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Eine japanische Sommerfrische.

Kannst du dir was Schöneres denken, Anna?«

Der Herr Regierungsrat Rümelin stand mit seiner Frau auf der Terrasse des Fuji-ya-Hotels in Myanoshita. Er hatte endlich in diesem dritten und letzten Sommer, den er in Japan verbrachte, einen längeren Urlaub erhalten können. Er wollte ihn dazu nutzen, mit den Seinen noch etwas von Land und Leuten zu sehen. So waren sie hierher nach Myanoshita gekommen, einer entzückenden Bergidylle nahe bei dem See Hakone. In einem Hochtal liegt es; von einer Seite überragt es die grüne Felspyramide Myojogatake und von der anderen der waldgekrönte Sengenyama. In steiler Schlucht braust der Hayagawa zu Tal. Kleine Wasserläufe stürzen in Kaskaden von allen Wänden nieder; das üppigste Grünen, Blühen und Sprossen ist rings.

Das Hotel liegt erhöht inmitten herrlicher europäischer Gartenanlagen. Ganz europäisch ist auch das Haupthaus. Die Rümelin aber waren zu Ruths besonderer Wonne in einem der beiden japanischen Seitenflügel untergebracht. Da gab's nur verschiebbare Wände aus Papier, kein Fenster, keine Tür. Ruth hatte erst laut gejubelt, aber dann geschmollt, als sie sah, daß die Einrichtung europäisch war, das heißt, daß es in jedem Raum ein Bett gab und was dazu gehört.

»Einen so anzuführen,« brummte sie. »Ich hatte schon auf die Matratze und das Holzkästchen gehofft.«

»Das sollte mir fehlen,« meinte der Vater lachend und das Mutterle stimmte bei. Ruth blieb mit ihrem Geschmack allein. Sie schlief dann aber doch vorzüglich in dem verachteten Bett, so gut, daß die Eltern am anderen Morgen schon lange vor ihr auf der Terrasse waren und die Wunderpracht der Umgebung bestaunten. Sie waren bei sinkender Nacht am Tag zuvor angekommen; nun enthüllte ihnen der Morgen ein Wunder nach dem anderen.

»Kannst du dir was Schöneres denken, Anna?« sagte darum der Herr Regierungsrat eben zum soundsovielten Male zu seiner Frau und sah mit strahlenden Augen um sich. »Eine Schmach, daß das Mädel das verschläft!«

Frau Anna lächelte leise. »Denke zurück, Albrecht, wie viel köstlicher war der Schlaf mit siebzehn Jahren als alle Wunder der Welt! Übrigens bleiben wir ein paar Wochen; Ruth hat noch Gelegenheit zu staunen. So verschläft sie ihre Enttäuschung von gestern.«

»Ach so, das Bett!« Der Vater lachte.

»Und daß der gute Kamerad nicht da war, wie verabredet – mich hat's auch gewundert, Albrecht – und daß er gar kein Wort der Erklärung sandte! Ich hätte Herrn Norten für zuverlässiger gehalten.«

»Abwarten und dann urteilen! Ich habe Hunger; wir wollen zum Frühstück. Sieh die niedlichen Tische dort! Laß uns einen belegen, ehe die anderen kommen. Es scheinen viele Gäste hier zu sein.«

»Und meistens Europäer. Ruth wird das sehr übel vermerken.« Sie lachten beide.

»Ruth!« rief der Vater mit Löwenstimme. »Ruth!«

»Aber Albrecht, wir sind doch nicht allein! Sieh, wie alle nach dir sehen! Was sollen sie denken?«

Aber der Herr Regierungsrat schmunzelte nur vor sich hin und hob den Finger: »Hast du's gehört?«

Gedämpft klang's aus dem Haus: »Ich komme! Gleich! In einer Minute!«

Sie setzten sich und eines der zierlichen Mädchen, die im Hotel bedienen, brachte das Frühstück. Frau Regierungsrat wollte eben eingießen, da ertönte ein eiliger Schritt.

Der Herr Regierungsrat sah auf, erhob sich und: »Ruth!« schallte es wieder über den Garten. »Ruth!«

Der so eilig herankam, war Herbert Norten. In seiner eigenen großen Überraschung benachrichtigte der Vater das Töchterlein davon auf diese etwas geräuschvolle Weise.

Frau Anna wußte nicht, was sie zuerst tun sollte, den Ankömmling bewillkommnen oder den Gatten zügeln. Da kam ein Drittes, das sie völlig sprachlos machte. Man hörte ein Schütteln, ein gewaltsames Rücken und Schieben an der Hauswand, Laute der Ungeduld und Entrüstung einer jugendlich hellen Stimme: »Alberne Einrichtung das! Wie, zum Kuckuck –«

Ein Krachen und Reißen wie von zerschlitztem Papier und mitten im Holzrahmen der Wand erschien erst ein Blondkopf, ein lachendes Gesicht, dann die ganze schmale Gestalt, die zu beidem gehörte. Sie hielt mit den zwei Händen das weiße Kleid fest an sich gepreßt, als ob sie es hätte verlieren können, und lachte hell und doch ein bißchen verlegen.

So machte Ruth Rümelin ihre Erscheinung unter den Gästen des Fudji-ya-Hotels. Die Lacher hatte sie auf ihrer Seite, alle, bis auf die Mutter.

»Ruth,« sagte diese, »aber Ruth!« sprang auf und trat zur Tochter.

»Vaterle schrie doch so,« verteidigte sie sich. »Was kann ich dafür, daß –«

Da sah sie den guten Kameraden und vergaß noch einmal die »junge Dame«. Sie jauchzte laut hinaus: »Grüß Gott! Da sind Sie ja! Nun kann's fein werden!« Sie eilte mit ausgestreckten Händen auf ihn zu und schüttelte die seinen. Dann drehte sie sich um die eigene Achse, gab dem Vaterle einen Nasenstüber und sank auf einen Stuhl neben ihn. Wie der Wind bediente sie sich mit Essen, biß in einen kleinen Kuchen und versicherte seelenruhig: »Ich bin nämlich greulich hungrig. Wollen Sie sich nicht auch versehen?«

Das galt dem guten Kameraden, der noch halb betäubt dastand; Ruths Auftreten war zu überwältigend gewesen. Jetzt erst besann er sich und lachte. »Wie im Zirkus, wenn die Reiterin durch den Papierreifen springt!«

»Nicht wahr?« sagte Ruth. »Niemand weiß, was für Talente er hat, ehe die Gelegenheit kommt, sie zu erproben. Was, Vaterle?«

Der Gefragte blinzelte bloß, jetzt aber kam das Mutterle zu Wort. »Ruth,« sagte sie, »aber Ruth –« Und nun folgte eine lange Ansprache, freilich mit so leiser Stimme, daß die Umhersitzenden nichts Genaues hören konnten. Endlich schloß Frau Rümelin, sich besinnend: »Nun habe ich über dem ganzen Wirrwarr, den die Mamsell angestellt hat, den lieben Freund noch nicht einmal begrüßen können.« Sie hielt Herbert Norten die Hand hin und nötigte ihn zum Sitzen. »Wo kommen Sie in aller Frühe her?«

»Ich kam zu spät in Yumoto an, um noch hierhergelangen zu können. Da übernachtete ich dort und bin heute morgen zu Fuß heraufgegangen.«

»Ein Krachen und Reißen wie von zerschlitztem Papier und mitten im Holzrahmen der Wand erschien ein lachendes Gesicht.«

»Daß Ihnen die Leute das erlaubten, die Kurumaja, meine ich! Uns hätten sie, glaube j ich, gesteinigt, wenn wir es hätten wagen wollen. Fünfzig dienerten um uns herum. Wenn bei uns daheim jemand verlangte, im Wagen in sein Bett geschafft zu werden, könnte es nicht größeres Staunen erregen, als wenn hier einmal jemand zu Fuß von einer Straße in die andere will. Seltsames Land!« Der Herr Regierungsrat hatte das gesagt; Herbert Norten stimmte zu.

Ruth hatte mit sehr rotem Kopf sehr still dagesessen. Jetzt sah sie auf und mit den stehendsten Augen dem Mutterle ins Gesicht. »Um so ein bissel Papier, Mutterle!« Sie nickte nach dem Haus hin.

»Darum, Ruth?« Die Mutter hatte ernste Augen. »Hast du mich so wenig verstanden, Kind?«

»Ich weiß, ich weiß! Ich tu's nie wieder, Mutterle, gewiß! Und paß mal auf, wie ich den Wirt versöhne.« Wie der Wind war sie auf und davon.

»Was sie nun wieder vorhat?« seufzte die Mutter.

»Laß sie doch gewähren, Anna.« Der Herr Regierungsrat sagte das etwas unwirsch. »Es ist wirklich nicht der Mühe wert, um das bißchen Papier dem Kind den schönen Morgen zu verderben. Sie wird's schon recht machen.«

»Und was die Leute von ihr denken, Albrecht?«

»Die werden sie schon noch besser kennen lernen! Wir gehen ja nicht heute schon wieder weg.«

»Was sagen Sie zu dem schwachen Vater, Herr Norten?«

»Daß er recht hat, gnädige Frau.«

»Brav, Norten! Und wer dann nicht einsieht, daß die Ruth ein Prachtmädel ist, der – der –«

»Muß eben jedenfalls seine Ansicht ändern, Herr Regierungsrat!« Beide Herren lachten herzlich.

»O, die Männer,« seufzte die Frau Regierungsrat, aber es lachte in ihren Augen mit.

Da sah man Ruth wieder vom Haus her durch den Garten kommen. Ein kleiner, dienernder, lächelnder Japaner schritt an ihrer Seite. Sie führte ihn zur Unglücksstätte und gestikulierte lebhaft. Da ihr Japanisch noch sehr mangelhaft war, suchte sie ihr nicht viel besseres Englisch vor. Man hörte deutlich ihre helle junge Stimme radebrechen: »Paper did break, when I came through, I am so sorry, so sorry!« Die Stimme triefte vor Zerknirschung.

Der Kleine dienerte, lächelte und sagte etwas.

»Thank you, oh thank you so very much!« Ruth dienerte zurück. Mit gegenseitigem Dienern und Lächeln trennten sie sich. Ruth strahlte, als sie zu den Ihren kam. »Hab' ich's nicht gesagt, Mutterle? Der Mann war mir beinahe dankbar für das Zerreißen seiner Wand. Es sind nette, höfliche Menschen, die Japaner!«

Jetzt endlich kam es zu einem gemütlichen Frühstück; lange saßen die Rümelin und plauderten, viel zu lange für Ruths Ungeduld, die darauf brannte, die nähere Umgebung kennen zu lernen.

Endlich hielt sie es nicht länger aus; lautlos verschwand sie. Die Herren rauchten gemütlich, Mutterle hatte ihre Handarbeit vorgenommen; es sah aus, als sollte dies Stillleben nie sein Ende erreichen.

Die drei merkten erst gar nicht, daß Ruth fort war. Herbert Norten erzählte von seinen Erfahrungen in Osaka, dem japanischen Birmingham, wie er es nannte. »Es hat eine große Zukunft,« sagte er. »Die Japaner sind stark im Absehen und Nachahmen, und schlau dazu. Wenn sie uns alles abgelauscht und unsere Hilfe nicht mehr nötig haben, dann werden sie uns beiseite werfen wie einen ausgebrauchten Handschuh. Dann ist unsere Rolle hier ausgespielt. Zu bewundern ist ja, was sie seit der Reform im Lande alles geleistet haben.«

»Genau so denke ich,« antwortete der Herr Regierungsrat. »Ich bin froh, wenn ich den Staub erst von den Füßen schütteln kann. Man dient doch gern dem eigenen Land mit all seiner Kraft.«

»Wie ich mich auf unsere Buben freue,« seufzte Frau Anna. »Es war ein größeres Opfer, das ich brachte, als ich für möglich hielt. Täglich wird es mir klarer.« Sie hatte Tränen in den Augen.

Der Vater griff nach ihrer Hand, die er drückte. »Bald haben wir's hinter uns, Anna, und dann gehen wir nie wieder aus dem Lande –«

»Vaterle, Mutterle, Briefe! Von der Leni, vom Mariele, von Kiku, von – ja auch von den Buben, Mutterle! Hier, Vaterle, was für dich! Von wem, kann ich nicht sehen.«

»Ist auch gar nicht nötig,« erwiderte der Vater.

»Und nichts für mich?« Es war der gute Kamerad, der fragte. Ruth hörte gar nicht; sie war schon tief in Lenis Brief, den sie sofort aufgerissen hatte.

Eine Weile war es sehr still am Tisch der Rümelin. Man horte nur das Knistern von Papier und leise stiegen die blauen Rauchwölkchen von Herbert Nortens Zigarre in die blaue Luft. Er sah ihnen sinnend nach.

Ruth brach die Stille. Sie warf Lenis Brief auf den Tisch. Ihre Augen blitzten. »Ich hasse Gedankenstriche! Ich finde sie geradezu unhöflich! Entweder man hält den geehrten Schnabel oder man sagt so und so!«

Fragend sah Herbert Norten sie an. Die Eltern hatten gar nicht nach ihr hingehört. Mutterle lachte und weinte in ihr Papier.

»Albern einfach!« fuhr Ruth fort. »Schreibt da die Leni: ›Wenn Du hier wärst, Ruth, ich hätte Dir so viel zu sagen, so aber‹ – – zwei Gedankenstriche! Dann wieder: ›Ich werde dich immer lieb haben, selbst wenn‹ – – Wieder diese erbärmlichen Gedankenstriche! Ich hasse sie!«

Fort flog der Brief, zuvörderst auf den Tisch. Aber ein kleiner Schäker von Wind griff danach und wirbelte ihn in die Luft. So hatte Ruth es nicht gemeint. Sie eilte hinterher und jagte den gescholtenen Gedankenstrichen nach. Eine Menge höflicher Menschen kam ihr zu Hilfe und es wurde eine lustige Jagd. Der Ausreißer aber wirbelte weiter und weiter, einmal so hoch in den Lüften, daß die Häscher sich als geschlagen bekennen wollten: aber just da ließ er sich sacht zur Erde nieder und tat, als ob ihn zu greifen ein Kinderspiel sei. So war der Eifer aufs neue entfacht – hui, wie flott ging's wieder nach oben!

