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Zwölftes Kapitel.

Im Eiltempo raste Percy Archey dem Ranch-Hause zu. In seiner Erregung bemerkte er gar nicht, daß Lew Forest, eine Zigarette rauchend, in der Tür des Hauses stand. Er rannte gegen ihn an und prallte zurück.

»Forest,« stieß er atemlos aus, »die Leute sind fort!«

Ruhig nickte ihm Lew zu. Fassungslos erstaunt ob so viel unerschütterlicher Ruhe sah Percy ihn an. Lew reichte ihm stumm einen Zettel hin. Hastig überflog er die Zeilen.

 

Wir wollen nicht unter einem Grünschnabel arbeiten! Wir gehen und verzichten auf unseren Lohn! Dafür nehmen wir uns Vieh mit, damit die Bewirtschaftung der Ranch nicht allzu schwer wird.

Im Namen der Leute der Jolivet-Ranch.
Travell.

 

Mit hochrotem Kopf sah Percy wieder auf.

»Solche Schufte!« rief er empört.

»Vorsicht mit Euren Worten, Mr. Archey!« entgegnete Lew warnend.

»Na, Ihr wollt doch wohl kaum diese – diese …,« Percy suchte nach einem passenden Wort, das seine Empörung ausdrücken sollte. Er fand aber keines, das ihm bezeichnend genug war, »… in Schutz nehmen?«

»Nein, ihr Vorgehen will ich nicht entschuldigen. Aber sie haben nicht allein die Schuld an der Katastrophe.«

Percy konnte dem Blick Lews nicht standhalten, er sah zur Seite.

»Percy Archey, daß das hier eine Katastrophe ist, darüber sind Sie sich doch wohl klar?«

Er erhielt keine Antwort auf seine sehr ernst gestellte Frage, sondern Percy ging stumm ins Haus. Leer und verlassen lag dieses da. Seine Schritte wurden immer langsamer. Es war noch nicht ganz hell, und alles lag noch im tiefen Schlummer.

Nur zögernd klopfte er an Ruths Tür. Er bekam sofort Antwort.

»Ruth,« Percy mußte sich erst räuspern, um weiter sprechen zu können, »ich muß Dich sogleich sprechen.«

»Sofort!« kam ausgeschlafen die Antwort zurück.

Percy trat zurück; in verhältnismäßig kurzer Zeit stand Ruth vor ihm.

»Was ist los, Percy?« Sie sah forschend in sein blasses Gesicht.

Stumm reichte er ihr den Zettel, den sie überflog.

»Was nun?« fragte sie. Percy zuckte mit den Achseln.

»Wir müssen sogleich versuchen, neue Leute aufzutreiben,« antwortete er schließlich. »Sei froh, daß Du diese Räuber los bist, Ruth!«

»Sei froh – sei froh!« Ruth riß der Geduldsfaden. »Das sagtest Du, als Jed Corner ging; das sagst Du jetzt, wo die Leute fort sind; das wirst Du wohl auch sagen, wenn die Ranch in Grund und Boden gewirtschaftet ist.«

Nach diesen Worten stürmte Ruth die Treppe hinunter. Sie wollte Haller rufen, im letzten Moment fiel ihr ein, daß der wohl auch fort sein würde.

Draußen stand noch Lew; Ruth trat zu ihm.

»Miß Ruth, es werden gleich Leute von der Meßter-Ranch kommen, die heute aushelfen werden. Wenn Sie mir erlauben, stelle ich die Leute hier an.«

»Ich danke Ihnen, Lew!« Man hörte Ruth die Erleichterung an, erst einmal aus der ersten Verlegenheit geholfen zu sein.

»Woher weiß man von dem Unglück schon?«

»Ich traf heute früh Helen Meßter, gerade als ich die Entdeckung gemacht hatte. Sie bot es selber an. Miß Harries, man muß sich doch gegenseitig freundschaftlich helfen.«

Ruth atmete tief auf; ihr Blick wurde wieder freier; die Verzweiflung, die über sie hatte kommen wollen, wich. Dankbar sah sie Lew an und reichte ihm die Hand.

