Julius Köstlin
Luthers Leben
Julius Köstlin

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Siebentes Kapitel.

Luther an den christlichen Adel deutscher Nation und von der babylonischen Gefangenschaft.

Jener Schrift gab Luther den Titel: »An den christlichen Adel deutscher Nationen, von des christlichen Standes Besserung.«

In einer Zuschrift an seinen Freund und Collegen Amsdorf, die er dem Büchlein vorangehen ließ, beginnt er: »die Zeit des Schweigens ist vergangen und die Zeit zu reden ist gekommen.« Er habe etliche Stücke, des christlichen Standes Besserung betreffend, dem christlichen deutschen Adel vorzulegen, ob doch Gott durch den Laienstand seiner Kirche helfen wolle, sintemal der geistliche Stand ganz unachtsam geworden sei. Lege man es ihm für Vermessenheit aus, daß er so hohe Stände in so großen Sachen anzureden wage: wohl, so sei er vielleicht seinem Gott und der Welt eine Thorheit schuldig und wolle auch einmal Hofnarr 204 werden. Aber dieweil er ein geschworener Doctor der heiligen Schrift sei, freue er sich der Gelegenheit, seinem Eid in dieser Weise genug zu thun.

Dann wendet er sich an die »allerdurchlauchtigste, großmächtigste kaiserliche Majestät und christlichen Adel deutscher Nation«, mit dem Gruß: »Gnad und Stärke von Gott zuvor, Allerdurchlauchtigster, gnädigste liebe Herren!«

Die Noth und Beschwerung der Christenheit und sonderlich Deutschlands hat ihn, wie er sagt, gezwungen, zu Gott zu schreien, ob derselbe jemand den Geist geben wolle, seine Hand zu reichen der elenden Nation. Er hofft hierfür auf das edle junge Blut, das Gott jetzt dieser zum Haupt gegeben. Daneben will auch er das seinige thun.

Die Romanisten haben aber, damit man sie nicht reformiren könne, drei Mauern um sich gezogen. Für's erste nämlich sagen sie, die weltliche Macht habe kein Recht über sie, die Geistlichen, sondern die geistliche stehe über der weltlichen; für's zweite, die heilige Schrift, die man gegen sie gebrauchen wolle, habe nur der Papst auszulegen; für's dritte, ein Conzil könne Niemand als der Papst berufen. Hiergegen ruft Luther Gott um eine der Posaunen an, mit der einst Jerichos Mauern umgeworfen wurden, um diese stroherne und papierene Mauern auch umzublasen.

Schon sein Angriff auf die erste Mauer ist entscheidend für alles weitere. Er führte ihn aus mit seinen Sätzen vom geistlichen und priesterlichen Charakter aller Christen, die aus der Taufe gekrochen und durch Christi Blut geweiht seien (nach 1. Petr. 2, 9. Off. Joh. 5, 10). So sind sie nach Luther Eines Charakters, Eines Standes. Den sogenannten Geistlichen oder Priestern ist nur das besondere Amt oder Werk eigen, daß sie in der Gemeinde »das Wort Gottes und die Sacramente handeln sollen«. Denn die Gewalt hiezu ist zwar den Christen als Priestern insgemein von Gott verliehen, aber eben darum darf kein Einzelner sie ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen. Die 205 Ordination dieser sogenannten Geistlichen durch einen Bischof darf in Wahrheit nur bedeuten, daß aus der Gesammtheit der Christen, die alle gleiche Gewalt haben, einer herausgenommen werde und ihm befohlen, dieselbige Gewalt für die andern auszurichten. Sie haben so dieses besondere Amt, wie andere Glieder der Gemeinde, nämlich die weltlichen Obrigkeiten, das Amt des Schwertes führen zur Strafe für die Bösen und zum Schutz der Frommen. Sie haben es, wie jeder Schuster, Schmied, Bauer seines Handwerks Amt hat und doch alle gleich Priester sind. Und eben jene weltliche obrigkeitliche Gewalt soll nun auch auf ihrem eigentlichen Gebiet frei und unverhindert ihr Amt üben, kein Papst oder Bischof ihr hier dreinreden, kein sogenannter Geistlicher sich ihr entziehen wollen.

