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II.

»Herr, erbarmt Euch und gebt einer kranken Frau den letzten Trost!« so hörte sich Pater Thomasius plötzlich angeredet und eine weiche Hand ergriff seinen Arm. Thomasius wandte sich um und sah in die edlen Züge eines ernsten Mädchenantlitzes, das bittend zu ihm aufschaute. »Gerne, meine Tochter,« antwortete der Greis; »führe mich zu der Leidenden.« Und er folgte dem Mädchen in ein großes alterthümliches Haus, das mannichfaltige Erinnerungen in ihm zu erwecken schien.

In ihrem halbdunklen Gemach lag Mutter Mechtild; die Fenster waren verhängt, damit das Licht nicht also blendend auf die Kranke hereinströme. Herr Perlet Probst stand zu Häupten des Lagers. Es war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen, der Schmerz hatte ihn in wenigen Tagen mehr gealtert, als lange Jahre vermocht; seine Gestalt war gebeugt, über seine Wangen rollten Zähren.

»Die Vergeltung kommt!« flüsterte die Kranke, wie zu sich selbst sprechend; »Schmerz gebiert Schmerz. Jammer wird mit Jammer bezahlt!«

»Vergieb mir, Schwester!« sagte der Patricier, sich zu ihr niederbeugend. »Wohl war ich hart und grausam gegen dich, aber ich hab' es bereut, bitter bereut! Und es ist mir auch vergolten worden! Der Sohn tritt den Stolz meines Geschlechts mit Füßen, dem ich dich geopfert!«

Die Kranke sah ihn an mit einem starren Blick, vor dem der Greis zurückbebte. »Mann,« rief sie ihm zu, »weißt du denn, ob du noch einen Sohn hast?«

»Schwester, um Gottes Barmherzigkeit willen!« rief jener entsetzt, ihre Hand umschlingend.

»Ich sehe Blut, Blut!« fuhr Mutter Mechtild, wie in sich selbst versunken, fort. »Es überströmt unsere Schwelle, es steigt zu dir heran, bis an dein Herz!«

Der Greis sah starr vor sich nieder. »Schwester,« fuhr er dann bittend fort, »fluche mir nicht, beschwöre nicht die Rachegeister auf mein schuldiges Haupt!«

»Gieb mir ihn wieder, den Bräutigam, dem ich mich verlobt in stiller Nacht!« rief die Kranke im Tone bittern Schmerzes; dann strahlte plötzlich ihr Gesicht wie verklärt, sie richtete sich mit halbem Körper empor und breitete die Arme nach der Thür. »Er kommt, er kommt!« jubelte sie. »Ich seh' ihn! Der Bräutigam naht! Bruder, ich fluche dir nicht, ich vergebe dir! Gottwald!« Sie sank zurück und schloß lächelnd die Augen, sie schien zu schlummern.

Pater Thomasius war unterdeß mit seiner Führerin eingetreten; er hatte den Namen Gottwald vernommen, und dieser Laut schien ihn auf die Stelle zu bannen, wo er stand. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Herr Perlet wurde dadurch aufmerksam auf ihn. »Ehrwürdiger Herr,« sprach er; »diese Kranke bedarf Eures christlichen Zuspruchs. Spendet ihr den Trost der heiligen Kirche; ich fürchte, Ihr spendet ihn einer Sterbenden.«

Da trat Thomasius näher, warf sich neben dem Lager auf die Kniee, ergriff die Hand der Sterbenden, seine Thränen strömten darüber und sein Mund stammelte ihren Namen.

»Wer seid Ihr, Herr?« fragte Perlet überrascht.

Mechtild aber hatte sich wieder aufgerichtet »Gottwald!« rief sie und schaute selig lächelnd in das greise Antlitz des Mönchs.

