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Fünftes Kapitel.

Hieronymus Gogo

Hieronymus Gogo ist ein Mann von sechsundvierzig Jahren, seine Gesichtszüge sind frei und offen, er richtet seine blauen Augen keck auf Diejenigen, mit denen er spricht ... nicht alle Leute thun das; sein oft halbgeöffneter Mund und seine dicken Lippen lassen zwar auf keine Schlauheit schließen, sind aber auch feine Zeichen von Falschheit; und wenn gleich sein Gesicht nicht vornehm aussieht, so hat es doch einen Ausdruck von Güte und Wohlwollen, welcher zu seinen Gunsten einnimmt. Er ist nur von mittlerer Größe, aber seine kräftigen und muskulösen Formen verrathen einen Mann, der einem die Faust tüchtig zu drücken weiß. Hieronymus Gogo ist in der That mit außerordentlicher Körperstärke begabt, er thut sich aber nichts darauf zu gut, denn seine Herzensgute und sein friedliebender Charakter lassen es ihm nur selten zu, sich derselben zu bedienen. Wenn übrigens der Augenblick erscheint, wo sich Hieronymus veranlaßt sieht, Gebrauch von seiner Körperstärke zu machen, dann gnade Gott Dem, der sich der Gefahr ausgesetzt hat, die Wirkungen derselben fühlen zu müssen; er wird fast immer auf seine Kosten zu der Erfahrung gelangen, daß die Männer, die im täglichen Umgang gewöhnlich am sanftesten sind, auch am meisten zu fürchten sind, wenn man sie außer sich bringt.

Hieronymus hat keine Erziehung erhalten, doch hat er Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt; da er aber Landmann geblieben ist, hat er nicht oft Gelegenheit zum Schreiben gehabt; er liest nicht mehr, weil es ihn einschläfert, und er hat die Gewohnheit angenommen, nie anders, als mit den Fingern zu zählen. Hieraus ergibt sich, daß Rosa-Maria's Vater beinahe nicht mehr schreiben kann, daß er syllabirt anstatt zu lesen und daß er seine Sprache schlecht spricht; da ihn das Alles aber nicht am Pflügen, Säen, Landbauen und Pflanzen hindert, so ist er für sein Geschäft gelehrt genug.

Wenn Hieronymus für seine Person auch ohne Ehrgeiz war und sich als Landmann für gescheit genug halt, so dachte er doch in Betreff seiner Tochter anders. Rosa-Maria ist der Abgott ihres Vaters, sein Glück, seine Freude, sein Ruhm, seine Hoffnung, und er würde sich für strafbar gehalten haben, wenn er seiner Tochter nicht hätte die Erziehung geben lassen, die ihm selbst fehlte. Er hatte gedacht, daß vielleicht der Zufall oder Umstände seine Tochter in jene gebildeten Kreise bringen könnte, welche er nicht besuchte, und er wünschte, daß wenn dieses der Fall sein würde, seine Rosa-Maria sich dort zeigen könnte, ohne lächerlich zu erscheinen oder unwissend und verlegen zu sein. Deßhalb hatte er seine Tochter in die Schule nach Fontainebleau geschickt und sie dann bei achtungswerthen Frauenzimmern, welche die weitere Sorge für ihre Erziehung übernahmen, in allen seinen weiblichen Handarbeiten unterrichten lassen, da sie diese Niemand in ihrem Dorfs hätte lehren können.

Rosa-Maria erlernte Alles mit Leichtigkeit. Sie schrieb eine hübsche Handschrift, sprach besser und gewählter als die andern Landmädchen, stickte und festonnirte geschmackvoll; daher hing ihr Vater auch mit eben so viel Liebe als Bewunderung an ihr. In seinen Augen war seine Tochter eher geschaffen, um in der Stadt zu glänzen, als im Dorfe zu bleiben, und er sagte, sie in seine Arme schließend, oft zu ihr: »Mein liebes Kind, ich bedaure es, Dich hier in unserem Häuschen behalten zu müssen, wo Du nur den Hühnerhof und unsere Nachbarn zur Gesellschaft hast, die nicht viel gescheidter sind als unsere Hühner. Ich bin ein Egoist, daß ich Dich hier behalte, denn Du bist klüger als wir Alle; Du bist gelehrt, sprichst gut, verfertigst gleich einer wahren Fee die niedlichsten Arbeiten, Du bist in der That zum Leben in der großen Welt mit den Vornehmen in der Stadt geboren und würdest dort eine gute Partie machen, weil Du außer Deinen Talenten auch sehr hübsch ... und was noch mehr, gut und gefühlvoll bist, kurz, Eigenschaften Haft, die man nicht immer im Vereine mit der Schönheit findet.«

