Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Cupidos Pfeile.

Es lebte einmal in Simla ein sehr hübsches Mädchen, die Tochter eines armen, aber ehrenwerten Bezirksrichters. Sie war ein gutes Mädchen, das aber ihre Macht kannte und dieselbe auch ausübte. Ihre Mama war um die Zukunft ihrer Tochter sehr besorgt, wie es jede gute Mama sein sollte.

Wenn ein Mann Kommissionär und Junggeselle ist und das Recht hat, in Gold gefaßte Juwelen und Emaille auf seinen Kleidern zu tragen, wenn er – bis auf ein Ratsmitglied, den Gouverneurleutnant und den Vicekönig, den Vortritt vor allen hat, so verdient er es, daß man ihn heiratet. Wenigstens sagen das die Damen. Da war nun zu damaliger Zeit ein Kommissionär in Simla, der all' das, was ich gesagt habe, war, trug und that. Er war bis auf zwei Ausnahmen der häßlichste Mensch in ganz Asien. Sein Gesicht gehörte zu denen, die man im Traum sieht und nachher auf einen Pfeifenkopf zu schnitzen versucht. Sein Name war Saggott – Saggott-Barr – Anthony Barr-Saggott und sechs Buchstaben hinterdrein.Als Titelkürzung. Als Beamter war er einer der tüchtigsten Leute, die die indische Regierung besaß. Gesellschaftlich glich er einem sich freundlich gebärdenden Gorilla. Als er Miß Beighton seine Aufmerksamkeit zuwandte, glaube ich, weinte Mistreß Beighton vor Vergnügen über die Belohnung, die die Vorsehung ihr in ihren alten Tagen schickte. Herr Beighton hielt den Mund; er war ein unbedeutender Mensch.

Ein Kommissionär ist fast immer sehr reich. Sein Einkommen ist geeignet, weitgehende Ansprüche zu befriedigen; es ist so ungeheuer, daß er es sich leisten kann, so viel zusammenzusparen und zusammenzuscharren, daß selbst ein Mitglied des Staatsrates dadurch in Mißkredit kommen könnte. Die meisten Kommissionäre sind geizig, doch Barr-Saggott war eine Ausnahme. Er trieb einen königlichen Aufwand; hielt sich prächtige Pferde, veranstaltete Bälle, war eine Macht im Lande und benahm sich auch als solche.

Man bemerke wohl, daß alles, was ich schreibe, sich in einer fast prähistorischen Aera der britisch-indischen Geschichte zugetragen hat. Manche Leute erinnern sich wohl noch an die Jahre, bevor das Lawn-Tennis geboren wurde, und wir alle Crocket spielten. Ob man mir es nun glaubt oder nicht, es gab sogar eine Zeit, wo selbst das Crocket noch nicht erfunden war, und das Bogenschießen, das im Jahre 1844 in England zu neuem Leben erweckt wurde, eine ebenso große Plage war, als es das Lawn-Tennis heute ist. Miß Beighton schoß auf Damendistanz, das heißt 60 Yard, himmlisch, und galt für die beste Bogenschützin in Simla. Die Männer nannten sie die »Diana von Tara-Devi.«

Barr-Saggott erwies ihr viele Aufmerksamkeiten, und das Herz ihrer Mutter schlug, wie ich bereits gesagt habe, infolgedessen höher. Kitty Beighton sah die Sache ruhiger an. Es war sehr angenehm, von einem Kommissionär mit mehreren Buchstaben hinter dem Namen vorgezogen zu werden, und die andern Mädchen daraufhin neidisch zu machen; doch die Thatsache ließ sich nicht leugnen, daß Barr-Saggott außergewöhnlich häßlich war, und daß alle Bemühungen, sich zu putzen, ihn noch grotesker erscheinen ließen. Nicht umsonst hatte man ihn »Langur«, was grauer Affe bedeutet, getauft. Kitty dachte, es wäre ganz amüsant, jemand zu ihren Füßen liegen zu haben, noch besser war es, ihm zu entwischen und mit dem gottlosen Cubbon vom Dragonerregiment in Umballa auszureiten, der zwar ein hübsches Gesicht, aber keinerlei Aussichten hatte. Er leugnete keinen Augenblick, daß er bis über beide Ohren in sie verliebt sei, denn er war ein ehrlicher Junge. So flüchtete sich denn Kitty dann und wann von den würdevollen Bewerbungen Barr-Saggotts zu der Gesellschaft des jungen Cubbon, wurde aber infolgedessen von ihrer Mama ausgezankt.

»Aber Mama,« sagte sie, »Mister Saggott ist so – so – so schrecklich häßlich.«

»Mein liebes Kind,« versetzte Mistreß Beighton würdevoll, »wir können nicht anders sein, als die allweise Vorsehung uns geschaffen hat. Außerdem wirst du dann vor deiner eigenen Mutter den Vortritt haben; denke daran und sei vernünftig.«

Dann nahm Kitty ihr kleines Kinn in die Hand, und sagte unziemliche Worte über den Vortritt, die Kommissionäre und die Ehe. Herr Beighton aber kratzte sich den Kopf, denn er war ein unbedeutender Mensch.