»Ja, ich bin's, mein geliebtes Weib!« antwortete Thomasius. »Ich bin's, den sie grausam von deiner Brust gerissen und in die finstern Klostermauern gestoßen! O selig bin ich, daß ich dich noch gesehen, ehe dieser müde Leib in die Grube sinkt, selig, daß ich deine Hand noch fassen kann, ehe der Tod uns scheidet!«

»Geliebter Freund,« flüsterte Mechtild mit stillem Lächeln, »du hast lang auf dich warten lassen, ach, so lang! Aber ich wußte, daß du kommen würdest, dein Weib in's Brautbett zu führen. Ach, wir waren doch glücklich!«

»Und fragst du nicht nach unserem Kind?« sagte der Mönch weich. »Ich hab' es gesehen, ich hab' ihm die Augen zugedrückt. Es ist uns vorangegangen.«

»Wir werden es wiederfinden!« versetzte Mechtild mit geisterhaftem Blick. »Gottwald, küsse deine Braut!«

Thomasius umfing sie sanft und drückte seinen Mund auf ihre Lippen. Ihr Hauch berührte noch einmal seine Wangen, sie sank zurück, sie war todt. – Thomasius betete still, seine Thränen flossen. Kein Laut regte sich in dem Gemach. Magdalene lag betend auf den Knieen, Herr Perlet hatte stumm die Hände gefaltet.

Endlich erhob sich der Greis. Herr Perlet ergriff seine Hand. »Könnt auch Ihr mir vergeben,« sprach er weich, »wie diese Selige mir vergeben?«

»Christus vergab seinen Mördern am Kreuz,« antwortete Thomasius. »Ich vergeb' Euch gern das Leid, das ich erduldet, hat diese verklärte Dulderin Euch vergeben.«

»Ihr spracht von Eurem Kind,« fuhr jener fort; »so ist es auch dahingegangen?«

»Es starb als das Weib eines armen Mannes;« antwortete der Mönch.

287

»Und lebt kein Enkel, dem ich vergelten könnte?« fragte Probst weiter.

»Ihr wolltet?« rief Thomasius warm. »Ich werd' Euch an Euer Wort erinnern, wenn es Noth sein sollte! Wer Euch diesen Ring bringt, den ich von Mechtild einst empfing, der ist es, den Ihr als Enkel dieser Todten aufnehmen möget.« –

Auf den Straßen war es unterdes lebhafter geworden. Hier und da standen Menschengruppen zusammen und unterhielten sich mit Eifer. Ein geheimnisvolles Gerücht von einer großen Schlacht, die geschlagen worden sei, lief von Mund zu Munde, aber Niemand wußte auch, ob die Bauern die Schlacht gewonnen oder verloren. Vielleicht war es nur eine ausgesprochene Vermuthung oder die Erfindung einet müßigen Kopfs; was es aber auch sein mochte, es beschäftigte die Theilnahme, die Neugier und die Besorgniß der Mühlhäuser in hohem Grade.

Einer wollte gehört haben, die Bauern seien völlig aufgerieben; der Andere behauptete das Gegentheil, das Heer der verbündeten Fürsten sei zerstreut, der Kurfürst von Sachsen gefangen. Man stritt hin und her, traf aber endlich in einem Punct zusammen, was denn zu thun sei, wenn das Schlimmste eingetroffen. Hier gab es noch weniger Uebereinstimmung. Die Einen wollten das, die Andern das, die Einen Kampf, die Andern Ergebung, Viele schlichen still nach Hause, in der Absicht, sich von allen öffentlichen Angelegenheiten zurückzuziehen und so in christlicher Demuth zu erwarten, daß der bittere Kelch wenigstens vor ihnen vorübergehen möge.

Der Abend brach herein, als ein einzelner Reiter durch das Thor sprengte. Sein Roß war halbgeschirrt und schaumbedeckt; der Reiter selbst trug alle Spuren der höchsten Anstrengung. Sein Kleid war zerrissen, sein Gesicht von Blut unterlaufen, ja selbst an seinem Gewande sah man Blutspuren, welche der Staub, der darauf lagerte, nicht ganz verbergen konnte.

»Junker Woldemar!« rief hier und da ein Bürger. »Sagt an,« rief es dem Eilenden nach, »wie ist die Schlacht ausgefallen?«

Er gab keine Antwort, sondern sprengte gestreckten Laufes nach dem Johanniterhof. Dies Schweigen nahm man als schlimme Bedeutung. Hätten die Bauern gesiegt, so hätt' es der Junker gewiß jubelnd verkündet. Bald hatten sich nun die widersprechenden Gerüchte dahin vereinigt, daß die Bauern völlig auf's Haupt geschlagen seien. Dies Gerücht erhielt Bestätigung durch die Anordnungen, die Pfeifer alsbald nach Empfang der Nachricht traf. Die Thore wurden geschlossen und verrammelt, die Posten doppelt besetzt und den Bürgern befohlen, unter den Waffen zu bleiben, da der Angriff der Fürsten stündlich zu erwarten sei.

