Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Als Chick Langwool noch vor Morgengrauen aufstand, traf er trotzdem schon Helen unten im Hause und bei ihr seinen alten Freund Sheriff Landert. Chick begrüßte ihn mit unverhohlenem Grinsen.

»Chick Langwool,« redete ihn dieser sogleich an, »ich habe Euch manches abzubitten und tue es gern. Die Angelegenheit mit den Boys der Jolivet-Ranch habt Ihr auf das Feinste gedreht. Ich weiß, wir können Euch alle dankbar sein.«

Bei Sheriff Landerts ernsthaften und freudigen Worten war Chick langsam rot geworden; sein Lachen verlor sich.

»Sheriff, Ihr seid auf einem gehörigen Holzweg,« antwortete er ihm jetzt ebenfalls ernst. »Nicht ich brachte die Leute zur Vernunft. Jed Corner tat es, er ganz allein und sein Einfluß auf sie.

Ich – Sheriff – hatte ganz etwas anderes vor! Aber auch das wäre nicht mehr so zur Ausführung gelangt, glaube ich. Ich fand nämlich jemanden, der Chick Langwool einmal ein wenig die Augen öffnete.« Sein Blick suchte Helen, die mit niedergeschlagenen Augen der Auseinandersetzung der Männer folgte. »Und daß Ihr es wißt, Sheriff,« fuhr jetzt mit erhobener Stimme Chick fort, »Jed Corner ist der feinste Kerl, den je die Sonne beschienen hat. Die Schießerei mit Lew Forest könnt Ihr getrost auf mein Konto buchen.«

Abwartend, was Sheriff Landert tun würde, stand Chick Langwool vor ihm. Dieser schwieg und musterte ihn lange und ernst mit seinen klugen Augen.

»Eure Offenheit ehrt Euch, Chick!« begann schließlich der Sheriff langsam. »Und darf man nun fragen, wie Ihr Euch Eure nächste Zukunft denkt?«

Betroffen sah Chick ihn an. »Wenn Ihr Euch jetzt nicht mit mir befaßt und kein wärmeres Interesse an mir habt, dann …« sein Blick ging wieder zu Helen, die aber noch unverwandt verharrte, »dann,« Chick reckte sich, »werde ich meine Pflicht gegenüber den Boys tun. Später möchte ich mich wohl – ein wenig auf der Meßter-Ranch nach Arbeit umsehen.«

Sheriff Landert bemerkte Chicks Blicke für Helen, nun nickte er bedächtig.

»Ich will es wagen!« sagte er geheimnisvoll und trat auf Helen zu. »Miß Helen,« sagte er lächelnd, »ich möchte Euch etwas schenken. Ich hoffe, daß ich es nicht mehr gebrauche, vielleicht braucht Ihr es einst. Macht einmal Eure Hand auf.«

Mit Erstaunen war Helen seinen Worten gefolgt, nun machte sie gehorsam ihre Hand auf. Da legte Sheriff Landert zwei feingeschmiedete Handfesseln in sie hinein.

Helen starrte auf sie, plötzlich begriff sie und ließ sie fallen, und zum ersten Male in ihrem Leben nahm die tapfere kleine Helen Reißaus. Sie meinte noch Sheriff Landerts leises Lachen zu vernehmen, als sie schon längst oben in ihrem Zimmer war.

Mit einem Schmunzeln nahm Chick die fortgeworfenen Handfesseln auf und packte sie ein. »Werde die Dingerchen aufbewahren!« meinte er zum Sheriff.

Helen war wütend. So viel hatte sie sich heute vorgenommen, und nun wagte sie nicht fortzugehen aus Angst, Chick zu treffen. Aber immer konnte sie ja nicht in ihrem freiwilligen Gefängnis bleiben. Außerdem ließ sich nicht aufschieben, was sie zu erledigen hatte. So wappnete sie sich mit aller ihr zu Gebote stehenden Kratzbürstigkeit und verließ ihr Zimmer. Es ging unerwartet gut; sie begegnete niemandem, nicht einmal Majorie und ihrem Vater.

Unangefochten langte sie bei ihrem Ziel, der Jolivet-Ranch, an. Hier suchte sie sogleich Ruth auf, die ihrer Freude Ausdruck gab, Helen zu sehen.

Mit leuchtenden Augen erzählte ihr Ruth, wie freundlich und respektvoll die Cowboys sie heute begrüßt hätten.

Aufmerksam hörte sich Helen Ruths Bericht an. Ruth war gerade in der Stimmung, in der sie sie für die beabsichtigte Unterredung brauchte.

