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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Ein Veilchen in einem Blumenbeet

Kehren wir in das Dorf Avon zurück und hören wir, warum Hieronymus, der gute Landwirth, welcher seine Tochter so sehr liebte, dieser keine Nachricht von sich gab, da sie ihm doch bei ihrer Wiedergenesung geschrieben hatte. Einen zärtlichen Vater darf man nicht wegen Gleichgültigkeit beargwöhnen, daher müssen wir den Grund seines Betragens aufsuchen.

Rosa-Maria's Abreise hatte Hieronymus schmerzlich bewegt; ein großer Aufwand von Muth war bei ihm nöthig gewesen, um sich von seinem Kinde zu trennen, und wenn er in ihrer Gegenwart nicht geweint hatte, so geschah es nur, weil seine Tochter beim Anblick seiner Thränen nicht eingewilligt hätte, ihn zu verlassen; und da er der Ueberzeugung war, Rosa eine glückliche Zukunft zu sichern, wenn er sie zu ihren Onkeln schicke, so mußte er die Größe seines Schmerzes vor ihr verbergen.

Traurig schlichen die ersten Tage nach der Abreise des jungen Mädchens in dem kleinen Hause des Landmannes hin; doch unverdrossene Arbeit gewährt Zerstreuung in jedem Kummer. Hieronymus handelte nach diesem Grundsatz; hernach, wenn er von dem Felde heimkehrte und an seinem Herde ausruhte, unterhielt er sich von seiner Tochter mit Marie, er sprach ohne Unterlaß von ihr, und in seinem Herzen dachte er: sie muß auch dort geliebt sein, hier liebte sie ja Jedermann.

Und Marie redete wie ihr Herr und stimmte Allem bei, was ihn trösten konnte.

Eines Tages jedoch war Hieronymus, als er vom Felde heimkehrte, ganz überrascht, von seiner Magd zu erfahren, daß ein schöner, junger, städtisch gekleideter Mann, nach seiner Tochter gefragt habe und bei der Nachricht von ihrer Abreise nach Paris sehr erstaunt, sehr traurig geschienen und sich sofort wieder entfernt habe, ohne etwas Weiteres zu sagen und sogar ohne mit dem Vater des Mädchens, das er zu kennen schien, sprechen zu wollen.

Der gute Dorfbewohner hatte eine Menge Vermuthungen über diesen Besuch angestellt und war am Ende bei dem Gedanken stehen geblieben, daß dieser junge Mann seine Tochter zu Fontainebleau im Hause der Damen, wo sie zuweilen arbeitete, gesehen haben könnte; daß er vielleicht im Auftrag derselben gekommen sei, um nach ihr zu fragen, und als er ihre Abreise nach Paris erfuhr, den Zweck seines Besuches für erreicht gehalten habe. Damit schlug sich Hieronymus diesen Besuch aus dem Sinne; er hegte zu viel Vertrauen zu seiner Tochter, um etwas Strafbares in ihrer Bekanntschaft mit dem Fremden zu argwöhnen.

Aber Tage, Wochen waren vergangen und Hieronymus erhielt keine Nachricht von Paris, keinen Brief von Rosa-Maria. Er beruhigte sich mit dem Gedanken: »Wenn sie die Oheime nicht gut aufgenommen hätten, so wäre sie zu mir zurückgekehrt.«

Das längere Stillschweigen seiner Tochter jedoch versetzte ihn allmählig in Erstaunen und Besorgniß. Um diese Zeit hatte Hieronymus den Brief seiner Tochter, welchen sie ihm nach ihrer Wiederherstellung schrieb und worin sie ihm ihre Adresse bei Vater Savenay angab, empfangen haben sollen. Dem war aber nicht so, und zwar aus folgendem Grunde. Man wird sich erinnern, daß Desiderius Glureau, der Straßenkehrensinspektor, sich in dem Augenblick bei Savenay befand, wo Rosa-Maria den Brief an ihren Vater schloß; sie hatte ihm denselben anvertraut und auf die Post zu geben ersucht, und der vormalige Knopfmacher hatte sich dieser Commission mit Vergnügen unterzogen, mit den Worten: »Nichts Leichteres! In Paris gibt es an jeder Ecke eine Stadtpost.«

Aber die leichtesten Sachen sind oft gerade diejenigen, welche Einem mißglücken, weil man es bei der Ausführung nicht der Mühe werth hält, ihnen viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Als Glureau aus der Wohnung des Vaters Savenay ging, begegnete ihm sein junger Freund, der Wilde, dieser, welcher Abends zuvor ein Profitchen mit Contremarken an einem Theater gemacht hatte, kam ihm mit dem Antrag entgegen, ihn mit einem Nößel Wein zu regaliren. Glureau war ein braver Kerl, aber einem guten Schluck konnte er nicht leicht widerstehen. Auf das erste Nößel folgte das zweite und dann noch verschiedene. Diesen Herrn war beinahe ein Achtelsohm durch die Gurgel gerollt; da holte man endlich den Besenoberinspektor, weil er seit dem lieben Morgen Nichts inspicirt hatte.

Im Augenblick, wo er an sein Geschäft gehen wollte, hatte Glureau den Brief aus der Tasche gezogen und gerufen: »Ei, so soll doch das Donnerwetter! ... da habe ich vergessen, das Ding da in eine Brieflade zu werfen.« – Geh' nur an Dein Geschäft und gib das mir,« hatte der Wilde gesagt; »damit schlottere ich eben so gut zur Post wie Du.«

Der Mann mit dem Faltenhute hatte den Brief seinem jungen Freunde übergeben. Dieser hatte sich wieder ans Trinken gemacht, bis er toll und voll gesoffen war. Als er in diesem Zustand seine Pfeife anzünden wollte, hatte er den Brief zusammengerollt und sich dessen als Fidibus bedient, da die Bestimmung dieses Papiers seinem Gedächtnisse ganz abhanden gekommen war.