Demselben geistlichen Charakter der Christen gegenüber muß die zweite Mauer fallen. Von allen Christen hat Christus gesagt, daß sie sollen von Gott gelehret werden (Joh. 6, 45). So kann ein geringer Mensch, wenn er rechter Christ ist, den rechten Verstand der Schrift haben, und der Papst, wenn er bös und nicht rechter Christ ist, wird nicht von Gott gelehrt. Müßte der Papst allein und immer recht haben, so müßte man beten »ich glaube an den Papst zu Rom«, und müßte also die christliche Kirche ganz in einen Menschen ziehen, was nichts anderes als teuflischer und höllischer Irrthum wäre.

Die dritte Mauer fällt hiernach vollends von selbst. Denn, sagt Luther, wo der Papst wider die Schrift handelt, sind wir schuldig, der Schrift beizustehen und ihn zu strafen nach jenem Wort Christi von der Zucht unter Brüdern (Matth. 18, 15), wo es heißt: sage es der Gemeinde. Die Gemeinde aber oder Christenheit müsse zusammengebracht werden in einem Conzil. Und wie schon das berühmteste der Conzilien, das zu Nicäa, und andere nach ihnen durch Kaiser berufen worden sind, so muß, wo es die Noth fordert, Jeder, wer am ersten kann, als ein treu Glied des ganzen 206 Körpers dazu thun, daß ein recht frei Conzil werde: »welches Niemand so wohl vermag, als die weltlichen Obrigkeiten, die da Mitchristen, Mitpriester, mitgeistlich sind.« Es ist damit wie mit einem Feuer in der Stadt, wo keiner deßwegen, weil er nicht die Macht des Bürgermeisters hat, stillstehen und brennen lassen darf, vielmehr jeder Bürger auch die Andern herrufen muß: so in der geistlichen Stadt Christi, wenn ein Feuer des Aergernisses sich erhebt. – Auf die Frage, wie ein solches Conzil nach seinem Sinn zusammengesetzt sein sollte, geht Luther nicht ein. Daß er auch auf ihm selbst den Laienstand vertreten haben wollte, dürfen wir nach dem ganzen Zusammenhang für sicher ansehen; für fraglich, wie weit er dann hiebei eben auch an eine Vertretung jener Obrigkeiten als solcher und überhaupt der christlichen Gemeinde nach ihrer politischen Gliederung gedacht haben mag. Seine Hauptforderung aber war, daß das Conzil ein freies christliches sei, durch keinen Eid dem Papst verpflichtet, an kein sogenanntes kanonisches Recht gebunden, nur dem Wort Gottes in der heiligen Schrift unterworfen.

In sechsundzwanzig Abschnitten führt Luther dann die Punkte vor, über die ein solches Conzil handeln und auf welche man überhaupt in Reformen dringen müsse.

Ein Aergerniß und widerchristlich ist ihm die ganze Ueberhebung des Papstthums, die weltliche Hoffarth, mit der sich der Papst umkleide, die Abgötterei, die man mit ihm treibe: Herr der Welt heiße er und prange in dreifacher Krone mit aller weltlichen Herrlichkeit und mit einem unendlichen Gefolge und Troß, während er Statthalter des Herrn sein wolle, der arm hier gewandelt und sich an's Kreuz hingegeben und erklärt habe, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei. Eingehend legt er die verschiedenen und das ganze kirchliche Leben umfassenden Beziehungen dar, in welchen die römische Tyrannei die einzelnen Landeskirchen und sonderlich die deutsche sich unterthan gemacht 207 habe und ausnutze und auspresse: mit den Gebühren und Abgaben aller Art, mit dem Ziehen der kirchlichen Prozesse nach Rom, mit dem Anhäufen von Pfründen in den Händen päpstlicher Günstlinge schlimmster Art, mit dem gewissenlosen und wucherischen Verkauf von Dispensationen, mit dem die Bischöfe knechtenden und jeder Reform wehrenden Eid, den sie dem Papst leisten müssen u. s. w. Namentlich in der Gier nach Geld und der Kunst, es überall herbeizutreiben, erkennt Luther hier den Antichrist; denn dieser müsse die Schätze der Erde heben; wie schon Daniel (Dan. 11, 8. 39. 43) verkündigt habe.

