Stimme so röchelte wie der Atem, was Nobody sehr bedenklich fand. Doch er sagte hiervon nichts.

»Gehört Ihr mit zu den sogenannten Skeletten, welche durch Kapuzinergeier Diamanten aus den Koulyeld-Minen entwenden?« fuhr Nobody dann fort. »Erzählt ganz offen, was Ihr von diesen Leuten wißt, von uns braucht ihr keinen Verrat zu fürchten, wir selbst sind von Mr. Veit Lazar, den Ihr wohl kennt, geprellt worden, und wir kommen eigentlich hierher, um mit den Diamantendieben gemeinschaftliche Sache zu machen.«

»Oho,« ließ sich Gordon Cumming brummend vernehmen.

»Laßt nur,« raunte ihm Nobody unbemerkt zu, »der kompromittiert uns nicht, der treibt's nicht mehr lange, und die Hauptsache ist doch, daß er spricht.«

»Gebt mir erst zu trinken,« stöhnte der Verwundete.

Der von innerer Fieberhitze halb verschmachtete Mann hätte schon für einen Trunk Wasser alles gebeichtet, und nach Nobodys Erklärung erzählte er erst recht.

Vor ungefähr einem Jahre war Jim Gravy im Urwalde mit einer Bande von neun Weißen und Schwarzen zusammengetroffen, welche, wegen Diamantendiebstahls in einer Mine verhaftet, während des Transportes nach dem Gefängnis der nächsten Stadt ihren Begleitern entsprungen waren.

Den einen, welcher die Rolle des Anführers spielte, kannte Jim Gravy – aus dem Gefängnis her. Der Händler machte gar kein Hehl daraus, daß er schon mehrere Strafen abgesessen hatte.

Zilgo Jualka, von Geburt ein Spanier, wahrscheinlich mehr ein Zigeuner, war in seiner Art ein Genie. Im Erfinden von Tricks, mit denen man unrecht Gut erwerben kann, war er unerschöpflich.

Bisher als Falschmünzer tätig, hatte er sich, als in Südafrika Diamanten gefunden worden waren, hierhergewendet. Seine Hauptaufgabe war jetzt, aus den Minen Diamanten herauszuschmuggeln und sie unter die Leute zu bringen. Seine verschiedenen Ideen dazu waren immer großartig gewesen. Daß es ihm bisher niemals recht hatte glücken wollen, daß er soeben erst wieder mit knapper Not einer langjährigen Zuchthausstrafe entgangen war, das freilich war etwas andres.

Aber jetzt endlich hatte er das unfehlbare Mittel gefunden, um in kurzer Zeit ein steinreicher Mann zu werden, im wahren Sinne des Wortes, denn jetzt war es für ihn eine Kleinigkeit, speziell aus den Koulyeld-Minen Diamanten in jeder Anzahl und ohne jedes Risiko auszuführen.

Die Geier, welche auf dem Kai-Felsen in der Landschaft Koran horsten, gehn ihrer täglichen Nahrung hauptsächlich in jener Gegend nach, in der die Koulyeld-Minen liegen.

So behauptete Zilgo Jualka, und das war der Kernpunkt, worauf sich alles aufbaute. Woher der Spanier, der noch gar nicht in dieser Gegend gewesen war, das wußte, das war sein Geheimnis und das seiner Begleiter. Hier gab es irgend einen dunklen Punkt. Jedenfalls hatte es einem gehört, der kaltgemacht worden war, und außerdem war bei der Bande auch ein Korai, der durch den Verkehr mit Europäern schon mehr von der Kultur beleckt worden war, ohne dadurch moralisch gewonnen zu haben.

Wie dem auch sei – bei der Bande war der ganze Plan schon fix und fertig. Der Korai hatte das Geheimnis des Kai-Felsens verraten, dieser sollte die Operationsbasis werden, der erfahrene Spanier hatte den Plan noch verbessert, hatte auch das Mittel mit den leuchtenden Farben ersonnen, um den Korais als Skelette erscheinen und sie so aus der Nachbarschaft wegschrecken zu können.

Daß Jualka den Händler im Urwalde traf, war kein Zufall gewesen. Er kannte dessen Weg von Dorf zu Dorf und hatte ihn an bestimmter Stelle erwartet. Wenn die Bande dort oben auf dem Felsen ganz ungestört und sorglos hausen wollte, so brauchte sie nicht nur einen Mann, der sie mit allem versah, was zu des Lebens Notdurft gehört, sondern auch unten im Lande einen Wächter und Spion.

