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X.

Es war einige Jahre später als in einer Stadt Thüringens auf dem Markt viel Volks zusammenlief, um die Geschichte zu hören von dem Antichrist und Erzketzer Thomas Münzer, die ein großer starker Mann, dessen benarbtes Gesicht und halber Arm ihn als ehemaligen Krieger verkündigte, nach bänkelsängerischer Weise vortrug. Eine mit grellen Farben bemalte Leinwand zeigte den Propheten in verschiedenen Situationen, die aber alle darauf berechnet waren, ihn lächerlich zu machen. Ein Mädchen mit hübschen, aber gebräunten Zügen sammelte von den Zuhörern kleine Münzen ein, und that dies mit einer gewissen Grazie, so daß Mancher, dem freundlichen Gesicht zu Gefallen, die Gabe verdoppelte. Der Mann achtete nicht auf dies finanzielle Geschäft; in der ganzen Weise seines Vortrags lag überhaupt Würde und Stolz. Man sah es ihm an, daß ihn nur die Noth zu einem solchen Erwerb gezwungen.

»Wie im hohen Deutschland,« perorirte er, »die Bauern sich des Gehorsams der Obrigkeit entzogen, hatte der leidige Satan auch in Thüringen gleichen Aufruhr erweckt, hatte Einen besessen, der hieß Thomas Münzer, der war in der heiligen Schrift wohlgelehrt, blieb aber nicht auf der Bahn bei der heiligen Schrift, sondern der Teufel narrete ihn, und trieb ihn von der Schrift, das er anfing nicht mehr vom Evangelio zu predigen und wie die Leut sollten fromm werden, sondern erdichtete aus falschem Verstand der heiligen Schrift falsche und aufrührerische Lehre, daß man alle Obrigkeit sollt tödten und sollten fürderhin alle Güter gemein sein, kein Fürst, kein König mehr sein. Dies trieb er gegen den thörigten Pöbel sehr heftig, schmäht' und schalt die Fürsten übel, wie sie den armen Mann unterdrückten, beschwerten, schindeten und schabten, so doch christliche Lieb' fordere, daß sich Keiner über den Andern setze, daß Jedermann frei sei, Gemeinschaft aller Güter.«

»Dabei auch macht' er solcher teuflischen Lehre einen Schein; er gab für, er hätte vom Himmel Offenbarung und lehret nicht anders, gebot auch nichts, Gott hätt' es ihm denn geheißen. Es ist nicht zu ermessen, wie hart der Teufel den Menschen hat besessen, daß er sich hat rühmen dürfen himmlischer Offenbarung und mit Lügen Gottes Namen so unverschämt anziehen. Ja, es wird auch bei den Nachkommen nicht glaublich sein, daß ein Mensch in solche Vermessenheit falle, daß er sich solcher großen Dinge darf rühmen, wo nichts dran ist.«

»Es liegt ein Flecken Allstett in Thüringen am Harz gegen Sachsen, gehört dem Kurfürsten zu Sachsen, dahin hatte sich Thomas begeben; denn wiewohl er sich rühmte, er hätte den heiligen Geist, und fürchtet' sich nicht und hätte göttlichen Befehl in aller Welt, sucht' er doch da ein Nest, daß er sicher wär ' unter des frommen Fürsten Herzog Friedrich's, des Kurfürsten von Sachsen, Schutz, unter dem die Priester, so wider alte unzüchtige Bräuche predigten, sicherer waren, denn sonst.«

Der fremde Mann schien das Gemurmel des Unwillens nicht zu bemerken, daß sich hier und da in der Versammlung, während er in dieser Weise fortfuhr, seine Bilder zu erklären; plötzlich aber drängte sich ein Mann vor, in blauer Blouse, auf dem Kopf einen breitgekrempten Filzhut, schlug mit seinem schweren Stock auf die Leinwand, daß sie in traurigen Fetzen herabhing, indem er mit zorniger Stimme laut rief: »Lüge, Lüge!«

Der Einarmige starrte mit einem stummen Blick der Wuth bald auf seine zertrümmerten Bilder, bald auf den unbekannten Frevler; er hob die Faust und wollte sich auf den Letztern stützen, aber andere Personen drängten sich dazwischen. »Ein Münzerischer Hund, ein Wiedertäufer!« rief der Bildermann. »Man muß ihn verstricken!«

Einige Stadtsöldner kamen herzu, von dem durch das Zwischenspiel entstandenen Lärm herbeigelockt, und sahen sich nach dem Unruhstifter um. Dieser aber war schon im Haufen verschwunden. Man machte ihm willig Platz, als wolle man ihn gegen jede Gewaltthat schützen. Die Stadtsöldner aber, denen die Sache bedenklich erscheinen mochte, fahndeten ernstlich auf ihn. Da fühlte er sich am Arm ergriffen, ein junger Mann stand neben ihm, flüsterte ihm einige Worte zu und zog ihn in ein in der Nähe liegendes Haus. Er führte ihn eine Treppe hinauf und trat mit ihm in ein geräumiges, sauber ausgestattetes Gemach, in welchem zwei Frauen bei weiblicher Arbeit saßen, von zwei Knaben umspielt, von denen der eine fünf, der andere drei Jahre zählen mochte.

