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Achtes Kapitel.

Die nächsten Tage war nun Percy Archey schwer beschäftigt; das war im übrigen erfreulich für die anderen, denn seine schlechte Laune hatte doch etwas auf den kleinen Kreis gedrückt.

Er glaubte, Ruth nützlich sein zu können; und außerdem konnte er zum ersten Male das verwerten, was er einst zu seinem eigenen Vergnügen studiert hatte.

Sein Vater war Bankmann in New York, und seit fünf Jahren arbeitete er in der Bank seines Vaters.

Vor allem sah man Percy in diesen Tagen mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt. Plötzlich führte er eine rege Korrespondenz. Er gab Auftrag, daß Prospekte für landwirtschaftliche Maschinen geschickt wurden. Dann arbeitete er sich einen Schlachtplan aus, nach dem die Arbeit auf der Ranch angefaßt werden müsse.

Jeden Abend las er Ruth und den Freunden seine Pläne vor.

Ruth war mit allem zufrieden, hatte sie doch das Gefühl, daß etwas für sie getan würde.

Sie war jetzt oft nur auf Eveline angewiesen. Desmond und Corinne verbrachten viele Stunden zusammen und suchten wie auf Verabredung die Einsamkeit auf.

Einmal in diesen Tagen besuchten sie, allerdings ohne Percy, die Meßter-Ranch. Freundlich nahm Will Meßter sie dort auf und begrüßte Ruth als Nachbarin. Chick war nicht anwesend; sie hörten, daß er draußen bei den Leuten sei. Er kam auch nicht mehr so oft auf die Jolivet-Ranch; höchstens am Abend, um sich von Jed Corner einen Rat zu holen; er entschuldigte sich mit Arbeit.

Zwischen den beiden Männern war das Abenteuer am Silberbach nicht wieder erwähnt worden. Stillschweigend gingen sie darüber zur Tagesordnung über.

Einige Male stöhnte Eveline Ruth gegenüber, wie langweilig es doch hier im Grunde sei. Sie fand aber kein Verständnis bei Ruth, denn diese begann sich langsam der eingetretenen Ruhe und des Lebens hier zu freuen.

Manche Stunde verbrachte sie im Krankenzimmer bei Lew. Meistens wurde die Unterhaltung sehr einseitig von ihr geführt. Unter anderem hatte sie ihn gebeten, daß, wenn er wieder ganz gesund wäre, er ihr doch die Ranch zeigen möchte. Er wies sie als den geeignetsten dazu an Jed. Als Ruth darauf eine abfällige Bemerkung über Jed machte, horchte er erstaunt auf, und Ruth bemerkte, daß er sie nicht verstand; er kam danach aber niemals wieder mit Ruth auf dieses Thema zu sprechen.

Es war an einem der folgenden Abende. Jed Corner gab gerade seinen Leuten die Arbeit für den nächsten Tag an, als Percy Archey hinzutrat. Niemand nahm, nachdem ihn Jed Corner kurz begrüßt hatte, Notiz von ihm. Plötzlich wandte er sich an Jed Corner.

»Nach welchem Plan verteilen Sie die Arbeit, Corner?« redete er ihn an.

»Nach welchem Plan?« fragte ihn Jed erstaunt.

»Na ja, Sie hörten schon ganz richtig. Sie müssen sich doch einen Wochenplan machen.« Percy sprach ungeduldig und ein wenig hochfahrend, wie es leicht seine Art war.

»Nein, Mr. Archey,« entgegnete ihm Jed höflich, »ich habe, was zu tun ist, im Kopf. Außerdem kommt es auch auf das Wetter an, und was das Vieh benötigt.«

»Das ist doch ganz ausgeschlossen, Corner, daß Ihr das im Kopf behalten könnt! Da muß ja alles drunter und drüber gehen.«

»Wollen Sie das nicht meine Sorge sein lassen, Archey?« Jetzt nahm Jeds Stimme einen scharfen und zurückweisenden Ton an. Dabei betonte er ›Archey‹ so, daß Percy ärgerlich errötete und die Zurechtweisung verstand. Er wollte hochfahren und sich das energisch verbitten, als er in Jeds Augen einen harten Glanz sah, so daß Percy seine scharfe Entgegnung, die ihm auf der Zunge lag, unwillkürlich herunterschluckte.