Hierzu war der Händler, der ständig die Stromufer bereiste und von den Korais unter sich geduldet wurde, wie geschaffen. Er konnte die Eingeborenen aushorchen und, sobald eine Entdeckung zu befürchten stand, die Genossen oben auf dem Felsen warnen, daß sie rechtzeitig die Flucht ergriffen. Denn lange würde es doch nicht dauern, so merkten die Minenbeamten die Abnahme der Diamantenausbeute, das ging nicht mit rechten Dingen zu, und man würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, den Dieben auf die Spur zu kommen, man würde dieselbe sogar durch die Luft zu verfolgen wissen. Einen solch großen Respekt hatten die Gauner vor dem Spürsinn jener Beamten.

Nun fehlte bloß noch der eigentliche Dieb innerhalb der Minen, welcher die entwendeten. Diamanten den gezeichneten Geiern vorwarf. Sich zu der schrecklichen Minenarbeit für mindestens ein Jahr zu verdingen, dazu hatte kein einziger der schwarzen und weißen Gauner Lust, denn die Gaunerei geht eben mit der Faulheit Hand in Hand.

Doch das war das allerwenigste. Einer der Schwarzen trat als ein geheimnisvoller Negerhäuptling auf, unter andern ließ sich auch Pfefferkopf ködern, für die Bande Diamanten zu stehlen. Diese Arbeiter in der Mine hätten niemals eine Belohnung für ihre Dienste bekommen.

Nun konnte das eigentliche Geschäft beginnen. Jualka war nach Kapstadt gereist und hatte alles besorgt, was man brauchte, besonders auch schwarze Trikots und jene leuchtende Farbe; in einem am Garib gelegenen Städtchen traf die ganze Bande wieder zusammen, im eignen Ruderboot ging es den Strom hinauf, und das Gebiet der abergläubischen Korais betraten sie bei Nacht schon als leuchtende Skelette.

Der Erfolg war ein tadelloser. Nun zeigten sich noch einige Skelette oben auf dem Felsen mit Wimmern und Wehklagen, und die neun Menschen waren die Herren des ganzen Stromgebietes.

Die Kapuzinergeier nisten nur auf flachen, also leicht zugänglichen Stellen, sind überhaupt sehr wenig scheu, lassen sich leicht fangen. Einer der Neger verstand schon die Sache, er schnitt in die Schwänze aller Kapuzinergeier, deren er habhaft werden konnte, das verabredete Zeichen ein – so, nun mußte nur noch abgewartet werden, ob die in den Minen Angestellten auch wirklich ihre ›Pflicht‹ tun würden.

Richtig, sie taten dieselbe, alles glückte. Jeden Abend brachten die Kapuzinergeier im Magen reichliche Beute an Diamanten mit heim, die man am andern Tage nur aufzulesen brauchte.

So hausten die ›Skelette‹ zehn Monate hier oben. Angenehm war der Aufenthalt nicht – im Gegenteil. Am Tage wurden sie von der Sonne gebraten, in der Nacht litten sie unter einem eiskalten Tau, der auch die dicksten Decken durchdrang, gekocht konnte nicht werden, sie mußten sich mit Hartbrot und Präserven begnügen, die ihnen der Händler allmonatlich brachte, dazu der gräßliche Gestank, zahlloses Ungeziefer – es waren wirkliche Höllenqualen, denen denn auch zwei der Mitglieder zum Opfer gefallen waren, alle andern fühlten sich sterbenskrank.

Nein, und wenn sie auch gleich gemünztes Gold einschaufeln konnten, sie wollten nicht länger hier bleiben. Es war ungefähr fünf Wochen her, als Jim Gravy das letztemal zu ihnen gekommen war, sie hatten ihm ihren Entschluß mitgeteilt und diesen auch sofort ausgeführt, waren abgereist, mit der Versicherung, niemals wieder auf diesen Teufelsfelsen zu kommen. Was sich oben an Diamanten noch vorfände und was sich noch ansammle, das könne er, Jim Gravy, sich holen. Sie hätten genug von dem Zeug, und jetzt erst wüßten sie, was das Leben an der Erdoberfläche bedeute.

»Und da haben die Hunde eine Dynamitmine zurückgelassen, um mich in die Luft zu sprengen,« schloß der Händler ingrimmig seinen Bericht. »Ich bin nicht sofort hinaufgegangen, es paßte gerade nicht in mein Geschäft. Erst heute früh wollte ich einmal nachsehen, was sich unterdessen angesammelt hatte.«

»Wieviel Diamanten haben die Skelette in den zehn Monaten erbeutet?« fragte Nobody.

