Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Silhouette

Über meinem Divan hing die Silhouette meiner Urgroßmutter.

Wer weiß, auf welche Weise von den vielen alten Bildern, die meine Großmutter zum großen Ärger ihrer kunstverständigen Schwiegersöhne verkauft oder einem sammelnden Vetter geschenkt, auf welche Weise gerade dieses Bild in den Besitz meiner Mutter gekommen war. Ebensowenig kann ich sagen, wie es kam, daß ich mir außer ein paar Aschebechern und ein paar Blumenväschen gerade dieses Bild mitnahm, als ich mir meine bescheidene Junggesellenwohnung einrichtete. Und dann, als es über meinem Schreibtisch hing, und ich vor meinem Nachtischschläfchen immer ein wenig zu der schwarzen Urgroßmutter hinaufsah, dann – verliebte ich mich in das Bild.

Es war ein sehr feines Profil mit einem allerliebsten Stumpfnäschen – ein so feines Gesichtchen, wie wir es in unserer Familie der großen starken Garderiesen gar nicht gewöhnt waren – nur von meinem Großvater, ihrem leiblichen Sohn, besinne ich mich, daß er ein altes, zierliches Männchen mit einer liebenswürdigen, altmodischen Grazie war.

In dem Schattenriß war mit haarfeinen Pinselstrichen das Auge gezeichnet und ein kleines, ungemein zierliches Öhrchen, mit einem seltsamen großen Ohrgehänge geziert, das aussah, wie eine aufgehängte, kleine Epaulette. Und oben schmückte den anmutigen Kopf eine entzückende Frisur à la Pompadour, der man trotz ihrer Schwärze ansah, sie mußte einst gepudert gewesen sein.

Das Köpfchen saß auf einem schlanken Hälschen; der Nacken verlor sich in einem Spitzengekräusel, dessen fadenfeines durchbrochenes Muster auf dem Bildchen deutlich zu erkennen war. Vorn wölbte sich vor dem Halse ein volles rundes Brüstchen, wieder umwölkt von Spitzengekräusel. Ein scharfer anmutig geschwungener Schnitt wie bei einem Münzkopf schloß darunter gegen das weiße Papier ab, auf das der schwarze Schattenriß sauber aufgeklebt war.

Jeden Nachmittag, bevor ich mein Mittagsschläfchen hielt, betrachtete ich das kleine Kunstwerk lange und innig, und mein Schlummer war dann Tag für Tag ein gleichmäßig langsam sich steigerndes Träumen von dem geliebten Bildchen.

Wochen mochten so im täglichen Traum vergangen sein, bis ich den Schattenriß seiner schwarzen Farbe entkleidete und statt seiner ein Gesichtchen von Fleisch und Blut sah, leise überstäubt von einem weißen Schimmer, der von dem tadellos gepuderten Haar heruntergeflossen schien. Hals und Brust hoben sich rosig lebend aus dem zarten, zitternden Spitzengewirr und ihr freundliches Auge mit langen dunklen Wimpern schien auf mich gerichtet. Ihr Mund schien leise zu lächeln.

Monate dauerte es, bis mein Traum sie als ganzes Wesen sah, ein kleines, zartes Rokokoding. Sie schien sich leise zu bewegen und in dem Rahmen sacht hin und her zu wiegen.

Und endlich geschah es, daß ich auch im Wachen lernte, die schwarze Farbe zu vergessen; zu vergessen, daß hier nur das neckische Köpfchen gemalt war, wenn ich vor dem Schläfchen wach auf meinem Divan lag und zu dem schwarzen Bildchen meiner Urgroßmutter hinaufsah.

Ich liebte mein Urgroßmütterchen, wie andere ihr trautes Mädchen, wie andere ihre Braut, ihr Weib, wie vielleicht andere ihr strammes Geldsäckchen, andere die Flasche, andere das Spiel. Täglich widmete ich der Geliebten eine stille Stunde, eine Stunde von unsagbarer Innigkeit, von ungestörtem Glück – meine Liebe wuchs täglich. Und sie schien immer größer zu werden, als die Tagesarbeit in jener Zeit mich stärker und stärker an sich riß, so daß auf Minuten in mir die Erinnerung an diese selige Stunde meines Tages erlosch. Diese Minuten waren mir wie ein Raub an der Geliebten.

Eines Tages geschah etwas Unerhörtes.

Ich hatte mein Nachmittagsstündchen zu Hause versäumt – ein lästiges Geschäft hatte mich vom Mittagessen weg gerufen, und nach der Nachmittagsarbeit hatte ein übereifriger Freund, einer von denen, die immer darauf ausgehen, Junggesellen in Gesellschaft zu bringen, mich in einen Kreis von jungen Künstlern und Künstlerinnen geführt, die mich langweilten und ärgerten mit ihrer Selbstgefälligkeit und ihrer unbedingten Urteilssicherheit. Ich hatte Wein getrunken, in meinem Ärger schneller, als ich gewohnt war, und war dann zeitig nach Hause aufgebrochen.