Und deßhalb hatte Hieronymus nichts von seiner Tochter erfahren. Merke: Wenn Du einen Brief von einiger Wichtigkeit hast, so gib Dir die Mühe und trage ihn selbst zur Post; denn wenn Andere in dieser Beziehung eine Nachlässigkeit oder Vergeßlichkeit an Dir begangen haben, so darfst Du darauf zählen, daß sie es nicht eingestehen werden.

Hieronymus' Besorgniß war auf den höchsten Grad gestiegen, er war bereits auf dem Punkte nach Paris zu reisen, um Erkundigung über seine Tochter einzuziehen, als ihm endlich ein Brief von ihr zuging. Es war der, welcher Rosa-Maria von ihrem Oheim St. Godibert diktirt worden war.

Hieronymus hatte den Styl dieses Briefes sehr seltsam gefunden. Ihm war es unbegreiflich gewesen, wie seine Brüder Niclas und Eustach sich hatten in St. Godibert und Mondigo verwandeln können. Aber seine Tochter sagte ja auch, daß sie von ihren Oheimen auf's Beste aufgenommen worden sei, und das war für ihn die Hauptsache. Fortan unbesorgt über Rosa-Maria's Schicksal, hatte er den guten Rath, sich wegen eines Besuchs bei seiner Tochter nicht zu bemühen, im guten Sinne ausgelegt und gedacht: »das theure Kind wird selbst kommen, es wird meiner Rosa Freude machen, wieder auf dem Felde umherzuschweifen, ihre Blumen, ihren Garten wiederzusehen. Uebrigens befindet sie sich ja auf's Beste bei ihrem Oheim. Man liebt sie schon, darauf wette ich. Ich kann also ganz ruhig sein und brauche mir künftig keine Sorgen zu machen.«

Natürlich war Hieronymus' Plan, nach Paris zu reisen, gleich nach Empfang dieses Briefes von ihm aufgegeben worden.

Während dies im Dorfe vorging, verursachte Rosa-Maria's Anwesenheit im Hause des Herrn St. Godibert eine halbe Revolution. Erstens speiste der Sohn des Hauses nicht mehr auswärts, um jeden Tag mit seiner Base zu speisen; Abends wäre er auch gerne geblieben, um ihr Gesellschaft zu leisten, wenn seine Eltern es gestattet hätten; aber Madame St. Godibert duldete nicht, daß außer ihrem Gemahl ein Mann in Rosa-Maria's Arbeitsstübchen eindrang.

Der schöne Neffe machte gleichfalls häufige Besuche bei seinem Oheime: er kam im Laufe des Tags und kam Abends wieder; aber das Zimmer, worin die hübsche Arbeiterin sich befand, blieb ein verbotener Raum für ihn. Friedrich rächte sich dafür dadurch, daß er unaufhörlich von seiner Cousine sprach, stets nach ihrem Befinden fragte und sich durch die trockenen Antworten seiner Tante den Mund nicht schließen ließ.

Franz endlich fand, trotz Mamsell Fifinens Argusaugen und des Befehls seiner Herrschaft, Mittel und Wege, dem jungen Mädchen tausend Aufmerksamkeiten, tausend Gefälligkeiten zu erweisen, wofür er von ihr mit einem anmuthigen Lächeln belohnt wurde, um welches der normannische Bediente Herrn und Frau St. Godibert durchgewalkt hätte, wenn ein solcher Wunsch in Rosa-Maria's Augen zu lesen gewesen wäre.

St. Godiberts bemerkten wohl, was vorging. Der Herr sagte bisweilen: »Die schönen Augen dieser Kleinen verrücken Jedermann den Kopf. Ich glaube wahrhaftig, wenn man unsern Sohn gewähren ließe, er wäre im Stande, verliebt in Rosa-Maria zu werden! Aber wir sind da, ihn zu überwachen; möge er aus der Ferne sein Lorgnon noch so lange nach ihr in die Augen zwicken, er darf keine andere als eine sehr reiche Frau heirathen ... ich baue sehr auf Fräulein Soufflat.« – An eine Heirath mit der Tochter dieses Bauern denken!« schrie die dicke Angelika achselzuckend; »da müßte Julian schon sehr zur Canaille gehören! ... Und dieser Friedrich, der unaufhörlich von seiner Base schwatzt, der alle Augenblicke hieherkommt, in der Hoffnung, sie zu sehen! Hui und pfui! ... die jungen Burschen sind in der That närrisch! – »Man könnte der Sache schnell ein Ende machen, liebe Frau; man dürfte nur die Kleine heimschicken.« – Allerdings; aber Rosa-Maria ist mir sehr nützlich; sie arbeitet wie ein Engel: sie richtet meine Korsetten zu, daß ich eine Taille habe wie eine Wespe. Warum sie fortschicken? wir dürfen nur gehörig über sie wachen. – »Meinethalben, liebe Freundin; aber seit sie hier ist, haben wir keine große Soirée mehr gegeben, und ich will nicht, daß wir uns durch ihre Anwesenheit verhindern lassen, unsere feine Gesellschaft zu empfangen!« – Deßhalb brauchen wir uns doch wahrhaftig keinen Zwang anzuthun, Herr Gemahl; laden Sie immer Ihre Leute ein: an jenem Tage muß dann eben Rosa-Maria den ganzen Abend auf ihrem Zimmer zubringen.«

Einige Tage nach diesem Zwiegespräch war große Abendgesellschaft bei Herrn St. Godibert, der noch mehr Gäste eingeladen hatte als sonst, weil schon lange kein Empfang mehr bei ihm stattgefunden hatte.