Auf diese Frage konnte der Händler beim besten Willen keine Antwort geben. Wohl hatte er jeden Monat die eingesammelten Diamanten abgeholt und sie in Lofan, einem Diamantenmarkt am Garib, an einen Zwischenhändler verkauft, innerhalb der zehn Monate hatte er zirka 40.000 Pfund Sterling eingenommen, aber wie er selbst – der alte Mann gestand es jetzt ganz offen – bei der Ablieferung seine Genossen immer betrogen hatte, so war es ganz selbstverständlich, daß auch sie ihn betrogen, die größten und schönsten Diamanten für sich selbst behielten. Die Koulyeld-Minen sollten doch auch im letzten Jahre um mehr als 250.000 Pfund Sterling geschädigt worden sein. Ohne Befragen erzählte Gravy dann weiter, wie unter den Weißen auch ein Diamantschleifer gewesen sei, aber den Versuch, die Steine gleich hier zu schleifen, hatten sie bald aufgegeben. Auch hatten sie sich Felswohnungen sprengen wollen, Gravy hatte Dynamit und eine elektrische Zündvorrichtung besorgen müssen, sie hatten diese Vorrichtung aber nur benutzt, um ihrem Kompagnon eine Mine zu legen.

»So haben die Skelette noch viele Diamanten bei sich gehabt, als sie abreisten?«

»Ganz sicher; nicht den zehnten Teil werden sie mir gegeben haben.«

»Wohin mögen sie sich gewendet haben?«

»Da kommt wohl nur Zilgo Jualka in Betracht. Denn wenn der nicht unterwegs seine Begleiter kaltmacht und ihnen ihre Anteile abnimmt, dann will ich doch gleich ...«

Plötzlich brach der Sprecher ab, seine Augen quollen aus den Höhlen, er schnappte nach Luft, aus seinem Munde brach ein roter Strom hervor – ein Blutsturz hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Nobody hatte es erwartet. – –

Jim Gravy fand sein Grab in einer Höhlung des Plateaus, über welcher Steine aufgehäuft wurden. Nur einen Tag durchwühlten Nobody und Cumming den Unrat und fanden 52 Diamanten. Sie hätten sicher noch viel mehr gefunden, aber selbst Nobody fühlte sich fortgetrieben von diesem Orte, wo wirklich der Teufel zu wohnen schien.

Es waren auch noch andre Gründe vorhanden, welche ein schnelles Abreisen nötig machten. Einmal trat bald die Regenzeit ein, schon ballten sich die Wolken zusammen, und während dieser Zeit war ein Verbleiben hier oben ganz ausgeschlossen, und dann wäre auch ein Marsch durch die Wildnis äußerst beschwerlich gewesen.

Und nun ferner: Wo blieben die, welche der Spur der beiden gefolgt waren? Denn daß das der Fall war, daran war gar kein Zweifel, eben deshalb hatte man Nobody, welcher doch gesagt hatte, daß er den Aufenthalt der eigentlichen Diamantendiebe kenne, so ruhig gehn lassen. Die beiden waren zwar schnell marschiert, aber trotzdem, jeden Tag konnten Lazars Abgesandte am Fuße des Felsens, bis wohin die Spur führte, erscheinen, und man mußte damit rechnen, daß auch sie etwas von den Skeletten erfuhren, die oben auf dem Kai-Felsen hausten, und daraus Schlüsse zu ziehen wußten, und dann hätten sie die beiden hier oben ohne Mühe aushungern können.

So sehen wir die beiden schon am andern Tage in ihrem Boote wieder stromabwärts fahren. Nobodys nächstes Ziel war Lofan, vier Rudertage von hier entfernt, und bis dahin wollte Cumming seinen Freund begleiten. Die Pferde hatte der Jäger vorher bei dem nächsten, ihm bekannten Dorfhäuptling untergebracht.

Es war am zweiten Tage der einsamen Bootsfahrt durch ein menschenleeres Gebiet, in dem die Büchse jeden Abend reiche Nahrung schaffte, der Urwald hatte einmal einem felsigen Terrain weichen müssen, als schwarze Wolken mit einem Unwetter drohten.

»Noch eine halbe Stunde,« sagte Gordon Cumming, dessen Ortssinn Nobody schon oft bewundert hatte, »da weiß ich am Ufer eine Felsengrotte, in der wir eine Nacht verbringen können.«

Nach Ablauf der angekündigten Zeit lenkte Cumming das Boot ans Ufer, sie versteckten es und befanden sich nach wenigen Schritten in einer Gegend, in welcher es von Termitenhaufen wimmelte.