Die jüngere der beiden Frauen war voll Leben und Lust, in vollem Jugendglanz, aus ihrem rosigen Gesicht sprach eine muntere Schalkheit, wie sie jungen Müttern oft eigen ist; die andere, obgleich sie nicht älter an Jahren sein mochte, war doch gewiß älter an bitterer Erfahrung. Sie war blaß, durch ihre Züge schimmerte ein tiefer Seelenschmerz; diesem dicht geschlossenen Munde sah man es an, daß er nicht mehr lächeln konnte. Die beiden Frauen sahen überrascht auf, als die Männer eintraten.

»Ich hab' Euch da einen berühmten Mann mitgebracht,« nahm der Jüngere das Wort. »Ihr sehr hier den weltbekannten Doctore Bartolo Grubero, einzigen Besitzer des unschätzbaren Lebenselixirs und Schönheitwassers –«

»Nicht doch!« lächelte der Andere. »Du weißt ja, was es damit für Bewandtnis hat, ich bin nichts mehr, als Melchior Grüber, ein ehrlicher Mann und ein Freund Meister Thomas Münzer's –«

»Wie?« rief die ernste bleiche Frau lebhaft. »Ihr habt ihn gekannt? Doch ja, ich erinnere mich –«

»Ich glaub', es hat's Keiner aufrichtiger mit ihm gemeint, dem edlen, trefflichen Mann!« sagte Grüber. »Er ist nicht verstanden worden, das war sein Verderben. Kein edleres, treueres Herz hat für Volk und Freiheit je geschlagen!«

»Horch auf, mein Söhnlein!« schmeichelte die blasse Frau dem ältern Knaben. »Von deinem Vater wird gesprochen.«

»Er hatt' eine gute Saat ausgesäet, aber die Schnitter waren nichts nutz!« fuhr Grüber fort. »Ja, hätte der Sickingen noch gelebt, wie ganz anders wär' es da geworden! Nun hat's der Unschuldige mit dem Schuldigen büßen müssen! Wie hab' ich den Franken an's Herz geredet, den herrlichen Meister Thomas nicht in der Noth zu verlassen. Sie waren aber taub und hatten zu vertragen mit dem Henneberger, der sie hernach verrieth.«

»Es war eine Strafruthe für Fürsten und Unterthanen,« sagte der junge Mann, »beiden zur nützlichen Lehr' und Warnung.«

»Es sollte nur für die Fürsten und Herren sein;« meinte Grüber. »Denn der arme Mann hat die Strafruthe seit Jahrhunderten weidlich gefühlt. Noth und Hunger ist diese Strafruthe gewesen. Ich hab' einen jungen Bauer gekannt; der rief kläglich, als man ihn unter's Schwert schleppte: »Ach Gott, ich soll schon sterben und hab' mich erst im Leben zweimal satt an Brot gegessen!« Die Bauern hatten fürwahr gerechte Sache, aber Gutmüthigkeit und Selbstsucht waren ihre Feinde. Hätten die Bauern so viel, oder vielmehr so wenig deutscher Treu' besessen, als ihre Herren, so möcht' es wohl besser stehen. Sie behandelten ihre Herren als ehrliche Feinde und die erkannten sie auch dafür an, so lang' ihnen das Messer an der Kehle stand; als sich aber das Blatt wandte, da behandelten die Herren die Bauern schlimmer als Hunde, als Mörder und Diebe. Münzer's Andenken wird mit Koth beworfen, schamlose Verleumdungen werden ausgebrütet.«

»Dein Eifer hatte dich fast in schlimme Händel gebracht!« sagte Heinrich, denn er war der junge Mann. »Wie, wenn man dich als heimlichen Anhänger Münzer's ertappt hätte?«

»Ei, so wär' ich halt gestorben!« entgegnete jener, »obgleich ich gestehe, daß mir der Tod doch nicht willkommen gewesen wäre, denn –«

