Julius Köstlin
Luthers Leben
Julius Köstlin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Der Reformator den Schwärmern und Bauern gegenüber, bis 1525.

Bei den alten und neuen Kämpfen, mit welchen Luther zu thun hatte, ging es ihm auch fernerhin, wie er bei seiner Rückkehr nach Wittenberg an Hartmut von Kronberg geschrieben hatte: »Alle meine Feinde, wie nahe sie mir kommen sind, haben mich doch nicht troffen, wie ich jetzt troffen bin von den Unsern.«

Carlstadt hielt sich zwar Anfangs noch still und fuhr bis Ostern 1523 ruhig mit seinen akademischen Vorlesungen fort. Aber in seinem Innern hing er einer Mystik nach, welche der jener Zwickauer Schwärmer glich und wie diese aus mittelalterlichen Schriften geschöpft war, trug sich ferner mit neuen praktischen reformatorischen Gedanken, die damit zusammenhingen.

Jetzt fing er an, jene Ideen von einer wahren Einigung der Seele mit Gott in Schriften zu entfalten. Auch er führte aus, wie die Seelen aller Kreaturen ledig werden und in vollkommener Gelassenheit, »Müßigstehen, Langweiligkeit« u. s. w. zur Vergottung sich bereiten müsse. Den gelehrten Beruf und die akademische und geistliche Würde legte er als einen Dienst der Eitelkeit von sich ab. Er kaufte sich ein kleines Landgut bei Wittenberg; dahin ging er, um selbst wie ein Laie und Bauer zu leben. Er zog einen Bauernrock an und verkehrte mit den andern Bauern als »Nachbar Andres«. Luther sah ihn dort, wie er mit bloßen Füßen im Mist stand und den Mist auf einen Wagen lud.

331 Für ein neues kirchliches Wirken fand er eine Stätte in Orlamünde an der Saale, oberhalb Jena's. Die dortige Pfarrei war wie andere Pfarreien mit dem Stift in Wittenberg so verbunden, daß ihre Einkünfte diesem zuflossen, und zwar speziell mit dem Archidiakonat der Stiftskirche, welches mit Carlstadts Professur vereinigt war. Die Pfarrstelle dort war mit ihren meisten Einkünften an diesen übergegangen, das Pfarramt jedoch sollte nur durch fest angestellte, vom Kurfürsten ernannte Geistliche, welche Vicare hießen, verwaltet werden. Jetzt benützte Carlstadt eine Erledigung des Amtes, ging eigenmächtig und ohne auf die Wittenberger Anstellung und ihren Gehalt verzichten zu wollen, als Pfarrer nach Orlamünde, zog durch Predigten und persönliches Einwirken die Gemeinde an sich und riß sie ähnlich mit sich fort, wie es ihm einst in Wittenberg gelungen war. Wieder wurden die Bilder abgethan und zerschlagen, Cruzifixe und andere Darstellungen Christi nicht minder als die Bilder der Heiligen. Offen sprach Carlstadt jetzt auch aus, daß man da keine Obrigkeit ansehen, auch nicht erst nach andern Gemeinden sich umsehen, sondern frei von sich aus Gottes Gebote erfüllen und, was wider Gott sei, umhauen und niederwerfen müsse. Auch in seiner Auffassung und Anwendung der göttlichen Gebote schritt er fort. Mußte nicht der Buchstabe des Alten Testaments für andere Dinge eben so gut Gesetz sein, als für die Bilder? Demgemäß forderte er jetzt für den Sonntag eine Feier durch Ruhe wie im Alten Testament: ihm stimmte das auch zu jener Bedeutung des »Müßigstehens« für's Einswerden mit Gott. Dann verfiel er gar schon auf eine Erneuerung der unter dem alttestamentlichen Gottesvolk zugelassenen Polygamie: er rieth wirklich einem Orlamünder dazu, ein zweites Weib neben dem ersten zu nehmen. Zugleich begann Carlstadt die wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl, woran Luther bei seinem Kampf gegen die katholische Wandelungslehre stets festhielt, zu bestreiten. 332 Die Deutung der Einsetzungsworte Jesu, von der er hiebei ausging, war, wie man auch von der Sache selbst urtheilen mag, eine wunderlich verkehrte: nach ihm nämlich sollte Jesus dort mit den Worten »dies ist mein Leib«, mit denen er das Brod austheilte, gar nicht das Brod gemeint, sondern nur auf seinen vor ihnen stehenden Leib hingewiesen haben.

Die Einwohner des benachbarten Städtchens Kahla wurden vom gleichen Geist ergriffen. Jene mystischen Ideen und Redensarten gestalteten sich vollends abenteuerlich im Kopf und Mund des gemeinen Mannes; Uebergeistiges und gemein Sinnliches verband sich in wüster Weise. Carlstadt pflegte auch eine geheime Correspondenz mit Münzer.

Weiter noch verbreiteten sich die Fragen über die Geltung des Alten Testamentes. Es schien sich um dieselbe Autorität der heiligen Schrift zu handeln, für welche man gegen die Papisten kämpfte: sollte nicht ebenso die Geltung der auf's bürgerliche Leben bezüglichen alttestamentlichen Gottesworte auch den bisher überlieferten bürgerlichen Ordnungen gegenüber durchgesetzt werden? Von hier aus wurde jetzt z. B. alles Zinszahlen wie Zinsnehmen für verboten erklärt, wie es dort innerhalb des Gottesvolkes verboten gewesen sei. Es wurde von einer Wiederherstellung des mosaischen Jubeljahres geredet, wo je nach fünfzig Jahren die veräußerten Grundstücke an die ursprünglichen Eigenthümer zurückfallen sollten. Mit Spannung nahm das Volk dergleichen neue, viel verheißende Ideen sozialer Reform auf. Namentlich der evangelisch eifrige Prediger Strauß zu Eisenach war in dieser Richtung mit Wort und Schrift thätig. Auch ein Hofprediger Herzog Johanns, Wolfgang Stein in Weimar, ging darauf ein.