Friedrich hatte mit Entzücken die Einladung seines Onkels empfangen, denn er hoffte seine Cousine bei dieser Gelegenheit endlich einmal wiederzusehen.

Julian schmeichelte sich nicht viel mit dieser Hoffnung, weil er jeden Tag sah, wie sorgfältig man seine Base unter Schloß und Riegel hielt; indeß dachte er, man werde Rosa-Maria in ihrem gewöhnlichen Arbeitsstübchen lassen, und da werde er sich, während seine Eltern durch ihre vielen Obliegenheiten bei dieser Reunion in Anspruch genommen seien, einen Augenblick bei seinem Bäschen einschleichen können.

Herr Dernesty, der wie gewöhnlich zu den Eingeladenen gehörte und seit der letzten Abendgesellschaft nicht mehr bei dem Banquier erschienen war, hatte sich gleichfalls entschlossen, hinzugehen, und das Verlangen, dieses von Friedrich so vielgepriesene junge Mädchen zu sehen, hatte wohl den größten Antheil an seinem Entschluß.

Was den Oheim Mondigo betrifft, der seine Nichte seit dem Tage, wo sie in seines Bruders Haus gebracht worden war, nicht mehr gesehen hatte, so kannte er diesen zu gut, um nicht die Ueberzeugung zu haben, daß Rosa-Maria bei der Abendgesellschaft nicht zugegen sein werde; das versicherte er auch zuversichtlich seiner Frau, welche zu ihm sagte: »Wenn ich mich auf den Anblick Ihrer Nichte im Hause Ihres Bruders gefaßt halten müßte, so erkläre ich Ihnen, Herr Gemahl, daß ich nicht hingehen würde. Denn in meinem jugendlichen Alter will ich mich nicht aussehen, von einer großen, siebzehnjährigen Gans, Tante angeschnattert zu werden! das wäre scheußlich!«

Während des ganzen der Reunion vorangehenden Tages hatte Rosa-Maria der Mamsell Fifine bei den Vorbereitungen dazu geholfen. Die Kammerjungfer wiederholte unaufhörlich mit spöttischer Miene: »Ah! das wird einen schönen Abend hier geben! wie viel elegante Welt, wie viel geschmückte Frauen werden da sein! wie viele gute Sachen wird man auftischen! ... aber es wird auch eine auserlesene Gesellschaft sein ... man wird nicht Jedermann zulassen.«

Rosa-Maria war jedoch gegen alle diese Redensarten äußerst gleichgültig. Ihre Tante hatte ihr schon bedeutet, daß sie sogleich nach dem Mittagessen in ihr Zimmer hinaufgehen müsse, und weit entfernt, darüber niedergeschlagen zu sein, hatte das junge Mädchen diesen Befehl mit Freude vernommen. Sie bedauerte keineswegs, nicht mit all' den erwarteten Gästen zusammenzusein; sie dachte, mitten unter dieser schönen Gesellschaft müßte sie sehr in Verlegenheit kommen, und zudem zog sie vor, allein zu sein, um ungestört an Leopold denken zu können, an dessen Wiederbegegnung ihre ganze Hoffnung hing, und von dem sie nicht annehmen konnte, er werde jedesmal an ihr vorbeigehen, ohne sie anzureden.

Um neun Uhr Abends waren die Säle erleuchtet; das hausherrliche Paar im höchsten Staat und die Dienerschaft auf ihrem Posten. Bald langte die Gesellschaft an. Sie bestand fast ganz aus unsern alten Bekannten vom früheren Prunkmahl und einigen neuen Gesichtern.

Herr Soufflat mit seiner Tochter, deren Nase unglücklicher Weise nicht abgenommen hatte, befand sich hier; Frau Doguin mit ihrem Gemahl, dessen Füße noch immer nicht nach Pomeranzenblüte rochen; das schelmische Kränzchen kam mit ihrem Manne, der stets nur an das dachte, was die Römer trugen, nie aber an das, was er selbst trug; der Major Krautberg erschien mit seiner Jedermann zu Verfügung stehenden Gutmüthigkeit; Herr Cendrillon stellte sich mit seinem gewöhnlichen ungenirten Wesen, und Herr Roquet mit seiner, mit den Jahren immer noch zunehmenden Eroberungslust ein, wozu er sich mit einer eines Löwen des modernen Athens würdigen Toilette bewaffnet hatte. Endlich führte der Bruder Genie seine blonde Frau mit den schmachtenden Augen herbei: diese durchlief mit einem Blick den Saal, um sich zu vergewissern, daß sie keinen Ueberfall von einer jungen Nichte zu befürchten habe, während ihr Gemahl sich bereits Herrn Doguin's bemächtigt hatte, um ihm den Stoff eines neuprojektirten Stückes auseinander zu setzen.

Julian war gar nicht erstaunt, seine hübsche Cousine nicht im Saale zu finden; als er jedoch das Boudoir seiner Mutter, so wie das Cabinet, worin gewöhnlich Rosa-Maria arbeitete, gleichfalls erleuchtet sah, so war für ihn kein Zweifel mehr, daß Rosa-Maria überhaupt nicht heruntergekommen sei, und nachdem er sich davon überzeugt, kehrte er in ganz schlechter Laune in den Salon zurück.