»Weißt du wohl,« fiel Heinrich ein, »daß ich in jenem Mann einen alten Bekannten wiedererkannt zu haben glaube? Das ist der Ritter Wolfenzahn, oder die Natur hat zwei Menschen geschaffen, die sich bis auf die äußeren Zufälligkeiten völlig gleichen. Welch' ein Schicksal ihn aber bis zu diesem Gewerbe geführt haben mag?«

»'S wird wohl ein sehr gewöhnliches Schicksal sein!« antwortete Grüber. »Der edle Ritter hat mit gegen die Bauern gefochten, hat aber nichts erlangt, als einen verstümmelten Leichnam. Nun haben's ihm die Herren nicht gedankt, und da es mit der Ritterschaft vorbei ist, ist er mit Gott und der Welt zerfallen.«

»Er war mir einst ein freundlicher Herr,« sagte Heinrich. Sein Schicksal dauert mich; ich will mich danach erkundigen und es zu verbessern suchen.«

»Er verdient's nicht!« knurrte Grüber. »Ich wollt' ich hätt' ihm den Schädel eingeschlagen! Doch ich vergesse dich ganz über dem Allen!« fuhr er fort. »Ueber all' das Elend scheint dich ein gütiges Geschick emporgetragen zu haben!«

»So ist es!« versetzte Heinrich. »Während Mühlhausen überging, war ich ein Gefangener, ein Gefangener meiner Magdalene, die dem armen Heimathlosen ihre freundliche Theilnahme geschenkt. So verschonte mich das Blutgericht, und Herr Perlet Probst nahm mich an Sohneestatt an, als er den einzigen Sohn verloren. Wie das Alles sich verhält, erzähl' ich dir noch ausführlicher Bald darauf schloß ich den Bund mit Magdalene, die ich schon lang im Stillen geliebt, denn wie auch der Strom des Lebens mich dahingerissen, so war doch ihr süßes Bild, das ich nur einmal gesehen, meinem Herzen eingeprägt geblieben. Mein zweiter Vater starb bald, vom Gram daniedergebeugt und auch der freundliche Lehrer meiner Jugend folgte den vorangegangenen Lieben. Wir verließen Mühlhausen und leben hier glücklich in Liebe und Eintracht; Magdalene hat mich mit einem Söhnlein beglückt –«

»Und so lebst du nun mir aller Welt in Frieden!« fiel Grüber nicht ohne Bitterkeit ein. »O es mag ein beneidenswerthes Loos sein, wer nur Geschmack daran findet. Mein Leben ist: ein ewig sturmbewegtes Schiff, ich werde nicht Rast finden, bis der kühle Rasen sich über sie schließt.«

»Und wie ist es dir seitdem ergangen?« fragte nun Heinrich.

»Vom Kampf zu Kampf ward ich verschlagen!« antwortete Grüber. »Ich sah Elend und Jammer genug; die Erinnerung daran macht mir das Herz bluten. Als das ganze deutsche Volk bezwungen war, ging ich zu Herzog Ulrich auf Hohenwiel, wo sich die Tapfersten, die dein Blutbad entronnen, sammelten. Dort blieb ich, bis der nächste Frühling die Knospen trieb. Da erhob sich im Salzburger Lande die Fahne des Aufstands. Mit fröhlichem Herzen zog ich dahin. Aber ach! Die Henker hatten uns nur zu bald überwältigt. Ich floh mit Geismayer, dem kühnen Tyroler, gen Venedig. Wir hatten große Pläne – als Geismayer meuchlerisch erstochen ward. Nun litt mich's auch dort nicht mehr, und ich zog wieder nach Deutschland heim.«

»Ich kenne dein Schicksal nicht,« sagte Heinrich, »aber es muß außerordentlich gewesen sein, daß es dich ein ganzes Leben lang rastlos einen Zweck verfolgen hieß, selbst da, wo der Gedanke, dem du dienst, noch im tiefen Schlummer lag.«

»So lange Knechtschaft ist,« antwortete Grüber, »hat es Männer gegeben, die gegen das harte Joch kämpften. Hast du je vom armen Konrad gehört? Ich war damals ein Jüngling noch, aber ich war einer der Kecksten dieses Bundes. Die Brüder starben durch den Henker; ich war unter den Wenigen, die die Freiheit zu künftigen Kämpfen sich aufgespart.«

»Nun wirst du doch endlich Ruhe finden?« versetzte Heinrich. »Sei mein Gast, wenn du willst, für's ganze Leben.«

Grüber schüttelte den Kopf. »Hab' ich dir nicht gesagt,« sprach er, »daß ich erst Ruhe finden werde, wenn der grüne Rasen mich deckt, oder wenn die Freiheit über ihre Tyrannen siegt? So lange muß ich wandern und wirken!«

»Wie? du wolltest die verlorene Sache noch einmal –« rief Heinrich erstaunt.

