Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

»Jetzt schlag einer lang hin und steh kurz wieder auf!«

Die Hände über den Kopf zusammenschlagend rief es Tom Winter aus.

Er eilte hinter seiner Theke hervor und stand vor einem Mann, der breitbeinig, die Zigarette im Munde, die Hände in den Hosentaschen, in der Tür stand.

»Chick, alter Knabe!« übermütig vor Freude schlug ihm Tom Winter auf die Schulter.

»Nein die Freude, die Freude!« stieß er aus und streckte dem Angekommenen beide Hände entgegen. Dieser nahm nur langsam seine Hände aus den Hosentaschen und gab sie Tom Winter.

»N'Tag!« kam es zwischen zwei Rauchwolken lässig aus seinem Munde.

Tom Winter ergriff die gereichten Hände und schüttelte sie heftig.

»Mensch, daß ich Dich wiederseh'! Das gibt eine Sensation!« Tom Winter konnte sich nicht beruhigen. »Nun komm aber herein! Den besten Whisky aus meinem Stall hole ich für Dich heraus, heute soll er mir nicht zu schade sein!«

Er eilte hinter seine Theke zurück.

Der Mann, der von Winter mit Chick angeredet wurde, trat nun in die Wirtsstube. Er schloß die Tür hinter sich und sah sich um. Hier hatte sich in den letzten Jahren, die er nicht hier gewesen war, nichts verändert. Er setzte sich an den Tisch.

Das Sonnenlicht strahlte voll über ihn hin. Er war eine eigenartig anmutende Persönlichkeit, so groß und stark, daß man den Eindruck hatte, er könne es, ohne sich zu fürchten, mit einem Grizzlybär aufnehmen.

Was aber so eigenartig an ihm erschien, war sein brandrotes Haar, das einer Feuerfackel gleich leuchtete. Dazu besaß er einen für einen Mann zu zarten Teint, und Sommersprossen verzierten seine Nase. Aber nichts davon sah man, wenn man in seine grünen Augen blickte, die das ganze Gesicht beherrschten und klar und mutig, ja beinahe frech in die Welt schauten.

Seine Kleidung bestand aus der hier üblichen Tracht: bunter Bluse, Halstuch, Lederhose und einem breiten Ledergürtel, in dem seine Revolver steckten.

Mit zwei gefüllten Gläsern voll Whisky trat Tom Winter an den Tisch heran.

»Soda darin?«

»Aber, Chick, wie werde ich das tun?« Fast beleidigt kam es von Tom Winters Lippen.

Er erhob das Glas: »Auf Deine Wiederkehr.«

Sie tranken. Fast leer setzten sie die Gläser auf den Tisch zurück. Tom Winter wischte sich mit seinem Handrücken den Mund ab. Erwartungsvoll sah er Chick an, was dieser wohl zu dem guten Tropfen, den er ihm hier vorsetzte, sagen würde; aber der sagte gar nichts!

Tom Winter seufzte auf; das hätte er sich eigentlich denken können. Wer hatte wohl je ein Lob aus Chick Langwools Mund vernommen? Er sah ihm forschend ins Gesicht, spurlos waren die letzten Jahre an diesem vorübergegangen.

»Winter,« Tom Winter fuhr bei der plötzlichen Anrede zusammen, »ich hörte, der alte Jolivet sei gestorben. Stimmt das?«

»Ja, Chick, leider!«

»Was macht nun Jed?«

»Man munkelt so allerlei, Chick. Genaueres weiß keiner. Man wettet, wann er zum erstenmal hier erscheinen wird. Der Tod Jolivets hat ihn tief getroffen; noch vergräbt er sich. Aber paß auf, wenn der einmal einen anderen Weg einschlägt und aus seiner Solidität herausgerissen wird, dann wird es etwas geben! Ich habe einen Blick für so etwas, der Junge ist richtig!«

Winter grunzte beinahe vor Vergnügen bei seiner Behauptung. – In Chicks Gesicht war nichts zu lesen, er sah verschlossen vor sich hin.

