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XII.

Während so die Göttin des Kriegs die eisernen Todeswürfel schüttelte und verderbenschwangere Wolken sich in allen Gauen Deutschlands über den Häuptern der Bauern zusammenzogen, stand ein milder Genius an dem Sterbebette eines deutschen Fürsten, des einzigen, der das große Unternehmen des deutschen Volks nicht mit Haß und Groll, sondern nur mit stiller Betrübnis ansah. Es war Kurfürst Friedrich der Weise, der große Beschützer der Reformation, der friedliebende Held des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Maisonne vergoldete die Zinnen des Schlosses Lochau und stahl sich freundlich durch die spitzen gothischen Fenster des Gemachs, in welchem der Kranke ruhte, spielte am Boden hin und lagerte sich endlich aus der Decke des Lagers. Ein Diener sprang nach dem Fenster, um die schwerseidenen Gardinen niederzulassen.

»Nicht doch, mein Sohn!« gebot der Kurfürst freundlich. »Laß die liebe Sonne immerhin gewähren! Sie besucht mich auf meinem Schmerzenslager, will von mir Abschied nehmen, bis ich zur ewigen Klarheit eingehe. Wir haben das Licht niemals gescheut, sondern haben ihm Raum und Luft vergönnt, daß es sich weit ausbreiten konnte. Ist es nicht so, mein guter Doktor Martinus?«

»Ihr waret ein milder und gerechter Fürst, unter dessen Scepter die Wahrheit wohl gedeihen mochte,« antwortete Luther, der am Bette seines fürstlichen Freundes saß. »Dafür wird Gott Ew. kurfürstlichen Gnaden die Palme des ewigen Lebens reichen und die Nachwelt wird Euch mit Stolz den Weisen nennen, wie es die Mitwelt schon gethan.«

»Wir trachteten nicht nach irdischem Lohn und Lob,« fuhr Friedrich fort, sondern thaten das Gute um seiner selbst willen nach dem Gebote Gottes. Wer die Wahrheit kennet und duldet sie nicht, der ist ein ungetreuer Arbeiter in dem Weinberge des Herrn. Du aber thatest mehr, mein ehrwürdiger Freund: du tratest dem römischen Wolf kühn in den Rachen, daß er sich selbst verschluckte. Ich that ja nichts, als das ich dir Raum ließ und dich bewahrte gegen der Pfaffen Wüthen. Ich hatte vielleicht mehr thun können und sollen, aber ich war dem Irrthum und der Schwachheit unterworfen, wie jeder sterbliche Mensch. – »Mein Sohn,« wandte er sich zu einem Diener, »öffne doch das Fenster, damit die Mailuft frei hereinströme und mich erquicke.«

»Hätte jeder deutsche Fürst,« sagte Luther, »der Wahrheit Raum gegeben wie Ew. kurfürstlichen Gnaden, so würde das Evangelium noch mehr blühen, als es jetzt der Fall ist. Dennoch ist das Werk, das ich zur Ehre Gottes und in seinem Namen angefangen, gar herrlich gediehen, so herrlich, daß es dem Teufel verdroß, und daß er Unkraut unter den Weizen säte durch die Mordpropheten und Lügengeister.«

»Gott hat die Fürsten heimgesucht durch ein großes Strafgericht!« seufzte der Kranke. »Und sie messen dir die Schuld bei!«