»Sie ist nicht verloren!« erwiederte Grüber. »Das Volk ist bezwungen, aber nicht besiegt. Im Herzen lodert die Flamme fort. Die Herren verstanden es nicht, die Wunden zu heilen, sie rissen sie immer weiter mit unbarmherziger Hand. Das Unglück hat Erfahrung gegeben; die Greuel, die geschehen sind, schreien nach Rache. Die Blinden fordern das Licht ihrer Augen wieder, die Waisen rufen nach den gemordeten Vätern. Auf ihren Gräbern sammeln sich Männer in verschwiegener Nacht und klagen sich das Elend, das sie niederbeugt. Münzer's Namen ist noch nicht verklungen; wie auch die Feinde ihn schmähen, tausend Herzen segnen ihn noch. Ich war in Mühlhausen, und hörte, wie sie ihn mit Andacht und scheuer Ehrfurcht nennen und selbst den Feinden ist sein Geist noch ein Schreckbild.«

Die bleiche Frau hörte ihn mit warmer Theilnahme zu.

»So viel Greuel sind geschehen,« fuhr Grüber fort, »daß selbst Luther gesagt hat: Ich habe Beides besorgt, würden die Bauern Herren, so würde der Teufel Abt werden, würden aber solche Tyrannen Herren, so würde seine Mutter Aebtissin werden! – Er hat trefflichen Lohn erhalten für seinen mörderischen Grimm gegen die Bauern. Die Fürsten verfolgen seine Lehre mit Feuer und Schwert.«

»Und doch breitet sie sich immer herrlicher aus!« rief Heinrich. »Kurfürst Johann hat sich mit seinem ganzen Lande offen zu ihr bekannt.«

»Sie wird dann nur erst recht gedeihen, wenn die Freiheit Hand in Hand mit ihr geht!« entgegnete Grüber. »Das hat der edle Meister Thomas wohl gewußt, und sie haben ihn dafür geketzert und seinen Namen befleckt. Sie haben einen edlen Mann ermordet! Es können Jahrhunderte vergehen, eh' ein gleicher Geist ersteht!«

»Wie freut mich das Lob aus Eurem Munde!« sagte Marie. »Die Welt hat ihn verkannt, und ich selbst war oft schwach genug, ihn nicht zu begreifen! Er war gewiß ein edler Mann!«

»Und dies ist sein Sohn!« fuhr Grüber fort und hob den Knaben an seine Brust. »Ja, aus diesen dunklen Augen leuchtet ein Strahl seines Geistes. Gott segne dich und erwecke in dir den Rächer!«

Marie riß mit Hast den Knaben an sich. »Nein, nein, wilder Mann!« rief sie. »Gott wird ihn rächen, ist er schuldlos gestorben! Meinem Knaben sollt Ihr den kindlichen Frieden lassen!«

Ein Lächeln glitt über Grüber's Lippen. »Noch einen Bekannten von dir hab' ich getroffen!« wandte er sich zu Heinrich, »den Grafen Ernst.«

»Wo befindet er sich?«

»Im Grabe. Man fand ihn eines Tages erstochen in seinem Blute. Die Eifersucht soll den Dolch gegen ihn geschliffen haben!«

»Sei ihm die Erde leicht, ich hab' ihm längst vergeben. Ohne ihn hätt' ich dies Glück ja nicht gefunden!« Er schlang den Arm um die lieblich erröthende Magdalene. »Schau' ich in mein vergangenes Leben zurück, so muß ich lächeln über den Traum, dem ich nachjagte. Nun aber bin ich zur Erkenntnis gekommen. Ich habe die wahre Idee der Freiheit gefunden! Kein Joch ist so stark, daß es den freien Geist niederzudrücken vermöchte; über alle Trübsal schwingt er sich empor, und nur den Leib vermögen die Ketten der Knechtschaft an den Staub zu fesseln. Einst aber werden auch diese Ketten fallen. Die Freiheit wird kein Vorrecht mehr sein, sondern ein edles Gemeingut. Die Fürsten werden den Geist anerkennen müssen, für den Münzer und all' die Tausende gefallen; dann wird sein Name nicht mehr geschmäht werden, und die Völker, denen er den Weg bereitete, werden einen Kranz auf seinen Grabhügel legen. Eine schöne, eine bessere Zukunft wird aus der blutigen Saat erblühen!« –

 

Ende

 


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