Dernesty ließ nicht lange auf sich warten; seine beim Eintritt etwas unsichern Blicke hatten bald ihre gewöhnliche Zuversicht wieder erhalten, und nachdem er alle Damen des Zirkels gemustert, ging er auf Julian zu und flüsterte ihm ins Ohr: »Wo ist denn die so reizende Base, von der mir Friedrich gesagt hat?« – Man hat ihr nicht erlaubt, herabzukommen,« antwortete Julian. – »Teufel auch! das ist sehr widerwärtig; denn hauptsächlich um sie zu sehen, bin ich gekommen ... um so mehr, als mir gegenwärtig sehr wenig daran liegt, hieher zu kommen ... warum, werde ich Dir nicht erst zu sagen brauchen.« – Still! ... willst Du schweigen!« antwortete Julian, unruhige Blicke um sich werfend; »wenn man Dich hörte! – »O! zum Henker! ich rathe Dir, zu reden! was ich da sage, ist unverfänglich! während Du mir an jenem Abend Mitleid einflößtest! Wenn man sich vor der Welt nicht fassen kann, so muß man wegbleiben.« – Ach! wenn Du wüßtest, was ich an jenem Abend ausgestanden habe, als ich ihn ... – »Genug, genug; hoffentlich kommt er nicht herauf?« – O! nie. – »Nicht als ob wir etwas zu fürchten hätten; aber es ist doch immerhin widerwärtig, sich zusammen zu finden mit ...« – Ach! wenn ich hätte voraussehen können, daß eines Tages ... – »Still doch, da kommt Friedrich.«

Der große junge Mann trat in den Salon. Zuerst begrüßte er einige Damen und besonders Madame Marmodin, die ihn mit gereizter Miene ansah, weil er seit einiger Zeit weit weniger um sie bemüht war; sodann suchte er mit den Augen in allen Enden und Ecken der Zimmer, dann zog er seine Lippen zusammen und seine Augen blickten finster; doch jetzt gewahrte er seinen Vetter und Dernesty, auf die er zuging, indem seine Züge wieder ihr gewöhnliches heiteres Aussehen annahmen.

»Nun! sie ist nicht da!« sagte Dernesty. – »Sie haben ihr befohlen, diesen Abend in ihrer Stube oben zu bleiben,« seufzte Julian vor sich hin. – »Und ich war doch nur gekommen, um sie zu sehen,« fiel Dernesty ein.

Friedrich neigte sich zu ihnen hin und flüsterte: »Geduld, ihr werdet sie sehen.« – Wie, sie wird diesen Abend hieherkommen? – »Ja.« – Unmöglich. – »Ich bin dessen gewiß.« – Du willst sie also in ihrer Stube holen? – »Nein, nicht ich, aber Jemand, der es sehr gut besorgen wird.« – Vielleicht jener Greis, der Vater Savenay?« fragte Julian, die Farbe wechselnd.

»Ei warum nicht gar! ein noch viel Passenderer. Ich habe die Vorsorge getroffen, Jemand zu erzählen, daß die Tochter unseres Oheims Hieronymus hier im Hause sei, und daß diesen Abend hier großer Empfang stattfinde, denn ich konnte mir schon denken, daß man ihn nicht eingeladen hatte.« – Und wer ist dieser Jemand? ... – »Still! da kommt er.«

Die Salonthüre ist aufgegangen und es erscheint der Vetter Brouillard. Statt ganz in Schwarz gekleidet zu sein, wie gewöhnlich, wenn er zu St. Godiberts in große Gesellschaft kommt, tritt der Vetter Brouillard diesmal im Werktagskleide auf; er trägt einen kastanienbraunen Frack, der durchaus nicht neu, und eine Weste, die nicht mehr Mode ist, dazu nußbraune Beinkleider ohne Stege.

Der Frau St. Godibert entfährt ein erstickter Schrei, als sie ihren Vetter hereinkommen sieht. Sie sieht ihren Mann an, als wollte sie ihn fragen: »Hast Du die Dummheit begangen, ihn einzuladen?«

St. Godibert, der diese Pantomime vollkommen versteht, antwortet halblaut: »Nein, wahrhaftig, ich hatte ihn nicht eingeladen! Der Teufel muß ihm zugeraunt haben, daß wir heute eine Gesellschaft geben.« – Und sich in solchem Aufzug zeigen! das ist gemein!«

Herr Brouillard indeß, der Jedermann wohl zu finden wußte, weil Friedrich ihm das Nöthige gesagt hatte, schreitet bis in die Mitte des Salons auf St. Godibert zu, indem er überlaut ausruft: »Ei! guten Abend, Vetter! Ah! Sapperment! ich wußte nicht, daß Sie diesen Abend Gesellschaft haben, darum bin ich so ohne Umstände eingetreten ... warum hat man mich nicht wie gewöhnlich davon unterrichtet? Frau Base, ich habe die Ehre, Ihnen guten Abend zu wünschen. Sind Sie krank gewesen?« – Nun, warum soll ich denn krank gewesen sein, Herr Vetter?« antwortet Angelika mit ärgerlicher Miene. – »Weil Sie mir diesen Abend übel auszusehen scheinen; übrigens ist das allerdings kein Grund: man hat seine schönen und seine häßlichen Tage; man kann gelb aussehen und doch sehr gesund sein.«

Madame St. Godibert verfällt beinahe in einen Nervenkrampf, aber sie wagt keine bittere Antwort; im Gegentheil sucht sie ein Lächeln zu erzwingen, das ihr jedoch durchaus nicht gelingt.