Dann küßte Rosa-Maria ihren Vater zärtlich und erwiderte: »Ihr seid allzu gütig gegen mich, lieber Vater, und betrachtet mich mit viel zu großer Nachsicht. Ihr haltet mich für gelehrt, für talentvoll ... aber wenn ich in der Stadt wäre, würde das gegenüber von den Kenntnissen der schönen Fräulein dort, welche fast alle in Anstalten erzogen werden, wo man sie unterrichtet wie Prinzessinnen, von sehr geringer Bedeutung sein. Laßt mich bei Euch in diesem Dorfs wohnen; hier bin ich glücklich, erstens weil ich in Eurer Nähe bin, und dann weil ich nie den Wunsch empfunden habe, die Freuden der Stadt kennen zu lernen. Ich bin eben so wenig ehrgeizig als Ihr es gewesen seid; aber in Paris würde ich es vielleicht werden; ich würde die Damen um ihre schönen Kleider und ihren Putz beneiden, und dann nicht mehr so zufrieden und vergnügt sein wie hier, wo ich Allen gefalle.«

Hieronymus Gogo wußte nichts hiegegen einzuwenden und Wäre überdies, sehr unglücklich gewesen, wenn er sich von seiner Tochter hätte trennen müssen; allein, er würde sich ohne Murren darein gefunden haben, wenn er gedacht hätte, sie würde entfernt von ihm glücklicher sein.

Das kleine Haus, welches Rosa-Maria's Vater gehörte, war das eines wohlhabenden Landmanns und dazu, was seltener ist, eines solchen, bei dem es so reinlich und geordnet aussah wie bei einem Bürgersmann. Das war Rosa-Marias Werk, welche, da sie Gelegenheit gehabt hatte, den Unterschied zwischen einer Stube in der Stadt und einer auf dem Dorfe zu beobachten, selbst bei gleichen Vermögensverhältnissen der Bewohner, es dahin zu bringen gewußt hatte, die Wohnung ihres Vaters so hübsch einzurichten, wie die einer Familie in Fontainebleau. Es hatte das junge Mädchen viele Mühe gekostet, weil die Landleute im Allgemeinen in einer Unordnung und Unreinlichkeit leben, die dem Naturzustände keine Ehre macht und ganz zu Gunsten der civilisirten Menschen spricht.

In einem Bauernhause weiß man selten, was Wachs, Reibebürsten, Staubbesen und Kehrwische sind; und wenn je ein Kehrbesen vorhanden ist, so muß er mehrere Jahre aushalten, oft sogar mehreren Geschlechtern dienen; Fußböden sind Gegenstände des Luxus, die man nicht in allen Gemächern des Hauses trifft, auch Tapeten findet man selten, jedenfalls ist kein Verschlag damit überklebt.

Aber Rosa-Maria's Bestreben war es zu verdanken, daß das Innere des väterlichen Hauses so reinlich und geordnet gehalten war, daß es in den Augen der Landleute sogar für prachtvoll galt. Trat man in eine Stube, so wußte man doch, wo man den Fuß hinsetzen konnte, und durfte nicht fürchten, sich zu beschmutzen, wenn man sich auf einen Stuhl niederließ. Der alten Magd, aus welcher die ganze Dienerschaft bestand, war es schwer angekommen, sich an das Reinigen und Abreiben der Möbeln zu gewöhnen; sie hatte sogar Anfangs über die Capricen des jungen Mädchens gemurrt, welches verlangte, daß man die mit Staub bedeckten Gegenstände abwische, was sie für sehr überflüssig hielt; »denn,« sagte sie, »wozu nützt das Abstäuben heute? morgen ist es doch wieder so.« Aber Rosa-Maria war ihr mit gutem Beispiele vorangegangen, und die Bäuerin hatte nach und nach einen Begriff von Reinlichkeit bekommen und eingesehen, daß es kein Luxus ist, sich alle Tage Gesicht und Hände zu waschen.

