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IV.

Die Straßen um Mühlhausen waren belebt von Pilgern, die alle nach einem Ziele wanderten, wie bei einer großen Wallfahrt. Die Meisten derselben waren Bauern in ihren weißen Linnenkitteln, und das Haupt bedeckt von schwarzen Filzhüten, unter denen die Augen feurig und wild hervorblitzten; aber auch Bürger aus den nahen Städten Langensalza, Tennstedt, Sondershausen, Frankenhausen sah man darunter, ja hier und da selbst einen Kriegsmann, als frommen Landsknecht kenntlich an den weiten Pluderhosen, dem Wamms von Büffelleder, der Blechhaube und dem langen Knebelspieß. Und Alle hatten nur einen Zweck: den kühnen Prediger zu hören, der den Untergang der bisherigen weltlichen und geistlichen Macht und ein Reich der Freiheit und Gleichheit verkündigte.

Man sah schon die Thürme der Stadt im weiten Thale der Unstrut emporragen, als sich zwei desselben Wegs gehende Wandrer in's Gesicht schauten und sich zu gleicher Zeit zu erkennen schienen. Der Eine war eine hohe Jünglingsgestalt mit blonden Locken in Junkertracht, die oft genug das Spötteln der Vorübergehenden auf sich gezogen hatte, denn der Bauernkittel schützte zu dieser Zelt besser, als ein Stahlgewand. Der Andere war ein stämmiger Mann mit nicht mehr jugendlichen Zügen, mit einem blauen Kittel bekleidet, auf dem Rücken einen hohen Kasten. Beide sind alte Bekannte von uns: Heinrich und der Balsamträger Grüber oder Grubero.

»Täuscht mich mein Auge nicht,« sagte der Letztere, »so seid Ihr der gute Junker, der im vorigen Sommer mich und meine Tinkturen am Hofe zu Weimar empfahl.«

»Und Ihr seid der hochberühmte Doktor – wie nanntet Ihr Euch doch?«

»Mein ehrlicher deutscher Name ist Melchior Grüber!« antwortete jener. »Welches Ungefähr oder welche Absicht aber führt Euch gen Mühlhausen? Ich kann Euch fürwahr im Vertrauen sagen, daß man dort nicht mehr den geringsten Respect vor vornehmen Junkern hat. Nehmt daher guten Rath an und kehrt um, wenn Ihr nicht sicheres Geleit habt von Herrn Thomas Münzer, dein obersten Rathmann von Mühlhausen.«

»Ich bin kein Junker,« versetzte Heinrich etwas beschämt. »Ich bin der Sohn eines schlichten Bauern und als solcher werd' ich wohl nichts zu fürchten haben.«

»Hast du die Thorheit abgelegt?« rief Grüber. »Sieh', das freut mich, daß du wieder unseres Gleichen geworden bist. Ich dacht' es wohl, daß es nicht lange dauern könnte! Wem könnt' es auch wohlgefallen unter den gezierten Puppen, die kein Herz haben? Nun kann ich auch wieder offen von der Leber mit dir reden. Als du ein großer Herr warst, konnt' ich's nicht. Es gehen große Dinge vor, daß mir selbst die Augen fast übergehen vor Verwunderung Warum geschah's nicht früher? Warum ward der arme Konrad und der Bundschu an's Messer geliefert? Warum richtete Hutten nichts aus und der edle Sickingen? Was ihnen allen fehlschlug, ist dem Meister Thomas gelungen, in ganz Deutschland steht der gemeine Mann in Waffen.«

»Glaubt Ihr denn, daß die Bauern siegen werden?« fragte Heinrich.

»Wenn der Teufel ihnen kein Bein stellt, gewiß!« erwiederte Grüber. »Was haben die Herren ihnen entgegenzustellen? Eine Handvoll frommer Landsknechte, und die werden auch nicht mehr wollen, wenn sie sehen, daß es die Bauern ernst meinen. Man mag dir's freilich anders eingeflüstert haben. Aber das ehrliche Bauernblut wird sich schon in dir regen, wenn's nicht ganz verdorben ist in dem Wohlleben.«

»Erinnert mich nicht an meinen kindischen Irrthum!« sagte Heinrich. »Ich weiß es jetzt besser, was eigentlich meine Knabenträume bedeuteten; ich weiß, daß der Bauer nicht ein Ritter zu werden braucht, und sich doch zu Edlerem erheben kann.«

