Julius Köstlin
Luthers Leben
Julius Köstlin

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Drittes Kapitel.

Verhandlungen über ein Conzil und über Einigung unter den Protestanten.

Fortsetzung: Der Tag in Schmalkalden 1537; Friede mit den Schweizern; Luthers Freundschaft mit den böhmischen Brüdern.

Wenige Tage nämlich, nachdem die Protestanten in Wittenberg sich geeinigt hatten, war aus Rom die Ankündigung des Conzils ergangen, das im folgenden Jahre zu Mantua gehalten werden sollte. Der Papst gab schon genugsam zu erkennen, wie er jene dort zu behandeln gedachte. Er erklärte, daß durch das Conzil die lutherische Pest ausgetilgt werden sollte, und wollte, daß man dem Conzil gar nicht die verderblichen lutherischen Bücher selbst 511 vorlege, sondern nur Auszüge aus ihnen und zwar zugleich mit einer katholischen Widerlegung. So mußte jetzt Luther gleich wieder nach dieser Seite hin seine Thätigkeit richten.

Er stimmte doch auch jetzt, während Johann Friedrich ein solches Conzil von vorn herein ablehnen wollte, mit Melanchthon für eine Annahme der Einladung; denn es werde besser sein, erst auf dem Conzil gegen ein ungerechtes Verfahren zu protestiren. Er hoffte vor demselben wenigstens christlich und männlich das Wort nehmen zu können.

Der Kurfürst beauftragte ihn dann, für alle Fälle die Sätze aufzustellen und auszuführen, die nach seiner Ueberzeugung auch vor einem Conzil behauptet werden müßten, und dazu auch andere Theologen beizuziehen. Luther setzte demgemäß eine Schrift auf. In den Tagen nach Weihnachten legte er sie seinen Wittenberger Collegen und zugleich Amsdorf aus Magdeburg, Spalatin aus Altenburg und Agricola aus Eisleben vor. Der Letztgenannte strebte damals von seiner Stelle an der dortigen Schule und unter dem Grafen von Mansfeld, mit dem er zerfallen war, hinweg nach einem Lehrstuhl in Wittenberg, der ihm auch schon vom Kurfürsten zugesagt war, und verließ dieselbe jetzt, als er zu jener Conferenz geladen wurde, ohne Urlaub für immer mit Weib und Kind. Luther nahm ihn in alter Freundschaft zunächst in's eigene Haus als Gast auf. Die Schrift wurde von Allen gut geheißen und am 3. Januar dem Kurfürsten zugeschickt.

Seinem Widerspruch gegen das römisch-katholische Dogma und Kirchenthum aber gab nun Luther hier, in diesem gemeinsamen und für ein Conzil bestimmten Bekenntniß, ganz den vollen und scharfen Ausdruck, der ihm selbst im Kampfe eigen war, und während ihm damals die Aussöhnung inmitten der Protestanten so sehr am Herzen lag, kannte er keine Möglichkeit einer Versöhnung mit jenem.

Als ersten Hauptartikel hielt er aufrecht, daß nur der Glaube an Jesus gerecht mache; davon dürfe man nicht 512 weichen, es falle Himmel und Erde. Die Messe erklärte er für den größten und schrecklichsten Gräuel, indem sie »stracks und gewaltig wider den Hauptartikel strebe«, und für die höchste der päpstlichen Abgöttereien; überdies habe dieser Drachenschwanz noch viel anderes Ungeziefer und Geschmeiß der Abgötterei erzeugt. Gegen das Papstthum selbst hatte die Augsburger Confession hauptsächlich nur dadurch Bekenntniß abgelegt, daß sie in ihren Sätzen über das Wesen der christlichen Kirche ganz von ihm schwieg. Jetzt wollte Luther bekannt haben: »daß der Papst nicht sei jure divino (vermöge göttlichen Rechtes) oder aus Gottes Wort das Haupt der ganzen Christenheit«, denn das gehöre Einem allein zu, der da heiße Jesus Christus; und weiter: »Daß er der rechte Widerchrist sei, der sich über und wider Christum gesetzet und erhöhet.« Vom Conzil erwartete er, daß die Evangelischen dort vor dem Papst und dem Teufel selbst stehen werden, der nichts zu hören, sondern schlechtweg zu verdammen und zu morden gedenke; darum sollen sie ihm nicht die Füße küssen, sondern Sachar. 3, 2 zu ihm sprechen: Strafe dich Gott, Satan.

