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III.

Die Nacht breitete ihre dunklen Schatten über die volkreiche Stadt, als Heinrich durch die finstern Corridore des Johanniterhofs schritt. Er trug vor sich eine kleine Laterne, die ein fahles Licht auf den Estrich warf; seine Schritte hallten gespenstisch an den Wänden wieder. Endlich blieb er vor einer abgelegenen Thür stehen. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, die Thür knarrte in den Angeln, und Heinrich trat in eine enge Zelle, deren einziger Fenster durch ein starkes Eisengitter verschlossen war. Das Licht der Laterne fiel auf eine menschliche Gestalt, die auf einem Lager ausgestreckt lag und in tiefen Schlaf versunken schien. Heinrich trat hinzu und schüttelte den Gefangenen. Dieser fuhr mit einem lauten Schrei empor und starrte in das Gesicht des späten Gastes. Die Erkennung schien aber keine freundliche zu sein. »Kommst du, mich zu morden?« sagte der Gefangene dumpf.

»Pfui, Ernst!« erwiederte Heinrich. »Ich habe nie zum Mörder Beruf in mir gefühlt.«

»So kommst du, mich zu quälen durch Vorwürfe und Racheschwüre;« entgegnete jener. »Du bist ein grausamer Henker. »Gönne mir wenigstens die Ruhe der Nacht, da du und dein Gelichter mir die Tage vergiftet!«

»Du hast mich hart und schwer beleidigt; entgegnete Heinrich. »Und wär' ich das, wofür du mich hältst, so wär' ich es mit gutem Grund.«

»Was willst du denn?« rief Ernst ungeduldig. »Willst du mich vor ein Gericht schleppen, das seine Greuelthaten in der Nacht halten muß?« '

»Das Alles will ich nicht;« sagte Heinrich, »sondern ich will dich retten, dich befreien.«

Mit einem Satz stand der junge Graf vor dem Jüngling. »Freiheit!« rief er und der Gedanke schien ihn trunken zu machen. »Und du willst mir diese Freiheit geben? Du – du?«

»Ich will sie dir geben, denn ich vermag es allein!« versetzte Heinrich. »Ich weiß nicht, ob der morgende Tag nicht schon den Tod bringt. Darum säume nicht, sondern folge mir!«

»Mensch, du willst mir die Freiheit geben?« wiederholte der Graf wie zweifelnd. »Was könnte dich bewegen, der du mich vor Allen hassen mußt?«

Heinrich sah ihn groß an. »Weißt du denn, ob ich aufhöre, dich zu hassen?« sprach er. »Ich will deinen Tod nicht! Was könnte er mir frommen? Er macht doch das Geschehene nicht ungeschehen. Du tratst die Menschheit in mir mit Füßen, die Menschheit wird es rächen. Ich gebe die Rache in ihre Hände!«

»Ja, ich habe Vieles an dir verbrochen!« sprach Ernst vor sich hin. »Aber ich liebte sie so sehr! Warum mußtest auch du sie lieben, für die ich Alles gegeben hätte?«

»Da spricht der alte Dünkel wieder aus dir!« antwortete Heinrich. »Der Arme darf Alles besitzen, wonach Ihr kein Verlangen tragt, doch weh' ihm, haben seine Wünsche dasselbe Ziel, als das Eure. Dann fragt Ihr nicht, ob sein Besitzthum älter; er muß weichen vor Euch von Gott bevorzugten Herren. Hast du durch's Unglück nicht gelernt, daß auch der Niedrige Euch Euer stolzes Vorrecht entreißen kann? Ich habe bittere Thränen um jenes Weib geweint; aber ich war ein Thor, daß ich's that. Sie verdiente nicht die Liebe einer treuen Brust; sie hätte mich sonst nicht herzlos verstoßen. Ich beneide dich nicht; liebe sie und sei glücklich in ihren Armen!«