Ruth war allen voraus mit Lachen und Jubeln. »Wie die Jagd nach dem Glück!« frohlockte sie. »Ich faß es, ich!«

Einen Augenblick schien es wirklich so, aber zu täppisch faßte die Hand. Der Wind blies noch einmal die Wangen auf – dann wirbelte Lenis Schreibebrief samt den Gedankenstrichen über den Rand der steilen Schlucht, die dort die brausenden Wasser des Hayagawa gerissen haben.

Nicht eben geistreich war Ruths Gesicht, womit sie den verschwindenden Gedankenstrichen nachstarrte. Dann wandte sie sich zu ihren lachenden Helfern: »Ich danke Ihnen, danke sehr! Es war aber wirklich nicht der Mühe wert. Die Leni – aber das kann Sie nicht interessieren. Also vielen Dank, lustig war's eineweg!« Im Gedanken an Leni brach die Schwäbin durch. Ruth merkte es, wurde ein bißchen rot und lachte dann um so sonniger. »Wirklich, ich danke sehr.«

Niedlich sah sie aus in ihrer leichten Verlegenheit; das fanden alle, die sich an der Jagd beteiligt hatten. Die Herren stellten sich vor; Ruth hatte viele Freunde seitdem. Lachend und plaudernd kamen sie an den Tisch der Eltern zurück. Auch hier nannten die Herren ihre Namen, hielten sich aber nicht länger auf. Ungewiß sah Ruth nach der Mutter. Die sah ernst aus.

»Gewiß, nur die Leni mit den albernen Gedankenstrichen ist schuld, Mutterle! Ich weiß, daß ich auffallend war, und ich will's ganz gewiß nicht wieder tun. Verzeih nur dies eine Mal noch, bitte, Herzensmutterle!«

Augen machte der Schelm, ein Kieselherz hätte nicht widerstehen können. Mutter Rümelin hatte keines. Ja, sie vergaß alles andere, als Ruth jetzt fragte: »Und was schreiben deine Buben, Mutterle?«

Da strahlte das Mutterangesicht; eine Sonne ging darin auf. »Sie haben glänzende Zeugnisse erhalten, alle beide; Georg hat das Maturum bestanden, und sie dürfen zum Lohn eine Schweizerreise machen, sagt Vater, Georg geht im Herbst nach Tübingen. Solche Buben, Albrecht!«

»Ja, unsere Buben, Anna!« Auch die Vateraugen leuchteten.

Ruth dachte bei sich, daß sie den Brüdern dies beschreiben wolle; es sollte ihr Lohn sein. Sie dachte weiter und der Gedanke war wie ein Gebet, daß ihr der Herr helfen möge, nie etwas zu tun, was den Sonnenschein in den Vater- und Mutteraugen lösche. Dann las sie die Briefe der Brüder.

»Überle ist schon seit acht Wochen in Yokohama. Das Haus ist verkauft, die Geschäfte sind abgewickelt. Er sucht uns hier auf, wenn er ganz fertig ist, schreibt er. Er hat so viel zu tun gehabt, sonst wäre er früher gekommen. Von den Seinen sind gute Nachrichten da,« so berichtete der Herr Regierungsrat. »Ich freue mich, wenn er kommt.«

»Ich auch,« rief Ruth. »Ich bin begierig zu hören, wie es Frau Klara in meinem lieben Stuttgart gefällt.«

»Wie anders als gut,« neckte Herbert Norten.

»Ach was, ich weiß! Jedem Narren gefällt seine Kappe am besten, wollen Sie sagen, Kamerad. Aber mein Stuttgart kann auch anderen gefallen.«

»Anderen Narren? Oder anderen, die keine Narren sind?«

Aber Ruth hörte nicht. Sie war in einen anderen Brief vertieft; sie hob nur die Hand, Ruhe zu gebieten. Herbert Norten fand zwar, daß diese stumme Ausdrucksweise mit der Höflichkeit nicht recht in Einklang stehe, fügte sich aber.

»Kiku ist gar nicht wohl, denkt euch. Sie hat zu stramm gelernt, gesteht sie selbst. Hört mal, wie drollig sie schreibt: ›Mich nur nach Lernen, nix nach rote Wangen fragen und nun sein die sehre gelb worden. Vater und Mutter sehr unzufrieden, sagen, mich müssen fort aus Backofen Tokio. Können nicht mitkommen, weil – weil nicht können, was sein beste Grund von allen. So mich auch bleiben hier. Lernen sein wundervoll, was liegen an Gesicht.‹ Schreibt sie nicht komisch? Arme Kiku, sie tut mir so leid! Ich wollte, wir könnten sie hier haben.«

Ruth sann vor sich hin und sah den blauen Ringeln nach, die der gute Kamerad in die Luft sandte. Dann dachte sie an den, der sie blies, und an die goldene Sonnenwelt rings. Kikus gelbe Wangen wurden darüber vergessen. Es lag zu viel Sonne über allem.


»Wo ist der gute Kamerad, Vaterle?«

Der Herr Regierungsrat erhob ziemlich verständnislos die Augen. Er lag in der Hängematte, hatte ein Buch in der Hand und blies ein Rauchwölkchen nach dem anderen dazu. »Bin ich meines Bruders Hüter?« brummte er, und dann mit einem Augenzwinkern: »Er kann nicht den ganzen Tag an deinem Schürzenzipfel hängen; das darfst du nicht verlangen.«

Ruth wurde spitz. »Eine Schürze trage ich überhaupt nicht und verlangen tu' ich gar nichts.« Sprach's, hob die Stumpfnase und verschwand. Der Vater lachte lustig in sich hinein. Die Mutter aber, die saß und schrieb, rief Ruth nach: »Geh doch mal den Weg nach Yumoto hin. Dort haben schöne Lilien gestanden. Ich möchte gern einen Strauß davon.« Ruth nickte nur gnädig. Des Vaterles Witz wurmte sie noch und verleidete ihr jegliche weitere Aussprache. Sie schlenderte nach Yumoto hin.

Steil fiel der Weg nach der Ebene ab; auf der einen Seite toste tief unten der Hayagawa, auf der anderen türmten sich grüne Wände, und die waren mit Blumen bewachsen, traumhaft in Fülle, Schönheit und Üppigkeit. Lilien blühten eben in Massen. Wie sie bei uns kaum das Treibhaus kennt, standen sie hier geradeswegs aus Gottes Schöpfer- und Wunderhand hervorgegangen. Blendend weiße in tadelloser Reinheit, solche mit roten Punkten im Kelch, andere, denen sich ein goldenes Band über jedes Kelchblatt legte. Was fragte Ruth nach der Steilheit der Wand, an der die Wunderblumen sproßten! Mit Händen und Füßen, auf den Knieen arbeitete sie sich daran hinauf; sie sah nur die Blumen, schaute nur über, nicht unter sich.

Wie ein Rausch überkam es sie. Eine Blüte dünkte ihr immer schöner als die andere; die allerschönste war stets die, die sich noch vor ihr auf schwankem Stengel wiegte. Die Hände konnten die Fülle längst nicht mehr fassen. Ruth hatte jeweilig einen kleine:: Stapel angelegt; sie dachte zum Schluß ihre Schätze zu sammeln.

Sie wurde allmählich müde; die Sonne Japans brannte auch hier oben in den Bergen. Dazu kam die Überlegung, wohin mit dieser überreichen Ernte. So setzte sich Ruth zwischen die Lilien, zu überlegen und Atem zu schöpfen. In jedem Arm hatte sie einen Busch der duftenden Beute. Zum ersten Male hielt sie Um- und Ausschau.

Wie war die Welt hier herrlich! Über ihr, hoch, die grüne Wand und mit Blumen gestickt wie ein Festgewand, köstlich und kostbar bereitet. Unter ihr die flinken, schäumenden, tosenden weißen Wasser, die lustig talab schossen und mit ihrem Brausen die Melodie gaben zu dem Wundertext, den die Schöpferhand geschrieben hatte. Wie war es schön, einzig schön!

Die junge Ruth hatte die Augen weit offen und nicht minder das Herz. »Herr im Himmel, ich danke dir, daß ich all das sehen darf!«

Jetzt bemerkte sie unten auf der Straße etwas, das sie sehr zu interessieren schien. Die Blauaugen wurden immer größer; Staunen lag darin, Neckteufelchen sprühten. Kam da unten nicht der gute Kamerad gegangen? Ja, er war es, natürlich war er es! Es schritt niemand von all denen, die im Hotel wohnten, so aufrecht daher wie er, so elastisch und fest zugleich. Ruth hätte seinen Gang unter Hunderten erkannt.

Aber wen hatte er bei sich? Er ging neben einer Kuruma her, hatte die Hand auf deren Rand gelegt, und unterhielt sich sehr angelegentlich. Ruth konnte sein Gesicht deutlich sehen, das Aufmerken darin, das Lachen und dann wieder den Ernst. Wer wohl in der Kuruma saß? Zu unterscheiden war noch nichts, nicht einmal, ob es ein Männlein oder ein Weiblein war.

Ruth faßte mit einem Male die Neugier und noch etwas anderes, so eine Art Gefühl von Eigentumsrecht. War er nicht vor allem ihr guter Kamerad? Was hatte da ein anderer zu kommen und ihn mit Beschlag zu belegen? Da wollte sie doch gleich ...

Was sie wollte, war Ruth nicht klar. Sie hatte den Kopf spähend vorgebeugt. Ob das sie ins Rutschen brachte oder die Macht der treibenden Gedanken, muß unentschieden bleiben; aber sie rutschte, wie es ihr vorkam, endlos. War sie wirklich so hoch gestiegen gewesen? Ihre Lilienlast hatte sie mit beiden Armen gefaßt. Die Blumen bargen ihren Oberkörper, daß man nicht sah, wer hinter der blühenden Wand zu Tal fuhr. Es war eine lustige Fahrt, nur etwas atemraubend und beklemmend, einmal wegen der Schnelligkeit, womit sie sich ins Werk setzte, und dann von wegen der Ungewißheit, wo man landen würde. Denn bei aller Lust an dem Abenteuer blieb Ruth doch ein Fünkchen Überlegung. Sie reckte den Hals, konnte aber dem Verhängnis nicht Einhalt tun.

Herbert Norten – denn der war es wirklich, der dort unten auf der Straße neben einer Kuruma herschritt – sagte eben zu deren Insassin: »Auf Fräulein Ruths Gesicht freue ich mich ganz besonders, wenn sie Sie entdeckt. Sie –«

So rasch hat sich ihm noch nie im Leben eine Freude erfüllt. Er konnte den Satz nicht beenden, da sauste es neben ihm an der Berglehne nieder. Er sah zwei gelbe Stiefelchen erscheinen, und ehe er sich klar machen konnte, daß da doch folgerichtig etwas dazu gehören müsse, glitt ein riesiger Lilienbusch sehr plötzlich vor ihm nieder. Er griff zu, in die Lilien hinein, und faßte zwei schmale Schultern. Kräftig hob er; da stand der Lilienbusch alsbald auf den zwei gelben Stiefelchen. Zwischen den Blumen guckte ein Schelmengesicht vor, das einen komischen gelben Fleck just auf der Nasenspitze zeigte, und dies Schelmengesicht, das er mit Erstaunen erkannte, sagte: »Hab' nur mal nachsehen wollen, mit wem der gute Kamerad hier schä–«

Da lagen ihm sämtliche Lilien am Halse; er mußte mit beiden Armen zufassen, sollten die Blumen nicht in den Staub der Straße fallen, was eine Sünde gewesen wäre. »Festhalten!« mahnte ihn noch dazu die Stimme der bisherigen Eigentümerin der Lilien

Diese selbst kauerte auf der Kuruma zu Füßen derjenigen, die darinnen saß, einer sehr zarten, schmächtigen jungen Dame in grauem Reiseanzug, mit grauem Filzhütchen und Schleier, und sie jauchzte: »Kiku, liebste Kiku, wo kommst du her, wo fährst du hin? Aber wie hätte ich dich auch in der Verkleidung erkennen können! Ich hab' mir die Augen bald aus dem Kopf geschaut von da oben. Auf dich wäre ich nicht verfallen. Wo hast du deinen Kimono gelassen? Und wie geht es dir? Aber so sehr gelb – ich meine blaß, finde ich dich nicht. So sprich doch, Kiku!«

Es lachte etwas hinter den Lilien und Ruth machte eine Faust in dieser Richtung, forderte aber die Freundin noch einmal auf: »Also, Kiku, mach flink!«

»Wenn du mich wollen Zeit lassen, ich dir wollen es sagen. Deine gute Mutter haben geschrieben, ich sollen kommen; meine Eltern haben gesagt ja und ich hier sein.«

»Und der Kimono, Kiku?«

»Sein zu Hause bei die andere Kimono. Mich ihm lassen bei Japanbrüdern. Wenn gehen zu Europäern, wollen sein wie diese!«

»Schade, Kiku! Mir kommst du recht fremd vor. Den Kimono mag ich lieber für dich.«

»Sein Herz dasselbe in Bluse wie in Kimono. Du dich kein bißchen freuen?«

Da brach ein ganzer Sonnenschein in Ruths Gesicht durch. »Verzeih, verzeih! Ich war nur so ganz furchtbar überrascht und da ist man oft ein bissel dumm. Ich freu' mich ja einfach unmenschlich. Kiku, liebste Kiku!«

Sie umarmten sich innig. Von den Lilien her tönte es kläglich: »Ich bin doch kein Blumenständer – sozusagen!«

Da befreite Ruth den guten Kameraden lachend von seiner Last. »Und nun sagen Sie, wieso Sie auf Kiku gestoßen sind? Ich hätte sie in der Maskerade ja kaum erkannt und Sie haben sie doch nur einmal gesehen.«

Er wollte sein vorzügliches Personengedächtnis rühmen, da lachte sie ihn aus. »Geflunkert wird hier nicht! Das Mutterle hat Sie geschickt, natürlich!«

»Wenn ich so klug wäre, dann fragte ich nicht.«

»Man vergewissert sich doch gern oder glänzt mit seiner Fixigkeit. Reden kostet ja auch nicht den Hals und auch kein Geld.«

Da hatte Herr Norten seinen Verweis und steckte ihn lachend ein.

