Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine Doppelhochzeit

»Lu! Li! Der Wagen ist da. Schnell eilt euch. Johann sagt, es sei höchste Zeit!«

Muttchen Friedel rief so durchs Haus. Nicht Lu und nicht Li antworteten.

Nur Lutz und Fritz steckten aus irgend einem Türspalt die Köpfe vor.

»Sollen wir nach ihnen sehen, Klein-Muttchen?«

»Klein-Muttchen, wir holen sie.«

Mit Eifer und viel Lärm trabten sie die Treppe hinauf.

»Lu! Li! Lu! Li!« Nicht mehr Erfolg, als ihn Muttchen Friedel vorher erzielte.

Die stand unten an der Treppe, und lauschte – seufzte dann tief. Muttchen Friedel wußte in diesen Tagen oft nicht, wo ihr der Kopf stand.

Es war ein Jahr und mehr verflossen seit jenen überraschenden Ereignissen in Warmbad damals.

Der September war im Land, Lus und Lis Hochzeit vor der Tür, dicht vor der Tür. Morgen sollte sie gefeiert werden.

In Rödershof ging alles drunter und drüber mit Vorbereitungen aller Art.

Es war ein tolles Treiben, wirklich. Vater Klaus wollte seine beiden Jüngsten mit allem Glanz aus dem Hause geben. Die selber hatten sich »möglichst viel Radau« ausgebeten, wie sie sich ausdrückten, nicht eben elegant, aber bezeichnend.

»Denn seht ihr, man hat doch bloß einmal Hochzeit,« hatte Li gelacht.

»Und was nachkommt, weiß keiner,« hatte die bedächtigere Lu zugefügt.

Sie sollten ihren Willen haben, so hatten Vater Klaus und Muttchen Friedel beschlossen.

Alles war also in fieberhafter Tätigkeit auf Rödershof. Muttchen Friedel war oben und unten, hinten und vorn und hätte dabei immer zugleich just auch in der Mitte sein sollen. Immer verwirrender wurde es, je näher der Zeitpunkt rückte.

Und nun war der Tag vor der Hochzeit da! Eben sollte der Wagen zur Bahn fahren, die beiden Hochzeiter abzuholen.

Die beiden Bräutchen hatten mitfahren wollen.

Und auf der vergeblichen Suche nach ihnen war's, wo Muttchen Friedel so herzbrechend seufzte.

Da lachte was hinter ihr – Vater Klaus.

»Was gibt's, Friedelchen? Wo stimmt's wieder nicht?«

»Ach, Klaus, nun waren die beiden Unglückswürmer, die Lu und die Li doch so vernünftig alle die Zeit. Da und nun kommt ein Rückfall noch so vor Torschluß. Drunten steht der Wagen, der die Westerns holen soll und die beiden sind ausgekniffen.«

»Haben die Geschichte vielleicht satt, haben sich eines Besseren besonnen, wer weiß.« Vater Klaus lachte in sich hinein und sah seinem Weibchen neckend in die weitaufgerissenen, erschreckten, unsicheren Augen.

»Klaus – Klaus – die wären imstande und heckten irgend was Tolles aus. Mir war schon dies ganze Jahr durch fast unheimlich bei alle der Vernunft. Kenne doch mein Fleisch und Blut und die Rangen –«

Da lachte Vater Klaus noch einmal hell auf.

»Aha, aus der kleinen Frau spricht das schlechte Gewissen in Anbetracht früherer Anlagen und der Vererbungstheorie, ha, ha, ha, ha!«

»Lach nicht, Klaus, du kennst sie nicht. Mir ist bange, Klaus, wirklich bange.« Und Muttchen Friedel schüttelte trübsinnig den Kopf.

Er lachte aber so, daß er nichts sagen konnte. Und dann kam's stoßweise: »Fee sagt – sie seien zu Fuß voraus. – Wollten nochmal – ha ha, – wollten nochmal die alten lieben Gänge gehen. Also, Frau Friedel, mit der Vererbungs–«

Weiter kam er nicht! Ein gar nicht sanfter Nasenstüber ließ ihn verstummen.

»Hast du das nicht gleich sagen können, he?« Und Frau Friedel war schon zwei Treppen höher. Dort zeterten Lutz und Fritz irgend was Unverständliches. Seit zwei Tagen waren auch sie zur Erhöhung der Festlichkeit eingetroffen.

Verdutzt sah Vater Klaus seinem flüchtigen Weibchen nach. Das schaute noch einmal übers Treppengeländer.

»Sorg nur um alles, Klaus, daß Fee sich ruhig hält, damit sie morgen frisch ist.«

»Nur keine Bange, Tante Lisa und Onkel Werner sind bei ihr.« Da flog Muttchen Friedel beruhigt weiter treppauf, den zeternden Söhnlein zu.

Tante Lisa und Onkel Werner waren auch zu Lus und Lis Ehrentag gekommen. Waren vor allem gekommen, ihr Kind, Fee, zu sehen.

Das »Wunder« in Warmbad damals – allerhöchste Nerven- und Willensanspannung infolge einer seelischen Erregung hatten es die Ärzte genannt – war nicht wirklich einschneidender Art gewesen. So wie: nimm dein Bett und wandle!

Fee konnte nicht etwa danach frisch weglaufen, wohin sie wollte, wie andere Menschen!

Aber es war ein Zeichen gewesen, daß die Kräfte da waren und langsam, langsam mit größter Geduld und Pflege auch dauernd wiederkehren konnten.

Es war der leuchtende Stern gewesen, der durch Wolken schien, den das Auge suchen konnte wieder und wieder. Der Hoffnung ins Herz strahlte und Mut und Zuversicht.

So faßte es Fee selbst auf und alle um sie, die sie lieb hatten. Und daran hielten sie sich, wenn auch wieder weniger gute Zeiten kamen. Der Stern in den Wollen blinkte dann um so heller. – – –

Mittlerweile schlenderten Lu und Li Hand in Hand durch den heimatlichen Wald.

Goldene Septembersonne lag darüber. Tiefblau war der Himmel. Nirgends ein Zeichen noch dessen, was der Oktober und November brachten. Sorglos wie in ihren Jugend- und Frühlingstagen lachte die Erde ihrer Mutter, der Sonne, zu.

Und wäre es anders gewesen – Lu und Li hätten es nicht gesehen. In ihnen klang und sang, jubelte, jauchzte und strahlte es. Sie hatten genug des Glücks, einer ganzen Welt davon mitzuteilen.

So gingen sie dahin, Hand in Hand, und sahen mit leuchtenden Augen um sich – in sich. Und faßten sich fester und fester.

»Li,« sagte Lu, »ein Glück, daß wir am selben Ort sein werden.«

»Ein Glück,« nickte Li.

»Das Fortgehen ist doch nicht so leicht, du.«

»Nicht so leicht.« Li war nur Echo. Jetzt führte sie.

»Aber was kommt, wird herrlich, Lu.« Ihre Augen leuchteten.

Lus Augen gaben den Glanz zurück. Dann senkte sie den Kopf.

»Aber anders, Li, so anders. Und ernster, viel ernster.«

Li schwieg eine Weile, sagte dann leise: »Wollen ihnen gute Frauen werden, Lu.«

Die nickte, schluckte, faßte die Schwesterhand noch fester.

»Wie Muttchen,« sagte sie ernst.

»Wie Muttchen,« nickte Li.

»Unser Muttchen!« sagten sie dann und in ihren Augen war was Nasses, in den Stimmen heiße Zärtlichkeit.

So gingen sie ein Weilchen still hin unter den Bäumen. Die nickten ernst und rauschten: vergeßt das nicht, vergeßt das nie.

Ernst sahen Lu und Li zu den rauschenden Baumkronen auf. Wie ein Schwur war's in ihren Herzen: nie! nie!

Es war ein feierlich schöner, heilig ernster Gang, dieser letzte Gang in Lus und Lis Mädchenleben unter den Waldbäumen der Heimat hin, einer unbekannten Zukunft entgegen.

Dort kam der Wagen. Lustig auffordernd knallte Johann mit der Peitsche, als er die zwei »Breit« sah, wie er sie nannte.

»Als erein, Freileincher. Mer packe's sonst nit. Un was dehte die Herrn Breitigämmer sage, he?«

Er schmunzelte, die Peitsche an der Nase.

Wie der Wind waren Lu und Li auf dem Break oben. Wie der Wind flog das dahin.

Und wirklich schnaubte eben schon der Zug daher, als das Break vor dem Bahnhof hielt.

Johann lachte jetzt laut hinter seinen beiden »Freileincher« her. Wie die vom Wagen herunter waren und um die Ecke des Bahnhofsgebäudes flogen, war unfaßlich. Im Handumdrehen ging's. Nicht bis drei brauchte man zählen, zwei genügte.

»Ha, ha, ha, des hot junge Bein,« lachte der Alte, »un junge Herzer derzu. Ha, ha, ha, ha!«

Sehr enttäuscht hatten die zwei blonden Herren, der Assessor Paul und der Assessor Heinz Western aus dem Fenster geschaut, seit man den Bahnsteig übersehen konnte.

Noch enttäuschter waren sie vom Zug gesprungen, knapp daß der hielt.

»Niemand da!«

»Wahrhaftig, niemand da!«

»Schändlich!«

»Scheußlich!«

»Ha, ha, ha,« lachte eine Männerstimme vom Wagen her, schadenfroh, voll gutmütigem Spott, »ha, ha, ha,« Professor Westerns Stimme.

Und eine weiche Frauenstimme, »Werden schon kommen. Werden sich verspätet haben.«

»Aber, wie kann man!«

»Ja, wie kann man!« sagten die beiden Zürnenden, schwer Enttäuschten, stirnrunzelnd zugleich.

Da rauschte es neben ihnen, weiße Gewänder streiften sie. Sie griffen zu, faßten jeder eine schlanke, schmiegsame Gestalt. Und da lachte Vater Western noch einmal laut, neckend.