Dieser Bedrückung und diesen Eingriffen gegenüber will Luther auch nicht erst auf ein Conzil gewartet haben. Er sagt von solchen Abgaben, ein jeglicher Fürst, Adel, Stadt solle sie frischweg abthun und verbieten. Dem rechtswidrigen Ziehen geistlicher Pfründen und Lehen nach Rom solle der Adel sich widersetzen. Wenn einer mit solchen Ansprüchen vom päpstlichen Hof her nach Deutschland komme, solle man ihm gebieten, davon abzustehen, oder mit seinen Siegeln und Briefen und mit dem römischen Bann in das nächste Wasser zu springen. Ueberhaupt aber will nun Luther, wie die gleiche Forderung damals von Hutten ausgesprochen wurde, daß die einzelnen Kirchen und namentlich die deutsche in ihrer eigenen Mitte und selbstständig ihre Angelegenheiten ordnen und verwalten. Die Bischöfe sollen nicht in Rom ihre Bestätigung holen, sondern, wie schon das nicänische Conzil bestimmt, bei ein paar Nachbarbischöfen oder einem Erzbischof. Die deutschen Bischöfe sollen unter ihrem eigenen Primas stehen. Der möge ein gemein Consistorium mit Kanzlern und Räthen halten, das die Appellationen aus den deutschen Landen annehme. Dem Papste übrigens will dann Luther doch noch eine oberste Stellung in der christlichen Gesammtkirche belassen: wichtige Dinge, über welche die Primaten unter sich nicht einig werden könnten, sollten ihm noch vorgetragen 208 werden. Noch einen wichtigen Gesichtspunkt für die ganze kirchliche Verfassung macht Luther hiebei geltend: nicht äußere Verwaltung und Rechtsprechung bildet ihm den eigentlichen Inhalt eines wahrhaft kirchlichen und so auch des bischöflichen und päpstlichen Amtes, sondern immer jener Dienst am göttlichen Wort. Darum will er, daß der Papst nicht mit geringen Sachen beschwert werde. Er erinnert, daß die Apostel einst auch nicht das Wort Gottes lassen und dem Tisch dienen, sondern beim Predigen und Gebet bleiben wollten (Apostelgesch. 6, 6). Das sogenannte geistliche Recht der kirchlichen Rechtsbücher aber möchte er überall vom ersten bis auf den letzten Buchstaben ausgetilgt haben: man finde genug in der heiligen Schrift; überdies halte sich ja auch der Papst selbst nicht mehr an jenes, behaupte vielmehr, alles Recht im Schrein seines eigenen Herzens zu tragen.

Entsprechend dem, was Luther über die Stellungen der weltlichen und geistlichen Macht überhaupt gesagt hat, protestirt er dann namentlich zu Gunsten des deutschen Kaiserthums gegen das »überhochmüthige und überfreventliche Vornehmen« des Papstes, der sich über den Kaiser Gewalt anmaße und von ihm den Fuß küssen und den Steigbügel halten lasse. Wohl sei er über ihm im geistlichen Amt, im Predigen, im Austheilen des göttlichen Gnadenwortes, in den andern Dingen aber unter ihm.