Fünf Uhr schlug es so eben auf der großen Wanduhr in der untern Stube, wo in Hieronymus Gogo's Haus gewöhnlich die Mahlzeit gehalten wurde. Fünf Uhr Nachmittags ... und Rosa-Maria war schon um acht Uhr Morgens gleich nach dem Frühstück fortgegangen, um sich nach Fontainebleau zu begeben, von wo sie gewöhnlich zum Mittagessen nach Hause zurückkehrte, welches um drei Uhr aufgetragen wurde, der Stunde, wo ihr Vater vom Felde heimkam.

Hieronymus hatte nirgends Ruhe; alle Augenblicke ging er aus der untern Stube hinaus und stellte sich unter die Hausthüre; dort blickte er nach der Chaussée hin, kehrte wieder in das Haus zurück, ging dann abermals hinaus und rief: »Wo mag Rosa so lange bleiben? ... sie weiß, daß das Mittagessen immer um drei Uhr fertig ist, weil ich da von der Arbeit heimkomme und gerne meinen Appetit stille, während ich mit ihr plaudere.« – Will der Herr nicht vielleicht, bis sie kommt, Etwas essen? – »Essen ... ohne meine Tochter? ... O! ich habe keinen Hunger mehr ... Das ist sehr sonderbar, es ist das erste Mal, daß sie nicht vor mir heimgekommen ist.«

Die alte Magd suchte die Besorgnisse ihres Herrn zu beschwichtigen, indem sie sagte: »Unsere Jungfer ist vielleicht von der Frau in Fontainebleau, bei der sie das Nähen und Kleidermachen gelernt hat, aufgehalten worden ... es kann leicht eine Arbeit da gewesen sein, die noch heute hat fertig werden müssen. Mamsell Rosa ist so gefällig, daß sie ihr diesen Dienst nicht wird haben abschlagen können.« – Ja, ja, ich weiß wohl, daß dieses der Fall sein kann, aber meine Tochter weiß auch, daß ich sie gerne daheim finde, wenn ich vom Geschäfte komme; daß ich dann glücklich bin, wenn ich ihr einen Kuß geben und sie in die Wange kneipen kann; sie weiß, daß ich mir Sorgen mache und mich quäle, wenn ich sie nicht gleich sehe, und da sie sonst so gut und so zuvorkommend gegen ihren Vater ist, so begreife ich nicht, daß sie mich zwei Stunden warten und in der Besorgniß lassen kann, es möchte ihr Etwas zugestoßen sein? ... Ei! der Kuckuk! seit einiger Zeit geht sie alle Tage in die Stadt! ... ich fürchte, daß das zuletzt mit einer schlimmen Begegnung endigt, denn mein Röschen ist gar hübsch ... wenn ihr schlechte Kerle aufgelauert und sie verfolgt hätten! ...« – »Ei, mein Gott, Herr, setzt Euch doch keine solche Gedanken in den Kopf; glaubt Ihr denn, die Mamsell höre den ersten Besten an? sie, die so tugendhaft und so bescheiden ist?« – »O! ich weiß, daß meine Tochter tugendhaft ist, Marie, aber die Tugend schützt nicht vor den Angriffen eines Wüstlings, eines Unverschämten.« – »Ich sage es Euch noch einmal, Herr, es ist von hier nach Fontainebleau nichts zu fürchten, man begegnet immer Leuten und es stehen überall Häuser an der Straße.« – »Ja, wenn man nicht durch den Wald geht. Ich habe Rosa oft gerathen, diesen Weg zu meiden, aber die jungen Mädchen laufen gerne herum, suchen gerne Blumen, und wenn es so heiß ist wie heute, ist Einem der Schatten lieber als die breite Chaussee. Mein Gott! wenn Rosa durch den Wald gegangen und ihr etwas Schlimmes zugestoßen wäre ...« – »Warum stellt Ihr Euch aber solche Dinge vor, Herr?« – »Warum? Siehst Du denn nicht, daß es immer später wird und meine Tochter nicht kommt?« ... »O! ich halte es nicht mehr aus, ich muß nach Fontainebleau zu Frau Durand laufen ... mich erkundigen, ob Rosa noch da ist, fragen, um welche Zeit sie dort fortgegangen ist und dann ... O, ich muß mein Kind wiederfinden, wissen, was aus ihm geworden ist!«