»In letzter Zeit ist ja überhaupt nichts mehr los hier,« erzählte Winter weiter; eine wegwerfende Handbewegung begleitete seine Worte. »Du nicht mehr da, Jed Corner und die Boys von der Jolivet-Ranch beteten die Arbeit an, und auch der hoffnungsvolle Sprößling vom Revolverbill ist plötzlich verschwunden. Kein Mensch weiß, wohin er sich gewandt hat. Wir alle setzten auf den Jungen. Wir glaubten, er wäre aus der Schule der Alten wie sein Vater, vor dem doch nichts sicher war.« Bedauern ob dieser Enttäuschung klang aus seinen Worten. »Aber was erzähle ich Dir, Chick? Du warst doch damals selbst noch hier, als der Junge so plötzlich verschwand.«

Bestätigend nickte Chick mit dem Kopf. Er steckte sich an seiner Zigarette eine neue an; er war immer noch der alte Kettenraucher.

»Wie in einem Mormonendorf ist es hier!« stieß Tom Winter verächtlich aus. Etwas Schauerbareres konnte er sich nicht denken.

Auch Chick Langwool schnob verächtlich durch die Nase; dabei vibrierten seine Nüstern, und man sah, daß er eine selten feine, schmale Nase besaß, ja daß er überhaupt ein feingeschnittenes und rassiges Gesicht hatte.

Bewundernd sah ihn Tom Winter an. Er liebte Chick und seine Art, die manchmal fast unverschämt wirkte aber auf keinen ihren Eindruck verfehlte, war sie doch von einem so selbstverständlichen Selbstvertrauen durchdrungen.

»Chick, Ihr besucht wohl Eure Schwester Majorie?« Bei dieser Frage ging eine Wolke über Chicks Gesicht.

»Sie ist hier neben Helen Meßter das hübscheste Mädchen weit und breit,« beteuerte Winter.

»Helen Meßter? – Tom, ist die noch nicht verheiratet, oder ist sie immer noch dieselbe Kratzbürste von früher?«

Tom Winter lachte auf: »Ja, Chick, das ist sie! Niemand von den Burschen kann sich rühmen, von Helen Meßter je ausgezeichnet worden zu sein; allen gibt sie es. Nur Jed Corner bekommt Sammetpfötchen gezeigt.«

»So, Jed?« Sinnend kam es von Chicks Lippen, heftig nickte Tom Winter mit dem Kopf.

»Ja, Jed! – Dabei möchte ich wetten, daß sie nur Freundschaft miteinander verbindet.«

In diesem Augenblick hörte man im Nebenraum poltern. Chick horchte auf. Er sah Tom Winter fragend an. Der machte nur eine wegwerfende Handbewegung.

»Ist nichts Besonderes, Chick! Der Saal wird geschmückt; heute ist große Tanzerei. Hast Du nicht gestaunt, als Du den Ort so verlassen vorgefunden hast? Ein großer Tag ist; alles feiert? Ich glaube fast, daß ich und meine Leute die Einzigen sind, die Du im ganzen Ort anfindest. Alle sind draußen am Silberbach; dort finden die Vorrennen für das Rennen in Denver statt. Ein Ereignis für uns, denn es sollen die Pferde ausgewählt werden, die Chancen in dem großen Rennen haben. Anschließend ist am Abend Ball bei mir.«

»Dann werden die beiden Mädels, Majorie und Helen, wohl auch hierher kommen?«

»Sicher, sicher!« bestätigte Winter. »Das wird sich der alte Meßter nicht entgehen lassen. – Ich glaube, daß er erst einen Kampf zu bestehen hatte, ehe es ihm gelang, Helen davon abzubringen, selbst bei dem Rennen mitzureiten.«

»Das fehlte?« rief Chick aus.

Winter lachte: »Ja, sie ist wie ein Junge – der ganze Stolz Meßters? Wißt, Chick, Eure Schwester hat schon viel abgeschwächt; es war gut, daß sie zu Helen Meßter kam, sonst wäre die sicher in dieser Zeit der Ruhe und Langeweile noch selbst ein Revolvermann geworden; sie schießt wie der Teufel! Ich hörte neulich, wie sie dem Sheriff Landert, der sich hier kaum mehr blicken läßt, sagte: ›Ihr setzt auch bald Speck an, Sheriff. Aber tröstet Euch, es kommen auch wieder andere Zeiten.‹ Über Landerts nicht sehr schlaues Gesicht bei diesen Worten hätte ich laut lachen mögen. – Aber so ist es jetzt hier, Chick,« schloß Winter aufseufzend.