»Ich habe keinen Theil an ihrem gottlosen Gebaren!« eiferte Luther. »Sie haben das Evangelium nicht verstanden, das den Frieden predigt. Alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt, und wer sich dawidersetzt, sündiget gegen den Herrn. Nicht daß ich damit die Obrigkeit in ihrem Unrecht rechtfertigen oder vertheidigen wollt', sie sind und thun greulich Unrecht, das bekenn' ich, die da das Evangelium verfolgen und nicht dulden wollen; aber auch um des Evangeliums willen soll ein Unterthan nicht aufrührerisch sein gegen seinen Herrn. Es ist unmöglich, daß Jemandem sollte das Evangelium gewehret werden, denn es ist eine öffentliche Lehre, die unter dem Himmel frei dahergeht, an keinen Ort gebunden, wie der Stern, der Christus Geburt den Weisen aus dem Morgenlande verkündet hat. Stätte, Ort und Raum, da das Evangelium ist, mögen die Herren daselbst wohl wehren, aber der Mensch kann solche Statt wohl lassen und dem Evangelium nachlaufen, und es ist nicht noth, daß er um des Evangeliums willen auch die Statt einnehme und behalte, sondern man lasse dem Herrn seine Statt und folge dem Evangelio, so leidet man Unrecht und leidet doch nicht zugleich, daß das Evangelium genommen oder gewehrt wird. Ich acht' aber, es ist nur ein eitel Fürgeben und sie trachten mehr nach der irdischen Wohlfahrt des Leibes, als nach dem Heile der Seele, wie es ihnen der Teufel eingegeben.«

»Wir sind allzumal dem Irrthum unterworfen,« antwortete der fromme Fürst, »und ich will mich nicht unterfangen, zu urtheilen, ob die armen Leute Recht haben oder Unrecht, sondern will Alles Gott überlassen, den ich um Vergebung bitte, so ich meine Unterthanen unrecht beschwert habe. Ist es beschlossen, daß das Volk zur Herrschaft kommt, so wird Niemand widerstehen können; ist es Gottes Wille nicht, und suchen sie nicht Gottes Ehre, so werden diese Stürme nicht lange dauern.«

»Ew. kurfürstlichen Gnaden waren zu mild gegen die mörderische Rotte,« sprach Luther. »Das Unkraut soll man ausjäten und verbrennen. Die Obrigkeit, welche zaudert, thut Sünde, da den Bauern nicht genügt, selbst des Teufels zu sein, sondern sie viele fromme Leute zu ihrer Bosheit und Verdammniß zwingen. Die mengen sich selbst unter die Aufrührischen, die sich derer erbarmen, welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern die er gestraft und verderbt haben will. Dann, wenn man sie verdirbt, werden die Bauern Gott danken lernen, wenn sie eine Kuh geben müssen, auf daß sie die andern in Frieden behalten können, und die Fürsten werden durch den Aufruhr erkennen lernen, was hinter dem Pöbel steckt, der nur mit Gewalt regiert werden kann.«

»O wie wehe thust du mir durch solche Blutdürstigkeit!« seufzte der Kurfürst »Ich kenne dich nicht mehr, mein frommer Martinus.«

»Hab' ich nicht zu ihnen geredet mit aller Sanftmüthigkeit,« versetzte Luther, »und sie haben mein Wort verachtet und haben mich gescholten. Daß sie mich einen Heuchler schelten, ist gut, und ich höre es gern. Ich müßte viel Leder haben, sollt' ich einem Jeglichen sein Maul zuknäufeln. Daß man den Bauern will Barmherzigkeit wünschen, sind Unschuldige darunter, die wird Gott wohl erretten und bewahren, wie er Loth und Jeremiä that. Thut er es nicht, so sind sie gewiß nicht unschuldig, sondern sie haben zum wenigsten geschwiegen und bewilligt. Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino, in einen Bauern gehört Haberstroh, sie hören nicht das Wort und sind unsinnig, so müssen sie die Virgam, die Büchse, hören, und geschieht ihnen recht. Bitten sollen wir für sie, daß sie gehorchen; wo nicht, so gilt's sie nicht viel Erbarmens. Lasset nur die Büchsen unter sie sausen, sie machen's sonst tausendmal ärger.« Luther's Werke III, 138.