Inzwischen kam Münzer wieder nach Mitteldeutschland. Er wußte sich um Ostern 1523 eine Pfarrstelle in Allstedt, einem Städtchen in einem Seitenthal der Unstrut (heutzutage Weimarische Enclave) zu verschaffen. Mit voller Macht 333 gährte in ihm, wie in keinem Anderen, jener Geist der Zwickauer Propheten und bereitete sich zu gewaltigem Ausbruch vor. Einsam in der Stube eines Kirchthurms hielt er geheime Zwiegespräche mit seinem Gott und pochte auf die Antworten und Offenbarungen, die der ihm geben müsse. Er hielt auch Andere sich zur Seite, welche Träume und Gesichte hatten, die er dann deutete. Er trug Miene und Haltung eines Mannes zur Schau, dessen Seele wirklich ganz gelassen, vom Endlichen leer, für Gottes Geist und inneres Wort offen und entblößt sei. Luthern warf er noch heftiger als die Verfechter der katholischen Ascese vor, daß er ein behagliches fleischliches Leben führe. Sein ganzes Streben aber richtete sich darauf, ein Reich der Heiligen endlich auch äußerlich mit äußerer Gewalt und in äußerer Herrlichkeit herzustellen. Seine Predigt lief immer darauf hinaus, daß man die Gottlosen und vornehmlich die Tyrannen verstören und tödten müsse. Er wollte aus dem Alten Testament namentlich jene Worte der mosaischen Offenbarung angewandt haben, daß das Volk Gottes die heidnischen Völker des gelobten Landes alle ausrotten, ihre Altäre zerreißen, ihre Götzen mit Feuer verbrennen müsse. Zur Ordnung des Gottesreiches sollte namentlich die Gemeinschaft der Güter gehören, die dann einem Jeden nach seiner Nothdurft ausgetheilt werden sollten: welcher Fürst oder Herr das nicht thun wolle, dem solle man den Kopf abschlagen oder ihn hängen. Einstweilen suchte Münzer nach allen Seiten hin durch geheime Sendboten die Heiligen zu einem geheimen Bund zu gewinnen. Sein Hauptgenosse war der frühere Mönch Pfeifer in dem nicht weit von Allstedt entfernten Mühlhausen. Die Orlamünder indessen, die er auch für sein gewaltthätiges Vorhaben zu gewinnen suchte, wollten hier doch keine Gemeinschaft mit ihm haben.

Kurfürst Friedrich entschloß sich auch jetzt schwer, in die kirchlichen Angelegenheiten und Gegensätze mit seiner landesherrlichen Gewalt einzugreifen, und Luther selbst 334 wollte dies nicht, so lang der Kampf ein Kampf der Geister um die Wahrheit war. Herzog Johann wurde im eignen Innern durch jene Ideen seines Hofpredigers stark bewegt. Zwischen Luther und seinem unklaren aber doch immerhin theologisch bedeutenden Collegen Carlstadt hofften die Fürsten noch Frieden herstellen zu können.

Carlstadt ließ sich wirklich an Ostern 1524 herbei, wieder in Wittenberg ruhig seinen Pflichten bei der Universität nachzukommen, kehrte aber bald zu seinen Orlamündern zurück, um sich dort als kirchliches Haupt und Reformator zu behaupten.

In der Frage über die mosaischen und bürgerlichen Rechte wurde Luther jetzt durch Johanns Sohn Johann Friedrich um ein Gutachten angegangen. Es läßt sich leicht begreifen, wenn sie auch aufrichtigen und ruhig denkenden Anhängern der evangelischen Predigt zu schweren Ueberlegungen und innerem Schwanken Anlaß gab. Neu und, wie es schien, in nothwendigem Zusammenhang mit dieser erhob sie sich; je nachdem man sie beantwortete, folgte daraus eine Umwälzung aller staatlichen und sozialen Ordnungen, die kraft göttlichen Gebotes erstrebt werden müsse.

Sehr klar aber dachte und äußerte sich Luther darüber. Eben mit dem Grundgedanken der evangelischen Lehre war für ihn auch schon die Antwort gegeben. Sie lag in derjenigen Unterscheidung zwischen dem bürgerlichen, weltlichen und dem inneren, sittlich-religiösen Gebiete, oder zwischen dem geistlichen und weltlichen Regimente, die er mit aller Klarheit namentlich schon in seiner Schrift von der weltlichen Obrigkeit 1523 (oben S. 307)zu Grund gelegt hat. Auf's Leben der Seele in Gott, auf ihre Versöhnung und Erlösung, auf ihr Verhalten zu Gott und dem Nächsten in Glauben und Liebe bezieht sich die neutestamentliche Heilsoffenbarung oder die biblische Offenbarung überhaupt in ihrer Vollendung. Die rechtlichen Formen des äußeren Zusammenlebens zu gestalten, hat Gott, ohne daß es hiezu besonderer Offenbarungen 335 bedurfte, dem praktischen Verstand und Bedürfniß der Menschen und der unter seiner Vorsehung stehenden geschichtlichen Entwicklung der Völker und Staaten überlassen. Die weltliche Obrigkeit hat die einmal bestehenden Rechte zu handhaben und nach ihrem Ermessen auf dem rechtlich geordneten Weg weiter zu bilden. Daß Gott für das Volk Israel auch äußerliche bürgerliche Ordnungen durch Moses Mund aufrichtete, hing dort mit seinen besonderen erziehenden Absichten zusammen. Die Christen sind daran nicht mehr gebunden, eben so wenig, als jenes innere Leben und Rechtverhalten derselben durch äußere Ordnungen und Formen überhaupt bedingt ist. Zum ewig gültigen Inhalt des mosaischen Gesetzes gehören nur die sittlichen Gebote, zu deren Erfüllung jetzt der Geist Gottes seine Erlösten treibt und welche, wie Paulus sagt, schon ursprünglich dem Menschen in's Herz geschrieben sind. Wohl mag jenes Gesetz Moses für's bürgerliche Leben manches enthalten, was auch anderen Völkern für ihr eigenes bürgerliches Leben frommen würde. Aber Sache der Obrigkeit wäre es dann, solches zu prüfen und von dort zu entlehnen, ebenso wie man von den Römern weltliche Rechte aufgenommen hat.