»Da habt Ihr Recht!« entgegnete Grüber. »Auch der Bauer kann sich über den Pflug und Karst erheben. Meister Thomas ist eines gemeinen Mannes Sohn, Doctor Luther ist eines Bergmanns Kind, und wer ist größer in Deutschland als sie? Da du nun deinen Sinn geändert hast, so willst du wahrscheinlich dich unter das christliche Regiment Münzer's begeben?«

»Ich weiß es nicht;« erwiederte der Jüngling. »Die Sehnsucht trieb mich hierher, die Sehnsucht nach meinem Schwesterlein.«

»Du erinnerst mich an den Auftrag, den du mir gegeben;« fiel Grüber ein. »Es war eine trübe Kunde, die ich dir hätte senden müssen, darum unterließ ich's lieber. Das Gehöft deines Vaters war verbrannt –«

»Und mein Vater mit ihm!« seufzte Heinrich. »Ich weiß; aber mein Schwesterlein lebt und ist Münzer's Gattin.«

»Wie?« rief jener überrascht. »Dann freue dich! Es wird dir viel Freude zu Theil werden!«

»Wie geht Euer Handel?« fragte Heinrich abbrechend.

»Bah!« lachte jener. »Was kümmern mich meine Salben und Tinkturen viel! Es war von je nur ein Vorwand, hinter dem ich höhere Zwecke verbarg. Ihr habt meine Kunst bewundert, meine Arzneien zu lobpreisen. Je nun, Klimpern gehört zum Handwerk. Weiland Meister Tetzel macht' es noch ärger mit seinem Ablaßkram! Die wahre Arznei, die ich führe, ist freilich des Anpreisens werth; aber ich rückte nur gegen die Geweihten damit heraus. Jetzt komm' ich aus Schwabenland, wo es gar toll und bunt zugeht.«

Ein Wägelchen kam ihnen entgegengefahren mit einem Roß bespannt; darauf saß ein alter Jude, in einen schmutzigen Kaftan gehüllt und neben ihm eine weibliche Gestalt, deren Gesicht jedoch so sehr von Fächern umhüllt war, daß man davon nichts erkennen konnte, als die gebogene Nase. Langsam rollte es daher und wurde jetzt von einem Schwarm lustiger Gesellen aufgehalten. »Wohin, Mauschel?« rief es.

»Gen Frankenhausen!« antwortete eine schnarrende Stimme. »Will einen Bruder besuchen, der dort Handel treibt – Euch zu dienen, meine hochverehrten Herren!«

»Wer ist das Weibsbild neben dir? « fragte Einer.

»Wer wird's doch sein, als meine Schwester?« entgegnete der Jude.

»Dann hast du recht, daß du ihr holdes Antlitz einmummst, damit die Vögel nicht scheu werden!« lachte es. »Nun fahre zu, Mauschel!« Einer der Gesellen schlug den Klepper mit seiner Gerte über den Rücken, daß dieser eine Strecke davongaloppirte, was der angeblichen Schwester des Juden einen unterdrückten Angstruf auspreßte.

Unsere beiden Wanderer waren in die Stadt gekommen; die Straßen waren voll Leben und Getümmel, wie Heinrich es in dem stillen Weimar nie gesehen. Aus dem Schwatzen der Menge hörte er mehrere Male Münzer's Namen heraus, aber stets mit einem Beiwort, daß von der hohen Ehrfurcht zeugte, die er von Jung und Alt genoß. Die hohen ehrwürdigen Giebeldächer kamen dem Jüngling wie alte Bekannte vor. Es war ihm, als betrete er nicht zum ersten Mal diese Stadt, und doch sann er vergebens nach, wo er schon eine ähnliche gesehen. Er hatte nicht bemerkt, daß seine Junkerkleidung der Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden war, daß vernehmbare Spottreden gegen ihn fielen. Erst als ein Mann mit unschönem Gesicht vor ihn trat, ihn mit frechen Augen maß und höhnisch fragte: »Wie ist doch Euer Name, großmächtigster Junker?« ward er gewahr, daß Grüber recht gehabt hatte, als er die Stadt Mühlhausen kein sicheres Asyl für einen Junker nannte. Heinrich wollte erzürnt den Zudringlichen von sich schieben, Grüber jedoch war ihm schon zuvorgekommen, indem er sprach: »Ihr irrt Euch, Bürger! Ihr habt keinen Junker vor Euch, vielmehr einen Verwandten Meister Thomas Münzer's.«

Knurrend zog sich jener zurück, und die Beiden nahmen ihren Weg nach dem Johanniterhof, an dessen Eingang Männer mir blanken Hellebarten standen. Sie waren von Münzer's Leihwache und fragten barsch nach dem Begehren der Fremden. Grüber brachte sein Anliegen vor, daß er und sein Begleiter den Gottesmann sprechen wolle. Münzer predige in der Liebfrauenkirche, hieß es.

