Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Zurückgewonnen.

Nach der Verheiratung tritt in der Regel eine Reaktion ein, manchmal eine große, manchmal eine kleine; doch sie kommt früher oder später und muß sich über beide Teile ergießen, wenn sie den Rest ihres Lebens glücklich und zufrieden verbringen wollen.

Bei dem Cusack-Bremmils setzte diese Reaktion erst im dritten Jahre nach der Ehe ein. Bremmil war in seiner besten Zeit schwer zu bändigen; doch er war ein guter Ehemann, bis das Kind starb, und Mistreß Bremmil schwarze Kleider trug, mager wurde und trauerte, als wenn die schönste Frucht des Universums abgefallen wäre. Vielleicht hätte Bremmil sie trösten sollen. Ich glaube, er that es auch; jedoch je mehr er tröstete, desto mehr härmte sich Mistreß Bremmil, und desto unbehaglicher fühlte sich infolgedessen Bremmil selbst. Thatsache ist, daß beide ein Auffrischungsmittel brauchten, und sie bekamen es auch. Jetzt kann Mistreß Bremmil freilich lachen, aber damals war nichts lächerliches an der Sache.

Man sieht jetzt Mistreß Hauksbee am Horizont erscheinen, und wo sie auftauchte, war es nie recht geheuer. In Simla führte sie den Zunamen »der Sturmvogel«, und sie hatte diesen Titel, wenigstens soviel ich weiß, gewiß fünfmal verdient. Sie war eine kleine, braune, magere, fast dünne Frau, mit großen, unstäten Veilchenaugen und den freundlichsten Manieren von der Welt. Man brauchte ihren Namen nur bei einem Nachmittagsthee zu erwähnen; dann stand jede in dem Zimmer anwesende Dame auf und nannte sie – nun – das Gegenteil von »gesegnet«. Sie war klug, witzig, glänzend und überragte die meisten ihrer Art, doch sie besaß auch eine verteufelte Malice und Bosheit. Trotzdem konnte sie sehr nett sein, sogar zu ihrem eigenen Geschlecht; doch das gehört in eine andere Geschichte.

Bremmil verließ nach dem Tode des Kindes oft seine Häuslichkeit; es entwickelte sich daraus eine allgemeine Unbehaglichkeit, und Mistreß Hauksbee nahm ihn für sich in Beschlag. Sie hatte kein Vergnügen daran, ihren Gefangenen zu verbergen. Sie nahm ihn öffentlich in Beschlag und sorgte dafür, daß das Publikum es auch bemerkte. Er ritt mit ihr aus, ging mit ihr spazieren, schwatzte mit ihr, veranstaltete mit ihr Picknicks, frühstückte mit ihr bei »Peliti«, bis die Leute die Augen aufrissen und »shocking« sagten. Mistreß Bremmil blieb zu Hause, betrachtete die Kleider des toten Kindes und weinte in die leere Wiege hinein. Um etwas anderes kümmerte sie sich gar nicht. Doch acht liebe gute Freundinnen erklärten ihr schließlich die Situation, falls sie den Braten noch nicht gerochen haben sollte. Mistreß Bremmil hörte ruhig zu und dankte ihnen für ihre liebenswürdigen Dienste. Sie war nicht so klug wie Mistreß Hauksbee, aber dumm war sie doch nicht. Sie ging mit sich selbst zu Rat und sagte, von dem, was sie gehört habe, zu Bremmil kein Wort. Das muß erwähnt werden, denn über so etwas mit einem Manne zu sprechen oder gar darüber zu jammern, hat nie gut gethan.

Wenn Bremmil zu Hause war, was nicht oft geschah, so war er liebevoller als gewöhnlich; und das sprach gegen ihn. Die Zuneigung war erzwungen, teilweise, um sein eigenes Gewissen zu beschwichtigen, teilweise, um Mistreß Bremmil zu beruhigen; in beiderlei Hinsicht verfehlte sie ihre Wirkung.

Nun erhielten Mister und Mistreß Cusack Bremmil im Auftrage des Adjutanten des Vicekönigs von »Ihren Excellenzen, Lord und Lady Lytton« eine Einladung nach Peterhoff für den »26. Juli zehneinhalb Uhr abends.« In der linken Ecke unten stand: »Es wird getanzt.«

»Ich kann nicht gehen,« sagte Mistreß Bremmil, »es ist noch zu kurze Zeit nach dem Tode der armen, kleinen Florrie; aber du darfst dich deshalb nicht zurückhalten lassen.«

Sie meinte ganz aufrichtig, was sie sagte, und Bremmil sagte, er würde hingehen, um den Schein zu wahren. Er sprach aber nicht aus, was er glaubte, und Mistreß Bremmil wußte das. Sie vermutete – die Vermutung einer Frau ist oft viel bestimmter, als die Gewißheit eines Mannes – daß er von Anfang an hinzugehen beabsichtigte, und zwar mit Mistreß Hauksbee. Sie setzte sich hin, um zu überlegen, und das Resultat ihrer Ueberlegung war, daß die Erinnerung an ein totes Kind doch weniger hoch anzuschlagen sei, als die Zuneigung eines lebenden Gatten. Sie entwarf ihren Plan und beschloß, alles aufs Spiel zu setzen. In dieser Stunde entdeckte sie, daß sie Tom Bremmil durch und durch kannte, und diese Kenntnis wollte sie sich zu Nutzen machen.

