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Der König

Ein Held war der König, ein starker, kühner Held. Wo immer Feinde seines Landes Grenzen anrührten und seines Volkes Gut und Blut verdarben, da war er da mit seinen Reisigen und ritt nicht nur hinter der Schlacht hin und her und befehligte das Treffen – er schwang selber den Flamberg und achtete der schwirrenden Pfeile und der starrenden Lanzen nicht. Oft floß ihm rotes Blut aus seinen starken Schenkeln, wenn die Fußknechte und Troßgesellen, unter die er im Kampfe mit den Rittern und Reitern wohl auch einmal geriet, unter seinem Schwertschwung sich duckend, nach seinem Rosse stachen. Immer kam er als Sieger heim, der Held seines Volkes, mit seinem eignen Leibe und eines Armes Kraft Schirmherr seines Volkes.

Daheim war er diesem Volke ein gerechter Herr. Jeder fand Ohr und Herz bei ihm, daß er half dem Getreuen und richtete den Ungetreuen. Seinen Räten lieh er sein Ohr und hörte ihre klugen Meinungen und tat, was sie ihm rieten – ohne Stolz auf seine Stärke, ohne Dünkel auf die Höhe seines Herrschertums.

Und wie ein rechter Held und Ritter war er an Liebe. Er kniete vor seiner Königin und betete sie an, wie eine Fee, und litt ihre kleinen Launen wie einer mit Lachen es duldet, daß ein Kindlein ihm in den Bart packt. Und sein Kindlein gar, einen Knaben den hieß er fröhlich sein, spielte mit ihm mit dem springenden Ball und wehrte ihm mit Tadel und Strafe, wenn er allzulaut es Fremde entgelten ließ, daß er ein Prinzlein war.

*

Da fand er eines Tages sein Weib tot, als er heimkam von frohgemuter Jagd.

Ein Grauen griff ihn da an, daß er all seines Glückes vergaß und ein ernster Mann wurde, mit trauriger Miene und traurigem Schritt.

Er trat allein zu seinem Kind und wachte über seine Wege Tag und Nacht und gab ihm selber Nahrung und Pflege.

Da ward der Knabe krank.

Und eines Nachts, als der König an seinem Bette stand und wachte, da tat sich die Türe auf und herein trat der gewaltige Tod.

Da weinte der Held, denn er wußte, daß sein Kind nun sterben mußte. Er kniete nieder an dem Bette und betete. Und er sah, wie der Tod die Hand aufhob und sie niederlegte auf des Kindes Herz, daß es still stand, mitten im Schlag.

*

Da ward der Held eine Memme und saß mit weinendem Angesicht alle seine Tage. Er mied der Gefährten Gesellschaft und verschloß seinen Freunden sein Herz. Aber seine Räte kamen und sprachen: »Herr, freie dir wieder ein Weib, daß dein Thron einen Erben habe und dein Volk einen König, wenn du alt wirst und sterben mußt.

Aber der König sagte: »Nein – ich kann keinen mehr sterben sehen, den ich lieb habe; und darum will ich keinen mehr so lieb haben, wie man ein Weib und ein Kind hat.«

*

Des Nachts saß er in den einsamen Wegen seines Parkes und starrte in den klarkalten Mond und in die Nebel, sah keiner Blume Pracht und hörte keines Vogels Liebeslust und dachte nur daran, daß alles sterben müßte – sterben – wenn nur der Tod käme und seine Hand aufhöbe.

*

Wieder saß er so eines Nachts. –

Da ging bei ihm vorbei, den Weg entlang, die dürre Gestalt des Todes, mit großen Schritten, mitten durch den Garten des Königs.

Und der König wollte sehen, wo der Tod hinging. Er ging ihm nach. Vor ihm her schritt im Mondenschein das lange, dürre, weiße Gebein und rasselte mit den nackten, schlotternden Knochen.

Durch die Häuser und Gärten der Vornehmen ging der Tod. Durch die breiten Straßen der Stadt, wo die reichen Kaufleute wohnen. Durch die vielen engen Gassen, wo die Bürger und Handwerker und armen Leute wohnen. Bis hinaus in ein fernes, einsames Dorf. Dort stand nicht weit vom Flusse das Haus des Fährmanns – der war bei seinem Kahne. In dem kleinen Hause brannte ein kleines, schwaches, mattes Licht.

In das Haus ging der Tod.

Da trat der König an das trübe Fenster, zu sehen, was der Tod suchte.

Und sah in dem düsteren, ärmlichen Zimmer ein Bett, darin lag ein bleiches, ausgezehrtes Kind und rang nach Luft, mit gläsernen Augen und zitternden, tastenden Händen. Ein kümmerlich zerlumptes, schwaches Weib saß auf dem Bettrand.

Noch hatte der Tod gezögert im Flur – nun trat er hinein.

Erschrocken sah das Weib zu ihm auf und sprang auf die Füße.

Einen einzigen Schrei tat es und einen einzigen Griff nach seinem Herzen. Dann sprang es vor das Bette und breitete die Arme aus und hemmte den Schritt des Todes.

Der stand einen Augenblick und stutzte und zögerte.

Und als er den Arm erhob und an ihr vorbei greifen wollte nach dem Kind in dem Bette, da schlug sie mit beiden Händen wie mit Klauen auf ihn ein, als wollte sie ihn kratzen, daß ihre Nägel an dem glatten Gebein sich umbogen und ihr das Blut aus den Fingern sprang. Mit ihren Fäusten und ihren Armen schlug sie auf ihn ein, daß ihre Knöchel sich blutig schunden an den dürren Röhren seiner Schultern und ihrer Arme Knochen zerbrachen von der Wucht ihrer eignen Schläge. Und als sie des Todes nicht Herr werden konnte, da sprang sie ihm an den Hals, hing sich mit ihren Händen an seine nackten Schlüsselbeine und biß mit den Zähnen in seine steinharten Rippen, bis Schaum und Blut aus ihrem Munde lief.

Da wehrte sich der Tod. Mit der Hand griff er in ihre Brust und drehte ihr das Herz herum mit einem einzigen Griff.

Dann warf er sie von sich und hob die Hand und stach mit dem Finger in das Herz des Knaben, daß er noch einen Seufzer tat und tot war.

*

Der König schlug seine Hände vors Gesicht und weinte.

Er weinte den ganzen Weg, bis er wieder in seinem Schloß war.

*

Am andern Tage rief er seine Räte zu sich und folgte ihrem Ratschlage und nahm ein Weib und zeugte mit ihm viele Kinder.


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