Ueber ihr Verhalten zu einem Conzil wollten dann also die Verbündeten in Schmalkalden gemeinsam berathen und beschließen. Auch ein kaiserlicher Gesandter und ein päpstlicher Nuncius wollten sich dort bei ihnen einfinden. Die Fürsten und Vertreter der Städte brachten ihre Theologen mit, deren etwa vierzig zusammenkamen; Kurfürst Johann Friedrich brachte Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Spalatin.

Zuvor wurden die Wittenberger Theologen noch zu ihrem Fürsten nach Torgau beschieden. Dann reisten sie von Wittenberg aus, wo sie am 31. Januar aufbrachen, langsam über Grimma und Altenburg, wo sie in den fürstlichen Schlössern glänzende Herberge fanden, und über Weimar, wo Luther Sonntags, den 4. Februar, predigte, nach dem Orte des Conventes. Seine Familie und sein Haus 513 hatte Luther der Fürsorge seines Gastes Agricola anvertraut. Am 7. Februar langten sie in Schmalkalden an.

Die Theologen erhielten dort zunächst noch keine Aufgabe. Auch trafen die Mitglieder des Convents erst allmählich vollends ein. Der Gesandte des Kaisers kam am 14ten. Luther glaubte, sich auf einen vierwöchentlichen Aufenthalt gefaßt machen zu müssen. Er predigte gleich wieder am 9. Februar, in der Stadtkirche vor den anwesenden Fürsten; die Kirche fand er, wie er an Jonas schrieb, so weit und hoch, daß ihm seine Stimme darin wie die einer Spitzmaus klang. Im Uebrigen genoß er während der ersten Tage die freie Zeit und freute sich der gesunden Lage und Luft des Ortes.

Schon an dem eben genannten Tag aber hatte er mit Steinbeschwerden zu thun, die ihn auch schon vier Wochen früher einmal heimgesucht hatten. Ein ärztlicher Freund von ihm hat berichtet, daß Feuchtigkeit der Herberge und der Tücher, die man ihm über sein Bett gebreitet, ungünstig darauf gewirkt habe. Indessen ging die Sache an jenem Tag noch ganz leicht ab und am 14. des Monats konnte Luther dem Jonas wieder melden, daß es ihm besser gehe. Nur war er jetzt des müßigen Aufenthalts in Schmalkalden schon sehr müde geworden, während er über die gute Bewirthung scherzend berichtete, daß er und seine Freunde dort wie Bettler leben, mit Landgraf Philipp und dem Herzog von Würtemberg, welche die besten Bäcker haben, das Brot essen, mit den Nürnbergern Wein trinken, vom kurfürstlichen Hof Fleisch und Fische beziehen, daß man hier die besten Forellen habe, sie aber in einer Sauce mit den andern Fischen koche u. s. w.

Dann beschäftigte ihn der Kurfürst wieder mit einem Gutachten über die Theilnahme am Conzil, die er abermals rieth nicht vornweg zu verweigern. Mit einer Weigerung, meinte er, würde man dem Papst selbst einen Gefallen thun, dem Hindernisse fürs Conzil nur erwünscht seien; deshalb habe derselbe mit dem, was er von der Austilgung der Ketzerei gesagt, den Evangelischen »einen Teufelskopf scheußlich fürgestellt«, um sie zurückzuschrecken. Auch möchten gute Leute Anstoß nehmen, als ob man die Türkennoth und das Beschäftigtsein des Kaisers mit dem Kriege gegen Frankreich evangelischerseits benützte, um das Conzil zu verweigern, während in Wahrheit wohl die römischen Buben darauf rechnen, daß der türkische und der französische Krieg dieses nicht werde zu Stande kommen lassen.