»Wußt ich ja,« sagte Mutter Western. Und sagte es weich und zärtlich. »Wußt ich ja doch.«

Die beiden, die blind zugefaßt hatten, als die weißen Gewänder neben ihnen rauschten, besahen sich nun, was sie hielten.

Und da klang ein helles, lustiges Lachen über den Bahnsteig. Aus dem abfahrenden Zug reckten sich allerhand neugierige Gesichter. Die kamen aber nicht auf ihre Kosten. Denn was wußten sie davon, daß in der Eile und dem Drang des Augenblicks, die beiden, die zufaßten, sich vergriffen hatten.

Assessor Paul hielt Lu und Assessor Heinz hielt Li in den Armen. Und sollte doch umgekehrt sein.

Schnell war gewechselt.

»Das kommt davon, wenn einer aussieht wie der andere,« schmollte Li. »Wenn uns bloß morgen keine solche Verwechslung passiert. Es wäre greulich!«

»Danke,« lachte Assessor Heinz.

»Etwa nicht?« fragte Lu schelmisch.

»Entsetzlich,« lachte er. Und das nahm nun wieder Li krumm.

»Werd mich schwer hüten, du! Brauchst keine Furcht zu haben.«

»Kinder,« sagte nun Vater Western und lachte so recht behaglich, »ich hab's ja von allem Anfang an gesagt, es ist eine Ungehörigkeit, daß der Ältere sich die Jüngere nimmt und umgekehrt. Paul gehört von Rechts wegen zu Lu, Heinz zu Li. Ihr habt's umgekehrt gewollt, nun müßt ihr die Folgen tragen.«

»Wollten eben mal absolut übers Kreuz glücklich werden, Vater Western,« lachte Li, der Vorwitz.

Er gab ihr 'nen Nasenstüber.

»Kiekindiewelt, du!«

»Übers Kreuz, ohne Kreuz hoffentlich,« sagte Mutter Western leise. Und hielt Lu in Armen.

»Dort über Marien Kapell,
Da blinken drei Sternlein so hell,
Dort eint uns ein rosenrot Band,
Doch das Hauskreuz ist auch bei der Hand.«

So summte Li leise und schelmisch, ehe die Reihe der Begrüßung mit Mutter Western an ihr war.

Und dann fuhr der alte Johann stolz seinen ganzen Wagen voll Glück Rödershof zu.

Unterwegs brachen Lutz und Fritz aus dem Walde wie Strauchdiebe mit Hallo und Hussa. Sie wurden aufgeladen und hatten großes Gefallen an den Schwägern. An Weihnachten hatten sie sie nur einmal und zwar ganz kurz gesehen. Assessor Paul und Assessor Heinz hatten da nur sehr knappen Urlaub bekommen.

Lutz war etwas gewaltsam lebendig, seine Verlegenheit zu bergen. Fritzchen dagegen sinnierte, ließ kein Auge von den Schwestern und deren Gefährten.

Er stand neben Li, stieß die an.

»Du, wie machst's bloß, daß du deinen immer vom anderen kennst? Sieht doch einer aus wie der andere!« flüsterte er.

Li lachte erst einmal. Tat dann sehr geheimnisvoll und flüsterte zurück: »Er hat was in den Augen, Fritzel. Und wenn ich ihn ansehe, dann springt's über wie ein Funke und ich spür's hier.« Sie legte die Hand aufs Herz.

Fritzchen nickte ganz sachlich.

»Wie bei der Elektrisiermaschine, du. Lus ihrer auch?«

»Lus ihrer auch,« lachte Li.

Assessor Paul wollte wissen, was Li da tuschele. Zog Fritzchen zwischen seine Kniee.

»Beichten, Schwager!«

Fritzel war sehr stolz, freudenrot. Der Ehrentitel hob, ihn gewaltig in seinen eigenen Augen. Aber Li legte den Finger an den Mund.

»Geheimnisse verrät man nicht,« sagte da der kleine Mann und stand stramm.

»Bravo, Schwager,« lachte Assessor Paul und klopfte ihn auf die Schulter.

Und dann bogen sie in den Wiesengrund bei Rödershof, rasselten über die Steinbrücke und fuhren an der Freitreppe vor.

Dort standen alle anderen, auch Großpapa Polten und Tante Lenchen hatten sich eingefunden, und es gab ein frohes Begrüßen.

Tante Lenchen fand großes Gefallen an Mutter Western. Sie nahm im Lauf des Tages einige Male die Gelegenheit wahr, ihr klar zu machen, daß Lu und Li zumeist ihr, Tante Lenchen, die Erziehung zu tüchtigen Menschen dankten. Denn: »Erbarmen Sie sich, Liebste, Bruder Konrad tat ja das Seine, meine Nichte gradewegs zu verderben. Er hat sich das nicht so klar gemacht, selbstverständlich. Für so was hat eben nur eine Frau Blick und Sinn. Ich habe keinen Kampf gescheut. Und, erbarmen Sie sich, Liebste, so kam's, daß Lu und Li die Mutter haben und sind, was sie sind.« Tante Lenchen schien gewachsen, während sie das sagte, so reckte sie den kleinen, alten, müden Körper. Stolz hob sie den Graukopf, auf dem im Eifer die Haube schief gerutscht war.

Und Mutter Western beeilte sich, Tante Lenchen ihrer herzlichsten Bewunderung zu versichern, was die hinnahm wie eine Königin.

Hätte sie gewußt, was Papa Polten genau um dieselbe Zeit zu Professor Western sagte, es hätte sie sehr aus dem Gleichgewicht und von ihrer stolzen Höhe herunter gebracht.

Der sagte nämlich: »Wissen Sie, Herr Professor, daß Lu und Li so fixe Kerle sind, danken sie bloß mir. Ich habe Jungchen seinerzeit das Frauenzimmergehabe abgewöhnt. Hat Schweiß gekostet, Herr Professor, sehen Sie, denn was die Lene ist, meine Schwester, die wollte partout so 'ne zimperliche Priese aus dem Kind machen. Hab' mich dagegen gewehrt mit Händen und Füßen, mit Donner und Blitz, sag' ich Ihnen. Und da ist denn das Jungchen der forsche Kerl geworden, der es ist. Und die beiden Rangen schlagen der Mutter nach, Gott sei Dank. Mein Werk, Herr Professor, trotz der Lene. Aber verraten Sie mich nicht, sie nimmt's krumm. Frauenzimmer sind immer empfindlich, ha, ha, ha, ha!«

Professor Western stimmte in Papa Poltens Lachen ein und beeilte sich, Lu und Li als die gelungensten Erziehungsresultate zu erklären, die ihm noch begegnet seien.

Dazu nickte Papa Polten sehr gnädig und. herablassend. Ungefähr so, wie Tante Lenchen den ihr von Mutter Western gezollten Bewunderungstribut hinnahm.

Wenn sie voneinander gewußt hätten, die zwei. Erbarm dich! Erbarm dich! – –

Der Tag ging so hin, der letzte Tag in Lus und Lis Mädchenleben. Und der Abend kam, der letzte Abend im Elternhaus.

Der sollte ganz still verbracht werden, Fees wegen, die alle Kräfte zu morgen, dem Haupttag, sparen mußte.

So saßen sie alle zusammen nach dem Nachtessen auf der Terrasse im lauen Septemberabend, der wie ein Juniabend war.

Die Herren rauchten in einer Ecke am runden Tisch bei der Lampe. Fröhliches Plaudern kam von da.

In der anderen Ecke war's stiller. Dort saßen die Damen. Lu und Li dicht zu Fee und Muttchen Friedel heran gehuschelt in Gedanken und Schweigen.

Tante Lenchen, Mutter Western und Tante Lisa in einer Unterhaltung, die auch nicht sehr ergiebig war. Denn die Gedanken waren Despoten und wollten auch hier ihr Recht.

Lutz und Fritz stellten zeitweise die Verbindung zwischen den getrennten Lagern her. Sorgten auch dafür, daß Leben in die Szene kam durch gelegentliche kleine Meinungsverschiedenheiten, die alsbald tätlich zurecht gelegt werden mußten.

Einem Ausgleich, dem Vater Klaus durch ein jeweiliges: »Wollt ihr wohl, Bengels!« ein Ende schaffte.

Viel zu tuscheln hatten sie auch, Lutz und Fritz. Und dann gab's leuchtende Augen und strahlende Mienen. Sie trugen sich sichtlich mit großen Plänen zu morgen.

Da kamen verlorene Klänge durchs schlafende Tal. Sie weckten das Echo im Wald, das sie zurückgab. Anfänglich achtete keiner darauf. Man konnte es für fernen Vogellaut nehmen. Allerhand Nachtgetier haust ja im Walde. Eulen und Käuze sind denen, die am Waldrand, außerhalb des Menschengetriebes wohnen, vertraute Gesellen.

Aber die verlorenen, zerrissenen Klänge fügten sich zusammen, mehr und mehr, wuchsen, schwollen, kamen näher.

Lutz und Fritz von allen zuerst spitzten die Ohren.

Und dann: »Musik! Musik!« brüllten sie und trabten davon, den Klängen zu.

Und nun lauschten alle. Von Dresdorf her kam's. Nun konnte man's deutlich unterscheiden. Die Dorfmusik war es. Die Oberstimmen quietschten schrill, unbekümmert brummten die Bässe.

Der stille Wiesengrund war mit einemmal lebendig. Über die schlafenden Waldbäume jenseits zuckten Lichter hin. Verloren erst wie die Klänge zuvor. Und dann bleibender, heller, greller.

Vom Waldrand, jenseits der Wiesen, da wo die Landstraße hinlief, löste sich etwas wie eine leuchtende, tönende Schlange, wand sich durch den Wiesengrund, gerade auf Rödershof zu. Deutlich konnte man es von der Terrasse aus sehen.

