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Siebenundzwanzigstes Kapitel .

Rosa-Maria im Hause ihres Oheims

Nach Entfernung ihres Mannes und des alten Savenay läutete Madame St. Godibert ihrer Kammerjungfer; Mamsell Fifine erschien. Diese warf einen verstohlenen Blick auf das neuangelangte Mädchen, dann biß sie sich aus Verdruß auf die Lippen, weil sie nichts Häßliches an Rosa-Maria entdecken konnte.

»Fifine, Du wirst diese Kleine in die obere Stube, die, glaube ich, neben der Deinigen ist, führen,« sagte Madame St. Godibert. – »Ja, Madame,« antwortete die Kammerjungfer; »neben der meinigen ... das heißt gegenüber, weil neben mir Franzens Stube ist. – »Gegenüber! ... daneben! was liegt daran? Ist eine Schlafstelle darin? Stühle, Möbel?« – Ja, Madame, weil der Herr anfänglich die Absicht hatte, Herrn Julian dort zu logiren; aber Herr Julian wollte nichts von diesem Zimmer, weil es eine Mansarde ist; er hat weiter unten eingemiethet und sich Renaissancemöbeln gekauft, damit man in seinem Zimmer glauben solle, man sei in Versailles. – »Mein Sohn hat viel Geschmack; sein Vater findet, er brauche zu viel ... ich aber begreife nicht, wie er sich mit Dem, was man ihm gibt, so viele Sachen kaufen kann. Führe also diese Kleine in jenes Zimmer, weil es das ihrige sein wird. Wozu kann man Sie brauchen, Mademoiselle?« – Madame, ich kann gut nähen, Kleider machen, in Leinwand arbeiten und ein wenig sticken. – »Gut! wir wollen das Alles sehen. Jetzt gehen Sie, es ist elf Uhr; um zwei Uhr erlaube ich Ihnen herabzukommen und mit mir zu sprechen, früher nicht ... nun gehen Sie!«

Rosa-Maria verneigte sich hochachtungsvoll vor ihrer Tante und folgte Mamselle Fifine. Auf der Hausflur angelangt, bemerkte diese einen großen Koffer, den man bereits dort niedergesetzt hatte.

»Was ist das?« fragte die Kammerjungfer. – »Er gehört mir, Mademoiselle; in diesem Koffer sind meine Effekten. – »Ah! haben Sie so viel, um das Alles voll zu machen? Dann muß man ihn hinaufbringen ... aber ich gewiß nicht, ich habe keine Lust, mir den Rückgrat zu zerbrechen! ich habe im Hause schon genug zu thun.« – Mademoiselle, ich würde auch nicht zugeben, daß Sie diese Mühe übernähmen; aber ich wäre nicht stark genug ... wenn ich den Thürsteher ersuchte? – »Ei! warum nicht gar? bei dem würden Sie schön ankommen! Warten Sie, ich rufe Franz. He! Hollah, Franz! Herr Franz!«

Der normännische Bediente kam mit vollem Munde an und hatte in der Hand noch ein gewaltiges Stück Pastetenkruste. Beim Anblick Rosa-Maria's stieß er einen Schrei der Bewunderung aus und ließ in seinem Entzücken seine Rinde fallen.

»Ah, das laß' ich gelten; das ist einmal ein Kernmädel!« sagte Franz, Rosa betrachtend. – »Franz, Sie werden diesen Koffer hinauftragen in des Fräuleins Zimmer, welche gegenüber von mir wohnen wird. – »Mit Vergnügen! Tritt Mamsellchen zu uns in Dienst? Das würde mich sehr freuen, die würde mir gut anstehen!« – Davon handelt es sich nicht, was Ihnen gut anstünde! gar Vielerlei! namentlich weniger vorlautes Wesen ... das Fräulein aber ist eine Verwandte unserer Herrschaft. – »Ah, dann bitte ich tausendmal um Vergebung, um Entschuldigung! Das wäre mir nicht im Schlafe eingefallen, weil Mamsellchen so hübsch und unsere Herrschaft so häßlich ist.« – Behalten Sie Ihre Betrachtungen für sich und tragen Sie dagegen diesen Koffer.«

Franz nahm den Koffer auf seinen Rücken. Man stieg in den obersten Stock des Hauses hinauf; Mamsell Fifine öffnete eine Thüre und sagte zu Rosa-Maria: »Das ist Ihr Zimmer Fräulein.«

Hieronymus' Tochter trat mit gepreßtem Herzen in ihre neue Wohnung und warf furchtsame Blicke um sich. Sie befand sich in einem Mansardenzimmer und wurde vom Fenster aus nur die Dächer der Nachbarhäuser gewahr. Uebrigens befand sich eine Bettstelle, eine Commode, ein Tisch, Stühle und Alles, was eine einzelne Person braucht, darin. Die Tapeten waren frisch und nett, das Zimmer reinlich und wäre für einen Studenten oder eine Grisette ein sehr bequemes Quartier gewesen.