Immer, wenn ich ausging, stellte mir meine Wirtin die brennende Lampe ins Zimmer. Ich sah sie von der Straße aus brennen und dachte gleich an den Schattenriß der Urgroßmutter, den ich den ganzen Tag nicht gesehen.

Als ich das Zimmer betrat, saß die Geliebte auf meinem Divan.

Kokett die Füßchen vorgestreckt, die unter dem flimmernden Spitzenrand des rosigen Kleidchens hervorsahen. Ihre dunklen Wimpern über den rosig bleichen Wangen hoben sich langsam, ihr leicht geneigtes Köpfchen richtete sich auf und mit einem Lächeln, das tief aus einem liebenden Herzen zu kommen schien, sah sie mich an.

»Du bist heute so spät gekommen«, sagte sie mit tiefer, von verhaltener Sehnsucht zitternder Stimme.

Auf die Knie sank ich zu ihren Füßen und barg mein glühendes Gesicht in ihrem knitternden Seidenschoß.

Lange kniete ich so und hielt ihre schlanke, schmale Taille mit meinen Armen umschlossen – bis ich fühlte, wie sie sehr sanft und leise ihre schmale, feine Hand auf meinen Kopf legte.

Da seufzte ich.

Mit der andern Hand faßte sie unter mein Kinn, so daß sie nun meinen Kopf in beiden Händen hielt, hob ihn auf, bis sie mit ihrem sonnenklaren Lächeln mir in die weinenden Augen sah.

Duft und Seligkeit, unglaublich süß, durchfloß mich. Ich sah ihr ins Gesicht, auf die zarten, puderbestäubten Wangen, nach dem entzückenden Grübchen in ihrem Kinn, nach den freundlichen, blauen Augen mit den dunklen langen Wimpern.

»Hast du heute an mich gedacht?« flüsterte sie.

Ich legte meinen Kopf an ihr leise klopfendes Herz und »Ja, ja, nur an dich, an dich, du Schöne, Liebe!« sprach ich tausendmal, und mit beiden Händen, diesen feinen weißen Händen mit dem bläulich-rosa Schimmer, drückte sie meinen Kopf ein wenig gegen ihre Brust. Und aus diesem süßen Umarmen hob ich den trunkenen Blick zu ihr auf.

Da küßte sie mich auf die Stirne, küßte mich auf die glühenden Augen und auf den Mund mit einem sanften innigen Kuß, in seliger Neigung.

Mir war es, als müßte ich immer und in alle Ewigkeit so liegen, so ausruhen von meiner langen Sehnsucht, am Herzen der Einzigen, ihr zu Füßen.

Wir flüsterten lange, lange, flüsterten von unserer Liebe, von unserer süßen, stillen Zärtlichkeit, von der niemand wußte, niemand ahnte. Meine Hand streichelte leise die ihre, freute sich zärtlich des feinen Flaums duftenden Puders, der darauf lag, spielte verlangend wie in süßem Traum mit dem Spitzengekräusel ihrer weit offenen Brust, faßte tastend nach dem neckisch gewellten Puderhaar.

»Wirst du mir immer angehören?« frug sie.

»Immer, immer!« Und meine Hand streichelte den flaumigen Schmelz ihrer Wange.

Da rührte ich an ihr Ohrgehänge.

Ich nahm es in die Hand und betrachtete es.

Es war geflochten von blondem, feinem Haar.

»Sag mir, Liebste«, frug ich, »von wem ist dieses Haar?«

»Von meiner Urgroßmutter«, sagte sie mit freundlichem Lächeln.

Da grauste mir.

Mir wurde mit einem Male die lange, lange Zeit bewußt, die mich von dieser Urälterahne trennte, die dieses blonde, feine Haar als eigen getragen.

Die lange Zeit – und mir wurde entsetzlich bewußt, daß länger, als ich denken konnte, diese da, die mich in ihren Armen hielt, schon nicht mehr lächelte, nicht mehr – daß sie schon so lange tot war.

Ein neues Grausen ging von ihr aus und traf mich bis ins innerste Herz.

Erschrocken sah ich auf und gewahrte, wie ihre Augen, als wüßte sie meine Gedanken, mit einem Blick voll kalten Hasses zurücksanken in ihre Höhlen, ganz zurück, bis nur noch die schwarzen Höhlen auf mich niederstierten, wie ihre gepuderten Wangen sich verfärbten, schwarz wurden, schwarz, wie von einem Pesthauch vergiftet. Ihre Hände schrumpften zu dürren Gerippeklauen zusammen, die mir nach dem Halse faßten, und gewürgt von dem furchtbaren schwarzen Scheusal sank ich und sank in unergründliche, unermeßbare Tiefe, gewürgt von ihr, bis ich sie nicht mehr sah. –

Als ich erwachte, lag ich in Schweiß gebadet vor dem Divan, neben mir, von einem Stockschlag zerschmettert, die Silhouette meiner Urgroßmutter.


 << zurück weiter >>