»Wollen Sie mir helfen, Lew?«

»Gern, Miß Ruth?«

»Lew, werden Sie wieder nach New York zurückkehren?« leise und vorsichtig fragte ihn Ruth.

»Nein, niemals!«

Ruth nickte; sie hatte diese Antwort erwartet.

»Wissen Sie schon, was Sie anfangen wollen, Lew?« tastete sie vorsichtig weiter.

»Nein, Miß Ruth! – Aber irgendetwas wird sich schon finden.«

»Lew, würden Sie hier Verwalter werden?«

Es dauerte eine Weile, bis Lew ihr antwortete: »Nein, Miß Ruth! Ich danke Ihnen für Ihren Vorschlag; aber ich werde nicht Jed Corners Nachfolger.«

Ruth biß sich auf die Lippen, immer wieder Jed Corner, der ihr, wie sie meinte, hindernd in den Weg trat.

Eine Reiterschar näherte sich, geführt von Helen Meßter. Ruth ging ihr entgegen. Lachend sprang Helen vom Pferde.

»Ist alles nicht so arg schlimm, Miß Harries!« rief sie ihr zu. Ruth wollte ihren Dank aussprechen; Helen aber wehrte ab.

»Wir sind doch Nachbarn!« sagte sie ernst. Man hörte, was für eine Verpflichtung Helen daraus ersah.

Nun ging alles schnell; willig ordneten sich die Boys Lew Forest unter. Helen folgte Ruth ins Haus. Dort stellte es sich heraus, daß Ruth nicht einmal wußte, wo sich die Küche befand. Sie war noch nicht ein einzigesmal dort gewesen. Helen sah sie erstaunt an, während Ruth errötete. Als die gutherzige Helen dieses sah, sagte sie schnell: »Folgen Sie mir, Miß Harries. Sie haben Gäste im Haus, und wir wollen schnell für sie sorgen, nicht wahr?«

Stumm und beschämt, daß ihr nicht einen Augenblick dieser Gedanke gekommen war, folgte sie der energischen Helen.

Und nun mußte sie Arbeiten verrichten, die sie wohl noch nie im Leben getan hatte. Sie stellte sich demnach auch nicht sehr geschickt an, aber Helen tat, als sähe sie das nicht. Lebhaft plaudernd lehrte sie, ohne daß Ruth sich beschämt fühlen konnte, die einfachsten häuslichen Arbeiten. Dabei erzählte sie immer im Plauderton, was Majorie und sie im Hause für Pflichten hätten, und was eine Ranch-Frau wissen mußte.

In dieser kleinen Stunde lernte Ruth allerlei. Als sie schließlich das fertige Frühstück auf ein Tablett gestellt hatten, welches Ruth nach oben bringen sollte, wendete sie sich impulsiv Helen zu.

»Helen – ich darf Sie doch Helen nennen?« Als Helen bejahend mit dem Kopf nickte, fuhr Ruth bittend fort: »Ich habe eine Bitte an Sie. Wollen Sie meine Freundin sein?«

Ernst sah Helen sie an. Eigentlich war sie auf Ruth gar nicht gut zu sprechen; aber als sie in ihre bittenden, blauen Augen sah, die den besten Willen hatten, ein Verständnis zwischen ihnen zu suchen, siegte ihr gutes Herz.

»Einverstanden!« erwiderte sie einfach und legte ihre Hand in die ihr gebotene. Ein fester, männlicher Händedruck seitens Helens besiegelte die neue Freundschaft.

Oben auf der Veranda fanden sie Percy Archey vor, der sich gekränkt dorthin zurückgezogen hatte.

»Percy, komm und hilf mir!« rief sie ihm lachend entgegen, das schwere Tablett balancierend.