Ferner erhielt Luther jetzt durch Butzer jene Mittheilungen aus der Schweiz sammt einem Briefe des Basler Bürgermeisters Meyer. Darauf schrieb er für diesen am 17. des Monats eine frohe, freundliche Antwort: er wollte mit ihr nicht zu Erklärungen und Zusagen weiter treiben, sondern seine ganze Absicht ging darauf, daß man gegenseitig sich vergeben und einander in Geduld und Sanftmuth vertragen möge. In diesem Sinn bat er Meyer aufs herzlichste: »Wollet bei den Eurigen treulich anhalten, daß sie allesammt wollten helfen die Sachen stillen, glimpfen und zum Besten fördern«, – »daß sie nicht die ruhenden Vögel scheuchen«. Auch auf seiner Seite versprach er, »weidlich dazu zu thun«.

Luther war aber schon an diesem Tage wieder übel auf; er schloß jenen Brief mit den Worten: »Ich habe itzt nicht können allen schreiben, denn ich (bin) heute den ganzen Tag an dem leidigen Calculo (Stein) ein unnützer Mensch«. Am folgenden Tag, an welchem er vor einer großen Menge von Zuhörern noch eine gewaltige Sonntagspredigt hielt, steigerte sich das Leiden sehr und es folgte eine Woche voll der heftigsten Schmerzen, indem er unfähig war Wasser zu lassen, sein Leib anschwoll, sein Magen die Speisen wieder von sich gab, eine zunehmende allgemeine Schwäche ihn befiel. Mehrere Aerzte, auch ein aus Erfurt herbeigerufener, bemühten sich um ihn. Er selbst erzählt später: »Sie gaben mir Tränke, wie wenn ich ein großer 515 Ochse wär gewesen«; auch mit vergeblichen mechanischen Mitteln quälten sie ihn. »Ich mußte,« sagte er, »ihnen gehorsam sein und that's aus Noth, damit es nicht scheine, als vernachlässigte ich meinen Leib.«

Sein Zustand erschien rettungslos. Im Angesicht des Todes gedachte er besonders seines Hauptfeindes, des Papstes, der darüber triumphiren möge, über den aber er des Sieges auch im Tod gewiß war. Er rief zu Gott: »Siehe, ich sterbe ein Feind deiner Feinde, ein Fluch und Verbannter deines Feindes, des Papstes, auf daß dein Feind wieder sterbe in deinem Bann und wir beide an jenem Tage gerichtet werden.« Tief bewegt stand der Kurfürst an seinem Lager: er sprach die Besorgniß aus, daß Gott mit ihm sein liebes Wort hinwegnehmen werde. Luther beruhigte ihn: es seien viele andere getreue Männer da, die mit Gottes Hilfe werden zu einer Mauer werden; doch konnte er dem Fürsten gegenüber eine Besorgniß darüber nicht zurückhalten, daß nach seinem Tod sogar unter den Wittenberger Collegen Zwiespalt entstehen könnte. Sein Weib und seine Kinder versprach der Kurfürst wie die Seinigen halten zu wollen. Die natürliche Liebe zu ihnen machte ihm, wie er später sagte, den Abschied gar schwer. Den betrübten Freunden gegenüber konnte er doch auch noch Humor zeigen. Als Melanchthon, ihn anblickend, bitterlich zu weinen begann, erinnerte er ihn an ein Wort ihres Freundes, des Erbmarschalls Hans Löser, daß gut Bier trinken keine Kunst sei, wohl aber sauer Bier trinken, und fuhr dann fort mit dem Worte Hiob's: »Haben wir Gutes empfangen von Gott, und sollten das Böse nicht auch annehmen?« Oder er konnte scherzen: Den heiligen Stephanus haben die bösen Juden gesteinigt, ihn steinige sein Stein, der Bösewicht. In keinem Augenblick aber verließ ihn das Vertrauen auf Gott und die Ergebung. Indem er fürchtete, daß ihn die Schmerzen noch toll machen könnten, tröstete er sich, daß doch Christus seine Weisheit bleibe und Gottes Weisheit 516 fest bleibe. Indem er in seinem Leiden den Teufel sah, war er der guten Zuversicht, daß, wenn dieser ihn zerreißen würde, Christus ihn an demselben rächen und Gott denselben wieder zerreißen werde. Nur das hätte er noch »gern unserem Herrn Gott abgebetet«, daß er in seines Kurfürsten Land sterben dürfte; aber er wollte bereit sein, wo derselbe ihn riefe. Bei einem Anfall von Erbrechen seufzte er: »Ach, lieber Vater, nimm das Seelchen in Deine Hand, ich will dir danken; – fahre hin, du liebes Seelchen, fahre in Gottes Namen.«