Dies die Anschauung, die Luther weiterhin in Schriften und Predigten klar und consequent darlegte. Er hat mit ihr das Staatswesen ebenso gegen ein unbefugtes Einmengen religiöser Gesichtspunkte und biblischer Autoritäten, wie zuvor gegen die Eingriffe einer kirchlichen Hierarchie verwahrt und zugleich das christlich-religiöse Leben gegen die gefährlichen Trübungen, die ihm selbst von dort her drohten. So gab er auch jetzt dem Prinzen sogleich (am 18. Juni 1524) Bescheid: die weltlichen Rechte seien ein äußerliches Ding, wie Essen und Trinken, Kleider und Haus; jetzt habe man die kaiserlichen Rechte zu halten, und Glaube und Liebe könne ja unter diesen recht wohl bestehen; wenn die »Mosestreiber«, d. h. jene Eiferer für's mosaische Gesetz, einmal Kaiser werden und die Welt zu eigen kriegen, 336 so mögen sie ja Moses Recht erwählen; immer aber müssen die Christen die Rechte halten, die ihre Obrigkeit halte.

Bei Münzer sah Luther einem nahen Ausbruch des bösen Geistes entgegen. Er erwähnte auch seiner in jenem Schreiben vom 18. Juni, nannte ihn den »Satan zu Allstedt« und meinte, er sei nur noch nicht flügge. Bald hörte er mehr von ihm, nämlich, daß »derselbe Geist gedenke sich mit der Faust drein zu geben«. Hierüber schrieb er im folgenden Monat an Kurfürst Friedrich und Herzog Johann, veröffentlichte auch sein Schreiben. Dem Worte Münzers, der gegen ihn predigte und schmähte, wollte er auch jetzt nicht gewehrt haben. Er hat hier vielmehr den Ausspruch gethan: »Man lasse sie nur frisch predigen, was sie könnten; – man lasse die Geister auf einander platzen und treffen; werden Etliche indes verführet, wohlan, so geht's nach rechtem Kriegslauf; wo ein Streit und Schlacht ist, da müssen Etliche fallen und wund werden.« Er wiederholt auch hier, daß der Antichrist ohne Hand zerstört werden solle und Christus mit dem Geist seines Mundes streite. Aber wenn jene selbst mit der Faust schlagen würden, dann will Luther, daß der Fürst spreche: »die Faust haltet stille, denn das ist unser Amt, oder hebt euch zum Lande hinaus.«

Im August kam Luther, einem Wunsche der Fürsten entsprechend, selbst nach Weimar. Mit dem Hofprediger verständigte er sich freundschaftlich. Münzer hatte eben jetzt Allstedt verlassen, nachdem über sein gefährliches Treiben ein Bericht des dortigen Beamten in Weimar eingelaufen und er zu einem Verhör hierher vorgeladen worden war. Am 14. des Monats schrieb Luther aus dieser Stadt an den Magistrat von Mühlhausen, wohin, wie er hörte, sich Jener jetzt begab und wo er schon Anhang besaß. Er warnte die Mühlhäuser: sie möchten wenigstens noch warten, ehe sie ihn aufnähmen, bis sie »baß erfahren, was es für Kinder seien«; es werde nicht lang im Finstern bleiben; das sei, wie Münzer schon in Zwickau und Allstedt gezeigt 337 habe, ein Baum, der keine andere Frucht als Mord und Aufruhr trage.

Aus Weimar reiste Luther nach dem Gebiet von Orlamünde weiter. Am 21. kam er nach Jena, wo ein Prediger Reinhard mit Carlstadt zusammenhielt. Dagegen predigte Luther hier wider den »Allstedter Geist«, der die Bilder zerstöre, das Sacrament verachte und weiter zu Aufruhr führe. Carlstadt, der selbst anwesend war und die Predigt mit angehört hatte, erschien nachher bei ihm in der Herberge, um gegen solche Vorwürfe sich zu verwahren. Luther beharrte darauf, daß Carlstadt dennoch »bei den neuen Propheten stehe«. Endlich forderte er denselben auf, statt heimlichen Umtrieben öffentlich gegen ihn zu schreiben, und das hitzige Gespräch schloß damit, daß Carlstadt dies zusagte und Luther ihm einen Gulden gab zum Pfand für ihr Uebereinkommen.

Von da fuhr Luther über Kahla, wo er gleichfalls predigte, nach Orlamünde. Die Leute hatten hier eine persönliche Besprechung mit ihm gewünscht, hiebei aber in einem Schreiben so mit ihm geredet: »Du verachtest alle die, so aus göttlichem Befehl stumme Götzen umbringen, wider welche du eine kraftlose Bewährung aus deinem eigenen Gehirn und nicht gegründeter Schrift aufmutzest; daß du uns aber als Glieder Christi – – so öffentlich lästerst, das zeigt an, daß du dieses wahrhaftigen Christi selbst kein Glied bist u. s. w.« So hatte jetzt auch seine Ansprache an sie keinen Erfolg und er verzichtete auf einen weiteren Versuch; denn sie brannten, wie er sagt, gleich einem Feuer, als wollten sie ihn fressen. Bei seiner Abfahrt riefen sie ihm wilde Flüche nach.