Alle waren aufgesprungen. Die getrennten Lager hatten sich geeint.

Nur Tante Lisa saß neben Fee und hatte die auf den Sitz zurückgezogen.

»Bleib, Herz. Die kommen hierher und wir sehen's dann gerade so gut. Denk an morgen, Fee. Spar deine Kraft.«

Und geduldig saß Fee. Sah mit leuchtenden Augen zu den Schwestern hin.

»Ich freue mich so für Lu und Li. Sieh nur, wie sie strahlen.«

Fest legte Tante Lisa den Arm um sie.

»Fackeln!« jauchzte Li derweilen.

»Musik!« jauchzte Lu.

»Uns zu Ehren!« jubelten beide. Und sahen den Assessor Paul und den Assessor Heinz ganz herausfordernd an. »Uns zu Ehren, wißt ihr!«

»Donner und Doria!« polterte Papa Pollen. »Was sich das Rackerzeug einbildet. Als ob meine Dresdorfer nichts Besseres zu tun hätten, als solcher Rangen wegen sich auf die Beine zu machen. Wofür wäre denn ich –«

»Erbarm dich, Konrad, kannst du den Kindern nicht das Vergnügen lassen?« Tante Lenchen zupfte ihn am Ärmel. Da knurrte er bloß noch vor sich hin.

Und mittlerweile kam die feurige tönende Schlange näher und näher. Man sah Lutz und Fritz im Feuerschein voraustanzen, sich in toller Lust um sich selber drehen.

Droben auf der Terrasse, da wo die Treppe in den Park führte, standen die beiden jungen Paare. Die anderen alle dahinter.

»Hoch, hoch, hoch!« schrie es da. Die Spitze des Zugs langte eben am Fuß der Treppe an. »Hoch, hoch, hoch, Freilein Elisabetha und Freilein Luisa! Hoch, hoch, hoch die Breitigams! Hoch unser Herr! Hoch alle die Herrschafte!« Jeder kriegte sein Teil.

Und jedesmal setzte die Musik mit kräftigem Tusch ein. Alle Hofleute von Rödershof hatten sich angeschlossen. Es war, wie es schien, eine mit den Dresdorfern gemeinsame Veranstaltung.

Aus rauhen Kehlen kamen die Rufe, aber auch aus redlichen Herzen. Das wußten die zu würdigen, die sie hörten.

Und dann trat einer vor. Der Großknecht von Rödershof. In den Händen drehte er die Mütze, räusperte und räusperte sich.

»Mir hawe wolle – ja, mir hawe wolle – wolle hawe mir – hm, hm, hm – sage hawe mir wolle, daß – daß – daß – ja, mir hawe wolle sage, daß unser Freileincher – daß unser Herr – daß unser gnädig Frauche – ja, daß mir uns freie, daß – daß – hawe mir wolle sage un –«

»Hoch, hoch, hoch!« fielen die anderen, fiel mit Tusch die Musik ein. Und leuchtend, strahlend, im Bewußtsein einer vollbrachten Tat, einer rühmlich vollbrachten Tat, schüttelte der Großknecht reihum die Hände.

»Wundervoll, Michel,« sagte Lu und strahlte desgleichen.

»Ich hab's gar nicht gewußt, daß Sie so reden können, Michel,« sagte Li. »Es war großartig.«

Und Lu und Li meinten wirklich, was sie sagten. An eine Rede, die uns zu Ehren gehalten wird, legen wir einen ganz anderen Maßstab. Und Lu und Li waren noch nicht verwöhnt mit dergleichen.

In des Michel fernerem Lebenslauf aber machte dieser Abend Epoche.

»Wie ich selwigsmol die großi Redd gedahn habb –« fingen seitdem bei ihm alle Erzählungen an.

Ein anderer trat nun vor: der Gemeindevorsteher von Dresdorf.

In wohlgesetzter Rede gab er seinen und aller Gefühlen Ausdruck.

Wie sie von alters her sich zugehörig fühlten im Herzen zu den Herrschaften von Dresdorf und Rödershof. Wie sie da in ihren Nöten stets offenes Ohr, offenes Herz und offene Hand gefunden. Daß dafür der Herrschaften Geschicke die ihren seien in Leid und Freud. In Freud heute, Gott sei Dank! Denn zwei liebliche Töchter des Hauses – er sagte »lüblich« so recht mit süß gespitzten Lippen. Lu und Li wußten vor Verlegenheit nicht, wohin sehen – also zwei »lübliche« Töchter des Hauses sollten den Männern ihrer Wahl und ihres Herzens in eine neue Heimat folgen. Und heiße Segenswünsche folgten ihnen nach aus aller Herzen. Dieselben Wünsche, wie sie dermaleinst der gnädigen Frau Mutter gefolgt seien, der sie so ähnlich seien wie – wie – wie das Kalb der Kuh. Der Herr Gemeindevorsteher wählte seine Bilder aus seinem Bereich. Geradeso »lüblich und freindlich und holdsölig«. Im Eifer geriet der Herr Gemeindevorsteher in Verwirrung mit den Konsonanten. Und so lustig und – und – die lustigen Streiche des gnädigen Frau Mütterchens seien noch in aller Gedächtnis und – und –«

»Hoch! Hoch! Hoch!« rief da eine Stimme. Vater Klaus behauptete Zeit seines Lebens, es sei die seines Weibchens gewesen. Sie habe es bei der Erwähnung des Gemeindevorstehers mit der Angst gekriegt und deshalb der Rede ein vorzeitiges, gewaltsames Ende gemacht. Muttchen Friedel gab es nie zu. Die Frage blieb also offen. Aber: »Hoch! Hoch! Hoch!« fielen alle ein, auch die Musik.

Und der Gemeindevorsteher klappte den Mund zu und schüttelte reihum die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.

»Gut gemacht, Weber,« sagte Papa Polten und klopfte ihm auf die Schulter. »Bloß das von Jungchen hätte früher kommen müssen und ausführlicher, Weber, ausführlicher. Donner und Doria! Reicht doch keine an das Jungchen hin, was?«

»Keine, gnädiger Herr!« Die zwei schmunzelten und drückten sich die Hände.

Vater Klaus bat die Leute, sich in der »Krone« in Dresdorf auf seine Kosten ein Fäßchen Bier auflegen zu lassen. Leider seien er und seine Frau unvorbereitet auf solch zahlreichen freundlichen Besuch gewesen. Und er dankte warm für alles.

Dann spielte die Musik noch ein paar Stücke, besser gemeint als ausgeführt. Wieder schrillten und quiekten die Oberstimmen und unbekümmert um sie brummten die Bässe ihr Teil. Beim Aufhören klappte es nicht, die Bässe brummten ihrerseits noch zwei Takte weiter, als die Oberstimmen schon zu Ende gequiekt hatten. Aber das tat dem Genuß weiter keinen Eintrag.

Noch ein hallendes Hoch, ein Hüteschwenken, ein Zusammenwerfen der Fackeln auf dem großen freien Kiesplatz, ein Auflodern, Verglimmen, Erlöschen.

Ein letzter Tusch der Musik und davon trabten die Leute. Ihre Schritte verhallten allmählich im stillen Wald- und Wiesental.

Lutz und Fritz waren ganz erregt.

»Wundervoll war's, was, Lu? Li?«

»Aber sie haben doch wohl eigentlich Klein-Muttchen und den Vater gemeint damit, nicht euch, was?«

Lu und Li als Heldinnen dieser großartigen Ovation leuchteten Lutz und Fritz nicht ein.

Fritzchen, der sehr gutmütig war, hatte sich dicht zu Schwester Fee gestellt, liebkoste an ihr herum.

»Ich bring' dir 'nen Fackelzug, wenn – wenn –« Fritzchen schwieg, sah unsicher drein. – »Heiratest du auch, Fee?«

»Ich bleibe bei Klein-Muttchen,« sagte Fee leise und ihre Augen sahen in weite Fernen. Aber was Stilles lag drin, was Frohes.

»Das ist recht, du,« sagte Fritzchen zufrieden. »Ich auch. Ich bleibe auch bei Klein-Muttchen. Nirgends ist's schöner. Der Lutz will mal auf den Mond, sagt er. Alles andere sei schon erforscht und man könnte sich dazu der Luftschiffe bedienen, meint er. Einer muß doch bei Muttchen bleiben, wenn dann Vater alt wird, was? Also du und ich, Fee.«

»Du und ich, Fritzel,« nickte sie still.

Da stieg bei Mond über die Waldberge, groß und voll, und ernst und hehr.

Und zugleich klang ein Ton durch die Nacht. Weich und süß setzte er ein, stieg und schwoll und füllte das stille Tal mit seinem Wohllaut.

Muttchen Friedels Geige sang. Sang Muttchen Friedels Töchtern das Abschiedslied vom Elternhaus.

Still, bewegt lauschten alle.

Lu und Li hielten sich an den Händen gefaßt. Assessor Paul und Assessor Heinz standen dicht daneben.

Ernste, weihevolle Klänge. Erst zog das Beethovensche Andante auf Flügeltönen himmelwärts. Chopin, Schumann und Brahms folgten. Ein Übergang in einer Akkordenreihenfolge. Neckisch mischten sich einige Passagen aus dem Hochzeitsmarsch, tauchten mehr und mehr auf. Und dann jubelte Muttchen Friedels Geige den Hochzeitsmarsch in die stille Waldnacht. Er verklang. Aber noch verstummte die Geige nicht. Wieder eine Folge von Akkorden und dann zog es einfach und weihevoll den Wolken zu.

Lobe den Heuen, den mächtigen König der Ehren,
Stimme du Seele mit ein zu den himmlischen Chören,
Kommet zu Hauf,
Psalter und Harfe wacht auf,
Lasset den Lobgesang hören.

Sie hatten eingestimmt, alle.

Fees heller Sopran klang jauchzend vor. Lu und Li hielten sich an den Händen, die jungen Augen dort, wo der Mond immer höher stieg in schweigender Pracht.