Aber Rosa-Maria gedachte ihres hübschen kleinen Zimmers in Avon. Dort waren die Möbeln nicht schöner, die Tapeten nicht geschmackvoller, aber sie genoß dort einer so süßen Freiheit, ihr Kamin war mit Blumen geschmückt, die sie jeden Tag im Garten pflückte, ihr Fenster ging auf das Feld hinaus, sie hatte grünen Rasen, Strauch- und Blätterwerk unter den Augen und war endlich im Hause ihres so guten, so liebreichen Vaters. Und man ist so gerne bei einem Vater, der uns in allen Stücken zu Willen lebt.

Franz hatte den Koffer in das Zimmer gestellt; er blickte um sich und sagte: »Das ist sehr proper möblirt, Schade, daß die Mansarde so weit hereinläuft, Fräulein; wenn Sie nicht daran gewöhnt sind, so bitte ich Sie, sich in Acht zu nehmen. Als ich nach Paris kam, habe ich mir oft den Kopf zerstoßen; man läuft, und glaubt ganz gerade gehen zu können und paff! hat man eine Beule am Kopf! Was habe ich schon für Beulen bekommen!« – Wäre zufällig die Verstandesbeule darunter gewesen, so hätten Sie sie behalten dürfen,« warf Mamselle Fifine schnippisch ein, Rosa-Maria aber erwiderte mit gewinnendem Lächeln: – »Ich danke Ihnen, Herr Franz, und werde Achtung geben. Uebrigens war es in der Wohnung des Herrn Savenay ebenso.« – Ah! das Fräulein hat bei Herrn Savenay gewohnt?« fragte Fifine neugierig. – »Ja, Mademoiselle.« – Sie sind also schon eine Zeit lang in Paris? – »O ja, Mademoiselle.« – Warum sind Sie denn nicht gleich zu Ihrem Onkel, dem Herrn St. Godibert gekommen?«

Rosa-Maria zögerte, erröthete und antwortete endlich: »Mein Oheim weiß wohl warum, Mademoiselle;« welche Antwort Herr Franz mit einem bedeutsamen Husten begleitete. Die Kammerjungfer, gereizt darüber, daß sie nur diese ausweichende Antwort erhielt, trieb Franz vor sich her, indem sie ausrief: »Geschwind, machen wir, daß wir fortkommen! man kann unserer unten bedürfen.«

Franz verneigte sich artig vor dem jungen Mädchen, zu dem er sagte: »Es wäre netter hier, wenn der Boden gewichst würde; Sie dürfen nur wünschen, Mamselle, so komme ich und thue es.« – Sie sind sehr gütig, Herr Franz, aber es ist nicht nöthig ... es ist ganz gut so. – »Je nun, wenn Sie einmal anderer Meinung werden, so bin ich ja immer da ... gegenüber, die Thüre rechts; Sie brauchen nur zu klopfen oder »›Franz!‹« zu rufen, so komme ich auf der Stelle.«

Mamselle Fifine stieß Franz abermals auf den Gang hinaus und schlug Rosa-Maria's Thüre heftig zu, indem sie murmelte: »Ich soll Dich nur einmal das Zimmer dieser Zierpuppe wichsen sehen, dann kannst Du lange warten, bis ich Dir wieder nach jeder Mahlzeit Likör so viel Du willst, einschenke.« – Warum soll ich denn dieses junge Mädchen nicht wichsen, da es doch die Nichte unserer Herrschaft ist? – »Ach was! eine von den weitläufigen Nichten, die man aus Barmherzigkeit aufnimmt und bei sich wohnen läßt ... So könnte ich am Ende auch noch eine Nichte von Herrn St. Godibert sein!« – Ja, daß Sie den Herrn nahe angehen, habe ich nie bezweifelt, ob aber auch die Frau? – »Still! Naseweis; übrigens wird es bei dieser Nichte bald heißen, mit Nichten. Madame hat mir bereits gesteckt, daß sie das Ding nicht ausstehen kann und dafür sorgen will, daß es nicht zu lange da bleibt.« – Da seht mir einmal die alte Beduinin! Hm! das ist mir einerlei; hm! dieses junge Mädchen da, man kann sagen, das ist ein schönes Mädchen, so recht was man ein schönes Mädchen heißt, und dabei ein so rechtschaffenes, so anständiges Aussehen! – »Schon recht, schon recht! Mit sammt ihrem Unschuldigthun ist sie vielleicht nicht besser als eine Andere! Genug jetzt! ich werde schon noch herausbringen, ich, was sie seit ihrer Ankunft in Paris gethan hat.«

