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Ein froher Winter

Unter den Goldbuchen am Waldrain, von dem aus man Rödershof überschauen konnte, saß Fee.

Golden waren die Buchen, weil mittlerweile der Oktober ins Land gezogen war. Leise und sacht flatterten die Blätter durch die Luft und legten sich Fee auf Haar und Kleider. Die griff danach.

»Goldregen,« sagte sie und ihre Augen leuchteten. »Solch eine Pracht!«

Fee sah froh aus. Ein offener Brief lag in ihrem Schoß; Tante Lisa hatte geschrieben, voll Liebe und Sehnsucht, aber tapfer und tröstlich. Solch ein Brief tat wohl; Fee hätte daheim nicht froh sein können, wenn Tante Lisa geklagt hätte.

Mit glänzenden Augen sah sie um sich, sah auf Rödershof, das gerade vor ihr lag. Ein schmuckloses, langgestrecktes, weißgraues Haus, von Efeu und Glyzinien bewachsen bis zum Giebel und dem blaßroten Ziegeldach. Solch ein liebes, behagliches Heim!

Der Wirtschaftshof lag daneben, dahinter ein alter, ausgedehnter, in Wiesengrund verlaufender Park. Ein breiter Kiesweg durch grünen Rasen führte bis zur stattlichen Freitreppe. Ein lustig plätscherndes Bächlein, das sich durch die grünen Wiesen schlängelte. So lag Rödershof.

»An was denkt mein Mädchen?«

Fee hatte im weichen Moos des Vaters Schritt nicht gehört. Jetzt hob sie ihm das Gesicht zu, kein bißchen verwundert oder erschreckt.

»Solch liebes Heim, Väterchen!«

Er strich ihr über den Goldkopf.

»Das soll es dir sein, will's der Himmel!«

»Das ist es mir schon!« Sie ergriff seine Hand und legte ihr weiches Gesicht dagegen.

Zwischen Klaus von Rödern und seiner Ältesten hatte sich ein sehr warmes Verhältnis herausgebildet. Muttchen Friedel war zuweilen sogar eifersüchtig, wie sie lachend behauptete; aber ihre Augen strahlten dazu.

Vater Klaus setzte sich jetzt neben Fee ins Moos.

»Hier ist gut sein, Kind.«

»Das ist's, Väterchen.«

Dann genossen sie eine Weile schweigend ihre Umgebung, lind und weich fächelte das Herbstlüftchen.

Der Wirtschaftshof lag dem Rain zunächst; man übersah ihn beinahe. Neben dem großen Stall im Winkel nach der Scheune war's sonderbar laut. Sehen konnte man dahin nicht, und um genau zu hören, war die Entfernung zu groß.

Vater Klaus horchte gespannt hin.

»Was dort sein mag bei den Schweineställen?« fragte er.

Fee sah flüchtig hin.

»Haben nicht Lutz und Fritz ihre Kaninchen da?«

»Ach richtig! Das ist die Lösung des Rätsels! Die zwei sind zu drollig. Hast du gehört, daß sie, als zu Anfang nur ein Karnickel da war, einen alten Spiegelscherben aufhängten, damit es sich nicht so allein fühle?«

Fee lachte. »Urdrollig sind sie.«

»Sie steckten voller Streiche. Wenn es nur nicht einmal ausartet!«

»Muttchen gibt sich solche Mühe mit ihnen, Väterchen.«

»Ja, Muttchen! Die wird selbst wieder zum Jungen mit den beiden, unser Muttchen!«

Da trabten Pferdehufe heran, schnell und flüchtig, und helle, lachende Mädchenstimmen erklangen hinter einer Biegung des Weges vor.

»Hussa, Pfeil, wir packen's!«

»Hurra, nein, wir!«

»Lu! Li!« sagten die beiden Lauscher am Waldrain oben wie aus einem Mund und sprangen auf.

Nun sahen sie zwei Tiere in schlankem Trab um die Ecke biegen, edle, feingliedrige Tiere. Röcke wippten, gelöste Haare flatterten. Lu und Li spornten ihre Renner mit Zuruf und Zungenschnalzen. Es galt offenbar eine Wette und sah sich gefährlich an.

»Lu! Li!« donnerte Vater Klaus. Fee war blaß geworden und klammerte sich an seinen Arm.

Die tollen Reiterinnen da unten hörten den Ruf; mitten im tollsten Lauf rissen sie ihre Tiere herum. Die stiegen, aber Lu und Li saßen wie angewachsen, salutierten mit den Gerten und ihre Gesichter glühten.

»Tag, meine Herrschaften!« Hell klang's und übermütig. »Hurra, die Wette! Mein ist die Palme!«

»Nein, nein! Mein!«

Fort stoben sie, die Hufe warfen große Erdbrocken auf, und da waren sie auch schon über die steinerne Brücke, die das Bächlein überquerte, den Kiesweg entlang, an der Freitreppe vorüber, am Tor des Wirtschaftshofs. Kopf an Kopf schnaubten Pfeil und Unverdrossen durchs Gitter.

Noch ein helles Jauchzen, dann standen Lu und Li auf dem Pflaster, schwangen die Gerten über den Köpfen und drehten sich um die eigene Achse. Ein Stallbursche nahm beide Tiere am Zügel und führte sie zum Stall.

Fee atmete auf.

»Es sah grausig aus, wie die Tiere stiegen.« Sie war noch blaß.

Vater Klaus sah sie mit zufriedenen Augen an.

»Reiten famos, die Rangen, was? 'n bissel toll freilich. Will's ihnen klar machen! Komm, Fee, laß uns heim. Frische Eier, gute Eier. Sie sollen's gleich hören.«

Bald standen auch sie unter dem Hoftor. Lu und Li hatten dem Burschen noch beim Abreiben der Tiere geholfen; eben waren sie damit fertig und wandten sich dem Haus zu. Da nahm sie Vater Klaus beiseite und schien ihnen recht ernste Vorwürfe zu machen, denn sie liefen nachher hängenden Kopfs in ihr Zimmer, um sich für den Mittagstisch umzukleiden. Dort tuschelten sie noch eine Weile miteinander und schlichen sich dann in Vaters Arbeitszimmer. Wollten sie etwa gar feierliche Abbitte leisten und für die Zukunft Besonnenheit schwören? Fast sah es so aus.

Jedenfalls mochte es ihnen gelungen sein, den Vater zu versöhnen. Denn eine sehr einige und frohe Tafelrunde saß bald nachher um den großen runden Eßtisch im Gartensaal unten.

Das war der Raum, worin sich das ganze Rödernsche Familienleben abspielte. Nur mit dem einen Unterschied, daß es Sommers bei offenen Türen nach der Terrasse und dem Park zu, Winters bei geschlossenen und mit wohlig geheiztem Riesenkachelofen geschah.

Hier stand Muttchens Arbeitstisch, hier stand der Flügel und der Violinkasten. Hier stand der große Seitentisch, an dem Lutz und Fritz sich der Welt Wissen aneignen sollten, wo die Schweißtropfen perlten – nicht nur bei Lutz und Fritz, sondern auch bei Muttchen Friedel, der getreuen Helferin in allen Nöten. Wo auch Tränen flossen, aber nur bei Lutz und Fritz.

Hier hatte Schwester Fee ihr Schreibtischchen in einer Fensternische eingeschoben. Hier hausten auch Lu und Li in einer Ecke an einem viereckigen Schubladentisch, der allerlei Geheimes barg.

Nur Vater Klaus hatte seine eigene Höhle nebenan, wo er seine Pfeife rauchte und seinen Hof regierte.

In dem großen Eß- und Familienraum also saßen sie um den Tisch in Frieden und Freuden. Lutz und Fritz heute sehr sauber und sehr gesittet. Muttchen Friedel ganz Ernst und Würde. Fee voller Aufmerksamkeit für jeden. Lu und Li tuschelnd, sichtlich mit anderem beschäftigt. Tante Lenchen friedvoll still, die beiden Herren sehr behaglich.

»Väterchen,« sagte Li und machte ihr süßestes Gesicht.

»He?«

»Wir haben einen Brief.«

»Einen Brief, ja.« Lu wollte auch ihr Teil am Reden tun.

»Herta schreibt –«

»Ja, Herta schreibt –«

»Red' ich oder du?« fragte Li.

»Ich,« sagte Lu, »ich bin die Ältere.«

»Los,« sagte Li.

»Ja, Herta schreibt, wir sollten im Winter tanzen.«

»Nur zu!« meinte Vater Klaus behaglich.

»Albern,« sagte Li zu Lu, »sei doch 'n bißchen helle! Wie soll Väterchen dich verstehen?«

»Nämlich Tanzstunde,« sagte Lu.

»Ein Tanzkränzchen,« verbesserte Li. »Tanzen können wir, bloß nicht mit Herren.«

»Ist das schwieriger?« fragte Vater Klaus.

»Müssen's erst probieren,« erwiderte Li.

»Also!«

»Also ja, Väterchen?«

»Meinethalben.«

Lu und Li stießen einen Jubelruf aus und hingen ihm am Hals. Dann überfielen sie Klein-Muttchen.

»Mögt ihr denn das Gehopse leiden?«

»Und wie, Muttchen! Ist doch viel netter, als immer still zu stehen!«

Lu und Li waren sehr einig.

»Na, denn immer zu,« sagte Muttchen Friedel. »Ich für mein Teil –«

»Hast du nicht tanzen mögen?«

Lu und Li machten große erstaunte Augen.

»Eure Mutter hat ebenfalls Tanzstunde gehabt, Kinder. Und euch wird's auch gut tun.« Das sagte Tante Lenchen. Sie ließ es sich noch immer nicht nehmen, daß es dennoch ihre Erziehungsmethode gewesen war, die aus der Nichte schließlich noch ein leidlich vernünftiges Menschenkind gemacht hatte.