Carlstadt wurde ein paar Wochen nachher seiner Professur entsetzt und mußte das Land verlassen. Für die Orlamünder legte Luther selbst Fürsprache ein als für »gute Leutlein«, die ein Stärkerer verführt habe. Eine Entgegnung aber gegen Carlstadts ganze Lehre und sein Treiben 338 gab er öffentlich in einer Schrift, welche in zwei Abtheilungen am Schlusse des Jahres 1524 und zu Beginn des nächsten Jahres herauskam. Sie trug den Titel: »Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sacrament &c.«, mit dem Motto: »Ihre Thorheit wird Jedermann offenbar werden, 2. Timoth. 3«. Denn in Carlstadt wollte er eben denselben Geist aufdecken und bekämpfen, der in den Zwickauer Propheten und einem Münzer lebe und noch schlimmere Früchte hervorbringen werde. Wenn Carlstadt nach Moses Gebot die Bilder stürmen lehre und dazu statt der ordentlichen Obrigkeit den unordentlichen Pöbel aufrufe, so werde der Pöbel Gewalt und Recht haben, alle Gebote Gottes also zu vollziehen. Und daraus folge weiter die Consequenz, die Münzer bald auch öffentlich zog: »Es wird,« sagt Luther, »weiter einreißen, daß sie müssen alle Gottlosen todt schlagen; denn also gebot Moses 5. Mos. 7, da er die Bilder heißet zerbrechen, daß sie auch sollten die Leute erwürgen ohne alle Barmherzigkeit, die solche Bilder hatten im Lande Kanaan.«

Ueber Erwarten schnell brach auch schon der große Sturm los, den der »Allstedter Geist« ankündigte und vorbereitete.

Münzer war wirklich in Mühlhausen erschienen. Der Rath der Stadt konnte es damals noch durchsetzen, daß er und sein Freund Pfeifer wieder ausgewiesen wurden. Er zog dann mehrere Wochen lang im Südwesten Deutschlands herum, an einem Aufruhr schürend. Schon am 13. September aber kam er mit Pfeifer nach Mühlhausen zurück, predigte in seiner Weise, trug den Leuten auch auf der Straße seine Lehren und Offenbarungen vor und zog die Menge an sich, während angesehene Bürger und Mitglieder des Magistrats des drohenden Unheils wegen die Stadt verließen. Gegen Ende Februar wurde ihm eine ordentliche Pfarrstelle übertragen, bald darauf der ganze alte Magistrat verdrängt und ein ihm günstiger dafür 339 eingesetzt. Das Volk stürmte gegen die Bilder und gegen die Klöster los. Aus der Umgegend strömten Bauern herein, nach der allgemeinen Gleichheit, die ihnen hier gepredigt wurde, begierig. Luther meldete einem Freund: Münzer ist in Mühlhausen König und Kaiser.

In Süddeutschland waren inzwischen seit dem Sommer dieses Jahres schon an verschiedenen Orten Bauernaufstände ausgebrochen. Es war das an sich nichts Neues. Schon seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts hatte sich da und dort wiederholt der arme Mann erhoben und den »Bundschuh« aufgesteckt, wie das von der bäuerlichen Fußbekleidung hergenommene Zeichen der Aufständischen hieß. Sie beschwerten sich über die unerträglichen, stets wachsenden Lasten, die ihnen von geistlichen und weltlichen Herren auferlegt, über die Steuern aller Art, die ihnen abgepreßt und neu für sie ersonnen, über die Frohndienste, zu denen sie genöthigt würden. In der That hatten die Herren ihre alten Gerechtsame über sie gegen das Ende des Mittelalters großentheils noch weiter auszudehnen gewußt, wozu ihnen besonders auch ein kluger Gebrauch des römischen Rechtes und die Unbekanntschaft der Unterthanen mit diesem die Hilfsmittel darbot. Andererseits vernehmen wir in derselben Zeit Klagen über den Uebermuth, den wohlhabende Bauern jetzt zeigen, über die Ueppigkeit, in der es die Bauern den Herren gleich thun möchten, über Anmaßung und Trotz im bäuerlichen Stand überhaupt. Der Druck, unter welchem ein einzelner Stand der bügerlichen Gesellschaft seufzt, pflegt ja auch sonst erst dann recht gewaltige Erhebungen und Ausbrüche hervor zu bringen, wenn in demselben zugleich ein erhöhtes Selbstgefühl erwacht ist und die Kräfte zugenommen haben. Die Bauern fanden ferner in den Städten Genossen ihrer Unzufriedenheit unter dem niederen Bürgerstand, der gegen die vornehmen Geschlechter emporstrebte und in welchem jetzt überall bittere Klagen geführt wurden über die schwierige, gedrückte Lage der kleinen Leute 340 den großen Kaufmannschaften und Handelsunternehmungen und, wie wir heute sagen würden, der Macht des großen Kapitals gegenüber. Als dann die Bauern gegen die Herren sich erhoben, zeigten sich auch im Herren- oder Adelsstand da und dort Elemente, die bei der schlechten Lage ihrer eigenen Verhältnisse einer allgemeinen Umwälzung, auch wenn sie von Bauern ausging, nicht eben abgeneigt waren. Und im deutschen Reich überhaupt war ja damals ein Drängen nach einer Neugestaltung der Verhältnisse der verschiedenen Stände im Großen zu einander und zur Reichsgewalt. Allgemeine Gedanken von einer neuen gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung sind damals so, wie nie zuvor, bis zur großen Menge des Volkes hinab gedrungen.