Endlich wollte man wirklich versuchen, ihn noch nach Gotha zu führen, zumal es in Schmalkalden an Arzneimitteln fehlte. Am 26. des Monats nahm ihn der Erfurter Arzt Sturz nebst Bugenhagen, Spalatin und Mykonius in einem kurfürstlichen Wagen mit sich; ein Wagen mit allerhand Instrumenten und Kohlen, um Tücher zu wärmen, begleitete ihn. Bei der Abfahrt sprach Luther noch zu den umstehenden Freunden und Herren: »Der Herr erfülle euch mit seinem Segen und Haß des Papstes.«

Am ersten Tage wagte man sich auf dem rauhen Weg über das Gebirge mit dem Kranken nicht weiter als bis zu dem vier Wegstunden entfernten Orte Tambach. Die Erschütterung des Fahrens machte ihm vollends unerträgliche Pein. Aber sie bewirkte wohl, was kein Arzt vermocht hatte. In der folgenden Nacht trat bei ihm die längst ersehnte Entleerung in reichem Maß ein, und er fühlte sich alsbald im ganzen Leib erleichtert und war mit den Freunden voll Freude und Danks. Noch in derselben Stunde, Nachts 2 Uhr, eilte ein Bote mit der frohen Kunde nach Schmalkalden und Luther gab ihm einen eigenhändigen Brief an seinen »herzliebsten« Melanchthon mit. Seiner Frau schrieb er von dort: »Ich bin todt gewest und hab dich mit den Kindlein Gott befohlen und meinem guten Herrn, – hat mich euer sehr erbarmet«; – jetzt habe Gott ein Wunder an ihm gethan; er dünke sich wie neu geboren; darum 517 solle sie Gott danken und die lieben Kindlein dem rechten Vater danken lassen, ohne welchen sie diesen Vater gewiß verloren hätten.

Aber schon am 28. d. M. verschlimmerte sich, nachdem er glücklich in Gotha angelangt war, sein Zustand wieder so, daß er während der folgenden Nacht in großer Schwäche wieder sein Ende nahe glaubte. Er gab da Bugenhagen noch Aufträge, welche dieser nachher als »Bekenntniß und Testament des ehrwürdigen Vaters« zu Papier gebracht hat: er sprach die frohe Gewißheit aus, daß er recht gethan habe, das Papstthum mit Gottes Wort zu stürmen, bat sein liebstes Philippchen (Melanchthon) und andere Collegen, ihm, was er gegen sie verfehlt habe, zu verzeihen, schickte seiner treuen Käthe Worte des Dankes und Trostes, daß sie jetzt für die zwölf Jahre der Freude, die sie mit ihm verlebt, auch dieses Leid hinnehmen möge, grüßte noch einmal die Wittenberger Prediger und Bürger, beruhigte seinen Kurfürsten und den Landgrafen über die Vorwürfe, welche ihnen die Papisten wegen Kirchenraubs machten, und hieß sie in ihrer Thätigkeit für das Evangelium auf Gott vertrauen u. s. w.