»Wohl war sie's nicht werth;« sagte der Graf eintönig. »Für meine Liebe gab sie Kälte und verließ den Hof, ohne mir Lebewohl zu sagen!«

»Eine kleine Rache für Margareth!« versetzte Heinrich. »Nun aber kommt, Herr Graf. Die Minuten sind Goldes werth.«

Ernst warf keinen Blick mehr zurück in seine Zelle; mit raschen Schritten folgte er seinem Führer; den schläfrigen Wachen am Eingang gab Heinrich die Losung und sie ließen die Beiden ungehindert ziehen. Heinrich schlug seinen Weg durch mehrere enge Seitengäßchen ein und stand endlich an einem abgelegenen Theil der Stadtmauer. Ernst mußte sich die Augen verbinden lassen, bald aber fühlte er an dem frischen Luftzug, der ihm entgegenwehte, daß er im Freien war. Nun löste Heinrich die Binde. »Du bist frei;« sprach er. »Ziehe, wohin du willst! Der Herr geleite dich!«

Ernst faßte seine Hand. »Heinrich,« sprach er herzlich, »vergieb' mir!«

»Erkennst du dein Unrecht, so mag es sein!« antwortete Heinrich. »Zieh' hin, ich trage dir nichts Arges nach!«

»Heinrich!« fuhr der Graf fort. »Man wird dich zur Rechenschaft ziehen über meine Flucht. Ziehe mit mir! Ich will als ein Bruder an dir handeln!«

»Dort ist mein Platz!« entgegnete jener entschlossen. »Gott geleite dich!«

Der Graf verschwand in der Nacht, und Heinrich nahm seinen Weg zurück, überkletterte Wall und Graben und schlüpfte durch ein enges verstecktes Pförtchen, das durch die Mauer führte. Er dachte nicht an den Zorn des Vaters, dem er den Gegenstand seiner Rache entführt; er war zufrieden mit sich selbst, denn er hatte eine gute That vollbracht! –

Pfeifer war auf's Heftigste erzürnt, als er Ernst's Flucht erfuhr. Er schwur die Theilnehmer hart zu bestrafen und rief nach Heinrich, um mit seiner Hülfe die Sache zu untersuchen. Daß Heinrich selbst der Thäter sei, fiel ihm nicht ein, denn da sein Rachedurst ohne Grenzen war, so glaubte er den Jüngling von ähnlichem Geiste beseelt. Die Wachen am Johanniterhof wußten nur von zwei Männern, die auf ihr Anrufen die Losung gegeben; sie hatten beide nicht erkannt und sich auch nicht weiter um sie bekümmert. Pfeifer schloß daraus, daß der Thäter aus seiner nächsten Umgebung sein müsse. Da kam ihm ein seltsamer Gedanke, den er zu verfolgen beschloß. Wie, wenn Mariens Theilnahme für den ehemaligen Jugendgespielen so groß gewesen wäre, daß sie die That vollbracht? So seltsam ihm anfangs dieser blitzartig aufsteigende Gedanke erschien, um so mehr schien er doch Halt und Bedeutung zu gewinnen, je länger er sich mit ihm beschäftigte. Er wollte jedoch mit List zu Werke gehen, um eher zu seinem Zweck zu kommen.

Anscheinend heiter trat er in Mariens Gemach; er fand die junge Frau mit verweinten Augen und in seinem Herzen regte sich das Mitleid für dies sein Lieblingskind. Er hätte ihr in diesem Augenblicke Alles vergeben können. »Gott tröste dich, armes Kind!« sprach er zärtlich. »Es hat uns ein schweres Leid getroffen!«

Marie antwortete nur durch Thränen.

»Der Tag von Frankenhausen fordert blutige Rache,« fuhr er fort; »ich hatte ein Sühnopfer aufgespart – es ist entflohen.«

Marie wurde aufmerksam. Pfeifer bemerkte dies und fuhr fort: »Doch bedenk' ich's recht, so möcht' ich dem Himmel danken, daß der junge Graf gerettet!«

»Dank' ihm, der dich vor einem Verbrechen bewahrt!« rief Marie warm.