Keinen Augenblick kam er auf den Gedanken, Chick zu fragen, woher dieser käme, oder was er in den Jahren getrieben habe. Er wußte, erzählte Chick das nicht von selbst, würde kein Mensch eine Silbe aus ihm herausbringen.

Winter ging hinter seine Theke und stellte jetzt die ganze Whiskyflasche auf den Tisch, wenn er dabei auch verstohlen aufseufzte, als er sah, wie gleichmütig sich Chick von dem kostbaren Naß eingoß.

»Was wird nun aus der Prachtfarm des alten Jolivet?« wandte er sich an Winter, der sich wieder neben ihm niedergelassen hatte.

»Das wissen wir alle nicht, Chick. Ein Rechtsanwalt aus Denver hat es in die Hand genommen und sucht nun nach dem Erben. – Wenn der hier angetankt kommt, wird Jed wohl seine Tätigkeit als Verwalter aufgeben. Vorläufig meint er wohl, daß es noch seine Pflicht sei, die Ranch weiter zu verwalten, wie es im Sinne des alten Jolivet war.«

»Tut mir leid für Jed!« sagte Chick, ein nachdenklicher Zug trat in sein Gesicht.

»Mir gar nicht!« stieß Tom Winter aus. Auf einen erstaunt fragenden Blick von Chick erklärte er: »Ja, Chick, was sollte das wohl werden, wenn alle Kerls, wie Du und Jed es sind, solide Farmer werden wollten! Dann sterben ja alle alten Westler aus, und es wird hier so langweilig, daß man sich begraben lassen kann. Einige von Euch müssen doch die Mexikaner in Schach halten, die sich überhaupt ziemlich breit machen, können sie doch alle verdammt gut mit dem Revolver umgehen und haben auch Mut. Aber sie müssen ihren Meister in uns Amerikanern finden, dann läßt man sie sich auch gefallen.«

Chick Langwool nickte, ihm schien das verständlich.

»Nun aber seid Ihr wieder hier, Chick und werdet es den Burschen, wenn sie frech werden, schon geben.« Befriedigung klang aus Tom Winters Stimme.

Die Tür vom Saal wurde schüchtern geöffnet, und herein lugte Tom Winters junge Frau Anny. Sie winkte Chick zu; als er aufstand und eine tiefe Verbeugung, wie ein Kavalier, vor der jungen Frau machte, errötete sie und machte verlegen einen Knicks. Wie der Wind war sie wieder aus der Tür.

»Ihr habt doch eine besondere Note für das Weibervolk, Chick,« rief Winter anerkennend aus.

Mit einer Entschuldigung ließ er Chick dann allein sitzen. Er mußte sich um die Vorbereitungen kümmern, die für heute abend getroffen werden sollten.

Chick blieb allein. Er schenkte sich ein. Wieder steckte er sich eine neue Zigarette an und lehnte sich in seinen Stuhl zurück; er sah mit blinzelnden Augen auf die sonnendurchtränkte Straße, die verlassen dalag.

Eigentlich wollte er jetzt zu Majorie gehen. Aber der verdammte Winter hatte einen so ausgezeichneten Whisky vor ihm hingestellt, daß es Majorie sicher verstehen würde, wenn er das Wiedersehen noch etwas hinauszögerte.

Überhaupt, was hieß Wiedersehen? Vier Jahre hatten sie sich nicht gesehen, eine lächerliche Zeit!

Ihm war die Zeit im Fluge vergangen; was hatte er auch alles gesehen und erlebt!

Unter Goldsuchern war er gewesen, San Francisco hatte er kennen gelernt, und dann … aber daran dachte er nicht gern. Zum Donnerwetter, man wollte doch leben!

Übrigens, schlecht waren die Streiche nicht gewesen, und Blut war dabei auch nicht vergossen worden; dafür hatte er immer mit peinlichster Sorgfalt gesorgt. Er wünschte keinen Nachgeschmack nach solchen Sachen, um sich ein gutes Leben zu verschaffen. Schmuggeln – na gut – aber ohne Blutvergießen.