Papa Polten lachte schallend auf.

»Konrad,« mahnte Tante Lenchen. Da schwieg er.

»Mit Fee werdet ihr Bälle besuchen, was?« fragte Tante Lenchen etwas kriegerisch.

»Und ich soll Ballmutter spielen?« Ehrlicher Schreck lag auf Muttchen Friedels Gesicht.

»Frida,« mahnte Tante Lenchen.

»Na ja, seine Pflicht muß der Mensch tun mit allen Konsequenzen,« meinte da Frau Friedel ergeben. »Sei still, Fee, sag gar nichts! Ich freue mich drauf. Es kam nur so überraschend.«

Ein paar Tage später schlenderten Lu und Li durch den Wald. Dessen letztes Gold lag schon an der Erde oder wollte eben fallen.

»Du, im November! Freust du dich?« Das galt dem Tanzkränzchen.

»Ja,« sagte Lu, »ja, mäßig.«

Li gab ihr mit dem Ellbogen einen Puff. »Sei kein Mehlwurm, Lu, 's wird ulkig.«

»Weißt du's gewiß?«

»Wollen schon dafür sorgen. Juhu!«

»Juhu!« sekundierte Lu und warf die Mütze in die Luft, wie Li es tat.

»Ihr Mädel,« sagte da eine tiefe Stimme und hinter einem Baum trat aus einem Seitenweg ein Mann vor, »könnt ihr mir das nächste Wirtshaus zeigen?«

Daß er Lu und Li so anredete, war kein Wunder. Sie hatten alte kurze Rücke an, alte Blusen dazu; hatten die Zöpfe hängen und spielten mit ihren Mützen Fangball.

Lu und Li besahen sich den Fremden. Er war hochgewachsen, breitschultrig, halte einen schönen, weißen Bart und blaue, blitzende Augen dazu.

»Gern, Herr Rübezahl,« sagte Li und knickste schelmisch; der Mann gefiel ihr nicht übel.

Der so Angeredete lachte denn auch vergnügt.

»Na also, kleine Hexe.« Das galt Li, die Lu nach sich zog.

»Diesen Weg, bitte.«

Lu puffte die Schwester. »Aber, du –!«

Li legte den Finger an den Mund.

»Es ist gar nicht mehr weit,« fuhr sie ernsthaft fort. »Dort in den Wiesen liegt's. Sie sind wohl sehr hungrig, was?«

»Und ob! Hab' 'nen tüchtigen Marsch hinter mir. Acht Stunden schier.« Er nahm den Hut ab und fuhr sich über die Stirn.

»Alle Achtung!« sagte Li. »Können's noch besser als wir. Und bei solchen Haaren.«

»Was haben meine Haare damit zu tun, he?« Ganz erstaunt sah er drein.

»Ich meine, weil sie doch weiß sind,« erklärte Li.

»Also, weil ich ein Methusalem bin,« versetzte er lachend.

Li paßte es nicht, wenn man über sie lachte. Sie warf den Kopf zurück.

»Na, wer weiße Haare hat, ist alt. Und alte Leute kriegen's in die Beine. Großvater hat's auch drin. Und wenn's bei Ihnen nicht so ist –«

»Nee, dem Himmel sei Dank,« fiel er eifrig ein.

»Dann darf ich mich doch wundern,« sagte Li, als ob das ganz selbstverständlich wäre.

Lu puffte wieder. Wenn Li den Kopf so zurückwarf, dann war sie zu manchem fähig.

»Wo wohnt ihr denn, Mädels?« Die blauen Augen unter dem buschigen Haar blitzten sie an.

»Dort herum.« Li beschrieb einen unbestimmten Halbkreis mit der Hand.

»Wohl Schwestern, he?«

Lu nickte.

»Und heißen?«

Li war das Verhör unbequem. Sie war aber höflich.

»Ich bin Li und das ist Lu!«

»Kurz und gut,« lachte der Alte. »Weiter?«

»Weiter nichts.« Diesmal ließ Li die Höflichkeit im Stich.

»So 'n Großinquisitor,« raunte sie Lu zu. Die war rot und verlegen.

»Laß uns weglaufen, Li.«

»Erst recht nicht!«

Die blauen Augen des Fremden hatten die beiden indes vergnüglich und scharf gemustert.

illustration

»Es ist gar nicht mehr weit. Dort in den Wiesen liegt's.«

»Wie alt, he?« fragte er.

Lis Ärger versiegte allmählich.

»Raten!« rief sie vergnügt.

»Nun, so dreizehn – vierzehn, he?«

»Sechzehn,« sagte Li und knickste.

»Siebzehn,« sagte Lu und knickste auch.

Daß bei jeder ein paar Monate dran fehlten, tat weiter nichts. Man rundet immer nach oben ab.

In die blauen Augen war etwas wie ungläubiges Staunen und Verlegenheit gekommen. Li weidete sich schadenfroh daran. »Sie hätten's wohl nicht geraten, was?«

»In der Tat, ich – ich muß da ja wohl um Entschuldigung bitten für mein formloses Wesen. Aber die jungen – jungen Damen schienen mir so – so kindlich und – und das ganze Aussehen – die Statur –«

»Haben wir von Muttchen,« rief Li. »Und junge Damen wollen wir noch lange nicht sein, was, Lu?« Die nickte lebhaft. »Nee. Wäre ja langweilig!«

»Na, dann nichts für ungut, he?«

Der Herr lachte nur und streckte seine Hände Lu und Li entgegen, die sie herzhaft schüttelten.

»Und das Wirtshaus? Ich bin nämlich halb verdurstet.«

»Wollen wir gleich haben,« meinte Li. »Dort liegt Röders – ich meine, dort liegt schon das Wirtshaus.«

»Los also!«

Mit Geschwindschritten stiefelten sie durch die Wiesen.

Endlich blieb Herr Rübezahl stehen.

»Komm' nun schon alleine hin. Will die – die jungen Damen nicht weiter bemühen. Sie wohnen wohl in der Nähe?«

»Ja, dort!« Li wies mit Kopf und Augen nach Rödershof hin.

»Ah, also die Wirtstöchterchen!«

Li und Lu lachten und nickten.

»Durch den Garten, bitte, dann kommen wir gleich ins große Zimmer.«

»Ein stattliches Haus,« sagte der Herr. »Sieht gar nicht aus wie ein Wirtshaus,« und blieb stehen. Er sah seine Führerinnen scharf an, die Sache schien ihm doch etwas befremdlich.

Lu und Li waren ein paar Schritte voraus.

»Hierher, bitte.« Da folgte er ohne weiteres Zögern.

Die eine Tür nach der Terrasse stand offen. Der Kachelofen war zwar schon geheizt, aber heute schien die Sonne so warm.

Lu und Li stürzten ins Zimmer und machten allerhand wilde, unverständliche Zeichen.

»Muttchen, da ist ein Herr.«

»Wir haben ihn im Wald getroffen.«

»Er suchte ein Wirtshaus.«

»Da haben wir ihn hierher geführt.«

So sprudelte es. Und wieder dieselbe unverständliche Zeichensprache.

Muttchen Friedel stand am runden Eßtisch, sie war eben hereingekommen. In der Tür hielt der Fremde, den Hut in der Hand.

Um Muttchen Friedels Mund zuckte es. Der Schelm in ihr regte sich. Diese tollen Dinger, die Lu und die Li!

Muttchen Friedel sah ihnen in die lachenden Augen und sah dann an ihnen vorbei Fee ins Gesicht, die eben von ihrem Schreibtischchen in der Fensternische vortrat. Da hatte Muttchen Friedel sich selber wiedergefunden. Sie trat ein paar Schritte auf den Fremden zu.

Der war mittlerweile auch zur Klarheit gekommen.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, gnädige Frau, ich –«

»Ich habe um Verzeihung zu bitten, mein Herr, für den Übermut meiner Töchter. Ich hoffe, daß Sie mir die Freude machen, einen kleinen Imbiß in unserem Haus einzunehmen, ja? Zum Zeichen, daß Sie den beiden Wildfängen nicht zürnen. Lu, Li, steht nicht und gafft. Sorgt für Erfrischungen für euren Gast.«

Lu und Li stoben fort, Muttchen Friedel sah ihnen nach und lachte.

»So 'n Übermut! Verzeihen Sie, bitte; die beiden wissen noch nicht, wohin mit dem Überschuß an Kraft.«

»Ganz Ihr Ebenbild, gnädige Frau.«

Muttchen Friedel sah ihn überrascht an und wurde dunkelrot.

»Ja so, äußerlich meinen Sie. Ja, die beiden sind mir ähnlich. Aber darf ich bitten?«

»Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob ich wirklich die gebotene Gastfreundschaft annehmen soll. Die Umstände sind so einzigartig –«

»Eben drum. Und bitte, ohne Umstände,« bat Muttchen Friedel.

»Nun denn! Professor Western ist mein Name, gnädige Frau.«

»Setzen Sie sich, bitte, hier ist der Eßtisch. Fee, komm her. Dies ist meine älteste Tochter, Herr Professor.«

Der neigte sich. Seine blauen Augen, sahen fast ungläubig drein.

»Eine Schwester meiner beiden jungen Freundinnen?«

Muttchen Friedel lachte.

»Sie denken wohl, in diesem Haus ist das Zumbestenhaben an der Tagesordnung?«

»Ich bitte tausendmal um Vergebung. Der Unterschied ist aber in der Tat so groß, daß dies mich rechtfertigen muß.«

Nun lachten sie alle.

Ein Geklirr und ein Gekicher vor der Tür kündeten Lu und Li mit dem Imbiß an. Fee eilte, zu helfen. Dann saß der Herr Professor an einem sehr behaglichen Tisch und ließ sich's schmecken.