Am andern Morgen war er doch wieder besser bei Kräften. Butzer, welcher wegen der confessionellen Einigung und des Verhältnisses zu den Schweizern sich in Schmalkalden nicht mehr mit ihm hatte unterreden können, war ihm auf die gute Nachricht aus Tambach hin mit dem Augsburger Prediger Wolfhart zu diesem Zwecke nach Gotha nachgereist. Luther besprach jetzt die auch ihm so wichtige Angelegenheit trotz seines Leidens mit ihnen. Sie wollte er als aufrichtiger Mensch, dem nichts mehr als »Simuliren« zuwider sei, vor allem »Umhermänteln« herzlich verwarnt haben. Die Schweizer sollten von ihnen, falls er stürbe, auf seinen Brief an Meyer verwiesen werden; wenn ihn Gott leben lasse und stärke, so wolle er ihnen treulich selbst mit einer Schrift dienen.

518 Noch in Gotha aber erfolgte dann die entscheidende glückliche Wendung seiner Krankheit, indem jetzt sechs Steine von ihm abgingen. Die Reise wurde vorsichtig und langsam fortgesetzt, namentlich in Weimar Aufenthalt gemacht. Von Wittenberg aus kam ihm eine in seinem Haus lebende Nichte entgegen, um ihn zu pflegen (wohl Lene Kaufmann, die Tochter einer Schwester von ihm, vgl. unten in Kap. 7). Seiner Frau hatte er in dem Brief aus Tambach geschrieben, daß sie von einem Anerbieten des Kurfürsten, sie zu ihm fahren zu lassen, keinen Gebrauch machen sollte, weil es unnöthig sei. Erst am 14. März langte er wieder zu Hause an. Die Genesung hatte unterwegs gute Fortschritte gemacht, aber noch acht Tage nachher konnten ihn, wie er an Spalatin schrieb, seine Beine noch nicht recht tragen.

Inzwischen führte die Berathung der Verbündeten in Schmalkalden zu dem Resultat, daß sie das päpstliche Einladungsschreiben zum Conzil gar nicht annahmen. Dem Kaiser antworteten sie: Das Conzil, welches der Papst jetzt in Aussicht stelle, sei nichts weniger als dasjenige, welches von den deutschen Reichstagen längst gefordert worden sei; ein freies Conzil möge man ihnen verschaffen und ein Conzil in deutschen Landen, nicht in Italien.

Mit den für ein Conzil bestimmten Artikeln Luthers sich zu beschäftigen, sahen sie sich hienach nicht veranlaßt. Zu ihrem offiziellen Augsburger Bekenntniß, auf welches hin ihnen auch der Religionsfrieden gewährt war, und zu der Apologie dieser Confession, welche Melanchthon damals im Gegensatz gegen die katholische Widerlegungsschrift verfaßt hatte, wollten aber doch auch sie jetzt noch eine Ausführung wider die Gewalt und das göttliche Recht des Papstes hinzufügen. Melanchthon verfaßte sie in jenem Sinne Luthers, wenn auch in einem ruhigeren, gemäßigteren Ton, als diesem eigen war. Jener Schrift Luthers stimmten übrigens die meisten dort anwesenden Theologen ausdrücklich 519 durch ihre Unterschrift bei. Luther ließ dieselbe im folgenden Jahr gedruckt erscheinen. – Der Türkenkrieg und der neue Krieg mit Frankreich ließ den Kaiser nicht daran denken, daß er Jene zu einer Theilnahme an einem Conzil zwingen sollte, und genügte auch schon an sich dazu, ein Conzil nicht zu Stande kommen zu lassen. Ob der Papst selbst, wie Luther meinte, im Stillen hierauf rechnete und sich darüber freute, mag dahin gestellt bleiben.