»So wollen wir ihn in seiner Wohnung erwarten!« sagte Heinrich.

Die Wachen sahen ihn mißtrauisch an und fragten nach seinem Namen. Grüber sprach leise zu ihnen, worauf sie Beide ungehindert in das alte ehrwürdige Gebäude treten ließen.

Gewaltig drängte den Jüngling die Sehnsucht, zur geliebten, langentbehrten Schwester zu eilen. Grüber machte auch hier den Vermittler, und bald stand er mit klopfendem Herzen vor dem Closet, in dem er sie finden sollte. Er öffnete leise die Thür und trat über die Schwelle. Das lieblichste Bild bot sich ihm jetzt dar. Marie hatte ihren Knaben aus dem Schooß und herzte ihn; wie eine Madonna sah sie aus, und die Strahlen der Nachmittagssonne umflossen sie wie eine Glorie. Sie saß halb von ihm abgewendet; jetzt drehte sie sich nach ihm um, stand auf und ließ den Blick zweifelnd auf dem Fremden ruhen. Heinrich streckte die Arme aus und mit dem innigsten Ton rief er: »Marie!«

»Heinz, mein Bruder!« jubelte die junge Frau und eilte in die Arme des Jünglings, der sie zärtlich auf die Stirne küßte. Ein liebliches Roth breitete sich über ihre Wangen, die Zeit ihrer frohen Jugend trat in ihre Seele zurück. Der Knabe betrachtete mit seinen großen Augen den fremden Mann.

Marie musterte wohlgefällig die hohe edle Gestalt des Jünglings. »So ist dein Wunsch erfüllt?« fragte sie. »Du bist ein Ritter geworden?«

»Ach, Schwesterlein!« seufzte Heinrich. »Hätt' ich Euch doch nie verlassen! Ich habe dir viel zu erzählen, und du sollst mich trösten und aufrichten. Aber frage mich jetzt nicht. Jetzt will ich ganz die Freude des Wiedersehens genießen!« Er setzte sich neben Marie auf einen Sessel, hielt ihre Hand in der seinen gefaßt, während der Knabe auf ihrem Schooße spielte. »Das ist dein Kind?« fragte er.

»Mein Augapfel!« entgegnete die junge Mutter. »Aus seinen unschuldigen Augen schöpft mein Herz oft Trost und Ruhe.«

»Du bist nicht glücklich?« fragte Heinrich mit zärtlicher Theilnahme.

»Ich wär' es,« antwortete sie, »wenn mein Loos wäre, wie andrer Frauen Loos. Sie leben glücklich in stiller Häuslichkeit; mich verzehrt die Sorge um meinen Herrn. Wie wenig Stunden schenkt er mir und seinem Kinde! Sein unruhiger Geist ist voll von andern Dingen, an denen ich keine Freude habe. Sie mögen groß und edel sein, aber ich kann sie nicht fassen und sie beängstigen mich in meinen Träumen. Ich zittere beständig für sein leibliches und ewiges Wohl, und wenn ich ihm meine Sorgen mittheile, da wird er düster, und nun verschließ' ich sie in meinem Herzen.«

»Ich ahne diesen Geist!« rief der Jüngling. »Ich sah ihn zu Weimar, ohne daß ich noch wußte, daß er dein Gatte war, ich sah ihn und hab' ihn seitdem nie vergessen.«

»Das war eine trübe Zeit!« versetzte sie seufzend. »Sie verfolgten ihn seiner Meinung halber. Wie viel hab' ich nicht gelitten!«

»Nun aber ist er hochangesehen und zu hohen Ehren gekommen;« antwortete Heinrich.

»Ach, ich kann mich nicht dran erfreuen! Diese Gewalt ist gefährlich. Wonach er trachtet, das ist ein Verbrechen! Es kann nimmer gut enden!«

»Liebst du ihn denn von Herzen?« fragte Heinrich.