»Da sei Gott vor!« entgegnete der edle Fürst. »Ist ihr Wert Irrthum, so soll man Milde walten lassen. Sieh', wie ich leichter athme im weichen Strome der frischen Luft. So soll man keinen neuen Gedanken in Kerker schließen, sondern ihn frei sich entfalten lassen, wenn er auch uns hart angehet. Ist er nun faul und wurmstichig, so wird ihn die Luft zu Boden drücken, ist er aber stark und gut, so wird er baß gedeihen. Die Päpstlichen haben dich auch gescholten und verfolgt, und haben dein Werk des Teufels Werk genannt.«

»Verwechselt nicht das reine Wort Gottes mit dem Lügengeist bei Mordpropheten!« versetzte Luther heftig. »Ich begann mein Werk mit Gott und in seinem Namen, darum gedieh es; jener Münzer aber setzt im thörigten Hochmuth die schwache Vernunft über Gott und will Alles durch sich selbst vollbringen; darum ist es Lügenwerk.«

»Wir haben von diesem Münzer viel vernommen und ihn selbst sprechen gehört;« sagte der Kurfürst. »Als ich achte, ist ein gewaltiger Geist in ihm!«

»Der Geist des Teufels, der auch mächtig ist!« eiferte der Reformator. »Laßt Euch doch nicht blenden durch die Spiegelfechterei des Satans und betrachtet diesen unsaubern Geist genau. Was er lehrt, ist wider den heiligen Geist, und sein Wandel ist gottlos. Er bereichert sich von Raub und fröhnt fleischlicher Wollust. Kommt doch der Lügengeist nicht über ihn, ehe er nicht eine Schönheit fleischlich genossen!«

»Mir ist hingegen gesagt worden,« entgegnete Friedrich zweifelnd, »daß er uneigennützigen und unsträflichen Wandel führe. Doch sei es, wie es mag! Gott wird ihn richten nach seinen Werken, ihm überlass' ich die Sache. Desgleichen hab' ich die Fürsten gebeten, nicht mit dem Schwert zu strafen, sondern des Volkes Lasten zu erleichtern, das Joch von den Unterthanen zu nehmen und sie dadurch zum Gehorsam zurückzuführen. Und daß es also geschehe, will ich Gott anliegen im heißen Gebet, und du sollst dies Wort eines Sterbenden ihnen und vornehmlich unseren Bruder und Nachfolger Johannsen verkünden.«

Er faltete die Hände, sein Antlitz verklärte sich, die Sonne warf ihre zitternden Strahlen um ihn, die Luft ergoß ihren Blüthenhauch in das Gemach. Luther fühlte sich bewegt von dieser Milde des sterbenden Fürsten. Das Hausgesinde stand um sein Lager her in stummer Trauer. Luther betete; andächtig lächelnd hörte der Kranke zu, sein Athem ward schwächer, und als er seine Diener um sich versammelt sah, streckte er die Hände nach ihnen aus. »Liebe Kindlein,« sprach er, »habe ich einen von euch beleidigt, so bitte ich ihn, mir es um Gotteswillen zu vergeben. Wir Fürsten thun den armen Leuten Manches, das nicht taugt.« – Dann reichte er Luther die Hand. »Leb' wohl, Bruder Martine!« sagte er. »Sei mild und nachsichtig gegen die Verblendeten! Leite sie auf den rechten Weg durch freundliches Wort, wie es der Heiland selbst that. Ade, o Welt!«

Sein Auge brach, das edle Herz hatte zu schlagen aufgehört; da blieb kein Auge trocken. Die Diener warfen sich schluchzend an der Leiche nieder, und Luther selbst weinte dem hingegangenen Freunde Thränen des Schmerzes. Durch das deutsche Land aber scholl die Trauerkunde: der edelste Fürst des deutschen Volkes, der nicht mit dem Schwert, sondern mit Weisheit, Vernunft und Herzensgüte regiert, ist nicht mehr! Und über die Bauern selbst kam es wie eine düstere Ahnung, daß der einzige fürstliche Mann, der sie nicht verdammt, ihr schützender Genius gewesen, und daß nun das Strafgericht unerbittlich und streng über sie hereinbrechen werde!

 

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