Nachdem er Helen steif begrüßt hatte, schickte er sich an, ihr zu helfen; aber so widerwillig, daß Ruth es achselzuckend aufgab, Percy einer guten, versöhnenden Stimmung zuzuführen. Denn er es selbst nicht einsah, daß sie zum guten Teil durch seine Schuld in diese Unannehmlichkeiten geraten war, dann war ihm nicht zu helfen. So überließ sie ihn schließlich seiner schlechten Laune und übersah sein griesgrämiges Gesicht.

Etwas später traten die anderen an den fertig gedeckten Tisch zum Frühstück. Nun erzählte ihnen Ruth, was sich inzwischen begeben hatte.

Desmond beschloß sofort, zu Lew zu reiten, um sich mit seinen schwachen Kräften, wie er es selbst bezeichnete, zur Verfügung zu stellen.

Mit mehr gutem Willen als Können, boten Corinne und Eveline Ruth ihre Hilfe an und wurden nun von Helen angestellt.

Wenn die Leute nach Hause kämen, wollten sie schließlich auch zu essen haben, erklärte Helen energisch.

Nur Percy zog sich gekränkt wie ein Entthronter zurück. Niemand achtete seiner.

Heute klang aus der Küche Lachen und lebhaftes Sprechen. Helen führte mit guter Laune das Regiment.

Es war kurz vor Mittag, als Sheriff Landert, angezogen durch das Lachen, seinen Kopf durch die Küchentür steckte.

»Miß Harries!« rief er herein. Bei seinem Anblick verstummten alle; plötzlich wurde ihnen wieder der Ernst ihrer Lage bewußt.

Ruhig trat ihm Ruth entgegen.

»Na, Miß Harries, nun wären wir ja soweit!« sagte er von oben herab. »Ich sagte Ihnen doch, Sie möchten mich rufen, wenn Sie mich brauchten!«

»Wenn ich Sie brauchte, Sheriff?« Ruth tat erstaunt.

»Na ja, jetzt brauchen Sie mich doch!« kam es ungeduldig zurück.

»Inwiefern, Sheriff?«

Verdutzt sah Sheriff Landert sie an.

»Miß Harries,« Sheriff Landerts Stimme klang sehr ernst, »ich bin doch richtig unterrichtet worden? Ihnen soll doch von ihren früheren Cowboys Vieh gestohlen worden sein. Dort draußen halten schon meine Leute, mit denen ich ihnen nachsetzen will.«

»Sheriff Landert, Ihr seid nicht richtig unterrichtet. Denn ich habe meinen früheren Leuten das Vieh – geschenkt.«

Verblüffter konnte niemand dreinschauen als Sheriff Landert. Ein Bravo, das Helen unwillkürlich ausstieß, riß ihn aus seiner Verwunderung. Er drohte Helen mit dem Zeigefinger, dann wandte er sich an Ruth.

»Dann habe ich allerdings hier nichts zu tun, Miß Harries. Wollen hoffen, daß die Burschen es bei dem einen Geschenk belassen werden. Es sind Jungen darunter, die losgelassen, uns alle bös mitspielen können.«

Er gab Ruth die Hand. Trotz des Ernstes, der aus seinen Worten sprach, glaubte sie doch eine große Erleichterung in seinem Gesicht zu lesen. Sie begleitete ihn hinaus und sah ihn zu seinen Leuten sprechen; dann trat er wieder zu ihr.

»Miß Harries, seien Sie versichert, daß ich alles daransetzen werde, sogleich Cowboys für Sie zu finden. Ich darf Ihnen aber nicht verhehlen, daß es in dieser Zeit nicht leicht sein wird.«

Ruth dankte ihm, und Sheriff Landert ritt mit seinen Leuten fort. So unbekümmert, wie sich Ruth allen gegenüber gab, war sie durchaus nicht. Im Gegenteil, sie machte sich innerlich die heftigsten Vorwürfe, daß es soweit hatte kommen können. Sie sprach sich selbst einen großen Teil Schuld zu, durch Nachlässigkeit und Nichtverständnis ihren Leuten gegenüber, diese Katastrophe herbeigeführt zu haben.

Heute morgen ging ihr Onkel Jolivet nicht aus dem Kopf.