»Ruth,« begann sie ernsthaft, »wissen Sie, daß es für mich kein leichter Entschluß war, in Ihre Freundschaftshand einzuschlagen?«

»Nein, Helen,« erwiderte ihr erstaunt Ruth, »habe ich Ihnen unwissend etwas getan?«

»Mir nicht, aber einem Freund von mir. Ich möchte sagen, meinem besten und aufrichtigsten Freunde.«

»Chick, Helen?«

Gegen ihren Willen errötete Helen.

»Nein,« heftig schüttelte sie ihren Kopf, »Jed Corner!«

Fassungslos erstaunt sah Ruth Helen an.

»Ja, Jed Corner!« wiederholte Helen, dann sprach sie weiter: »Ich kann mir nicht denken, Ruth, daß Sie ein Unrecht, was Sie taten, nicht ungeschehen machen wollen; sonst hätte ich mich in Ihnen getäuscht. Vielleicht würden Sie sogar eine Verantwortung auf mich laden, die Sie gar nicht tragen könnten.

Ruth, nur mit Jed Corners unermüdlichem Willen und Arbeit gelang es Ihrem Onkel Jolivet, seine Ranch so aufzuziehen, wie sie heute ist. Was das an Arbeit und Mühe gekostet hat, weiß nur einer, der es mit angesehen hat. Wir alle ernten heute die Früchte dieser Tätigkeit.

Es sah hier nicht immer so aus wie heute, vieles war hier einstmals steiniges, unfruchtbares Land, das nur bei zähester Arbeit geringe Teile von Kupfer und Blei aus der Erde gab. Unser aller Vorteil war, daß wir an Steppenland grenzten. Oliver Jolivet hat das Land in langer, schwerer Arbeit durch künstliche Bewässerung fruchtbar gemacht. Dadurch sind wir alle reich geworden. Wir können jetzt unser Land bebauen und Vieh halten. Jolivet war alt; wer seine Pläne zu Ende brachte, war Jed Corner.

Eine Eigentümlichkeit Ihres Onkels war, sich nur mit Männern zu umgeben, die ein abenteuerliches Leben geführt hatten. Er hat damit immer Erfolg gehabt; wohl zu aller Erstaunen, denn warnende Stimmen gab es genug. Aber was sich Oliver Jolivet vornahm, setzte er auch durch. Er liebte diese Art Menschen und behauptete, daß auf niemanden so viel Verlaß wäre, wann man die Jungen nur richtig zu nehmen wüßte, wie auf diese. Keiner besaß so gute und verläßliche Leute wie er.

So ein Abenteurer, sagen wir besser ein Revolvermann, war auch Jed Corner. Oliver Jolivet zog ihn an sich. Kein Wurf gelang ihm so gut wie dieser. Jed Corner war Oliver Jolivets Stütze und sein Vertrauter, wir alle sahen in Jed den zukünftigen Erben der Ranch, und jeder hätte ihm das Erbe von Herzen gegönnt.

Wenn jetzt Jed Corner sein altes Leben wieder aufnimmt, Ruth, dann seid Ihr allein daran schuld. Ihr triebt ihn fort von allem, was ihm lieb ist, und woran sein Herz hängt, hier lebte er in Jolivets Sinne, sein Vorbild trägt er im Herzen, denn er liebte ihn wie ein Sohn seinen Vater.«

Aufatmend hielt Helen ein, denn Ruth, die erst ihren Ausführungen mit großem Interesse und Erstaunen gefolgt war, war bei Helens letzten, herausgeschleuderten Vorwürfen aufgesprungen.

»Das ist nicht wahr!« rief sie außer sich. »Dann spielte Jed Corner den Wolf im Schafspelz! Hat er nicht Lew Forest angegriffen; spricht der Vorfall in Winters Gaststube nicht Bände!«

Stumm sah Helen Ruths Aufgeregtheit an.

»Ruth, das ist alles anders, als Ihr denkt!« sagte sie betont. In ihrer Erregung sprach Helen wie die Männer in der dritten Person. »Ich will es Euch erklären:

Lew Forest wurde nicht von Jed Corner angeschossen, sondern von Chick Langwool. Auf meine Bitten trat Jed zwischen die beiden und verhinderte Schlimmeres. Er dachte an Majorie und an mich,« sagte sie leise, »als er dem Sheriff gegenüber Chicks Schuld auf sich nahm. Jed tat es, weil er wußte, daß der Sheriff nur darauf lauerte, gegen Chick etwas vorbringen zu können, um Hand an ihn zu legen.