Solche Vorbedingungen und Antriebe zu einer mächtigen Volksbewegung waren schon, abgesehen von den Einflüssen des kirchlich reformatorischen Wortes, überall vorhanden. Und dieses Wort wollte nun zwar Luther, wie wir längst wissen, nur eben auf jenes Gebiet bezogen haben, welches er als das geistliche vom weltlichen oder politischen und bürgerlichen streng sonderte. Aber es war nicht anders möglich, als daß der Vorwurf der Lüge, Tyrannei und Feindschaft gegen die evangelische Wahrheit, der jetzt gegen den herrschenden Klerus und die das Evangelium verfolgenden weltlichen Herren sich erhob, die Erbitterung über den äußern Druck vollends auf's höchste steigerte. So entschieden Luther jede unordentliche, gewaltsame Erhebung zu Gunsten des Evangeliums verdammte, so ernstlich warnte er ja längst die Verfolger desselben vor dem unausbleiblichen Gewitter, das sie selbst über sich hereinziehen werden. Andere evangelisch gesinnte Prediger warfen dann doch im Zusammenhang mit dieser Predigt auch allerhand Gedanken sozialer Reform unter die Menge: so früher der oben (S. 273 f.) erwähnte Eberlin, vor kurzem der vorhin genannte Strauß. Endlich trieben sich unter dem Volk mit 341 offener und geheimer Thätigkeit Männer umher, deren Grundsätze zu denen Luthers in directem Gegensatz standen, die aber doch als Eiferer für das von ihm wieder an's Licht gebrachte Evangelium auftraten, oder selbst erst dieses und die evangelische Freiheit wahrhaft an's Licht zu bringen vorgaben. Auf Gottes Wort wollten sie die äußeren Ansprüche und Beschwerden der bedrückten Classen begründen; kraft göttlichen Rechtes hießen sie dafür zu den Waffen greifen. Hiedurch erst erhielt der Aufstand die ihm eigenthümliche Gluth und Energie, während dann die hiedurch angefachte Begeisterung mit den Regungen arger Rohheit und Sinnlichkeit sich verband. Nie hat eine so große, heftige und in ihren Folgen unabsehbare Umwälzung Deutschland bedroht als damals. An keines Mannes Wort war ihr gegenüber mehr als an dem des Volksmannes Luther gelegen.

Die Bewegung ging im Spätsommer 1524 vom südlichen Schwarzwald und Hegau aus. Seit dem Beginn des folgenden Jahres nahm sie immer größeren Umfang an, und die verschiedenen Haufen, die da und dort losschlugen, vereinigten sich zu gemeinsamen Plänen. Wie eine Fluth drang die Bewegung nach Osten bis in die österreichischen Lande, nach Westen in den Elsaß, nach Norden in's Fränkische und weiter endlich bis Thüringen vorwärts. In Rothenberg an der Tauber arbeitete ihr Carlstadt dadurch vor, daß er auch hier das Volk zum Bilderstürmen aufrief. Diejenigen Forderungen, in welchen die Bauern im Allgemeinen einig waren, wurden jetzt in zwölf Artikeln zusammengefaßt. Dieselben zeigten noch eine sehr gemäßigte Haltung. Vor Allem begehrten sie das Recht für jede Gemeinde, sich selbst einen Pfarrer zu erwählen. Der Zehnte sollte nur theilweis abgeschafft werden. Für »Eigenleute« wollten die Bauern nicht mehr gehalten werden, weil Christus Alle mit seinem Blut erkauft habe. Sie forderten auch für Jeden das Recht, Wild, Vögel und Fische zu fangen, weil Gott den Menschen insgemein die Gewalt 342 über die Thiere gegeben habe. Dem Worte Gottes entnahmen sie so ihre Begründung; auf seine Verheißungen hin wollten sie den Kampf wagen: Gott, der die Kinder Israel aus Pharaos Hand erledigt habe, werde auch jetzt die Seinen erretten in einer Kürze. Von den wilden Phantasien münzerischer Prophetie und ihren Reichsideen und Mordplänen war in den Artikeln und anderen Kundgebungen dieser Bauernschaft nichts enthalten. In ihrem Vorgehen brannten sie von Anfang an Klöster und Städte nieder. Doch fand an einzelnen Orten auch ein friedlicheres Abkommen mit den Herrschaften statt, freilich ohne daß dann die beiden Theile rechtes Vertrauen darauf hatten.

Als nun die Artikel nach Wittenberg kamen und Luther hörte, wie die Aufständischen auf ihn sich beriefen, schickte er sich in der ersten Hälfte des April zu einer öffentlichen Erklärung an, welche ihr Vornehmen verwerfen und zugleich die Fürsten zur Billigkeit ermahnen sollte. Graf Albrecht von Mansfeld rief ihn damals, wie wir schon oben (S. 323) hörten, wegen der Einrichtung einer neuen Schule nach Eisleben. Er fuhr am Ostertag, den 16. April, nachdem er Morgens noch gepredigt hatte, dahin ab. Dort schrieb er jetzt rasch seine »Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben«.

Mit den schärfsten Worten wendet er sich hier gegen die Fürsten und Herren, Bischöfe und Pfaffen, die nicht aufhören, wider das Evangelium zu wüthen und im weltlichen Regiment »schinden und schatzen, ihren Pracht und Hochmuth zu führen, bis der gemeine Mann nicht kann länger tragen.« Wenn Gott jetzt zur Strafe den Teufel Aufruhr gegen sie erregen lasse, könne er und sein Evangelium Nichts dafür; ihnen aber rathe er, ein wenig dem Zorn Gottes zu weichen und es gütlich zu versuchen. Den Bauern verhehlt er von vorn herein sein Mißtrauen nicht, daß Viele von ihnen wohl nur zum Schein auf die Schrift sich berufen und weiteren Unterricht auf sie anzunehmen sich erbieten, 343 will jedoch dann freundlich zu ihnen als Freunden und Brüdern reden, erkennt auch an, daß gottlose Herren die Leute oft unerträglich beschweren. Aber so viel auch in ihren Artikeln natürlich recht und billig sein möchte, – das Evangelium habe, wie er sagt, doch nichts damit zu thun und das christliche Recht haben sie in ihrem Gebahren vergessen. Denn nach Gottes Recht dürfe man der Obrigkeit nichts mit Gewalt abdringen: Bosheit der Obrigkeit entschuldige keinen Aufruhr. Und was den Inhalt ihrer Forderungen betrifft, so sei wohl ihr erster Artikel darin recht und christlich, daß sie, wenn die Obrigkeit ihnen den Pfarrer verweigere, sich einen eigenen wählen; aber sie müssen ihn dann von ihren eigenen Gütern ernähren, dürfen ihn auch gegen die Obrigkeit nicht mit Gewalt schützen. Der Inhalt der anderen Artikel habe überhaupt mit dem des Evangeliums nichts zu schaffen. So erklärt er sie denn, wenn sie auf ihrem Aufruhr bestehen, für ärgere Feinde des Evangeliums als Papst und Kaiser, weil sie unter des Evangeliums Namen wider das Evangelium thun. Er muß so zu ihnen reden, ob auch Etliche unter ihnen, durch die Mordgeister vergiftet, ihn hassen und einen Heuchler heißen, und der Teufel, der ihn durch den Papst nicht umbringen konnte, ihn jetzt durch die Mordpropheten vertilgen und auffressen möchte. Es ist ihm genug, wenigstens etliche Gutherzige unter ihnen vor der Gefahr göttlichen Zornes zu erretten. Schließlich giebt er beiden Theilen, den Herren und Bauern, seinen »treuen Rath, daß man aus dem Adel etliche Grafen und Herren, aus den Städten etliche Rathsherren erwählete und die Sachen ließe freundlicher Weise handeln und stillen, – daß also die Sache, ob sie nicht mag in christlicher Weise gehandelt werden, doch nach menschlichen Rechten und Verträgen gestillet werde«.