Während dies im obern Stock geschah, hatte Herr St. Godibert den Vater Savenay auf sein Bureau im Parterre geführt, welches aus zwei Zimmern und seinem eigenen Cabinet bestand. Daselbst befanden sich bereits drei Commis. Er ging zu dem ersten und sagte zu ihm: »Herr Boudin, da ist ein neuer Angestellter, den ich angenommen habe.«

Herr Boudin und die beiden andern Commis runzelten die Stirne, da der neue Angestellte nicht aussah wie ein überzähliger Aspirant.

Herr St. Godibert fuhr fort: »Haltet einmal ... bei welcher Rubrik wollen wir ihn verwenden? ... Herr Savenay schreiben Sie ein wenig in meiner Gegenwart, daß ich Ihre Handschrift sehe.«

Der Greis nahm eine Feder und schrieb einige Linien mit fester Hand und großer Nettigkeit. Herr Boudin und die beiden andern Commis verzogen abermals das Gesicht.

»Nicht übel! gar nicht übel!« rief St. Godibert. »Das ist erstaunlich für Ihr Alter, Sie zittern nicht. Und die Ziffern, zeigen Sie uns Ihre Ziffern!«

Der Greis schrieb mehrere Kolumnen Zahlen und addirte sie sehr schnell. Die Nasen der Commis wurden ellenlang.

»Gewiß und wahrhaftig, Sie haben Talent!« fuhr der Bankier fort. »Was werden Sie hier thun können? Alle diese Herren haben ihre Aufgabe ... nun wohl: Machen Sie die Ausgänge; es kommen oft welche vor ... nicht wahr, Herr Boudin?« – Ja, mein Herr, und es fehlte uns Jemand dazu. – »Sehen Sie, es macht sich Alles von selbst, und wenn es gerade keine Ausgänge zu machen gibt, dann copiren Sie Briefe; kurz diese Herren werden Ihnen jede Arbeit, von der sie nichts wollen, überlassen.«

Auf den Gesichtern der Commis blühte freudige Genugthuung auf.

Herr Boudin sagte mit boshafter Miene: »Der Herr wird die gleichen Funktionen übernehmen, wie die jungen Schreiber bei einem Advokaten.« Der Greis gab lächelnd zur Antwort: »Warum nicht? ich werde ein blutjunger Schreiber sein und über die Gossen wegsetzen wie ein Hase! ... lieber Gott! ich will ja Alles sein, was man will.« – Sie werden präcis Morgens um acht Uhr kommen und nie vor halb sechs Uhr gehen,« nahm Herr St. Godibert wieder das Wort, indem er sich in seinem Gilet aufblies, »und dafür bewillige ich Ihnen sechshundert Franken Gehalt.«

Vater Savenay verneigte sich; die andern Commis, welche wahrscheinlich gering bezahlt waren, schienen diese Summe für einen Gossenspringer sehr beträchtlich zu finden und übersahen, daß der so Angestellte ein silberhaariger Greis war.

Was Herrn St. Godibert betrifft, so sagte er zu sich: »Meiner Treu'! wenn jetzt mein Freund Cendrillon nicht zufrieden ist mit dem, was ich für seinen Schützling thue, so ist es schwer, ihm etwas recht zu machen.«

Während einer der Commis dem Greis vor einem schwarzen Tischchen in der Nähe der Thüre und weit vom Ofen entfernt seinen Platz anwies und ihm ein Dintenfaß nebst Federn und Federmesser zu seinem Gebrauch zeigte, ging Herr St. Godibert in sein Cabinet, wo zwei Arbeitspulte standen, sah sich um und runzelte die Stirne mit den Worten: »Mein Herr Sohn ist also noch nicht herabgekommen?« – Wir haben heute noch nicht das Vergnügen gehabt, ihn zu sehen,« antwortete Herr Boudin.