Er erzählte, daß er seine beiden Söhne besuchen wolle und damit eine Fußtour verbunden habe.

»Seit einem halben Jahre sind sie als Assessoren in Loberg am Gericht. Ebensolang habe ich sie nicht gesehen. Gnädige Frau haben die beiden vielleicht schon einmal bemerkt. In solch kleiner Stadt ist das ja möglich. Groß, blond, zum Verwechseln ähnlich.«

Li puffte Lu.

»Du, das sind sicher unsere! Assessor Heinz Western! Assessor Paul Western! Weißt du noch?«

Li verneigte sich bei jedem Namen steif nach Herrenart. Man sah, sie gab Erlebtes wieder.

»Li,« mahnte Muttchen Friedel.

Professor Western hatte überrascht aufgehorcht.

»Sie kennen meine Söhne?«

»Wir sind Freunde,« sagte Li großartig.

»Das heißt,« berichtigte Lu, »wir haben sie zweimal zufällig gesehen und beide Male haben sie uns aus einer Not geholfen.«

»Na also,« sagte Li trocken, »das nennt man doch Freund.«

»Li,« mahnte Muttchen Friedel noch einmal.

»Ja, Muttchen?« Harmlos erstaunt sah Li auf.

Professor Western lachte herzhaft.

»Darf ich meine Söhne von ihren und doch auch meinen Freundinnen grüßen?« fragte er.

»Bitte,« sagte Li vergnügt, und Lu nickte.

Eine Stunde später verabschiedete sich Professor Western mit vielem Dank.

»Dies Wirtshaus am Wege wird mir in guter Erinnerung bleiben. Darf ich bitten, mich dem Herrn des Hauses unbekannterweise zu empfehlen, gnädige Frau? Meinen herzlichsten Dank! Empfehle mich den jungen Damen ebenfalls.«

Dann schritt er über den Kiesweg durch die Wiesen. Lu und Li hatten ihm noch das Geleite bis vors Haus gegeben; sie empfanden ihm gegenüber sozusagen ein Gefühl des An- und Eigentumsrechts.

»Nett ist er,« sagte Lu und sah hinter ihm her.

»Beinahe so nett wie seine Söhne,« bestätigte Li.

Dann gingen die beiden ins Haus, ihre Schelte einzuheimsen.

»Ihr benehmt euch wie Gassenjungen. Denkt doch, wenn ihr an jemand anderen geraten wäret!«

»Der Professor war gleich so nett, Muttchen, sonst wären wir einfach ausgekniffen,« sagte Li sorglos, ohne den Tadel der Mutter recht zu begreifen.

Frau Friedel warf einen fast hilfesuchenden Blick auf Fee. Die legte den Arm um Lis Schultern.

»Ihr habt euch doch so benommen, daß er euch für Schulmädel und nicht für das nahm, was ihr seid, erwachsene Menschen.«

Die beiden wurden feuerrot. Dann quetschten sie Fee von rechts und links und stoben aus dem Zimmer.

»Wir machen uns englisch zurecht für Väterchen am Abend.«

Zwei sehr gesittete, niedliche junge Damen in zierlichen, hellen Blusen sahen dann beim Abendbrot und fielen den ganzen Abend nicht wieder aus ihrer Rolle. Vater Klaus betrachtete sie zuweilen erstaunt von der Seite. Lutz und Fritz aber rümpften die Nasen.

»Mit den beiden ist bald nichts mehr anzufangen, Lutz.«

»Wollen erwachsen sein! Die Schneegänse!«

So lautete die brüderliche Liebenswürdigkeit.

Einige Zeit nachher machte Muttchen Friedel mit ihren drei Töchtern Besuche in Loberg bei den verschiedenen Familien. Sie hatte es seit der Rückkehr aus England noch nicht getan, außer bei den nächsten Freunden. Auch jetzt hatte sie sich nur auf Tante Lenchens dringende Mahnung und nur mit Seufzen dazu entschlossen.

»Du bist es den Kindern schuldig, Frida,« halte Tante Lenchen gesagt. »Du willst sie doch nicht daheim einpökeln.«

»Ich sehe nicht ein –« Muttchen Friedel wollte eine Verwahrung einlegen.

»Eine Mutter hat Pflichten gegen ihre Töchter,« sagte Tante Lenchen sehr strenge; da war Muttchen Friedel still, biß in den sauren Apfel und war drei Tage auf der Pilgerfahrt mit Fee, Lu und Li.

Fee fand allgemeine Bewunderung. Lu und Li kannte man schon zur Genüge.

Viele Freundinnen von der Schule her hatten Lu und Li nicht. Dadurch, daß sie so gleichartig und gleichaltrig waren, hatten sie nie großes Bedürfnis darnach empfunden. Herta Mühren, die Tochter des Arztes, war ihre einzige Intima; die hatte sie auch zu dem Tanzkränzchen aufgefordert. Und acht Tage, nachdem die Rödershofer ihre Besuche in Loberg gemacht hatten, kam denn auch ein Brief von Herta, der Lu und Li mitteilte, daß das erste Kränzchen bei ihr, und zwar Anfang Dezember, stattfinden sollte.

»Meine Mama läßt sagen, daß sie sich sehr freuen würde, wenn eure Mutter und eure schöne Schwester – wir schwärmen nämlich alle für sie; ich finde sie süß, so englisch – mitkommen wollten. Eure schöne Schwester wird uns zwar alle ausstechen, aber das tut nichts, sie ist zu himmlisch!« schrieb Herta.

»Ihr geht natürlich mit, was, Muttchen?« flehten Lu und Li.

»Fällt mir gar nicht ein,« erwiderte Muttchen Friedel sehr rasch. »Fee kann natürlich tun, was sie will. Aber so 'n Lämmerhopsen wird sie nicht locken, denke ich mir. Und ich – wenn ich nicht wirklich muß, verleitet mich niemand zu so was. Die Frau Doktor mag sehen, wie sie mit euch fertig wird. An mich kommt's schon auch noch.«

Lu und Li lachten, nahmen's aber kein bißchen krumm, auch nicht, daß Fee keine Lust zeigte.

»Dann nicht,« sagte Li gelassen, und Lu nickte.

Endlich war der zweite Dezember da.

»Unser erster Balltag,« sagten Lu und Li beim Mittagstisch großartig.

Lutz und Fritz grinsten.

»Der Heine Meyer kommt auch. Daß ihr den nur nicht verliert, wenn ihr mit ihm tanzt!« rief Lutz und lachte.

»Der ist zu Ostern glücklich nach Sekunda gekommen,« höhnte Fritz.

»Alle anderen sind aber Primaner,« entgegnete Li mit erhabener Miene.

»Sogar ein Apotheker ist dabei,« fügte Lu stolz hinzu.

Am Abend half Fee die Schwestern ankleiden. Wohlgefällig standen die vor dem Spiegel und betrachteten sich.

»Geht an,« sagte Li.

»Nicht übel,« bestätigte Lu.

Anspruchsvoll waren sie nicht gerade, aber sie sahen wirklich nett und frisch aus in ihren weißen Kleidchen; jung und froh vor allen Dingen.

»Wenn man uns ohne Fee sieht, dann geht's allenfalls noch,« meinte Li.

»'nen Grusel braucht niemand vor uns zu bekommen, und das ist die Hauptsache,« behauptete auch Lu.

Dann durften Muttchen Friedel und Vater Klaus die beiden mustern und gut befinden. Auch Lutz und Fritz beäugten sie, rümpften aber höhnisch die Nase.

»Dumme Gören,« sagte Lutz.

»Tut bloß nicht so erhaben,« höhnte Fritz.

»Laßt's euch von Muttchen bescheinigen, daß ihr erwachsen seid,« bohrte Lutz weiter.

Da fühlten sich die beiden Spötter an den Ohrläppchen genommen.

»Daß ihr Schlingel seid, bescheinige ich euch hiermit; und zwar recht nichtsnutzige!« Es war Muttchen Friedel, die Gericht hielt über die beiden.

»Immer höflich sein gegen Damen,« sagte Vater Klaus dazu und sah ernst aus.

Lutz und Fritz schlichen abseits; eine Grimasse kriegten aber Lu und Li doch noch ab.

Dann fuhren die beiden jungen Balldamen seelenvergnügt mit dem alten Johann ihrer Bestimmung zu. Der sollte in Loberg einstellen und Li und Lu zur gegebenen Zeit abholen. Er hatte sehr schläfrig ausgesehen und mit dem alten Graukopf mehr als je gewackelt. Aber die Pferde zogen kräftig an.

»Je, wie das stößt, Lu!«

»Gräßlich, Li.«

»Du, und der Wagen ist ganz schief.«

»Johann! Johann!«

Rechts und links sahen Lu und Li aus dem Fenster.

»Wo ist denn der Weg, Lu?«

»Er schläft, Li.« Lu meinte den alten Johann, nicht den Weg.

»Johann! Johann!« klang's dann von neuem. Der schnarchte gewaltig, brach aber endlich mit einem Schnauben ab.

»Freileinchen?« sagte er und bog sich vom Kutschersitz.

»Wir sind im Acker, Johann!«

»Dunnerhagel, do muß ich verleicht e bissi genickt hawe. Ihr Racker, wollter wohl!«

Er riß an den Zügeln, die Pferde wehrten sich, der Wagen rutschte immer tiefer und legte sich schließlich auf die Seite.

Lu und Li quiekten, rissen die Tür auf und sprangen hinaus, mitten ins feuchte, weichgewordene Ackerland. Der erste Schnee war nämlich schon gekommen und wieder gegangen.

»O, wie rutschig und schlammig!« rief Li in bester Laune.

Lu bückte sich und hob einen ihrer Schuhe hoch; er war über und über mit weicher Erde bedeckt.