Wenn Chick Blut vergoß, war er entweder betrunken, oder man hatte ihn so gereizt, daß er sich selbst nicht mehr kannte. Das wußte er, so weit kannte er sich genau.

Er sah noch die traurigen Augen von Majorie auf sich gerichtet, als er hier vor Jahren in Streit geriet. Verdammt unvorsichtig war es damals gewesen, daß er, als der weit Überlegenere zum Revolver griff; das würde ihm auch Sheriff Landert nicht vergessen haben und ihm nun höllisch auf die Finger sehen. Ein Glück, daß er noch so weit bei Besinnung war, seinen Gegner nur zu verwunden und nicht restlos niederzuknallen. Und wer war am Ende Schuld daran gewesen? Eigentlich doch nur Majorie mit ihren verdammt traurigen Augen.

Chick trank, und wenn er trank, kam das Glas nur leer von seinen Lippen. Er schenkte sich wieder neu ein. Seine Gedanken eilten in die Vergangenheit.

Vor über sechs Jahren war seine Mutter gestorben; damals war er dreiundzwanzig Jahre und Majorie siebenzehn. Als Vormund für Majorie hatte seine Mutter einen alten Freund ihrer Familie aus ihrer Heimat bestimmt und nicht ihn. Dieses Mißtrauen hatte ihn maßlos gekränkt, fühlte er sich doch dadurch gedemütigt. Zornig war er aus dem verwaisten, elterlichen Hause fortgeritten, ohne den Vormund Majories abzuwarten.

Ein Jahr später packte ihn dann doch die Reue und auch Angst um das Wohlergehen seiner kleinen Schwester. Er war hierher geeilt, um nach ihr zu sehen. Glücklich und zufrieden hatte er sie vorgefunden. Eine große Freundschaft verband sie mit der um zwei Jahre jüngeren Tochter ihres Vormundes, des alten Meßters, der hier eine große Ranch besaß, auf der hart und strebsam gearbeitet wurde.

Er war damals lange Gast bei Meßter gewesen. Schließlich hatte er sich nicht mehr wohl gefühlt als Nichtstuer und von selbst angefangen mitzuarbeiten. Keiner sagte ihm Dank dafür, wie selbstverständlich wurde er in die Arbeitsgemeinschaft aufgenommen und eingereiht. Mit Helen Meßter, diesem halben Jungen, hatte er auf einem frischen, freien Neckton gestanden.

Dann kam der Tag, da ihm auffiel, daß Majorie immer stiller und versonnener wurde und traurige, nachdenkliche Augen bekam. Er drang in sie, ob ihr etwas fehle, aber er bekam keine Antwort. Das hatte ihn kribbelig gemacht, und so kam es zu dem Streit in Winters Gaststube, in dessen Verlauf er zum Revolver gegriffen hatte.

Darauf hatte er die Gegend verlassen. Gras sollte über die Sache wachsen. Heute kam er zu Majorie zurück.

Dreiundzwanzig Jahre war sie inzwischen geworden, und die kleine Helen mußte danach einundzwanzig sein. Zum ersten Male kam es ihm zum Bewußtsein, daß er halberwachsene Mädchen verlassen, um sie als erwachsene Menschenkinder wiederzufinden.

Ob Majorie wohl noch die traurigen Augen hatte? Himmelherrgott, wenn er damals den Mann herausbekommen hätte, der Schuld daran war, daß sie so in die Welt blickte! Daß es sich dabei um einen Mann handeln mußte, war Chick klar. Nachdenklich sah er vor sich hin. Er liebte auf seine Art Majorie heiß und innig. –

Die Tür ging, Tom Winter kam wieder herein. Er schenkte sich den Rest ein, den Chick in der Flasche gelassen hatte, um dann stillschweigend eine neue zu holen. – Winter schmunzelte. – Chick legte ja ordentlich vor, ehe die anderen kamen. Das konnte ja heute abend noch gut werden!

Er ließ sich wieder bei Chick nieder und trank ihm zu.



 << zurück weiter >>