Als Woldemar Pfeifer berichtet hatte, was er selbst von dem Ausgang der Schlacht wußte, eilte er nach dem väterlichen Hause und trat in das Sterbezimmer, als die beiden Greise und Magdalene noch am Bette der Verschiedenen standen. Der Vater eilte ihm mit einem Ausruf der Freude entgegen, schrak aber zurück vor dem verstörten Aussehen des Jünglings. »Welche Kunde bringst du?« fragte er.

»Schlimme,« antworten der Jüngling, »wenn auch nicht schlimm für Euer Ohr.«

»Die Bauern sind geschlagen?« fragte jener erwartungsvoll.

»Nicht geschlagen, sondern geschlachtet!« versetzte der Jüngling. »O was hab' ich erleben müssen! Zwietracht und Zaghaftigkeit, Treubruch und Mordgier! Ja, diese hochgelobten Fürsten, sie brachen den Stillstand, den sie selbst gegeben, und fielen wie blutdürstige Wölfe über die Wehrlosen, die sich dahinschlachten ließen gleich Lämmern!«

»Da siehst du nun die Früchte deines Phantasiebildes das Freiheit heißt!« sagte Herr Perlet mit einem leisen Vorwurf.

»O die Freiheit ist gut, wenn sie nur bessere Kämpfer hatte!« seufzte der Jüngling.

»Und dennoch hast du dich bestechen lassen durch jenen Münzer.« –

»Ihn schelte nicht!« rief Woldemar warm. »Alle Kraft seiner Rede bot er auf, die Feigen zu ermuthigen, die Schwachen zu begeistern. Verrath und Zwietracht traten ihm entgegen, und er erdrückte sie beide mit starkem Arm.«

»Was ist aus ihm geworden?« fragte der Mönch.

»Ich weiß es nicht!« war die Antwort. »Die Flucht riß ihn mit fort. Gebe Gott, daß er einen ehrlichen Kriegertod gefunden!«

»Und du?« fragte der Vater.

»Ich habe feiger Flucht mich nicht in schämen;« entgegnete Woldemar. »Mit wenig Tapfern hatt' ich mich durchgeschlagen, als Alles schon verloren war. Ein Haufen Reiter setzte uns nach; wir fochten kühn und mannhaft, es galt das Leben. Aber einer der Brüder um den andern sank, ein Schwert sauste nieder auf mein Haupt – ich fiel. Als ich wieder zum Leben erwachte, war Alles still um mich, der Himmel lächelte so blau hernieder, als habe er nie diese blutigen Greuel beschienen. Um mich lagen die Kameraden kalt und todt. Ich allein lebte – das feindliche Schwert hatte mich nicht scharf getroffen, hatte mich nur betäubt. Ich dacht' an Euch, Vater, und erhob mich zur Flucht. Mein Kopf brannte, aber ich achtete dessen nicht; ich warf mich in die Wälder. Dort fand ich ein lediges Pferd, das einem erschlagenen Reisigen gehört haben mag. Ich schwang mich auf, und so bin ich hier, um der Verkündiger einer Trauerbotschaft zu sein!«

»Und du bist nicht verwundet, Woldemar?« fragte Magdalene.

»O vergieb, daß ich dich nicht begrüßt;« sprach Woldemar herzlich. »Tausend Dank für deine liebende Sorge, ich bin nur wund an der Seele.«

»Vergiß das böse Geschick!« ermahnte der Vater. »Ich habe dich wieder, und das ist mir genug! Nun will ich dich nicht mehr aus den Armen lassen, bis bessere Zeiten kommen!«

»Die Stadt bedarf nun meines Armes,« erwiederte der Jüngling. »Ihr darf ich mich vor Allem nicht entziehen. Die Fürsten werden nicht säumen, ihren wohlfeilen Sieg zu verfolgen. Diese Stadt aber sollen sie nur über unsern Leichen betreten!«

»Lebt wohl!« sagte Thomasius, Herrn Perlet die Hand reichend. »Es dürfte kommen, daß ich Euch bald den Ring sende!« Er ging, nachdem er noch einmal die bleichen Lippen der Todten geküßt.