Luther sprach so mit seiner ganzen Offenheit, Wärme, Kraft und Derbheit, gleich unbekümmert um Volksgunst wie um Herrengunst. Aber freilich, welche Frucht durfte sein 344 Wort, das offenbar selbst aus heftiger innerer Erregung hervorgegangen war, bei den erregten Leidenschaften erhoffen? War nicht vielmehr namentlich das zu fürchten, daß die Bauern jenen ersten, gegen die Herren gerichteten Theil seiner Flugschrift begierig aufgreifen und um so mehr gegen den zweiten ihr Ohr verschließen werden? Die Schrift kann übrigens kaum abgefaßt und noch nicht veröffentlicht gewesen sein, als neue Nachrichten und Wahrnehmungen auf Luther eindrangen, nach welchen ihm nicht mehr ihr Inhalt und ihre Sprache am Platze zu sein, sondern nur noch der lauteste Ruf zum Kampf gegen die gottlosen Empörer geboten schien. Er sagt darüber: »Im vorigen Büchlein durfte ich die Bauern nicht urtheilen, weil sie sich zu besserem Unterricht erboten; aber ehe denn ich mich umsehe, fahren sie fort und greifen mit der Faust drein, rauben und toben und thun wie die rasenden Hunde; – in Sonderheit ist's der Erzteufel, der zu Mühlhausen regieret.«

In Süddeutschland war schon an jenem Ostertag, an welchem Luther nach Eisleben abreiste, die Greuelscene von Weinsberg vor sich gegangen, wo die Bauern den Grafen von Helfenstein vor Frau und Kind bei lustigem Pfeifenklang in ihre Spieße trieben: daß Luther in den Tagen, da er zu Eisleben seine Flugschrift abfaßte, von diesem und ähnlichen Vorgängen noch nichts wußte, ist bei den damaligen Verkehrsmitteln natürlich. Und schon kam nun dorthin auch die Kunde von Volkshaufen, die in dem nahen Thüringen plündernd, brennend und mordend sich erhoben, und von einer Bewegung der Bauernschaft schon in der nächsten Umgebung. Ein besonders großer Erfolg war für die Bauern gegen Ende April ihr siegreiches Eindringen in Erfurt, wo der Prediger Eberlin von Günzburg treu und mannhaft, aber vergeblich den ihnen günstigen Pöbel in der Stadt und sie selbst in ihrem Lager draußen vermahnt und gewarnt hatte.

345 Am 26. des Monats rückte auch Münzer, der »Erzteufel« zu Mühlhausen, wie Luther sagte, zum Krieg des Herrn, wie er selbst sagte, mit vierhundert Mann aus und sammelte größere Massen um sich. Ihm war, wie er in einem Aufruf an die Mansfeldischen Bergleute äußerte, »allein das seine Sorge, daß die närrischen Menschen sich verwilligen in einen falschen Vertrag«. Dagegen verheißt er ihnen: »Wo euer nur drei ist, die in Gott gelassen allein seinen Namen und Ehre suchen, werdet ihr Hunderttausend nicht fürchten.« Er ruft ihnen zu: »Nun dran, dran, dran! es ist Zeit, die Bösewichter sind verzagt, wie die Hunde; – dran, dran, dran! laßt euch nicht erbarmen, ob euch der Esau gute Worte fürschlägt! sehet nicht an den Jammer der Gottlosen, sie werden euch also freundlich bitten, greinen, stehen, wie die Kinder; laßt's euch nicht erbarmen, wie Gott durch Mosen befohlen hat 5. B. Mos. 7 und uns auch hat offenbaret dasselbige; – dran, dran, weil das Feuer heiß ist! laßt euer Schwert nicht kalt werden vom Blut; – dran, weil ihr Tag habt! Gott geht euch für, folgt!« Besonders erbittert und verächtlich äußerte er sich über Luther; in einem Brief, den er darauf an »Bruder Albrecht von Mansfeld«, d. h. an den Grafen zu dessen Bekehrung erließ, redete er von Albrechts »lutherischem Grütz«, seinen »Wittenbergischen Suppen«, seinem »Martinischen Bauerndreck«.

In Thüringen, am Harz und in der goldenen Aue sanken eine Menge Klöster und auch Schlösser in Asche. Die Fürsten hatten noch nirgends die nöthigen Truppen bereit, während man die aufgestandenen Bauern im Thüringischen und Sächsischen auf mehr als 30 000 schätzte, und suchten gegen diese erst durch Verbindung mit einander sich zu stärken. Herzog Johann in Weimar machte sich schon auf's Schlimmste gefaßt; sein Bruder, Kurfürst Friedrich lag an schweren körperlichen Leiden auf seinem Schlosse Lochau (jetzt Annaburg im Torgauer Kreis) darnieder.