Ei! da ist ja auch Vetter Mondigo und seine vielgeliebte Gattin!«

Herr Brouillard legt wie absichtlich Nachdruck auf das Wort viel. Dann, nachdem er seine Bekannten gegrüßt, kehrt er in die Mitte des Saales zurück, erfaßt geschickt einen Augenblick des Stillschweigens und ruft aus: » A propos! wo ist denn aber die reizende Person, das hübsche, kleine Cousinchen, das jetzt bei Ihnen wohnt, so viel ich vernommen habe?«

St. Godibert und seine Frau werden dunkelblau; Mondigo schlägt die Augen nieder; Clementine hört mit Unruhe zu. Der Vetter fährt, immer sehr laut redend, fort: »Ah! mein Vetter St. Godibert, das ist ein sehr schöner Zug von Ihnen, Ihre Bescheidenheit macht Sie erröthen, aber edle Handlungen sind zu selten, als daß man sie nicht an das Tageslicht ziehen sollte!« – »Wie! Herr St. Godibert hat eine edle Handlung ausgeübt?« fragt Herr Soufflat mit erstaunter Miene und sich auf die Zehen stellend. – »Ja, mein Herr, eine sehr verdienstliche Handlung!« – So schweigen Sie doch, Vetter Brouillard,« sagte St. Godibert; »reden Sie nicht davon! – »Verzeihen Sie mir, aber ich muß davon sprechen, Jedermann soll es erfahren, daß Sie eine junge, unbemittelte Nichte in Ihr Haus aufgenommen haben, daß Sie und Ihre theure Gattin dieses junge Mädchen wie ihr Kind behandeln. Uebrigens verdient die Kleine Ihre ganze Theilnahme; erstens ist sie so hübsch! Ach, welches liebliche Geschöpf, diese junge Rosa-Maria! Selten sieht man so viele Reize vereinigt!«

Die Männer gehen auf Herrn Brouillard mit antheilnehmender Miene zu. Herr Cendrillon klopft Herrn St. Godibert auf den Bauch und sagt mit seiner Stentorstimme: »Ah! wir machen solche Streiche im Verborgenen? Brav! Ich liebe edelmüthige Herzen ... aber wo ist denn dieses kleine Meerwunder, von welchem Ihr Vetter redet? wir werden es doch zu sehen bekommen, hoffe ich.«

Herr St. Godibert stammelt sinnlose Worte. Angelika beeilt sich, zu sagen: »Unsere junge Verwandte befindet sich in den Gemächern, welche wir ihr oben eingeräumt haben: aber sie kann sich noch nicht in Gesellschaft zeigen. Sie werden begreifen, daß ein junges Mädchen, das bis jetzt auf dem Lande lebte, allzu linkisch, allzu verlegen in großer Gesellschaft sein müßte.« – Ach, zum Henker, was thut das?« entgegnet Herr Cendrillon; »ich liebe die linken, d. h. die linkischen, schüchternen Frauenzimmer sehr; leider werden sie von Tag zu Tag seltener! O! Sie müssen uns die kleine Nichte sehen lassen. – »Ueberdies werden wir Nachsicht mit ihr haben,« sagt Dernesty. »Aber wenn sie so schön ist, wie Herr Brouillard versichert, so wette ich zum Voraus, daß sie derselben nicht bedarf.« – Das heißt,« fällt Herr Brouillard ein, »als ich sie diesen Sommer zu sehen das Vergnügen hatte, blieb ich starr vor Bewunderung. – »Teufel!« sagt Herr Roquet, gleichfalls aufstehend, »Sie verdoppeln unsern Wunsch, diese junge Person zu sehen.«

Jetzt bemerkt Clementine, welche das Wort noch nicht genommen hatte, mit schlecht verhehltem Aerger: »Diese Herren begreifen, scheint es, nicht, daß Herr Brouillard sie zum Besten hat, daß er ihnen ein Bild vormalt, dessen Original nicht existirt!« – Nicht existirt, liebe Base?« antwortet Herr Brouillard. »Aber ich meine, Sie müssen das Gegentheil wissen, Sie haben doch gewiß Ihre Nichte gesehen, denn Sie sind die Tante dieser reizenden Person.«

Clementine erblaßt, zuckt zusammen, beißt sich in die Lippen und antwortet mit verächtlicher Miene: »O, ihre Tante! welcher Spaß! ... Das heißt, mein Mann ist ihr Oheim, aber ich bin ihr gar nichts!« – Bitte um Entschuldigung, liebe Cousine, man bleibt doch immer die Tante von der Nichte seines Gemahls. Friedrich und Julian sind demnach auch Ihre Neffen nicht? – »O! bei Männern ... ist es etwas Anderes.« – Wenn Sie Rosa-Maria kennten,« sagt Friedrich, »so wären Sie sicherlich die Erste, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« – Rosa-Maria? O welch' schöner Name!« ruft Herr Roquet. – »Sehen! sehen! Wir verlangen die kleine Schönheit zu sehen,« erklärt Herr Cendrillon; »nicht wahr, meine Herren?« – Ja, ja! – »Wie liebenswürdig sich diese Herren benehmen!« sagt Fränzchen lachend. »Sie geben sich das Aussehen, als hielten sie uns Alle ihrer Blicke für unwürdig ... ein hübsches Gesicht scheint etwas zu sein, das ihnen noch nie vor die Augen gekommen ist.« – Das können Sie im Ernste nicht glauben, meine Damen,« antwortet Friedrich, »aber wenn man mitten in einem schönen Gartenbeete steht, ist es dann verboten, eine weitere Blume hinein zu pflanzen?«

Alle Damen lassen sich durch dieses Compliment gewinnen; nur die beiden Tanten behalten ihr kaltes, widerwärtiges Aussehen. Um die Sache ins Reine zu bringen, geht Herr Cendrillon auf Madame St. Godibert zu und sagt zu ihr: »Nun, Mütterchen, nicht wahr, Sie lassen uns die kleine Jugend herunterkommen?« Die dicke Angelika wäre lieber unter eine Dachtraufe gegangen, als sich Mütterchen heißen zu lassen, indeß nimmt sie sich zusammen und antwortet: »Es ist unmöglich, Sie zu befriedigen, meine Herren, denn unsere Schutzbefohlene trägt noch ihre ländliche Kleidung und kann sich damit nicht in meinem Salon zeigen; es würde zu sehr gegen alle diese Damen abstechen.«

– Im Gegentheil, es wäre noch weit pikanter ... nicht wahr, meine Herren? – »Ohne Zweifel.« – Sie trägt vielleicht die Laspissa oder das Cerinum ... vielleicht hat sie die Calantica oder die Calyptra auf dem Kopfe,« ruft Herr Marmodin, »was ich sehr gerne untersuchen möchte. – »Nun wohl,« nimmt der Vetter Brouillard wieder das Wort, »ich sehe, daß Jedermann meine junge Base kennen zu lernen wünscht, und daß ihre edelmüthigen Verwandten selbst sich geschmeichelt fühlen werden, sie der Gesellschaft vorzustellen; also gehe ich selbst, sie zu holen.«

– Lieber Vetter, das ist überflüssig, sie wird nicht herabkommen wollen!« schreit Angelika. – »Sie wissen nicht, wo sie wohnt!« ruft St. Godibert.