»Nur nicht gar so gestrenge oder ich räche mich an den Lilien,« erwiderte er.

»Gut, daß Sie mich daran erinnern! Ich muß noch eine Menge da oben aufgestapelt haben.«

»Ums Himmels willen! Wohin damit? Überlassen Sie sie ihrem Schicksal. Es kann auch zuviel des Guten werden.«

»Von Lilien nie, und wenn ich eine Blume gepflückt habe, verpflege ich sie auch bis zu ihrem seligen Ende. Es ist unverzeihlich, Blumen abzureißen, nur um sie welken zu lassen.«

»Ausputzer Nummer zwei,« sagte er lachend. »Ich ergebe mich auf Gnade und Ungnade! Wo befehlen Gnädigste, daß ich Lilienrazzia halte?«

Ruth wollte mit ihm die Wand erklettern; er litt es aber nicht, und so lange er hinter ihren gepflückten Lilien her war, mußte Ruth seine scheltende Stimme hören über ihren Leichtsinn. Wie steil war die Wand und wie leicht ein Absturz! Ruth blieb ganz still; sie wußte, daß dies Schelten guten Grund hatte. Nun kam er mit dem gesammelten Rest; ein paar geschickte Sprünge brachten ihn herunter.

»Meine Abfahrt war lustiger,« rief Ruth. Er wollte ernstlich böse werden. Da sah sie ihn treuherzig an: »Nie wieder tu ich's und nun stille sein, bitte!«

»Topp! Ein Mann, ein Wort.«

Sie schüttelten sich die Hände. Dann verstaute Ruth sich und all ihre Lilien, so gut es eben gehen wollte, bei Kiku in der Kuruma. Der gute Kamerad half kräftig schieben und die blühende Last schwankte bergauf.

So hielten sie ihren Einzug in das Hotel, wo Ruth dann lustig ihre Lilien in viel flehend aufgehobene Hände verteilte.

»Mit Lebensgefahr von mir selbst gesammelt,« sagte sie zu jeder Spende und zwinkerte nach dem guten Kameraden hin, »wenigstens gibt es Leute, die das behaupten.«

Die Frau Regierungsrat entsetzte sich noch nachträglich bei Ruths Behauptung, sie habe sie beinahe in den Tod geschickt, denn nur auf ihre Aufforderung hin sei sie zu den Lilien gegangen.

»Hier, Herr Kamerad, nun bringen Sie Ihre Schelte bei der richtigen Adresse an! Ich habe als gute Tochter getan, was mir die Mutter gebot. Ich fordere eine Ehrenerklärung.«

»Eulenspiegel,« sagte die Mutter und war noch ganz blaß. »Kiku, ich freue mich herzlich, daß wir Sie hier haben. Nun müssen die Wangen schnell rot werden, das bitte ich mir aus!«

Es wurde nun ein lustiges Leben. Kiku war ernst, aber kein Spielverderber. Sie hatte immer ein kluges, treffendes Wort bereit, in Scherz und Ernst. Besonders mit Herr Rümelin wurde sie gut Freund.

Sie machten viel Ausflüge in die Berge, woran, wenn es nicht allzuweit ging, auch das Mutterle stets teilnahm. Tagsüber war das Hotel oft wie ausgestorben; alle Gäste waren unterwegs. In den niedlich gehobelten japanischen Spankörbchen wurde allen ihr »Lunch« verpackt; erst der Abend vereinte dann wieder zum gemeinsamen Mahl.

Im Fudji-ya-Hotel waren meist europäische Gäste, Herren weitaus in der Überzahl. »Schade,« hatte Ruth gesagt, »wir hätten sonst mal ein Tänzchen machen können. Ich habe seit der Tanzstunde im Winter vor zwei Jahren nicht mehr getanzt und die Leni sagt, es sei was ganz anderes, mit Herren zu tanzen als mit Primanern und dergleichen. Ob ich überhaupt noch weiß, wie es gemacht wird?«

Sie hatte Kiku umfaßt und versucht, sich mit ihr zu drehen. Die aber verstand sich auf Walzer sichtlich weniger als auf Latein und Griechisch; sie setzte die Füße einwärts wie alle ihre japanischen Schwestern und sah recht hilflos drein. Nach ein paar mißglückten Sprüngen ließ Ruth sie los, mit recht enttäuschtem Gesicht.

Ein sehr junger norddeutscher Kaufmann, der daneben stand, bot sich als Ersatz an. Selig nickte Ruth; selig tanzte sie und seufzte dazu: »Ja, das ist etwas ganz anderes.«

»Einen Ball für Fräulein Ruth! Morgen abend wird ein Ball für Fräulein Ruth arrangiert. Wer ist dabei?« Lustig rief's ihr Tänzer.

Alle waren einverstanden; Ruth hatte viele Freunde. Sie strahlte.

»Aber wie reizend! Nein, Sie sind wirtlich zu liebenswürdig.«

Einige junge Frauen standen dabei – es waren keine jungen Mädchen unter den Gästen außer Ruth und Kiku – auch sie waren Feuer und Flamme. Es gab alsbald ein wichtiges Tuscheln und Beraten. Man ist an einem solchen Ort dankbar für jede neue Anregung, jede Abwechslung.

Ruths Ball war das Ereignis der Stunde; sie mußte versprechen, sich den Vorbereitungen ganz fern zu halten und überraschen zu lassen. Glückselig versprach sie's. Eben kam die Frau Regierungsrat.

»Ich soll einen Ball haben, Mutterle,« rief Ruth, »denke doch, morgen abend! Ich darf mich um gar nichts kümmern; sie wollen mich überraschen.«

»Du warst doch nicht unbescheiden, Kind?« Mutter Rümelin konnte sich an die ziemlich erwachsene Tochter noch nicht recht gewöhnen. Die schmollte: »Als ob ich noch im Hängekleidchen liefe!«

Alle versicherten, Ruth habe mit der Sache gar nichts zu tun; der Gedanke gehe von Herrn Meier aus – so hieß der junge Kaufmann – und sie seien alle sehr froh über die Abwechslung. Da war die Frau Regierungsrat beruhigt. Anderen Tags gab es ein sehr geheimnisvolles Hin und Her in einem der großen Säle des Hotels. Kiku und Ruth hatten am Morgen einen schönen Spaziergang gemacht, zum ersten Male ohne den guten Kameraden, der sehr beschäftigt schien.

»Ich bin aber doch froh, daß ich nicht jeden Tag einen Ball habe,« hatte Ruth etwas ungnädig gesagt, ehe sie fortging.

Am Nachmittag schien sie wenig willkommen, wo sie auch hinkam. Da legte sie sich in ihre Hängematte, nicht ganz im Einklang mit sich und der Welt. Auch Kiku hatte sie allein gelassen; die wollte im Dorf nach Armen und Kranken sehen.

Ruth lag und sah in die Baumwipfel. Sie dachte an »ihren« Ball, an Leni, was die wohl dazu sagen würde, an deren Brief, an die Gedankenstriche, was die bedeuteten, dachte daran, wo der Brief wohl hingeflogen war, ob die Wasser des Hayagawa ihn ins Meer getragen hatten oder ob er irgendwo in den Büschen hing und still vermoderte. Wenn das die Leni wüßte! Sie würde wohl nie mehr schreiben. Aber Gedankenstriche würde sie, die Ruth Rümelin, sich überhaupt verbitten. Das sollte die Leni schon erfahren! Auch daß sie heute mit Herren tanzen würde, ebensogut wie die Leni! Und noch dazu tanzen, hier im Herzen von Japan, im Bergdistrikt von Hakone, in Myanoshita, im grünsten, blumigsten, entzückendsten Winkel der Welt! Das sollte ihr die Leni einmal nachmachen! Aber würde sie denn überhaupt noch tanzen können? Gestern abend mit dem kleinen Meier – er war übrigens recht nett, ohne ihn hätte es vielleicht keinen Ball gegeben – na ja, mit dem kleinen Meier also war es ziemlich gut gegangen. Aber heute abend, wenn alle kamen, auch der Hauptmann in Zivil und der Assessor, ob's auch da ging? Sie seufzte laut vor sich hin.

»In Verlegenheit möchte meines Vaters Tochter sehr ungern kommen. Wenn ich nur auch gewiß wüßte, daß ich noch tanzen kann!«

»Das ließe sich ja mal gleich erproben. Darf ich um einen Walzer bitten?«

Zugleich pfiff jemand lockend eine lustige Walzerweise. Ruth fuhr mit solchem Schwung herum, daß die Hängematte umkippte und ihren Inhalt dem Pfeifenden vor die Füße leerte.

»Schwerebrett!« rief der lachend. »Das ist mir auch noch nicht widerfahren, daß sich mir eine junge Dame auf eine Aufforderung zum Tanz hin so zu Füßen gelegt hätte. Wieder um eine Erfahrung reicher!«

Aber Ruth war schon in der Höhe und schüttelte den, der vor ihr stand, an beiden Armen, als liege ihr zunächst ob, sie möglichst schnell und gründlich auszurenken. Worte fand sie nicht.

»Meine Frau und die Kinder lassen grüßen, Fräulein Ruth.«

»Danke sehr!« sagte sie zunächst zahm; sie war noch zu verblüfft. Aber dann jubelte sie los: »Grüß Gott, grüß Gott, Herr Überle! Wie geht's Frau Klara und den drei Süßen? Heißen sie noch Maiblümchen, Schneeglöckchen und Iris? Oder haben sie sich derweil in Schwabenmädle verwandelt?«

»Noch sind's unsere Blumenkinder. Wir können uns nicht zu den anderen Namen entschließen und alle lieben sie.«

»Was Wunder!« sagte Ruth und schüttelte noch immer seine Hand, schien sie auch fürs erste nicht loslassen zu wollen. »Und was macht Klein-Iris?«

»Die gedeiht wundervoll! Wenn man sie fragt: ›Wen hast du lieb?‹ sagt sie: ›Mama, Papa und Dut«. Will sie necken, zählt sie die Häupter ihrer Lieben in umgekehrter Reihenfolge. Sie sehen, Ihre Tat ist nicht vergessen.«

»Meine Tat? Es war doch nur ein glücklicher Zufall, der mich der alten Sada in den Weg trieb. Wo mag sie hingekommen sein?«

»An die mag ich gar nicht denken! Aber daß Sie ihr mein Kind abjagten und dafür gelitten haben, das vergesse ich nie.« Er fuhr sich über die Stirn und sagte dann lustig: »Und unser Walzer?«

Ruth sah ihn zweifelnd an. »Meinen Sie wirklich?«

Statt aller Antwort hatte er sie schon in den Armen und wirbelte mit ihr unter den Magnolien dahin. Vater Rümelin kam dazu; er stand starr.

»Heisa, juchhei, hier geht's ja hoch her; bin auch dabei!« Sprach's und hing sich an des Freundes Rockzipfel.

»Vaterle, aber Vaterle, wir üben ja. 's ist gar kein Ulk!«

»Sieht aber verzweifelt danach aus! Ich hätte zwei so alte Leute für vernünftiger gehalten. Was man nicht alles erlebt!«

»Alte Leute?« Ruth riß die Augen auf. »Siebzehn Jahre, Vaterle!«

Er sah sehr unschuldig drein. »Nun mach's aber einer den Leuten recht! Vor einer halben Stunde erbost sich die Mamsell, weil ich sie Kickindiewelt nenne und nun –«

»Erstens war das beim Frühstück heute morgen, und zweitens bin ich weder ein Kickindiewelt, noch ein altes Weib. Ich empfehle mich den Herren.« Sie zauste den Vater am Bart und nickte Herrn Überle lachend zu. Dann sprang sie nach der Galerie des Hauses.

»Nur nicht durch die Wand!« rief ihr der Vater nach. Sie drohte nur rasch mit der erhobenen Faust, schob dann eilig die Wand zurück und war verschwunden. Noch lange dröhnte das Gelächter der Herren über den Garten.

Dann war es Abend, Zeit, ans Umziehen zu denken. Hinter allen papierenen Scheidewänden huschelte und hantierte es.

»Zu komisch,« wisperte Ruth, die mit Kiku denselben Raum teilte, »zu komisch!« Sie lauschte. »Hör doch mal! Frau Metten kann mit ihren Blumen nicht zurecht kommen und er nicht mit seiner Krawatte. Dort hinten erbost sich noch jemand über irgendwas. Jetzt brummt das Vaterle; das gilt auch der Krawatte, ich weiß schon. Nein, urkomisch! Als ob wir eine große Familie wären! Solch ein Land!«

»Sein meine Land« Kikus Ton war ernst. Ruth fiel ihr um den Hals.

»Aber ich schwärme ja für Japan und alles, was drum und dran hängt. Hake mir nur bloß mal meine Bluse zu. Diese unglückseligen Dinger mit den Knöpfen auf dem Rücken.«

Ruth war in ihrer Entrüstung lauter geworden, als ratsam schien. Es kicherte irgendwo. »Ruth!« klang es mahnend; das war das Mutterle. Ruth legte die Hand auf den Mund und machte erschreckte Augen.

Mutter Rümelin betrachtete sich dann ihre beiden Balldämchen. Ruth strahlte sie an aus blitzblauen Augen; sie hatte sich einen schneeweißen Lilienkelch ins Blondhaar gesteckt, auch am Halsausschnitt und Gürtel Lilien angebracht, was zu dem duftigen Zartblau des Kleides sehr niedlich aussah.

Kiku war in Weiß, schlicht, ohne Blumen. Es paßte zu ihr und Mutter Rümelin strich ihr beifällig über die Wangen.

»Ein bißchen rosiger sind sie schon. Nur so weitergemacht, mein Töchterchen!« Kiku haschte ihre Hand und küßte sie.