346 In diesen Tagen trat Luther selbst, von Eisleben aus weiter reisend, mit seinem Wort unter die erregte Bevölkerung hinein. Er predigte, so weit wir davon noch Nachricht haben, in Stolberg, Nordhausen, Wallhausen. In seinen folgenden Schriften konnte er sich darauf berufen, daß er mitten unter den Bauern gewesen und durch sie hin gezogen sei, wo er in aller Gefahr Leibes und Lebens mehr denn Ein Mal habe schweben müssen. Am 3. Mai finden wir ihn dann in Weimar; Tags darauf wieder im Mansfeldischen. Hier schrieb er an seinen Freund, den Mansfeld'schen Rath Rühel: derselbe möge doch ja nicht helfen »den Grafen Albrecht weich machen in dieser Sache«, d. h. den Aufrührern gegenüber; denn die Obrigkeit müsse in ihrem Beruf aushalten, wie auch jetzt Gott die Dinge wenden möge. Er bittet Rühel: »Haltet an, daß Sr. Gnaden nur frisch fortfahre, gebe Gott die Sachen heim und thue seinem göttlichen Befehl, das Schwert zu führen, genug, so lang er immer kann; das Gewissen ist doch hie sicher, ob man gleich muß darüber zu Boden gehen; – es ist eine kurze Zeit, so kommt der rechte Richter.«

Luther eilte jetzt zurück, da er von Lochau aus Aufforderung erhielt, zu seinem Kurfürsten zu kommen. Doch ehe er dahin gelangen konnte, war dieser am Abend des 5. Mai sanft verschieden. Treu und besonnen und in der redlichen Absicht, daß die Wahrheit zum Siege gelangen möge, hat er Luther beschützt und ihm sein Wohlwollen erzeigt, während er doch jedes eigenen Eingriffs in die alten kirchlichen Ordnungen mittelst seiner landesherrlichen Gewalt sich geflissentlich enthielt, auch die Bischöfe in ihrer Thätigkeit gewähren ließ und jede persönliche Zusammenkunft mit Luther vermied. Für seine Person aber bekannte er sich im Angesicht des Todes auch dadurch noch zu dem von Luther verkündigten Evangelium, daß er sich das Abendmahl unter beiden Gestalten reichen ließ und das Sacrament der letzten Oelung nicht empfangen wollte.

347 Als die Leiche feierlich nach Wittenberg gebracht und in der Stiftskirche dort bestattet wurde, sprach Luther, der hiebei zwei Mal zu predigen hatte, von der allgemeinen Bekümmerniß und Klage, daß – »unser Haupt gefallen ist, ein friedsamer Mann und Regent, ein stilles Haupt.« Und als das »allerärgste« hiebei bezeichnet er, daß dies Haupt dahin falle eben jetzt, in diesen schweren, wunderlichen Zeiten, wo, wenn Gott nicht zuvorkomme, dem ganzen deutschen Land Verwüstung drohe. Er ermahnte die Zuhörer, dem lieben Gott den eigenen Undank für die Gnade, die er in diesem edeln Gefäß ihnen geschenkt habe, zu bekennen. Von denen aber, welche sich wider die Obrigkeit setzen, erklärte er mit den Worten des Apostels (Röm. 13, 2): sie werden ein Gericht über sich empfangen. »Dieser Spruch,« sagte er, »wird mehr thun, denn alle Büchsen und Spieße.«

Ganz in dem Sinne, in welchem Luther wenige Tage zuvor an Rühel nach Mansfeld geschrieben hatte, erschien von ihm jetzt auch ein öffentlicher Aufruf »wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern«. Er leitete ihn ein mit den schon oben angeführten Worten: »Ehe denn ich mich umsehe, greifen sie mit der Faust drein – und thun, wie die rasenden Hunde.«

Er schrieb so im Augenblick, als er die Gefahr auf's Höchste gestiegen sah. Ja er setzte die Möglichkeit, »daß die Bauern oblägen (da Gott für sei),« – daß »Gott vielleicht zum Vorlauf des jüngsten Tages durch den Teufel alle Ordnung und Obrigkeit zerstören und die Welt in einen wüsten Haufen werfen wollte.« Aber nur um so dringender und stürmischer rief er da die christliche Obrigkeit auf, daß sie gegen die teuflischen Bösewichter das Schwert gebrauche, das Gott ihr anbefohlen. Sie solle die Sache Gott anheim geben, ihm bekennen, daß sie seine Gerichte wohl verdient habe, und so mit gutem Gewissen und getrost »drein schlagen, so lang sie eine Ader regen könne«; wer dann auf ihrer Seite falle, sei ein rechter Märtyrer 348 vor Gott, wenn er mit solchem Gewissen gestritten habe. Indem er dann noch der vielen besseren Leute gedenkt, die jetzt durch die blutdürstigen Bauern und Mordpropheten zur Theilnahme an dem teuflischen Bund genöthigt seien, bricht er in den Ruf aus: »Liebe Herrn, rettet hie, helft hie, erbarmet euch der armen Leute, steche, schlage, würge hie, wer da kann!«

Abb. 31: Münzer (im Hintergrund seine Hinrichtung) nach einem alten Holzschnitt.

Auch dieses Wort Luthers wurde rasch von den Ereignissen überholt. Die sächsischen Fürsten, Landgraf Philipp von Hessen, der Herzog von Braunschweig und die Mansfelder Grafen verbanden sich noch ehe die Masse der Bauern in Thüringen und Sachsen zu einem großen Heer vereinigt war. Schon am 15. Mai erlag die etwa 8000 Mann starke Schaar Münzers in der Schlacht bei Frankenhausen. Münzer selbst wurde gefangen; innerlich gebrochen und voll Angst erlitt er den Verbrechertod durch's Schwert. Schon ein paar Tage vorher war das Hauptheer der schwäbischen Bauern geschlagen worden. In den folgenden Wochen wurde vollends eine aufständische Gegend nach der andern unterworfen und die Gräuel, welche die Bauern verübt hatten, ihnen furchtbar vergolten. Landgraf Philipp und Johann, der neue Kurfürst von Sachsen, zeichneten sich durch die Milde aus, womit sie nach dem Sieg eine Menge gemeiner Bauern, die sich betheiligt hatten, straflos nach Hause gehen ließen.