»Ich will dir gestehen, was noch nicht über meine Lippen gekommen!« erwiederte Marie erröthend. »Als ich ihn zum ersten Mal sah, da rann es mir heiß durch die Adern und dann wieder eisig kalt, als wenn mir ein Unglück von ihm kommen müßte. Ich fürchtete ihn. Einst war ich allein, als Graf Ernst in unserer Hütte einkehrte und Ungebührliches von mir begehrte.«

»Wie?« rief Heinrich flammenden Blicks.

Marie schlug die Augen nieder. »Ich rang mir ihm und plötzlich riß ihn Münzer, der unser Gast war und zu rechter Stunde zurückkam, von mir und erklärte mich als seine Braut. Die ganze Welt wirbelte vor meinen Augen, ich hatte keinen Gedanken, ihm zu widersprechen, und ergab mich in mein Loos, dessen ganze Bedeutung ich noch gar nicht kannte. Ich ward sein Weib. Ich liebte ihn nicht und sein Blick machte mir oft Grauen. Aber ich lernte ihn lieben, denn es gab auch Stunden, wo er so mild und gut war, wie kaum ein Mensch. So kam die Zeit heran, wo er in die Fremde ziehen mußte; ich blieb einsam bei einem seiner Freunde zurück. Da ich ihn nicht sah, stand er freundlich lächelnd in meiner Erinnerung und erfüllte nun mein ganzes Herz. Aber je mehr ich ihn liebe, um so mehr zittr' ich für ihn!«

»Laß ihn gewähren!« tröstete Heinrich. »Deine Klagen werden seinen unruhigen Geist nicht beugen! Und wer vermag es denn vorauszusehen, wozu die Vorsehung ihn erkoren hat? Sprich, Schwesterlein, hast du denn auch meiner recht oft gedacht, hast manchmal für den armen Heinz gebetet?«

»Und ob ich deiner gedacht habe!« rief die junge Frau. »Du warst mein zweiter Gedanke – ja, der erste warst du, eh' ich meinen Herrn lieben lernte!«

Er schlang dankbar seinen Arm um ihren Nacken. »Und unser armer Vater?« fuhr er mit zitternder Stimme fort, mit offenbarer Scheu, diesen traurigen Gegenstand zu berühren. »Kränkte ihn meine Flucht recht tief? Hat er mir vergeben oder meiner geflucht?«

»Ach, du weißt es ja,« antwortete sie seufzend; »der Friede war seit lange schon von ihm genommen. Seine Gedanken hingen wenig mehr an uns, und als nun Münzer kam –«

Unmerkbar hatte sich die Thür geöffnet, und Münzer selbst stand auf der Schwelle; sein Auge starrte mehr tiefbetrübt als zürnend auf die für ihn allerdings seltsame Gruppe. Im Nu zog ein Gedankenheer an seiner Seele vorüber. Was er oft im Stillen um Mariens willen beklagt, daß sein Herz zu sehr mit seinen Plänen beschäftigt sei, um die Liebe eines Weibes im vollen Maße zu erwiedern, das schien jetzt vernichtend auf ihn einzustürmen, und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust. Dieser Seufzer verrieth ihn. Marie sprang auf und eilte ihm freudig entgegen. Konnte die Schuld ihm so in's Auge blicken? »Thomas!« rief sie. »Freue dich mit mir, mein Bruder ist gekommen! Heinz, von dem ich dir so oft erzählt!«

Münzer athmete hoch auf; er schämte sich seines Verdachtes. Freundlich reichte er dem nähertretenden Jüngling die Hand. »Sei mir willkommen, Schwager!« sprach er. »Doch irr' ich nicht,« fuhr er fort, »so hab' ich dies Antlitz schon einmal gesehen.«

»Ganz recht!« entgegnete Heinrich. »Auch Ihr seid mir nicht fremd; es war ein Zufall, der mich mit Euch zusammenführte, in Weimar war es, zu einer Zeit, die ich so gern vergessen möchte.«

»Ja, ja,« sagte Münzer, indem die Erinnerung in ihm immer klarer wurde; »ich kam aus einem heißen Kampfe. Niedrige Seelen glaubten mich zu verhöhnen, du befreitest mich von dem höflichen Geschmeiß. Es war eine schwere Zeit auch für mich, aber ich möchte sie nicht vergessen, denn unser vergangenes Leben ist ein Buch, ans dem wir für das zukünftige lernen. Du bist in Herrendienst, wie ich sehe; ich möchte dich freundlich warnen. Mache dein Schifflein los, ehe es mit im Strom versinkt.«