»Fein stehe ich jetzt vor Dir!« sagte Ruth leise und traurig. Sie nahm sich fest vor, mit besserem Willen das ihr anvertraute Erbe zu hüten.


Ein merkwürdiger Zug schlängelte sich vom Gebirge herunter in die Hochebene Wilhelmstone zu.

Müde, verbrannte und verstaubte Gesichter hatten die Leute, die schweigsam und teils mit gesenktem Kopf dahinritten.

Es waren die Cowboys der Jolivet-Ranch unter Führung Chick Langwools.

Herrgott, war das eine Nacht gewesen! – Chick meinte noch, die brennenden Augen Jed Corners auf sich und die Männer, die mit ihm kamen, gerichtet zu fühlen. Nie noch meinte Chick eine solche Willenskraft von einem Manne ausströmen gefühlt zu haben, wie sie von Jed Corner kam, da sie ihm ihren ausgeführten Plan und Entschluß mitteilten. – was ihnen Jed darauf geantwortet hatte, schwirrte ihm noch im Kopfe herum. Die Worte: Pflicht – Dankbarkeit gegen Oliver Jolivet – Anständigkeit – Ehrlichkeit – gerader Weg – Liebe zu dem, was geschaffen worden war – und die Zukunft, die man sich nicht verbauen dürfte, tönten ihm ins Ohr. Auch Spott, wie: Sogenanntes freies Leben – ewig gehetzt sein – Ruhelosigkeit – Desperadoehre und Auflösung jeglicher Moral tönte in ihm wieder.

Alles zusammen faßte Chick bei sich in den Satz zusammen: Helen, hat recht gehabt!

Wieder hörte er Jed sagen: daß er nur deshalb noch hier wäre, weil er diese Stunde hatte kommen sehen.

Chick wußte, niemals wieder würde er im Leben das Bild vergessen, wie Jed Corner vor den erst murrenden, dann immer ruhiger werdenden und schließlich sich unterwerfenden Männer aufrecht und fest stand.

So viel Energie und unbeugsamer Wille war von dieser Führernatur ausgestrahlt, daß Chick verstand: die Männer mußten sich ihm fügen, ob sie wollten oder nicht. Erst jetzt glaubte Chick, Jed Corner kennen gelernt zu haben.

Ohne ein Wort des Widerspruchs hatte auch er sich ihm gefügt; daran war nicht zuletzt Helen schuld. Dieses hatte nicht seinen Eindruck auf die Männer verfehlt, und als später dann Jed Corner ihnen einen Vorschlag machte, waren sie froh, darauf eingehen zu können.

Sie hatten den Befehl von ihm erhalten, denn ein Befehl war es gewesen, unverzüglich das Vieh auf die Ranch zurückzubringen; sich solange Miß Harries zur Verfügung zu stellen, bis sich andere Cowboys für die Ranch gefunden hätten. Dann sollte, wer Lust habe, zu Jed zurückkehren. Er versprach ihnen, sie unter seiner Führung in seine Heimat zu bringen, wo noch Land genug sei, um sich anzusiedeln. Er verschwieg ihnen nicht, daß harte Arbeit ihrer harren würde, härtere als auf der Jolivet-Ranch, und deshalb solle es sich jeder überlegen, bevor er ihm zu folgen sich entschlösse.

Mit erhobener Stimme hatte er erklärt, er würde aber jeden von ihnen verfolgen, der sich auf der Jolivet-Ranch noch etwas zu schulden kommen lassen würde. Später hatte er ihnen den Rückzug noch erleichtert, er appellierte an ihr Ehrgefühl einer Frau gegenüber, die sie nicht in Unannehmlichkeiten stürzen dürften.

Mit einer wohlbedachten Rede antwortete ihm Travell, und mit einem hoch auf Jed Corner verließen sie ihn, um schließlich den Canossagang anzutreten. Daß es ein solcher war, ging ihnen auf, je näher sie der Jolivet-Ranch kamen. Bisher wirkte Jed Corners Persönlichkeit noch auf sie. Aber bald umgaben Chick Langwool, der sich stillschweigend angeschickt hatte, die Leute wieder zurückzuführen, immer verschlossenere und finstere Gesichter.