»Das muß anders werden!« kam es nur um so gereizter von ihm.

»Hier,« er zog mehrere Papiere aus seiner Tasche, »ich habe mich in diesen Tagen mit den Büchern befaßt und einen Arbeitsplan ausgearbeitet, der von Miß Harries gut befunden ist.

»Ich bin kein Laie darin. Hier muß anders gewirtschaftet werden, dann wird sicher alles einträglicher als bisher. Mr. Corner, sehen Sie sich das durch und richten Sie sich danach. Ich werde Sorge dafür tragen, daß es nach meinen Wünschen geschieht.«

Jed Corner war im Augenblick baff; dann entgegnete er immer noch ruhig bleibend: »Mr. Archey, das hier,« damit wies er auf Percys ausgearbeiteten Plan, »mag theoretisch alles sehr schön und richtig sein, aber praktisch ist damit nichts anzufangen. Aber geben Sie es mir her, ich werde es mir durchsehen.« Damit nahm er Percy die Papiere ab und steckte sie ein; dann wandte er sich seinen Leuten zu, die stumm aber aufmerksam dem Wortwechsel gefolgt waren. Jed Corner gab ruhig seine Anordnungen weiter. Percy biß sich auf die Lippen. Als sich niemand mehr um ihn zu kümmern schien, ging er schließlich unentschlossen fort.

Die Cowboys wollten hinter ihm her in Lachen ausbrechen, als Jed den Arm hob.

»Ruhe!« gebot er. Und bei diesem einen Wort verstummten alle, um nur noch schweigend hinter Percy her zu grinsen.

Percy war außer sich. Die Abfuhr hatte er genau verstanden! Wie ein Schulbub, den man nicht ernst nimmt, hatte ihn dieser Mr. Corner behandelt.

Ruth hatte recht, es war kein leichtes Umgehen mit diesen Männern hier. Aber Percy beschloß, den Kampf aufzunehmen und energisch durchzugreifen. Nur Ruhe, Ruhe! befahl er sich selbst. Mit diesem festgefaßten Entschluß begab er sich zu seinen Freunden.

Am nächsten Morgen in aller Frühe war Percy Archey auf. Aber doch noch nicht früh genug; Jed Corner und ein Teil der Leute waren schon fort. Percy beschloß, zu handeln und den Leuten zu zeigen, wer hier der Herr war.

Er beauftragte Haller, die Leute, die sich noch auf der Ranch aufhielten, zusammenzutrommeln und ihnen zu sagen, daß er sie vor der Cowboywohnung erwarte. Stillschweigend ging Haller davon, Percys Auftrag zu erfüllen.

Es dauerte auch nicht allzu lange, und nach und nach versammelten sich die Boys um Percy, sogar But Allies, der Koch, fehlte nicht unter ihnen.

Schweigend und mit verschlossenen Gesichtern umstanden sie Percy Archey, der nervös mit seiner Reitpeitsche den Schaft seines Stiefels bearbeitete.

»Alle da!« meldete ihm Haller endlich.

Da hob Percy den Kopf und sah die Leute an.

»Boys,« begann er in einem gewollt kameradschaftlichen Ton, »ich habe mich entschlossen, zu Euch zu sprechen. Wir müssen miteinander einig werden und ich hoffe, daß es gelingt.«

»Mr. Jolivet, der frühere Besitzer, ist nicht mehr. Jetzt gehört die Ranch Miß Harries. Darüber müßt Ihr Euch erst einmal klar werden.

Vieles, was der verstorbene Mr. Jolivet angeordnet hat, mag ja zu seiner Zeit richtig gewesen sein. Aber er war alt – und Miß Harries ist jung. Stillstand bedeutet Rückgang.

Darum wird sich hier manches ändern, Miß Harries will modernisieren und die Ranch nach ihrem willen bewirtschaften lassen.

Es wird auch für Euch ein leichteres Arbeiten geben, denn wir werden Maschinen hierher kommen lassen, mit denen sich ganz anderes schaffen läßt. Also, Leute, ich hoffe, Ihr habt verstanden und wir werden gut miteinander auskommen!«

Percy machte eine Atempause und sah die vor ihm stehenden Leute erwartungsvoll an. Eigentlich erwartete er, daß ihm der Älteste von ihnen antworten und, wie es so üblich war bei solchen Ansprachen, eine kleine Gegenrede halten würde. Aber nur auf verschlossene und nichtssagende Gesichter fiel sein Blick. Als nichts erfolgte, zuckte Percy die Achseln und redete weiter. Seine Stimme nahm wieder einen hochfahrenden und befehlenden Ton an.