Eine kleine Musume aus dem Dorf – so heißen die jungen Mädchen in Japan, eigentlich bedeutet es »Tochter«, »Töchterchen« – trippelte durch den Garten und sandte scheue Blicke nach allen Seiten. Da sah sie Kiku und eilte auf sie zu. Sie warf sich vor ihr zur Erde und brachte sichtlich eine Botschaft; keine gute wohl, denn sie sah traurig aus.

Kiku hörte aufmerksam zu, fragte und ließ sich berichten. Dann wendete sie sich zu Frau Rümelin. »Mich müssen Dorf gehen; sein arme alte, kranke Frau, mich brauchen. Müssen furchtbar leiden. Mich nicht können tanzen jetzt.«

»Aber, Kind, könnte denn nicht ein anderer –? Der Arzt –

»Mich müssen gehen. Haben versprochen.« Sie war schon eine kleine Strecke mit der Musume davongeeilt. Jetzt begriff Ruth erst. »Kiku, aber Kiku! Du störst mir ja das ganze Vergnügen!«

»Was sein Vergnügen von eine Stunde, wenn arme alte Frau müssen sterben?« Kiku war schon außer Rufweite. Dort eilte sie hin in ihrem weißen Kleid, das einem ganz anderen Zweck hatte dienen sollen, als dem, bei einer alten Frau am Sterbelager zu sitzen.

»Daß das auch gerade heute kommen muß!« schmollte Ruth.

»So ist das Leben, Kind.« Mehr sagte die Mutter nicht.

In Ruths Freudenkelch war aber ein bitterer Tropfen gefallen. Vorläufig schmeckte sie ihn freilich nicht; der Becher der Lust schäumte und war süß. Vom Ballsaal her tönten Walzerklänge. Eine Abordnung kam, Ruth zu »ihrem« Ball zu holen. Ihr junges Gesicht glühte und leuchtete; Kiku war vergessen, und was sie fernhielt.

Wie eine junge Königin im Triumph hielt sie ihren Einzug. Herbert Norten überreichte ihr einen Lilienstrauß. Ruth lachte ihn an.

»Sie haben von meinen Lilien gewußt, guter Kamerad? Gestehen Sie!« Sie wies nach den am Anzug befestigten. »Wie gut der Strauß paßt!«

»Es gibt Leute, die können kein Geheimnis wahren.«

»Hat Mutterle geplaudert? Kiku? Oder das Vaterle?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nur die haben es gewußt und – und ich,« behauptete Ruth.

»Drum eben!«

»Ich habe doch nichts verraten?«

»Wer fragte mich denn, ob Lilien zu Blau hübsch stehen? Wer sagte gestern: ›Lilien muß ich aber noch mehr haben, Mutterle, rein weiße; du weißt schon warum‹. Wenn man nicht hoffnungslos auf den Kopf gefallen ist, muß man das verstehen.«

»Und das ist Ihres Vaters Sohn nicht?« Der Schalk sprühte ihn aus ihren schelmischen Augen an.

»Mein Vater hat drei Söhne. Es könnte ein Dummkopf darunter sein.«

»Was wir nicht annehmen wollen, zur Ehre der Familie! Wieviele Walzer wollen Sie?«

»Alle!« Er blieb sehr ernst.

»Nur?« rief Ruth belustigt. »Es gibt sehr bescheidene Menschen auf dieser Erde.«

Der Saal war wundervoll mit Blumen geschmückt. Kaum eine Wand war frei. In riesigen Vasen, auf Ständern, kurz wo sich Blumen anbringen ließen, waren sie verteilt. Dazwischen Farnbüschel und Zweige von der immergrünen Eiche, lange Bambus- und Graswedel. Es sah zauberhaft schön aus.

»Der Tanzsaal war wundervoll mit Blumen und riesigen Farnwedeln geschmückt.«

»Wie ein Märchentraum,« jubelte Ruth glückselig, als sie den Tanzraum betrat.

Der kleine Herr Meier stand vor ihr. »Mir müssen Sie den ersten Walzer gewähren. Ich habe die gute Idee gehabt und muß belohnt werden.«

»Das sollen Sie auch; der gute Kamerad erlaubt es gewiß. Er ist nämlich schon auf alle Walzer abonniert, sehen Sie.«

»Dann trete ich selbstverständlich zurück.« Der Ton klang sehr verletzt.

Ruth sah den kleinen Meier mißbilligend an. »So seien Sie doch nicht –« fast hätte sie albern gesagt, besann sich aber noch beizeiten – »ich meine komisch. Wer zuerst da ist, mahlt zuerst! Konnte ich denn wissen, daß Sie gerade den Walzer wollten?«

Der kleine Meier war versöhnt, der gute Kamerad trat Ruth ab und der Ball konnte beginnen. Eine ältere Dame hatte sich zum Klavierspiel erboten; unter ihren Händen klang setzt ein flotter Straußscher Walzer.

Ruth seufzte vor Wonne. Übrigens erfreute sich der kleine Meier nicht lange seiner Dame. Kaum stand er nach ein paar Runden still, verneigte sich ein anderer Tänzer vor Ruth und so ging's weiter, bis die Tour zu Ende war.

Ruth glühte und der kleine Meier machte ein langes Gesicht.

Er wollte sich beklagen, da sagte Ruth mit ihrem liebenswürdigsten Gesicht: »Aber, Herr Meier, Abwechslung ist doch angenehm.« Da wußte der arme Herr nichts weiter zu sagen.

Noch einer schmollte; das war der gute Kamerad. Als der zweite Walzer kam, zögerte er sehr lange. Ruth sah zu ihm hin. Ob er's vergessen hatte? Noch immer stand er; da eilte sie quer durch den Saal auf ihn zu.

»Wir tanzen doch diesmal zusammen, nicht?«

»Wenn Sie befehlen. Ich konnte nicht wissen, was Gnädigste bestimmen.«

Ruth sah ihn verwundert an. »Puh,« sagte sie, »dies Gesicht steht Ihnen gar nicht. Wenn Sie wüßten, wie viel netter Sie sonst sind.«

Da mußte er lachen. Jetzt hatte Ruth gewonnenes Spiel, und nutzte es aus. Wie sie »ihren« Ball genoß! Über ihr Tanzen war sie selbst erstaunt. Das war ein bei dieser Gelegenheit neu entdecktes Talent. Sie schwebte wie auf Wolken und lachte nur, wenn sie die anderen sich Kühlung zufächeln und ruhen sah.

»Die lieben Siebzehn,« sagte Frau Metten, eine niedliche junge Kaufmannsfrau, zu ihrem Partner, dem Hauptmann in Zivil. »Wer auch noch mal so vergnügt sein könnte!«

»Ich lobe mir ein vernünftigeres Alter,« antwortete der.

Sehr bald ließ der allgemeine Eifer nach. Zwei Touren durch war nun schon Ruth fast die einzige Tänzerin gewesen. Sie schmollte.

»Aber seien Sie doch nicht so gräßlich faul,« mahnte sie die ihr zunächst Befindlichen. »Tanzen ist doch wonnig und wer weiß, wann es wieder an uns kommt! Damentour!«

Dies brachte noch einmal etwas Leben in die ebbende Laune. Die Damen beeilten sich, ihre Tänzer zu holen. Ruth griff nach einer Blume und befestigte sie dem kleinen Meier, den sie als ersten Partner wählte, im Knopfloch. »Dies anstatt eines Ordens,« sagte sie liebenswürdig. »Sie verdienen einen erster Klasse; leider habe ich nicht mehr zu vergeben.«

Der kleine Meier strahlte; er fühlte sich für alle Mühen belohnt.

Ruths Beispiel fand Nachahmer; lachend wehrten sich die Herren gegen den erdrückenden Blumensegen. Es sah komisch aus und erregte laute Lust.

Aber dann verschwand ein Teilnehmer des Balles nach dem anderen. Ruth sah es mit Trauern.

»Noch einen Walzer!« flehte sie bei der Dame am Klavier. »Ich muß mit Vaterle tanzen.«

»Weil nichts Besseres mehr da ist?« sagte der schmunzelnd. »Ich werde mich sehr besinnen.«

»Weil das Beste zuletzt kommt, Vaterle,« antwortete der Schalk. Da legte er den Arm um sein Töchterchen und Ruth behauptete dann immer, wenn sie auf »ihren« Ball zu reden kam, das sei doch das Allerschönste gewesen.

Herr Überle beanspruchte noch sein Teil von der »Königin des Balles«, wie er Ruth nannte, und das war dann das Letzte. Man trennte sich für die Nacht.

Ruth schlenderte noch ein Weilchen mit dem Mutterle im Garten herum. Da war es das erste Mal, daß sie wieder an Kiku dachte. Sie erschrak fast. »Ich habe ja Kiku ganz vergessen über all der Lust, Mutterle! Ist das nicht schmählich?«

»Vor einer Stunde war ich in eurem Zimmer; sie ist noch nicht da. Ich habe Auftrag gegeben, daß nach ihr geschickt wird.«

»Mutterle, du gutes! Daß du trotzdem daran gedacht hast!«

»Wenn du mit dem Trotzdem deinen Ball meinst, ist das doch nicht verwunderlich,« lautete die Antwort. »Mir galt er nicht.«

»Ich habe an nichts mehr gedacht, als an Tanzen und Freuen; ich schäme mich. Was hilft wohl dagegen?«

»Ein bißchen guter Wille einstweilen und dann noch ein paar Jährchen mehr,« sagte die Mutter und strich ihrem Kind über den jungen Scheitel. »Geh du schlafen; ich warte auf Kiku.«

Ruth wollte widersprechen, aber die Augen fielen ihr fast zu. Das Mutterle brachte sie zu Bett, wie in den Kindertagen.

Im Traum musizierten aber die Engelein und Ruth tanzte mit ihnen im Himmelsraum. Das war ein seliges Tanzen.

Als Ruth sich am Morgen gähnend die Augen rieb und diese gar nicht aufgehen wollten, da kam mit einem Male ein Gedanke, der sie aufscheuchte. Kiku! Wo war Kiku?

Deren Bett stand leer, unberührt. Also war Kiku die ganze Nacht nicht dagewesen! Ruth wurde ganz wach, fuhr aus dem Bett mit beiden Füßen, in die Kleider wie der Wind. Sie eilte in den Garten und überlegte – nein, sie überlegte eigentlich gar nicht; sie lief nur in derselben Richtung, in der sich am Abend zuvor Kiku mit der kleinen Musume entfernt hatte. Irgendwie würde sie die Gesuchte ja doch finden; zu groß war das Dörfchen nicht.

Es mußte noch früh sein; Ruth hatte nicht nach der Uhr gesehen. Es waren noch keine Gäste im Garten. Oder schliefen sie heute länger wegen des Balls? Ein heller Schein lief beim Erinnern über Ruths Gesicht.

Als sie in der Dorfstraße anlangte, war es auch da noch sehr still. Die meisten Häuser zeigten noch ihr Nachtgewand, das heißt, die Holzladen waren rings vorgelegt, so daß jedes Haus aussah wie eine geschlossene Schachtel. Verwundert schaute Ruth sich um. Wie ausgestorben schien alles.

Nein, dort glimmte hinter einer Papierwand ein Lichtschein in das Frührot des Tages. Da waren die Holzladen nicht vorgelegt. Wie Ruth näher kam, hörte sie Stöhnen und Ächzen und eine weiche, tröstende Stimme, die zuredete – Kikus Stimme.

Ruth eilte auf die Galerie des Häuschens und schob die Wand sachte zurück. Auf einem ärmlichen Lager in der Ecke lag eine Gestalt. Kiku, noch immer in ihrem weißen Kleid, hockte auf dem Boden und stützte den Kopf der Stöhnenden. Weich und erbarmend klang ihre Stimme.

Die Wand knarrte, als Ruth sie zurückschob. Ein Schrei gellte durch den Raum; die Gestalt auf dem Lager hatte sich aufgerichtet. Es war ein altes, elendes, fast zum Gerippe abgezehrtes Weib; beide Arme streckte es abwehrend gegen Ruth aus und Schrei gellte auf Schrei.

Ruth wich entsetzt zurück. War das eine Verrückte? Oder was war mit dem Weib? Sie faßte es näher ins Auge. Aber – war das nicht – ja, das war sie – die alte Sada! Ruth erkannte sie jetzt genau.

»Es ist Sada, Kiku, die uns die kleine Iris gestohlen hat! Diese schreckliche Person. Was tun wir nun, Kiku?«

»Sein arme sterbende Frau. Tun nichts Schlimmes mehr.«

Die Kranke lag wieder regungslos still. Ein Wimmern drang aus ihrem Mund, das immer jammervoller klang. Dazwischen klagende, flehende Worte.

Kiku lag wieder neben ihr auf den Knien. »Sie sagen, nicht können sterben, ehe wissen, wo klein Mädchen sein. Ihr so sehr lieben. Sie auch sagen, nicht können sterben, ehe fremde Frau vergeben haben. Sie sein so elend, Ut; du nichts wollen für sie tun? Sein arme alte Frau. Nicht können Seele aus Leib lassen, ehe sein in Frieden. Du nichts können tun?«

»Sie hat die arme Frau Klara beinahe in den Tod getrieben, Kiku.«

»Haben es getan, weil wollen kleine fremde Kind, das so lieben, mit zu ihre Götter nehmen, sie sagen. Wir nicht sollen sein hart mit Mensch, was müssen sterben.« Ein Vorwurf lag in Kikus Stimme.

Scheu sah Ruth nach dem Lager. Die Augen der Ärmsten glühten in dem eingefallenen Gesicht und ließen nicht von ihr.

»Was – was könnte ich tun?« kam es zögernd.

»Sie sagen, du ihr sollen Hand geben und verzeihen, daß dich haben so geschlagen damals bei Feuer.«

»Ich vergebe ihr von Herzen.« Ruth trat ans Lager und faßte die alte welke Hand. Tiefes Erbarmen fühlte sie, und ein anderer Gedanke kam ihr. »Wenn ich Herrn Überle brächte? Er verzeiht ihr gewiß, wenn er die Arme sieht, und sie stirbt ruhig. Soll ich, Kiku?«

Die beugte sich über Sada und sprach zu ihr. Ein Krampf schien durch das Weib hinzugehen, aber dann lag es ganz still. Es war, als ob eine linde Hand ihr übers Gesicht gestrichen habe.

