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X.

»Die Verblendeten verfolgten mich mit Spott und Hohn,« sagte Pater Thomasius zu Marie, die zu seinen Füßen saß und mit kindlicher Andacht zu ihm aufhorchte; er hatte die Hand auf ihr Haupt gelegt und eine unbeschreibliche Milde verklärte seine Züge. »Ich achtete der Spötter nicht, denn ich ging auf dem Wege der Liebe. Seit ich dich in diesen Mauern wußte, eilte ich ihnen mit beflügeltem Fuße zu und vergaß das Weh, das sie in meine Erinnerung zurückriefen. Nun, da du weißt, welche heilige Bande die Natur zwischen uns geknüpft, so wirst du mir auch ein höheres Recht zuerkennen, als der Lehrer über die Schülerin, der Priester über sein Beichtkind jemals gehabt hätte.«

»Ich hab' Euch mein ganzes Herz offen dargelegt;« antwortete Marie.

»Wohl! Und ich erkannte daraus, wie die Sünde deine Herzensunschuld umstrickt; du bist ein Lamm in die Klauen des Wolfes gefallen, der deinem Leibe nicht, aber deiner Seele Schaden thut! Ich spreche nicht zu dir als Beichtiger, der Buße fordert, sondern als liebender Vater, der sein Kind retten möchte aus dem Verderben!«

»Vater, ich fürchte; daß Ihr und die Welt ihn verkennt!« seufzte Marie. »Sein Herz ist ohne Falsch; wohl hab' auch ich gezagt bei seinen Lehren, wenn er das Wiedersehen leugnete nach dem Tode, einen Gott im Himmel, die Guten zu belohnen, und eine Hölle, den Bösen zu bestrafen; aber sein Leben war so fromm und makellos, wie nur das Leben eines Gläubigen sein kann!«

»Desto schlimmer, wenn er im Herzen anders glaubt, als sein Mund verkündet!« entgegnete Thomasius. »Er verführt die Schwachen im Geist, daß sie den Weg des Herrn verlassen und in Gottlosigkeit wandeln. Die Gebote Gottes stürzt er um, die heilige Religion tritt er mit Füßen. Er zweifelt an Allem, was heilig ist, und ist darum ein Ketzer; ein dürres Reis, das die Kirche abhauen und den Flammen übergeben wird.«

»Ich bin nur ein schlichtes Weib,« antwortete Marie muthiger, »weiß nichts von der Gelehrsamkeit der Männer, aber ich habe von vielen verständigen und frommen Menschen gehört, wie die römische Kirche im himmelschreienden Unrecht sei gegen ihre Gläubigen, daß sie ihnen das reine Wort Gottes verbiete, und wie der Papst nicht die Gewalt habe, die er sich angemaßt, wie der Ablaßkram sündlich sei und gegen die Gebote der heiligen Schriften und noch viel mehr und Aergeres.«

»O meine Tochter,« entgegnete der Mönch ernst, »ich bin nicht so sehr befangen im blinden Glauben ohne Vernunft, daß ich Wahres vom Falschen nicht zu unterscheiden vermöchte! Ich habe Martinum Luther nicht gehaßt, wie Andere thaten, als er gegen den Ablaß und die Gewalt des römischen Stuhles predigte; ich erkannte in ihm einen Geist, der nach der Wahrheit strebt. Er hat mir viel zu denken und zu schaffen gemacht, aber ich fühlte mich endlich zu gering und zu schwach, die rechte Quelle des Heils zu erforschen; ich überließ die Sache Gott; der, dacht' ich, wird ihr den Sieg verleihen, wenn sie vom Himmel ist, ist sie aber irdisch, so wird sie untergehen. Und der Herr verlieh ihr den Sieg; da ging ich nochmals in eine strenge Prüfung mit mir, und ich erkannte, daß es äußere Menschensatzungen seien, die Luther angriff und zerstörte, daß aber das innere Wesen unzerstörbar und ewig sei. Und nun sprach ich zu mir selbst: gieb Rechenschaft, wie hast du gelebt? War nur die Schale und nicht der Kern dein Christenthum? Und mein Herz antwortete: ich habe dem Geist des Christenthums gelebt, so weit der schwache sündige Mensch es vermag, und darum kann die Menschenzuthat fallen, ohne daß mein Glauben zerstört wird. Man schalt auf die Klöster, als Lotterbetten der Faulheit und aller Laster, die in ihrem Gefolge. Da ging ich streng zu Gericht, und das Urtheil war: wohl wurden die Klöster, die der Heerd wahrer Frömmigkeit sein sollen, oft mißbraucht durch fleischliche Schwachheit und Bosheit, dem Gebeugten aber, dem von der Welt Verlassenen sind sie ein herrliches Asyl, sein Gemüth in stiller Einsamkeit von dem Irdischen abzulenken und zu Gott zu erheben. So durft' ich mit gutem Gewissen an der Stätte bleiben, in der ich Trost und Befriedigung fand. Doch frevelnde Hände haben mich hinausgestoßen, und wer bewaffnete sie zu dem Frevel? Ach, es war dein Gatte!«