Sheriff Landert besitzt einen Stolz, und der ist: behaupten zu können, daß trotz so vieler unruhiger Jungen, die hier sind, sein Distrikt der ruhigste ist. Daher duldet er keine Unruhe stiftenden Elemente hier. Und was die Sache in Winters Gaststube betrifft, Ruth, das war um – Euretwegen.«

Helen sprach sehr leise, trotzdem hatte Ruth es vernommen. Sie fuhr erschrocken zusammen.

»Um meinetwegen? – Helen, wißt Ihr, was Ihr sagt?« befremdend kam es von Ruths Lippen.

Stumm nickte Helen. Sie sah recht betreten drein; es fiel ihr schwer, Ruth die Wahrheit sagen zu müssen. Ruth stand jetzt neben ihr, halb bittend, halb befehlend sagte sie:

»Helen sprecht! – Nun muß ich alles wissen!«

Raum hörbar erwiderte Helen.

»Bei Winter fiel Euer Name. Der Mexikaner Sanares hatte sich gerühmt, von Euch ausgezeichnet worden zu sein. Daraufhin stellte ihn Jed zur Rede. Hinterlistig zog Sanares seinen Revolver, aber Jed war schneller als er.«

Schon bei Helens ersten Worten drehte sich Ruth um und trat ans Fenster. An dem Beben, das durch ihren Körper ging, erkannte Helen die maßlose Aufregung, in der sie sich befand. Überlegend fuhr sich Ruth über ihre Augen. Sie sah einen dunklen Mann mit flammenden Augen vor sich, vielleicht hatte sie im Übermut seinen herausfordernden Blick zurückgegeben, als sie die ihr so fremd und eigenartig anmutende Erscheinung gemustert hatte.

In Ruth tobten die widerstreitendsten Gefühle. Der Leichtsinn einer Minute von ihr hatte einem Mann das Leben gekostet! Sie wollte verzagen, ihre Schultern zuckten vor unterdrücktem Weinen. Und doch – war es so schlimm, einem Mann einen freundlichen Blick zu gönnen!

Plötzlich stand Helen neben ihr.

»Ruth,« bat sie, »wollt Ihr es nicht an einem anderen wieder gut machen?«

Jed Corner! – Flammend stand der Name vor ihr.

»Ja, Helen, wenn ich es noch kann!«

Mit aller Kraft nahm sich Ruth zusammen; so kam ihre Erwiderung auch ruhig und entschlossen.

Helens Augen leuchteten auf: »Ich wußte es, Ruth, daß Ihr ein feiner Kerl seid!« rief sie burschikos.

Ein wehes Lächeln lag um Ruths Mund,

»Wollen wir noch heute zu Jed?« bat Helen.

»Ja, ist er denn noch hier?«

Plötzlich überfiel sie Angst, was würde sein, wenn Sheriff Landert Jeds Anwesenheit zu wissen bekäme!

»Natürlich ist er noch hier!« Fast jubelnd rief es Helen, um dann ernst zu fragen: »Sagt mal Ruth, wem glaubt Ihr denn eigentlich zu verdanken zu haben, daß Eure Leute wieder zurückgekommen sind?«

»Ich dachte Chick?« Die Antwort kam aber schon recht zweifelnd von Ruth.

»Chick, der Draufgänger? – Nein, der wollte ganz etwas anderes.

Nur einer besaß die Macht, die Boys auf dem richtigen Weg zu halten, und das war Jed Corner!«

Entschlossen wandte sich Ruth nun an Helen.

»Können Sie mich sofort zu Jed Corner führen, Helen?«

Mit einem verschmitzten Lächeln sah Helen sie an.

»Ja, das kann und will ich. Auf einem meiner Streifzüge fand ich Jeds Hütte im Gebirge; dort wird er sein.«

Sie traten aus dem Wohnzimmer, wo ihre Unterredung stattgefunden hatte. Draußen trat ihnen Percy Archey entgegen. – Er sah sehr angegriffen aus.

»Ruth,« redete er sie an, »kann ich Dich einen Augenblick sprechen?«

Mit einem bittenden Blick zu Helen, sich zu gedulden, erwiderte sie ihm: »Gern, Percy!«

Sie trat zurück in das Wohnzimmer; Percy folgte ihr.

»Ruth,« begann er sogleich, »ich habe mich entschlossen, noch heute nach New York zurückzukehren.«

Beistimmend nickte Ruth mit dem Kopf; sie hatte dieses kommen sehen.