Plötzlich hielt der ganze Zug, denn Chick hatte sein Pferd herumgeworfen und seinen Arm erhoben.

»Jungen,« rief er mit klarer, frischer Stimme, »es scheint mir, als ob Ihr alle verdammt stumm und mürrisch geworden seid! – Ich habe das Empfinden, daß Euch der Weg zur Ranch höllisch schwer fällt. Ihr scheint ihn als persönliche Niederlage zu empfinden.

Jungen, ist Euer Entschluß nicht freiwillig? Könnte einer Euch zwingen, zurückzukehren? Mit dieser Bagatelle von Vieh wollt Ihr Euch nicht befassen, etwas anderes habt Ihr im Sinn!

Nun gut, geben wir ihnen ihr Vieh zurück, und tun wir unsere Pflicht, wie es uns recht dünkt. Seite an Seite will ich mit Euch stehen! Jed Corner ist ein feiner Junge, und was er Euch vorschlägt, hat Hand und Fuß.«

Chicks ersten Worten hörten sie mit gesenktem Kopfe zu; nach und nach reckten sie sich hoch, und mit leuchtenden Augen sahen sie ihn an. Ihr Weg, der ja, wie Chick selbst sagte, freiwillig war, und den er mit ihnen gehen wollte, dünkte sie auf einmal leichter. Und als er jetzt sein Wort schloß:

»Jungen, laßt uns ein dreifaches Hurra auf ihn ausbringen!« da folgten sie bereitwillig seinem Vorschlage. Und als er noch einmal seine Stimme erhob: »Jungen, tut Chick Langwool den Gefallen und singt eins Eurer Cowboy-Lieder!« da gab es niemanden, der zurückblieb, als Travell anstimmte.

Schon von weitem hörten die auf der Veranda zum Abendbrot versammelten den Gesang. Lew Forest berichtete gerade von den Ereignissen des Tages. Einige Cowboys hatte er beim Vieh draußen gelassen, bis Ablösung kommen würde. Da sich bisher nur ein landfremder Cowboy gemeldet hatte, sah es recht traurig aus, und alle befanden sich in mehr oder weniger gedrückter Stimmung.

Helen, die sie den ganzen Tag nicht verlassen hatte, nebst Lew, waren diejenigen, welche zuerst den fernen Gesang vernahmen. Sie machten die anderen darauf aufmerksam, und alle eilten sie nach vorn, neugierig, was der sich nähernde Gesang so vieler Männerstimmen wohl zu bedeuten habe.

Da sahen sie die sich langsam nähernden Reiter, an deren Spitze Chick Langwool ritt. Mit glänzenden Augen sah ihnen Helen entgegen; sie wußte sofort, was dieser Zug bedeutete.

Rastlos preßte Ruth ihre Hände zusammen; eine grenzenlose Erregung hatte sie ergriffen.

Jetzt lenkte Chick sein Pferd durch das Tor in die Ranch; alle hinter ihm Reitenden folgten ihm. Vor Ruth parierte er sein Pferd durch.

»Miß Harries,« sagte er, jetzt wieder in seiner nachlässigen Art sprechend, »die Jungen haben mich beauftragt, Ihnen folgendes zu sagen:

»Sie haben sich die Sache bedacht, und sie wollen nicht gegen eine Frau kämpfen und bleiben bei Euch, bis Ihr Ersatz gefunden habt, wenn es Euch so recht ist. Und erst nachdem Ihr ihnen ordnungsgemäß ihren Lohn ausgezahlt habt, werden sie die Ranch verlassen.

Das Vieh, welches sie sich als Lohn genommen hatten, ist schon wieder auf die Weiden zurückgetrieben. – Seid Ihr damit zufrieden, Miß Harries?«

Bei seinen letzten Worten war Chick vom Pferde gesprungen; die Cowboys blieben noch abwartend halten.