Li lachte. »Nett, was?!« Lu stand auf einem Bein und sah ungewiß drein.

Der alte Johann hatte den Wagen unterdes doch auf den Weg zurück gebracht. Viel abseits waren sie nicht geraten, und wenn der Alte wach war, gehorchten ihm die Pferde.

»Wart, Lu, ich helfe dir.« Li faßte Lu unter. Die hüpfte auf dem einen Bein durch den schlammigen Grund, kam ins Stolpern, setzte sich und riß Li mit.

Da saßen sie im weichen Ackerland, ehe sie wußten, wie. Sehr erstaunt sahen sie einander an, lachten dann wie toll und rappelten sich auf.

»Wir werden nett aussehen,« sagte Lu, als sie zu Atem und auf die Beine kam.

»Fegen uns eben wieder rein,« erwiderte Li, ohne sich aus dem seelischen Gleichgewicht bringen zu lassen.

Der alte Johann aber besah sich zweifelhaft seine Ladung.

»Warte Se, ich putze Ihne. Der Wage kennt sonst schmutzig wern. Dann schennt der Herr Baron.«

Mit einer alten Leinendecke scheuerte nun Johann im Schein der Wagenlaterne an seinen »Freileinchen« herum.

»Der Mantel hat 's meiste abgekriegt,« sagte Li befriedigt und sah an der Schlammkruste nieder, die den überzog. »Am Rocksaum wird man kaum etwas sehen.«

Lu war weniger hoffnungsfreudig; aber nach dem Grundsatz: »Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß,« schaute sie nicht weiter nach. So stiegen sie wieder ein.

»Herta kann uns im Notfall ein altes Kleid borgen. Lustig sein können wir dennoch,« trösteten sich Li und Lu.

Sie fuhren also weiter, ab er nicht sehr lange. Diesmal war's ein Jammern wie von Kinderstimmen vom Walde her, das sie aufhielt.

Li hörte es zuerst und spitzte die Ohren; dann hörte es auch Lu. Sie rissen gleichzeitig die Wagentüren auf und riefen dem Johann. Dann sprang Li hinaus.

Jetzt klang's deutlich übers Feld vom erhöhten Waldrain her: »Mamme! Mamme!«

Li flog, ohne sich zu besinnen, der Richtung zu und nahm den hohen Waldrain in Sätzen wie ein Feldhase; Lu sprang genau so flink hinterher.

Der alte Johann sah mit offenem Munde hinter ihnen her und kratzte sich dann mit dem Peitschenstiel hinter dem Ohr; er blieb gemächlich sitzen.

Lu und Li stolperten beinahe über die Kleinen, die da oben unter den Bäumen hockten.

»Mamme! Mamme!« heulten die Kinder.

Li riß den Buben hoch, Lu das Mädel.

»Wie kommt ihr daher?« fragten sie hastig.

Den Kleinen blieb vor Schreck das Geschrei in der Kehle stecken.

»Die Mamme is krank!«

»Mamme trank – –«

»Mir hole de Doktor!«

»Doktor!« So der Bube und sein kleines Echo.

»In der Nacht? So allein? Schickt euch eure Mutter?«

Der Bube schüttelte den Kopf, heulte wieder los und bohrte mit den Knöcheln in den Augen. Die Kleine tat's ihm nach.

»Jetzt still,« herrschte Li energisch. »Antwort!«

»Mir sin fortgeloffe.«

»Fot deloffe.«

»Aha,« sagte Li.

»Wo wohnt ihr?« fragte Lu.

»In Dresdorf,« heulte der Bube und »Desdof,« sein Echo.

»Laß dich mal beschauen.« Li faßte ihn am Rockkragen und zog ihn zum Wagen unter die Laterne, ehe er wußte wie.

»Das ist ja das Peterchen von der Küstern, Lu,« sagte sie dann. Lu und Li kannten so ziemlich alles, was Atem hatte in Rödershof und Dresdorf.

»Jo, des is er,« nickte der alte Johann. »Die Kistern is widder sehr dernewe.« Womit er wohl »neben« der Gesundheit meinte.

»Wir fahren ja doch zum Doktor, Lu.«

»Ja, tanzen, Li,« meinte Lu.

»Wahrhaftig,« rief Li. »Hab' gar nicht mehr dran gedacht.«

»Na also. Rein in die Kutsche, Peterchen und Lieschen! Los, Johann!«

Diesmal kamen sie ohne Fährlichkeit an und hielten vor Doktor Mührens Tür. Das heißt, sie wollten halten, aber die Pferde waren nur schwer zum Stillstehen zu bringen. Der alte Johann hatte sie diesmal wenig in der Gewalt.

Tanz und Festlichkeit schienen schon in vollem Gang.

»Je, du, wir kommen zu spät,« sagte Lu. Li hörte gar nicht.

»Pack mal den Buben, Lu, ich nehm' das Mädel. Wir müssen's geschickt machen. Die Pferde stehen nicht. Los!«

Gewandt sprang Li vom Tritt, das Mädel im Arm. Lu folgte mit dem Buben.

Gerade da blieben auch zwei vorübergehende Herren verwundert stehen; ihre Überraschung war gerechtfertigt. Lu und Li in ihren mattblauen, von Schlamm bezogenen Abendmänteln mit den fragwürdig sauberen Kindern im Arm boten ein zum mindesten ungewöhnliches Bild.

Hell fiel der Lichtschein aus der geöffneten Haustür über sie. Mit lachenden Augen sahen sie in die Helle. Die mattblauen Kopftücher hingen ihnen nur noch andeutungsweise überm Haar.

Die beiden Herren grüßten unwillkürlich, gingen dann aber rasch weiter. Li hatte es gesehen und gedankt.

»Das sind sie ja wieder, Lu,« hörten die Herren sie sagen.

»Unsere beiden jungen Freundinnen, Heinz,« sagte vergnügt der eine.

»Das waren sie, Paul,« bestätigte fröhlich der andere. »Was sie jetzt wohl vorhaben?«

»Sahen bös aus!«

»Scheinen wieder mit der Landstraße in Fühlung gekommen zu sein. Damals war's Staub, heute nasser Schlamm!«

Lachend gingen sie nun weiter.

Li und Lu standen schon mit ihren Schützlingen auf dem Flur des Doktorhauses. Johann hatte die Pferde endlich zum Stehen gebracht und wartete weitere Weisung ab.

Frau Doktor Mühren kam die Treppe herunter.

»So spät, Kinder? Wie seht ihr aus!«

Li sah an sich nieder. »Schlimm? Na, einerlei! Wasser und Seife gibt's ja.«

»Für die Mäntel schwerlich.«

»Je, und Muttchen hat sie uns erst gekauft,« meinte Li erschrocken.

»Laß mal sein,« sagte Li. »Ist der Herr Doktor da? Die Kinder wollen ihn nämlich holen. Wir fanden sie unterwegs.«

Doktor Mühren kam eben aus seinem Zimmer; kopfschüttelnd besah er sich die Gäste. Li berichtete sprudelnd, Lu ergänzte.

Das Hausmädchen hatte ihnen mittlerweile die Mäntel abgenommen. Was da Li und Lu nun gegenseitig sahen, machte sie denn doch sprachlos. Bis zur Kniehöhe fast rings ein bräunlich-schwärzlicher Rand auf dem weißen Gewand.

»Herrje, siehst du aus,« sagte Li.

»Und du erst,« rief Lu.

»Ich?«

»Ich?«

Und nun sahen sie an sich nieder und sahen sich dann in die Augen.

»Schlimm,« sagte Li.

»Gräßlich,« sagte Lu.

So erstaunt waren sie; es war komisch anzusehen. Es brach denn auch ein allgemeines Gelächter los.

»Je, dann fahren wir wohl besser wieder heim,« sagte Lu.

Li nickte. »Wird das beste sein. Muttchen –« Da verstummten beide.

Frau Doktor Mühren war in keiner angenehmen Lage. Sie konnte ihnen kaum zureden, zu bleiben; sie sahen wirklich bös aus. Und die beiden umkleiden? Woher nehmen?

Doktor Mühren hatte indes die Kinder abseits verhört.

»Laß 'nen Wagen holen, Frau,« sagte er nun. »Der Braune lahmt; ich kann ihm heute keine Fahrt mehr zumuten. Ich muß noch mal nach Dresdorf hinaus. Was der Kleine berichtet, klingt nicht gut.«

»Einen Wagen holen?« rief Frau Doktor entsetzt. »Ja, wen soll ich denn schicken? Oben sind alle Hände voll zu tun.«

»Wir bringen den Herrn Doktor nach Dresdorf,« sagte Li rasch entschlossen. »Was, Lu?« Die nickte.

»Aber, Kinder, wollt ihr denn nicht trotzdem –?«

»Als Ferkel auftreten? Nee,« rief Li in bester Laune. »Grüßen Sie Herta, bitte. Ein andermal haben wir hoffentlich mehr Glück. Los, Lu, mach kein so langes Gesicht. Wirst noch manchmal im Leben hopsen können! Die Mäntel sind das Schlimmste an der ganzen Sache.«

Das fand auch Lu. Rasch verabschiedeten sie sich.

»Ich kutschiere,« sagte Li draußen. »Johann ist so dösig, der fährt uns noch einmal in den Acker.«

Ehe jemand Einspruch tun konnte, saß sie neben Johann und nahm dem Zügel und Peitsche, was er sich grinsend mit offenem Mund gefallen ließ.

Von oben tönte eben ein Walzer.

»No und des Danze?« fragte Johann und wies mit dem Daumen über die Schulter.

»Ist zu Essig geworden. Haben wir dir und dem Acker zu danken!«

»Des dät mer awer –« Johann suchte sich zu entschuldigen, Li ließ aber die Peitsche knallen, da klappte ihm der Mund zu. Mit beiden Händen hielt er sich fest, denn jetzt stoben die Pferde übers Pflaster.