Während sie zwischen den hohen Pyramiden hinschritten, erklärte Cumming, daß diese Ameisen ihre nächsten Nachbarn sein würden, sie hätten aber nichts von ihnen zu fürchten. Die Termiten gehn wohl an Aas, es mit Zauberschnelle bis auf die Knochen vertilgend, doch an nichts Lebendiges. Etwas andres ist es, wenn eine Maus sich in einen Termitenhaufen verirrt, und ein Mensch darf sich natürlich auch nicht hineinsetzen.

»Das ist seltsam,« meinte Cumming dann, die Augen am Boden geheftet, »die Termiten sind gewandert und haben genau denselben Weg eingeschlagen, den wir nehmen.«

Auf dem lehmigen Boden konnte man ganz deutlich einen fußbreiten Weg wahrnehmen, und es mußten Myriaden von Ameisen dazu gehört haben, um ihn so tief in das harte Erdreich einzutreten.

Er führte auf einen Felsen zu, den Cumming als sein Ziel bezeichnete, er enthalte die Grotte. Vor den niedrigen Eingang war ein großer, flacher Stein gestellt, unter welchem der Ameisenweg verschwand.

»Seit meiner letzten Anwesenheit ist dieser Stein verrückt worden,« sagte Cumming, »und den Ameisen können wir das wohl nicht in die Schuhe schieben. Was mögen die da drin zu suchen gehabt haben?«

Die nächste Minute mußte ja die Antwort bringen. Sie legten den Stein um, drangen gebückt ein und ... standen dann entsetzt über den Anblick, der sich ihnen bot.

Die geräumige Grotte hatte oben eine Oeffnung, durch welche das letzte Tageslicht drang, es fiel auf eine alte Feuerstelle, und um diese herum lagen oder saßen sieben menschliche Skelette.

»Das sind die Skelette vom Kai-Felsen,« rief Nobody sofort, »der Name, den sie sich angemaßt haben, ist bei ihnen zur Wirklichkeit geworden!«

Sie waren es tatsächlich. Um die Richtigkeit zu beweisen, lag neben dem einen Skelett ein ansehnlicher Haufen der wertvollsten Diamanten.

Wie die sieben ihren Tod gefunden hatten, das war nicht zu konstatieren, äußere Verletzungen wiesen die Gerippe nicht auf, aber Nobody sowohl wie Cumming dachten lebhaft an eine allbekannte Erzählung, und sie sprachen davon.

Drei Goldgräber haben einen großen Schatz gefunden. Einer wird fortgeschickt, um einen Krug Wein zu holen. Da flüstert den Zurückgebliebenen der Teufel ein, daß die Hälfte des gefundenen Goldes mehr ist als nur ein Drittel. Sie sehen sich an, sie verstehn sich, sie vergiften das Essen, welches sie unterdessen bereiten. Der dritte kommt mit dem Wein zurück, er ißt und stirbt. Die beiden andern trinken von dem Wein und – um den großen Goldblock liegen drei Leichen! Der dritte hatte den Wein vergiftet.

Man konnte es ja nicht behaupten, aber die Vermutung lag sehr nahe, daß hier etwas Aehnliches passiert war. Jedenfalls hatten sie umsonst die Diamanten zusammengescharrt. Der Tod mußte bei allen mit furchtbarer Plötzlichkeit eingetreten sein. Besonders das eine Skelett kauerte noch in vollkommen natürlicher Stellung am Feuerplatz. Aber als Nobody es nur ganz vorsichtig berührte, fiel es sofort in seine einzelnen Knochen zusammen. So sorgsam hatten die Ameisen skelettiert. Die kleinste Sehne hatten sie aus den Gelenken weggefressen, und dennoch hatten die Knochen Halt gehabt. So waren auch die Diamanten jedenfalls in einem ledernen Beutel gewesen, auch dieser war den Zähnen der Ameisen zum Opfer gefallen und so alles andre, was nicht von Stein oder Metall war.

Die beiden beerdigten die Knochen in einem Massengrab und setzten am andern Morgen ihre Fahrt fort. Die Diamanten nahm Nobody natürlich mit.

Ohne bemerkenswerte Abenteuer erreichten sie das ansehnliche Lofan, stiegen in einem Gasthofe ab, aber ehe die Freunde voneinander Abschied nahmen, sollten sie noch eine andre Nachricht erhalten.

Am Abend des letzten Tages, an welchem sie zusammen waren, wurden sie in der Gaststube zufällig Zeuge einer Unterhaltung, die mehrere Diamantenhändler führten.