»Ich wollte Dich um Entschuldigung bitten, wenn Du um meinetwillen Unannehmlichkeiten hattest. Aber, Ruth, mich macht hier alles krank und nervös, ich bin mir meiner Nerven nicht mehr sicher.«

»Laß gut sein, Percy, ich kann Dich verstehen. In New York, in unserem alten Kreis, wirst Du Dich sofort wiederfinden.«

»Ja, das glaube ich auch. Ich habe noch eine Frage an Dich, Ruth,« sagte er warm.

Percy sah Ruths gequältes Gesicht, aber er mußte klar sehen, darum sprach er weiter.

»Ruth, Du weißt, daß ich Dich liebe und nur den einen Wunsch habe, Dich mein nennen zu können. Wirst Du mit mir nach New York kommen?«

»Nein, Percy!« erwiderte sie ihm leise, aber entschlossen.

Er versuchte, seine Enttäuschung nicht zu zeigen, mit eiserner Energie beherrschte er sich.

»Was hält Dich hier, Ruth?«

»Nichts Besonderes und doch alles. – Sieh Percy,« Ruth wurde lebhaft, »seitdem ich hier bin, merke ich, daß ich ein anderer Mensch zu werden beginne. Ich weiß nicht, ob ich es Dir richtig erklären kann, was ich damit meine. Ich habe anderes kennen gelernt, alles, an dem mein Herz früher hing, und was mir unendlich wichtig dünkte, kommt mir jetzt so unnütz und nebensächlich vor. Schal erscheint mir mein früheres Leben.

Und wir beide, Percy? Ich habe Dich gern und habe Dich stets gern gehabt. Aber heute weiß ich, daß dieses gern haben nicht zu einer Ehe reicht. In einer Ehe mit Dir, Percy, wäre ich nicht geschützt. Weißt Du, was das heißt? Ich glaube, ich würde unendlichen Lebenshunger bekommen, und unsere Ehe wäre über kurz oder lang zerstört, wenn man das mit klaren Augen einsieht, dann geht man eine solche Ehe, die uns beide unglücklich machen und uns nur einander entfremden würde, doch nicht ein. Percy, das mußt Du verstehen.« Man hörte ihr an, daß sie um seine Freundschaft und sein Verständnis warb.

»Außerdem,« sprach sie weiter, als Percy stumm verharrte, »habe ich mir fest vorgenommen, ein halbes Jahr hier auszuhalten. Ich will mir selbst beweisen, daß ich noch zu etwas anderem fähig bin, als nur im Luxus zu leben. – Ich bitte Dich, Percy, laß uns als Freunde scheiden.«

Schweigend hatte Percy sie ausreden lassen; als sie verstummte, drehte er sich um, übersah ihre ausgestreckte Hand und verließ das Zimmer.

Achselzuckend ließ ihn Ruth scheiden. Es tat ihr weh, daß Percy, ihr Jugendfreund, so von ihr ging. Doch ihr Entschluß stand fest, und nichts ließ sich daran ändern.

Heute schien sich alles gegen sie zu verschwören, denn trotzdem Ruth darauf brannte, Helen zu folgen, kam sie nicht dazu, ihren Vorsatz auszuführen. Sie hatte noch nicht das Zimmer verlassen, als es schon wieder klopfte und Desmond eintrat.

»Also hier finde ich Dich endlich!« rief er.

Ruth seufzte ein wenig ungeduldig auf, aber Desmond überhörte es.

»Weißt Du, daß Percy heute fährt?« fragte er.

»Ja!«

»Du läßt ihn fahren, Ruth?«

»Ja!«

»Nun,« Desmond schien zu überlegen, »Ruth, ich möchte, wenn Du es richtig verstehst, noch einmal auf meinen Vorschlag zurückkommen.«

Einen Augenblick sah ihn Ruth verständnislos an, dann blitzte es in ihren Augen auf.

»Desmond,« sie trat auf ihn zu und nahm seine Hand, »Du bist doch in Wirklichkeit ein guter verständiger Freund.«

Verlegen und sich hinter seiner spöttischen Art versteckend, wehrte Desmond ab.

»Doch!« beharrte Ruth. »Ich danke Dir für Deinen Vorschlag: Ich nehme ihn an.«

»Das habe ich mir gedacht, Ruth. Darum fahren wir nun auch gleich mit Percy. Es ist besser, wenn der Junge jetzt nicht allein ist.«

Corinne und Eveline schienen schon von Desmond verständigt zu sein, denn Ruth, die Desmond nach oben folgte, fand sie beim Kofferpacken vor.