Im Wagen drin war's still. Der Doktor war müde, Lu nicht in bester Laune; Peterchen und Lieschen waren am Einschlafen.

Wie Schatten glitten die Bäume der Landstraße im Nachtgrau draußen an den Wagenfenstern vorüber, schneller und schneller. Endlich donnerte der Wagen übers Dresdorfer Holperpflaster und hielt. Das Haus des Küsters lag jenseits des Dorfes ziemlich einsam.

Doktor Mühren stieg aus, hob die Kinder vom Wagen und ging ins Haus. Sehr schnell kam er wieder.

»Ich brauche Hilfe; die Frau liegt in schweren Krämpfen. Sie muß sofort eine Packung haben. Es ist keine Minute Zeit zu verlieren. Wenn eine der jungen Damen –«

»Ich komme,« sagte Lu. »Li, hole Hilfe.«

»Bei Tante Lenchen?«

»Behüte, die könnte den Tod davon haben,« rief Lu, die umsichtige. »Denk, wie wir aussehen! Sag's der Waltern.« Das war die Wirtschafterin bei Großpapa Polten. Li stürmte davon, nachdem sie erst den alten Johann wachgerüttelt hatte.

Lu half mit großer Geschicklichkeit. Als Frau Walter, die Wirtschafterin kam, lag die Kranke in tiefem Schlaf.

»Eine Viertelstunde später wäre verhängnisvoll gewesen. Die Frau hat den jungen Damen ihr Leben zu danken,« sagte Doktor Mühren ernst.

Lus und Lis Augen leuchteten.

»Heim,« sagten sie wie aus einem Munde.

»Ob ich hier einen Wagen bekommen kann?« fragte Doktor Mühren, als er fertig war.

»Kaum. Wir bringen Sie heim, Herr Doktor,« meinte Li.

»Hm – der Kutscher –« Doktor Mühren sah den alten Johann zweifelnd an.

»Man könnte es auf dem Hofe sagen. Herr Polten –,« sagte Frau Walter.

Li schnitt ihr das Wort ab. »Großpapa und Tante brauchen davon nichts zu wissen; die regen sich nur unnötig auf. Wir machen schon alles. Steigen Sie ein, Herr Doktor.«

Wie der Wagen gekommen war, donnerte er davon, ratterte an Rödersdorf vorüber und nach Loberg.

Im Doktorhause klang eben wieder ein Walzer. Man sah hinter den hellen Fenstern die Paare sich drehen.

Li, die vom Kutschbock stieg, die Wagentür zu öffnen – der alte Johann bekam die Gichtbeine so schnell nicht vom Fleck – drehte sich erst einmal um die eigene Achse.

»Ist zu fidel, was, Lu?« rief sie vergnügt.

Die brummte bloß einige unverständliche Worte.

Doktor Mühren verabschiedete und bedankte sich.

»Das nächste Mal haben die jungen Damen hoffentlich mehr Glück.«

»Glück haben wir immer, Herr Doktor,« rief Li.

»So 'n Walzer tanzt sich doch noch besser, als er sich anhört, was?« sagte Doktor Mühren und sah Lu fragend an. Die nickte zustimmend.

»Pech haben wir gehabt,« sagte sie, und was sie da sagte, kam aus dem tiefsten Herzen.

»Und die Frau, Lu?« Mit hellen Augen sah Li sie an. Da senkte Lu den Kopf, hob ihn aber schnell wieder.

»Die Frau natürlich, Li! An die hab' ich eben gar nicht gedacht!«

»Bravo,« sagte Doktor Mühren und schüttelte beiden herzhaft die Hand.

Dann fuhren sie heim.

Der Vater, Muttchen und Fee saßen im Gartensaal und lasen. Man hörte den Wagen und gleich danach ging die Tür. Muttchen hob den Kopf.

»So früh schon?« Dann stieß sie einen hellen Schrei aus und stand vor Lu und Li. »Wie seht ihr aus?! Ich wußte ja, daß ihr irgend ein Unheil anstellen werdet, ihr Rangen. Heraus mit der Sprache!«

Lu und Li berichteten.

Muttchen Friedels Entrüstung kämpfte einen schweren Kampf. Wie die beiden aussahen! Die neuen Mäntel, die guten Kleider!

Fee war des Mitleids voll.

»Arme Dinger, und das war nun der erste Ball!« Sie schmeichelte und streichelte an Lu und Li herum.

Lu und Li wollten sich plötzlich wie Märtyrer vorkommen. Da hob Li energisch den Kopf.

»Na, der Frau ist's zu gute gekommen, was, Lu?«

»Je, ja,« sagte die, »aber –«

»Bravo,« sagten auch Vater Klaus und Fee, wie es Doktor Mühren gesagt hatte.

Muttchen Friedels Groll verlief sich in einem: »Dem Johann werde ich aber den Kopf waschen.«

»Wasch lieber die da,« meinte Vater Klaus und wies auf Lu und Li.

Und Muttchen Friedel und Fee verschwanden mit den beiden Schlammüberzogenen.

»Gräßlich hungrig bin ich, Muttchen,« hörte man Li noch sagen. »Wie ein Wolf,« bekräftigte Lu jämmerlich. Dann schloß sich die Tür.

Vater Klaus schmunzelte noch lange vor sich hin.

Das war Lus und Lis erster »Balltag«, wie sie ihn genannt hatten.

*

Weihnachten kam ins Land.

Rödershof war vom Keller bis zum Giebel voll Erregung und Vorbereitungslust. In jedem Winkel Geheimnisse, überall Wispern und Raunen. Getrennte Lager, wohin man schaute, und in jedem eifrigstes Regen. Muttchen Friedel und Fee, Lu und Li, Lutz und Fritz, so teilten sich zumeist die Gruppen. Nur Vater Klaus stand einsam und gelassen über allem. Er durfte bloß zuweilen tief in die Tasche greifen und dazu kein Miene verziehen.

»Denn, Klaus,« sagte Muttchen Friedel und drehte an seinem Rockknopf, »diesmal ist's eine Ausnahme, siehst du. Fees erste deutsche Weihnacht, bedenke!«

Und dann war Heiligabend da. Ganz Rödershof strahlte in Lichtglanz und Freude. Lu und Li hatten für den Baum gesorgt. Eine Riesenfichte hatte Vater Klaus gespendet. Mit unzähligen Kerzchen hatten ihn Lu und Li besteckt, mit Silberfäden übersponnen. Auf der höchsten Spitze blitzte und funkelte ein Stern.

Im Lichterglanze des Christbaumes fand jedes irgend einen Wunsch erfüllt vor. Die Augen leuchteten um die Wette mit den Flämmchen.

Eine Kiste mit wundervollem Inhalt von Tante Lisa wurde ausgepackt. Solch ein Jubel! Fee teilte mit glücklichen Augen aus.

Daß Lutz und Fritz eine eben erhaltene Dampfmaschine alsbald zur Explosion brachten, tat der Freude auf die Dauer nicht Eintrag.

»Die habt ihr gehabt, Rangen,« sagte Muttchen Friedel trocken. »Nun ist man die Sorge los.« Sie schien fast erleichtert.

Lutz und Fritz strahlten. »Famos war's, Muttchen, was? So furchtbar natürlich. Ein feiner Knall?«

»Eine in der Fabrik hätt's nicht besser gekonnt.« Sie schienen sehr stolz auf ihre Leistung. Dann machten sie sich mit Rieseneifer an die Reparatur, was den Rest des Abends angenehm füllte.

Fee sah in die erlöschenden Lichter des Baumes; »Nicht ausblasen,« hatte sie gebeten, als Lu und Li drüber herfallen wollten mit vollen Lungen: ihr alljährlicher Sport.

»Schade,« sagte Li. »Es war immer so lustig,« sagte Lu. Aber sie ließen ab von ihrem Zerstörungswerk.

Ein Flämmchen erlosch ums andere. Fee stand und sah sinnend zu.

»Was denkt mein großes Mädchen?« fragte Vater Klaus und legte den Arm um sie.

Fee hob das liebe helle Gesicht und wies nach dem blitzenden Stern hoch oben im Geäst des Baumes.

»Der Stern bleibt und wenn alles dunkel wird,« sagte sie leise. Er zog sie fester an sich.

Dann kam Tante Lenchen und holte sich den Dank für allerhand Ballherrlichkeiten, die sie ihren Großnichten aufgebaut hatte.

Lu und Li waren entzückt. Sie kamen sich gehoben vor mit dem zarten, für sie bestimmten weißen Seidenstoff. Er war ihnen so eine Art Ritterschlag, ein für Vollerklären, zur Gilde der Erwachsenen überzutreten.

Tante Lenchen tat das wohl.

»So schenkt man gern,« sagte sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf Muttchen Friedel. »Seinerzeit –«

Muttchen Friedel lachte. »Ach ja, die Rosenknospenherrlichkeit damals? Armes Tantchen! Ich freue mich, daß du doch die Freude wenigstens an den Rangen hast.«

Lutz und Fritz standen daneben und grinsten.

»Mit dem Weißseidenen muß sich's aber fein im Regenschlamm sitzen, Lu, Li!«

Die zuckten verächtlich die Schultern.

»Alle Wetter, Jungchen, denkst du denn, ich soll von dem Krimskrams und dem Lichterbaum satt werden?« polterte jetzt Papa Polten. »Mir ist ganz schwach auf den Gichtbeinen.«

Lachend eilten Muttchen Friedel und Fee, nach dem Rechten zu sehen. Und bald saß eine frohe Runde um den Festtisch beim Festbraten.

Dann war ein neues Jahr über der Welt und über Rödershof aufgegangen.