»Ihr scheltet Luther nicht,« rief Marie warm, »o so werdet Ihr Euch auch mit ihm versöhnen, denn was Falsches in seiner Lehre liegen mag, daran trägt nicht sein Herz, sondern sein irrender Verstand die Schuld!«

»O keinen Vergleich zwischen ihm und Luther!« antwortete der Pater hastig. »Im Namen Gottes vollbringt Luther, was er thut, und darum gelingt sein Werk, Münzer aber setzt seine schwache Vernunft über Alles, und darum wird ihn der Herr herabstoßen von der Höhe seines Hochmuths. Will er auch mit Absicht vielleicht das Böse nicht, so hat er sich doch vom Fleisch verführen lassen, es zu thun. Mit frevelnden Händen reißt er die Säulen des Glaubens nieder und raubt den armen Menschen ihren Gott, ihren Trost, ihre Hoffnung auf ein Jenseits, indem er ihnen dafür einen gleißenden Götzen hinstellt. Träfe Luther auch der Fluch des heiligen Vaters mit Recht, so wäre Münzer doch ein tausendmal ärgerer Ketzer, und seine Sünde könnte nie getilgt werden weder diesseits noch jenseits!«

»Allmächtiger Gott, wenn Ihr Wahrheit sprächet! « rief Marie entsetzt.

»Die Gnade des Herrn ist groß!« versetzte Thomasius. »Reue und Leid könnten ihm vielleicht noch die Seligkeit erwerben; beharrt er aber verstockt auf seinem Irrthum, so wirst du den Vater deines Kindes jenseits nicht wiedersehen!«

»Ich bin ein armes schwaches Weib!« klagte Marie. »Weil ich ihn liebte, sah ich nur immer seine Tugenden, und seine Lehre vergaß ich über seinem guten Wandel.«

»So will ich dir sagen, was er lehrt!« erwiederte der Mönch ernst. »Er leugnet Gott und erhebt die Vernunft zum Götzen; er leugnet Himmel und Hölle und nennt das irdische Leben die Bestimmung des Menschen; er predigt Aufruhr gegen die Obrigkeit, die von Gott eingesetzt ist, und führet die thörigten Menschen zur Schlachtbank, die sich vom bösen Geist verblenden lassen. Sein Frevel ist so groß, daß er bis an den Himmel reicht; Wittwen und Waisen werden sein Andenken verfluchen, die Seelen der Gemordeten werden ihn anklagen an Gottes Thron und die heißen Thränen der Verwaisten werden sich in Feuer verwandeln, das ihn quält und doch nicht verzehrt!«

Marie war nicht stark genug, den Eindrücken zu widerstehen, die diese Worte auf ihre empfängliche Phantasie machten. Sie hatte den Geist ihres Gatten nie begriffen, ihre Zweifel aber und ihre geheime Angst um sein Seelenheil hatte sie mit liebendem Herzen beschwichtigt; nun sprach ihr väterlicher Freund Alles, was sie dunkel gefühlt, in klaren, schonungslosen Worten, und Entsetzen und unnennbare Angst zerrissen ihre Brust. Thränen stürzten aus ihren Augen; sie warf sich auf die Kniee und rief betend: »Gott, gehe nicht mit ihm in's Gericht!«

»Du Arme!« sagte der Mönch mitleidig. »Wohl bedarf er deines Gebets, aber es errettet ihn nicht! Er ist den bösen Mächten verfallen, und meine Pflicht heischt es, daß ich dich ihm entreiße, ehe deine reine Seele angesteckt wird von dem Hauch des Bösen! Trenne dich von ihm und du reitest zwei Seelen, die deinige und die deines Kindes! Ich will dir ein Obdach suchen, wo du im stillen Gebet für ihn leben kannst!«