Da durchschnitt eine schneidende Stimme die Stille: »Miß Harries wird wohl kaum noch Wert auf diese Viehdiebe legen!«

Alle Wut, die sich im Laufe des Tages in Percy Archey angesammelt hatte, brach jetzt aus ihm heraus.

Ehe noch einer einen Gedanken fassen konnte, stand Chick vor Percy, der ihn kreideweiß vor unterdrückter Wut anstarrte.

»Nehmen Sie das sofort zurück, Percy Archey!« Heiser klang Chick Langwools Stimme.

»Ach, wir sollen wohl alles einstecken wie ich damals Ihren ›Feigling‹? – Glauben Sie, ich hätte das vergessen?« schleuderte ihm Percy ins Gesicht.

Chick maß ihn mit seinen Blicken.

»Nun gut,« sagte er mit eiserner Ruhe, »wie wollen Sie sich aus der Situation ziehen?«

Jetzt konnte Percy nicht mehr an sich halten. Seine grenzenlose Enttäuschung und das Gefühl, in Ruths Achtung gesunken zu sein, und auch die aufgespeicherte Wut machte sich in einem Wort »so« Luft, das zischend aus ihm herausfuhr. Dabei schlug er seine geballte Faust Chick ins Gesicht. Dieser taumelte einen Schritt zurück; mit einer Hand faßte er sich an die getroffene Stelle.

»Ach so,« sagte er langsam, »das war allerdings deutlich!«

Plötzlich warf er seine Jacke fort und stand vor Percy, der ihn in Boxerhaltung erwartete.

Bisher waren alle sprachlos dem Gang der Dinge, die sich blitzschnell abspielten, gefolgt. Jetzt sprangen die Männer von ihren Pferden und bildeten einen Kreis um die beiden Kämpfenden; unter ihnen befanden sich nun auch Lew Forest und Desmond Grane.

Trotz Chicks erheblicher Körperstärke fühlte Desmond keine Angst für Percy. Mehr als einmal hatte er ihn boxen gesehen und wußte, daß Percy darin Erstaunliches leistete, Heute war er auch nicht müde und abgespannt; eher Chick, dem man die durchwachte und durchrittene Nacht ansah. Die Chancen mochten demnach ungefähr gleich sein.

Ratlos sahen die Mädchen dem Beginnen der Männer zu. Ruth wollte durch den Kreis der Männer dringen, um zu versuchen, Einhalt zu gebieten, als sie sich von Helen an den Arm gefaßt fühlte. Diese war erblaßt, doch ihre Stimme klang ruhig und fest, als sie zu Ruth sprach:

»Lassen Sie, Ruth, darin dürfen wir Mädchen uns nicht einmischen; das hier ist Männersache.«

Willenlos ließ sich Ruth einige Schritte zurückführen.

Indessen standen Chick und Percy schon mitten im Kampf.

Wohl hatte Chick die größere Reichweite, aber geschickt wich Percy in tänzelnder Weise seinen Schlägen aus. Beide boxten ruhig, und sich und ihre Kampfstärke messend.

Plötzlich sauste Percy auf seinen Gegner zu. Wie Trommelfeuer prasselten seine Schläge auf Chick los, der ihnen gelassen standhielt. Atemlos verfolgten alle den Kampf. Wären sie nicht so ernst gewesen, wären jetzt sicher Wetten gestiegen, denn solche Gelegenheit ließen sich die Boys nur ungern entgehen.

Percy war wieder zurückgesprungen; er ließ Chick nicht an sich herankommen. Chicks Lippe war aufgesprungen und blutete.

Jetzt wurde Percy leichtsinnig, da er seinen Vorteil sah und diesen wahrnehmen wollte; er griff auf einmal wütend an. Chick dagegen blieb ruhig, und es gelang ihm, Percy einen Stoß zu versetzen, der Percy vollkommen aus dem Gleichgewicht brachte. Noch aber war der Ausgang des Kampfes zweifelhaft. Zweimal kam es zum Nahkampf.