Gleich hinterher hatte ein großer Geselligkeitstaumel in dem kleinen Städtchen eingesetzt.

Die Rödershöfer konnten sich dem nicht entziehen. Gesellschaften, Bälle, Konzerte, ja eine Theatergesellschaft kam für vier Wochen, und da sie gut spielte, wohnte man den Aufführungen häufig und gern bei.

Muttchen Friedel und Fee namentlich waren mehr in Anspruch genommen, als ihnen lieb war. Es regnete Einladungen.

Lutz und Fritz waren jetzt sehr auf sich angewiesen, waren bald recht unbotmäßig, unwirsch und gaben Anlaß zu allerhand Verwarnungen in- und außerhalb des Hauses.

Muttchen Friedel sah es mit Sorgen, konnte es aber einstweilen nicht ändern.

Lu Und Li durften zu größeren Gesellschaften und Bällen noch nicht mit. Dafür hatten sie ihr Kränzchen, das sie sehr genossen, in der Folge auch ohne Unfall.

Vater Klaus seufzte ein wenig unter dem Sturm, entzog sich aber keiner Verpflichtung irgend welcher Art.

Es machte ihm dann auch Freude, Lobsprüche über die Seinen einzuheimsen. Fee war der erklärte Liebling, wohin sie kam.

»Weil sie eben nicht nur schön und lieb ist, sondern auch schön und lieb denkt und tut, siehst du,« sagte Tante Lilly Echtern begeistert zu Muttchen Friedel.

Und so dachten und fühlten alle.

Am meisten unwirsch war Papa Polten in dieser Zeit; er fühlte sich sehr vernachlässigt.

»Alberner Hopphei! Hätte Jungchen für klüger gehalten,« zankte er.

»Frida ist eben jetzt zuerst Mutter, Konrad,« sagte Tante Lenchen verweisend.

»Dummer Frauenzimmerschnack!« Papa Polten war in schlechter Stimmung wenig höflich.

Tante Lenchen schwieg sehr gekränkt.

So ging das Leben seinen Gang auf Rödershof und anderswo.

Der Februar kam schon ins Land und war bald wieder draußen; da sollte sich ein Wunsch von Vater Klaus erfüllen.

»Wir sollten mal alle drei irgendwohin mitnehmen, Friedel,« hatte er schon öfter gesagt. »Ich möcht' sie mal zusammen tanzen sehen.«

»Läßt sich schwer machen, Klaus. Lu und Li sollten diesen Winter doch nur ihr Kränzchen haben,« sagte Muttchen Friedel. »Und ich halte das auch für besser.«

Da kam eine Gelegenheit.

Es sollte ein großer Wohltätigkeitsbasar veranstaltet werden, im Anschluß daran Konzert und Ball. Alle Welt war aufgefordert und nahm teil, also auch die kleine Welt von Rödershof. So sollte Vater Klaus seine drei beisammen sehen.

Es gab eine Menge Vorbereitungen. Aber endlich war der große Tag da.

Im Hotel zur goldenen Krone in Loberg herrschte ein buntes Treiben schon früh am Vormittag. Da wurde noch die letzte Hand an alles gelegt. Punkt zwei Uhr nachmittags sollte der Basar eröffnet werden.

Alle Mitglieder der Familie Rödern waren schon früh da, selbst Vater Klaus und Muttchen Friedel. Es gab noch so viel zu tun, und Herr von Rödern gehörte zum Vorstand.

Fee sollte mit einem Stab von Schulmädchen den Blumenverkauf besorgen; alle waren in Rosenrot gekleidet, Fee trug einen Rosenkranz in dem gelösten Blondhaar.

Lu und Li mit Herta Mühren und Tinchen Müller sollten die eigens veranstaltete Post besorgen; sie waren Feuer und Flamme und guter Ideen voll.

Zur richtigen Zeit war denn alles fertig, alle standen auf ihrem Posten.

Punkt zwei Uhr wurden die Türen geöffnet. Das Publikum drängte sich noch nicht; aber mit jeder halben Stunde wurde es besser, allmählich fast zu gut. Ganz Loberg und Umgebung schien auf den Basar gewartet zu haben, um dringende Einkäufe zu besorgen.

Wo das Gedränge sich am dichtesten staute, da waren sicher Lu und Li mitten drin. Und wo man hellauf lachen hörte, da waren Lu und Li irgendwie die Ursache.

Wie die Eidechslein schlüpften sie in ihren gelben Postillonsröcken und den schwarzen Spenzern und Hüten durch die Menge. Keiner, den sie anlachten, konnte ihnen die Gabe für den gebotenen Brief verweigern. Ihre Geldtaschen füllten sich zusehends.

Da drückte sich ein Bäuerlein durch die Menge.

»Den kriegen wir dran, Lu,« raunte Li und trat an seine Seite.

»Was wollt Ihr denn hier? Wer seid Ihr denn?« rief Li volkstümlich barsch.

Erschreckt griff das Bäuerlein an seinen Hut: »Ei, ich bin der Steinehannes von Niedergrumbach. Ich han als auch emol gucke wolle, was die fürnehme Leit –«

Li war schon wieder fort und ließ den Mann mit offenem Mund zurück. Gleich nachher tippte ihn wieder was von der anderen Seite.

»Einen Brief für Sie! Zehn Pfennige, bitte.«

»E Brief – for – for mich? Ei woher –?«

»Herrn Johannes Stein aus Niedergrumbach – stimmt das?« fragte Lu und hielt ihm einen Riesenumschlag hin.

»Do soll doch gleich – zeig' emol her.« Umständlich kramte er seine Brille vor, schob sie auf die Nase, besah das Dargereichte, schüttelte den Kopf.

»Daß dich – stimme dät's freilich. Awer – awer woher kennt mich dann des – des Freilein Poscht –?« Ungewiß sah er über die Brille weg Lu und Li in die lachenden Augen und in lachende Gesichter ringsum.

»Die Post weiß eben alles. Zehn Pfennige, bitte,« sagte Li und streckte von neuem die Hand aus.

Langsam kramte das Männlein den Geldbeutel heraus und trennte sich seufzend von seinem Nickel; Li heimste ihn lachend ein und schlüpfte mit Lu davon.

Was das Männlein über den Inhalt – ein leeres Blatt Papier – sagen würde, warteten sie nicht ab.

Es galt andere Opfer zu suchen.

»Wie macht ihr's bloß?« fragten Herta Mühren und Tinchen Müller, als Lu und Li ihre Geldtäschchen eben zum zweitenmal in die allgemeine Kasse leerten.

»Je, ich lache die Leute eben an,« sagte Lu.

»Und ich mach' 'nen schlechten Witz dazu,« ergänzte Li.

Und fort huschten sie, eine Ladung neuer Briefe und Karten im Täschchen. Herta Mühren und Tinchen Müller schlichen hinterher.

Zwei hochgewachsene blonde Herren, einander so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem anderen, standen unter der Saaltür und übersahen das Treiben.

»Sieh nur die reizende Blondine dort, Paul? Diese Anmut! Wer –?«

»Es ist Fräulein Felicitas von Rödern. Du weißt ja, wir haben sie doch bei Frau Schmitt und auf dem Kasinoball getroffen.«

»Richtig! Hier unter den Blumen kam sie mir nur noch anmutiger vor. Laß uns hingehen zu ihr!«

Assessor Heinz und Assessor Paul Western – denn sie waren es – traten vor Fee. Die hatte alle Hände voll zu tun, wollte sie allem nachkommen. Blumen schien der begehrteste Artikel, und sie aus Fees Händen zu haben, noch begehrter.

»Dürften wir um Nelken bitten, gnädiges Fräulein?«

»Gerne, sofort! Nur einen Augenblick,« sagte Fee und sah sie freundlich an.

»Beeilen sich gnädiges Fräulein gar nicht. Wir können warten,« sagte Assessor Paul.

»Wir warten gern,« fügte Assessor Heinz bei.

So standen sie und sahen zu, wie Fee sich wandte und drehte im Eifer. Ganz wie von selbst machte es sich nun, daß sie zugriffen, ihr die Arbeit zu erleichtern, und Fee hatte plötzlich zwei sehr gewandte Adjutanten. Gern ließ sie es sich gefallen, denn ihr Stab von Schulmädchen war eigentlich mehr Hindernis als Hilfe.

Lu und Li huschten vorüber und standen starr.

»Sieh doch bloß, Lu!«

»Na ja, Li, das sind doch unsere!«

»Unsere Freunde natürlich!«

»Und haben gar kein Auge für uns!«

»Neben Fee, Lu!« Li wunderte das weiter nicht. Lu warf den Kopf zurück, sagte aber nichts.

Fort huschten sie, standen aber sehr bald wieder vor Fees Blumenstand, rechts und links von den beiden Adjutanten.

»Herrn Assessor Heinz Western!«

»Herrn Assessor Paul Western!« Im geschäftsmäßigsten Amtston war's gesagt.

Lu und Li hatten die Hände militärisch grüßend am Tressenhut und hielten zugleich jedem der Herren einen Brief hin. »Bitte, Porto, Strafporto! Eine Mark.«

Dies wurde einstimmig gesagt.

Assessor Paul und Assessor Heinz Western fuhren herum und sahen lachend in die braunen Gesichter.

»Strafporto? Wofür?«

»Dafür, daß man alte Freunde nicht kennt,« sagte Li, und Lu nickte.

»Lu! Li!« mahnte Fee.

»Wir kennen doch auch Ihren Vater, Fee,« verteidigte sich Li und machte ihr größtes Schelmengesicht. »Hat er Ihnen von dem Wirtshaus erzählt?«

Assessor Paul und Assessor Heinz lachten.

»Und ob! Hat uns auch einen Gruß gebracht.«

»Na also,« sagte Li.

Fee schwieg.