Und dann verklang die Geige, verhallten die Stimmen. Stumm standen alle eine Weile. Solche Momente müssen erst im Innersten ausklingen, verzittern.

Papa Polten und Tante Lenchen nahmen dann schnell Abschied.

Der alte Mann hatte die Arme um Lu und Li gelegt und es kugelte ihm dabei etwas aus den blitzblauen Augen über den Silberbart, was er schweigend rinnen ließ.

»Gott segne euch!« sagte er. Und polterte dann: »Daß ihr mir fein beizeiten morgen da seid, Rangen. Punkt zwei Uhr geht der Zug los, verstanden? Alberne Wirtschaft übrigens, dies Geheirate. Bringt einen aus aller Ordnung. Vorwärts, Lene! Stopp die Wasserwerke. Los!«

»Erbarm dich, Konrad, wie kann man bloß.« Tante Lenchens Stimme zitterte.

Behutsam und sachte zog er ihren Arm durch, den seinen.

»Na, alte Lene, denn in Gottes Namen. Das Alter bringt's ja wohl so mit sich, daß man immer einsamer wird. Gut Nacht, Jungchen, Kind, mußt auch schon hergeben. Aber kriegst dafür auch was, was sich sehen lassen kann.« Er nickte dem Assessor Paul und dem Assessor Heinz zu. »Auf morgen denn. Und pünktlich, bitte, pünktlich!«

Es war nämlich bestimmt worden, daß der Hochzeitszug vom Dresdorfer Herrenhaus aus zur Kirche gehen sollte. Der Weg von Rödershof war zu weit. Und Lu und Li wollten zu Fuß zum Kirchlein pilgern, wie es einst Tante Lisa und Klein-Muttchen getan hatten.

Daher Papa Poltens Mahnung zur Pünktlichkeit.

Die Feier sollte danach in Rödershof stattfinden, wohin die ganze Hochzeitsgesellschaft dann zu Wagen befördert wurde.

Alle gaben Papa Polten und Tante Lenchen das Geleite durch die Wiesen bis zum Waldrand drüben.

Nur Fee zog sich gleich zurück und Tante Lisa wollte sie auf ihr Zimmer bringen.

Rasch und still kamen die anderen heim durch den Mondenschein. Und gleich trennte man sich. Bald hielt die mondbeglänzte Zaubernacht Rödershof traumumfangen.

Zu Lu und Li aber huschte Klein-Muttchen noch zuletzt hinein.

Flüstern gab's da und viel Tuscheln und Tränen und leises, weiches, glückliches Lachen und viel Liebkosen und Segens- und Dankesworte.

»Klein-Muttchen, Klein-Muttchen, was bist du uns gewesen!«

»Kinder, wie macht ihr mich froh.«

»Wollen sein wie du, Klein-Muttchen.«

»Wollen ihnen sein, was du dem Vater bist.«

»Besser sollt ihr sein, Lu, Li. Und ihnen mehr sein, viel mehr. Euer Vater hat viel Geduld haben müssen. Daran denkt immer, daß auch Paul und Heinz die haben müssen. Und habt sie selbst, Lu, Li. Engel sind wir allesamt nicht. Arme irrende Menschen sind wir allzumal und muß einer des anderen Schwäche stützen und tragen. Und seid nicht enttäuscht und laßt die Ohren nicht hängen, wenn ihr das erst herausfindet. Paul und Heinz finden's auch bei euch heraus. So Lu, Li, und nun schlaft! Schlaft, will's Gott, in ein reiches, schönes Leben hinein.«

Klein-Muttchen löschte das Licht und küßte ihren beiden Kindern die jungen, ernsten, fragenden, träumenden Augen zu.

Und der Mond stieg und der Mond sank. Fahles Morgendämmern hellte leise die Nacht. Ein neuer Tag stieg herauf – Lus und Lis Ehrentag!

Frau Sonne wollte dabei sein. Sie griff mit den Strahlenfingern am Himmel hoch und schob sich ein paar leichte Wölkchen vorm Antlitz fort. Und dann lachte sie, lachte. Ihr gutes, altes Gesicht strahlte nur so. Sie hatte Lu und Li lieb, wollte ihren Festtag vergolden helfen. Und wie sie das tat. Ein Tag war's, der allein schon die Herzen himmelwärts heben mußte und brauchte dazu nicht des himmelstürmenden Glücks, das sie füllte und aufwärts trug.

Solch ein Tag – Lus und Lis Hochzeitstag! – – –

Weit offen steht die Hallentür des Dresdorfer Herrenhauses.

Von der Kuppel des Vorbaues wehen Fahnen. Grüne Gewinde ziehen sich unter den Fenstern hin. Über die Stufen der Freitreppe ist feierlich ein roter Teppich gebreitet.

Stimmengemurmel kommt von der Halle, von den Zimmern des Unterstocks her.

Die ganze Hochzeitsgesellschaft ist da versammelt und alle harren der beiden Bräute, die noch oben in Muttchen Friedels altem Mädchenstübchen geschmückt werden.

Papa Polten, der Ungeduldigste von allen, hat Lutz und Fritz auf Kundschaft ausgesandt.

Er steht lauschend am Fuß der Treppe, die beiden Bräutigame neben ihm.

»Donner und Doria,« sagt der alte Herr und seine Augen blitzen. »Unpünktlichkeit ist ein Laster, basta! Gewöhnt's ihnen nur beizeiten ab.« Das gilt den beiden neben ihm. Und dann zieht er die Uhr. »Zwei Minuten drüber! Donner und – Jungchen! – Lu! – Li!«

Mit Stentorstimme hallt's durchs Haus. Erschreckt stürzt Tante Lenchen in rauschender schwarzer Seide herzu und greift sich nach dem Blondenhäubchen, das den grauen Kopf ziert.

»Erbarm dich, Konrad, du bist wohl unklug!« Er hörte nicht. Eine halbe Minute gibt er zu.

»Jungchen! Lu! Li!« schallt der Kriegsruf wieder durchs feierlich stille Haus. Und: »Sie kommen! Sie kommen!« rufen zwei helle Knabenstimmen. Und am Treppengeländer nieder, rechts und links obenauf sitzend, sausen Lutz und Fritz. Etwas ungeschickt und täppisch springen sie unten ab, so daß sie fast hinschlagen. Nur mit Mühe halten sie sich auf den Füßen.

»Ha, ha, ha, ha,« lacht Papa Polten. »Ha, ha, ha, ha! Hat Jungchen besser gekonnt seinerzeit. Was, Klaus?«

Der steht neben ihm und auch über sein Gesicht zuckt ein Lachen. Er nickt dem alten Herrn verständnisinnig zu. Aber dann sieht er nach oben, wie alle es nun tun.

Über die Treppe herunter kommen drei Gestalten.

Muttchen Friedel in der Mitte, von erdbeerfarbener Seide umflossen – Schwester Lisa und Tante Lenchen haben ihr die zudiktiert – Muttchen Friedel führt rechts und links ihre zwei schlanken, bräutlichen Töchter.

Lu und Li sehen so schlank und anmutig aus im festlichen Weiß, von den Schleiern umwallt, die Myrtenkränze auf den braunen Scheiteln halten. Muttchen Friedels Stolz, der aus den großen Grauaugen strahlt, ist vollauf gerechtfertigt.

»Klaus,« sagt sie und sieht nur ihn, »da sind sie.«

Und er nimmt die Hände seiner zwei Jüngsten und legt sie in die, die sie von nun an durchs Leben führen sollen.

»Seid gut mit ihnen,« sagt er und seine Stimme will nicht so recht wie er will, »es sind meine lieben Kinder.«

Assessor Paul und Assessor Heinz nicken und blicken stumm.

Der Zug ordnet sich nun.

Voran gehen Dorfkinder, die Blumen streuen. Paarweise folgt die Jugend, Freundinnen und Freunde der Brautpaare.

Dann diese selbst. Assessor Paul und Li voran, Assessor Heinz und Lu dahinter.

Professor Western, den Schwiegervater, hat das in Lus Seele gekränkt.

»Soll die Jüngere vor der Älteren gehen,« sagt er. »Paßt sich gar nicht. Kommt alles von der Übers-Kreuz-Geschichte her.«

»Laß, Papachen,« hat Lu gelacht, »kommt mir gar nicht drauf an, Li und ich sind eins.« Da hat er sich zufrieden gegeben.

Hinter den Brautpaaren kommen die Nächsten, der Großvater, die Eltern, Geschwister. Fee muß in ihrem Fahrstuhl geschoben werden. Der Weg ginge heute über ihre Kraft, mit der sie haushalten will und muß. Lutz und Fritz schieben der Schwester Stuhl. Manch ein Blick folgt der Gruppe, in Mitleid – in Bewunderung.

Lutz und Fritz haben ihr den Stuhl mit rosa Astern geschmückt. Sie selbst im weißen Kleid in all ihrer rührenden jungen Schöne mitten drin – es ist ein hübsches, fesselndes Bild.

Die ganze Hochzeitsgesellschaft schließt sich an.

Und nun setzen die Glocken ein. Ihr Klang füllt die Luft, festlich, feierlich. Was die Herzen schwellt, hat Stimme gefunden.

»Kommt! Kommt! Kommt!« rufen die Glocken. »Zum Glück! Zum Glück! Zum Glück!«

Lu und Li gehen dahin wie im Traum, erdentrückt. Eine Weihe, nie geahnt, nie gefühlt, ist in ihren jungen Herzen.

Weit offen stehen die Türen des Kirchleins. Wie oft sind Lu und Li durch die hingeschritten, junger Andacht voll, voll frommen Ernstes und guten Willens. Aber nie so wie heute, nie.

Wie das Brautpaar erscheint, setzt die Orgel ein. Hat die je vorher so geklungen? So mächtig, so mahnend, so erschütternd gewaltig. So in brausendem Jubel und himmelanstürmendem Jauchzen – in weichem, innigem Flehen und Beten.