»Ich bin keines Menschen Diener mehr!« antwortete Heinrich. »Ich habe die Bande zerrissen, die mich an Fremdes ketteten.«

»Dann sei mir doppelt gegrüßt!« versetzte Münzer freudig. »Die Herren sind eines treuen Dieners nicht werth. Und heucheln sie noch so große Freundlichkeit, so haben sie doch kein Herz für ihn, und sehen stolz und kalt entweder auf ihn herab, oder demüthigen ihn durch ihre Herablassung, die einer freien Seele noch weher thut, denn Stolz. Wie wird dein Vater sich freuen, wenn du wieder der Unsrige geworden bist!«

»Mein Vater?« fragte Heinrich verwundert.

»Komm', ich werde dich zu ihm führen:« sagte Münzer, ergriff ihn an der Hand und führte ihn mit sich fort. Heinrich wußte nicht, oh er wache oder träume; mechanisch folgte er seinem Führer über mehrere dunkle Gänge und stand plötzlich in einem alterthümlichen Gemach seinem todtgeglaubten Vater gegenüber. Die ganze Welt schien sich mit ihm im Kreise zu drehen. Kaum seiner Sinne mächtig, stürzte er zu Pfeifer's Füßen, und in seinem Rufe: »Vater!« lag Alles, was in diesem Augenblick sein Gemüth bewegte: Staunen, Freude, Flehen um Vergebung.

Pfeifer schien nicht wenig überrascht. Wie ein Wetterleuchten flog ein Strahl des Entzückens über seine harten Züge, und in diesem flüchtigen Moment stahl sich Heinrich's Name aus seiner Brust, so voll milder Zärtlichkeit, wie ihrer der rauhe Mann kaum fähig schien; und er beugte sich hinab und hob den Jüngling empor. Münzer verließ geräuschlos das Gemach.

Wie ein sonniger Frühlingshimmel tauchte es in des Jünglings Seele. Der Vater hatte ihm vergeben, war ihm nicht mehr feindlich und hart gesinnt; nun ließ sich alles Erduldete vergessen! Aber wehe! Da zuckte es wieder über des Vaters Antlitz so kalt, so schneidend höhnisch, daß der kaum erwachte Frühling in Heinrich's Brust erstarrte. Der finstere Geist hatte ihn wieder erfaßt, der den Jüngling einst aus der Heimath vertrieb. »Du bist ja ein recht stattlicher Ritter geworden!« spottete der Vater.

»O Vater!« entgegnete Heinrich gekränkt. »Gedenkt meines Fehlers nicht mehr! Ich habe dafür gebüßt und hab' es oft bereut, daß ich Euch Sorgen und Kümmerniß bereitet! Ich will dieses Kleid ablegen, und was ich erlebt, soll wie ein Traum verschwunden sein!«

»Hat dir's nicht gefallen in den prächtigen Schlössern – deiner Sippschaft?« versetzte Pfeifer. »Wollten sie vielleicht das adlige Blut nicht anerkennen, das in deinen Adern rollt? Dann mußt du dich rächen, mein Junge, mußt sie Lügen strafen!«

»Rächen?!« rief Heinrich erglühend. »Ja, rächen möcht' ich mich an dem Einen, der die Menschheit in mir verhöhnt! Vater! Er schalt, schlug nach mir, wie nach einem Hund – weil ich der Sohn eines Bauern war! Er hätte mich mit Füßen getreten, wär' ich der Stärkere nicht gewesen! Aus dem Schooße des Glücks stieß er mich herzlos hinaus!«

»Und wer ist der Eine?« fragte Pfeifer.

»Graf Ernst!« antwortete der Jüngling knirschend.