»Sie sagen, du Kwan-on selber sein. Du schnell machen, sonst kommen zu spät.«

Wenig später stand Ruth vor Herrn Überle, der eben aus seinem Zimmer kam. Atemlos war sie. »Sie stirbt, die alte Sada; verzeihen Sie ihr!«

Herr Überle traute seinen Ohren nicht. Ruth berichtete in fliegender Hast. Stumm stand Herr Überle; er kämpfte mit sich. Sein Groll wollte siegen; Ruth erkannte es an seinen Blicken.

Da faßte sie seine Hand und sah ihn flehend an. »Mir zuliebe! Es würde mich mein Leben lang quälen, wenn ich der armen Sterbenden den versprochenen Trost nicht hätte bringen dürfen. Tun Sie's mir zulieb!«

Sie zog seine Hand durch ihren Arm und führte ihn fort. Wider Willen ließ er's geschehen. Er konnte sich nicht zwingen, nein zu sagen. Er dachte an Weib und Kind daheim, die er in einen ruhigen Hafen retten durfte, trotz allem und allem, und sein Herz wurde weich. Wie feines, zartes Glockenläuten klang es zu ihm aus ferner, ferner Zeit: »Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen,« und er hörte eine Stimme, die seiner Mutter: »Sechs Bube hab' i; der Fritzle hat aber des beschte, beschte Herz von alle.« Das beste, beste Herz! Sollte das Leben es so hart gemacht haben?

Die alte Sada starb getröstet. Ein Gönner zahlte ihre Begräbniskosten.

»Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch beleidigen.«

Auch dieser Spruch höchster Menschenliebe, den der Mund der Barmherzigkeit und Milde in Person vor nahezu zweitausend Jahren ausgesprochen hat, klang in Herrn Überles Herzen wie weihevolles Glockentönen. – – –

»Nach dem See von Hakone müssen wir, ehe Überle geht. Wie wär's mit morgen?« Der Herr Regierungsrat fragte es am Nachmittag.

»Aber für übermorgen ist doch der Ausflug auf den Fudschiyama geplant. Wird es nicht zu viel?« versetzte Frau Anna.

»Zu viel? I wo! Ich habe Bärenkräfte.« Das war Ruth.

»Was die Hauptsache ist,« erwiderte der Vater trocken. »Ich möchte die Mamsell aufmerksam machen, daß für den Fudschiyama auf sie nicht gerechnet wird.«

»Bloß Herren! Es ist viel zu anstrengend für Damen.«

»Puh,« seufzte Ruth und senkte die Nase. »Übrigens bin ich noch keine Dame.«

»Einerlei,« sagte der Vater in einem Ton, der alles weitere abschnitt. Ruth kannte dies und richtete sich danach. »Also der See!« rief sie lustig und war schnell getröstet.

»Morgen denn und wir schieben den Fudschiyama. Recht so?«

Alle stimmten dem Herrn Regierungsrat zu, auch die Sonne, denn die stand am anderen Morgen golden klar am Himmel. Es mußte sehr früh aufgebrochen werden; der See lag weit entfernt. Um fünf Uhr gab der gute Kamerad, wie verabredet, das Kasernensignal zum Aufstehen, das er durch die vorgehaltenen Hände schmetterte. Im leichtgebauten Hause klang's von einem Ende zum anderen. Manch einer verwünschte ihn, legte sich dann aber sehr befriedigt aufs andere Ohr.

Auch Ruth tat es, die schlaftrunken aufgefahren war. Sie stieß nach Kiku, die sie ermuntern wollte.

»Laß mich – wirst du mich lassen? Ich schlage aus!«

Kiku lachte, Ruth kam nun zu sich und war alsbald auf den Füßen.

»Sei nicht böse, gelt? Das Wecken hat meines Vaters Tochter noch nie recht vertragen können.«

Schnell waren sie fertig und noch die ersten an Ort und Stelle. Ruth frohlockte. »Faulpelz!« damit empfing sie den guten Kameraden, der alsbald erschien. »Murmeltier!«

»So, wer hat denn geweckt?«

»Sie waren das?« Ruth tat erstaunt. »Solch ein sträflicher Lärm!«

Dann kamen die anderen alle; es wurde gefrühstückt.

Eine richtige Karawane stand vor der Tür, ebensoviele Tragsessel auf langen Bambusstäben, als Personen in der Gesellschaft waren, zu jedem Sessel vier Burschen, ihn zu tragen.

»Uijeh,« jubelte Ruth, »solch ein Gefolge! Wie beim Mikado! So nobel ist die Ruth Rümelin noch nicht ausgezogen.«

Ihr lustiges Gesicht mochte die Träger anziehen wie der Honig die Wespen. Drei Sessel standen zugleich vor ihr; alle zwölf von der Bemannung dienerten und grinsten einladend. Ruth lachte.

»Wen mache ich nun glücklich?« Dann trat sie rasch entschlossen zum nächsten. Die vier, die ihn bedienten, strahlten, plapperten und dienerten.

Kiku, die zunächst ihren Sessel bestieg, übersetzte: »Sie sagen, du Sonne in Haar haben. Soll Sonnenhaar ihnen Glück bringen.«

»Ruth Sonnenhaar,« neckte Herbert Norten. »Das erinnert mich an die Tage der Kindheit und des ›Lederstrumpfs‹.«

»Ich habe für diese Geschichten geschwärmt,« erklärte Ruth. »Am liebsten wäre ich unter die Indianer gegangen.«

Alle waren nun auf den Sesseln untergebracht, dazu die Körbchen, die den Mundvorrat des Tages bargen. Die niedlichen bunten Dienerinnen halfen dabei schäkernd.

»Los!« befahl der Herr Regierungsrat, und die Karawane setzte sich in Trab. Es winkte jemand vom Hause her, das heißt, man sah aus einer Ritze der Wand ein Riesentuch flattern. Irgendwer mußte hinter den nur in einem Spalt geöffneten Wänden stehen. Ruth ließ ihr Tüchlein als Gegengruß wehen.

»Es ist gewiß der kleine Meier,« sagte sie mitleidig, »er wäre so gern mitgekommen, seht ihr. Armer Mann!«

Die Träger stiegen nun unermüdlich aufwärts. Bald lag das grüne, lachende Tal des Hayagawa dahinten; man gelangte auf ein ziemlich trostloses, kahles, felsiges Plateau. Mit Felsbrocken war es bestreut; zwischen ihnen hin führte der Weg.

Ruth hatte die Nase gerümpft, seit das grüne Tal immer mehr verschwand und dieser grauen Öde Platz machte. Sie erhob sich in ihrem Sessel und spähte umher. Was sie sah, erfreute sie nicht.

»Ermüdend eintönig!« rief sie mißbilligend. »Und um so etwas kriecht man vor Tau und Tag aus den Federn, bildlich gesprochen? Nee, das habe ich mir anders gedacht! Und seht nur mal da drüben die Dämpfe; dort scheinen sie gründlich Waschfest zu feiern. Es riecht auch recht sonderbar.«

»Sein Ashinoyu,« erklärte Kiku. »Sein Schwefelquelle, was du riechen. Viele, was nicht können gehen, kommen zu baden hier.«

»Puh,« rief Ruth und hielt sich die Nase zu. »Das ist ja einfach nicht auszuhalten!«

Ganz unrecht hatte Ruth nicht. Ein atemberaubender Geruch lag über der ganzen Gegend, die wie in dichten Nebel gehüllt war. Die zahlreichen Schwefelquellen und Sümpfe hauchten giftige Dünste aus. Für die Europäer war es eine schier unerträgliche Luft. Der Badeort Ashinoyu war aber doch gefüllt mit rheumatischen Kranken, die dort Heilung suchten.

Die Rümelin und ihre Gesellschaft wollten nur kurze Rast in einem der Hotels machen, hauptsächlich der Träger wegen.

»Man könnte sich dabei auch einmal die Badeeinrichtungen ansehen,« sagte der Herr Regierungsrat. »Es wäre wohl interessant.«

»Wovon ich dir aber doch lieber abraten möchte,« erwiderte Herr Überle und machte dazu ein sonderbares Gesicht.

»Weshalb?« fragte der Freund.

»Die Japaner haben darin wie in so vielem von den unseren ganz verschiedene Ansichten. Es gibt nur allgemeine Badehäuser, wo alle baden, ohne Unterschied des Standes und Geschlechts. Sonderbar aber ist, wie heiß sie das Wasser vertragen; sie lassen sich mit Wonne krebsrot brühen, bei einer unglaublichen Temperatur. Du kannst dir die Besichtigung wirklich sparen.«

»Schade,« rief Ruth. »Dann hätte man doch noch etwas von dieser lieblichen Luft genossen. Laß uns aufbrechen, Vaterle; es ist einfach greulich hier.«

Alle dachten gleich, nur Kiku war sehr erstaunt, auch darüber, daß man die Bäder nicht besichtigte. Sie war in den Begriffen ihres Volks erzogen und konnte sich in denen ihrer Freunde nicht gleich zurechtfinden.

Die Karawane setzte sich also wieder in Bewegung. Die Herren gingen zwar zu Fuß weiter, denn nun kamen steile Strecken, die so besser zurückzulegen waren, wollte man die Kräfte der Träger nicht übermäßig anstrengen. Über dasselbe graue Plateau ging es nun auf öden Bergwegen aufwärts, zwischen zwei steilen Bergkegeln hin. Trostlose Öde rings. Keine lebende Seele weit und breit, kein Haus, keine Spur menschlicher Nähe.

Ruth war lange schon abgestiegen, und ging mit den Herren. Das Mutterle und Kiku saßen allein noch. Die Frau Regierungsrat hatte auch aussteigen wollen; da hatte Kiku ein recht hilfloses Gesicht gemacht. Das Mutterle erinnerte sich nun, daß Japanerinnen schlecht zu Fuß sind, und blieb aus Rücksicht auf Kiku auch sitzen.

»Was ist das, Kiku?«

Ruth stand vor einem großen Götterbild aus Bronze, das, von hohem, dürrem Gras umwuchert, hier sich erhob, verlassen und vergessen.

»Ruth stand vor einem großen Götterbild aus Bronze.«

»Sein Dschizo, Gott der Kinder.«

»Aber wie kommt der hierher, da doch kein Tempel weit und breit ist?« fragte Ruth verwundert.

»Mich nicht wissen das. Sein viele Götter verstreut über ganzes Land, immer wo ganz einsam und still. Haben da heilige Männer gewohnt, was haben göttliche Bilder gemacht.«

»Einsiedler meinst du? Die gab es bei uns auch. Aber was leuchtet dort herauf, so klar und blau? Seht doch, seht, der See! Der See!«

Sie waren quer über das Plateau zu der jenseitigen Abdachung gekommen. Zu ihren Füßen leuchtete auf einmal ein Teil des Sees von Hakone.

Die Sesselträger waren stehen geblieben und bedeuteten durch Zeichen, daß die Herren wieder einsteigen sollten. Eine breite, gut gepflasterte Straße zog sich zu dem See hin.

»Das ist sicher der Tokaido, die alte Heerstraße des Landes,« sagte Herr Überle. »Seht, wie gut erhalten sie ist!«

»Und diese wundervollen Kryptomerien zu beiden Seiten,« rief das Mutterle.

»Wie ernste, alte Wächter sehen sie aus.«

»Pilger sollen sie gepflanzt haben, die wallfahrteten. Sie hatten den Göttern kein anderes Opfer darzubringen; da haben sie für die Generationen gesorgt, die nach ihnen wallfahrten kommen.«

»Wie schön,« sagte Ruth. »Mir gefällt dieser Gedanke sehr; es liegt etwas Eigenartiges darin.«

Kiku nickte ernst. »Für andere leben und sorgen, sein immer groß,« sagte sie.

Wie die Pferde, die dem Stall zueilen, setzten sich die Träger in einen kleinen Trab. Schnell war man durch das Dörfchen Moto-Hakone am südlichen Ende des Sees. Etwas außerhalb lag ein einladendes Teehaus, an dem sie Halt machten.

Seine Veranden waren auf Pfählen halb in den See gebaut und gewährten ein reizendes Bild auf die von Bergen umstandene blaue Wasserfläche. Im Hintergrund türmte sich der Gewaltige des Landes, der Fudschiyama, mit seinem schneegekrönten Gipfel.

»Herrlich, herrlich!« jubelte Ruth. »So schön hätte ich es mir da oben bei den Schwefeldämpfen nicht gedacht. Ende gut, alles gut!«

Auch die anderen waren entzückt. Man setzte sich auf die Veranda, die durch Schiebewände in kleine, nach dem See zu offene Zimmer geteilt war, bestellte Tee und kramte die mitgebrachten Vorräte aus. Ein lustiges Schmausen folgte. Die zauberhafte Schönheit der Umgebung nahm niemand den Appetit. »Eigentlich schade,« hatte Ruth zuerst schelmisch erklärt. »Hier müßte man vom Naturgenuß allein satt werden.«

»Billige Gegend,« rief Herr Überle lachend, »gefällt mir übrigens kein bißchen,« setzte er nach einer Weile stummen Schmausens hinzu.

»Wieso?« Ruth war kampfbereit. »Wer kann behaupten, daß es hier nicht himmlisch ist?«

»Ich meine das da.« Er wies auf ein paar kleine, unschuldig aussehende weiße Wölkchen, die plötzlich hinter dem Fudschiyama sichtbar geworden waren.

»Pah,« sagte Herbert Norten, »diese Lämmerwölkchen?«

»Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort!«

»Schiller, Wallenstein,« erwiderte Ruth lachend. »Wie aber geht's weiter, Herr Kamerad?«

»Bin ich gefragt?«

»Das schwer sich 'and'abt wie des Messers Schneide.«

War es Kiku, die das sagte? Alle lauschten starr, Herbert Norten sogar recht verlegen. Sollte ihn die Japanerin in der Kenntnis der Klassiker seines eigenen Landes überflügeln? Mißmutig sah er drein.