Und dann stehen Lu und Li Seite an Seite mit denen vor dem Altar, die von nun an zu ihnen gehören sollen im Leben und im Tod. Wie im Traum stehen Lu und Li.

Die Orgel schweigt.

Und eine gute alte Stimme, eine Stimme, die sie kennen, seit sie denken, sagt ernste, schlichte, innige Worte.

Aus Ruth 1, 16 hat sie den Text gewählt: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.«

»Ein Tag der Freude ist dies,« sagt die gute alte Stimme, »und es ist ein Tag des Ernstes. Er nimmt und er gibt mit derselben Hand. Nimmt die Unbekümmertheit der Jugend, gibt dafür einen reichen, schönen Pflichtenkreis. Nimmt den sorglosen Kindersinn und gibt das Bewußtsein der Verantwortlichkeit. Nimmt das behütete Geborgensein im Elternhaus und gibt dafür ein eigenes trautes Heim, dessen Krone und Seele die Frau sein soll. Sollte uns nicht dünken, er nähme mehr als er gibt? Da er die junge, frohe Sorglosigkeit nimmt, den Kindersinn und das Kinderrecht ans Elternhaus! Und gibt Ernst, Verantwortlichkeit, Pflichten – Pflichten! Aber ich sage, er gibt unendlich reicher als er nimmt. Was gibt es Höheres im Leben, als eine ernste schöne Pflicht haben und die ernst und schön erfüllen? Und welche Pflicht könnte ernster und schöner sein als die der Frau: des Geliebten Heim traut und geborgen zu machen – des trauten Heims Seele und Krone sein? Und dies sein mit dem ernsten frohen Gelöbnis: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott.«

Dies und noch mehr sagt die gute alte Stimme des guten alten Mannes, der dort vorm Altar steht, und vor dem Lu und Li und die, die sie erwählt haben zu Gefährten fürs Leben, nun niederknieen, ihren Bund fürs Leben weihen zu lassen.

Leise wie im Traum klingt's von der Orgel durch den kleinen Raum.

Und die viere dort am Altar lassen sich die goldenen Reifen an den Finger stecken, dies Sinnbild der Treue, das bindet – binden soll, bis »der Tod euch einst scheidet«.

Heiliger, ernster Vorsätze voll ist Lus und Lis junge Brust, heiliger, ernster Liebe voll. Die ernste Pflicht, die ihnen diese Stunde bringt, schreckt sie nicht. Freudig wollen sie sie auf sich nehmen – freudig erfüllen, dazu helfe ihnen Gott.

Frommer Andacht voll, froh, stolz und demütig zugleich stehen Lu und Li an der Seite der Geliebten. In ihren Ohren klingt's noch und klingt im Herzen wieder: Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

Hat das, was Lu und Li im Ohr und Herzen nachklingt, mit einem Male tönenden Schall gefunden? Ist's eines Engels Stimme, die da singt?

»Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch.«

So tönt's von der Orgel nieder in weichem, vollem Laut. Jubelnd, jauchzend; zu Herzen gehend, ergreifend.

Und ein Engelsantlitz schaut von oben auf die Schwestern nieder – Fees Antlitz, unendlichen Freuens, unendlicher Liebe voll. Fee singt – nein, Fee jauchzt und jubelt den beiden noch einmal den Hochzeitstext ins Herz: »Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott.«

Und Zeit ihres Lebens hallt er den beiden tiefinnerst im Herzen nach. Und Zeit ihres Lebens ist er ihnen die Richtschnur für all ihr Fühlen und Denken, Tun und Handeln. Glückliche Frauen sind Lu und Li geworden und haben glücklich gemacht.

Aber das ist weit vorgegriffen.

Einstweilen schreiten sie jetzt eben an der Seite der Geliebten durch den Mittelgang zwischen den Bänken des Kirchleins hin. Und viel vertraute Gesichter winken und nicken ihnen daraus zu und viel Augen folgen ihnen mit frohem hellem Blick und warme Wünsche sind in allen Herzen. Lu und Li haben viele Freunde.

Vor der Tür des Kirchleins steht die Dorfjugend und empfängt sie mit Geschrei: »Hoch, hoch, die Breit! Hoch, hoch unser Freileincher!«

Das Peterchen – seit er aus der Klinik zurück ist, scheint er zu glauben, daß er ein besonderes Recht an Lu und Li hat – das Peterchen drückt sich allen voran. In einer Hand, schmierig und fragwürdig sauber, hält er ein paar Blumen, die er der ersten reicht, mit der anderen knallt er eine Taschenpistole in die Luft.

Der Stolz in dem Schelmengesicht dabei ist sehenswert.

»Ich winsch auch vielmals Glick un ich vergesse Ihne nit.« So schreit er.

Lu und Li nicken ihm zu, sehen sich an, denselben Gedanken im Herzen: »Gott sei Dank, daß wir da keine Last mit hinüber zu nehmen haben ins neue Leben.«

Peterchens Schuß ist das Signal zu einer Reihenfolge von Böller- und Pistolenschüssen. Die jungen Bursche des Orts ehren damit in ihrer Weise die zwei Bräute.

Und die Dorfleute drängen heran. Jeder will noch ein Wort sagen oder eins hören, einen freundlichen Blick auffangen. Ja, Lu und Li, die Wildlinge, haben viele Freunde gehabt. Lu und Li, den Bräuten, folgen viel warme Wünsche.

Sie haben ein freundliches, ein neckendes oder ein warmes Wort für jeden, just wie's paßt. Und frohe und lachende Gesichter sind rings.

Dann ist die Brautkutsche vorgefahren mit dem grinsenden Johann auf dem Bock. Wundervoll hat er Wagen und Pferde und sich selber an Hut und Peitsche geschmückt.

Die beiden jungen Gatten helfen Lu und Li in den Wagen.

Johann hat sich, breit grinsend, gewendet. »Ich gratelier auch vielmals, gnädig Frauche. Gnädig Frauche, ich gratelier auch vielmals.« Das gilt Lu und Li, die das erst gar nicht verstehen und sich nach Klein-Muttchen umschauen, die der Alte doch immer so nennt.

Aber Klein-Muttchen steht dort bei den Leuten vom Dorf, die nun auch ihr und den anderen die Hände schütteln.

Lu und Li sehen sich an. Und dann fährt ihnen ein Lachen übers Gesicht und der Schelm sitzt zum ersten Mal heut wieder in den großen grauen Augen.

»Ich glaub, er meint uns, Lu.«

»Er meint uns, Li.«

»Ha, ha, ha, ha,« lachen sie im Duett, das sich alsbald zum Quartett vervollständigt, als Assessor Heinz und Assessor Paul hinter Lu und Li einsteigen.

So fährt der Brautwagen davon, am Waldrand hin, durch die Wiesen, Rödershof zu.

Die anderen folgen.

Tante Lisa sitzt bei Fee im Wagen. Sie legt den Arm um sie und sieht ihr ins leuchtende Gesicht. Fee ist noch wie traumumfangen. Ihre Seele ist noch erfüllt von den weihevollen Klängen, die sie den jungen Schwestern soeben zugejubelt hat. In ihrem Herzen haben sie sich verfangen und hallen da nach.

Sie sieht Tante Lisa ins Gesicht und sieht sie doch nicht.

»Wie wundervoll das ist: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Danach leben, danach tun zu dürfen! Solches wahr zu machen.«

Eine tiefe Rührung überkommt Tante Lisa, ein Erbarmen zugleich. Eng zieht sie Fee an sich.

»Daß es auch dein Los würde, Kind,« sagt sie ganz leise und wischt eine Träne.

Aber Fee sieht sie aus großen, klaren Augen an.

»Mißversteh mich nicht, Tante. Ich klage nicht um mein Geschick.«

»Kind, wer weiß? Die Ärzte haben doch alle Hoffnung. Vorgestern erst sagte Doktor Mühren –«

Fee hebt die Hand.

»Ich weiß, was er sagt, Tante Lisa, aber ich nehme hin, was kommt. Kann mein Los nicht sein, was Lus und Lis ist, ich will nicht klagen. Den Lieben daheim das verwaiste Haus froh machen, ist auch ein schönes Ding. Klein-Muttchen und der Vater werden die beiden sehr vermissen. Hab' ich da nicht eine schöne Pflicht? Und wer weiß, was sonst noch das Leben für Ansprüche an mich stellt? Das Leben der Unverheirateten braucht nicht arm zu sein. Es liegt an ihr, es sich reich zu machen. Wie viel Pflichten liegen am Wege, man braucht sich nur zu bücken und sie aufzuheben.«

»Ich hatte anderes für dich erhofft, Fee, mein Kind.«

»Wie Gott will, Tante Lisa. Das Schönste ist es ja wohl, was der Frau beschieden ist, das Reichste. Aber wenn es nicht sein kann aus irgend einem Grund, haltlos drum trauern, wäre unwürdig. Das Leben hat so viele Wege, froh zu machen. Muß ich nicht glücklich sein, solche Eltern, solch ein Heim zu haben? Ist das nicht schon über Verdienst?«

Tante Lisa sieht ihr still in die leuchtenden Augen.

»Ich bin so dankbar, Tante, für alles Gute, das ich habe. Und wo man von Herzen dankt, da kommt nichts anderes auf, nichts Schlimmes, nichts Trauriges. Danken, immer danken – und wer hätte nicht Ursache, für irgend etwas dankbar zu sein – ich glaube, das ist das Geheimnis eines glücklichen Lebens.«

»Gott erhalte dich dabei,« sagt Tante Lisa leise, fast andachtsvoll.

Hatte das junge Kind da nicht wirklich eines still-frohen Lebens Geheimnis ergründet?

Danken, immer danken!