»Haben wohl nicht gedacht, daß das unsere Schwester ist?« fragte Lu und sah Fee dabei an.

»In der Tat –« sagte Assessor Heinz.

»Haben Sie uns so was nicht zugetraut, was?« meinte Li.

Assessor Paul tat sehr ernst.

»Kaum,« antwortete er, aber der Schelm blitzte ihm aus den Augen.

Vater Klaus trat nun heran. Er war auf der Suche nach seinen beiden Rangen gewesen; Muttchen Friedel schickte ihn. Sie war selbst sehr beschäftigt an ihrer Korbbude.

»Alle Welt will Körbe, Klaus,« hatte sie gesagt. »Das freut mich ja nun, aber gestohlen könnten sie mir doch werden. Man muß nach Lu und Li sehen. Die flitzen nur so herum und überall lacht's, wo sie sind. Ich fürchte, Klaus, sie hauen über die Schnur. Geh, sei mal auch Vater neben dem Vorstandsmitglied.«

So hatte er Lu und Li gesucht und, wie es schien, zur rechten Zeit. Denn eben hielt einer Lu am Ärmel gepackt und schrie: »Sie, Freilein Poscht, mein Nickel will ich Widder hawe! Ei, in dem Brief is jo nix drin gewese als wie weiß Babier, nix vorne un nix hinne!! For zum beschte halle loß ich mich nit, daß Se's nur wisse.«

Es war das Bäuerlein, der Johannes Stein von Niedergrumbach. Sehr erzürnt stand er da und zerrte an Lu. Die war blaß geworden.

»Loslassen, Mann,« sagte Vater Klaus und befreite Lu, die sich eilig hinter Fee verkroch.

Li hingegen lachte den Mann an.

»No, Steinehannes,« sagte sie, »weiß Papier is doch besser als beschriwenes, he? Wann's jetz e Rechnung gewese wär? Oder en Drohbrief oder en Prozeß, he?«

»Des is wohr.« Das Bäuerlein kratzte sich hinter den Ohren und rückte den Hut zurecht. »Wohr is es,« bekräftigte er noch einmal. »No, dann nix for ungut.« Damit stapfte er davon. Dies war das letzte, was Lu und Li von dem Steinehannes aus Niedergrumbach gesehen hatten. Die Zurückbleibenden lachten weidlich, und Lu und Li mußten erzählen, wie sie zu der Bekanntschaft gekommen waren.

Von fünf Uhr ab war Ausverkauf um jeden Preis. Es mußte geräumt sein bis halb sieben.

Um sieben Uhr war großes Konzert, ausgeführt von den am Platze weilenden Kräften. Von neun Uhr an dann gemeinschaftliches Essen und ein Tänzchen danach für die Teilnehmer und Ordner des Ganzen.

»Nach der Arbeit das Vergnügen,« hatten die Väter der Stadt weise gesagt.

Bei dem Ausverkauf stieg der Wirrwarr ins Unerträgliche. Muttchen Friedel hatte sich ihre beiden Jüngsten zur Hilfe herangeholt. Die standen mit süßsauren Mienen da; als Postillon war's lustiger gewesen. Aber als der Trubel wuchs, wuchs auch ihr Vergnügen; sie waren in ihrem Element.

Li hatte sich eine Last kleiner Körbe übergehängt.

»Stück für Stück zwanzig Pfennige,« so drängte sie sich durch die Menge und fand reißenden Absatz.

Muttchen Friedel wollte wehren, aber sie wußte kaum, wo ihr der Kopf stand.

Endlich war das letzte Stück verkauft und der letzte Käufer draußen. In Eile wurden die Buden beseitigt und alles für das Konzert vorbereitet.

Lu und Li in den Weißseidenen von Tante Lenchen, Maiglöckchen im Haar und am Halsausschnitt, standen bereits an der Tür, die zum Podium fühlte. Sie sollten das Konzert mit der Weberschen Aufforderung zum Tanz eröffnen.

Blaß waren sie und machten große Augen.

»Herzklopfen hab' ich, weiß der Himmel, Muttchen,« sagte Li weinerlich, und Lu nickte trübselig dazu.

»Freut mich,« sagte Muttchen Friedel unbarmherzig. »Ich glaubte bisher, so etwas sei euch gar nicht bekannt.«

Da bissen sie die Zähne aufeinander. Dann kam das Glockenzeichen und Li zog Lu hinaus.

Ein Beifallssturm empfing sie. Sie sahen so niedlich aus, so drollig verlegen. Li knickste wie ein Schulmädel, Lu machte den verunglückten Versuch einer regelrechten Verbeugung.

»Albern,« raunte Li.

»Gehört sich,« entgegnete Lu, und beide warfen die Köpfe zurück. So waren sie in der rechten Stimmung, griffen in die Tasten und flott klang die »Aufforderung«.

An der Tür lehnten die beiden Brüder Western.

»Sieh, sieh, das können die beiden auch,« sagte Assessor Heinz.

»Wie hübsch sie aussehen,« sagte Assessor Paul.

»Nichts gegen die Schwester.«

»Geschmacksache.«

Als Lu und Li fertig waren, sprangen sie wie erlöst auf, knicksten und stürmten davon. Lachen und Beifall folgte ihnen und wollte nicht aufhören.

Da erschienen sie noch einmal mit strahlenden Gesichtern, hielten sich an den Händen, knicksten wieder und stoben hinaus.

Eine andere Dame spielte.

Und dann stand Muttchen Friedel mit ihrer Geige oben.

Ein Ah ging durch die Versammlung. Alles kannte ihr Geigenspiel. Und Muttchen Friedel spielte, spielte wunderschön.

Lu und Li saßen auf einem Bänkchen neben dem Podium, ihre Augen glänzten.

»Unser Muttchen, du,« sagte Li, und »Solch ein Muttchen,« nickte Lu.

»Künstlerisch, wirklich künstlerisch,« sagte Assessor Heinz an der Tür.

»Ja, wirklich bedeutend,« bekräftigte Assessor Paul.

Wieder und wieder mußte Muttchen Friedel eine Nummer zugeben und tat es liebenswürdig.

Aber dann wurde es ihr zu viel. Statt Bogen und Geige zu schultern, ließ sie sie zu beiden Seiten niedersinken und schüttelte ausdrucksvoll den Kopf.

»Allzuviel ist ungesund,« sagte sie mit ihrer hellen Stimme, sprach's, neigte sich und verschwand. Tobendes Bravo und allgemeines Lachen folgten ihr nach.

»Jetzt weiß ich, woher's die beiden haben,« meinte Assessor Paul. Assessor Heinz lachte und nickte. Dann wieder tiefe Stille. Fee stand auf dem Podium, auch sie in weißer Seide mit weißen Rosen im Haar. Als sie sich neigte, erhob sich ein Beifallssturm. Er galt ihrer jungen Schöne. Dann sang Fee. Wie sie sang! Perlend und taufrisch kam der Ton, ging gerade in die Herzen der Hörer.

Nicht müde wurde der dankende Beifall, nicht müde die frohe Gebelaune der jungen Spenderin. Unerschöpflich kam Lied auf Lied. Zur Begeisterung wuchs der Beifall.

Alle waren ganz hingerissen.

Nachher sangen zwei junge Damen Duette, nach Fee kein dankenswertes Unternehmen. Aber freundlicher Beifall lohnte auch ihnen.

Dann kam ein Klaviersolo. Und wieder Gesang, diesmal ein Herr. Das Publikum fing an, unruhig zu werden. Die Jugend sehnte sich wohl nach dem Tanz, das Alter nach dem gedeckten Tisch.

Da kam noch etwas, was die allgemeine Aufmerksamkeit fesselte.

Auf dem Podium erschien Muttchen Friedel mit ihren drei Töchtern.

Diesmal verneigten sich Lu und Li sehr sittig, wie sie es Mutter und Schwester tun sahen.

»Alle Wetter, die beiden sind ja recht gelehrig,« meinte Assessor Heinz Western an der Tür, wo die Brüder noch immer standen.

Assessor Paul puffte ihn. Dicht neben ihnen hatte sich Herr von Rödern aufgestellt.

Lu und Li hatten die Klavierbegleitung zu Violine und Gesang.

»Der Engel« hieß das Musikstück, das sie vortrugen. In Wort und Ton war's nicht eben bedeutend, Dichter und Komponist nicht von den ersten. Aber wie es zu Gehör gebracht wurde, das war tadellos. Violine und Stimme klangen ineinander, hoben und trugen sich, das Klavier schmiegte sich bescheiden an.

Es war ein großer Genuß. Und stürmischer, nicht endenwollender Beifall lohnte.

»Je, Lu, die sind ja ganz wild.«

»Ich hab' genug, Li.«

»Hungrig, was?«

»Nee, tanzen.« So raunten sich Lu und Li zu.

»Los, Kinder,« sagte da Muttchen Friedel.

»Nochmal, Muttchen?« Es setzte sehr lange Gesichter. Und dann war die Wiederholung zu Ende.

»Jetzt flink ab,« kommandierte Muttchen Friedel, »sonst bekommen sie uns noch einmal fest.«

Der Abgang war nicht auf der würdevollen Höhe des Eintritts, wenigstens bei Muttchen Friedel, Lu und Li. Fee behielt ihre freundliche Ruhe bei.

»Das Glück steht ihnen auf den Gesichtern geschrieben, Heinz,« sagte Assessor Paul begeistert. »Solch eine Familie!«

Ein Laut vom Bruder ließ ihn umsehen. Da entfernte sich eben Herr von Rödern; auch sein Gesicht war glückshell, als er noch einen freundlichen Blick nach dem Sprecher warf.

Und dann ging's zu Tisch. Man ließ den Zufall walten. Alles sollte zwanglos sein.

Assessor Heinz Western und Assessor Paul Western hatten Fee zwischen sich; halb Zufall war's und halb Nachhilfe.