»Schön das! und es ist elf Uhr vorüber! Sicherlich bekümmert sich mein Herr Sohn sehr wenig um die Welt! Seit einiger Zeit arbeitet er nicht mehr! er kommt nur auf einen Augenblick hieher, wenn er überhaupt kommt! Er wird leichtsinnig, o! er wird sehr leichtsinnig und ich muß Ordnung in die Sache bringen! Ich kann zwar nicht läugnen, daß er sich mit viel Eleganz kleidet, eine sehr ausgezeichnete Haltung annimmt; aber ich will, daß er arbeite, daß er Geld verdienen lerne.« Herr St. Godibert hat den Mund noch nicht geschlossen, als die Thüre aufgeht und der junge Julian erscheint.

Da durch die aufgehende Thüre das kleine Bureau, an welches man den Greis gesetzt hatte, verdeckt wurde, so tritt Julian ein, ohne zu bemerken, daß ein Commis weiter da ist.

»Ah, sind Sie da, mein Herr Sohn?« sagte der Bankier. »Ist das wohl die rechte Zeit, um auf sein Bureau zu kommen? Sie werden entsetzlich träge, mein Herr Sohn; Sie werden ...«

Herr St. Godibert hält inne, denn er hat so eben seinen Sohn betrachtet und fährt betroffen von dessen außerordentlicher Blässe und niedergeschlagener Miene mit liebreichem Tone fort: »Aber bist Du denn krank gewesen? Wie angegriffen Du aussiehst; Du hättest das sagen sollen! wenn man krank ist, so ist es etwas Anderes! ... die Commis gehen nie auf ihr Bureau, wenn sie nur den kleinsten Fieberanfall haben! sie wären viel zu sehr besorgt, ihren Chef damit anzustecken ... man muß nach dem Arzt schicken.« – Ich danke Ihnen, lieber Vater,« sagte Julian, »ich war allerdings diese Nacht unwohl, aber es ist vorüber. – »Gut gut! Du wirst gestern Abend in meinem Cirkel zu viel Punsch getrunken haben, und man thut trotz meines Verbots immer zu viel Zucker daran ... das ist ekelhaft! Ah! hätte ich nur Zeit, mich mit Allem zu befassen, dann ginge es besser. Wir haben neue Leute im Hause; erstlich einen weitern Commis für die Ausgänge, für die kleinen Geschäfte ... kurz, für alles Mögliche; er ist nicht mehr jung, aber noch sehr brauchbar.«

Julian wendet sich, um diesen Commis, auf welchen sein Vater mit der Hand deutet, in Augenschein zu nehmen. Da er den Greis von gestern Abend erkennt, wird sein Gesicht bleifarbig; er wankt und sinkt auf einen Stuhl, der glücklicher Weise neben ihm stand.

»Wie? was hat mein Sohn denn?« ruft St. Godibert, auf Julian zueilend.

»Man sollte glauben, Herr St. Godibert Sohn befinde sich übel,« sagte Herr Boudin.

Aber der Jüngling, welcher sich umgewendet hatte, um dem Greise nicht mehr in's Gesicht zu sehen, fuhr mit der Hand über die Stirne und stotterte: »Es hat nichts zu bedeuten ... ein Uebelbefinden ... übrigens bin ich nicht im Stande, hier zu bleiben; ich gehe wieder in mein Zimmer hinauf und werfe mich aufs Bett.« – Ja, in der That, Du wirst wohl daran thun; ich zweifle gar nicht, daß Du zu viel Punsch getrunken hast. Komm, komm! gib mir den Arm, denn mir scheint, Du könnest Dich kaum auf den Beinen halten.«

Julian steht auf und stützt sich auf den Arm seines Vaters. Aber um hinauszugehen, muß er an dem Greise vorbeikommen; dieser steht auf und verbeugt sich achtungsvoll vor dem Sohne seines neuen Prinzipals. Der Jüngling empfindet jetzt eine Art Nervenzittern. »Du hast das Fieber!« sagt Herr St. Godibert.

»Wenn es der Herr wünscht, so hole ich einen Arzt,« bemerkt der Vater Savenay.

»Nein, nein, es ist unnöthig,« antwortet Julian mit schwacher Stimme. Dann verdoppelt er seinen Schritt und beeilt sich aus dem Bureau wegzukommen.

»Sie haben diesen Greis in Ihr Geschäft genommen?« fragte Julian, die Treppe hinaufgehend.