Und wer hätte nicht Ursache dazu? Wenn sich einer nur klar macht, was allein es schon ist, grade Glieder und gesunde Sinne zu haben! Und nimmt es jeder hin, als müsse das so sein.

Ja, danken – immer danken!

*

Im Gartensaal in Rödershof ist die Festtafel gedeckt. Weit offen stehen die Türen.

Das ganze Familienleben der Röderns hat sich in dem Raum abgespielt, so hat er sich heut zu Lus und Lis Ehrentag geschmückt.

Grüne Gewinde mit Blumentuffs zieren die Wände. Mit Palmen und Farnen sind die Ecken ausgestellt. Und der Tisch prangt in einer Fülle von rosa und weißen Astern.

Unter Fees Anleitung ist der Schmuck angebracht worden. Sie konnte sich nicht genug tun.

Die Terrasse vor dem Eßsaal ist mit Teppichen, bequemen Sitzen aller Art, mit Pflanzen und Blumen zum Empfangsraum umgeschaffen. Fahnenmasten mit bunten Wimpeln auf den Ecken, Gewinde dazwischen, geben dem Ganzen ein sehr festliches Ansehen. Hier soll am Abend auch getanzt werden.

Denn Lu und Li wollen tanzen auf ihrer Hochzeit, das haben sie sich ausgebeten.

Einstweilen stehen jetzt nun hier die zwei Paare zum Empfang der Gäste und aller Wünsche bereit.

Der erste Wagen fährt vor: die zwei Elternpaare.

Muttchen Friedel verfängt sich fast in der erdbeerfarbenen Seide, als sie die Terrassenstufen hinauf will. Vater Klaus kommt noch eben zurecht, sie vorm Hinstolpern zu bewahren. Sie ist mit dem Fuß in einer weißen Untergarnierung hängen geblieben und die schleppt nun nach.

»Das kommt von der albernen Kleiderwirtschaft, Klaus. Werd' mir schon helfen!«

Und sie bückt sich – ritsch, ratsch – da liegt der weiße Fetzen. Muttchen Friedel aber legt die Arme um Lu und dann um Li.

»Kinder, Lu, Li, daß ihr mir glücklich werdet!« Es klingt nach Drohung eher als nach Wunsch.

Lu und Li lachen, schluchzen: »Wollen das unsere tun, Klein-Muttchen.«

»Klein-Muttchen, wollen uns ein Beispiel an dir nehmen.«

Muttchen Friedel wendete sich zu Vater Klaus.

»Hör, was die Rangen sagen, Klaus! Ich –«

Da sieht sie, daß er den weißen Mullfetzen, den sie eben abgerissen hat, in die Tasche stopft. Er weiß im Augenblick nichts besseres damit anzufangen, weil die Gäste kommen.

»Wieder mal Lumpensammler, he, Klaus?« lacht sie neckend. Sie denkt an der Schwester Hochzeit, wo er ihr den halben amputierten Rock so getreu im Arm nachtrug. Und er lacht zurück. Aber dann hat er Lu und Li im Arm. Muttchen Friedel muß sich dasselbe von den stattlichen Schwiegersöhnen gefallen lassen. Sie und Vater Klaus haben nicht Zeit, alten Erinnerungen nachzugehen.

Denn jetzt kommen die Gäste. Lu und Li gehen von Arm zu Arm, eine Flut von guten Wünschen umbrandet sie.

Papa Polten, der nicht sofort heran kann, wird sehr unwirsch. Knurrt, poltert: »Donner und Doria! Her mit den Rangen!«

»Erbarm dich, Konrad,« – Tante Lenchen zupft ihn am Rockärmel – »erbarm dich, bedenk doch, verheiratete Frauen!«

»Pfeif ich drauf,« poltert er weiter, noch lauter. »Her da, ihr Rangen!«

Weit offen hat er die Arme. Lu und Li sind an seiner Brust. Und er patscht ihnen die Braunköpfe, unbekümmert um Kranz und Schleier.

Tante Lenchen, die daneben steht, kriegt fast Krämpfe. »Erbarm dich,« setzt sie ein paarmal an, kommt aber nicht weiter. Etwas steckt ihr in der Kehle.

»Daß ihr mir werdet wie das Jungchen,« poltert indessen der alte Herr und es klingt rauh, denn die Stimme gehorcht ihm nicht. »Wie das Jungchen, Rangen, hört ihr? Könnt meinethalben die Seitensprünge und Kapriolen weglassen, aber das Herz – das Herz, das ist die Hauptsache, seht ihr. Denkt immer dran, daß euer Großvater euch das noch zuletzt gesagt hat: Werdet wie das Jungchen. Und tut's und ihr geht nicht fehl, wollt ihr?«

»Wir wollen, Großvater.«

»Großvater, wir wollen.« Es ist wie ein Schwur.

Und der alte Mann küßt Lu und küßt dann Li. Und beiden bleibt davon eine feuchte Spur auf den Wangen zurück. Und wie sie aufsehen, glänzt es naß in seinen Augen, in diesen blitzblauen Greisenaugen, die die Jahre nicht trüben konnten.

Sie haben sie immer vor sich gesehen, als sie dann fern waren, diese nassen, jungen Greisenaugen. Und haben die polternde Stimme gehört: Werdet wie das Jungchen. Und in manch einer Stunde, die danach kam und nicht ganz glatt war und Nachdenken erforderte und Ansichhalten und Klugheit und Selbstzucht – wem im Leben blieben solche Stunden erspart? – da hat ihnen das Gedenken an die Worte den rechten Weg gewiesen: Werdet wie das Jungchen!

Immer, immer hat ihnen Klein-Muttchens Beispiel vorgeleuchtet und sie haben danach getan.

Und Assessor Paul und Assessor Heinz sind glücklich geworden, wie Vater Klaus Zeit seines Lebens es gewesen ist. Wie Klein-Muttchen, Muttchen Friedel, Papa Poltens »Jungchen« ihn gemacht hat. – – –

»Zu Tisch!« bitten die Lohndiener feierlich, würdevoll. Feierlich, würdevoll ordnen sich die Paare. Feierlich, würdevoll sind die Mienen.

»Zu Tisch! Bitte, zu Tisch!« ruft da Muttchen Friedel mit der hellen klingenden Stimme. Und alsbald blitzt ein froher Schein über die Gesichter, das Behagen, das sonst stets auf Rödershof als Gast mit zu Tische sitzt, hält Einkehr.

Froh geht's zu an Lus und Lis Hochzeitstafel und laut geht's zu. Lu und Li selbst sind keine stumm-seligen Bräute, nein, sie geben ihrem Glück recht herzhaft Ausdruck.

»Muttchen,« hatte Lu gesagt, »den Kopf brauchen wir drum doch nicht hängen zu lassen, weil's unsere Hochzeit ist, brauchen wir? Gehört das zur Würde, he?«

»Behüte,« hatte Li gelacht, »fidel dürfen wir sein, kreuzfidel, was, Muttchen?«

Klein-Muttchen hatte sinnend genickt. »Der Ernst kriegt euch drum doch am Wickel, Lu, Li!«

Das hatte er getan. Heiligen Ernstes voll waren die jungen Herzen in der Kirche gewesen. Waren es noch im Grunde auch jetzt, hier, an der frohen Tafel. Aber der Frohsinn wollte nun doch auch sein Recht und sollte es haben.

Nach dem Braten hat der Geistliche noch einmal das Wort ergriffen und noch einmal hat die gute alte Stimme allerhand Gutes und Freundliches zu Lu und Li gesprochen.

Denen ist nicht sehr wohl bei der Sache. Lu namentlich rutscht ganz geängstigt auf ihrem Stuhl hin und her.

»Festhammel sein, ist was Gräßliches,« raunt sie dem Assessor Heinz zu und der sieht sie neckend an.

»Mir ist ganz wohl dabei!«

»Mir auch,« lacht Li, der Vorwitz. »Einmal im Leben zu seinem Recht kommen, ist auch was Nettes. Was nachher kommt –« Und sie blinzelt dem Assessor Paul zu, daß der lachen muß und sie gern am Ohr gezogen hätte, wenn das angegangen wäre. Sie haben angestoßen reihum. Alle haben ihnen die Gläser entgegengebracht.

»Auf ein glückliches Leben denn!« Das waren die letzten Worte des alten guten Mannes gewesen.

Und nun steht Vater Klaus auf, schlägt ans Glas. Schier beschwörend sehen ihn Lu und Li an, haben rote heiße Gesichter schon im voraus.

»Mach's kurz, Väterchen, ja?« fleht Lu.

»Laß sein, Väterchen,« fleht Li.

Der lacht bloß und schlägt noch einmal und noch lauter ans Glas.

Und sagt seinen Kindern ein Abschiedswort, das sie alle Scheu vergessen läßt und ihr Herz zum Rande mit Freude füllt und mit Stolz.

»Und seid ihnen gut und haltet sie gut, denn es sind meine lieben Kinder,« so schließt Vater Klaus und das gilt dem Assessor Paul und dem Assessor Heinz. Die heben ihm stumm die Gläser zu.

Und jetzt drängt eine Rede die andere. Eine wahre Redewut scheint über alle gekommen. Lu und Li nehmen es jetzt nicht mehr so schwer, heute die Hauptrolle zu spielen. Man gewöhnt sich an alles.

Am meisten Erfolg hat schließlich Herr von Ellern mit seiner Rede.

»Hä, hä, hä,« meckert er, daß ihm sein gewaltiger Magenvorsprung auf und ab schwankt. »Hä, hä, hä, Friedel Polten und ihre Rangen!«

Das war kurz und gut gesagt. Und ein gewaltiger Jubel setzt ein: »Friedel Polten und ihre Rangen! Friedel Polten und ihre Rangen!«

Am lebendigsten sind da Lutz und Fritz. Jedem reichen sie ihr Glas entgegen. Freuderot heimsen sie den schuldigen Tribut ein, denn bei den »Rangen« sind sie doch entschieden mit inbegriffen. Und bis jetzt ist es ihnen ihres Wissens in ihrem jungen Leben noch nicht passiert, daß ein Hoch auf sie ausgebracht wurde. Es müßte denn bei der Taufe gewesen sein und davon haben sie nicht viel Erinnerung.