Indem Luther weiter auf innerkirchliche, sittliche und sociale Ordnungen und Zustände eingeht, ist die wichtigste Forderung, die er hier jetzt vorträgt, die der Aufhebung des Cölibats für die Geistlichkeit. Wollen Päpste und Bischöfe sich selbst die Last der Ehelosigkeit auflegen, so will er darum sich nicht kümmern. Nur von dem Pfarrstand will er reden, den Gott eingesetzt habe, dessen jede Gemeinde für den Dienst der Predigt und der Sacramente bedürfe, und der unter den Gemeinden wohnen und zeitlich haushalten müsse. Diesen dürfe kein Engel vom Himmel, 209 geschweige denn ein Papst zu dem, wozu Gott ihn nicht verbunden habe, verbinden und dadurch in Fährlichkeit und Sünde stürzen. – Das Mönchswesen soll wenigstens eingeschränkt werden. Luther möchte die Stifte und Klöster in christliche Schulen verwandeln, darin man Schrift und Zucht lehre und Leute für Regierung und Predigtamt auferziehe. Er möchte ferner, daß Jedem die Freiheit bleibe, auszutreten. – Weiterhin beklagt er, wie schon in einem früheren Sermon, die »heidnische Weise«, gemeine Frauenhäuser (Bordelle) zu halten, und kommt von hier aus wieder auf die Ehelosigkeit der Geistlichen und Mönche zurück. Er besorgt, daß Viele nur deßwegen sich hierzu ziehen lassen, weil sie dabei leichteren Unterhalt, als in ordentlichem ehelichen Leben zu haben meinen. Da seien sie dann zuvor wild und wollen, wie man sage, »ausbuben«, während »sich's vielmehr hineinbube«, wie die Erfahrung weise.

Abgethan werden sollen die Fastengebote, weil diese Menschensatzungen der evangelischen Freiheit entgegen seien; abgeschafft die vielen Feste und Feiertage, weil sie Müssiggang, Saufen und Spielen mit sich bringen; gesteuert dem fürwitzigen Wallfahren nach Rom, bei dem man schweres Geld verzehre, während man Weib und Kind und die armen Mitchristen daheim darben lasse, und bei dem man in Aergerniß und Versuchung hineinlaufe. – Großes fordert Luther in Betreff des Armenwesens: alle Bettelei soll unter Christen abbestellt werden, jede Stadt ihre eigenen Armen versorgen und fremde Bettler fern halten. – Wie damals nicht blos die niederen, sondern auch die hohen Schulen mit der Kirche zusammenhingen, so giebt Luther auch für ihre Reform Rathschläge. Er bezeichnet die Schriften der Alten, die man in der philosophischen Fakultät lesen, und andere, die man als unnütz oder gar verderblich abschaffen sollte. Hinsichtlich des weltlichen Rechtes stimmt er ein in die damals oft unter Deutschen vernommene Klage, daß dasselbe gar eine Wildniß geworden sei: jedes Land 210 solle möglichst »mit eigenen kurzen Rechten regieret werden«. Für die Kinder möchte er nicht blos Knaben-, sondern auch Mädchenschulen wenigstens in jeder Stadt haben. Es jammert ihn, wie man gegenwärtig das junge Volk mitten in der Christenheit verschmachten und verderben lasse, indem man ihnen das Brod des Evangeliums zu geben versäume.

Auch die Sache der Böhmen regt er wieder an, daß man endlich einmal den gräulichen gegenseitigen Lästerungen ein Ende machen möge. Dabei bemerkt er über Hus, daß, wenn er auch ein Ketzer gewesen wäre, man doch die Ketzer mit Schriften und nicht mit Feuer überwinden sollte; die Henker, sagt er, wären sonst die gelehrtesten Doctores auf Erden.

Endlich weist er noch kurz auf Schäden des weltlichen und bürgerlichen Lebens hin, nämlich wieder auf den Luxus in Kleidung, Spezereien u. s. w., auf die deutsche Unmäßigkeit, auf das Zinsennehmen und Wuchern. Den großen Handelsgesellschaften, besonders den reichen Kaufherrn Fugger möchte er einen Zaum ins Maul legen lassen; denn es könne doch wohl nicht göttlich und recht zugehen, wenn bei eines Menschen Leben so große königliche Güter aufgehäuft werden. Es erscheint ihm überhaupt »viel göttlicher, Ackerwerk mehren und Kaufmannschaft mindern«. So spricht er als Mann des Volkes, das damals überhaupt über jenes Geldwesen argwöhnisch wurde, in richtigem Gefühl wirklich vorhandener sittlicher und national-ökonomischer Gefahren, wenn auch ohne die nöthigen Kenntnisse der Verkehrsverhältnisse und Bedürfnisse. Er selbst fügt bei: »ich befehle das den Weltverständigen; ich als Theologus hab nicht mehr daran zu strafen, denn das böse, ärgerliche Ansehen (1. Thess. 5, 22)«.