»Ihr werdet jetzt das Gatter, welches rechts an der Weide liegt, sofort ausflicken!«

Dabei zeigte er auf drei der Leute. »Eine Ranch, auf der nicht alles sogleich in Ordnung gebracht wird, gerät in Verfall.«

»Ihr,« er wies dabei auf andere, »beginnt, die alte Bretterscheune abzureißen, Hier kommt eine neue, moderne her, und das so bald wie möglich, ehe der Winter eintritt. Ich werde Arbeiter kommen lassen, damit es schneller geht. Das ist zunächst Eure Arbeit für heute!« schloß er seine Befehle.

»Sattelt mir mein Pferd!« wandte er sich dann an einen abseits stehenden Cowboy. Der Angeredete warf seine Zigarette fort.

»Mr. Archey, das tut hier bei uns der Boß allein. Aber, wenn Sie unser Gast sind, will ich es gern tun.«

Bei diesen kühlen Worten ergriff Percy eine maßlose Wut. Am liebsten hätte er mit der Reitpeitsche dareingeschlagen. Noch nie hatte er so die Kluft gefühlt, die ihn von diesen Menschen trennte, wie heute morgen, wo er versuchte, ihnen näher zu treten. Keiner der Jungen, die vor ihm standen, verzog eine Miene.

»Tun Sie, was ich Ihnen befehle!« herrschte er, außer sich, den Cowboy an.

»Befehlen?« klang es gedehnt zurück.

Percy zuckte zusammen. Wo hatte er schon diesen Ton vernommen? Plötzlich sah er das Bild des Tanzsaals vor sich, als Chick Langwool vor ihm stand. Der hatte das Wort ›betrunken‹ genau so lang gedehnt.

Ehe er aber noch dem Cowboy antworten konnte, drehte der sich schon um.

»But,« rief er, »sattelt dem jungen Herrn ein Pferd. Ich habe etwas Dringenderes zu tun. Da Stillstand – Rückgang ist, wollen wir uns alle flugs beeilen, Jungen, damit wir mit dem Tempo des jungen Herrn mitkommen können.«

Kein Lachen klang nach diesen ironischen Worten auf. Ebenso schweigend wie sie gekommen, gingen die Cowboys auseinander.

Ob Percy wollte oder nicht, er mußte But Allies folgen. Dieser holte das Pferd, das Percy Archey auf seinen täglichen Ausritten benutzte, und sattelte es.

Mit den schweren, mexikanischen Sätteln kannte sich Percy noch nicht aus. Es war für sie alle nicht leicht gewesen, zuerst auf ihnen zu reiten. Langsam aber gewöhnte man sich an sie und saß dann fester und bequemer, als in den leichten englischen Sätteln.

So gab er jetzt Obacht, wie Allies sattelte.

»Wollt Ihr weit reiten, Mr. Archey?« fragte ihn dieser.

»Warum?«

»Tja, so sicher ist die Gegend denn doch nicht hier. Ich würde an Eurer Stelle einen feinen Colt bei mir tragen; aber nicht in der Tasche, sondern in einem Gürtel um die Hüften, so daß er gut und leicht zu erreichen ist. Nichts für ungut, Mr. Archey.«

Bei diesen Worten ging But Allies mit bedächtigen Schritten fort.

Sinnend sah ihm Percy nach.

»Einen Colt – einen Revolver meinte er also,« murmelte er. »Zum Teufel, was soll ich damit?«

Unwillkürlich mußte er nun doch lächeln, als er sich auf sein Pferd schwang. Was sollte er wohl mit einem Revolver? Ihn vielleicht als Attrappe mit umherschleppen? Denn schießen konnte Percy nicht mit einem Revolver. Bis jetzt hatte er wohl einmal mit einem leichten Gewehr geschossen, und das auch nur zu seinem Vergnügen und bestimmt nicht gut.

Sorgenfalten lagen auf seinem Gesicht, als er von der Ranch ritt. Percy sah nicht den schönen, lachenden Morgen, in den er hineinritt, und auch nicht die romantische Natur, die sich ihm bot. Er kämpfte mit schweren Gedanken.

