Paul Klee
Gedichte
Paul Klee

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[1900]

        I
Eveline nenne ich einen grünen Traum unter Blättern, den
    Traum des nackten Kindes auf der Flur.
Dann aber war mir versagt, so selig wieder zu werden, als ich
    unter Menschen kam und nicht mehr fort von ihnen.
Einmal entwand ich mich der Gewalt erfahrener Schmerzen
    und entfloh in die mittaglichen Felder und lag am
    glühenden Berghang. Da fand ich Evelinen wieder, gereift
    aber nicht gealtert. Nur müde von einem Sommer.
Jetzt weiß ich's. Aber seht, mir ahnte nur, als ich dies sang.
    Seid milde zu meiner Gabe. Schrecket nicht die Nacktheit,
    die den Schlummer sucht.

II
Der März droht uns Sommer, heiße Liebe drohst Du meiner
    Seele, Eveline! Noch grünt der Mai. Noch sind es
    Wiegenlieder.
Manches stählerne Wort hab' ich geschliffen. Ich wollte sein
    ein Fels in der Brandung.
Schartig ward die Schneide. Nun möcht ich knien, ganz Demut.
    Aber vor wem?
    Würmer wollten mich trösten. Bin ich so elend?
    Dann ekelt mich.

III
Ach zu viel Sonne ging mir auf! Endlose Tage ohne Nacht.
    Ewig singendes Licht. Aufsuchen wollte ich mein
    frühes Haus im grünen Schatten, meinen Traum unter
    Blättern. Wo ist er?
Kein Verkriechen lügt Abend dem Geblendeten. Flammen reibt
    er sich in die Augen.
Es schlief gar nicht der Erwachte. Er spricht ohne Ton:
    du müdes Lied.
Dies aber ist es, das müde Lied.

IV
Horch zirpen den Sommer im Feld
horch die heisere Lerche in den Lüften
Eveline. Königin in Tages Mitte.
Nur den Kleinsten ist Fleiß noch beschieden und Tat,
    Ameisen, Fliegen und Käfern.
Mich aber lahmt der Friede dieses Mittags. Ich brenne auf
    dürrem Lager, auf Thymians und Ericas rankem Teppich bin
    ich ganz Brand.

V
Von Mondesmilde weiß ich noch. Nun aber buhlen Fliegen
    auf mir, und ich muß es sehen. Es rinnt der Schnee ganz von
    den Bergen, ich werde auch dort nicht Kühle finden.
Und ich muß bleiben... Schweigen gebietet Dein Blick, Eveline.
    Wir sind Heilige, ich bin's geworden durch Dich.

VI
Fliehe nicht meine Nähe! Vertraue! Erkenne! Ausgetrocknet
    hast Du die Sümpfe meiner Seele, nun steckst Du im
    Gewölk. Dein Sieg wird ganz sein.

VII
Wo die Wirklichkeit nicht mehr zu tragen, scheint sie Traum
    mit wachen Augen. Daure, fürchterlicher Traum bei Eveline.
    O Gaukelbild, daß Du selber versengt bei mir Schutz
    suchest und Trost.

VIII
Das ist der große Tag, das glüht von lauter Liebe. Wird auch
hier ein Ende sein, eine Dämmerung? Wird fallen
eine Göttin?
Noch ist es Tag, noch glüht es von lauter Liebe.

 


 


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