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Der Geiger

Es war einmal ein Geiger, der spielte immer nur lustige Lieder. Sein Bogen hüpfte so vergnügt auf der Geige herum, daß es den Leuten wie lauter Licht, Luft und Sonne in die Herzen und die Seele, in die Beine und in den ganzen Leib ging. Alles, was sie bedrückt und bekümmert hatte, mußten sie vergessen und sahen nur das Rosenrote, das Helle, Frohe, das Gute und Erfreuliche am Leben. So schnickerte und schnatterte sein Bogen über die Saiten, trommelte und trudelte wie ein leises zierliches Glockenspiel; pfiff und sang wie ein Starmatz am lachenden Frühlingsmorgen und kicherte wie ein Wildfang von Mädel, wenn es vor lauter übermütiger Sehnsucht nach dem Geliebten nicht weiß, wie es ihn genug necken, locken, quälen und zum Narren haben soll.

Zu Hause, da war der Geiger so still und ernst, da dachte er an seine einsame, freudenlose Jugend. Wie der gute, freundliche Vater ihn so bald allein gelassen mit der strengen, harten, launischen Mutter, wie auch die ihn einsam und freudlos gemacht und ihn hinausgeschickt hatte, vor den Leuten zu geigen, da er doch viel lieber zu Hause saß und studierte und, wenn er ein schweres Stück mit Mühe gelernt, es am liebsten zum Fenster hinaus, in den schimmernden Sommerabend, hinauf zu den wandernden Wolken des Himmels geigte. Und er dachte daran, daß er kein Weib und keinen Freund hatte, sondern ganz einsam und allein war. Und war sehr traurig und ernst und grübelte immer darüber nach, warum denn soviel Trauriges, Wahnvolles, Törichtes und Bekümmerndes in der Welt sei, und daß die Menschen, zu soviel Glück und Freude berufen, sich gegen sich selber und untereinander das Leben schwer machten, mit Sorgen und Mühe, mit Nachdenken und Grübeln.

Und wenn er dann wieder bei den Leuten war, dann spielte er immer und immer wieder die lustigen Lieder, Schelmenweise und lachendes Liebesglück, weil es ihn so von Herzen erfreute, wenn die Menschen lachten und sangen und mitpfiffen und all ihren Kummer und all ihre Bedrängnis vergaßen vor seiner Geige fröhlichem Klang.

Aber allmählich hörten die Leute auf, ihm zuzuhören. Einer nach dem anderen blieb fort und schließlich kam fast keiner mehr. Höchstens ein paar verliebte Pärchen saßen zu seinen Füßen, denen es schon ganz gleich war, was sie hörten; sie waren ja so wie so glücklich. –

Es war eine neue Mode aufgekommen. Alle die Leute, die ihm so gerne zugehört hatten und die so glücklich bei seinen frohen Liedern gelacht, gingen auf einmal einer nach dem andern zu den Musikanten, die nur ganz ernste, düstere, traurige Lieder spielten und sangen, die Weltschmerz und Verzweiflung geigten und sich nicht genug tun konnten in Seelenweh und Tränenqual und die ohne Scheu und Scham von ihrem eigenen Schmerz sangen und von ihrer eigenen Kummernot.

Da wurde nun unser Geiger ganz einsam und sehr traurig.

Denn seine einzige Freude war die gewesen, die Leute froh und lustig zu machen.

Und da überwand ihn sein eigener Schmerz, sein eigenes Leid, daß er eines Tages aufstand und spielte und sang, wie er in Wirklichkeit war, traurig, weinend, jammernd und aufschreiend das ganze Leid, das er lebenslang allein getragen. –

Da standen die wenigen, die ihm noch zugehört hatten, auf, lachten ihn aus und sagten: »Nein, lieber Freund, das hättest du bleiben lassen sollen – das kannst du nicht!«


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