Sie tuscheln lebhaft. Elfi Echtern und die dicke Suse, die in ihren weißen Kleidchen sehr nette kleine Brautjungfern sind, scheinen mit im Komplott. Sie zerren und stoßen an Lutz herum, wollen ihn sichtlich zu etwas zwingen, wogegen er sich sträubt.

Da kriegt Fritzel sein Messer zu fassen und schlägt so kräftig ans Glas, daß alles verstummt und das Glas in Stücke geht.

Hilflos schaut Fritzel zu Klein-Muttchen hin. Aber die winkt und lacht. Klein-Muttchen lacht, da haben die Scherben nichts zu bedeuten. Stolz, ob der vollbrachten Heldentat, setzt sich Fritzel auf seinem Stuhl zurecht.

»Na nu?« sagt Vater Klaus und sieht ihn fragend an. Und er weist auf Lutz und setzt sich fester.

Lutz aber steht, kerzengerade, hochaufgerichtet, hat den Kopf hintenüber geworfen, ist aber sehr blaß. Er schlägt erst noch ein, mal rechts und links aus, Elfi und Suse haben ihn im Übereifer noch einmal angestoßen, und dann steht er wie ein Mann.

In die große Stille hinein sagt er: »Ich wollte sagen – ja, ich wollte sagen –« er schluckt ein paarmal und ist womöglich noch blasser, aber dann gibt er sich einen Ruck, steht wie ein Held – »sagen wollte ich, daß wir danken, ich meine, wir Rangen, weil ich doch der einzige Mann –«

»Ho, ho,« keift Fritzel und fährt krebsrot auf.

»Der älteste Mann drunter bin,« verbessert sich Lutz und sieht Fritzel von seiner Höhe herunter verweisend an. »Nämlich, weil Mädels nicht reden und Fee und Lu und Li – – und Fee und Lu und Li – –« Lutz sitzt fest. Es fällt ihm plötzlich ein, daß Lu und Li vor dem Altar gestanden haben. Und Männer haben, also keine Mädels mehr genannt werden können. Er ist sehr rot jetzt, hilflos sieht er um sich.

» Mulier taceat in ecclesia, willst du sagen, mein Sohn. Also weiter!« Vater Klaus erbarmt sich seines Ältesten.

Lutz ist Lateiner genug, die Hilfe zu würdigen. Ein glühend dankbarer Blick gilt dem Vater. Und dann spricht er wieder: »Und ich wollte auch für Klein-Muttchen danken, weil – na ja, Vater hat's ja gesagt« – es widerstrebte ihm doch, sich mit den fremden lateinischen Federn zu schmücken – »und wollte sagen, daß wir alle unser Muttchen so lieb haben und furchtbar stolz darauf sind, weil es nirgends wieder solch ein Muttchen gibt und – und –«

Brausender Jubel schneidet ihm das Wort ab. Er ist ganz verblüfft ob dieser Wirkung und dann sehr gehoben, sehr stolz.

Und Klein-Muttchen faßt ihn beim Schopf, ehe er sich wenden kann, Gott weiß, wie sie da plötzlich hinter ihn gekommen ist.

»Lutzi,« sagt sie, »mein Lutzi!« Und küßt ihn und hat Tränen in den Augen. Und er schämt sich kein bißchen, daß er geküßt worden ist, vor aller Augen.

Und Vater kommt und schüttelt ihm die Hand wie einem Mann und sieht sehr froh aus und so gut.

»Bravo, mein Sohn,« sagt er, »das hast du recht gemacht.«

Keine Ehrung späterhin im Leben – und Freund Lutz ist manche zu teil geworden, denn er hat seinen Plan wahr gemacht, hat als Weltreisender und Naturforscher der Wissenschaft manch rühmlichen Dienst geleistet – keine Ehrung hat ihn späterhin so gefreut und erhoben, wie dies Lob des Vaters.

Was seine Worte für Klein-Muttchen bedeuten, warum sie ihr die Tränen, Freudentränen, in die Augen getrieben haben, kann er erst dann ganz ermessen. Und so lang er atmet, hat er sie im Herzen getragen, die Worte: »Daß wir alle unser Muttchen so lieb haben und furchtbar stolz drauf sind, weil es nirgends wieder solch ein Muttchen gibt.«

Was der Knabe fühlte und sagte, fühlte und sagte der Mann Zeit seines Lebens – Zeit seines Lebens! –

Wie Lutz' Worte solchen Sturm entfesselt haben, daß alles unter-, durch- und miteinander lacht, schreit, jubelt und gestikuliert, da setzt plötzlich mit Tusch Musik von der Terrasse hei ein.

»Musik!« ruft Lu.

»Musik!« jauchzt Li. »Woher? Woher?«

Und sie lassen von Klein-Muttchen ab, das sie eben zum so und so vielten Male – immer, wenn just ein anderer es freigibt – streicheln, liebkosen und küssen müssen.

Und sie stehen auf der Terrasse und sehen dort eine Militärkapelle aufgestellt. Die heben just die Instrumente. Der Hochzeitsmarsch jauchzt in die blaue Luft. Ein Vetter der Westerns, ein Offizier, der in der nächsten Stadt in Garnison steht und auch bei der Hochzeit ist, hat die Überraschung ersonnen.

Lu und Li strahlen. Sie fassen sich an den Händen.

»Polonaise!« lacht Lu.

»Polonaise!« lacht Li.

Assessor Paul und Assessor Heinz wollen kraft ihres Rechts die Führung der beiden übernehmen. Flehende Blicke lassen sie davon abstehen.

So gehen Lu und Li Hand in Hand voran.

»Einmal noch,« hat Lu gesagt.

»Nur diesmal noch,« Li.

Da folgen die beiden jungen Gatten lachend, Seite an Seite.

Rasch schließen sich die anderen paarweise an. Unter Vorantritt der Musik geht der Zug durch den Park, her und hin, hin und her.

Fee ist auf der Terrasse zurückgeblieben. Ihr zur Seite ihr Tischnachbar, ein, junger Arzt, auch ein Vetter der Westerns.

Es ist ein ernster Mann. Fees Aufforderung, sich doch dem Zug anschließen zu wollen, hat er ruhig und entschieden abgelehnt. »Ich bleibe lieber hier.«

Da hat Fee geschwiegen und hat froh und still dem Zug nachgeblickt.

»Sie versprechen mir also, gnädiges Fräulein, in unsere Klinik kommen zu wollen. Unser Direktor hat schon Wunder erzielt mit seiner Methode. Ich glaube, mich verbürgen zu können, daß er auch Ihnen hilft. Sie versprechen?«

Er hält ihr die Hand hin. Still legt sie die ihre hinein.

»Wenn die Eltern wollen. Ich möchte gern alles tun, gesund zu werden. Das Leben ist schön.«

Er sieht sie still an. »Es ist schön,« sagt er leise.

Da kommt der Zug zurück und lautes, lachendes Leben füllt die Terrasse.

Rundtänze folgen der Polonaise. Alt und jung nimmt daran teil.

Großpapa Polten ist von der dicken Suse aufgefordert worden und fühlt sich ganz geschmeichelt. Elfi hat sich den Professor Western geholt. Lutz dreht sich mit Tante Lenchen im Arm und Fritzel hat Klein-Muttchen erobert, was ihm Herr von Ellern meckernd streitig macht.

Kurz, es ist ein tolles, frohes Durcheinander. Tanz folgt auf Tanz.

Und zwischenhinein kommen allerhand lustige kleine Szenen zur Aufführung, Anspielungen auf tolle Streiche der kleinen Bräute.

Die lachen am vergnügtesten.

»Übertrieben ist's aber doch,« lacht Lu.

»Ganz so toll waren wir nicht,« lacht Li. Beiden ist, als müßten sie den Assessor Paul und den Assessor Heinz etwas beruhigen.

Die scheinen das aber gar nicht nötig zu haben, sie sehen sehr wohlgemut aus.

Während sich wieder einmal alles im Tanze dreht, kann man in einer Ecke der Terrasse eine Gruppe beobachten, wo etwas sehr eifrig verhandelt wird.

Fee ist der Mittelpunkt. Vater Klaus und Muttchen Friedel stehen vor ihrem Stuhl. Auch Tante Lisa und Onkel Werner. Der junge Arzt, der schön zuvor an Fees Seite war, hat das Wort und scheint etwas sehr eifrig zu verfechten. Offenbar stimmen ihm alle zu. Jetzt schüttelt ihm Vater Klaus die Hand.

»Es soll ein Wort sein,« sagt er. »Im Frühjahr bringen meine Frau und ich unsere Tochter in die Klinik nach Heilburg. Was, Fee?«

Und die nickt still und ihre Augen leuchten. – –

Inzwischen will ein frühes Herbstdämmern schon hereinbrechen. Aber es ist mild wie in einer Sommernacht, kein Lüftchen regt sich. Nun werden Ketten von Lampions entzündet, alle rosa und weiß. Im Geäst der Kastanien glänzen sie in rosigem Schein. Es ist ein eigenartig schönes, festliches Bild.

Lu und Li namentlich können sich nicht sattsehen.

»Alles uns zu Ehren, Lu!«

»Verdienen wir gar nicht, Li!«

»Weshalb, du?« Li reckt sich.

»Na, ich meine nur so,« beschwichtigte Lu.

Assessor Paul und Assessor Heinz lachen.

Muttchen Friedel hat ein kaltes Büfett bereitstellen lassen.

Ein Trompetenstoß ruft die im Park unter den rosigen Lampions verstreute Gesellschaft zusammen und Muttchen Friedel fordert zur Benutzung des Büfetts auf.