»Was bedeutet das Alles? Wer ist der Mann?« fragte Woldemar.

»Ein Schuldner,« antwortete der Vater, »ein Schuldner, den ich lange Jahre vergessen. Du sollst Alles, Alles wissen, mein Sohn!« –

Pfeifer bot alle Kräfte auf, die Stadt in Vertheidigungszustand zu setzen, aber er traf bei den Bürgern nur zu oft auf Lauheit und Mißmuth; er hörte schon ein geheimnißvolles Flüstern, ob es nicht besser sei, die Stadt den Fürsten auf Gnad' und Ungnade zu übergeben, als einer so ansehnlichen Macht nutzlosen Widerstand zu leisten. Er besichtigte selbst die Posten und Vertheidigungsgewerke und war unermüdet thätig, den Muth der noch Unerschrockenen aufrecht zu erhalten.

Es war am frühsten Morgen, als ein Reiter mit seinem Knecht am äußersten Thore hielt und Einlaß begehrte; er schwenkte ein weißes Tuch, zum Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme. Die Sache wurde an Pfeifer gemeldet, und dieser stieg selbst auf die Mauer, um mit ihm zu unterhandeln. Ein unheimliches Feuer brannte aus seinen Augen, als er den fremden Ritter erkannte, er ahnte wohl, was er suche, und gab Befehl, ihn nach den nöthigen Vorsichtsmaßregeln einzulassen.

Pfeifer befand sich eben in Mitten mehrerer Getreuen und theilte Befehle und Vorschriften aus, als der fremde Ritter vor ihn geführt wurde. Auf einen Wink von ihm blieben jene. »Was begehre Ihr, Herr Graf?« fragte Pfeifer rauh.

Der Graf sah bewundert in das Antlitz des Mannes, und eine Aehnlichkeit schien in seiner Erinnerung aufzudämmern, die er doch nicht recht zu greifen wußte. »Wenn Ihr Pfeifer seid,« sagte er mit einem Seitenblick auf die Uebrigen, »so hab' ich mit Euch zu sprechen.«

»Sprecht immerhin,« entgegnete Pfeifer, »ich wüßte nicht, daß Geheimnisse zwischen uns walteten.« Die letzten Worte sprach er mit finsterem Lächeln und einem funkelnden Blick seiner Augen.

»Mein Sohn ist in Eure Hände gefallen,« sagte der Graf darauf; »ich komme ihn zu lösen.«

»Er ist mir nicht feil« antwortete Pfeifer gleichmüthig.

»Heiliger Gott!« rief der Graf entsetzt. »Mann, was wollt Ihr damit sagen? Ihr habt ihn doch nicht ermordet?«

»Wählt Eure Worte etwas klüger, gestrenger Herr Graf!« entgegnete Pfeifer. »Habt Ihr und Eures Gleichen die Unglücklichen ermordet, deren Ihr handhaft werdet?«

»Er ist todt?!« rief der Graf.

»Noch ist er's nicht!« antwortete Pfeifer.

»Gott sei gelobt! O gebt ihn mir, gebt dem alten gebeugten Vater den einzigen Sohn! Ich geb' Euch Lösegeld, so viel Ihr begehrt; nehmt meine ganze Habe, nehmt mich selbst für ihn!«

»Ich sagt' Euch, er ist mir nicht feil« erwiederte jener.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, was wollt Ihr mit ihm beginnen?«

»Er ward mit den Waffen in der Hand ergriffen. Fragt Euch selbst, was das Kriegsrecht heischt!«

»Ritterliche Gefangenschaft bis zur Lösung;« antworte der Graf.

»Uebt Ihr diese Menschlichkeit gegen die Unseren?« lachte Pfeifer. »O nein, Ihr schlachtet sie dahin, wie wilde Tiere! Ihr werdet sagen: es sind nur Bauern, Rebellen, die man behandeln muß, wie tolle Hunde! Ihr haltet das Blut in unsern Adern für einen schlechten Saft, der nur tauglich ist, die Erde zu düngen. Hoho, wir wollen sehen, wie sich Euer adeliges Blut von schlichtem Bauernblut unterscheidet!«

»Die furchtbarste Rache würde Euch treffen, begingt Ihr solchen Frevel!« sagte der Graf. »Jeder Blutstropfen, den Ihr vergießt, fällt als Centnergewicht in die Wagschale Eurer Schuld. Bedenkt wohl, daß Ihr der Gnade bedürft.«

»Ihr wollt mich wohl fürchten machen?« spottete Pfeifer.