»Er?« rief Pfeifer, und wie eine Flamme brannt' es aus seinen Augen. Dann ergriff er heftig des Sohnes Hand und sprach dumpf und geheimnisvoll: »Du mußt dich rächen an ihm, hörst du? Er hat wie ein Teufel an dir gehandelt, an dir, seinem ehemaligen Gespielen! Die Rache ist süß, mein Heinz! Sterben soll die Brut, die uns Alle mit Füßen trat. Bleibe hier; ich zeige dir den Weg zur Rache!«

Heinrichs ganzer Groll erwachte gegen den Gespielen seiner Jugend, der ihn so tief verletzt; er gelobte Rache in die Hand des Vaters, der ihn von nun an mit mehr Freundlichkeit behandelte. »Ich beweinte Euch als todt,« sagte Heinrich endlich. »Gewiß war es auch nur eine schändliche Lüge des Grafen, die mir die Seele zerreißen sollte!«

»Ich wollte todt sein, um als rächender Geist wieder zu erstehen!« sagte Pfeifer »Ich schleuderte die Brandfackel in meine Hütte und entfloh. Hüte dich, Heinz, meinen Namen zu nennen, bevor Ich dir's erlaube. Hüte dich auch, mich vor dieser Zeit Vater zu nennen; ich bin Heinrich Pfeifer, Rathmann von Mühlhausen.« –

Grüber war unterdeß dem Meister Thomas gemeldet und nach dessen Gemach geführt worden. Münzer begrüßte ihn freundlich als einen alten Bekannten. »Nun, mein treuer Bote,« sprach er, »bringst du gute Mähr?«

»In Hüll' und Fülle,« antwortete Grüber. »Mündlich und schriftlich, aus aller Welt Enden!« Er riß eine Nath seines Kittels auf und brachte mehrere kleine, sorgfältig zusammengelegte Briefe heraus, die er Münzer übergab. »Dies meldet Euch den Stand der Angelegenheiten am Oberrhein,« sprach er dazu; »dies ist von Eurem gelehrten Freunde Balthasar Hubmaier in Waldshut; dies aus dem Neckarthal; aus dem Odenwald dies; dies von Jacob Wehe, dem Prediger in Leipheim, und nun kann ich Euch erzählen, so viel Ihr Lust habt zu hören. Ueberall rauchen die Herrenschlösser und Klöster, und der gemeine Mann ist Hans in allen Gassen. Selbst das Tyrolerlandl ist aufgestanden.«

»Das ist mir lieb!« rief Münzer lebhaft. »Das wird einen mächtigen Feind so lange beschäftigen, bis die beste Arbeit gethan ist. Ich meine den Erzherzog Ferdinand.«

»Der führt ein sonderbar Wesen, als ich vernommen habe!« antwortete Grüber. »Man sagt, er begünstigt den Aufstand in Oberschwaben.«

»Um im Trüben zu fischen, wie es dieser Herren Weise ist!« versetzte Münzer. »Doch sie werden seine Karten wohl durchschauen, so sie nicht ganz verblendet sind. Ich fürchte mehr der Herren Arglist als ihre Waffen. Das Volk ist noch nicht klug geworden, fürcht' ich, durch langen Schaden. Es hat noch seinen guten Glauben, und wenn die Herren Sammetpfötchen machen, so duckt es sich nur zu leicht, bis die Zeit kommt, wo sie die Krallen wieder vorstrecken mögen.«

»Nun, ich meine, da dürft Ihr keine Sorge haben! « lächelte Grüber. »Die Bauern verfahren gar nicht säuberlich mit ihren Junkern.«

»Ich hoffe zu Gott, daß sie nicht lang Umschweif machen!« sagte Münzer. »Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns, und dann frisch dran und den Greuel niedergerissen! Ich kenne der Herren Praktik. So sie ihre Schwäche einsehen, werden sie unterhandeln, werden dingen hin und her, bis sie den gemeinen Mann eingeschläfert oder Kräfte gesammelt haben. Es gilt in diesem Kampfe nicht den Nutzen einer Gemeinde oder Landschaft, sondern des ganzen Volks, und eher soll kein Mann das Schwert hinlegen, bis das ganze Volk an dem Ziele steht, wohin ich's führen will. Helf' uns Gott! Ich wollt', ich könnt ihnen einblasen, was ich fühle.«

»In Schwaben redet man davon, Herzog Ulrich sei wieder zu den Bauern geritten nach seiner kriegerischen Fastnacht und wolle gemeine Sache mit ihnen machen gegen den Bund.«

»Sie sollen ihm die gebratenen Castanien aus dem Feuer holen!« meinte Münzer. »Sie mögen auf der Hut sein; er hat eine gar glatte Zunge. Noch fürcht' ich nicht viel von ihm; denn er hat Liebe und Vertrauen verscherzt. Das Unglück hat ihn nicht gebessert.«