»Ihr habt wohl lange über den Plan gebrütet, sagte er ausforschend, im Tone des Scherzes, wie Ihr den Alten betrüget, der an das gräfliche Blut wollte?«

»Hatt' ich denn Zeit, an Andres zu denken, als an meinen Schmerz?« antwortete Marie arglos. »Heinrich that's aus eignem Antrieb und heut erst hat er mir's vertraut.«

Pfeifer's Antlitz wurde furchtbar ernst. »Heinrich?!« rief er wild. »Heinrich ist der Verräther! Fluch über den Bastard!«

Marie sah ihn erschrocken an. »Du zürnst ihm darum?« sprach sie. »Glaube mir nicht, ich redete Lüge! Heinrich ist unschuldig!«

»Die Natur log, als sie das Guckucksei mir in's Nest schob!« knirschte Pfeifer. »Aber ich will es zertreten, ich will diese falsche Ader aus seinem Herzen reißen! Er selbst soll den Grafen ersetzen!«

»Um Gottes Barmherzigkeit, was willst du thun?« rief Marie. »Du willst wüthen gegen das eigne Bluth?«

»Das eigne Bluth« lachte Pfeifer in sich hinein. Kein Tropfen meines Blutes ist in seinen Adern!

Frage nur den alten Pater, vielleicht vertraut er dir, was er mir verschweigt!«

»Thomasius?« fragte Marie erstaunt. »Jetzt erst denk' ich an seine Worte von dem Geheimnis, das über ihn walte, an die Blätter, die Heinrich vom Tode retten sollen.

»Blätter?« rief Pfeifer. »Gieb sie her! Können sie ihn retten, so sind sie ihm fürwahr Noth!«

Marie zögerte. »Gieb sie her!« befahl Pfeifer.

»Versprichst du ihm Vergebung?« drängte Marie.

»Er soll straflos ausgehen!« versprach Pfeifer; der in den Blättern die Lösung des Geheimnisses vermuthete, das ihn solang und furchtbar gequält. Marie gab ihm mit zitternder Hand das kleine Päckchen. Pfeifer riß es auf, mehrere beschriebene Blätter fielen heraus.

»Lies!« befahl Pfeifer, die Blätter vor der jungen Frau ausbreitend. Marie las und Pfeifer hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