»Was muthet Ihr mir zu!« rief Marie. »Ich soll den Gatten verlassen, dem ich Treue geschworen? Ich soll meinem Kinde den Vater rauben und noch ein zweites zur Waise machen, das unter meinem Herzen schlummert? Dann erst würde er ganz den finstern Mächten verfallen, wenn ich ihm nehme, was seinem Herzen theuer ist; denn ich weiß es, wenn auch andere Gedanken ihn nur zu oft abziehen, so bin ich und dies Kind doch sein guter Engel!«

»O Schwachheit der Liebe!« seufzte Thomasius. »Er wird deine Seele verlocken, daß sie sich seinem falschen Glauben zuwendet!«

»Nimmermehr!« rief Marie standhaft. »Ich werde von meinem Glauben nimmer lassen! Und besser scheint es mir, ihn zurückzuführen auf den rechten Weg des Heils, als ihn zu verlassen auf seinem Irrpfad. Ich will ihm anliegen mit Bitten und flehen, ich will ihm meinen Schmerz schildern, meine Angst und will nicht nachlassen, bis er mich hört. Und wenn er mir auch zürnen sollte, so will ich doch nicht rasten, bis seine Seele gerettet ist. Ich ahnete freilich nie, daß er so Arges lehre!«

»Du hast dich selbst nicht verstanden;« antwortete der Mönch. »Gewiß hat dein Herz dir zugeflüstert, daß seine Lehre nicht der christliche Glaube sei. Zweifelst du aber noch, so wisse, daß selbst Luther ihn verdammt. Er nennt ihn einen Lügen- und Mordpropheten, der das Volk verführe, und den der Herr strafen werde. Er ruft die Fürsten gegen ihn auf, ihn zu vernichten mit seiner Rotte, und wahrlich! sie werden nicht säumen, zu richten und zu strafen!«

Jetzt überwog die Sorge um das leibliche Wohl des Gatten die Angst um sein Seelenheil in der Brust des liebenden Weibes. »O mein Gott und Vater!« rief sie; »ich muß für Alle zittern, die ich liebe. Gatte, Vater und Bruder, alle wandeln auf demselben Weg!«

»Auch dein Bruder?« fragte Thomasius überrascht.

»Auch er!« seufzte Marie. »Er ist mit meinem Vater ausgezogen.«

»Ha! dann begeht er unbewußt doppelten Frevel!« rief der Mönch. »Und ich könnt' ihn mit einem Worte retten, das ich nicht sprechen darf! Doch wie kommt er hieher, da er doch entflohen war?«

»Des Vaters Härte trieb ihn einst fort;« sagte Marie. »Nun kam er zurück und warf sich bereuend an die Brust des Vaters; die stolzen Herren hatten ihn verhöhnt, weil er nur der Sohn eines Bauern war, und nun erweckte der Vater in ihm die Rache.«

»Ha, welch ein Abgrund in die Brust dieses Mannes! « rief Thomasius. »Er ließ ihn wüthen gegen das eigne – o und ich darf ihm nicht enthüllen, was den Armen auf den Weg des Rechtes zurückführen würde! – Marie,« fuhr er fort, »es waltet ein Geheimnis über deinem Bruder. Ich hab' geschworen, es nicht zu lösen, aber ich hab' es niedergelegt in diesen Blättern. Nimm sie, und wenn ich todt sein werde, welche Stunde wohl bald kommen wird, dann gieb sie Heinrich; sie werden ihn retten aus höchster Gefahr, vom Tode des Henkers. Aber eher öffne sie nicht, bis ich nicht mehr sein werde!«

Zitternd griff Marie nach den versiegelten Blättern, welche der Mönch ihr reichte, aber weitern Aufschluß über seine räthselhaften Worte konnte sie nicht erlangen.

Das junge Weib fühlte sich fast verzehrt von unnennbarer Angst und mit der Sorge um den Vater ihres Kindes wuchs ihre Liebe zu ihm. Zweifel zerrissen ihr frommes, schwaches Gemüth; bald verglich sie seinen tadellosen Wandel mit dem schrecklichen Bilde, das der Mönch von ihm entworfen, und der Vergleich beruhigte sie, dann aber schwand diese Ruhe wieder in der gräßlichen Vorstellung von leiblichem Tod und ewigen Höllenstrafen. Die Freude blieb ihr fern, als Münzer siegreich zurückkehrte, vom Jubel des Volkes begrüßt, und um so mehr blieb sie ihr fern, als ihr scharfer Blick erkannte, daß seine Züge von Wolken der Schwermuth umhangen waren.