»Spottet nicht!« antwortete der Graf. »Das Schwert hangt über Eurem Haupte. Fünftausend Rebellen liegen bei Frankenhausen erschlagen, und Euer Herr und Meister liegt in Ketten.«

»Desto schlimmer für Euch!« knirschte Pfeifer. »Das Blut der Erschlagenen fordert ein Sühnopfer; und dies Opfer ist ein Sandkorn gegen so viel Tausende!«

»Gedenke deines Vortheils!« drängte der Graf. »Denke, daß du vielleicht dein eigenes Leben mit dem Blute meines Sohnes lösen kannst! Ich will dir Vergebung auswirken, Leben, Freiheit!«

»Wie gütig Ihr doch seid!« höhnte Pfeifer. »Ich hörte, Ihr wäret ein harter, grausamer Mann, den es selbst nicht erbarmte, wenn ein schuldloses Weib zu Euren Füßen um Gnade flehte für die kleine Schuld des Gatten; ich hörte, Ihr verachtetet den Bauer und stellt ihn den Hunden gleich; und nun seh' ich mit eignen Augen, daß Ihr ein milder, gnädiger Herr seid! Ich aber will Eure Gnade nicht!« Er hatte sich auf sein mächtiges Schwert gestützt und ließ die wildrollenden Augen durchdringend auf den Grafen ruhen.

»Müßt Ihr Blut trinken, entsetzlicher Mann,« sagte dieser, »so nehmt das meine, und schont meines Sohnes.«

»Ha, Ihr fürchtet, Euer alter Stammbaum werde verdorren,« lachte Pfeifer, »wenn ich diesen letzten Sproß abhacke! Ihr habt selbst die Schuld, wenn es also geschieht. Euer Sohn war auf das Fortblühen Eures Stammes bedacht; Ihr wolltet das junge Reis nicht hegen und pflegen, und nun liegt es unter den Trümmern Eurer Burg begraben. Geht, alter Mann, es wäre Sünde, Euch den kurzen Lebensfaden abzuschneiden!«

»Hat dich denn keine Mutter gesäugt?« rief der Graf in Verzweiflung. »Hast du nie das heilige Gefühl der Vaterliebe geahnt, trägst du kein Herz in dieser Brust von Stahl?«

»Denkst du daran?" lachte Pfeifer. »Du und deines Gleichen sprechen doch sonst dem Bauer das Menschenrecht ab, halten sein Herz für nichts als einen Klumpen Fleisch, den sie zur Noth ihren Hunden vorwerfen dürfen. Ihr sorgt ja dafür, daß der Säugling mit der Muttermilch zugleich das Gefühl seines Elends, den Haß gegen seine Tyrannen trinkt! Ihr selbst habt kein menschlich Erbarmen und fordert es vom Bauer! Wie thörigt!«

Mehr aus dem Ton noch, nie aus den Worten, sprach ein so tiefverwurzelter Haß, daß dem Grafen schauderte. »Gieb mir den Sohn zurück!« rief er bittend.

»Nein!« antwortete jener rauh.

»Hab' Erbarmen!« fuhr der Graf fort und sank auf die Kniee. »Hast du je ein Kind geküßt, hat je ein Funken Liebe in deiner Brust geglüht, so hab' Erbarmen mit dem tiefverwundeten Vaterherzen, das verbluten wird durch dich! Sieh ', ich beuge meine Kniee vor dir, die sich noch nie gebeugt, ich flehe zu dir: so wie du Vergebung deiner Sünden hoffst, diesseits und jenseits, so habe Mitleid mit meinem grauen Haar und gieb mir den Sohn!«