Mit Schrecken sah Desmond, daß Percy zu ermüden begann, indessen sich Chick abwartend verhielt. Sein Atem ging so ruhig wie vordem, und sein Körper arbeitete exakt wie eine Maschine. Nun schien Chick die Schwäche seines Gegners entdeckt zu haben, der die Schwinger nur so durch die Luft wirbeln ließ; dabei gab Percy sich eine Blöße, die er sich bei ruhiger Überlegung nie gegeben hätte. Genau so schnell, wie Desmond es sah, hatte auch Chick es erfaßt. Er holte aus – und seine Faust traf Percys Kinn. Ein regelrechter ›K. o.‹ setzte Percy matt. Ohnmächtig brach er zusammen.

Johlendes Beifallsgeschrei der Cowboys feierte Chick, der ruhig seine Jacke anzog. Plötzlich stand Helen vor ihm; eine zitternde Hand reichte ihm ein so kleines Tüchelchen, daß sich Chick erst überlegen mußte, was dieses vorstellen sollte. Mit einemmal wurde es ihm klar; es war Helens Taschentuch. Ehrfurchtsvoll nahm er es von ihr entgegen, um es mit einem tiefen Blick in ihre Augen einzustecken. Dann holte er aus seiner Tasche ein großes, buntes Tuch und wischte sich lachend Schweiß und Blut aus dem Gesicht.

Inzwischen hatten sich Lew und Desmond Percys angenommen. Sie trugen ihn ins Haus und versuchten, ihn wieder zu sich zu bringen, was auch ohne Schwierigkeit gelang. Percy murmelte ein »Danke!« dann ging er schweigend nach oben in sein Zimmer. Kopfschüttelnd sah ihm Desmond nach.

Draußen war Travell, den Hut verlegen in der Hand drehend, zu Ruth getreten.

»Miß Harries,« sagte er, »seht Ihr unsere Tat auch so an wie Mr. Archey?«

»Nein,« entgegnete ihm Ruth fest, »Ihr hattet nichts genommen, was Euch nicht gehörte.« Als Travell und die sie umstehenden Boys sie nun doch betroffen ansahen, lächelte Ruth leise. »Ich hatte Euch das Vieh geschenkt, Travell!«

Nach einer stummen Pause nickte Travell zweimal mit dem Kopf. Dann sagte er etwas, was allerdings gar nicht im Zusammenhang mit dem Vorhergehenden stand. Ruth begriff aber trotzdem.

»Ihr sollt Euch nicht in uns getäuscht haben!«

Als darauf die Cowboys Ruth verließen, war es ihr, als ob sie hier ihren ersten Sieg errungen hätte. Nun trat sie auf Chick zu, der noch mit Helen abseits stand.

»Chick, ich danke Euch, daß Ihr die Leute heimbrachtet. Hoffentlich kann ich Euch den Freundschaftsdienst einmal zurückgeben!« sagte sie herzlichst und wandte sich dann schnell dem Hause zu, um besorgt nach Percy zu sehen.

So sah sie nicht den Blick, den Chick und Helen wechselten. Bei Ruths Worten war Chick rot geworden; er hatte ihr antworten wollen, doch Ruth hatte ihm keine Gelegenheit dazu gegeben. Jetzt wandte er sich an Helen.

»Helen,« sagte er, »Ihr hattet recht. Jed Corner schickt uns zurück. Im übrigen wußte ich schon, daß Ihr recht behalten würdet,« setzte er leise hinzu, »bevor wir ihn erreichten. Ich hatte Eure Worte im Kopf behalten und sie mir überlegt.«

Nun war es Helen, die errötete: »Chick, Ihr wäret auch von selbst darauf gekommen.«

»Na, lassen wir das, Helen! Jedenfalls verspreche ich Euch, mir von nun ab besser zu überlegen, was ich tun will.«

Eine solche Freude strahlte ihm aus Helens Augen entgegen, daß er sich überreich für seinen Entschluß belohnt fühlte.