In der That hatte Münzer die kaum zurückgewonnene Zuversicht wieder verloren. Der äußere Schein, die leichterrungenen Siege vermochten ihn nicht zu täuschen; er wußte, daß das Schwerste und Größte noch zu vollbringen sei, daß der Feind nicht so leicht seine angemaßten Rechte fahren lassen werde. Er hatte auf das ganze deutsche Volk gerechnet, das sich von seinem Geist durchglüht fühlen werde. Schon einmal hatte ihn die trübe Ahnung beschlichen, daß er sich in diesem Volke verrechnet haben möge, aber sein besseres Vertrauen hatte sie niedergekämpft. Nun jedoch ließ sich nicht mehr zweifeln. Der Eigennutz war ein zu mächtiger Herrscher; die ächte, wahre Idee von einem gemeinsamen freien deutschen Vaterlande war in zu Wenigen aufgegangen; die einzelnen Haufen glaubten genug gethan zu haben, wenn sie dir Zwingburgen ihrer Provinz zerstört und die Herren gezwungen, ihre Artikel anzunehmen; daß es galt, so lange die Waffen zu führen, bis alle Gauen frei waren, davon hatten die Wenigsten eine Idee. Die Herren köderten sie durch Versprechungen und in nutzlosen Unterhandlungen verträumten sie die beste Zeit; der Eifer erkaltete, sie schlossen Verträge und schieden sich aus dem allgemeinen Bunde. Die noch unter den Waffen standen, fanden es angenehmer, Schlösser zu plündern und kühlen Klosterwein zu trinken, als mit eiserner Beharrlichkeit und Entsagung nach dem großen Ziele zu streben. Man vergeudete die Zeit mit Tagsatzungen über Fragen, die noch im Schooße der Zukunft ruhten, und gab den Feinden Muße, sich im Stillen zu rüsten. Er fehlte an einem großen Feldherrntalent, das die widerstrebenden Gemüther sich unterwarf. Götz von Berlichingen war ein tapfrer Krieger, aber der lichte Feldherrnblick fehlte ihm, wäre auch seine Gesinnung so aufrichtig gewesen, als sie es nicht war. Die einzelnen Hauptleute waren nicht die Geschicktesten und Tapfersten, sondern die Einflußreichsten. Und nun zerstörte noch dazu die Zwietracht die besten Kräfte. Habsucht und Neid erzeugten Kabalen, und die Herren, die gezwungen sich dem Bündnis angeschlossen hatten, nährten diesen verderblichen Feind, weil sie wohl wußten, daß das Volk sich selbst aufreiben müsse, um es besiegen zu können. Nicht um die Freiheit wurde mehr gekämpft, sondern jede Gemeinde hatte ihre Rechte nur im Auge und gab sich zufrieden, wenn ihr diese gesichert wurden.