Später mußte er dann sehr auf die Richtung achten; hier gab es keinen Weg. Endlich – Percy glaubte, sich schon verritten zu haben – sah er von weitem eine Dunstwolke. Die Ausdünstung mußte von Vieh herstammen, und das sollte das Ziel seines heutigen Rittes sein.

Einer der Cowboys, die sich beim Vieh stets aufhielten, kam ihm entgegen und lüftete höflich seinen Hut. Knapp und noch verärgert grüßte Percy wieder.

»Ist Jed Corner hier?« fragte er sofort.

»Nein, er wird auch wohl kaum heute hierher kommen, Sir,« gab der Mann ihm höflich Auskunft.

»Es ist gut? Ruft mir die anderen Leute, ich habe Euch allen etwas zu sagen.«

Der Cowboy befolgte Percys Wunsch. Es dauerte doch eine ganze Weile, bis sie alle zur Stelle waren. Durch Pfiffe verständigte er seine Kameraden.

Als sie nun alle auf ihren Pferden vor ihm hielten, wandte sich einer der Cowboys, der hier wohl der Führende war, an Percy.

»Hoffentlich dauert es nicht lange, was Ihr uns zu sagen habt, Herr, denn wir lassen nicht gern das Vieh aus den Augen.«

»Nein, es wird nicht lange dauern. Sind das jetzt alle Leute, die beim Vieh sind?«

»Ja nun, das kommt darauf an, wie Ihr es meint, wir haben ja noch eine andere Herde, und hier draußen wechseln wir uns ab, weil wir Tag und Nacht da sein müssen.«

»Kennt Ihr mich?« Percy sah sich fragend im Kreise um.

»Ja, Ihr seid einer der Gäste, die mit Miß Harries angekommen sind.«

»Stimmt! Also hört: Miß Harries hat mir Vollmacht gegeben zur Verwaltung der Ranch. Sie soll jetzt nach dem Willen von Miß Harries verwaltet werden. Vorerst ist Eure Aufgabe, das Vieh zu zählen; Miß Harries wünscht genau zu wissen, wie groß der Viehbestand ist.«

Betroffen schauten ihn die Cowboys an.

»Das Vieh zählen?« nahm derjenige das Wort, der auch vorhin für die Leute gesprochen hatte.

Ungeduldig nickte Percy mit dem Kopf.

»Aber dazu sind wir lange nicht genug Leute und –«

»Dann nehmt Euch mehr!« unterbrach ihn Percy schon wieder barsch und nervös.

»Ja, aber das Zählen des Viehs dauert Tage, Herr!«

»Na, dann dauert es eben Tage. Ihr habt den Auftrag gehört, richtet Euch danach. – Guten Morgen!« beendigte er die Unterhaltung schroff.

»Guten Morgen!« antwortete ihm fast mechanisch der Cowboy.

Unter andauerndem Schweigen der Leute ritt Percy ab. Auch hier hinterließ die Unterredung mit den Leuten ein unbefriedigtes Gefühl bei ihm.


»Percy, wo bist Du nur gewesen?« Mit dieser Frage empfing ihn Ruth.

»Wir hatten Dich schon auf die Verlustliste gesetzt.« meinte Desmond.

»Er hat gearbeitet.«

»Wie kommst Du darauf, Corinne?«

»Er macht ein so saures Gesicht.«

»Ich bewundere Deine Menschenkenntnis, Corinne,« sagte ironisch Percy, indem er allen die Hand reichte.

»Nun berichte, Percy,« forderte Ruth ihn auf.

Einen Augenblick überlegte er und begann dann zu erzählen. Er verhehlte nicht, daß er das Gefühl hätte, die Leute mißtrauten ihm und träten ihm mit Unwillen entgegen; aber er sagte auch, daß er gewillt sei, mit eiserner Hand durchzugreifen.

»Nimm Dir nicht zu viel vor, Percy!« warnte Desmond.

»Wie meinst Du das?«

Erstens schlägt Dir dann nicht allzu viel fehl; und dann glaube ich, daß Du die Schwierigkeiten, die Du zum Teil selbst schon siehst, unterschätzt.«

»Desmond,« warf Ruth ein, »der einzige, mit dem es vielleicht Schwierigkeiten geben wird, ist der Verwalter, und der muß sich eben fügen.«

»Nun gut, wie Ihr wollt!« Wenn Ruth Percys Meinung war, wußte Desmond nichts mehr dagegen anzuführen. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Lew Forest trat zu ihnen. Ruth eilte auf ihn zu.