Ueber ein so weites Gebiet hat die kleine Schrift sich verbreitet; nur die Hauptpunkte haben wir hier vorgeführt. Luther selbst bekennt zum Schluß: »ich acht wohl, daß ich hoch gesungen hab, viel Dings fürgeben, das unmöglich 211 werd angesehen, viel Stück zu scharf angegriffen: – ich bin es schuldig zu sagen, könnt ich, so wollt ich auch also thun; es ist mir lieber, die Welt zürne mit mir, denn Gott«. Bei Allem aber ist Rom das Hauptziel seiner Angriffe geblieben. Und hierzu sagt er jetzt: »wohlan, ich weiß noch ein Liedlein von Rom; jucket sie das Ohr, ich will's ihnen auch singen und die Noten auf's höchste stimmen«. – Er schließt: »Gott geb uns Allen einen christlichen Verstand und sonderlich dem christlichen Adel deutscher Nation einen rechten geistlichen Muth, der armen Kirche das Beste zu thun. Amen.«

Während Luther an dieser Schrift arbeitete, wurden ihm neue beunruhigende Nachrichten aus Rom und Vorstellungen, welche von dort aus dem Kurfürsten gemacht wurden, durch Spalatin mitgetheilt. Damit traf aber auch jene Zusage des Schutzes von Seiten Ritter Schauenburgs zusammen. Luther gab Spalatin zur Antwort: »Der Würfel ist geworfen, ich verachte die römische Wuth und Gunst; ich will keine Versöhnung mehr mit ihnen, keine Gemeinschaft.« Freunde, welche von seiner neuen Arbeit hörten, erschraken; Staupitz wollte noch in der letzten Stunde abmahnen. Aber da waren, in den ersten Wochen des Augusts 1520, schon 4000 Exemplare gedruckt und ausgegeben. Sofort wurde auch eine neue Auflage des Buches nöthig: Luther fügte ihr noch einen weiteren Abschnitt bei, in welchem er das Pochen des Papstes darauf, daß durch ihn das römische Reich und Kaiserthum an die Deutschen gebracht worden sei, zurückwies.

Abb. 22: Titelblatt des Urdrucks der zweiten Hauptausgabe dieser Schrift.

Wohl durfte Luthers Freund Lange diese Schrift eine Kriegstrompete nennen. Der Reformator, der anfangs nur den Seelen den rechten Heilsweg wieder zeigen und öffnen und hierfür mit dem Schwerte seines Wortes streiten wollte, hat hier also vollends entschieden und ungestüm den andern Schritt gethan, daß er auch die Aufhebung der unberechtigten und widerchristlichen äußeren römisch-kirchlichen 213 Ordnungen fordert und dazu die weltliche Gewalt, im Nothfall auch mit ihren äußeren Machtmitteln, durch sein Wort aufruft. Begründet war das, wie wir sahen, für ihn im Fortschritt seiner christlichen, sittlich-religiösen Erkenntniß: in den unveräußerlichen Rechten, die der Christenheit insgemein zukommen, und in dem Beruf, mit dem Gott selbst eben auch die weltliche oder staatliche Gewalt betraut, in der Selbständigkeit, die er ihr für ihr eigenes Gebiet verliehen, und den Verpflichtungen, die er ihr auch in Betreff aller sittlichen und religiösen Gefahren und Nothstände auferlegt hat. Dagegen, daß er äußeren Aufruhr anstiften wolle, verwahrt er sich auch jetzt und gewiß aufrichtig: seine Absicht sei nur, einem freien Conzil Bahn zu machen. Wohl aber ist er, falls die von ihm aufgerufenen Gewalten bei den Anhängern Roms oder des Antichrists Widerstand fänden, jetzt offenbar auch vor dem Gedanken an äußere Kämpfe und Tumulte nicht mehr zurückgeschreckt. Von sich jedoch hegte er, indem er zu so stürmischem Auftreten sich fortgerissen fühlte, gerade jetzt nicht etwa die Meinung, zum eigentlichen Reformator bestimmt zu sein, war vielmehr zufrieden, einem Größeren damit vorzuarbeiten, und dachte hiebei an seinen Melanchthon. So schrieb er jetzt an Lange das merkwürdige Wort: »vielleicht bin ich der Vorläufer des Philippus, daß ich ihm wie Elias in Geist und Kraft den Weg bahne, die Leute Ahabs verstörend« (1. Kön. 18). An eben denselben Freund schrieb damals Melanchthon über ihn: er wage nicht, dem Geiste seines Martinus in dieser Sache Einhalt zu thun, zu der er von der Vorsehung bestimmt erscheine.