»Tom,« sagte sie, »ich werde am 26. bei den Longmores dinieren; du thätest also gut, wenn du im Club speisen wolltest.«

Das ersparte Bremmil, eine Entschuldigung zu suchen, weil er ebenfalls fortbleiben und mit Mistreß Hauksbee dinieren wollte. Er war seiner Frau dankbar, fühlte sich aber gleichzeitig klein und gedemütigt, was ganz heilsam für ihn war. Bremmil verließ das Haus um 5 Uhr, um einen Spazierritt zu machen. Um halb sechs Uhr abends kam ein großer, mit Leder überzogener Korb für Mistreß Bremmil von FhelpsModewarenmagazin. an. Sie war eine Frau, die sich zu kleiden verstand, und hatte nicht umsonst eine Woche damit zugebracht, um dieses Kleid zu entwerfen, es zuschneiden, bügeln, garnieren, plissieren und wattieren zu lassen. Es war ein prachtvolles Kleid, leichte Trauer. Ich kann es nicht beschreiben, doch es war, was die »Schneiderkönige« eine »Schöpfung« nennen – ein Ding, das einem gerade in die Augen fällt und einem den Atem benimmt. Sie hatte zu dem, was sie thun wollte, nicht viel Lust; doch als sie sich in dem großen Spiegel schaute, hatte sie die Genugthuung, zu erkennen, daß sie nie in ihrem Leben so gut ausgesehen hatte. Sie war eine große Blondine und machte, wenn sie wollte, eine prächtige Figur aus.

Nach dem Diner bei den Longmores fuhr sie – etwas spät – zum Ball und traf dort Bremmil mit Mistreß Hauksbee am Arm. Darüber errötete sie, und als die Männer sie umschwirrten, um sie zum Tanze aufzufordern, sah sie ganz reizend aus. Sie füllte ihre Tanzkarte bis auf drei Tänze aus, die sie frei ließ. Mistreß Hauksbee sah ihr einmal ins Auge und erkannte, daß Krieg – richtiger Krieg – zwischen ihnen herrsche. Sie war bei dem Kampfe im Nachteil, denn sie hatte sich schon zuviel gegen Bremmil herausgenommen. Außerdem hatte er seine Frau nie so reizend gesehen. Er blickte sie von der Thür aus an, und beobachtete sie, wenn sie mit ihrem Tänzer vorüberschwebte, und je länger er sie erblickte, desto aufgeregter wurde er. Er konnte kaum glauben, daß das die Frau mit den roten Augen und dem schwarzen Stoffkleid war, das morgens beim Frühstück über die Eier zu jammern pflegte.

Mistreß Hauksbee that ihr möglichstes, um ihn bei sich zu behalten, doch nach zwei Tänzen ging er zu seiner Frau hinüber und forderte sie auf.

»Es thut mir leid, aber Sie kommen zu spät, Mister Bremmil,« sagte sie augenblinzelnd.

Nun bat er sie, ihm einen Tanz zu bewilligen, und als große Gunst gewährte sie ihm den fünften Walzer. Glücklicherweise war Nr. 5 auf seiner Tanzkarte noch frei. Sie tanzten ihn zusammen, und ein leises Flüstern ging durch den Saal. Bremmil hatte wohl eine Ahnung, daß seine Frau tanzen konnte, doch er wußte nicht, daß sie so himmlisch tanzte. Als dieser Walzer zu Ende war, bat er um einen neuen, als eine Gunst, nicht als sein Recht, und Mistreß Bremmil sagte:

»Zeige mir doch deine Tanzkarte, mein Lieber.«

Er zeigte sie, wie ein unartiger kleiner Schuljunge die Hände aufhält, um seinem Lehrer die eingeschmuggelten Süßigkeiten zu zeigen. Da stand eine große Anzahl von H.s verzeichnet und außerdem ein H. beim Souper. Mistreß Bremmil sagte kein Wort, aber sie lächelte verächtlich, strich mit ihrem Bleistift die Nummer 7 und 9 durch und gab die Karte zurück, nachdem sie ihren eigenen Namen darauf geschrieben, einen Kosenamen, den nur sie und ihr Gatte zu gebrauchen pflegten. Dann drohte sie ihm mit dem Finger und sagte lachend:

»O, du dummer, dummer Junge.«

Mistreß Hauksbee hörte das und fühlte, daß sie unterlegen war. Bremmil nahm die Tänze Nummer 7 und 9 dankbar an. Sie tanzten Nummer sieben und saßen während des neunten Tanzes in einem der kleinen Zelte. Was Bremmil und Mistreß Bremmil sich sagten, geht niemand etwas an.

Als das Orchester zum »Roastbeef of old England« blies, gingen die beiden auf die Veranda hinaus, und Bremmil begann nach dem Wagen seiner Frau (damals ging noch keine Post) Umschau zu halten, während sie in das Garderobezimmer ging. Mistreß Hauksbee trat auf ihn zu und sagte:

»Sie führen mich doch zum Souper, Mister Bremmil?«

Bremmil wurde rot und machte verlegene Augen:

»Hm, ich fahre mit meiner Frau nach Hause, ich glaube, es hat hier ein kleines Mißverständnis vorgeherrscht.«

Da er ein Mann war, so sprach er, als wäre Mistreß Hauksbee allein dafür verantwortlich gewesen.

Mistreß Bremmil kam in einem mit weißem Schwan besetzten Mantel mit einer weißen Wolke um den Kopf, aus dem Garderobenzimmer. Sie sah sehr vergnügt aus und hatte auch ein Recht dazu.

Das Paar trat in die Dunkelheit hinaus, und kurz darauf ritt Bremmil dicht neben ihrem Wagen dahin.

Nun sagte Mistreß Hauksbee zu mir – sie sah im Lampenlicht ein bischen welk und abgespannt aus:

»Ich gebe Ihnen mein Wort, die dümmste Frau kann einen klugen Mann leiten; doch um einen Narren zu leiten, muß eine Frau schon sehr klug sein.«

Dann gingen wir zum Souper.

 


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