Harmlos lächelte Kiku ihm zu, Ruth aber sagte stolz: »Ich wüßte nicht einen japanischen Dichter zu nennen, geschweige denn etwas von ihm zu zitieren.«

»Und du rühmst dich dessen?« Mißbilligend sah das Mutterle die Tochter an.

»Behüte,« rief diese, »ich wollte bloß Kiku als Folie dienen. Je tiefer der Schatten, desto heller das Licht!«

»Sehr selbstlos,« neckte der gute Kamerad.

»Hab' ich nun recht oder unrecht?« Herr Überle wies auf die Wölkchen, die rasch zu Wolken geworden waren. Schon griffen sie mit den grauen Schattenarmen nach der Sonne, die sich ihrer aber noch siegend wehrte.

»Es wird ja nicht schlimm werden,« sagte der Herr Regierungsrat, der sich nicht gern einen Strich durch irgendeinen Plan machen ließ. »Brechen wir lieber gleich auf; die Bootfahrt möchte ich mir nicht entgehen lassen.«

»Hurra, das Vaterle!« rief Ruth. »Das hat er von mir!«

Man lachte und dann gab es ein Getümmel beim Aufbruch. Zum mindesten ein Dutzend bunte, zierliche Dienerinnen kamen mit an die Landungsstelle, den Gästen beim Einsteigen behilflich zu sein. Das war ein Schnattern, Lachen und Freuen ohne Ende.

Auf ihren Tragsesseln wurde die ganze Gesellschaft in die Boote gehoben. Ruth war erstaunt, ließ es sich aber gern gefallen. »Ich sag's ja; wie die Fürsten! Aber fein, was, Vaterle? Wie behagt's Euer Hoheit?«

Die Seeufer waren wundervoll. Berge rings, blumenbestickte Matten, bewaldete Wände; Schönheit, wohin das Auge sah. Unten das blaue Wasser, darüber – – ja, wo war der blaue Himmel hingekommen?

Sie waren wohl auf der Mitte des Sees. Da prasselte und rauschte es plötzlich sonderbar. Verdutzt sahen sie zum Himmel auf. Alles erschien grau in grau, und aus den Wolken fiel es wie leuchtende Fäden zur Erde; die ganze Luft war von dem nassen Gespinst erfüllt. Es regnete im buchstäblichen Sinn des Worts »Bindfaden«. In Japan pflegt der Regen oft mit solcher Wucht und Plötzlichkeit aufzutreten.

Die Gesellschaft suchte sich zu schützen, so gut es anging. Schirme nützen bei einem solchen Guß wenig, sind aber immerhin besser als gar nichts.

Der gute Kamerad hatte einen guten Gedanken. Er zog die Füße herauf und kauerte sich auf seinem Sessel zusammen unter den Schirm. Sein Handbuch schob er in die innere Rocktasche, es vor Nässe zu schützen; Ruth streckte ihm noch das ihre dazu hin. Sie machten alle gute Miene zum bösen Spiel, das beste, was man bei derlei Gelegenheiten tun kann.

»Wir werden aussehen wie gebadete Mäuse,« sagte Ruth. »Nur gut, daß niemand dem anderen etwas vorwerfen kann. Selbst die Herren in ihren weißen Anzügen haben keinen Vorteil vor uns voraus wie sonst wohl, wenn sie in Tuch stecken. Ich freue mich auf den Anblick nach dem Regen! Wer wohl den Vogel abschießt?«

Unaufhörlich goß es weiter. Das Mutterle wollte schon eine klägliche Miene machen, da verstummte das Rieseln und Rauschen so plötzlich, wie es gekommen war. Fast im selben Augenblick stand die Sonne Japans auch wieder am Himmel und übergoldete jeden Wassertropfen, daß es ein Blitzen und Leuchten war, vor dem man fast die Augen schließen mußte.

»Sol triumphator!« jubelte Ruth, und als Kiku sie erstaunt ansah: »Ja gelt, aber mein Latein ist damit auch zu Ende.«

Man war da angekommen, wo man landen mußte, um über die sogenannte »große Hölle« nach Myanoshita zurückzugelangen. Das Ufer war sumpfig; die Träger hoben daher die Gesellschaft in den Sesseln bis dahin, wo man festen Grund unter den Füßen hatte.

»Nun aber die Glieder gestreckt,« jubelte Ruth, »und das Gefieder geschüttelt! So muß es einem Pudel zumute sein, wenn er ein Bad genommen hat.«

»Ein netter Vergleich,« schalt die Mutter.

»Womit ich doch natürlich nur mich gemeint habe,« berichtigte Ruth vergnügt. Alle standen, reckten und schüttelten sich. Niemand hatte Lust, in den Sessel zurückzukehren, selbst Kiku nicht, die schon ein Endchen bergan gewatschelt war.

»Nehmen Sie mich mit, Fräulein Kiku,« rief Herbert Norten lustig, »hier wird nicht ausgekniffen!« In großen Sätzen eilte er hinter der Angerufenen her.

Als er sie erreicht hatte, drehte er sich wieder um.

Da erschallte aber ein tosendes, nicht enden wollendes Lachen. Aus vierundzwanzig Kehlen stieg es in die Luft. Alle Sesselträger stimmten ein.

Erstaunt standen Kiku und Herbert Norten.

»Wir lachen auch gern mit, wenn uns die Herrschaften gütigst gestatten.« Ein klein wenig gereizt sagte es Herbert Norten.

Ein erneuter Lachsturm folgte. »Haben Sie keinen Taschenspiegel!« rief Herr Merle.

Da war es Herbert Norten klar, daß er selbst den Stoff zur Heiterkeit lieferte. Er sah ahnungsvoll an sich hinunter. Da begriff er den Grund.

Die beiden Handbücher, die er vor dem Regen in Sicherheit hatte bringen wollen, vergalten seine Sorge übel. Der Regen hatte trotz des Schirmes seine Jacke durchdrungen und die Farbe der Bucheinbände aufgelöst; auf der rechten Brustseite prangte jetzt ein handtellergroßer blutroter Fleck.

»Ein bißchen Kohle noch und der gute Kamerad prangt in den Landesfarben,« jubelte Ruth. »Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!« Sie schmetterte es mit ihrer hellen Stimme hinaus und alle, die deutsch waren, vergaßen ihr Lachen; sie stimmten ein, selbst das Mutterle und der in den lieben Landesfarben Gezeichnete.

Die vierundzwanzig Sesselträger standen plötzlich stumm. Zu überwältigend war dieser für sie unmelodische nationale Ausbruch. Aller ihrer angeborenen Höflichkeit bedurfte es, einen erneuten Lachsturm ihrerseits zu verhüten. Welche Begriffe diese Barbaren von Europäern auch von Musik hatten! Vieles verstanden sie besser als die Söhne des Reiches der aufgehenden Sonne, nur von Musik hatten sie nicht die leiseste Ahnung! Arme Barbaren! Wer es verstand, konnte diese Gedanken von den Gesichtern der Träger lesen. Ruth tat es, jauchzte aber nur um so lauter: »Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang, sollen in der Welt behalten ihren alten guten Klang!«

Als der nationale Erguß vorüber war, ging es an ein Kraxeln und Klettern. Immer steiler wurde der Pfad, immer schroffer der Absturz zur Seite. Schwindelnde Abgründe taten sich auf, je höher man stieg; wilder und zerklüfteter wurden die Felsen. Wasser rauschten zu Tal. Dort sprang aus dem Fels eine heiße Quelle und hauchte giftigen Dampf aus. Eine Schwefelquelle! Dampf qualmte aus den Schründen; es brodelte und wallte dort unten. Wahrlich, die Gegend trug ihren Namen nicht mit Unrecht. Die wilde Bergeinsamkeit erfüllte mit Grausen; man glaubte sich zwischen all dem Dampfen, Brodeln und Brausen wie in einen Höllenpfuhl versetzt.

Längst saßen das Mutterle und Kiku wieder in ihren Sesseln; auch war den Durchweichten schon jeder Faden am Leibe wieder getrocknet. Ruth marschierte tapfer mit den Herren. Ihr war auf den schwindelnden Wegen, an den steilen Abgründen hin sicherer auf ihren eigenen zwei Füßen zumut. Schwindel kannte sie nicht; sie sah mit hellen Augen um sich. Nicht mit frohen, denn die Gegend bedrückte eher. Aus dem weichen Kalkboden drangen zeitweilig warme Quellen, deren Dampf alles umnebelte. Dann wieder kamen Felstrümmer, über die der Fuß nur mühselig weg kam.

So ging es lange weiter. Leise hatte sich schon ein kleiner Seufzer nach dem anderen über Ruths Lippen gestohlen. Zu einer Unterhaltung war der Weg auch nicht angetan. Die großartige Wildheit beklemmte jedermann.

Da jubelte Ruth, die ein paar Schritte vorgeeilt war, laut auf: »Der Hayagawa, Myanoshita! Nein, wie grün und wie schön!«

Alle hatten denselben Eindruck und atmeten befreit auf. Diese Wanderung durch das mit Schwefeldämpfen durchsetzte Gebiet war allen auf die Nerven gegangen.

Es gab einen fröhlichen Abstieg. Umsonst boten die Träger ihre Sessel zur Benutzung; keiner von den Herren und auch Ruth nicht konnten sich dazu entschließen. Ruth hüpfte allen voran, ja sie hatte noch Zeit, an der Berglehne Blumen zu sammeln. Sie ließ die Träger von Mutter und Kiku halten und schmückte diese, als ob es zum Blumenkorso ginge. Das Mutterle wollte dem »Unfug« wehren.

»Wofür sind wir im Lande der Blumen,« antwortete Ruth lachend. »Du mußt es dir schon gefallen lassen.« Und sie steckte winkende Lilien rings um das Mutterle.

Mit sinkender Sonne hielten die Rümelin wiederum Einzug in das Fuji-ya-Hotel, von den zurückgebliebenen Gästen lebhaft begrüßt.

»Gar zu still und langweilig war es ohne Fräulein Ruth,« rief Frau Metten. »Ihr Lachen hat uns den ganzen Tag gefehlt.« Alle stimmten bei.

»Danke,« erwiderte Ruth vergnügt, »wir wollen es nachholen,« und tat es den ganzen Abend weidlich.

Am anderen Morgen lag ein Haufen Briefe auf dem Frühstückstisch. Jeder von der Rümelinschen Gesellschaft fand etwas für sich, Liebes und Unliebsames.

»Ich muß leider schleunigst weg,« sagte Herr Überle mit Stirnrunzeln. »Sie scheinen mir da allerhand Dummheiten bei meinem Neubau gemacht zu haben. Am ersten September soll er dem neuen Besitzer übergeben werden; wenn ich Wort halten will, muß ich nach dem Rechten sehen. Es muß also geschieden sein.«

»In ein paar Tagen geht auch meine Frist zu Ende,« sagte Herbert Norten. »Ich hatte um Verlängerung des Urlaubs geschrieben, es ist aber nicht gestattet worden; hol's der Kuckuck!« Er war sehr unmutig.

Niemand schien zuzuhören. Vater und Mutter Rümelin waren selbst in Briefe vertieft; auch Kiku saß und las. Ruth war noch nicht da.

Eben schob sich die Wand mit viel Geräusch beiseite und Ruths Blondkopf erschien in dem Spalt.

»Mir auch etwas übrig lassen,« rief sie schon von fern, sah dann, womit die anderen so eingehend beschäftigt waren, erhaschte ihren Brief und saß alsbald ins Lesen vertieft wie alle. »Von Leni,« hatte sie noch gerufen, »schon wieder?« Das klang des tiefsten Erstaunens voll.

»Ruth lehnte sich auf den Tisch und begann zu weinen.«

Eine lange Pause, alle lasen stumm. Eben wollte Mutter Rümelin dem Gatten die Zuschriften ihrer Buben zuschieben und ihre Augen leuchteten dabei, da geschah etwas sehr Unerwartetes. Ruth warf die Arme über den Tisch, den Kopf darauf und weinte laut hinaus. Alle sprangen erschrocken auf. Kiku streichelte sie von der einen Seite, das Mutterle legte den Arm um ihr Kind. Die Herren umdrängten die Gruppe.

Aber Ruth weinte immerzu. Ihren Brief hatte sie gefaßt und ließ ihn nicht los, als das Mutterle danach greifen wollte.

»So sag doch nur, was du hast? – Von wem ist der Brief? – Du nicht müssen weinen! – Fräulein Ruth! Aber, Fräulein Ruth!« So riefen und sprachen alle zumal, erregt und besorgt.

Dem Vater wurde es endlich zu bunt. Sehr ernst sagte er: »Sprich jetzt, Ruth; du siehst, daß wir uns ängstigen. Benimm dich nicht länger wie ein Kind!«

Da geschah noch einmal etwas Unerwartetes. Sie sprang auf und ihre Augen blitzten. Den Brief ballte sie in einer Hand zusammen, machte Miene, ihn fortzuschleudern, und sprudelte zornig: »Das hab' ich nun davon! Bis ich heim komme, haben sie sich alle verlobt und dann kann ich zusehen, wo ich neue Freundinnen herbekomme! So 'ne alberne Geschichte! Ich hätte die Leni für klüger gehalten.«

Herr Überle ließ sich auf seinen Stuhl fallen, der Vater Rümelin desgleichen. Sie lachten hellauf.

Kiku und Herbert Norten sahen verblüfft drein, das Mutterle aber schalt: »Ist mir je ein alberneres Benehmen vorgekommen? Wird uns die Mamsell jetzt gefälligst mitteilen, um was es sich eigentlich handelt?«

»Die Leni hat sich verlobt mit dem Assessor, den sie in der Schweiz traf!«

»Und da tust du, als sei sie mindestens gestorben? Wie ist das zu verstehen?«

»Ich – ich – so 'ne Albernheit!«

»Wenn du dein Benehmen damit meinst, dann hast du recht,« erklärte die Mutter.