Vom kurfürstlichen Hof vernahm Luther, daß demselben seine Schrift doch »nicht ganz mißfalle«. Eben jetzt hatte er seinem Fürsten auch wieder einmal für eine freundliche Zusendung von Wildpret zu danken.

Indessen erhielt er ohne Zweifel eben von dort her jetzt Anweisung, den in Deutschland angelangten Kaiser, zu 214 welchem er so in seiner Schrift hatte sprechen wollen, auf andere Weise unmittelbar anzugehen, nämlich mit einer persönlichen Bitte um Schutz, damit er nicht ungehört verdammt werde. Er richtete an denselben ein besonnen und würdig abgefaßtes Schreiben. Zugleich ließ er ein kurzes öffentliches »Erbieten« ausgehen, worin er sich darauf berief, längst vergeblich um ordentliche Widerlegung gebeten zu haben. Beide Schriftstücke unterlagen vorher (zu Ende Augusts) der Durchsicht und Correctur Spalatins. Eine Antwort auf das Schreiben oder auch nur eine Mittheilung darüber, wie der Kaiser es aufgenommen, hat Luther nie erhalten.

Weiter bewegte die Gefahr, die Luthern und in ihm auch der Ehre und dem Wohlergehen seines Ordens drohte, seine Genossen und Freunde in diesem Orden. Und davon nahm Miltitz zu neuen Versuchen Anlaß. Auf einem Convent der Augustinermönche in Eisleben bestimmte dieser die Ordensbrüder, Luther zu ersuchen, er möge nochmals an den Papst schreiben und ihn feierlich versichern, daß er seine Person nie habe angreifen wollen. Eine Gesandtschaft derselben, Staupitz und Link an der Spitze, erschien bei ihm am 4. oder 5. September in Wittenberg und erhielt die Zusage, daß er ihnen den Gefallen thun wolle. – Auf dem Convent hatte Staupitz, der seine Kräfte den schweren Entscheidungen und Kämpfen der Gegenwart nicht mehr gewachsen fühlte, sein Amt als Ordensvicar niedergelegt und darin Link zum Nachfolger erhalten. Ihn hat Luther damals in Wittenberg wohl zum letzten Mal gesehen. Er zog sich nach Salzburg, wo ihm der Erzbischof befreundet war, in stille Abgeschiedenheit zurück.

Luthers eigener Geist aber ließ im weiteren Vorgehen gegen Rom sich keinen Augenblick mehr hemmen. »Noch ein Liedlein« hatte er ja davon zu singen. In der That arbeitete er schon im August, während bereits Gerüchte umliefen, daß Eck mit der Bulle herannahe, an einer neuen 215 Schrift, ließ auch sofort schon ihren Druck beginnen. Von der »babylonischen Gefangenschaft der Kirche« wollte sie handeln, indem sie mit den christlichen Sacramenten sich beschäftigte. Luther war sich bewußt, hier tiefer, als mit allen den reformatorischen Forderungen seiner Schrift an den Adel in die kirchlichen, theologischen und religiösen Prinzipien einzuschneiden, die bei seinem Streit mit Rom in Betracht kamen. Denn mit der Kirche sah auch er in den Sacramenten, die Christus gestiftet, die heiligsten gottesdienstlichen Handlungen, mittelst deren das Heil selbst, Vergebung, Gnade und Kraft von oben ausgespendet werden sollte: dort aber sah er sie durch menschliche Willkür in ihrer stiftungsmäßigen Uebung beeinträchtigt, ihrer wahren Bedeutung entfremdet, zum Werkzeug päpstlicher und priesterlicher Herrschaft gemacht, ferner angebliche Sacramente, die der Herr nicht gestiftet habe, ihnen beigesellt. Darum klagt er über die Tyrannei, unter der sie und mit ihnen die Kirche jetzt stehen, über die Gefangenschaft, in der sie liegen. Dabei stand hier die Hierarchie im Bunde mit der ganzen scholastischen Wissenschaft ihm gegenüber. Er wußte, daß, was er jetzt vortrage, diesen Gegnern erst recht unerhört klingen werde; er selbst wollte, wie er sagt, seine schwächlichen Lästerer erstarren machen. Er trat ihnen aber hier auch in der Rüstung gründlicher Gelehrsamkeit mit klaren und scharfen wissenschaftlichen Ausführungen (in lateinischer Sprache) entgegen. Dabei zeigt seine Rede, wo sie den wirklichen Inhalt jener Stiftungen darlegt, eine auch Laien verständliche Klarheit und religiöse Wärme.