Aber Herr Brouillard hört auf Beide nicht. Mit dem Ausrufe: »Ich werde sie schon finden,« ist er bereits aus dem Salon geeilt.

Im Vorzimmer aber läuft Franz, welcher wahrscheinlich das Talent hat, zu hören, was im Saale gesprochen wird, auf Herrn Brouillard mit den Worten zu: »Kommen Sie, mein Herr, ich werde Sie führen und Ihnen das Zimmer von Fräulein Rosa-Maria zeigen.«

Die Tochter Hieronymus' war allein in ihrem Mansardenstübchen; aber seit ihrer Begegnung mit dem jungen Maler langweilte sie sich dort weniger. Warum aber hat dieses Zusammentreffen mit Leopold, der sich doch nur kalt und gleichgültig gegen sie bewies, dessen ungeachtet ihr Gefühl und ihren Muth wieder belebt? Darum, weil sie beim Wiedersehen des geliebten Mannes sich nicht mehr so einsam in Paris fühlte; weil sie insgeheim die Hoffnung, Leopold noch einmal zu begegnen, bewahrte; endlich, weil in der Liebe das, was uns Thränen und Leiden verursacht, dafür auch vor Langeweile schützt. Glückliche Liebe hat nicht immer dieses Privilegium.

Rosa-Maria arbeitete am Stickrahmen, von dem jungen Maler träumend und immer nachsinnend, warum er ihr nicht ein einziges artiges Wort gesagt, als sie mehrmals an ihre Thüre klopfen hörte, worauf eine Stimme sich vernehmen ließ: »Ich bin es, liebes Bäschen: ich Brouillard ... öffnen Sie mir gefälligst!«

Franzens Stimme fällt beinahe zugleich ein: »Fürchten Sie nichts, Fräulein Rosa-Maria: es ist einer Ihrer Vettern, der auf Besuch zu Ihnen kommt.«

Das junge Mädchen hat Franzens Stimme erkannt; sie öffnet die Thüre und sieht in der That neben dem Bedienten die Fuchsschnauze jenes Vetters, der eines Tages ins Haus ihres Vaters gekommen war.

Brouillard tritt ein und begrüßt Rosa-Maria mit besonders liebenswürdiger Miene. Franz geht die Treppe wieder hinab indem er sagt: »Hier ist das Fräulein Nichte ... Um wieder hinunterzugehen, wissen Sie jetzt den Weg.«

»Guten Abend, mein reizendes Bäschen,« sagte Herr Brouillard; »Sie erwarteten wohl nicht, mich heute Abend zu sehen?« – In der That, lieber Vetter ... Sie haben also meinen Oheim besucht? ... Man wird Ihnen gesagt haben, daß ich hier sei; es ist sehr schön von Ihnen, daß Sie sich wegen meiner heraufbemüht haben. – »Bemühen? O, ich kam mit Vergnügen, meine liebe kleine Base; ich komme, Sie abzuholen ... man frägt, man sehnt sich nach Ihnen im Salon unten, Sie müssen mit mir hinabgehen.« – Wie, lieber Vetter, ich soll hinabgehen zu Herrn St. Godibert, da er doch heute Abend große Gesellschaft hat? O, das ist unmöglich! Madame hat mir im Gegentheil befohlen, diesen Abend auf meinem Zimmer zu bleiben, und im Ganzen ist mir das eben so lieb. – »Madame ... wer ist das?« – Nun, Madame St. Godibert. – »Warum sagen Sie nicht »›meine Tante?‹« – Weil sie lieber will, daß ich »›Madame‹« sage. – »Wahrhaftig, da möchte man vor Lachen platzen. Liebes Bäschen, Sie müssen dennoch mit mir hinab.« – Nein, ich wage es nicht, in diese zahlreiche glänzende Gesellschaft zu gehen, zumal da man es mir verboten hat. – »Aber wenn ich Ihnen doch sage, daß man mich schickt, Sie abzuholen!« – Wie? Madame St. Godibert ... – »Ja, die St. Godiberts wollen, daß Sie herabkommen ... dann ist auch noch Ihre Tante, Mondigo's Frau, unten, welche vor Begierde brennt, Sie zu sehen, und entzückt sein wird, wenn Sie sie mit »›Liebe Tante‹« anreden. Also geschwind, liebes Bäschen.« – Wenn meine Verwandten es befehlen, so muß ich gehorchen; aber diese Toilette ... – »Kleidet Sie ausgezeichnet gut; zudem ist Alles darauf vorbereitet.« Während Herr Brouillard hinaufging, herrschte eine Art Aufregung in der großen Reunion. Die Damen steckten die Köpfe zusammen und rüsteten sich, das kleine Landmädchen, welches man die Unverschämtheit gehabt hatte, ihnen als eine Schönheit anzukündigen, zu kritisiren und lächerlich zu machen; die Männer dagegen sahen einander heiter an und versprachen sich ein großes Vergnügen von dem Anblick des so gepriesenen Mädchens. Madame Mondigo schnitt Gesichter, ließ die Augen umherrollen und hatte gute Lust, vor der Ankunft ihrer Nichte zu verschwinden; aber sie fürchtete, es möchte bemerkt werden, und außerdem schmeichelte sie sich auch, die kleine Bäuerin werde ihr den Preis der Schönheit nicht streitig machen können. Herr St. Godibert ging ab und zu, wußte nicht, was er sagen sollte und berieth mit sich, wie er die Sache zu nehmen hätte; von Zeit zu Zeit tröstete ihn seine Gemahlin: »Beruhigen Sie sich, Herr Gemahl, sie wird nicht kommen ... sie wird sich erinnern, daß ich ihr befohlen habe, auf ihrem Zimmer zu bleiben ... und keinen Ungehorsam wagen.«