»Ja wohl! ich mußte wohl, um dem Herrn Cendrillon gefällig zu sein, mit dem ich viele Geschäfte mache! Sodann, und das hat mich hauptsächlich bestimmt, hatte Dein ungezogener Vetter, nachdem er gehört, was Vater Savenay gestern Abend von dem jungen Mädchen erzählte, welches ihre Oheime Gogo suchte, nichts Eiligeres zu thun, als diesen Morgen zu dem alten Mann zu gehen, bei dem sie war, und Beiden mitzutheilen, ich sei dieser Oheim, dieser Go..! ha! der Name bleibt mir in der Gurgel stecken, ich kann ihn nicht herausbringen! Welch' ein Galgenstrick ist doch dieser Friedrich! Nun also, da die Kleine und der Alte das wußten, so mußte ich Concessionen machen: ich nahm den Vater Savenay zum Ausgangscommis, und das junge Mädchen ist in meinem Hause.« – Rosa-Maria ist in Ihrem Hause? – »Ah! Du weißt schon, daß sie Rosa-Maria heißt?« – Ja doch: gestern hat dieser Greis sie so genannt. – »Möglich, ich habe nicht Acht darauf gegeben. Mit einem Wort, ich entschloß mich zu dem Allem nur unter der Bedingung, daß niemals der Name Go ...go aus dem Munde des Einen oder Andern gehe ... bei der ersten Indiskretion jage ich Beide zum Teufel.« – Aber dieser alte Mann ... sind Sie gesonnen, ihn zuweilen bei sich ... in Ihrer Gesellschaft zu empfangen? – »Warum nicht gar! Für wen halten Sie mich, Herr Sohn? Empfange ich meine Commis in meinem Salon? ... Und dieser Alte da mit dem bäuerischen Aussehen machte gestern Abend einen saubern Effekt in meinem Cirkel; ich bekam Bauchweh davon. – »Und meine Base wohnt in Ihrem Hause?« – Vor Allem will ich nicht, daß Du sie Deine Base nennst, wie dieses große Kieselherz von Friedrich; Du sagst schlechtweg »Mademoiselle« zu ihr. Sie logirt oben, in dem Zimmer, das für Dich bestimmt war. Aber was wollen wir hier mit ihr anfangen den ganzen Tag? Ach, wie langweilig, wie störend! Und all' das, weil man das Unglück hat, mit einer Familie behaftet zu sein! Wer Teufels konnte auch die Familien erfinden! – »Aber, lieber Vater ...« – Gehe zu Bette, mein Sohn, und laß' mir die Sorge, über das Alles zu grübeln.«

Herr St. Godibert ging und schloß sich in sein Zimmer ein. Nachdem er sich hier lange den Kopf vergeblich zerbrochen, entschloß er sich, seine Frau aufzusuchen.

Rosa-Maria war zu der ihr bestimmten Stunde hinabgegangen, ihrer Tante aufzuwarten. Madame St. Godibert hatte das junge Mädchen in ein Cabinet neben ihrem Boudoir geführt, wo man niemals einheizte, da es weder Kamin noch Ofen hatte, und ihr verschiedene Sachen zu nähen gegeben, mit dem Gebot: »Hier werden Sie arbeiten! und daß Sie sich ja niemals einfallen lassen, bei der Arbeit zu singen: das ist mir ein Gräuel ... es gibt nichts Gemeineres.«

Das junge Mädchen hatte sich verbeugt, ohne etwas zu sagen; aber im Innern dachte sie wohl, daß sie hier nie Lust bekommen würde, zu singen. Dann hatte sie sich, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, zu ihrer Arbeit niedergesetzt.

»Nun,« sagte Herr St. Godibert, bei seiner Frau eintretend, »was thust Du mit dieser Kleinen?« – »Sie ist hier,« antwortete Madame, auf das kleine Cabinet deutend, »sie arbeitet, und ich muß sagen, sie näht sehr gut! Ich war sehr überrascht davon. – »Gut; so kann sie Dir doch wenigstens zu Etwas dienen.« – Wo sollen wir sie essen lassen? – Nun, wenn wir unter uns allein sind, so denke ich, kann sie an unserem Tische essen; wenn wir Gesellschaft haben, bleibt sie auf ihrem Zimmer.« – Abgemacht. – »Aber haben Sie auch an das Wichtigste gedacht? Wenn sich der Vater Ihrer Nichte beigehen lassen sollte, hieher zum Besuch zu ihr zu kommen ... begreifen Sie, Herr Gemahl, was das für eine ekelige Geschichte für uns wäre.« – Du hast Recht, aber ich werde sie ihrem Vater schreiben lassen, sie sei hier und er brauche sich nicht die Mühe zu nehmen, sie zu besuchen; sie werde von Zeit zu Zeit zu ihm kommen. – Gut ausgesonnen! Ich werde sie rufen, und sie sogleich zum Schreiben veranlassen.«

Madame St. Godibert ruft Rosa-Maria. Das junge Mädchen nähert sich mit niedergeschlagenen Augen und furchtsamer Miene.