Auf die Concordie, welche im vorigen Jahr in Wittenberg geschlossen und dann den verschiedenen deutschen Fürsten und Städten vorgelegt worden war, wurde jetzt in Schmalkalden das Siegel gedrückt, indem die dort angenommene Formel hier von allen den abgesandten Theologen unterzeichnet wurde und auch die Fürsten bei ihr beharren zu wollen erklärten. Den Schweizern gegenüber, welche von ihren Bedenken gegen jene Wittenberger Sätze nicht lassen konnten, hielt Luther wesentlich den Standpunkt fest, welchen sein Brief an Meyer bezeichnete. So schrieb er im folgenden Dezember auch selbst an die evangelischen Orte der Schweiz, von welchen ihm Butzer die Botschaft nach Gotha gebracht hatte, beantwortete im nächsten Jahr, im Mai 1538, freundlich eine Sendung Bullingers an ihn und richtete an jene Orte, nachdem sie ihm erwidert hatten, im Juni ein neues Schreiben. Fortwährend wünschte und bat er, daß man, so lang man sich noch nicht ganz verstehe und in den Meinungen einig wisse, wenigstens gegen einander freundlich sein und sich des Besten zu einander versehen möge, bis das trübe Wasser sich vollends setze. Er erkannte an, daß bei Jenen ein sehr fromm Völklein sei, das mit Ernst wohl thun und recht fahren möchte, freute sich darüber und hoffte zu Gott, daß dieser, ob auch noch eine Hecke sich sperrete, mit der Zeit zur fröhlichen Aufhebung aller Irrung helfen werde. Aber er konnte von dem, worüber man sich noch nicht verständigt hatte, auch jetzt nicht absehen; und mit Recht vermuthete er und sprach es gegen die Schweizer aus, daß 520 wohl auf ihrer Seite nicht minder als auf seiner eigenen noch Manche sich befinden, denen die Einigung nicht gefällig, sondern verdächtig sei. Er selbst mußte noch fortwährende Mißdeutungen seiner Lehre berichtigen und that es mit Ruhe: er habe, sagte er, niemals gelehrt, daß Christus, um im Abendmahl gegenwärtig zu werden, vom Himmel herniederfahre, sondern stelle die Art, wie sein Leib den Abendmahlsgästen wahrhaft gegeben werde, einfach der göttlichen Allmacht anheim. Auch dagegen aber mußte er sich verwahren, daß er mit der Haltung, die er jetzt annehme, seine bisherige Lehre aufgegeben habe. Und mit dieser hielt er eben stets noch an einer anderen Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl fest, als an jener Gegenwart für den geistigen Genuß, worauf jetzt auch die Schweizer drangen. Als Bullinger es befremdlich fand, daß er immer noch von einem Unterschied der Lehrweise rede, ließ er sich auf Auseinandersetzungen darüber nicht mehr ein, und andererseits machten auch die Schweizer Orte nach seinem zweiten Schreiben an sie keinen Versuch mehr, eine vollere Einigung zum Ausdruck zu bringen. Luthers Meinung war, Friede und Freundschaft mit ihnen zu halten im Bewußtsein des doch noch vorhandenen Dissenses. Eben deswegen wollte er an diesem auch nicht durch weitere Auseinandersetzungen rühren. Durch dieses Verhalten glaubte er auch einer weiteren Verständigung und Einigung, welche für ihn Gegenstand des Hoffens blieb, noch am besten zu dienen. –