»Nun kommt, Chick, zu Majorie! Die hier,« Helen wies auf das Ranch-Haus, »werden heute abend genug mit sich selbst zu tun haben.«

Gern folgte ihr Chick; unterwegs holte sie Lew ein, der sich ihnen anschloß. Chick berichtete dann noch, daß so lange die Cowboys auf der Ranch tätig wären, er ihnen versprochen hätte, mit ihnen zu arbeiten.

Ruhig und zufrieden verlief im Hause Meßter der Abend. Mit Wohlgefallen sah Will Meßter Chick wieder in seinem Hause. Er hatte den langen, rothaarigen Schlingel, wie er ihn bei sich nannte, in sein Herz geschlossen. Chick muß sich erst austoben. Bestimmt kam später bei ihm der gute Kern heraus, auf den man Häuser bauen konnte, meinte Will Meßter.

So sah er Helens Zuneigung für Chick nicht ungern. Auch verließ er sich da auf Helens gesundes Gefühl; sie würde schon das Richtige finden. Er beschloß aber, seine Augen offen zu halten und einzugreifen, wenn er Helens Glück gefährdet sehen würde.


In der mondhellen Nacht, als alles im Hause ruhig war und schlief, saß Ruth noch lange allein und einsam auf der Veranda. Der vergangene Tag ließ sie nicht schlafen. Sie zog Vergleiche zwischen ihrem früheren Leben und dem jetzigen sowie dem Leben, das sie sich durch Helens Schilderungen ausmalen konnte. Fast beneidete sie Helen um deren Sicherheit. Auch würde sich Helen immer im Leben zurechtfinden und auf eigenen Füßen stehen können, was ihr, Ruth, sicher sehr schwer, wenn nicht unmöglich sein würde.

Ihre fünfundzwanzig Lebensjahre zogen in buntem Wechsel an ihr vorüber. Befriedigung hatte ihr nichts gegeben; eigentlich hatte sie sogar mit ein wenig Angst und Bangen in die Zukunft geblickt, in der sie sich an Percy Archeys Seite gesehen hatte.

Ruth beneidete Lew Forest, daß er nicht wieder nach New York zurückkehren wollte. Aber – zum ersten Male kam ihr der Gedanke, daß ja auch sie nichts davon abhielt. hierzubleiben und ein neues Leben von Grund auf anzufangen. Als ihr dieser Gedanke kam, wagte Ruth nicht einmal zu atmen. Dann merkte sie, daß sie eine große Erleichterung verspürte; es war ihr, als fiele Bergeslast von ihr. Sie fühlte, dieses Stück Erde und seine Menschen waren ihr ans Herz gewachsen, ohne daß sie alles noch so recht kannte.

Vergeblich hatte sie versucht, gegen Abend Percy zu sprechen; er hatte niemanden in sein Zimmer gelassen. Bei sich entschuldigte ihn Ruth. Es war ihm nicht gegeben, sich hier einzuleben und Fuß zu fassen; eher noch Desmond, glaubte sie, trotzdem dieser es verneinte. Bei Percy mochte auch mitspielen, daß er fühlte, wie sie ihm hier entglitt und Fremdes über sie Macht gewann.

Versonnen sah Ruth in die Nacht und horchte auf die Stimmen der Natur, die noch unbekannt zu ihr sprachen, in einer sie erregenden Weise.

Zwei graue, ernste Augen gingen ihr nicht aus dem Sinn und Ruth merkte, wie in dieser Nacht eine Sehnsucht in ihr emporstieg, diese Augen wieder auf sich ruhen zu fühlen.

Er war ihr ein Rätsel. Was war das für ein Mann, der so ruhig und stets gelassen aussah, und dessen Taten so anders gegen ihn sprachen. Nur mit Entsetzen, ohne Verständnis dafür, konnte sie daran denken. Und trotzdem … Ruth konnte ihn nicht vergessen.

Am Horizont färbte sich schon der Himmel rötlich. In dieser Stunde war es Ruth, als hielte die Natur den Atem an, um dann mit tausend verschiedenen Stimmen wieder einzusetzen.

Ruth erhob sich, um noch einige Stunden zu ruhen.



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