Fast wollte Ruth ihr Entschluß leid tun, doch es war besser so, ihr wehmütiges Gefühl verbarg sie unter Lachen und Scherzen, während sie den Freundinnen half.

Als sie herunterkam, stand Helen wartend an der Treppe.

»Ruth, es ist die höchste Zeit,« drängte sie, »sonst kommen wir heute nicht mehr hin.«

»Sofort, Helen, da draußen steht ja schon der Wagen, der meine Freunde fortbringen soll.«

»Sie irren, Ruth, das ist Dr. Brittons Wagen, der soeben angekommen ist.«

»Dr. Britton?« Vor Überraschung schlug Ruth die Hände zusammen.

Doch jetzt fuhr auch der Wagen vor, den Percy bestellt hatte. Percy und Desmond traten zu ihnen.

»Grüße Lew Forest von uns, Ruth, und wir wünschen ihm alles Gute,« bat Desmond. Er nahm Ruths schmale kleine Hand und küßte sie: »Vergiß Deine alten Freunde nicht, Ruth,« sagte er warm.

Ruth schluchzte; der Abschied wurde ihr doch schwerer, als sie angenommen hatte. Es war ihr, als ob mit der Abreise der Freunde ein Strich unter ihr bisheriges Leben gezogen würde. Percy hatte sich wieder gefaßt, er wollte keinen Mißklang in diese letzten Minuten hineinbringen und sagte Ruth ruhig und freundlich Adieu.

»Unser Entschluß ist schnell gegangen, nicht wahr, Ruth?« meinte Eveline.

Ruth nickte nur stumm; antworten konnte sie jetzt nicht. In Corinnes Augen standen Tränen, als sie Ruth zum Abschied herzlich küßte. Desmond wartete schon auf sie und nahm sich der leise schluchzenden Corinne an.

Der Wagen war längst nicht mehr zu sehen, als Ruth noch immer auf den Punkt starrte, wo sie zuletzt ein weißes Tüchelchen hatte wehen sehen. Ihre Augen waren blind vor Tränen; leer erschien ihr alles, und sie kam sich völlig verlassen vor.

Mit Energie riß sie sich aus der Stimmung, und als sie sich Helen zuwandte, die rücksichtsvoll zurückgetreten war, merkte man ihr nichts mehr von dem eben gehabten Empfinden an.

»So, Helen, jetzt gehöre ich Ihnen!« sagte sie tapfer.

»Und Dr. Britton?«

»Dr. Britton muß warten, bis wir zurück sind. Ich kann ihm leider nicht helfen.«

Ruth trat ins Haus zurück.

»Haller!« rief sie.

Wie ein Blitz war Haller da; sie gab ihm den Auftrag, schnell ihr Pferd zu satteln, und, wenn Mr. Forest käme, ihn zu bitten, sich Dr. Brittons anzunehmen.

Dann eilte sie in die Bibliothek, in der Dr. Britton saß, und sich bei ihrem Eintritt erhob.

»Dr. Britton,« Ruth sprach hastig und aufgeregt, »Sie müssen entschuldigen, aber ich war auf Ihr Kommen nicht vorbereitet. Ich habe etwas Unaufschiebbares vor, nach Erledigung desselben stehe ich Ihnen zur Verfügung. Werden Sie so lange mein Gast sein?«

»Ja, Miß Harries!« erwiderte ihr Dr. Britton.

Wäre Ruth nicht so in Hast und Aufregung gewesen, so wäre ihr sicher Dr. Brittons ernstes und besorgtes Gesicht aufgefallen.

Aber kaum hatte sie seine Zusage erhalten, als sie schon wieder das Zimmer verließ. Sie sah nur noch einmal flüchtig zurück:

»Bitte, fühlen Sie sich, als ob Sie zu Hause seien,« bat sie ihn.

Draußen wartete schon ihr Pferd und Helen auf sie.

»Haller,« wandte sie sich noch einmal an den ihr Pferd haltenden Cowboy. »Sorgen Sie für Dr. Britton, ich verlasse mich ganz auf Sie.«

»Können Sie unbesorgt!« antwortete ihr dienstbeflissen Haller.

Dann folgte sie Helen, die gleich ein solches Tempo anlegte, daß Ruth nur mit äußerster Anstrengung folgen konnte.



 << zurück weiter >>