Insoweit also gelang es in diesen Jahren nach Zwingli's Tod, den Zwiespalt zu heben, der die evangelisch Gesinnten der Schweiz und die mehr oder weniger durch sie beeinflußten Oberdeutschen von Luther und der großen lutherischen Gemeinschaft in so verhängnißvoller Weise geschieden und so heftig und leidenschaftlich auf beiden Seiten die Geister erregt hatte. So weit hat Luther selbst damals mit aufrichtigem, warmem Streben hiezu mitgewirkt, manchen Argwohn in sich selbst überwunden, Mittel zum Frieden gesucht, 521 den störenden Eifer eigener Freunde und Anhänger, wie Amsdorfs oder Osianders in Nürnberg, zurückgehalten. Als bedeutsames Ereigniß eben derselben Jahre und als Zeugniß derselben Stimmung und Gesinnung bei Luther schließen wir nun daran noch die freundlichen Beziehungen, welche damals zwischen ihm und den sogenannten böhmischen und mährischen Brüdern sich knüpften.

Wir hatten früher, schon nach der Leipziger Disputation 1519 und dann namentlich nach Luthers Rückkehr von der Wartburg von einer viel versprechenden, aber doch nur vorübergehenden Annäherung zwischen ihm und der großen und mächtigen Gemeinschaft der böhmischen Utraquisten zu erzählen, die als Verehrer von Hus und als Kämpfer für den Laienkelch von der Herrschaft Roms sich losgerissen hatten. Still und bescheiden, aber mit einem weit tiefer gehenden reformatorischen Streben nach Wiederherstellung eines wahrhaft christlichen Lebens hatten neben ihnen die kleinen Gemeinden jener Brüder sich verbreitet und duldend unter Druck und Verfolgung ausgehalten. Luther äußerte nachher über sie: er habe bei ihnen das große und unter dem Papstthum unerhörte Wunder gefunden, daß sie, von Menschenlehren sich abwendend, nach bestem Vermögen Tag und Nacht dem Gesetze des Herrn nachsinnen und in der heiligen Schrift wohl erfahren seien. Es waren aber, wie auch diese Aeußerung andeutet, vorzugsweise die Gebote der Schrift, in deren getreuer und strenger Erfüllung sie das wahre Christenthum suchten, speziell die Gebote Jesu, wie er sie namentlich in der Bergpredigt ausgedrückt hat, und diejenigen Vorschriften, welche sich ihnen aus dem Vorbild der ältesten apostolischen Gemeinden ergaben. In strenger Zucht suchten sie hienach ihr gemeindliches Leben einzurichten und zu heiligen. Für die Heilslehre, welche Luther neu besonders nach dem Zeugniß des Apostel Paulus verkündigte, oder dafür, daß doch vor Gott nur der Glaube gerecht mache, hatten sie noch kein Verständniß. Sie lehrten 522 von der Gerechtigkeit, zu welcher die Christen gelangen sollten, vielmehr wie Augustin und fromme praktische mittelalterliche Theologen. So fehlte ihnen dann auch die Freiheit in der Auffassung des sittlichen Lebens und der in der Welt sich darbietenden Aufgaben und Güter, wozu der christliche Geist bei Luther vermöge jenes Glaubens sich erhob. Sie scheuten vielmehr alles weltliche Treiben in einer Weise, vermöge deren Luther ihnen einen gewissen mönchischen Charakter beilegte. Ihre Geistlichen lebten wie die katholischen im Cölibat. Eine andere Eigenthümlichkeit ihrer Lehre war, daß sie, im Streben nach geistigerer Auffassung und unter dem Einfluß der bei den Hussiten verbreiteten Schriften des großen Engländers Wicliff die katholische Theorie von der Verwandlung des Brotes im Abendmahl aufgaben und auch nicht eine solche Gegenwart des Leibes Christi, wie sie dann doch von Luther behauptet wurde, festhielten: sie sprachen da nur von einer sacramentlichen, geistlichen, wirksamen Gegenwart Christi, und unterschieden hievon eine substanzielle Gegenwart, die sein Leib nur im Himmel habe.