Indeß geht die Salonthüre wieder auf: alle Blicke fliegen dorthin und Herr Brouillard tritt mit Rosa-Maria an der Hand ein, indem er spricht: »Hier ist meine junge Cousine, die ich die Ehre habe, Ihnen vorzustellen.«

Jetzt muß das junge Mädchen ein Kreuzfeuer auf sie gerichteter Blicke aushalten, welche ihre Züge, einen nach dem andern, prüfen zu wollen scheinen, sodann die allergenaueste Musterung ihrer Person, ihrer Haltung, ihres Wuchses vornehmen und theilweise sogar durch ihr bescheidenes Busentuch hindurchdringen zu wollen scheinen.

Aber die Schüchternheit und Gemüthsbewegung, welche Rosa-Maria in diesem Augenblick empfindet, haben ihre Wangen mit einem lebhaften Incarnat bedeckt, und als sie in diesen glänzenden Salon tritt in ihrem einfachen Anzug und mit dem kleinen Häubchen auf dem Scheitel, ist ihr Antlitz so hübsch, ihre Augen so sanft, ihre Geberden so bescheiden, kurz, ihre ganze Person so jungfräulich, daß die Prüfung ganz zu ihrem Vortheil ausfällt.

Den Männern entfährt ein Beifallsgemurmel; selbst die Frauenzimmer sind entwaffnet und zum Geständniß genöthigt, daß das junge Mädchen reizend sei: die beiden Tanten allein sind anderer Ansicht.

»Entzückend ... eine kleine Perle ... ein Engel!« ruft Herr Cendrillon aus. »Blitz und Hagel! der Vetter Brouillard hat uns keinen blauen Dunst vorgemacht! ... er hat ganz wohl daran gethan, die junge Nichte zu holen.« – Das übertrifft, was Du mir verkündet hattest,« sagte Dernesty zu Friedrich.

Dieser will zu seiner Base hineilen, aber bereits hat Herr Brouillard Rosa-Maria vor die Frau Mondigo hingeführt, indem er zu dem jungen Mädchen sagte: »Kleine Cousine, hier sehen Sie Ihre andere Tante, welche äußerst erfreut ist, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Rosa-Maria verneigt sich tief vor Clementine, welche sich beeilt, ihr den Rücken zu kehren.

Plötzlich aber stürzt Herr Roquet, welcher Rosa-Maria mit Blicken ansieht, als suche er sich etwas in's Gedächtniß zurückzurufen, zu ihr hin, schlägt sich vor die Stirn und schreit: »Ah, jetzt bin ich darauf! ... ah! ich bin darauf! ... Ah! Fräulein, wie entzückt bin ich! ... O gewiß, ich bin darauf!« – Wir aber sind auf gar nichts,« sagt das lachlustige Fränzchen, Herrn Roquet ansehend. »Könnten Sie uns nicht auch ein wenig darauf helfen, mein Herr, indem Sie uns den Grund Ihrer Ausrufungen mittheilen? – »Sehen Sie, schöne Dame, sehen Sie: als ich das Fräulein anschaute, bewunderte, so schien es mir sogleich, als sei es nicht das erste Mal, daß ich sie zu sehen das Vergnügen hatte, und in der That, nunmehr erinnere ich mich ganz genau, wo ich ihr begegnet bin; es war im Walde von Fontainebleau, an dem Tage, wo wir jene reizende Landpartie machten ... erinnern Sie sich, meine Damen, mit Eseln?« – Ja, mein Herr. Sie waren dabei, ich erinnere mich dessen. – »Also denn! Ich verlor Sie im Walde ... Sie waren ausgerissen mit Ihren Thieren. Da ich Sie suchen wollte, verirrte ich mich, fand meinen Weg nicht mehr, und es war mir sogar ein ziemlich unangenehmer Umstand zugestoßen, als ich dem Fräulein begegnete ... denn nicht wahr, mein Fräulein, Sie sind es?« – Rosa-Maria richtete ihre Augen auf Herrn Roquet und antwortete mit anmuthigem Lächeln: »Ja, mein Herr, ich war es und ich erinnere mich wirklich, Ihnen den Weg gewiesen zu haben.« – Sie erinnern sich daran? ... Ah, mein Fräulein, ich fühle mich sehr geschmeichelt ... ohne den widerwärtigen Zufall, der mich sehr genirte, hätte ich damals gewiß gesucht, Ihnen ... aber ich war schrecklich übel daran. – »Nun denn,« ruft Herr Cendrillon, auf Roquet zugehend, »was ist denn das für ein Zufall, den Sie uns nicht sagen, und mit dem Sie so übel daran waren? Sie machen mich verflucht neugierig!«

Herr Roquet beißt sich in die Lippen, erkünstelt eine schalkhafte Miene und antwortet: »Ah, ich kann es Ihnen nicht sagen ... auf Ehre, ich kann es nicht, es wäre zu schwer, von so etwas im Beisein dieser Damen zu sprechen ... fragen Sie lieber das Fräulein selbst.« – Wie?« sagte Herr Brouillard, »mein hübsches Bäschen weiß um etwas, das Sie uns nicht sagen können ... das wäre doch sonderbar ... was soll denn das sein, liebes Bäschen? – »Ich weiß nicht, was der Herr meint,« antwortet das junge Mädchen erstaunt.