Und ohne weiter auf die Magd zu hören, nimmt Hieronymus seinen Hut und seinen Stock und verläßt sein Haus; er ist bereits im Begriffe, Fontainebleau zuzugehen, hat aber noch keine zwanzig Schritte gemacht, als er ein junges Mädchen auf sich zueilen sieht. Er stößt einen Freudenschrei aus, denn er hat Rosa-Maria erkannt.

Die Jungfrau fliegt in die Arme ihres Vaters und ruft aus: »Ach! nicht wahr. Ihr waret in Sorgen um mich?« – »Ja, ja, liebes Kind ... so spät heim zu kommen! Du abscheuliches Mädchen. Doch jetzt bist Du da, ich will Dich nicht lange zanken.« – »Mein guter Vater!« – »Aber sage mir ... Du bist ganz blaß, Deine Züge sind entstellt ... es ist Dir gewiß Etwas begegnet? Ich hatte also doch Recht, unruhig zu sein? ...« – »Ja, mein Vater, ja ... O! ich habe eine große Furcht ausgestanden!« – »Furcht? ... Armes Kind, komm, komm, ruhe aus und erzähle mir Alles.«

Hieronymus kehrt mit seiner Tochter ins Haus zurück. Dort ließ er sie niedersitzen, nöthigte sie, ein wenig Wein zu trinken, stellte sich dann vor sie hin, ergriff ihre beiden Hände und wartete bangen Herzens, bis sie ihm mittheilte, was ihr begegnet war. Darauf erzählte Rosa-Maria ihrem Vater den frevelhaften Angriff, den sie mit angesehen und theilte ihm genau das Gespräch der beiden Männer mit, welche den Reisenden bestohlen hatten.