Am tiefsten liegt nach Luther in jener Gefangenschaft das Sacrament des Altares, sofern man das Abendmahl den Laien nur noch verstümmelt ohne den Kelch gewährt, sofern man, statt beim einfachen Wort der Schrift zu bleiben, jene Lehre von der Verwandlung des Brodes ausgeklügelt, zumeist endlich, sofern man die Stiftung Christi, in der er uns speisen will, in das Opfer verkehrt hat, das 216 hier der Priester Gott darzubringen habe. Die Entziehung des Kelchs erklärt Luther jetzt für eine gottlose und tyrannische Maßregel, zu der kein Papst und kein Conzil je befugt gewesen sei. Gegen das Meßopfer hat er unmittelbar zuvor auch einen deutschen Sermon veröffentlicht. Er weiß wohl, daß er hiemit eine Umwälzung des ganzen herkömmlichen Gottesdienstes von seinem Mittelpunkt aus anstrebe und eine Ordnung angreife, an der noch eine Menge anderer, für die Hierarchie werthvoller Mißbräuche hänge. Aber er wagt es, weil Gottes Wort ihn dazu verpflichte. So stellt er denn dieser Messe die wahrhaft christliche gegenüber, die ihm ganz auf jenen Einsetzungsworten Christi »Nehmet hin und esset« u. s. w. ruht. Christus wolle hier sagen: »siehe, du armer Sünder, aus lauterer Liebe verspreche ich dir, ehe du etwas verdienen oder geloben kannst, Vergebung aller deiner Sünden und das ewige Leben, und damit du deß gewiß seiest, gebe ich meinen Leib hin und vergieße mein Blut, mache dir durch diesen meinen Tod die Verheißung fest und lasse dir deß zum Zeichen meinen Leib und mein Blut.« Zur würdigen Feier dieser Messe sei nur der Glaube erforderlich, der auf diese Verheißung fest vertraue; auf ihn werde die süßeste Bewegung des Herzens folgen, es werde sich aufthun in Liebe und zu diesem gütigen Christus ganz hingerissen und in ihm ein neuer Mensch werden.

Die Taufe läßt man, wie Luther sagt, wenigstens nicht mehr zu ihrer wahren Bedeutung und Geltung kommen, die sie für das ganze Leben haben soll. Während der Täufling eine Gnadenzusage von Gott erhält, zu der er auch von den Sünden seines ferneren Lebens immer wieder umkehren darf und soll, wird jetzt gelehrt, daß der Christ bei Sünden nach der Taufe dem Schiffbrüchigen gleiche, der statt des Schiffes nur noch ein Brett erlangen könne: so nämlich müsse er jetzt nach dem kirchlichen Bußsacrament mit den dazu gehörigen Uebungen und Leistungen greifen. Während er ferner sich hier für sein ganzes Leben und 217 Verhalten Gott angelobt, fordert man ihn hernach zu besonderen selbst ersonnenen Gelübden auf. Während er der christlichen Freiheit theilhaftig geworden ist, beladet man ihn mit den kirchlichen Menschensatzungen.