Pfeifer's Augen flammten auf in wilder Lust. Seine Brust hob sich stolz; aus seinem Lächeln leuchtete die gesättigte Rache, die Rache für all' die Schmach, die sein Geschlecht während langer Jahrhunderte bittrer Knechtschaft erduldet. Das gedrückte, geknechtete Volk feierte in diesem Augenblick seinen stolzesten Sieg über seine Henker. »Ja, die Rache ist süß!« sprach Pfeifer vor sich hin. »So lag auch ich einst auf den Knieen vor einem stolzen, strengen Herrn. Auch ich beschwor ihn bei Allem, was heilig ist im Himmel und auf Erden! Und wollt Ihr wissen, was er antwortete? Er trat mit dem Fuße nach mir und sprach: »Fort, du Hund!« und befahl seinen Knechten, mich zu schlagen. Damals schwur ich Rache, ewige Rache! – Geh', alter Mann! Lehre mich erst vergessen und dann komme wieder!«

Er wandte sich von ihm ab. Der Graf erhob sich. »Der Fluch Gottes treffe dich,« rief er, »so du meinem Sohn ein Haar krümmst!« Pfeifer lachte und winkte, den Verzweifelten aus der Stadt zu führen.

Diese Scene war nicht ohne lebhaften Eindruck auf die Anwesenden geblieben. Der Schmerz und die Verzweiflung des alten Mannes erschüttern selbst die rohsten Gemüther. Vor Allen aber war es Heinrich, der sich heftig bewegt fühlte und den Drang nach Rache auf einmal in sich schwinden fühlte. Die Härte des Mannes, den er Vater zu nennen gewohnt war, flößte ihm Entsetzen ein, und er brütete über einen Plan, den Vater vor einem Verbrechen zu bewahren und sich selbst genug zu thun. –

Als er mit diesen Gedanken beschäftigt in seinem Gemach saß, trat der Freund und Lehrer seiner Jugend, Pater Thomasius, herein. »Heinrich,« sprach der Greis, »du wohntest der Unterredung deines Vaters mit dem Grafen bei. Was hat dein Vater beschlossen?«

»Graf Ernst soll sterben;« entgegnete der Jüngling düster.

»Wehe!« rief der Mönch. »So wird ein entsetzliches Verbrechen begangen, das weder Reue noch Buße mehr sühnen kann! Heinrich, du mußt es verhüten! Ich baue auf dich, du mußt ihn bewahren wie deinen Augapfel! Ich weiß es, das er dich beschimpft und mißhandelt hat. Sammle feurige Kohlen auf sein Haupt; es ist die schönste Rache, die dich nie erröthen macht! Bei Allem, was heilig ist, duld' es nicht, daß ihm ein Haar gekrümmt werde. Ein Geheimniß verkettet dich mit ihm; frage nicht nach der Lösung; sie ist der Zukunft aufgespart Versprich es mir, Heinrich, schwör' es bei deiner Seele Seligkeit!«

Heinrich reichte ihm die Hand.

»So bin ich ruhig!« antwortete der Greis. »Aber nun naht mir die Sorge für dich selbst. Heinrich, wie wird dieser unglückliche Kampf enden? Die Bauern sind geschlagen, ihr Unglück wird die übrigen furchtsam machen und das Verderben wird hereinbrechen. Wärst du doch nie in diese Stadt gekommen! Münzer ist gefangen, sein Tod wird Marien das Herz brechen. O daß der unglückselige Mann so mit Euch verbunden ist! Heinrich, hält dich nur die Pflicht hier zurück oder dein Herz?«

»Beides!« entgegnete der Jüngling. »Ja, gerecht ist dieser Kampf gegen die Unterdrücker, die jede Frevelthat gegen den armen Bauer für erlaubt halten. Sie werden Menschenrecht achten lernen! Solange der Bauer nur duldete, glaubten sie nicht daran. Geendet ist dieser Kampf noch nicht, ist auch der edelste seiner Kämpfer in ihrer Gewalt!«

»So hat auch dich der schreckliche Mann bestrickt!« seufzte Thomasius.