Münzer hatte einen ganzen Stoß Briefe voll dergleichen betrübender Nachrichten vor sich. »Sollt' ich denn vergebens mein Leben in die Schanze geschlagen haben?« seufzte er. »Mein Leben ist wenig, aber die bittere Ueberzeugung schmerzt mich, daß die Hoffnung verloren ist, die Freiheit könne jemals gewonnen werden. Welche Zeit könnte geschickter sein zum Siege? Die alten Wunden bluten, die Fürsten selbst leben in Hader, und wäre das Volk einig, so wäre das Ziel erreicht. Aber es wird nie einig werden, so es jetzt nicht ist! Die Fesseln sind zerbrochen, sind sie wieder geschmiedet, so können Jahrhunderte vergehen, ehe das Kraftbewußtsein des Volkes aufersteht! Und die sich Priester der Freiheit nennen, sind ihre ärgsten Feinde! Dieser Luther, wie lästert er unser redliches Ringen! Was hat er gethan für das Volk? Mit zaghafter Hand griff er den römischen Wucher an, und nur die Thorheit der Päpstler stieß ihn gewaltsam fort bis zu einem gewissen Ziel, an dem er strauchelte und still stand. Was hat er für das Volk gethan? Nichts! Er sprach zu Fürsten und Schriftgelehrten, nicht zum Volk! Den Fürsten zeigte er reiche Beute in Kirchengütern und Klöstern und das Volk ließ er in Knechtschaft! – Ha, wie das Mönchlein Geduld predigt!« fuhr er fort und ließ den finstern Blick über einige gedruckte Blätter schweifen, die er zur Hand nahm. »Habt ihr auch Recht, wie hoch ihr wollt, so gebührt keinem Christen zu rechten noch zu fechten, sondern Unrecht zu leiden und das Uebel zu dulden, da wird nichts anders aus. Sind wir dann nicht Schaafe, die der Henker zur Schlachtbank führt? Dann Ade, du edler Mannesstolz, der sich auflehnt gegen Gewalt und Sünde! Dann sind wir nichts denn elender Staub, der auf den Weg geworfen ist, damit die Hoffärtigen weich gehen. Krümmt sich doch auch der Wurm, wenn ihn der Fuß tritt und die ganze Natur predigt Widerstand gegen unnatürliche Gewalt. Dann ist der Mensch allein ausgeschlossen von der Natur und der Willkür preisgegeben. Ja, ja, der Glaube ist ein weiches Kissen für das faule Fleisch. Ein wohlfeiler Trost für das irdische Elend ist die Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits. – Ein Volk wird durch Worte nicht frei und Gebet erlöst nicht vom Uebel, wie du's auch wenden und drehen magst, Bruder Martine. Sieh' da! »Wäret ihr aber Christen, so würdet ihr Faust und Schwert, Trotzen und Dräuen lassen und zum Vaterunser euch halten und mit Beten eure Sachen bei Gott fordern und sprechen: Dein Wille geschehe; item: erlöse uns vom Uebel, Amen!« Das ist recht fein und löblich und dem Mönchlein angemessen, aber nicht dem Manne, der mehr sein will als ein willenloses Werkzeug. Das aber ist erstunken und erlogen, was du da sagst: »Ich kenne die falschen Propheten unter euch wohl; gehorchet ihnen nicht, sie verführen euch wahrlich; sie meinen euer Gewissen nicht, sondern wollten gerne Galater aus euch machen, daß sie durch euch zu Gut und Ehren kommen!« Hier stehe ich, rein, nur die Liebe für mein Volk im Herzen!«

In diesem Sinne erklärte er auch öffentlich das offene Sendschreiben Luther's an die Bauernschaft, das jedoch trotzdem seine Wirkung nicht ganz verfehlte. Von Tag zu Tage sah er die Begeisterung mehr und mehr unter den Bürgern Mühlhausens schwinden, sein Ansehen sinken. Und nur gegen seine vertrautesten Anhänger durfte er die trüben Besorgnisse seiner Seele äußern, während er öffentlich eine Zuversicht heuchelt mußte, die ihm fremd geworden war. Weil er nicht mehr aus Ueberzeugung sprach, so entbehrten seine Reden immer mehr der innern Wahrheit, und man hörte dem Redner wohl an, wie er sich gewaltsam in den Zustand prophetischer Aufregung versetzte und zu rhetorischen Mitteln griff, die er sonst verschmähte, als es ihm noch warm und lebendig aus dem Herzen quoll.

Unter seinen Vertrauten war auch sein treuester Sendbote Grüber. Er hatte ihn zu sich beschieden, und der sonst immer heitere Geselle erschien diesmal mit trübseligem Gesicht.

»Habt Ihr es schon gehört, das Landgraf Philipp wider seine Bauern rüstet?« fragte er.

»Ich hab' es vernommen," antwortete Münzer. »Aber es ist das Geringste, was mich bekümmert. Was ich kam zu fürchten gewagt, ist eingetroffen. Es sind Verträge geschlossen worden, und die armen Betrogenen haben das Schwert in die Scheide gesteckt. So werden sie die Haufen alle ködern und sie dann einzeln zur Schlachtbank führen. O mich ergreift ein tiefer Schmerz, wenn ich an die herrliche Kraft denke, die ich an Allen Enden sich entwickeln sah, und die einer Welt hätte widerstehen mögen, wäre der böse Feind des Eigennutzes, die Zwietracht nicht gekommen und hätte sie zersplittert.«