»Ihr, Lew?« rief sie erstaunt. Sie hatte sich seit seiner Krankheit angewöhnt, ihn beim Vornamen zu nennen.

»Dürft Ihr denn schon aufstehen?«

»Aber gewiß doch?« entgegnete er frisch. »Ich fühle mich wieder restlos obenauf. Die Wunde ist tadellos verheilt, und ich wüßte nicht mehr, weshalb ich noch den Kranken spielen sollte.«

»Also wirklich, man freut sich richtig, Euch wieder zu sehen,« meinte Desmond. Das kam so erstaunt heraus, daß unwillkürlich alles lachen mußte. Auch über Lews ernstes Gesicht ging ein freundliches Lächeln. Er drückte Desmond die Hand.

»Kommen Sie,« sagte dieser, »wir nehmen Sie wieder feierlich in unseren Kreis auf. Jetzt will ich Ihnen berichten, was wir in der Zeit ohne Sie alles getrieben haben.«

In seiner leichten, etwas spöttischen Art begann er Lew aufzuzählen, was sich inzwischen ereignet hatte. Alle hörten ihm amüsiert zu, denn wenn Desmond wollte, konnte er ein ausgezeichneter Gesellschafter sein. Als er in seinem Bericht bei Percys neu entdeckter Leidenschaft kam, wie er es nannte, horchte Lew hoch auf. Ein besorgter Blick streifte Ruth, aber er schwieg auch diesmal dazu wie meistens.

Am späten Nachmittag verabschiedete er sich von ihnen. Unwillig sah Ruth ihn gehen, aber sie merkte, daß er nicht zu halten sein würde.

Eveline meinte zu Ruth, daß es doch nicht recht wäre, ihn gehen zu lassen. Für Ruth antwortete Desmond: »Eveline, hast Du noch nicht bemerkt, daß Lew Forest das tun wird, was er für richtig hält? – Er kommt mir verändert vor,« sagte er ernst, »aber ich muß Euch sagen, daß mir der neue Lew Forest gefällt.« – –

Gleich darauf verließ sie auch Percy Archey und ging um die Arbeiten zu inspizieren, die er heute morgen angeordnet hatte. Mit Absicht hatte er sich bisher nicht darum gekümmert. Er wollte sehen, wie weit die Leute seinen Befehlen gehorchten.

Zunächst wandte er sich nach der Scheune. Niemand war dort, und es war auch nicht zu sehen, daß hier irgendwie gearbeitet worden war. Unruhe packte ihn; er eilte schnell an das Gatter. Auch das fand er völlig unberührt; höhnisch zeigte es ihm seine schadhaften Stellen. Percy schäumte. Also nichts, gar nichts war von seinen Aufträgen ausgeführt worden. Ohnmächtig vor Wut ballte er die Fäuste. Rausschmeißen würde er die Kerle, die gewagt hatten, seinen, in Ruths Namen, ausgesprochenen Befehlen, nicht zu folgen, knirschte er.

Im Laufschritt eilte er zurück. Da sah er Jed Corner aus der Cowboyunterkunft zum Ranchhaus gehen.

»Halloh,« rief ihn dieser an und trat auf ihn zu.

»Sie kommen mir wie gerufen, Mr. Archey. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

Sprachlos sah ihn Percy an. Was, der wollte mit ihm sprechen? Er, Percy Archey, hatte mit dem Verwalter ein Wort sprechen wollen über seine Leute, aber nicht umgekehrt.

»Mr. Archey,« sprach Jed ruhig, aber in seiner Stimme klang ein metallischer Ton, den Percy in seiner Erregung überhörte, »wer ist hier der Verwalter der Ranch, Ihr, Mr. Archey oder ich?«

»Der Verwalter der Ranch seid Ihr,« erwiderte Percy mit vor Erregung bebender Stimme, »aber der Besitzer der Ranch ist Miß Harries und diese gab mir Vollmachten, sodaß Ihr mich getrost als Euern Boß ansehen könnt.«

»So – Euch soll ich als meinen Boß ansehen, Mr. Archey?« das Mitleid klang aus Jeds Frage. »Nun gut, es hat keinen Zweck, daß wir uns streiten. Kommen Sie, regeln wir die Angelegenheit sofort mit Miß Harries.« Damit wandte sich Jed Corner um und ging mit seinen leichten Schritten ins Haus. Percy Archey mußte, ob er wollte oder nicht, ihm folgen. Drinnen gab Corner Haller den Auftrag, Miß Harries in die Bibliothek zu bitten.