»Sie können schreiben, denke ich,« sagte St. Godibert, seine Nichte ansehend. Diese schämt sich beinahe der Frage und antwortet schüchtern: »Ja, mein Herr.« – So setzen Sie sich an diesen Tisch. Sie sollen ... an Ihren Vater schreiben. – »An meinen Vater? Ach, welches Glück! O ja, mein Herr, Sie haben Recht, er muß erfahren, daß ich in Ihrem Hause bin ... dann wird er beruhigt sein.« – Zum Henker, ich glaube es Wohl! Nehmen Sie eine Feder ... ah so! es sind nur Stahlfedern da, mit denen können Sie ohne Zweifel nicht schreiben – »Um Vergebung, mein Herr!« antwortete Rosa lächelnd. – »So! man kann das auch in den Dörfern? ... Was für Fortschritte doch die Civilisation macht! Schreiben Sie, was ich Ihnen diktire.«

Rosa-Maria nimmt die Feder und wartet. St. Godibert kratzt sich lange hinter den Ohren und diktirt endlich: »›Lieber Vater!‹« oder: Ich habe sogar nichts dagegen, wenn Sie setzen »›mein theurer Vaters!‹« – Das habe ich auch gethan. – »›Endlich bin ich bei meinem ... bei meinem älteren Oheim, welcher Herr St. Godibert geworden ist, so wie mein Oheim Eustachius Herr Mondigo geworden ist.‹« Schreiben Sie St. Godibert Fraktur, damit es ihm auffalle. Unterstreichen Sie St. Godibert. – – Es ist geschehen. – »Haben Sie St. Godibert unterstrichen?« – Ja, mein Herr. – »Ganz gut! »›Ich bin in seinem Hause mit der größten Güte aufgenommen worden.‹« Rosa-Maria entfährt ein leiser Seufzer, aber sie schreibt und wartet.

»› ... mit der größten Güte aufgenommen worden.‹« Streichen Sie ... ich wollte sagen unterstreichen Sie auch die größte Güte ... »›es ist prachtvoll bei ihm: in seinem Salon sind Tapeten, wovon die Rolle 36 Franken kostet; er hat vier Commis und drei Bedienten‹« ...unterstreichen Sie auch die Commis ... »›er empfängt die schönste Gesellschaft von Paris!‹« ... haben Sie Paris? ...« – Ja! – »Dann unterstreichen Sie es, »›er beauftragt mich, Ihnen mitzutheilen, daß Sie sich wegen eines Besuches bei mir nicht bemühen sollen ...‹« – Warum denn das, mein Herr?« ruft Rosa aus, indem sie zu schreiben aufhört. – »Weil mir das so gefällt, Mademoiselle; schreiben Sie nur fort: »›wegen eines Besuches bei mir nicht bemühen sollen ... die Reisen kosten Geld und Sie haben dessen nicht zu viel; aber ich werde zu Ihnen auf Besuch kommen: mein Oheim wird es mir ziemlich oft erlauben.‹« – Ach ja, mein Herr! Nicht wahr, Sie werden es mir erlauben?« fragte Rosa. – »Gewiß, wenn meine Gemahlin nichts Pressantes für Sie zu thun hat ... »›oft erlauben. Inzwischen küsse ich Sie und bin für das ganze Leben Ihre zärtliche Tochter .. ‹« Jetzt unterzeichnet! Ah, Ihr Vater wird in dem eleganten Styl dieses Briefs bereits den Einfluß der Pariser Bildung auf Sie zu erkennen glauben. Ich habe ihn übrigens, ich kann Sie versichern, ohne alle Vorbereitung diktirt!«