»Er hat's gethan, aber ohne die Absicht, es zu thun!« entgegnete Heinrich. »Ich sah ihn einst in Weimar, als er vor den Fürsten seine Lehre vertheidigt hatte. Rohe Gesellen verhöhnten ihn, er aber stand groß in ihrer Mitte und seine Antwort war Verachtung. Damals mußt' ich ihn bewundern, ohne daß ich ahnte, welches Band uns verknüpfte. Als ich ihn hier nun wieder sah, mitten in seinem Wirken und Walten, da rang ich lange mit trüben Zweifeln, aber er besiegte sie durch seine edle Hoheit, durch die uneigennützige Aufopferung, mit welcher er die kühne Idee verfolgte, die der Inhalt seines Lebens ist. Länder und Völker haben auf ihn gehorcht, wie hätte ich widerstehen können, der die stolze Tyrannei der Bevorrechteten eben so tief empfunden?«

Pfeifer unterbrach das Gespräch; er warf einen finstern Blick auf den Mönch und sprach, zu Heinrich gewendet: »Schreibe, Heinz, was ich dir sage!« Heinrich nahm Papier, Feder und Dinte und setzte sich nieder. Pfeifer fuhr, über den Sessel gelehnt, auf dem der Schreiber saß, also dictirend fort: »Liebe christliche Brüder! Wir thun Euch zu wissen, wie die Fürsten bei Frankenhausen im Stillstand und guten Frieden den christlichen Haufen überfallen und freventlich gewüthet haben, daß es Gott und allen guten Leuten ein Greuel ist. Nun gedenken sie unsere christliche Stadt Mühlhausen selbst heimzusuchen, und wenn wir gefallen, wird Euch ein Gleiches bevorstehen. Darum bitten wir durch Gott, der Liebe und Gerechtigkeit halb, uns bald auf's Allerföderlichste Beistand zu thun. Gegeben zu Mühlhausen. Heinrich Pfeifer, Statthalter daselbst. – An den christlichen Haufen der Bauernschaft in Oberfranken, versammelt zu Bildhausen.«

Der Brief wurde gesiegelt, und Pfeifer sandte Heinrich damit fort, ihn einem treuen Mann zu geben, den er ihm nannte.

»Du hoffst noch die verlorene Sache zu retten?« fragte Thomasius.

»Noch ist sie nicht verloren;« antwortete Pfeifer. »Nicht eher ist sie's, als die wir sie selbst verloren geben. Ein Haufen ist geschlagen, aber Tausende stehen noch unter den Waffen.«

»Nicht die verlorene Schlacht hat den Kampf geendigt,« versetzte der Mönch, »aber der Muth der Tausende, auf die du zählst, ist durch sie gebrochen. Der Schrecken wird unter sie fahren, wie der Wind unter die Spreu und wird sie zerstreuen.«

Pfeifer wurde ernst und nachdenklich. »Ziehen die Franken heran,« fuhr er dann fort, »so sind die Fürsten verloren. Sie sind tapfer und wohlgerüstet.«

»Baue nicht auf sie!« warnte der Greis. »Des Menschen Herz ist ein Gefäß voll Eigennutz. Freunde sind nie theurer, als in der Noth!«

»So verdamme sie Gott!« knirschte Pfeifer. »Aber sie werden kommen, sie werden nicht stumpfsinnig das Unglück erwarten, das auch über sie hereinbricht! Und kommen sie nicht, nun dann begraben sie uns unter Trümmern!«

Thomasius schüttelte trüb den Kopf. »Und darin suchst du das Heil?« sprach er. »Auf friedliche Bürger rufst du das Unglück herab. Theilen diese Bürger selbst deinen Sinn? Schon schwanken sie, und die Reue nimmt täglich mehr unter ihnen Raum. Wie dann erst, wenn die Feuerschlünde an ihre Thore pochen? O hättest du nimmer deine stille Hütte verlassen!«

»Der Rath eines Schwachkopfs!« rief Pfeifer rauh. »Fall' ich auch, was thut's? Ich habe doch die Rache gekostet!«

»Prüfe dich selbst, ob sie dein Herz beglückt!« entgegnete der Mönch. »Und hättest du des Unrechts noch tausendmal mehr erlitten, so spricht der Herr: Die Rache ist mein, ich will vergelten!«

»Mein ist die Rache!« erwiederte jener wild. »Ich habe die Schmach erlitten, die durch tausend Tode nicht gesühnt werden kann.«

»Was willst du mit dem jungen Grafen beginnen?« fragte der Mönch, forschend in seinem Antlitz lesend. »Mensch, du willst ihn doch nicht tödten?«

»Ich hätte fürwahr Lust, der jungen Natter den Kopf zu zertreten!« knirschte Pfeifer. »Aber noch soll er leben. Er soll mir eine Geisel sein für den Fall der Noth! Heinrich wird ihm kein gar zu milder Kerkermeister sein!« Er lachte wild in sich hinein.