»Was hat denn der alte Lazar gesagt, als er seinen Sohn wiedersah?«

»Na, der soll ganz irrsinnig geworden sein. Faktisch, er ist schon von seinem Posten zurückgetreten.«

Dieser Wechsel in der Aktiengesellschaft bildete jetzt das Hauptthema unter den Geschäftsleuten, aber noch immer hörte Nobody manchmal heraus, daß mit Isaak Lazar etwas Besonderes passiert sein müsse, was den Vater so furchtbar aufgeregt habe. Isaak sollte ein Krüppel geworden sein.

Nun, das war ja leicht zu erfahren. Nobody machte die Bekanntschaft der Herren, und er bekam es zu hören:

Isaak Lazar hatte eine Jagdpartie unternommen, in Begleitung von weißen und schwarzen Jägern, aber diesmal nicht mit dem gewöhnlichen Dienertroß, wie es besonders hierzulande dem Sohne eines vielfachen Millionärs eigentlich geziemte.

Im Gebiete der Korais war es gewesen, nicht weit mehr entfernt vom Kai-Gebirge, als der junge Lazar von einer äußerst giftigen Schlange in die rechte Hand gebissen wurde. Der Führer der Expedition war ein ebenso erfahrener, wie energischer Mann, er wußte, daß es hier nur eins gab: den Sohn dem Vater entweder als einbalsamierte Leiche zurückbringen oder als Krüppel – und er legte die Hand des bewußtlosen Isaak auf einen Baumstumpf und schlug sie ihm mit der Axt ab!

Wochenlang lag Isaak fiebernd in der Hütte eines Eingeborenen. Er blieb dem Leben erhalten. Als ihn sein Vater zum ersten Male wiedersah, als Krüppel, nur mit einer Hand, sollte der alte Mann verzweifelt geschrien haben: »Gott Israels, du bist furchtbar in deiner Gerechtigkeit!!«

Was er mit diesem Ausruf gemeint hatte, wußte der Erzähler nicht, so wenig wie er den eigentlichen Zweck jener Expedition, die natürlich sofort aufgegeben wurde, kannte.

Aber die beiden Freunde wußten es. Und besonders Gordon Cumming war tieferschüttert. Denn Nobody hatte ihm doch alles erzählt, auch von jenem Schwure, daß Isaak Lazar die rechte Hand verlieren wolle, wenn er nicht die Wahrheit gesprochen habe.

»Es rächt sich alles schon auf Erden,« sagte der alte Jäger, schüttelte seinem Freunde zum Abschied die Hand, schulterte die Büchse und ging zurück in seine Wildnis.

Aber auch auf Nobody hatte das Schicksal des jungen Lazar einen gewaltigen Eindruck gemacht. Er schrieb an die Direktion der Koulyeld-Minen einen Brief, worin er alles in schlichter Weise mitteilte, auch wo sie wahrscheinlich noch mehr der entwendeten Diamanten finden würden, und schickte sämtliche in seinem Besitze befindlichen Diamanten den rechtmäßigen Besitzern zurück. Aber von dem Schwure des jungen Lazar und von seiner Prämie, die er sich eigentlich verdient, hatte er nichts erwähnt.

Als er nach New-York zurückkam, fand er die Antwort schon vor. Die neue Direktion der Koulyeld-Minen quittierte dankend den Empfang der Diamanten – absolut nichts weiter.

Und noch etwas andres fand er vor, einen Scheck von dem jetzt in England lebenden Veit Lazar, einen Scheck über 30.000 Pfund Sterling, die ausgemachte Prämie, freilich auch keinen Cent mehr, und eigentlich schuldete Lazar ihm auch noch das Honorar für seine ›Hokuspokusmacherei‹.

Immerhin, es war doch eine Regung des Gewissens, und Veit Lazar hatte die Summe aus seiner eignen Tasche bezahlt. Nobody überwies sie jener Gesellschaft, welche amerikanische Neger in ihre ursprüngliche Heimat zurücktransportiert.

Ob der Kai-Felsen noch nach Diamanten abgesucht wurde, ob sich die Korais wieder an den Stromufern niederließen, davon steht nichts in Nobodys Tagebuch, und bescheidenerweise auch kein Wort von dem unschätzbar großen Dienst, den Nobody bei der Auffindung der gestohlenen Diamanten der Welt geleistet, indem er den großen Forscher Gordon Cumming aus dem Wellengrabe im Kai-Felsen errettete.


 << zurück weiter >>