Hieronymus athmete kaum, so lange seine Tochter sprach; sobald aber Rosa-Maria ihre Erzählung beendigt hatte, nahm er sie beim Kopfe, küßte sie mehrmals auf die Stirne und rief aus: »Arme Kleine! wenn Dich aber diese beiden Elenden gesehen hätten! ... O, mein Gott! ich danke Dir, daß Du über meine Tochter gewacht hast! ... Jetzt siehst Du ein, Rosa, welchen Gefahren Du Dich aussetztest, als Du durch den Wald gingst!« – »Ach! ja, lieber Vater, ich habe Unrecht gehabt, aber ich verspreche es Euch, ich gehe nie wieder hin, denn die Erinnerung an dieses Abenteuer wird nicht mehr aus meinem Gedächtnisse schwinden.« – »Ich glaube es: Du mußt eine ordentliche Angst ausgestanden haben ... Ach! wenn ich nur an Deine Lage denke, ganz nahe bei diesen Dieben, ohne Dich rühren zu dürfen ... der Gefahr ausgesetzt, beim ersten Erblicktwerden, von ihnen umgebracht zu werden ... wird mir schon wehe, nimmt es mir den Athem.« – »Beruhiget Euch, lieber Vater, jetzt bin ich ja wieder bei Euch ... – »Und gehst nicht mehr in den Wald?« – »O! nein, ich schwöre es Euch noch einmal.« – »Das läßt sich hören ... Ach, wie hätte ich den beraubten Reisenden vertheidigt, wenn ich in jenem Augenblicke dort gewesen wäre; wie hätte ich mit einem Faustschlage diese Schurken zu Boden gestreckt!« – »O ja, das hättet Ihr; aber ich, mein Vater, ich war nicht stark genug, ihn zu vertheidigen, und die Furcht gestattete mir nicht, um Hülfe zu rufen. – »Du hast wohl daran gethan, zu schweigen, arme Kleine, denn ich sage Dir, sie hätten Dich umgebracht! Auf solche Weise wird man aus einem Räuber ein Mörder ... die Furcht, von einem unerwarteten Zeugen verrathen zu werden, veranlaßt Einen dazu, und Du glaubst, daß diese Männer keine Landstreicher, keine Diebe von Profession waren?« – »O nein, lieber Vater! vor allen Dingen sprachen sie sehr gut ... ihre Manier zu reden hatte sogar etwas Ausgezeichnetes, kurz, man konnte glauben, es seien junge Leute aus der Stadt ... dann trugen sie unter ihren Blousen schöne Beinkleider mit Stegen und fein lakirte Stiefeln.« – »Wirklich?« – »Sie selbst sagten ja: Wir sind verkleidet und mit Kohlen angeschwärzt, man könnte nie errathen, wer wir sind.« – »Es sind wahrscheinlich Spitzbuben von vornehmem Stande, die sich im Straßenraub versuchen wollten, und Du sagst, der eine derselben habe weniger Muth dazu gehabt als der andere?« – »O! viel weniger! da er es nur ungern that, und ihm gleich darauf beinahe übel wurde.« – »Es waren junge Leute?« – »Ja, Beide.« – »Würdest Du sie, wenn Du ihnen eines Tages begegnetest, wieder erkennen?« – Das wäre unmöglich! ... ich habe ihre Gesichter nicht gesehen. Anfangs, als ich sie so schnell auf dem Wege einherkommen und auf mich zugehen sah, fürchtete ich mich, bückte mich und versteckte mich hinter einem Gebüsche. Wie sie dann im Dickicht stillstanden, sah ich allerdings durch's Laubwerk hindurch ihre Blousen, ihre Mützen und bisweilen ihr geschwärztes Kinn, aber sonst nichts.« – »Und ihre Stimme? ... würde Dir diese nicht bekannt vorkommen, wenn Du sie eines Tages hörtest?« – O! das weiß ich nicht, Vater, ich war zu sehr erschrocken ... ihre Worte drangen so dumpf, so unheilvoll an mein Ohr ... ich hörte und hätte lieber nicht gehört. Aber ich vergaß etwas! ich habe Euch nicht Alles erzählt ... Dieses hat ohne Zweifel einer der beiden Männer fallen lassen, und ich habe es, als ich über den Weg kam, den sie eingeschlagen hatten, auf dem Boden gefunden.«

Rosa-Maria zog die kleine Pistole aus ihrer Tasche und überreichte sie ihrem Vater. Hieronymus betrachtete die Waffe und rief dabei aus: »Ach, aber das ist prächtig! das sind wunderschöne Verzierungen und Schnitzeleien ... O, Du hast Recht, Kleine, eine solche Waffe kann nur einer vornehmen Person gehören, denn diese Pistole ist ein Juwel ... das ist kostbar!« – Habe ich wohl daran gethan, diese Waffe aufzuheben, lieber Vater? – »Ganz gewiß, liebe Kleine; denn sieh', alle Ereignisse im Leben hängen zusammen und sind mit einander verkettet; es wohnt Einer über uns, der immer recht wohl weiß, wie er die Dinge in einander fügt! ... und indem er Dich, junges Mädchen, welches durch Zufall Zeuge dieser Frevelthat war, diese Waffe finden ließ, hat er vielleicht gewollt, daß Du vermöge derselben die Strafbaren einst erkennen sollst!« – Das habe ich auch gedacht, lieber Vater. Und was glaubt Ihr, was nun zu thun ist? Muß man jetzt zum Herrn Maire gehen und ihm erzählen, was ich im Walde mit angesehen habe?«