»Ach was, die Leni mein' ich! Was braucht die sich zu verloben? So 'n Kiekindiewelt! Wenn ich das nun hätte tun wollen?« Herausfordernd sah Ruth die Mutter an. Die mußte sich jetzt auf die Lippen beißen; der Vater und Herr Überle prusteten aufs neue los. Herbert Norten sah ungewiß drein.

»Dein Benehmen zeigt allerdings, daß du zu so etwas noch längst nicht reif wärest. Freust du dich denn kein bißchen?«

»Die Leni ist ein noch viel größerer Grünschnabel! Was braucht sie ohne mich so was anzustellen? Sie konnte warten, bis ich wieder da war! Nun weiß ich auch, was die albernen Gedankenstriche damals zu bedeuten hatten. Ich will's ihr schon noch stecken! Aber nett ist es doch, Mutterle, daß sie schreibt: Zur Hochzeit kommst du gerade recht. Mit der wollte ich warten, bis du da bist; das habe ich zur Bedingung gemacht. Hurra, fein wird's!« Jetzt strahlten Ruths Augen durch die Zornestränen.

»Die Sonne nach dem Gewitter,« sagte Herbert Norten neckend.

Da kam ein kleiner Donner als Nachzügler. Ruth fuhr ihn an: »Wäre es Ihnen einerlei, wenn Ihr bester Freund Ihnen eine solche Nachricht schickte?«

»Einerlei? Behüte! Ich würde mich riesig freuen, und ließe in Gedanken den folgenden leben, womit ich mich meinte.«

» Vivat sequens!« Herr Überle lachte.

»Was heißt das?« fragte Ruth.

»Was Herr Norten sagte: es lebe der folgende!«

»Also hat der auch solche Untaten vor?« fragte Ruth verwundert. »Das kann ja nett werden! Erst die beste Freundin, dann der gute Kamerad! Ich komme gar nicht in Betracht, wie es scheint.«

Da schob ihr Herbert Norten die Hand über den Tisch hinüber zu. »Machen wir einen Vertrag! Von uns beiden denkt keines ans Verloben, ohne es dem anderen vorher zu sagen, ja?«

Herr Überle lachte laut und das Vaterle konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, was ihn: einen verweisenden Blick von Frau Anna eintrug.

»Topp?« fragte der gute Kamerad, der seine Antwort noch nicht hatte.

Ruth fuhr sich übers Gesicht.

»Ei, da sollte ich am Ende erst Sie um Erlaubnis fragen?« rief sie. »Das überlege ich mir noch!«

Kiku brachte eine Wendung in das Gespräch. »Mich müssen heute noch gehen. Sein von Not daheim; Vater schreiben.«

»Ich gehe mit,« sagte Herr Überle. »Geteiltes Leid ist halbes Leid.«

»Und für uns doppelter Verlust,« schmollte Ruth. »Muß es sein, Kiku?«

»Vater schreiben es.« Mehr sagte Kiku nicht und Ruth wußte, was es für die Freundin bedeutete.

Bald schon standen die Kuruma bereit; der Abschied war da.

»Auf Wiedersehen in Stuttgart, Fräulein Ruth!« Damit schüttelte ihr Herr Überle die Hand. »Bei der Hochzeit!«

»Kennen Sie denn die Leni?« fragte Ruth sehr verwundert. Sie hörte aber nicht, was er antwortete, denn sie hielt Kikus Hand in der ihren. »Und grüß mir die liebe Haruko und sag ihr, daß ich mich auf sie freue!«

Dort fuhren die Reisenden hin. Vater und Mutter Rümelin winkten von der Veranda des Hotels, so lange sie sie sehen konnten. Ruth und der gute Kamerad gaben noch eine Weile das Geleite, bis dahin, wo der Weg zu steil abfällt. Da standen sie an der Berglehne zwischen den Lilien und winkten auch.

»Wie wäre es, wenn Sie mit nach Kioto kämen?« sagte Herbert Norten am anderen Tag beim Frühstück. »Es ist für Sie kein großer Umweg und ich könnte Ihre Gesellschaft noch ein paar Tage länger genießen.«

»Was ist dort zu sehen?« fragte Ruth.

»Kioto ist die alte Hauptstadt des Reiches. Der Kaiserpalast ist da und unzählige Tempel. Dabei ist es der Ort, wo altjapanische Kunst und altjapanische Art und Sitte, Leben und Treiben am meisten vertreten sind. Tokio ist international; in Kioto merkt man, daß man ganz in Japan ist.«

»Kann dich das nicht locken, Vaterle?«

»Ich will es mir überlegen.«

Der Herr Regierungsrat Rümelin entschloß sich, diese Gelegenheit zu nutzen, noch etwas von Land und Leuten kennen zu lernen. So kam es, daß der Aufenthalt in Myanoshita abgekürzt wurde. Sechs volle Wochen und drüber waren die Rümelin dennoch dagewesen und hatten sie sehr genossen.

In diesen Tagen zerbröckelte sowieso die Gesellschaft; andere Gäste kamen. Nur von wenigen Bekannten noch galt es für die Rümelin Abschied zu nehmen. Aber diese standen dafür um so trübseliger dabei.

Frau Metten faßte Ruths beide Hände. »Wie Sie wird kein Gast hier mehr lachen; selbst mein Brummbär war angesteckt.« Das galt ihrem Mann, der ihr drohte. »Ich vergesse Sie nicht! Die Welt ist rund; vielleicht sehen wir uns doch einmal wieder, Fräulein Ruth!«

»Wollen wir es hoffen,« erwiderte sie. »Aber bitte, sagen Sie nichts mehr; ich kann nämlich sonst die Tränen nicht halten und schäme mich gräßlich!«

Herr Meier hatte sich mit Blumen bepackt, was die Arme fassen konnten. Kaum daß sein blondes Jungengesicht dazwischen durchsah.

Auch der Wirt war mit Blumen da und eine Menge Dienerinnen. Der Blumenvorrat reichte aus, alle vier Kuruma der Reisenden zu schmücken.

»Kinder, da seh' ich ja aus wie ein Schützenkönig,« sagte Vater Rümelin, ließ es sich aber doch gefallen.

Noch viel freundliche Blicke, Händeschütteln hin und her, Dienern, Kichern, Plappern. Die Kurumaja zogen an und setzten sich in Trab. Ruth stellte sich aufrecht und ließ ihr Tuch wehen.

Dann verschwand zuerst das Fudji-Ya-Hotel mit dem Mettenschen Ehepaar, mit dem Herrn Meier und alle den freundlichen, kleinen, gelben Leuten, dem Wirt und den niedlichen Dienerinnen. Dann lag Myanoshita dahinten; der Hayagawa brauste zur Seite des Wegs in seiner steilen Schlucht.

Ruth setzte sich und sah recht nachdenklich vor sich hin. »Das wäre also eine japanische Sommerfrische gewesen,« sagte sie seufzend. »So bald blüht uns dergleichen nicht wieder!«

»Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften,« deklamierte Herbert Norten, der Ruths Seufzer gehört hatte.

»Schiller, Jungfrau von Orleans,« sagte Ruth. »Aber lassen Sie mich gefälligst ein bißchen in Frieden; ich muß, was ich empfinde, erst ausklingen lassen.«

Schweigend fuhren sie zu Tal, ein jeder mit seinen Gedanken und Erinnerungen beschäftigt.

 

Aus Ruths Gelegenheitsbuch.

Im Kioto-Hotel. Hier komme ich zum ersten Male auf der Reise an mein Büchlein. Aber ich habe es ja von vornherein gesagt, ich schreibe nur, wenn ich kann. Gestern ist der gute Kamerad abgereist; es hat mir leid getan. »Wir sehen uns wieder,« sagte er. Aber wer kann das im Leben sicher wissen?

Von Kioto möchte ich mir einiges gleich aufschreiben. Es ist eine interessante Stadt, urjapanisch! Ich mag das Straßenleben abends besonders. So lustig und froh! Das ganze Völkchen scheint auf der Straße zu leben. Alle Häuser stehen offen; bunte Laternen, wohin man sieht, frohe Mienen, Lachen, Samisen- und Kotogezupf, Gesang, oder was sie so nennen, bunte, kleine, vergnügte Mädchen spielende Kinder, rauchende Weiber, plaudernde Männer. Sie drängen sich in den Straßen, sitzen vor allen Häusern; Frohsinn, wohin man schaut, und die bunten Lichter machen alles festlich. Es scheint gar kein Leid hier zu geben, und die Menschen werden doch geboren und sterben, wie sie es überall tun.

Heute haben wir den Kaiserpalast gesehen. Fast ein Jahrtausend lang haben die Kaiser von Japan darin gehaust, ehe der große Bürgerkrieg sie nach Tokio brachte. Wie Gefangene waren sie hier. Ihr Volk sah sie nie; nur ihren nächsten Würdenträgern und Edlen wurde der erhabene Anblick gegönnt, der für gewöhnliche Sterbliche zu überwältigend gewesen wäre.

Und der Palast? Ein Haus aus Holz und Papier, wie alle anderen in Japan! Größer vielleicht, besseres Holzwerk, schön geschnitzte, reich bemalte Decken. In einem großen Raum eine Estrade, ein mit schwarzen Bändern behängtes, vergilbtes, weißseidenes Zelt, darauf – der Thron des Sohnes der Sonne, eines Sprossen des ältesten Herrschergeschlechts der Erde!! Kein Kunstwerk irgendwo. Alle Räume leer; nur die wundervollsten Matten auf dem Boden. Es gab dreißig oder vierzig solcher Räume. Einige hatten auch Malereien an den Wänden, Blumen, Tiere, hauptsächlich Vögel, ganz in der Art, wie man es auf japanischen Fächern sieht. Ich war enttäuscht. Wenn ich der Kaiser von Japan wäre, schaffte ich mir etwas mehr an. In Tokio wohnt er ähnlich, sagt das Vaterle. Für seinen Privatgebrauch hat er alles Japanische beibehalten. Das gefällt mir übrigens. Jeder muß auf sich und sein Land halten. –

Heute habe ich etwas gesehen, das ich gleich erzählen muß. Wir waren in dem Haupttempel der Shintosekte, der Higaschi-Hongwanschi heißt. Kioto hat Hunderte von Tempeln, Tausende und Abertausende von Buddha- und anderen Götterbildern.

Der Tempel selbst war ganz in der Art dessen, den ich mit Kiku im Uyenopark besuchte. Nur stand statt der Kwan-on ein Buddhabild da und in anderen Räumen andere Götter. Aber was ich erzählen wollte, ist das: In einem Hofe waren Arbeiter beschäftigt, bei der Fertigstellung eines Baues Balken an Seilen zu heben. Diese Seile waren sonderbar schwarz; in einer Ecke des Hofs lagen noch mehr davon auf Rollen gewickelt. Ich ging nah heran, sie mir zu betrachten. Sie waren von einem glänzenden, tiefschwarzen Material gedreht, das fast wie Haare aussah. Ein alter Priester kam herbei und bestätigte: es waren Haare, Frauenhaare! Beim Bau des Haupttempels waren beim Hochziehen der ungeheuren Balken viele Unglücksfälle vorgekommen, weil die gewöhnlichen Seile rissen. Da hatte ein Priester geweissagt, daß nur Taue aus Frauenhaaren stark genug seien, und – Tausende von Frauen hatten sich gefunden, die den Schmuck ihres Hauptes hingaben, das fromme Werk zu vollenden! Ob man das bei uns auch tun würde oder getan hätte? Ich kann es groß finden, aber nachmachen würde ich es nicht – wenn ich ehrlich sein will.

Wir waren heute in einem der ersten Geschäfte der Stadt. Dabei darf man nicht etwa an Läden mit Schaufenstern denken wie bei uns in Stuttgart in der Königstraße. Über ein paar Stufen tritt man von der Straße her in einen offenen Raum und auf den Matten stehen und liegen in Haufen die Waren. Das heißt, das Feinste haben sie weggepackt und zeigen es einem erst, wenn sie merken, daß man Interesse dafür und Lust zum Kaufen hat.

Auch hier kommen kleine Musume und werfen sich vor einem zur Erde. Dann bringen sie Tee und man muß trinken. Wir haben alles angesehen, Schätze von Brokat, Samt, Seide, Bronzen, Email und Lack. Wir haben denn auch allerhand eingekauft, für die Freunde daheim. Jetzt dürfen wir daran schon denken! Vaterle hat sich ein paar Kakemono mitgenommen, Mutterle ein Teeservice und ich eine entzückende kleine Schale aus Email. Wir alle wollen doch auch selbst etwas zum Andenken haben!

In einem der Ateliers waren wir auch, wie sie hier zu Hunderten sind, denn Kioto ist die Stadt der Kunst und des Kunstgewerbes. Da hockten die kleinen Männchen am Boden und stellten mit Pinseln, Tusche und Farben die entzückendsten, duftigsten Bildchen her. Es ist überhaupt wunderbar, mit welcher Liebe, welchem Fleiß in Japan der kleinste Gebrauchsgegenstand ausgestattet wird.

Unsere Tage in Kioto sind gezählt. Morgen geht es heim. Huijeh, ich sage heim und meine Tokio! Wenn das die Leni wüßte! Leni, die Braut! Ich kann mich an den Gedanken noch gar nicht gewöhnen. Wie ihr Zukünftiger aussehen mag? Ob er mir gefällt? Aber ich freue mich doch und wünsche ihr das Beste. Bloß – – ich wäre gern dabei gewesen! –

Gestern sind wir heimgekommen.

Ich habe Kiku gesehen und – – nun eine große Neuigkeit! Haruko, die liebe Haruko hat einen Sohn! Es herrscht große Freude im Hause Matsuka. Gerade wie bei uns freuen sie sich hier mehr über die Geburt eines Buben als über ein armes kleines Mädel. Ich finde das sehr ungerecht. Kiku hat mir gesagt, daß ich am siebenten Tag mit ihr hingehen darf. Da geben sie dem Kindchen einen Namen.