»Nachdem ich lange,« lautete das Manuscript, »zu meinem himmlischen Vater gebetet, daß er mich des Geheimnisses entbinden möge, das seit vielen Jahren wie ein Alp auf meiner Seele lastet, ist es wie göttliche Erleuchtung über mich gekommen, daß ich es in geschriebenen Worten ausspreche, und ich bitte nur noch Gott, daß er es also fügen möge, daß nach meinem Tode das Siegel gelöst werde. Der Eid, den ich leistete, war sündlich; es ist böse Frucht daraus entstanden, und noch sündlicher war die That, zu der ich schwieg und mich gebrauchen ließ. Ich bereue sie herzlich und bitte Gott Tag und Nacht, mir in vergeben. Der Graf, dessen Caplan ich war, war ein harter Mann; das empfand auch seine fromme Gattin schwer. Er behandelte sie rauh, da sie ihm keinen Erben gebar, und oft hatte sie in heißen Thränen auf den Knieen gelegen und Gott angefleht, ihren Schooß zu segnen. Wie fühlte ich innig Mitleid mit dem armen Weibe, und wie freute ich mich mit ihr, als der Herr ihr Gebet erhört und ihr Mutterhoffnungen geschenkt hatte! Nun ward der Graf milder und sie blühte auf in seiner Liebe. Der Graf war entritten, als die schwere Stande kam; die Gräfin genaß eines Söhnleins, das aber gar schwach war und wenig Hoffnungen zum Leben gab. Sie seufzte schwer, als sie das schwächliche Kindlein sah, denn sie dachte der Leiden, die ihr nun wieder warteten, wenn das Knäblein des Todes verblich. Die Wehemutter aber war eine listige, verschlagene Frau. Sie brütete den Plan aus, der mein Gewissen bisher vergiftet hat. Es hatte sich begeben, daß an demselben Tage die Frau eines armen Bauern eines Knäbleins genesen war. »Frau Gräfin,« sprach sie, »wollen wir heimlich die Kindlein tauschen, und wenn Euer Gemahl heim kommt, findet er einen gesunden und starken Erben.« Die Gräfin weigerte sich, die Frau redete ihr zu und endlich schwankend fragte sie mich, was ich dazu meine. Ich war damals befangen in Schwachheit und Mitleid für die arme Mutter und gab den Rath, die Täuschung zu unternehmen; denn ich dachte: der arme Bauer wird den Verlust leicht verschmerzen und sein eignes Kind, das sonst dem Elend der Armuth entgegengehen würde, wird glücklich werden durch die Fälschung So nahm die Wehmutter das schwächliche Kind in ihren dichten Mantel und schritt damit nach der Hütte des Bauern, und die Täuschung ward vollbracht. Gott hat aber Wunder gethan, denn beide Kinder wuchsen lustig empor, und das Knäblein, dessen Tod wir fürchteten ward schier kräftiger, denn das andere. Ich zog mich nach dieser Zeit in mein Kloster zurück und hütete beide Knaben, wie meine Augen. Die Reue kam über mich. Der junge Graf wuchs in der Bauernhütte auf und der Bauernsohn auf dem Grafenschloß. Am Sterbebette der Bäuerin beichtete ich das Geheimnis, das allein noch in meinem Besitz war, denn nicht nur die Wehemutter, sondern auch die Gräfin waren des Todes verblichen. Die Bäuerin legte mir Schweigen auf und ich gelobte, es, um nicht Unfrieden und Verwirrung zu stiften. Und da sie's selbst ihrem Manne entdecken wollte, unterbrach sie der Tod, was mir ein Wink Gottes schien. So bewahrte ich es denn in tiefster Brust, wenn es mir auch schwer genug wurde; denn der Bauer hegte schlimmen Argwohn gegen seine heimgegangene Gattin, die doch rein war, wie das Sonnenlicht. Jene Bäuerin aber war mein eignes verlornes Kind, und ich sah den Enkel als Erben eines Grafenthrons, was meinem sündlichen Stolz schmeichelte. Aber böse Früchte sind daraus erwachsen; ich sah den Vater wüthen gegen den Sohn und den Sohn gegen den Vater. Dies Alles ist die Frucht meiner Schwachheit, und ich büße sie schwer. Möge der Herr mir vergeben und schlimmes Unheil verhüten!« –

Pfeifer hatte dieser Erzählung schweigend zugehört. Jetzt erst entschlüpfte ihm der schmerzliche Ausruf: »Mein armes Weib!« Marie wußte nicht, oh sie träume oder wache, Alles kreiste verworren vor ihrem Blick. Sie vermochte es nicht zu denken, daß der, den sie so lange als Bruder geliebt, ein Fremdling sein solle. Plötzlich lachte Pfeifer laut auf, doch dies Lachen schnitt bis in die Seele. »So hab' ich ja doch noch Grafenblut, um es zu vergießen!« rief er. »O wie wird es dem alten Tyrannen an's Herz greifen, wenn ich ihm diese Urkunde in's Gesicht schleudere!«

»Schrecklicher!« sagte Marie entsetzt. »Weißt du denn, ob nicht dies Alles erlogen ist?«

»Es ist nicht erlogen!« antwortete Pfeifer. »Du aber bewahre das Geheimnis. Das erste Wort, das du Heinrich entdeckst, ist ein Todesurtheil!«

Er raffte die Blätter zusammen und verließ die Tochter in einem Zustande, der sich nicht beschreiben läßt. –


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