Jene heftigen Worte Luthers aber erregten jetzt auch unter Freunden Anstoß. Vollends haben katholische Gegner und zwar Leute, die nichts Arges finden, wenn Ketzer blos des Glaubens wegen haufenweise verbrannt werden, ihm damals und bis auf den heutigen Tag eine gräßliche Grausamkeit deshalb vorgeworfen. Luther entgegnete auf das »Klagen und Fragen über sein Büchlein« mit einem öffentlichen »Sendebrief von dem harten Büchlein wider die Bauern«. Das Gerede darüber hatte ihn nur doch mehr erregt und gereizt. Er beharrte auf dem, was er dort 350 gesagt. Aber er erinnerte auch, daß er dort gar nicht, wie die Lästerer es ihm deuteten, vom Verfahren gegen Ueberwundene und Gedemüthigte, sondern lediglich vom Losschlagen gegen die im Aufstand Begriffenen geredet habe. Er erklärte ferner am Schlusse seiner neuen scharfen Reden über den Gebrauch des Schwertes, daß eine christliche Obrigkeit allerdings, wenn sie gewonnen habe, dann »Gnade erzeigen solle nicht allein den Unschuldigen, sondern auch den Schuldigen.« Mit den »wüthigen, rasenden und unsinnigen Tyrannen, die auch nach der Schlacht nicht mögen Blutes satt werden und in ihrem ganzen Leben nicht viel fragen nach Christo«, will er überhaupt nichts zu thun haben. So hat er auch schon vorher in einer kleinen Schrift über Münzer, worin er charakteristische Schriftstücke dieses »blutgierigen Propheten« zur Warnung für's Volk herausgab, die Herren und Obrigkeiten gebeten, »daß sie den Gefangenen und die sich ergeben, wollten gnädig sein, – auf daß nicht das Wetter sich wende.« – Wenn wir jetzt beklagen müssen, daß, nachdem der Aufruhr niedergeworfen, zur Abhilfe jener wirklichen Nothstände, aus denen er hervorgegangen war, nichts geschah, ja diese zur Strafe für die Besiegten noch gesteigert wurden, so trifft dieser Vorwurf die katholischen, geistlichen und weltlichen Herren mindestens eben so sehr als die evangelischen Obrigkeiten oder Luther.

Noch weit mehr als jene Härte gegen die Aufständischen wurde Luthern von seinen kirchlichen Gegnern schon damals und fernerhin gar das Schuld gegeben, daß er selbst mit seiner Predigt und seinen Schriften den Aufstand angestiftet habe. Als die Gefahr und Angst vorbei war, hatte der Theolog Emser die Frechheit, in Versen für's Volk über ihn auszusagen: »Nun so er das Feuer angezündet, Wäscht er mit Pilato die Händ', Den Mantel nach dem Wind hin wendt;« und weiter: »Er selbst nit läugnen mag, Daß er zu Aufruhr euch ermahnt Und liebe Gotteskind 351 genannt All, die dazu thun Leib und Gut Und ihre Händ waschen in Blut, – Das hat er öffentlich geschrieben Und fleißig dazu angetrieben« u. s. w.

Dem gegenüber hat er selbst auf sein Büchlein von der weltlichen Obrigkeit und andere Schriften hingewiesen und von sich sagen können: »Ich achte, es habe vor mir nie kein Lehrer so gewaltiglich von der weltlichen Obrigkeit geschrieben, daß mir das auch meine Feinde haben müssen danken; – und wer stund stärker wider die Bauern mit Schriften und Predigten, denn ich?« Unter den Ständen des Reiches durften es auch die heftigsten Widersacher des evangelischen Wortes doch nicht wagen, ihre gegen den Aufstand siegreichen Waffen nun auch gegen ihre eigenen diesem Worte anhänglichen Reichsgenossen zu kehren, mit welchen gemeinsam sie gesiegt hatten und aus deren Mitte in der That der kräftigste Ruf zum Kampf und Sieg erschollen war. Dagegen scheute Luther sich nicht, in diesem Augenblick den Erzbischof Cardinal Albrecht, über dessen geheime Neigungen ihm sein Freund Rühel neuerdings Günstiges zu berichten hatte, durch einen Brief (vom 2. Juni) dazu zu ermahnen, daß er nach dem Exempel seines Vetters, des Hofmeisters in Preußen, sein Bisthum in ein weltliches Fürstenthum verwandeln, auch selbst in den Ehestand treten möge, und als erstes Motiv hiefür die »leidige und gräuliche Empörung« zu nennen, mit welcher Gottes Zorn die Sünden des geistlichen Standes gestraft habe.

So hat Luther in diesem Sturm, was man auch hier und sonst von der Heftigkeit seiner Kundgebungen denken mag, seinen Standpunkt fest und klar eingenommen und behauptet, – seiner Sache gewiß und sicher auch dem neuen Angriff gegenüber, welchen er den Teufel hier machen sah, unnachgiebig und trotzig gegen die alten papistischen Gegner und ihre neuen Lästerungen. Und in dieser Gesinnung hat er eben damals einen Schritt gethan, der vollends alle Lästerzungen gegen ihn wach rufen mußte und in welchem 352 er selbst seinen Beruf vollends erfüllen wollte. Er, vom unchristlichen Mönchsgelübde frei geworden, trat in den von Gott gestifteten Ehestand. In jenem Brief an Rühel vom 4. Mai hören wir ihn zum erstenmal mit aller Bestimmtheit davon reden. Indem er nämlich dort vom Teufel und von den Bauern spricht, die dieser angestiftet habe und bei deren Mordthaten auch er auf den Tod sich bereit machen wolle, fährt er fort mit den überraschenden Worten. »Und kann ich's schicken, ihm zum Trotz, will ich meine Käthe noch zur Ehe nehmen, ehe denn ich sterbe, wo ich höre, daß sie fortfahren; ich hoffe, sie sollen mir doch nicht meinen Muth und Freude nehmen.«


 << zurück weiter >>