Als Ruth gleich darauf eintrat, war zwischen Corner und Percy noch kein Wort wieder gewechselt worden. Erstaunt maß Ruth die beiden. Ehe Jed Corner ihr etwas sagen konnte, trat Percy schon auf Ruth zu.

»Ruth, ich habe Dir heute mittag erzählt, was ich hier auf der Ranch angeordnet habe.« Ruth konnte deutlich die Erregung spüren, die Percy ergriffen hatte. »Und nichts, gar nichts ist davon ausgeführt worden!« stieß er aus, um sofort wieder in dem alten, hochmütigen Ton fortzufahren: »Und nun gefällt es Deinem Herrn Verwalter noch, mich zur Rede zu stellen.«

»Es ist gut, Percy! – Mr. Corner, was haben Sie mir dazu zu sagen?«

»Miß Harries, ich bin hier der Verwalter der Ranch und verwalte sie im Sinne Oliver Jolivets, der seine Sache verstand. Damit ist alles gesagt!« Ruhig und sachlich antwortete Jed.

»So, und wie kommt es, daß die Leute Mr. Archeys Anordnungen nicht befolgen?«

»Weil einer meiner Boys zu mir kam und mich fragte, was sie tun sollten. Da habe ich Ihnen geantwortet: ›was nötig ist‹. Das haben meine Boys so übersetzt, daß sie taten, was ich angeordnet hatte, wir haben jetzt keine Zeit für unnötige Arbeit.«

»Sie nennen also das, was Mr. Archey in meinem Namen anordnete, unnötige Arbeit!?« fragte Ruth sich beherrschend.

»Ja, Miß Harries? Das Gatter wird geflickt, wenn wir Zeit dazu finden. Und was das Abreißen der Scheune betrifft, da habe ich ein ernsthaftes Wort dazu zu sagen. – Die Scheune ist gut und gebaut, wie sie bei uns gebraucht wird. Mr. Archey deutete an, daß er fremde Arbeiter hierher kommen lassen will. Ich warne, – die können wir hier nicht gebrauchen! Was auf der Ranch zu tun ist, machen ich und meine Jungen, sonst niemand.« Jed hatte mit erhobener Stimme gesprochen, nun fuhr er in ruhigem Ton weiter fort.

»Die modernen und teuren Maschinen können wir erst recht nicht gebrauchen. Dadurch würden die Boys nur brotlos, und die Arbeitskraft der Leute ist billiger als die Anschaffung von Maschinen.«

»So, Miß Harries, das ist das, was ich dazu zu sagen habe!« endigte er.

Mit ruhiger, überlegener Stimme sprach Jed, und bei sachlicher Überlegung seiner Worte wäre Ruth sicher auch die Richtigkeit seiner Gründe aufgegangen. Aber sie fühlte Percys erwartungsvolle Augen auf sich gerichtet, und das machte sie ungerecht.

»Ihre Gründe sind nicht maßgebend für mich, Mr. Corner. Jetzt habe ich die Ranch übernommen und wünsche sie nach meinem willen zu bewirtschaften. Es ist sicher hier manches gut aber auch vieles veraltet. Also, richten Sie sich nach Mr. Archey.«

»Ist das Ihr unumstößlicher Entschluß?«

»Ja, ja und ja!« rief leidenschaftlich Ruth. Im Augenblick war sie selbst erstaunt über ihre plötzliche Heftigkeit. Aber fast hatte sie das Gefühl, als müsse sie eine innere Stimme übertönen, die sie warnte, weiter zu gehen.

Als sie keine Antwort von Jed erhielt, sah sie ihn an und blickte in seine grauen Augen, die mit einem unendlich traurigen Ausdruck auf ihr ruhten, so daß es Ruth tief ins Herz schnitt.