Roquet, der sich nahe bei Friedrich befindet, flüstert ihm in's Ohr: »Es handelt sich von meiner Hose, die ganz geschlitzt war ... mein Hemd hing heraus! ... aber Ihr Bäschen war durchaus nicht daran Schuld ... Gott bewahre mich, sie deßhalb zu verdächtigen.«

Friedrich lacht Roquet in's Gesicht, führt seine Base auf einen Stuhl, setzt sich dann selbst neben sie und sucht, indem er sie zum Sprechen veranlaßt, die Verlegenheit zu vermindern, die sie empfindet, als sie sich zum erstenmal in einem so zahlreichen Zirkel sieht. Sich als Zielpunkt aller Augen erblickend, sagt das junge Mädchen vor Scham geröthet und verwirrt halblaut zu Friedrich: »Nicht wahr, ich habe Unrecht gehabt, hieher zu kommen, lieber Vetter?« – Wahrlich, nein! Sie haben im Gegentheil sehr wohl daran gethan; überhaupt will ich Ihnen nur gestehen, daß ich, aus Verzweiflung, Sie niemals zu treffen, wenn ich hieher kam, die ganze Geschichte eingefädelt habe. – »Ach, Vetter, Madame St. Godibert macht mir zornglühende Augen ... ich werde ausgescholten werden.« – Aber sie wird auch nicht mehr im Stande sein, Sie so lange eingesperrt zu halten, denn jetzt, da man Sie gesehen hat, wird man oft nach Ihnen fragen ... Sie sind nicht dazu da, Ihr Leben einsam in einer Stube zu vertrauern; ja! wenn man auf solche Weise fortgefahren hätte, so wäre ich zu Ihrem Vater gegangen und hätte es ihm gesagt! Sicherlich macht man Sie hier unglücklich, und wenn das der Fall ist, so sagen Sie es nur mir ... verbergen Sie mir nichts, ich bin Ihr Vetter und muß Sie beschützen.«

Rosa-Maria wirft einen sanften Blick auf Friedrich und drückt ihm zärtlich die Hand, indem sie sagt: »Danke! ... o! Sie sind sehr gut gegen mich; nicht wahr, ich darf Ihre Schwester sein?«

Friedrich ist eben im Begriff zu antworten, als Madame Marmodin herbeikommt und halb lachend, halb gereizt zu ihm sagt: »Sie sollen heute Abend ein Duett mit mir singen; schon lange wartet das Piano auf uns ... können Sie mir keinen Augenblick opfern, mein Herr?«

Friedrich steht alsbald auf, nimmt Fränzchens Hand und begibt sich mit ihr an das Piano.

Dernesty beeilt sich, Friedrichs leergelassenen Platz bei Rosa-Maria einzunehmen. Er verschwendet eine ganze Masse abgedroschener Complimente an das junge Mädchen. Aber die schöne Clementine geht neben ihm vorüber, zwickt ihn unvermerkt in den Arm und flüstert ihm in's Ohr: »Werden Sie nicht bald fertig sein? Sie begeben sich sogleich an meine Seite oder ich sehe Sie niemals wieder an.«

Dernesty verläßt Rosa-Maria, indem er ihr einen sehr zärtlichen Blick zuschleudert. Kaum ist er weg, als Julian seinen Platz in Beschlag nimmt.

Aber der Sohn des Hauses hat noch keine vier Worte mit seiner schönen Cousine sprechen können, als auch schon Herr St. Godibert da ist und ihm in herrischem Tone zuruft: »Fräulein Soufflat ist allein: gehe sogleich und leiste ihr Gesellschaft, das wird gescheiter sein.«

Julian steht mit sichtbar schlechter Laune auf. Herr Cendrillon nähert sich Rosa-Maria, um sich mit ihr zu unterhalten, da aber eilt Madame St. Godibert herbei und fordert den Capitalisten zu einer Spielpartie auf; kurz, so oft sich Jemand dem jungen Mädchen widmen will, kommt die Herrschaft des Hauses herzu, um ihn anderwärts zu beschäftigen.

Aber Herr Roquet setzt sich nun seinerseits zu Rosa, und als Madame St. Godibert ihn zu einer Partie abführen will, antwortet er ihr lächelnd: »Unendlich verbunden, schöne Dame, aber ich ziehe es vor, Ihrer reizenden Nichte Gesellschaft zu leisten.« – Nach Ihrem Belieben, mein Herr,« sagte die dicke Angelika mit ärgerlichem Tone. Doch Herr Roquet bekümmert sich wenig darum: Rosa-Maria's Reize haben ihn gänzlich unterjocht.

Hieronymus' Tochter ergötzt sich keineswegs in der großen Abendgesellschaft ihres Oheims, sie hört kaum auf das, was ihr Herr Roquet sagt, der beharrlich in ihrer Nähe verbleibt. Erst nach sehr langer Zeit entschließt sich der galante Mann, einen Gang durch den Salon zu machen. Wie Madame St. Godibert ihre Nichte allein in einer Ecke sieht, nähert sie sich ihr und sagt in äußerst trockenem Tone zu ihr: »Ich hoffe, Mademoiselle, Sie werden jetzt in Ihr Zimmer hinaufgehen.«

Rosa-Maria läßt sich das nicht zweimal sagen: sie entschlüpft leicht aus dem Salon und steigt in ihr Stübchen hinauf mit dem Gedanken: »Ich unterhalte mich viel besser, wenn ich allein bin, denn da kann ich an ihn denken.«


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