Rosa-Maria hatte den Brief, worin sie noch gar Vieles ihrem Vater hätte mittheilen mögen, geschlossen; aber ihr Oheim bemächtigte sich des Blattes, durchlas es und rief ganz erstaunt: »Das ist wahrhaftig sehr gut geschrieben! eine prächtige Fraktur ... es ist unbegreiflich, daß man jetzt überall schreiben lernt. Wenn ich jemals pressante Geschäfte auf dem Bureau habe, so könnten Sie mir Briefe copiren.« – Mit Vergnügen, mein Herr. – »Ja,« sagte Angelika, »aber ich werde immer Arbeit für sie haben ... es scheint, sie kann Kleider machen, Schnürleiber ... und ich muß meine Schnürleiber immer weiter machen lassen.« – Sei unbesorgt: die Kleine steht ganz zu Deinem Befehl; sie wird hoch erfreut sein, sich nützlich machen zu können. – »Ganz gewiß, mein Herr.« – Ich will jetzt diesen Brief abschicken. Kleine, da wir heute keinen Fremden bei Tische haben, so haben Sie die Ehre mit uns zu speisen.«

Bis zur Stunde des Mittagessens verließ das Mädchen ihren Stuhl nicht und arbeitete unaufhörlich. Von Zeit zu Zeit kam Madame St. Godibert, die Arbeit ihrer Nichte zu besehen; dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um ein Kleid zu probiren, oder in ihr Boudoir, um ein Cosmeticum für die Haut auf ihr Gesicht zu schmieren: mit solchen interessanten Beschäftigungen verbrachte die stolze Angelika gewöhnlich ihre Tage.

Mamsell Fifine ging mehrmals bei ihrer Gebieterin aus und ein; sie fand stets Vorwände, um auch dann zu kommen, wenn man ihr nicht läutete. Sie warf neugierige Blicke in das Cabinet, wo Rosa-Maria arbeitete, dann sagte sie spöttisch zu ihrer Gebieterin: »Es muß etwas Drolliges sein um die Arbeit, welche ein Landmädchen macht.«

Aber Madame St. Godibert antwortete: »Vortrefflich gemacht ... mit Perlstichen ... ich muß ihr das bezeugen ... die hebt Dich schön aus dem Sattel, Fifine.«

Fifine ging, sich vor Zorn in die Lippen beißend und begegnete im Vorzimmer Franz, welcher fragte: »Wo hat man denn das hübsche Mädchen eingesperrt? ... Steckt sie vielleicht in einem Schrank?«

Mamsell Fifine versetzte Franz einen Tritt auf die Knöchel und rief: »Verlange mir nur wieder einmal Anislikör, da will ich Dich an das hübsche Mädchen weisen ... dann kannst Du sie selbst aufsuchen.«

So kam endlich die Stunde des Mittagessens. Madame St. Godibert sagte zu Rosa-Marie nur die Worte: »Kommen Sie, Mademoiselle;« und das junge Mädchen folgte ihrer Tante.

Auf dem Tische lagen vier Couverte. Madame St. Godibert setzte sich zu ihrem Mann, dann zeigte man Rosa ein Couvert und sagte zu ihr: »Setzen Sie sich dort.«

Die arme Kleine nahm verlegen, genirt und betrübten Herzens Platz.

Franz, der an der Tafel servirte, wenn keine Gäste da waren, lächelte sehr anmuthig, als er Rosa-Maria's gewahr wurde, und zeigte sich sehr emsig in ihrer Bedienung.

»Es war unnöthig, für meinen Sohn ein Couvert zu legen,« sagte St. Godibert, »ohne Zweifel kommt er nicht zu Tisch.« – Und warum nicht, lieber Freund? – »Weil er krank ist; ich weiß gewiß, er hat gestern zu viel Punsch getrunken.«

Aber kaum war die Suppe abgetragen, als Julian erschien. Das Uebelbefinden, das ihn plagte, hatte vor dem Wunsche, sein Bäschen zu sehen, um so weniger Stich halten können, als er von Friedrich mit einem Billet beschickt worden war, worin ihm dieser berichtete: »›Unsere Base Rosa-Maria ist ehrbar und tugendhaft, Richard ein Verleumder, den ich züchtigen werde; einstweilen empfehle ich Dir dieses reizende Kind, das ich selbst Deinen Eltern zugeführt habe.‹«