»Beflecke deine Hand nicht mit diesem Blut!« sagte Thomasius bedeutungsvoll. »Aus jedem Tropfen würde dir ein Dämon der Reue erwachsen!«

»Bah, ich kenne dies Wort nicht! « sagte Pfeifer. Thomasius verließ ihn und begab sich nach Mariens Gemach, um sie vorzubereiten für den über sie hereinbrechenden Schmerz. Er fand sie in tiefen Gedanken, die über ihr Antlitz den Schleier der Trauer gebreitet hatten. »Der Herr sei mit dir, meine Tochter!« sagte er mild.

»Amen!« antwortete sie. »O ich bedarf es so sehr. Böse Träume quälen mich; mir ist, als habe mich ein Unglück getroffen."

»Wir müssen stets bereit sein, das Unglück zu empfangen,« sagte jener, »denn es kommt oft unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«

»Diese bange Erwartung hat mich stets begleitet,« seufzte sie, »und doch war ich noch nie so voll trüber Sorgen!«

»Um so mehr waffne dich, böse Kunde zu empfangen.«

Marie sah ahnungsvoll zu ihm auf. »Ihr bringt diese Kunde!« rief sie. »Euer Blick verkündet Unheil. Sagt schnell, was hat mich betroffen?«

»Hab' ich denn mit einem Wort dies Unheil verrathen?« fragte der Mönch.

»Nicht durch Worte, aber durch Blicke. Euer Schweigen quält mich mehr als Eure Rede. Sprecht, ich bin auf Alles gefaßt!«

»Nun denn! Eine große Schlacht ist geschlagen und die Bauern haben sie verloren!«

»Ihr reicht mir das Gift tropfenweise. Münzer ist todt?!«

»Nein, aber gefangen!«

»Allmächtiger Gott, dann ist er verloren!«

»Ich wollte, ich dürfte nein sagen!« seufzte Thomasius. »Es wird ihm ärger ergehen, als wenn er in der Schlacht gestorben wäre! Und doch ist es eine Fügung des Himmels, ihn zur Reue Frist zu geben, damit mit dem Leib nicht auch seine Seele verloren gehe!«

»Gott, o Gott! Und ich kann mit ihm die Last nicht theilen!« klagte Marie. »O könnt' ich um ihn sein und ihn pflegen! Vielleicht erweichten meine Thränen noch sein Herz. – O ehrwürdiger Vater!« fuhr sie fort. »Uebt Barmherzigkeit an mit und ihm und rettet seine Seele!«

»Ich fürchte, ich spreche vergebens zu ihm!« sagte der Mönch. »Er ist ein Felsenherz!«

»Das Unglück, der Gedanke an mich wird ihn erweicht haben!« beharrte Marie. »O geht! Sagt ihm, wie ich leide, wie ich um ihn weine Tag und Nacht! Er hätte mich ja nie geliebt, wollte dies sein Herz nicht rühren!«

Thomasius wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich versuche den Gang und will Gott bitten, daß er segenvoll sei!« sagte er. »Es werden rauhe Stürme kommen, Marie! Ich bin ein Greis und meines Lebens Ziel ist nahe, darum will ich für die Verlassene sorgen, ehe ich scheide. Nimm diesen Ring und bist du hülflos, so bring' ihn Herrn Perlet Probst, sag' ihm, Gottwald sende dich, und er wird dich aufnehmen, wie seine Tochter. Der Herr behüte dich!«

Er küßte sie zärtlich auf die Stirne und ging. Marie warf sich nieder im bittern Schmerz. Ihre Thränen flossen, sie schluchzte laut und rang die Hände. Da erwachte ihr schlummernder Knabe und weinte. Die unglückliche Mutter preßte ihn in die Arme, als ihr einzig übriggebliebenes Gut. »Arme Weise!« rief sie. »Und doch bist du glücklich, denn du weißt nicht, was du verloren hast!«


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