»Miß Harries, Sie wollen also das, was Oliver Jolivet mühsam aufbaute, niederreißen?« Der Schmerz, der durch seine Worte bebte, meinte Ruth körperlich zu fühlen.

Plötzlich veränderte er sich; hoch richtete er sich auf, und seine Augen sahen sie hart an.

»Ich hatte es mir zum Ziel gemacht, alles im Sinne Jolivets zu verwalten. Es scheint aber nicht zu gehen. Mein Zeitpunkt ist also jetzt gekommen.

Ich wünsche Ihnen ferner alles Glück, Miß Harries. Ich gehe und überlasse Ihnen hier das Feld.«

Sich kurz umdrehend wollte er das Zimmer verlassen, als ihn Ruths Stimme zurückrief.

»Mr. Corner, Sie können doch nicht so ohne weiteres gehen? Bestimmt haben Sie doch einen Kontrakt mit Mr. Jolivet gehabt, an den Sie gebunden sind.« Ruth sprach hastig und überstürzt.

Er wandte sich um, und, als er nun vor Ruth stand, meinte sie plötzlich einen anderen Mann vor sich zu sehen. Seine Haltung, bisher nur höflich und zuvorkommend, war völlig verändert. Mit blitzenden Augen stand er vor ihr, heißer Zorn sprühte in ihm auf!

»Ja, einen Kontrakt hatten wir! Aber auf gegenseitiges Vertrauen war er geschlossen. Mit Ihnen habe ich keinen Kontrakt, Miß Harries, – und lassen Sie es sich gesagt sein – ein Jed Corner bindet sich niemals schriftlich. Ich bleibe dort, wo es mir gefällt, hier gefällt es mir jedenfalls nicht mehr!

Ich sah diese Stunde kommen, hoffte für Sie aber, daß sie später kommen würde, wenn Sie erst festen Fuß gefaßt hätten. Und nun – Miß Harries, leben Sie wohl!«

Mit kurzen, festen Schritten verließ er das Zimmer. Ruths leises, beinahe flehendes »Mr. Corner« erreichte ihn nicht mehr. Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihm nacheilen: da trat Percy vor sie hin.

»Ruth, sei doch zufrieden, wie es gekommen ist. Du selbst hattest doch schon lange den Gedanken gefaßt, daß Jed Corner nicht hierher zu uns paßt.«

»Percy, ich weiß nicht, aber –«, Ruth suchte nach Worten. Wie sollte sie auch Percy erklären, daß sie alles darum geben würde, Jed Corner wieder zurückzuholen. Mit einem Male fühlte sie sich allein und verlassen, was konnten ihr ihre Freunde hier sein? Ruth begann, sich plötzlich wieder zu fürchten. Sie hatte bisher geglaubt, in Jed Corner den Störenfried zu sehen; nun fühlte sie, daß sie sich getäuscht hatte. Aber wenn es nicht an der Person Jed Corners lag, was war es dann, was sie hier nicht Fuß fassen ließ?

Widerstandslos ihren streitenden Gefühlen preisgegeben, verharrte sie regungslos. Percy bemerkte ihren Kampf.

»Bitte, vertraue mit!« begann er auf sie einzureden. »Ich will alles daran setzen, daß Du Dich hier ruhig und glücklich fühlen kannst.«

»Percy, Du …?« bange Zweifel lagen in ihrer Frage, »willst Du vielleicht Jed Corner gute Worte geben?«

Unsicherheit lag in ihrem Blick, mit dem sie ihn ansah. Sie mochte unmöglich Percy gestehen, daß sie gerade das am liebsten getan hätte. Unverwandt fühlte sie seine traurigen Augen auf sich ruhen, die plötzlich in einem harten, unbeugsamen Willen aufgeblitzt waren. Noch nie meinte Ruth an einem Menschen so sprechende Augen gesehen zu haben.

»Es ist gut, Percy!« sagte sie müde von den Zweifeln.


Betreten sah Desmond darein, als Percy später so ganz nebenbei erzählte, daß der Verwalter Jed Corner nach einer Meinungsverschiedenheit die Ranch verlassen hätte.

Unruhig beobachtete Desmond Grane Ruth, um deren Mund sich heute zwei scharfe Linien zogen.

So schweigsam sie heute war, so beredter und hoffnungsfreudiger gab sich Percy. Nur stimmte ihm dieses Mal niemand bei.



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