Heute war der vereinbarte Tag. Kiku holte mich in ihrer Kuruma und wir fuhren zu Haruko. Ich trug den Kimono wie bei der Hochzeit; ich hatte von selbst daran gedacht und Kiku war sehr einverstanden. Es waren schon viele Freunde da; die Damen standen in einer Gruppe und ein Bündel ging von Hand zu Hand. Alle lachten und schienen sehr vergnügt. Das Bündel kam auch an mich. Was war es? Harukos Erstgeborener! Putzig schon in einen Kimono gehüllt, wie ihn die Alten haben. So etwas Drolliges! Ich wagte kaum den Erbprinzen zu berühren und Kiku nahm ihn mir ab. Wir trugen ihn zu Haruko, die mir strahlend entgegensah.

»Was sagen du?« Solch ein Stolz lag in der Frage. Ich versicherte, der Knirps sei reizend. Die Lüge – denn es war eine – wird mir hoffentlich nicht angerechnet. Was hätte ich der stolzen Mutter anders sagen sollen? Das kleine, verhutzelte, gelbe Kerlchen war nämlich eigentlich häßlich. Herr Oto Matsuka hatte zum Glück keine Zeit, auch einen Lobspruch über seinen Erbprinzen zu verlangen. Er hatte anderes zu tun; er mußte ihm den Namen beilegen. Erst aber kam noch ein Barbier, der dem Kind den winzigen schwarzen Flaum vom Kopf rasierte und nur zwei putzige Flecke stehen ließ, wie kleine Oasen in der Wüste. Den kahlen Schädel mit den kleinen Haarschöpfen behalten die Kinder, bis sie zur Schule kommen. Es sieht drollig aus. Nun nahm Herr Oto Matsuka den Kleinen auf den Arm.

Er sagte etwas laut und feierlich, das ich nicht verstand; auch vergaß ich, es mir übersetzen zu lassen. Die Hauptsache begriff ich aber: der Knirps heißt Kentaro Inazo Oto Matsuka! Ein großer Name für ein so kleines Ding! Es muß eben in diese Größe erst hineinwachsen. Sie reichten nun das Bündelchen wieder rundum und jedermann herzte es. Viel Lachen und Schäkern und Plappern gab es dabei.

Nun brachte jeder Anwesende ein Geschenk. Die seltsamsten Dinge sah ich: Stoffe, Kleidungsstücke, Kakemono, alte Waffen, Bücher, Spielzeug, ja Lebensmittel, besonders Eier. Es häufte sich immer mehr. Der kleine Weltbürger von sieben Tagen hatte schon einen tüchtigen Ballast im Leben.

Kiku seufzte, als ich ihr das lachend sagte. »Arme Haruko, müssen viele Kuchen backen!«

Nach dreißig Tagen wird nämlich der Kleine in einen Tempel getragen, die religiöse Weihe zu erhalten, und da werden von den Eltern alle erhaltenen Geschenke mit zierlich verpackten Kuchen erwidert.

Das Festmahl, um das wir uns auf die Matten hockten, bestand aus Reis und roten Bohnen. Wir blieben nicht lange und gingen bald heim. –

Es ist mittlerweile Weihnachten geworden. Mein letztes Fest, mein letzter Winter in Japan! Mir kribbelt's nun doch in allen Gliedern, wenn ich an die Heimkehr denke. Unsere Buben schreiben glückselig, Georg aus Tübingen, wo er seit Herbst ist, und Erich von daheim. Der Professor ist noch immer sehr zufrieden und das Mutterle preist ihre Buben in allen Tonarten. Die Ruth Rümelin könnte eifersüchtig werden, wenn sie nicht selber stolz auf die Schlingel wäre. Das aber nur ganz unter uns.

Habe ich erzählt, daß der gute Kamerad schon wieder im lieben Deutschland ist? Er fand damals im Herbst, als er nach Osaka kam, Briefe vor, die ihn abriefen. Sein Vater war krank; er reiste schleunigst ab. Uns schrieb er nur ein paar Zeilen. Seitdem ist sein Vater gestorben. Wir erhielten die Anzeige.

Heute kam ein Brief von ihm, ziemlich trüb gehalten. Er übernimmt die Fabrik, da er der Älteste ist. Der zweite Bruder ist Offizier und der Jüngste studiert. Der gute Kamerad sagt, das Schicksal habe ihn schneller festgenagelt, als ihm lieb sei; er hätte gern noch ein Teilchen von der Welt gesehen. Seine Mutter flehe ihn aber an, zu bleiben, und er müsse ihr den Willen tun.

Er will uns in Stuttgart besuchen, schreibt er, sobald wir daheim sind. Daheim! Wie das lautet, wenn ich bedenke, daß wir jetzt im Januar stehen und im Mai schon reisen werden! –

Wir sind im Februar. Heute kam Kiku strahlend zu uns; sie hat ein Examen bestanden, welches, weiß ich nicht. Sie hat es glänzend bestanden und wird jetzt vorerst in einer Klinik eintreten, deren Besitzer sie darum bat. Ihre Studien vollendet sie dann später. Ich werde wenig mehr von ihr sehen. Ihre Zeit in der Klinik ist voll ausgefüllt. Auch von Haruko habe ich wenig; sie geht in ihren Pflichten auf. Der kleine Kentaro Inazo Oto gedeiht gut. Er hat ein dickes, rundes Gesicht jetzt und seine Schlitzäugelchen sehen vergnügt in die Welt. Haruko sagt, er sei das schönste Kind, das sie kenne. Die Mütter sagen das alle, von den Kaffern bis zu den Botokuden, von den Mexikanern bis zu den Sibiriaken. –

Im März. Ich bin recht allein. Wenn das Mutterle nicht wäre! Aber zuweilen möchte man doch auch was zum Ulken und richtig »jung« sein. Das Mutterle lacht gern, aber es muß wissen, warum. Das Lachen über nichts kennt es nicht, und mir kommt es so leicht. Das Mutterle sagt, dafür sei ich schon zu alt, und da habe ich mit Schreck nachgerechnet, daß ich ja wahrhaftig beinahe achtzehn Jahre alt bin! Schier gar eine alte Jungfer!

Wie gut, daß wir in einem Vierteljahr etwa daheim sind; ich brächte sonst am Ende graue Haare mit! Es ist nichts mit solch langem Fernsein aus der Heimat; ich gehe nie wieder weg. In Stuttgart lebe ich und sterb – – – »Ruth Rümelin, man muß nie zu positiv sein,« hat unser alter Geschichtsprofessor gesagt, wenn wir Fehler machten. Das war ein kluger Mann. –

April! Ich scheine nur noch alle Monat an mein Büchlein zu kommen. Wir stecken schon tief in den Reisevorbereitungen. In Rei–se–vor–be–reitun–gen!!! Wer mir nachfühlen will, was ich empfinde, indem ich das schreibe, der muß zuvor wie ich drei Jahre fern von der lieben Heimat gewesen sein! Ich meine, das Wiedersehen nicht mehr erwarten zu können; ich scheine von hier schon ganz gelöst und komme mir oft sehr undankbar vor. Aber viel trägt dazu bei, daß ich von Kiku und Haruko, die mir ihr Land lieb machten, jetzt wenig mehr sehe. Kiku hoffte, einen Urlaub von ein paar Tagen zu erhalten, um noch ein wenig mit mir zusammen sein zu können. Leider kamen schwere Fälle vor; sie kann in der Klinik nicht entbehrt werden. Sie sagte es mir mit leuchtenden Augen.

»Aber, Kiku, ich bin so betrübt; nun habe ich gar nichts mehr von dir!«

»Du nicht können fühlen, was für mich bedeuten, daß so von Not sein meine Arbeit?« Hätte ich ihr zürnen dürfen?

Das Mutterle scheint wieder jung geworden in der Vorfreude, und der Vater reckt die Arme, als ob er die Welt aus den Angeln heben wolle, und sagt aus dem tiefsten Herzen heraus im heimatlichen Dialekt: »I schaff doch lieber für mein König und mein Ländle. 's ischt nix, fort von derheim.«

So sind wir also alle mit frohem Herzen zur Heimkehr bereit. So schön es hier war, so viel Neues und Interessantes wir hier kennen lernten – es geht nichts über die Heimat, über das deutsche Land! –

Heute sind die Schiffsbillette gekommen. Das Mutterle und ich, wir haben damit einen Rundtanz um den Tisch ausgeführt, und wer dabei am tollsten gesprungen und am lautesten gelacht hat, ist noch gar nicht erwiesen. Jedenfalls stand unser alter Izakura, der eben unter der Zimmertür erschien, starr vor Staunen. Sighe und Haru erzählten dann, er habe gesagt, das Mutterle sei wie meine jüngere Schwester gewesen. Mutterle behauptet, nur meine große Gewandtheit im Japanischen habe mich das verstehen lassen. Sie haben aber wirklich etwas Ähnliches gesagt. Auch daß es ihnen leid sei, daß wir gehen! Das hab' ich genau verstanden, und ich glaube es.

Noch drei Tage und wir reisen!!! – – –

Der letzte Abend! Rings um mich steht alles gepackt. Steht ruhig, selbstverständlich, fühllos da und ich zapple an allen Gliedern!

Am Morgen war ich bei den Yusugura und bei Haruko, Abschied zu nehmen. Sie waren alle lieb und nett, sagten viel Freundliches, aber eine wirkliche Lücke läßt mein Fortgehen bei ihnen nicht zurück. Haruko war im Garten beschäftigt, Blumen abzuschneiden. Sie hatte ihren Kleinen dabei auf den Rücken gebunden, wie es viele Mütter aus dem Volk hier tun. Dann saßen wir zusammen unter einem blühenden Kirschbaum – die Kirschblüte will eben überall ausbrechen – sie ordnete die Blumen in ihren Vasen, was sie künstlerisch betreibt. Ich schäkerte mit dem kleinen Kentaro Inazo Oto; das Kerlchen hat wirklich mit mir gelacht. Es hat die Grübchen seiner Mutter geerbt. Zum Abschied haben beide sie mir gezeigt, und so wird die liebe Haruko in meinem Gedächtnis bleiben.

Kiku war am Nachmittag noch einmal da. Sie war herzlich und warm; sie wird mich vermissen.

»Wenn ich trauern um dich, ich mir sagen, sie gehen in liebe Heimatland, wo sein ihre Herz. Wenn du trauern um mich, du dir sagen, Kiku sein glücklich in Arbeit. Das machen Trennung leicht.« So sagte sie. Ich habe eine Freundin fürs Leben an ihr, das fühle ich.

Zum Abschied hat sie die Arme um mich gelegt und hat mich geküßt! Sie, die Japanerin! Ich habe geweint und sie hat mir die Tränen weggewischt: »Bleiben zusammen in Herzen, wenn Körper sich trennen!« Das war ihr letztes Wort. Kiku kennen gelernt, sie zur Freundin zu haben, wäre allein die Reise wert. Sie will mir schreiben, hat sie versprochen.

Es ist spät. Das Mutterle hat eben an meine Tür geklopft: »Geh schlafen, Kind!« Ich will es tun. Ich habe das Fenster noch einmal geöffnet und über das stille Land hingeschaut. Der Wind weht über die Gärten und trägt mir den würzigen Blütenhauch dieses Landes der Blumen zu. Leise zirpen die Grillen. Die lotosbestandenen Wasser des Kanals jenseits der Gärten plätschern und glucksen verträumt. Schwarz türmen sich die Zyklopenmauern rings um die Residenz des Mikado. Nur von fern dringt das Geräusch der Stadt an mein Ohr, verwehte Samisen- und Kotoklänge. Der Lichtschein der bunten Laternen liegt über den Straßen des japanischen Stadtteils; fern klappern die Geta auf dem Pflaster.

Ein Ruf dringt durch die Nacht: » Amma, Amma kamischino go-hyak mon!«

Eine weiche Frauenstimme! Ich weiß, was das bedeutet. Es ist eine blinde Frau, die Kranken und solchen, die nicht schlafen können, ihre Dienste anbietet. Sie will sie mit zarten Händen streichen und leise kneten, bis die Schmerzen weichen und der Schlaf sich einstellt. Ihr Pfeifchen, das sie von Zeit zu Zeit ertönen läßt, sagt denen, die ihr begegnen, daß sie einer armen Blinden achten und ihr den Weg frei geben.

Lange höre ich noch aus der Ferne ihren Ruf, den Laut ihrer kleinen Pfeife. Ich bedaure fast, nicht selbst Schmerzen zu haben und sie zu mir hereinrufen zu können. Ich träume still in die Nacht hinaus.

Drüben über der Stadt verlischt allmählich der bunte Lichtschein. Leiser, verträumter werden die Laute. Der Frieden der Nacht will niedersinken. Meine letzte Nacht in diesem Lande! Nun will mich doch Wehmut beschleichen. Ich glaube, bei jedem Lebensabschnitt muß sie uns Menschen überkommen. Wie hatten wir uns damals auf das Ende der Schultage gefreut und dann standen wir doch mit einem gewissen Trauern und Zagen zum letztenmal vor den Türen des lieben, alten Baues in der Friedrichstraße zu Stuttgart! Ja, in der ersten Zeit sah ich mit Neid denen nach, die morgens um die gewohnte Stunde mit den Schulbüchern über die Straße zogen.

Aber wo bin ich hingeraten? Ruth Rümelin, du stehst an deinem Fenster in Tokio und schaust zum letztenmal über die nächtliche Stadt hin.

Groß und silbern steigt dort der Mond herauf. Stärker duften die Blumen. Kosend umschmeichelt mich der Nachtwind; er trägt ihre Düfte mir zu und streicht mir mit linder Hand über das heiße Gesicht. Mein Land der Blumen, ich werde dich missen. Schön bist du, voll Frohsinn, voll Sonne; man muß dich lieben!

Das Mutterle hat noch einmal gerufen, ich muß zu Bett.

Mit der Hand winke ich über das stille, im Mondenscheine vor mir liegende Land: »Sayonara, Nipon! Sayonara! – Lebe wohl, du mein Japan, lebe wohl!«


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