Als die Saison vorgerückt war und Barr-Saggott die Zeit für gekommen erachtete, entwickelte er einen Plan, der seinem administrativen Können ein gutes Zeugnis ausstellte. Er arrangierte ein Bogenschießen für Damen, und stiftete als Preis ein mit Brillanten besetztes Armband. Die Bedingungen arbeitete er sehr geschickt aus, und jeder merkte, daß das Armband ein Geschenk für Miß Beighton war; die Annahme desselben zog Hand und Herz des Kommissionärs Barr-Saggott nach sich. Die Bedingungen waren 36 Schuß auf 60 Yards nach den Regeln der Simlaer Schützengesellschaft, und zwar sollte nach einer St. Leonardsscheibe geschossen werden. Ganz Simla war eingeladen. In Annandale waren unter den Zedern hübsche Theetische aufgestellt, und in der Sonne blinkend lag, ganz allein in seinem Glanze, in einem blauen Sammet-Etui das Diamantarmband. Miß Beighton war bereit, fast zu bereit, sich um den Preis zu bewerben. An dem festgesetzten Nachmittag ritt ganz Simla nach Annandale hinaus, um bei dem umgekehrten Urteil des Paris als Zeugen zu dienen. Kitty ritt mit dem jungen Cubbon, und man konnte leicht sehen, daß der junge Mann aufgeregt war. Man mußte ihn wohl über alles, was folgte, im Unklaren gelassen haben. Kitty war blaß und nervös, und blickte lange Zeit nach dem Armband. Barr-Saggott war prächtig herausstaffiert, noch nervöser als Kitty und häßlicher als je.

Mistreß Beighton lächelte herablassend, wie es sich für die Mütter einer allmächtigen Kommissionärsfrau geziemt, und das Schießen begann; die ganze Gesellschaft stand im Kreise herum, während die Damen, eine nach der andern, nähertraten. Nichts ist so langweilig, als ein Wettschießen. Sie schossen und schossen und schossen weiter, bis die Sonne aus dem Thale schied, und ein leichter Wind durch die Zedern strich. Die Leute warteten, daß Miß Beighton schießen und gewinnen sollte. Cubbon stand an einem Ende des Halbkreises, der sich um die Schießenden gebildet hatte, und Barr-Saggott an dem andern. Miß Beighton stand als letzte auf der Liste. Das Resultat war schwach gewesen, und das Armband wurde samt Kommissionär Barr-Saggot sicherlich ihr Eigentum.

Der Kommissionär spannte ihr mit seinen eigenen geheiligten Händen den Bogen. Sie trat vor, betrachtete das Armband, und ihr erster Pfeil flog haarscharf gerade mitten in das »Gold«, das 9 Points ausmachte.

Der junge Cubbon auf der linken Seite wurde blaß, während Barr-Saggott vergnüglich schmunzelte. Gewöhnlich aber wurden die Pferde scheu, wenn Barr-Saggott schmunzelte, und Kitty sah dieses Schmunzeln. Sie blickte zur Linken, nickte Cubbon kaum merklich zu und schoß weiter.

Ich wünschte, ich könnte die Scene, die nun folgte, beschreiben. Sie war außergewöhnlich und höchst unerwartet. Miß Kitty spannte den Bogen mit größter Ueberlegung, so daß jeder sehen konnte, was sie that. Sie war eine vorzügliche Schützin, und ihr 46 Pfundbogen war ihr eine Kleinigkeit. Viermal hintereinander traf sie die hölzernen Beine des Scheibenständers. Einmal traf sie die hölzerne Spitze des Ständers, und alle Damen sahen einander an. Dann fing sie wieder an, auf das »Weiß« zu schießen, wo jeder Schuß, wenn man trifft, einen Point zählt. So schoß sie 5 Pfeile ins Weiße. Es war ein wunderbares Schießen; doch da es ihre Aufgabe war, ins »Gold« zu treffen und das Armband zu gewinnen, so wurde Barr-Saggotts Gesicht zartgrün wie junges Seegras. Dann schoß sie zweimal über den Scheibenständer hinaus, dann zweimal nach links, und zwar immer mit derselben Ueberlegung, während sich der Gesellschaft eine frostige Kälte bemächtigte und Mistreß Beighton ihr Taschentuch herauszog. Dann schoß Kitty an die Zielscheibe auf die Erde und zerbrach mehrere Pfeile. Darauf erzielte sie ein »Rot« oder sieben Points, nur um zu zeigen, was sie konnte, wenn sie wollte, und beendigte ihre merkwürdige Vorführung mit einigen »Phantasie«schüssen nach dem Fuß der Scheibe. Im Ganzen erzielte sie folgendes Resultat:

Miß Beighton:
 
Gold
1
Rot
1
Blau
0
Schwarz
0
Weiß
5
Treffer
7
  Totalergebnis
21

Barr-Saggott sah aus, als ob die letzten Pfeilspitzen anstatt in die des Scheibenständers in seine Beine gedrungen wären, und die tiefe Stille wurde von einem kleinen, schnippischen, sommersprossigen, halbwüchsigen Mädchen unterbrochen, das mit schriller Stimme triumphierend ausrief:

»Dann habe ich ja gewonnen!«

Mistreß Beighton suchte die Niederlage möglichst zu ertragen; jedoch sie weinte in Gegenwart der Leute. Eine solche Enttäuschung vermochte sie nicht zu verwinden. Kitty spannte ihren Bogen mit starkem Ruck ab, und ging an ihren Platz zurück, während Barr-Saggott so that, als freue er sich, als er das Armband um das rauhe, rote Handgelenk des schnippischen Mädchens legte. Es war eine peinliche, höchst peinliche Scene. Jeder versuchte, sich mit der großen Menge zu entfernen, und Kitty ihrer Mutter auf Gnade und Ungnade zu überlassen.

Doch Cubbon führte sie fort und – der Rest lohnt nicht gedruckt zu werden.

 


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