»Gebt doch noch die Hoffnung nicht auf!« tröstete Grüber. »Der Bachaer Haufen zieht von Eisenach daher und wird sich mit Euch einen. Würzburg belagern sie scharf.« –

»Verträumen aber die Zeit mit Tagen und Hader!« fiel Münzer ein. »Ich dachte, es ist die Schuld des Ritters Götz und der andern adligen Genossen, die mögen gern um des Brei herumgehen und den rechten Schlag nicht wagen, um sich die letzte Brücke nicht abzuschneiden, wenn's schlimm geht. Sie wollen ein Hinterpförtlein haben in die Gunst der Herren. O diese Verbündeten sind uns die schlimmsten Feinde, und geböte es nicht die Klugheit und Menschlichkeit anders, so möchte ich wohl wünschen, daß er Allen erginge, wie denen zu Weinsberg!«

»Zu Heilbronn wollen sie einen Volksrath niedersetzen, wie Ihr gehört haben werdet,« berichtete Grüber. »Sie wollen eine Ordnung aufrichten, wie die christlichen Länder hinfort zu regieren seien!«

»Und versäumen darüber, erst diese Länder dem Erbfeind zu entreißen!« versetzte Münzer »Ist Deutschland frei, dann mögen alle Gauen zusammentreten und rathen über die künftige Wohlfahrt des Reichs; bis dahin ist dieser Rath unnütz, und so es eine Gemeinde oder ein Gau aus eignem Willen thut, so ist es eine Versündigung an der gemeinen Sache. Und ich will dagegen sprechen und predigen, so viel ich noch Athem haben mag. Die Zeit kommt, wo wir uns werden wehren müssen gegen die Fürsten; wär' es gekommen, wie ich gewollt, so hörten sie fein auf ihrer Hut sein mögen. Ader ich will doch nicht weichen und wanken. Du bist noch voll rüstiger Kraft und treuem Muth. So ziehe hin gen Franken und entbiete den Haufen in meinem Namen, sie sollten sich frei rüstig schicken, das sie freien Weg machten, und mir beispringen mit guter Wehr. Wo nicht, so möcht' es leicht kommen, daß die Sach' einen andern Ausgang nähme. Sie sollten rüstig sein und nicht Spiel geben dem bösen Geiste des Zauderns und der Zwietracht. Die Fürsten halten zusammen, so sie auch sonst sich feind sind; das Volk soll es auch thun, sintemal wir ja für eine Sache kämpfen.«

Ich will es ausrichten und nicht wiederkommen, denn mit guter Botschaft!« sprach Grüber.

»Es thut fürwahr Noth!« seufzte Münzer. »Die Fürsten haben Wehr und Waffen und sind des Krieges kundig. Haben wir auch Muth, so fehlt uns doch Rüstzeug. Der Bote, den ich mit schwerem Gelde gen Nürnberg gesendet, um Pulver einzukaufen, ist nicht wiederkommen, und unser Vorrath ist gering. Ich fürchte, die Habsucht hat ihn verblendet, daß er treulos worden ist an seinen Brüdern.«

»Habt Ihr auch vernommen, wie Luther wüthet, seitdem ihm sein Kreuzzug so übel gelungen2« fragte Grüber »In Orlamünde warfen sie mit Steinen nach ihm und schalten ihn einen Heuchler. Nun will er nicht mehr auf einer Schulter tragen, sondern reizt die Fürsten gegen ihre Bauern, mit dem Schwert unter sie dreinzufahren!«

»Das ist dessen würdig,« entgegnete Münzer bitter, »der gesagt hat, die Leibeigenschaft aufheben wollen, sei ein Artikel wider das Evangelium und räuberisch, weil damit Jeder seinen Leib, welcher eigen worden, seinem Herrn nehme, denn Paulus spreche, daß in Christo Herr und Knecht Ein Ding sei. Und diesem Mann hat das deutsche Volk zugejauchzt und ihn begrüßt als seinen Retter! Was sollen dann die Herren thun, wenn die so sprechen, die sich Freunde des Volkes nennen? Ihre christliche Liebe ist Taschenspiel, ihre Religion ist ein eitel Ding. O wie ganz anders spricht doch mein Gott!« –

Für diesen Gott aber hatte er noch manchen Kampf zu bestehen, und der gegen die eigne Gattin war nicht der geringste, weil er am schmerzlichsten sein Gemüth traf. Sie näherte sich ihm schüchtern, sah ihm traurig in's Antlitz und sprach: »Du wirst wieder zürnen, wenn ich zu dir rede, und doch kann ich nicht anders, die Angst treibt mich, dich vom Verderben zu retten?«

»Von welchem Verderben sprichst du?« fragte er düster.