»Ritter Götz mit der eisernen Hand soll den Bauern freundlich gesinnt sein; er soll ihnen Vertrag und Bündniß angeboten haben.«

»Er wäre ein tapfrer Heerführer, wenn er's redlich meint;« antwortete Münzer. »Leider haben's Alle, die adlig sind, dahin gebracht, daß man ihnen nicht trauen mag. Zwar lebt der Götz mit den Herren weit und breit in Hader, aber sie werden seine Freundschaft suchen, wenn sie in Noth sind. Dann bewahrt sich die Treue. Ich mag nur Einem trauen, das ist Florian Geyer; der meint's redlich und wahr, ob auch sein Sinn nach einem einzigen Kaiser steht. Was ist uns der Kaiser? Ist das Volk frei geworden, so wird es sich fürwahr nicht zurücksehnen unter die alte Zuchtruthe, selbst wenn sie die Hand des Kaisers führt.«

»In den Landen Markgrafs Casimir wetterleuchtet's an allen Enden, als mir gesagt worden ist,« berichtete Grüber weiter. »Doctor Carlstadt hat dort ein gut Stück Arbeit verrichtet. Die Klöster und Schlösser brennen und die Bauern schreien denen von Adel ihre sieben Artikel in die Ohren, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.«

»Recht, recht!« rief Münzer erfreut. »Ich habe dem guten Doctor Unrecht gethan, als ich ihn einen Schwachkopf nannte. Auf die Franken bau' ich. Ist Würzburg gefallen, so ist ihnen der Weg offen gen Thüringen.«

»Er wird von Tage zu Tage mehr gebahnt!« scherzte Grüber. »Ihr möget von Mühlhausen bis Würzburg gehen, ohne Geleit, denn Ihr trefft überall Leute, die's mit Euch halten. Ihr dürft nur in's Horn blasen, und alle Gemeinden stehen auf und antworten Euch. Der junge Landgraf von Hessen möcht' schier vergehen vor Herzeleid, denn seinen Bauern ist's nicht genug, daß er mit dem Luther gut Freund ist. Es ist rührend zu sehen, wie der ehrenfeste Pfarrer Wizel von Wenigen-Lubenitz mit einer Leibwache von Eisenach im Land umherreist und gegen Euch predigt und zum Faulliegen ermahnt, derweil in seiner eignen Gemeinde sich's rührt und regt, gemeiner Freiheit zu lieb. Und Doctor Martinus selber hält einen fleißigen Umzug, seinen Weizen vom Unkraut zu säubern.«

»Ich weiß, ich weiß!« versetzte Münzer lächelnd. »Aber die Leute schütteln die Köpfe und meinen, es sei ihnen halt nicht gedient mit seiner Freiheit, die ihre Noth um kein Sandkorn mindert. Ich hab' ihm einen Pfahl in's Fleisch gesetzt, daß er wohl seines Hochmuths ledig gehen soll.«

Die beiden Männer sprachen noch lange über die Fortschritte des Aufstandes; Grüber wußte noch viele Einzelheiten zu erzählen, und Münzer's Auge blitzte immer kühner bei den seiner Sache so günstigen Berichten. »Treuer Mann!« sagte er endlich. »Die Sache des Volkes hat dir viel zu danken; rastlos und eifrig hab' ich dich bisher erfunden. Wären Alle wie du, wir möchten wohl bald zu Rande kommen. Wenn du nicht müde bist zu wirken, so will ich dir wohl noch eine Sendschaft geben. Ich hab' einen Brief geschrieben an die braven Bergknappen zu Mansfeld; ich hoffe viel von ihnen und möchte wohl kaum einen treuern und bessern Boten finden.«

»Gebt nur her!« sagte Grüber »Meine Tincturen und mein Kittel sind mir Geleitsbrief durch's ganze Land. Ich werd' Euch frohe Botschaft zurückbringen.«

Münzer legte den Brief in Grüber's Hände. Er lautete also:

»Die reine Furcht Gottes zuvor. Liebe Brüder, wie lange schlaft Ihr? Wie lange seid Ihr Gott seines Willens nicht geständig, darum, daß er Euch nach Eurem Ansehen verlassen hat? Wie oft habe ich Euch gesagt, daß es das muß sein. Gott kann sich nicht länger offenbaren. Ihr müßt stehen; thut Ihr's nicht, so ist das Opfer, ein herzbetrübtes Herzeleid umsonst. Ihr müsset darnach wieder in Leiden kommen. Das sage ich Euch, wollt Ihr nicht um Gottes willen leiden, so müßt Ihr des Teufels Märtyrer sein. Darum hütetet Euch. Seid nicht verzagt, nicht nachlässig; schmeichelt nicht länger den verkehrten Phantasien, den gottlosen Bösewichtern. Fahet an und streitet den Streit des Herrn. Es ist hohe Zeit. Haltet Eure Brüder all' dazu, daß sie göttliches Zeugnis nicht verspotten, sonst müssen sie alle verderben. Das ganze Deutsch-, Französisch- und Welschland ist erregt. Der Meister will ein Spiel machen, die Bösenwichter müssen dran. Zu Fulda haben sie in der Osterwoche vier Stiftskirchen verwüstet. Die Bauern im Klettgau, im Hegau und Schwarzwald sind auf, als dreißigtausend stark, und wird der Haufe je länger je größer. Allein das ist meine Sorge, daß die närrischen Menschen sich verwilligen in einen falschen Vertrag, darum daß sie den Schaden noch nicht erkennen. Wo Eurer nur drei sind, die in Gott gelassen, allein seinen Namen und seine Ehre suchen, werdet Ihr Hunderttausende nicht fürchten. Nur dran, dran, dran! Es ist Zeit. Die Bösewichter sind versagt wie die Hunde. Reget die Brüder an, daß sie zu Fried' kommen und ihr Gezeugniß halten. Es ist über die Maßen hoch, hoch vonnöthen. Dran, dran, dran! Lasset Euch nicht erbarmen, ob auch der Esau gute Worte vorschlägt. Sehet nicht an den Jammer der Gottlosen. Sie werden Euch so freundlich bitten, greinen, flehen wie die Kinder; Laßt es Euch nicht erbarmen, wie Gott durch Moses befohlen hat, 5 Buch Mosis, 7. Uns, uns hat er auch offenbaret dasselbe. Reget an in Dörfern und Städten, und sonderlich die Berggesellen mit andern guten Burschen. Wir dürfen nicht länger schlafen. Siehe, da ich die Worte schrieb, kam mir Botschaft von Salza, sie das Volk den Amtmann Herzog Georgens vom Schloß langen wollen, um deßwillen, daß er drei habe wollen heimlich umbringen. Die Bauern vom Eichsfeld sind über ihre Junker fröhlich worden kurz, sie wollen keine Gnade haben. Es ist des Wesens viel Euch zum Ebenbilde. Ihr müsset dran, dran! Es ist Zeit. Balthasar und Bartel, Krumpf, Balter und Bischof, gehet seine an. Diesen Brief lasset den Berggesellen werden. Mein Drucker wird kommen in kurzen Tagen. Ich habe die Botschaft erhalten; ich kann es jetzt nicht anders machen. Selbst wollte ich den Brüdern Unterricht geben, daß ihnen das Herz viel größer sollte werden, denn alle Schlösser und Rüstung der gottlosen Bösewichter auf Erden. Dran, dran, dran, weil das Feuer heiß ist! Lasset Euer Schwert nicht kalt werden von Blut. Schmiede Pinckepanck auf den Ambos Nimrod, werft ihm den Thurm zu Boden. Es ist nicht möglich, dieweil sie leben, daß Ihr der menschlichen Furcht sollt loswerden. Man kann Euch von Gott nicht sagen, dieweil sie über Euch regieren. Dran, dran, dran, dieweil Ihr Tag habt! Gott geht Euch für, folget! Die Geschichte stehet beschrieben: Matthäi 25. Darum lasset Euch nicht abschrecken. Gott ist mit Euch, wie geschrieben stehet: 2 Chron. 2. Dies sagt Gott: Ihr sollt Euch nicht fürchten, Ihr sollt diese große Menge nicht scheuen. Es ist nicht Euer, sondern des Herrn Streit, Ihr seid's nicht, die Ihr streitet. Stellet Euch fürwahr männlich. Ihr werdet sehen die Hülfe des Herrn über Euch. Da Josaphat diese Worte hörte, da fiel er nieder. Also thut auch durch Gott, der Euch stärke ohne Furcht der Menschen im rechten Glauben. Amen. Gegeben Mühlhausen im Jahr 1525. Thomas Münzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen.«


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