Julian sah ganz niedergeschlagen aus; beim Anblick Rosa's jedoch färbten sich seine Wangen mit einer lebhaften Röthe und er konnte ihres Anblicks nicht satt werden. Er machte ihr eine tiefe Verbeugung, und das junge Mädchen erhob sich, sie ihm zu erwidern. »Larifari! nicht so viel Umstände?« sagte St. Godibert mit schlechter Laune; »setze Dich, Julian. Du bist also nicht mehr krank?« – Es geht besser, lieber Vater. Also dieses Fräulein ist ... ist ... – »Ja, doch; diese Kleine ist eine Verwandte von Dir. He, Franz, was treibst Du denn? Du wechselst den Teller der Mademoiselle vor dem meinigen! Bist Du toll, Franz?« – Nein, Herr, aber ich glaubte, Sie hätten auf dem Ihrigen noch ein Bein abzunagen. – »Ein Bein abzunagen! ... Ist es möglich, sich auf eine so pöbelhafte Weise auszudrücken, wenn man mit seinem Gebieter spricht?«

Man mochte Franz ausschimpfen wie man wollte: er erwies sich doch sehr lebhaft in Rosa's Bedienung, und sehr langsam in der der Anderen. Der Sohn des Hauses benahm sich seinerseits äußerst artig gegen seine hübsche Base und schien diese durch seine Aufmerksamkeiten für das barsche Betragen entschädigen zu wollen, welches seine Eltern gegen sie an den Tag legten.

Das Essen war sehr langweilig: die beiden Gatten öffneten den Mund nur, um zu essen oder Franz zu schelten; Julian war verlegen und wagte kaum, seine Base anzusehen; diese war traurig und sprach keine Silbe. Indeß hatte Herr St. Godibert bemerkt, daß seine Nichte sehr wenig aß, und er flüsterte seiner Frau ganz leise in's Ohr: »Sie führt sich bei Tische ziemlich gut auf.«

Das junge Mädchen fühlte sich glücklich, als man vom Tische aufstand; sie kehrte schnell in ihr Cabinet zurück, wo man ein Licht aufgestellt hatte. Julian sah sie weggehen, wagte aber nicht, sie aufzuhalten und mit ihr zu sprechen, obgleich er große Lust dazu verspürte. Aber er trat zu seinem Vater und sagte zu ihm: »Wenn Sie es erlauben, so werde ich künftig, statt auf's Bureau hinabzugehen, in meinem Zimmer arbeiten: es ist mir bequemer, ich brauche dann meinen Schlafrock nicht mehr auszuziehen.« – Ei, seht doch, wieder ein anderer Einfall! Uebrigens ist es allerdings nicht der Mühe werth, daß Du wegen dessen, was Du seit einiger Zeit arbeitest, auf das Bureau hinabgehst. – »Dernesty hat mir gesagt, es sei weit nobler, in seinem Zimmer zu arbeiten, als sich unter seine Commis zu mischen.« – Ah! dann ist es etwas Anderes. Gehe also nicht mehr hinunter.«

Der junge Mann entfernte sich, nachdem er noch einen Blick auf das Cabinet geworfen, in welchem seine Base war. Rosa-Maria arbeitete bis neun Uhr Abends. Dann sagte ihre Tante zu ihr: »Sie können in Ihr Zimmer hinaufgehen und sich zu Bette legen.«

Die arme Kleine stand auf, grüßte Tante und Onkel demüthig und verließ die Gemächer. Am Eingang der Treppe fand sie Franz, der ihr ein Licht anbot mit den Worten: »Hier, Mamsell, wenigstens sollen Sie nicht, ohne hell zu sehen, hinaufgehen; wenn man ein Haus noch nicht kennt, so ist das unbequem.«

Rosa-Maria dankte Franzen mit so sanfter Stimme, daß der Bediente ganz ergriffen davon war; dann nahm sie das Licht und stieg in ihr Mansardenzimmer hinauf.

Als sie sich endlich allein und von jedem Zwange befreit fand, sank das junge Mädchen auf einen Stuhl; dann weinte sie lange; hierauf kniete sie nieder und betete. Als sie sich erhob, fühlte sie sich erleichtert und rief aus: »Mein Gott, du wirst mir Muth verleihen, das traurige Leben hier zu ertragen. Mein Vater hat mich hierhergeschickt, in der Hoffnung, daß ich glücklich sein werde, ich will warten, hoffen ... und dann wird man mir ja erlauben, ihn zu besuchen, wo ich ihm meine Lage hier schildern werde; wir wollen dann sehen, ob er mich fortwährend hier lassen will. O! es thut mir sehr leid, daß ich nach Paris gekommen bin!«

Im Herzensgrund des jungen Mädchens lag noch ein anderer Kummer, welchem sie in diesem Augenblick eine Erinnerung weihte.


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