»Weiß immer, was nottut, das kleine Frauchen,« meckert Herr von Ellern. »Hä, hä, hä, hä. Keine zweite läuft so unter der Sonne herum.«

Papa Polten, der just neben ihm steht, klopft ihn so auf die Schulter, daß Herr von Ellern unter einem schmerzlichen: »Donnerwetter!« fast zusammenknickt.

»Donner und Doria, Mensch, alle Achtung! Wüßt gar nicht, daß Ihr Herz so auf dem rechten Fleck ist. Ja, das Jungchen, das Jungchen! Dem reicht keine das Wasser, basta!«

»Basta!« meckert Herr von Ellern und reibt sich die Schulter. Schielt ganz ängstlich nach des Freundes Händen, bereit, zur Seite zu springen, wenn die sich regen.

Als die Gesellschaft noch im besten Tun sich am Büfett drängt, prasselt es draußen.

Lu und Li recken die Hälse, spitzen die Ohren.

»Feuerwerk?« fragt Lu.

»Feuerwerk!« nickt Li.

Und sie stehen schon auf der Terrasse. Alle drängen nach.

»Was ist das?« hat Vater Klaus gesagt und aufgehorcht. Die Sache ist auch ihm Überraschung.

Auf dem Rasen vor der Terrasse huschen drei Gestalten hin und her. Muttchen Friedel, die sich das Erdbeerfarbene hochgesteckt hat, Lutz und Fritz. Hier dreht sich ein Feuerrad und dort strahlt eine goldene Sonne auf, wie sie so hin und her huschen.

»Aha,« lacht Vater Klaus, »nun weiß ich Bescheid. Klein-Muttchen wollte mal wieder ihre Söhne vor Unfug hüten. Ha, ha, ha, ha!«

Er geht, seine Hilfe anbieten. Aber eifrig weist ihn Muttchen Friedel ab.

»Das ist unsere Sache, was, Lutzi, Fritzel? Zahlen wir die Zeche, wollen wir auch den Ruhm.«

»Allemal,« sagt Lutz.

»Und ob!« nickt Fritzel. Beide sind schwarz wie die Neger von Rauch und Pulverdampf. Viel besser sieht auch Klein-Muttchen nicht aus. Aber ein Hinweis darauf, den Vater Klaus schüchtern vorbringt, rührt sie gar nicht.

»Wofür wär' Wasser und Seife da, he, Klaus? Lu und Li haben bloß einmal Hochzeit. Los, Lutz, Fritz!«

Ein Schwärmerkasten prasselt los. Vater Klaus muß sich eilig zurückziehen.

»Erbarm dich,« sagt Tante Lenchen, die ihm von der Terrasse her entgegen trippelt, »und die neue Seide? Das Unglückskind. Herr Neffe, dies Unglückskind!«

Vater Klaus bietet ihr galant den Arm.

»Lassen Sie sein, Tantchen, wir kaufen ein neues Kleid!«

»Erbarm dich! Natürlich, wo man jemand so verwöhnt – manche Menschen lernen eben nie zu – ich – ich wasche meine Hände in Unschuld.«

Das hat Tante Lenchen lange nicht gesagt.

Ein allgemeines, staunendes »Ah!« überhebt Vater Klaus der Antwort.

Er sieht, wohin alle sehen, zum nachtdunklen Herbsthimmel auf.

Zwischen die leuchtenden, strahlenden Sterne haben Muttchen Friedel, Lutz und Fritz etwas Leuchtendes, Strahlendes hingezaubert.

»Lu und Li! Hurra!« funkelt und blitzt es da in riesengroßen Lettern. Und »Lu und Li! Hurra!« schallt es unten aus allen Kehlen.

Dann erlischt's am Himmel und die Rufe verstummen.

Es war das letzte, das Haupt- und Glanzstück des Feuerwerks, das Muttchen Friedel und ihre Söhne Lu und Li zu Ehren veranstaltet haben.

Schwarz, wie sie sind, unbekümmert um manch scheues Zurückweichen, haben die drei erst doch das fällige Lob eingeheimst. Sind dann, zumeist auf Tante Lenchens Drängen, gegangen, sich zu reinigen.

Eine gewisse Abspannung kommt danach über die Gesellschaft. Oder ist's, weil der Mond jetzt so groß und so feierlich und so still hinter den Waldbergen auftaucht? Als ob er nachsehen wolle, welchen Unfug mit Feuer und Funken eigentlich die kleinen Menschlein da unten sich erlaubt haben. Wo er doch im Anzug ist und kommt, Alleinherrscher zu sein, groß und voll und still und feierlich! Er, vor dem selbst die Himmelssterne erbleichen!

Oder liegt das über allen jetzt, was doch das Ganze bedeutet – ein Abschiednehmen?

Lu und Li sind verschwunden. Auch Assessor Heinz und Assessor Paul sind nicht mehr zu sehen. Und alle, die den vieren nahestehen. Dort verschwinden eben Tante Lisa und Fee, Arm in Arm.

Vom Hof klingt Peitschenknallen, immer drängender, immer auffordernder. Und jetzt hört man einen Wagen um die Hausecke rollen und vor der Freitreppe vorfahren.

Dorthin ziehen sich nach und nach alle, ohne es verabredet zu haben und doch wie auf Verabredung.

Oberleutnant Western, der Vetter der beiden Hochzeiter, hat auch die Musik dort in einer Ecke aufgestellt.

Zu beiden Seiten der Freitreppe lohen Pechfackeln. Sie werfen ihren Schein über die frohen Gesichter der Freunde, über das Haus, von dem Lu und Li nun Abschied nehmen sollen, über den Wagen, der sie dem neuen Leben zuführt.

Und da stehen die beiden oben an der Treppe, schlank und rank und jung und anmutig in ihren grauen Reisekleidern, denen das weiße Festgewand Platz hat machen müssen.

Von Tränen naß sind die braunen Augen – Abschied tut weh. Aber ein mutiges Leuchten ist drin und ein glücklicher Schein.

So lösen sie sich von der Gruppe der Ihren, die oben zusammengedrängt stehen bleiben, als wolle einer dem anderen Halt sein.

Von den jungen Gatten geleitet kommen Lu und Li über die Treppe des Elternhauses herab – zum letzten Male in ihrem Mädchenleben – zum letzten Male als dem Haus allein zugehörige Kinder.

Unten drängen die Freunde herzu, Handeschütteln, Umarmen und Küssen. Warme Worte, neckende.

Und dann sitzen Lu und Li im Wagen. Assessor Paul und Assessor Heinz steigen hinterher. Der Schlag fällt zu. Johann knallt mit der Peitsche. Die Pferde ziehen an, setzen sich in Trab.

Tücherschwenken, Hochrufen. Mit Tusch fällt die Musik ein. Geht dann in den Hochzeitsmarsch über, als eben der Wagen zur Steinbrücke einbiegt, die zum Wiesengrund führt und zur Landstraße und in die weite – weite Welt.

»Halt!« ruft's da vom Hause her, »halt!«

Hell übertönt die Stimme selbst das Schmettern der Musik.

Der alte Johann hat's gehört und wendet sich grinsend. Er kennt die Stimme. Und er zieht die Zügel an, die Pferde stehen.

Vom Hause her fliegt Muttchen Friedel durch die Wiesen. Hochgeschürzt hat sie wiederum das Erdbeerfarbene und ihre Füße berühren den Boden kaum. Lutz und Fritz, die hinterher traben, bleiben weit hinter Klein-Muttchen zurück.

Die ist auf dem Wagentritt oben, streckt den Kopf in den Schlag und die Arme dazu.

Was sie da will, braucht keiner zu wissen. Es dauert auch nur ganz kurz. Und Muttchen Friedel springt vom Tritt und fliegt zurück, wie sie gekommen ist.

Wischt sich dazu energisch was aus den Augen, was keiner zu sehen braucht.

Davon rollt der Wagen.

Lutz und Fritz, die nicht einmal bis dahin gelangt sind, sehen mit offenem Mund Klein-Muttchen schon wieder auf dem Rückweg an sich vorbeifliegen. Machen recht dumme Gesichter.

Klein-Muttchen aber fliegt geradewegs in Papa Poltens Arme, weil der sie ihr entgegenstreckt und zuvörderst oben an der Treppe steht.

»Hab' die Kinder nochmal küssen müssen, siehst du, Papachen,« sagt sie und lacht ein bißchen und weint ein bißchen.« »Drum bin ich so wie toll dahingefegt. Hab' wirklich nicht anders gekonnt, Klaus. Verzeih!«

Dem streckt sie die Hand hin und sieht ganz scheu und schuldbewußt drein. Ihr ist, als ob sie sich entschuldigen müsse. Das Gefühl ihrer Mutter- und Hausfrauenwürde mahnt. Und Vater Klaus hält die Hand, die sie ihm reicht, ganz fest und gibt sie nicht frei.

Papa Polten aber hält Klein-Muttchen im Arm und lacht – lacht – lacht.

Dazu streicht er ihr über den Kopf und das braune Gesicht immerzu, immerzu. Und wie er zu Atem kommt, sagt er: »Bleibt eben das Jungchen – mein Jungchen – bis es Großmutter ist. Und Deubel auch – Gott sei Dank! Basta! Ha, ha, ha, ha!«

»Konrad,« mahnt Tante Lenchen. »Erbarm dich, Konrad!«

»Deubel auch, alte Lene, und Gott sei Dank, sag' ich. Basta! Ha, ha, ha, ha!« lacht der alte Mann noch einmal.

Und die ganze Hochzeitsgesellschaft stimmt vergnügt mit ein.

Noch einmal lockt die Musik. Noch einmal drehen sich die Paare. Rödershof feiert das Fest zu Ende.

Durch die Nacht hin aber rollt der Wagen, der Lu und Li, Muttchen Friedels geliebte Rangen, dem neuen Leben entgegenführt.


 << zurück