»Gott sei's geklagt, daß du also fragen kannst!« entgegnete sie. »Ja, nicht nur deinem sterblichen Leib, sondern auch deiner Seele droht Verderben! O Thomas, wüßt' ich, das nur dein Leib dahin ginge, so wär' es mir zwar ein großer Schmerz, aber ich würde ihn tragen, könnt' ich doch hoffen, daß ich dich wiedersehen würde in einem bessern Leben! Nun aber ist mit deinem Leib auch deine Seele verloren, und dies ist mir ein Jammer, den ich nicht verwinden kann! Wenn ich nach dir suche unter den Seligen, so werde ich keinen meiner Lieben finden, denn wie kannst du selig werden, so du deinen Gott, deinen Glauben abgeschworen?«

»Weib, welcher Geist der Zwietracht flüsterte dir diese Gedanken ein!« sprach Münzer finster.

»Es war ein guter Geist, der mich dich retten hieß!« entgegnete Marie warm. »O wenn du mich je geliebt hast, so lehre zurück zu dem Glauben, in dem wir allein selig werden können. Reue und Buße können die Sünde von dir nehmen, die dich sonst in ewige Verdammniß führen wird! Du hast die Wahrheit und deinen Gott verlassen und bist ein Ketzer geworden!«

»Weißt du denn,« antwortete Münzer, »ob ich nicht in schweren Schmerzen gerungen habe, und was du Ketzerei nennst, ist mir als helle, lichte Wahrheit aufgegangen! Taste meinen Glauben nicht an, laß mich unbekümmert meinen Weg wandeln! Meine eignen Zweifel sind übermächtig gewesen gegen die siegende Gewalt der Ueberzeugung, wie sollte sie deinem Zuspruch weichen?«

»Ich will dich nicht lassen, bis du gerettet bist!« fuhr Marie fort und warf sich in ihrer fanatischen Begeisterung vor ihm nieder. »Sieh', ich flehe dich auf den Knieen, laß ab von deinem Irrglauben! Verlasse den Weg der Gottlosen und kehre dich zur Buse und Reue! Laß uns fliehen! In der Einsamkeit will ich mit dir auf den Knieen liegen und zu Gott beten, daß er dir vergebe! Und er wird es thun, denn er ist gnädig!«

»Ist es denn nicht genug, daß die Feinde des Lichts mit eignem Munde mich lästern,« sagte Münzer schmerzlich, »müssen sie noch das eigne Blut gegen mich hetzen? Als ich dich zum Weibe nahm, da wollt' ich mir einen Rosenstrauch pflanzen, der mich erquicke mit seinem Duft, wenn mein Herz sich nach dem Frieden der stillen Häuslichkeit sehnte; ich wollte mein müdes Haupt an deine Brust legen, und du solltest mich erheitern, wenn die Welt mein Gemüth mit Schwermuth füllte. Und siehe da, statt des Friedens finde ich Qual, statt der süßen Rast Leid und Kummer. Du meinst es gut mit mir und thust mir doch so wehe! Sie haben dich verführt, mein schwaches, allzu gläubiges Weib! Sie haben mich verleumdet bei dir, und du hast den Einflüsterungen geglaubt, die den Frieden von uns Beiden nehmen. Nicht fliehen will ich und nicht bereuen! Denn was ich that, ist gut, und ich will's vollführen und sollt' ich drüber sterben! Ließ ich ab, so würde mich die Welt verhöhnen, und ich würde der Scham des eignen Herzens nicht entfliehen und stieg' ich in die Tiefen der Erde. Das sei dir gesagt zum Trost und zur Warnung!«

Er hatte mit so fester Stimme gesprochen, daß Marie die Hoffnung aufgab, ihn durch ihre Bitten zum Glauben zurückzuführen, und sie wandte sich darum mit ihrem Gebet zu Gott. »Vergieb ihm, allgütiger Menschenvater!« rief sie. »Gehe nicht in's Gericht mit ihm, der da sündigt aus Irrthum, nicht aus bösem Vorsatz! Vergieb ihm, um das Blut deines Sohnes willen, der für die sündige Menschheit starb!« –


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