Hieronymus fuhr mit der Hand über seine Stirne, sann einige Minuten nach und antwortete alsdann seiner Tochter: »Höre, liebes Kind, Alles wohl überlegt, halte ich es für besser, wenn wir nichts sagen. Ja, wenn Deine Angabe von der Art wäre, daß man die Diebe verhaften könnte, würde ich es thun; aber ich glaube nicht, daß sie dazu dienen würde, auf ihre Spur zu führen; denn Du könntest doch das Aeußere dieser beiden Männer nicht beschreiben?« – Mein Gott, nein, lieber Vater, das wäre mir unmöglich ... ich wüßte nicht einmal die Farbe ihrer Blousen anzugeben ... ich war so bestürzt! ... ich hatte gleichsam einen Nebel vor den Augen. – »Ich habe also Recht, wenn ich behaupte, Deine Angabe würde zu nichts führen ... Das heißt doch: sie könnte Dich Gefahren aussetzen, denn wenn die, welche den Streich ausgeführt haben, erfahren würden, ein junges Mädchen sei Zeuge ihres Verbrechens gewesen, dieses junge Mädchen sei mein Kind und wohne in diesem Dorfe, wer weiß, ob sie dann nicht, um sich eines gefährlichen Zeugen zu entledigen und in der Furcht, sie möchten eines Tages von Dir erkannt werden. Dir eine Schlinge zu legen suchen und eine zweite Missethat begehen würden! ... O nein, das darf nicht sein! ... meine Tochter soll nicht in Gefahr leben. Ich ließe Dich vor Angst keinen Augenblick mehr allein ausgehen, ich würde unaufhörlich zittern, wenn Du nicht bei mir wärest. Es bleibt also dabei, die Sache wird verschwiegen, liebe Kleine! Du darfst Niemand ein Wort von diesem Abenteuer erzählen.« – Nein, lieber Vater, Niemand! O, Ihr habt Recht, ich schweige davon. – »Und außerdem habe ich erst noch meine Absicht dabei, denn ich glaube, daß Du die Diebe weit eher entdecken kannst, wenn Du den Vorfall nicht Jedermann mittheilst. Also mutus, wie der Schulmeister in der Stadt zu seinen Schülern sagt, welches ohne Zweifel heißen soll: machet keinen Lärm. Aber ich bitte Dich noch einmal, liebes Röschen, gehe nicht mehr allein in den Wald. Erstens ist das kein Aufenthalt für ein junges Mädchen; denn außer Räubern könntest Du dort Leuten begegnen, welche ... Leuten, die ... kurz, Leuten, welche Dir, unter dem Vorwande, Dir Artigkeiten zu sagen, Dummheiten vorschwatzen würden, und beim Kuckuk! das wäre ebenso gefährlich für Dich wie Räuber ... Doch Du hast nur geschworen, Du werdest nicht mehr allein in den Wald gehen und Du wirst Deinem Versprechen nicht ungetreu werden wollen?« – Gewiß nicht, lieber Vater, ich schwöre es Euch auf's Neue, ich werde es halten. – »Dann ist es gut, ich bin jetzt beruhigt. Bewahre die hübsche kleine Pistole wohl auf, zeige sie Niemand und überlasse es Gott, die Dinge so zu fügen, daß die Schurken bestraft werden und der arme Reisende wieder zu seinem Gelde kommt.«

Rosa-Maria gehorchte ihrem Vater; sie schloß die gefundene Waffe sorgfältig ein und dachte in ihrem Sinne: »O nein, ich gehe nicht mehr allein in den Wald! ... wenn mein Vater wüßte, daß ich dort die Bekanntschaft eines jungen Malers gemacht habe, wäre er vielleicht noch viel unwilliger. Ich habe es bisher nie gewagt, von Herrn Leopold mit ihm zu sprechen, und jetzt habe ich noch viel weniger Muth dazu; er ist ohnehin schon so unruhig ... das würde ihn nur noch mehr quälen ... es ist noch Zeit genug, ihm zu erzählen, wie ich mit dem jungen Manne bekannt geworden bin, wenn uns dieser einmal besucht. Aber ich werde meinen Schwur halten, und bestimmt nicht mehr in den Wald gehen.«

Indem sich das junge Mädchen selbst dieses Versprechen gab, gestand sie sich nicht, daß es ihr in diesem Augenblicke keine Ueberwindung koste, dasselbe zu halten, da sie wußte, daß der junge Maler nach Paris zurückgekehrt war.


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