Auch mit ihnen wurde Luther schon bald nach der Rückkehr von der Wartburg näher bekannt. Der evangelische Prediger Paul Speratus, der damals eine Zeitlang in Mähren wirkte, machte ihm Mittheilung über diese eifrigen Freunde des göttlichen Wortes, bei denen er aber doch Manches und namentlich ihre Auffassung des Abendmahls bedenklich finde. Sie selbst sandten ihm Boten, Briefe und Schriften zu. Luther, der damals auch sonst schon neben der katholischen Theorie zugleich Zweifel an der wahren Gegenwart des Leibes im Abendmahl zu bestreiten hatte, wandte sich 1523 in einer Schrift »Vom Anbeten des Sacraments &c.« auch gegen die Aussagen der Brüder darüber und machte sie dann noch auf Anderes, worin er ihnen nicht zustimmen konnte, aufmerksam, übrigens in der mildesten Form und unter warmer Anerkennung ihrer 523 Vorzüge, besonders ihres züchtigen christlichen Lebens, das er in seinem Kreis noch nicht so zu Stande zu bringen vermöchte. Sie aber und besonders ihr Senior Lukas fühlten sich hiedurch verletzt. Dieser verfaßte eine Gegenschrift, worauf Luther schweigend sie ihre eigenen Wege weiter gehen ließ.

Zu derselben Zeit also, in welcher Butzer seine Unionsversuche mit Erfolg weiter führte, traten nun auch die Brüder wieder an Luther heran. Sie gaben ihm neue Erklärungen über die in Frage stehenden Lehren und er ließ dieselben für übereinstimmend mit der von ihm behaupteten Wahrheit gelten, wenngleich auch sie mit seinen eigenen Aussagen noch nicht gleich lauteten und auch inhaltlich einen gewissen Unterschied wohl noch erkennen ließen. So hielten sie jene Gegenwart des Leibes im Abendmahl und Christi Sein im Himmel doch noch in der Weise auseinander, daß sie nur dieses ein leibliches Sein nannten. Sachlich stimmte die Auffassung der Brüder, die sie freilich nie recht klar auseinandersetzten, wohl am meisten mit derjenigen überein, welche nachher Calvin vorgetragen hat. Luther aber sah darin nichts Wesentliches mehr, worüber er weiter hätte mit ihnen streiten müssen oder was ihn von freundlicher Gemeinschaft mit den frommen Leuten hätte zurückhalten dürfen. Auf ihren Wunsch gab er zwei Bekenntnißschriften von ihnen i. J. 1533 und 1538 mit Vorreden von seiner Hand heraus. Darin äußerte er sich namentlich auch über die sehr in die Augen fallenden Unterschiede der kirchlichen Gebräuche und Einrichtungen bei ihren Gemeinden und bei den seinigen: sie sollten der Gemeinschaft durchaus nicht im Wege stehen; eine Verschiedenheit der Bräuche habe immer zwischen den christlichen Kirchen stattgefunden und sei bei der Verschiedenheit der Verhältnisse und Zeiten unvermeidlich. Auch dem Werthe, welchen die Brüder auf die Ehelosigkeit, ohne sie für Jemand zum Gesetz zu machen, doch immer noch 524 legten, gestand er unter ihren Verhältnissen eine gewisse Berechtigung zu.

Unter den Brüdern ließ sich die Verbindung mit Luther und der deutschen Reformation überhaupt besonders ihr begabter und thätiger damaliger Senior Johann Augusta angelegen sein. Er erschien auch persönlich in Wittenberg und zwar wohl zu wiederholten Malen: so jedenfalls im Jahr 1542, wo Luther sich nochmals vertraulich über die Brüder mit ihm besprach und ihnen wünschte, daß sie Apostel der Slaven werden möchten, wie er der Deutschen.

So waren jetzt für Luther nach allen den Seiten hin, wo er das evangelische Wort walten sah, die Bande der Gemeinschaft geknüpft.


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