Was jenes Bußsacrament mit Beichte, Absolution u. s. w. anbelangt, so hält Luther das Wort der Vergebung, das auch dem Einzelnen zugesprochen werden soll, hoch und werth und schätzt auch das freie Bekenntniß, das der trostsuchende Christ dem christlichen Bruder ablege. Aber man hat aus der Beichte eine Zwangsanstalt und Marter gemacht; man weist die Angefochtenen, statt zum Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, zu Strafbüßungen und Leistungen an, mit denen sie selbst Gott genug thun sollen; und daraus zieht die Herrschsucht und unersättliche Habsucht des römischen Stuhles ihren Gewinn.

In allen diesen Beziehungen will Luther die Sacramente für die Christen wieder frei machen. Und nicht minder dringt er zugleich darauf, daß das Aeußere der Handlung, die That des ausspendenden Priesters und die äußere Theilnahme des Empfängers, diesen der verheißenen Gnade und Seligkeit noch nicht theilhaftig mache: auf jenen herzlichen Glauben an die göttliche Verheißung komme es an; ja wer glaube, genieße, auch wenn ihm das Aeußere des Sacramentes versagt sei.

Die mittelalterliche Kirche hat noch vier weitere Sacramente aufgestellt: Firmelung, Ehe, Priesterweihe, letzte Oelung. Luther aber erkennt keines mehr von ihnen als Sacrament an. Denn die Ehe sei nicht, wie zum Begriff des Sacramentes gehöre, eine neutestamentliche Stiftung, noch mit einer besonderen Gnadenverheißung verknüpft, sondern eine heilige sittliche Ordnung des allgemein menschlichen Lebens, die schon seit den Anfängen der Menschheit und bei Nichtchristen so gut wie bei Christen bestehe. Zugleich nimmt er Anlaß gegen Menschensatzungen, mit welchen die römische Kirche auch in diese Ordnung eingegriffen habe, insbesondere gegen ihre willkürlichen Ehehindernisse, zu protestiren: auch aus ihnen mache man mittelst der für sie ertheilten Dispense eine Geldquelle. Für die drei andern Sacramente fehle eine besondere Verheißung. Bei der Salbung Kranker mit Oel, von welcher der Brief des Jakobus (5, 14 ff.) rede, handle sich's nicht etwa um eine letzte Oelung Sterbender, sondern um eine Ausübung der wunderbaren apostolischen Gabe, Kranke in Kraft des Glaubens und Gebetes wieder gesund zu machen. Hinsichtlich der Priesterweihe wiederholt Luther die Sätze seiner Schrift an den Adel: die Ordination dürfe nur das bedeuten, daß in der Gemeinde, die aus lauter Priestern bestehe, Einem der besondere Beruf des Dienstes am göttlichen Wort übertragen werde; lege man ihm bei der Weihe hiezu die Hand auf, so sei dies ein menschlicher, nicht vom Herrn selbst eingesetzter Brauch. Aber freilich, sagt Luther, die abscheuliche Tyrannei des Klerus will mit ihrer priesterlichen leiblichen Salbung, Tonsur und Tracht sich hoch über die mit dem Geist gesalbten andern Christen stellen; diese sollen fast wie Hunde unwürdig sein, in der Kirche mitgezählt zu werden. Und dringend warnt er, daß keiner nach jener Weihe strebe, der nicht wirklich zu jenem Dienste des Evangeliums entschlossen sei und darauf verzichte, durch die Weihe besser als Laienchristen werden zu wollen.

Zum Schluß erklärt Luther: er höre, daß päpstliche Bannflüche gegen ihn bereit stehen, um ihn zum Widerruf zu zwingen. Dann solle dies Büchlein einen Theil seines Widerrufs bilden; demnächst wolle er das Uebrige erscheinen lassen, dergleichen der römische Stuhl noch nie gesehen oder gehört habe.

Zu Anfang Octobers 1520, wohl am 6. des Monats, wurde das Buch ausgegeben. Etwa zehn Tage vorher hatte Luther schon die bestimmte Nachricht, daß Eck jetzt wirklich mit der Bulle da sei. Derselbe hatte sie 219 schon am 21. September in Meißen öffentlich anschlagen lassen. In den ersten Octobertagen schickte er sie auch an die Universität Wittenberg.


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