»Gnädiges Fräulein verzeihen die doppelte Auflage,« sagte Assessor Heinz, wies nach dem Bruder, dann auf sich selbst und lachte.

»Des Guten ist bekanntlich nie zu viel,« sagte Fee, auf den Scherz des jungen Mannes eingehend.

»Gnädiges Fräulein sind sehr liebenswürdig. Es gibt aber auch eine andere Wendung. Wie sagte Ihre Frau Mutter? Allzuviel ist ungesund.«

»Muttchen hat wirklich viel gespielt,« entgegnete Fee wie entschuldigend.

»Sie hat uns mit Feengaben überschüttet, genau wie gnädiges Fräulein,« sagten beide fast einstimmig.

Fee sah überrascht auf. Sollte es ein Wortspiel sein? Aber beide Herren waren offenbar harmlos.

»Bei mir trifft das in besonderer Weise zu,« sagte sie dann vergnügt. »Ich bin nämlich Felicitas getauft und die Meinen nennen mich Fee.«

»Ein schöner Name,« sagte der eine.

»Und so passend,« fügte der andere hinzu.

Fee lachte. »Aber außer Mode in unserer nüchternen Zeit.«

»Ich glaube an gute Feen,« sagte Assessor Paul.

»Gute Feen hat's gegeben in unseren Kindertagen und wird's geben, wenn wir Greise sind,« versicherte Assessor Heinz.

»Es leben die guten Feen!« Beide hoben ihr Glas. Die Umsitzenden stimmten ein, die ganze Runde.

»Vor allem die, die uns heute solchen Genuß bereitet haben,« krähte Herr von Ellern und stieß sein Glas gegen das Muttchen Friedels, seiner Nachbarin.

»Du, jetzt kriegen wir auch was ab,« meinte Lu und puffte Li.

»Gehört sich auch,« sagte die und warf die Stubsnase in die Luft. »Hab' schon drauf gewartet. Die haben auch nur Augen für Fee.« Sie wies nach Fees Nachbarn; Lu sah hin und lachte.

»Bist wohl ärgerlich, was?«

»Na, unsereiner ist doch auch auf der Welt, Lu! Hat auch Daseinsberechtigung! 's kann nicht jeder sein wie Fee.«

»Nee,« sagte Lu und lachte noch immer.

»Wär' auch langweilig,« tröstete sich Li gleich danach. »Lauter Rosen und keine Disteln, was, Lu?«

»Sprichst du für dich?« fragte die. Als Distel fühlte sich Lu denn doch nicht.

Da standen Assessor Heinz und Assessor Paul vor ihnen mit vollen Gläsern.

»Dürfen wir? Ihr Wohl, meine Damen!«

Lu und Li stießen so kräftig an, daß der Wein floß; knapp konnten sie die Weißseidenen retten. Beschämt schauten sie drein, noch als die Herren gegangen waren.

Lang hielt's aber nicht an. Um sie her war frohes Leben; das ganze Tanzkränzchen hatte sich am selben Tisch zusammengefunden.

»Prost, Fräulein Lu! Prost, Fräulein Li!« Die Primaner umdrängten sie mit Eifer und Lärmen. Lu und Li waren in ihrem Element.

Dann kam der Augenblick, auf den Vater Klaus gewartet hatte.

Die Fiedeln oben wurden gestimmt und legten los.

Ein Walzer. Rasch hatten sich die Paare geordnet.

Vater Klaus schaute nach seinen Dreien aus.

Dort ging Fee an der Seite eines der blonden Assessoren. Nette Menschen waren das, wirklich. Vater Klaus besah sie sich wohlwollend. Der Vater, der unfreiwillige Gast auf Rödershof, war ja auch so nett gewesen, hatte Muttchen Friedel gesagt.

Er fing einen frohen Blick von Fee auf. Sie grüßte im Vorübertanzen mit Augen und Hand. So warm und zärtlich schauten die Augen; Vater Klaus war's warm ums Herz.

»Wie sie tanzt, Klaus!« Eine Hand schob sich in die seine. Er sah seinem Weib ins Gesicht voll Stolz und Freude. »Wundervoll, was?«

»Und die beiden Rangen, Klaus?«

Er sah sich um, Muttchen Friedel gleichfalls. »Dort springen sie wie die jungen Lämmer. Sieh doch bloß, Klaus! Wie mich das an mich selber erinnert! Die Grazie liegt noch in den Windeln. Bei manchem bleibt sie überhaupt weg, was, Klaus?«

»Mach dich nicht schlecht, Friedelchen, wollen's gleich probieren.« Er legte den Arm um sein Weib und tanzte mit ihr davon.

»Ein schönes Paar,« sagte Regierungsdirektor Metzler zu einem Freund. »Wer das damals hinter der kleinen Polten gesucht hätte, als sie hier Unsinn trieb.«

»Ja, ja,« sagte der andere und lachte. »Junger Wein will gären.«

»Lu,« rief Li und rempelte samt ihrem Primaner Lu mit dem ihren an. »Lu, Vater und Muttchen tanzen, sieh doch bloß!«

Da stand Lis Herr verlassen mit offenem Mund, der von Lu gleichfalls. Mit sehr wenig geistreichen Gesichtern sahen sie hinter ihren flüchtigen Damen her. Dann warfen sie die Köpfe zurück, rot und ärgerlich, drehten sich auf dem Absatz und drehten dazu wuchtig an den drei Härchen der Oberlippe.

»Gänse,« sagte der eine.

»Tolle Hexen,« der andere, etwas höflicher. Lu und Li befanden sich von da an sehr in ihrer Ungnade.

Die hingen rechts und links an des Vaters Rockschößen.

»Mit mir tanzen!« – »Nein, mit mir!«

Sie rissen ihm fast die Schöße ab. Er rettete die zuerst bedächtig und zwinkerte seinen Bedrängerinnen zu.

»Der reine Paris! Dreie zumal. Ich darf doch nicht unhöflich gegen meine Dame sein.«

»Bitte, Väterchen! Väterchen, bitte!«

Da lachte er geschmeichelt.

»Alle Wetter! Auf meine alten Tage solchen Erfolg.« Ergab Muttchen Friedel frei und faßte Lu.

»Her denn!«

Li machte ein langes Gesicht.

Da stand Assessor Paul Western vor ihr und machte eine artige Verbeugung: »Dürfte ich bitten?«

Li sah ihn ungewiß an.

»Sie – Sie meinten wohl Muttchen, nicht? Muttchen tanzt wundervoll. Ich tanze noch nicht lange mit Herren.«

»Ich erhalte also einen Korb?« meinte er belustigt. Auch Muttchen Friedel lachte.

»Besinn dich, Li.«

Die kicherte. »Na, wenn Sie's wagen wollen. Ich –«

Da war sie schon mitten im Saal, tanzte dahin wie auf Wölken, und sah verklärt aus.

»Nun?« fragte er, als sie stillstanden und Atem schöpften.

»Wundervoll,« sagte sie begeistert. »Das nenn' ich tanzen!«

Dann kam irgend ein Primaner und bat um eine Extratour. Gnädig war Li nicht.

»Ich – eigentlich blieb ich lieber –« aber sie brach ab. Irgendwie war ihr klar, daß dies nicht das Richtige sei, und sie flog mit dem Primaner davon.

»Sie müssen nicht so stolpern,« sagte sie belehrend. »Und gepufft braucht man auch nicht immer zu werden.«

Der Primaner, ein guter Junge sonst, blieb plötzlich stehen und warf sich in die Brust.

»Mit Assessoren kann ich freilich nicht konkurrieren!« Sprach's, wandte sich und ließ Li stehen.

Die sah sich verdutzt um. »Herrje, so'n Bärbeißer!« lachte sie dann.

Die Zeit war verflogen wie im Traum.

»Li,« sagte Vater Klaus, der eben durch den Raum kam, »ich suche dich; es wird Zeit. Verabschiede dich von den Freunden. Der Wagen ist schon angespannt.«

Was konnte Li tun, als ein sehr langes Gesicht machen, und tun, was der Vater befahl?

»Warum geht alles Schöne so rasch zu Ende, Väterchen?« Li war's recht weinerlich zu Mute.

»Damit's schön bleibt, mein Mädel,« sagte er ernst.

Dann huschelten sich Lu und Li im Wagen eng zusammen. Fee mußte auf demselben Sitz Platz finden. Muttchen und Väterchen saßen auf dem Rücksitz.

»Wie war's, ihr Mädel?« fragte Vater Klaus.

»Schön,« sagte Fee.

»Himmlisch,« jauchzten Lu und Li.

»Uff, müde bin ich,« sagte Muttchen Friedel.

»Wie kann man bloß?« fragten Lu und Li.

Aber dann wurde es still im Wagen und alle hingen den eigenen Gedanken nach.

»Klaus,« sagte Muttchen Friedel, ehe sie nach diesem ereignisreichen Abend zu Bett gingen. »Wie hieß der Mann mit dem Ring?«

»Mit dem Ring?« fragte er verwundert. »Durch die Nase, Friedel?«

»Unsinn, Klaus. Der von Schiller.«

»Polykrates, meinst du?«

»Natürlich doch, Klaus. Sieh, den ganzen Abend hab' ich denken müssen und alle haben's gesagt, wie glücklich wir doch sind, wir alle, Klaus. Und – Klaus, der alte Poly – Poly –«

»Polykrates.«

»Ist mir schnuppe, Klaus. Der alte abergläubische König hat seinen Ring wegwerfen können. Aber was sollen wir tun, Klaus?«

»Froh sein, unser Glück genießen und uns lieb haben, Friedelchen.«

»Und wenn's anders kommt, Klaus?«

»Mutig stillhalten und uns erst recht lieb haben!«


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