Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Leutnant Golightlys Verhaftung.

Wenn es etwas gab, worauf Golightly stolzer war als jeder andere, so war es der Umstand, daß er wie ein Offizier und ein »Gentleman« aussah. Er sagte, es geschehe nur zu Ehren des Dienstes, wenn er sich so sorgfältig putze; wer ihn aber genau kannte, sagte, daß es persönliche Eitelkeit war. Es war an Golightly nichts auszusetzen, nicht das geringste. Er konnte ein Pferd, sobald er es einmal gesehen, beurteilen und verstand mehr, als ein Maß zu füllen. Er spielte ausgezeichnet Billard und war ein gesuchter Whistspieler. Jeder hatte ihn gern, und niemand hätte sich träumen lassen, daß er ihn einmal auf dem Perron der Station mit gebundenen Händen sehen würde.

Als sein Urlaub zu Ende war, kam er von Dalhousie zurück – zu Pferde nämlich. Er hatte seinen Urlaub, so weit es ging, ausgenutzt und hatte nun Eile, nach Hause zu kommen.

Es war gehörig heiß in Dalhousie, und da er wußte, was ihn da unten erwartete, so kam er in einem neuen Khaki-Anzuge von zartem Olivengrün, der sehr schneidig saß, einer pfauenblauen Kravatte, einem weißen Kragen und einem schneeweißen Solah-Helm. Er rühmte sich selbst daß er stets elegant aussah, selbst wenn er zu Pferde reiste. Er sah thatsächlich sehr nett aus und war von seiner äußeren Erscheinung, bevor er abreiste, so sehr in Anspruch genommen, daß er bis auf etwas Kleingeld alles mitzunehmen vergaß. Alle seine Papiere ließ er im Hotel. Seine Diener waren vorausgereist, um ihn in Pathankote mit Anzügen zum Wechseln zu erwarten. Das nannte er »nach leichter Marschroute« reisen, und er war stolz auf sein Organisationstalent.

22 Meilen von Dalhousie begann es zu regnen; kein gewöhnlicher Regenschauer, sondern ein guter, lauer, andauernder Regenguß. Golightly suchte vorwärts zu kommen, und wünschte sich dabei, er hätte einen Regenschirm mitgenommen. Der Staub auf der Landstraße verwandelte sich in Schmutz, das Pony bekam sein gutes Teil davon ab, und Golightlys »Khaki«-Gamaschen ebenfalls. Doch er hielt tapfer aus und dachte sich dabei, wie angenehm doch die kühle Luft wäre.

Das nächste Pferd, das er auf der Poststation erhielt, war ziemlich bockig, und da Golightlys Hände durch den Regen schlüpfrig geworden waren, so versuchte es, ihn an einer Ecke abzuwerfen. Er trieb das Pferd an, hielt es fester und sprengte munter dahin. Die Spritzflecken hatten weder seine Kleider, noch seine Laune verbessert, und nach Ablauf einer elenden halben Stunde sah Golightly die Welt vor seinen Augen in einem klebrigen Brei verschwinden. Der Regen hatte seinen großen, schneeweißen Solah-Helm in einen übelriechenden Teig verwandelt und auf seinem Kopf gleichsam einen halbgeöffneten Pilz gebildet; auch das grüne Futter begann herunterzutropfen.

Golightly sagte nichts, was hier der Erwähnung wert wäre. Er nahm den Helm ab und drückte von dem Rand soviel aus, als nur möglich war. Die Rückseite des Helmes klatschte auf seinen Hals, und von den Seiten tropfte es in seine Ohren, doch das Lederband und das grüne Futter hielten die Dinge noch knapp zusammen, so daß der Hut nicht ganz in Stücke ging.

Indessen erzeugte der Brei und der grüne Stoff eine Art schlammigen Thau, der Golightly über verschiedene Teile seines Körpers lief, zum Beispiel über seinen Rücken und seine Brust. Die Khaki-Farben fingen auch an, herunterzulaufen – der Stoff war wirklich gräßlich schlecht gefärbt –, so daß einzelne Teile von Golightly braun, andere violett, andere ockerfarben, hochrot und fast weiß waren, je nach der Natur und Eigentümlichkeit der Färbung. Als er sein Taschentuch herausnahm, um sein Gesicht, die grüne Farbe des Hutfutters und den purpurnen Stoff, der auf seinen Hals hindurchgesickert war, abzutrocknen, war der Anblick wahrhaft verblüffend.

In der Nähe von Dhar hörte der Regen auf, die Abendsonne kam zum Vorschein und trocknete ihn ein wenig. Auch die Farben befestigten sich wieder. Drei Meilen von Pathankote wurde das letzte Pony lahm, und Golightly war genötigt, zu Fuß zu gehen. Er ging in die Stadt hinein und hoffte, hier seine Diener zu finden. Bis jetzt wußte er ja noch nicht, daß sein Kaitmatgar sich auf der Landstraße aufgehalten hatte, um sich zu betrinken, und erst am nächsten Tage mit der faulen Ausrede kommen würde, er hätte sich den Knöchel verstaucht. Als er Pathankote betreten hatte, konnte er seine Diener nicht finden, seine Stiefel waren von Schmutz steif und klebrig, und auch an seinem Körper klebten große Quantitäten von Schmutz. Der blaue Shlips war ebenso abgetropft, wie der Khaki-Stoff; deshalb nahm er ihn mit dem Kragen ab und warf ihn fort. Dann sagte er einiges über Diener im allgemeinen und ließ sich etwas zu trinken geben. Er bezahlte 8 Annas, und dabei stellte sich heraus, daß er nur noch 6 Annas in der Tasche hatte. Er ging zu dem Stationsvorsteher, um sich ein Billet erster Klasse nach Khasa geben zu lassen, wo er garnisoniert war. Der Buchhalter sagte etwas zu dem Stationsvorsteher, und der Stationsvorsteher sagte etwas zu dem Telegraphisten, und alle drei sahen ihn neugierig an. Sie baten ihn, eine halbe Stunde zu warten, während sie nach Umritsar um Erlaubnis telegraphieren wollten. Er wartete also, und unterdessen kamen vier Konstabler herein, die sich malerisch um ihn gruppierten. Gerade als er sich anschickte, sie zu bitten, sie möchten sich entfernen, sagte der Stationsvorsteher, er würde dem »Sahib« ein Billet nach Umritsar geben, wenn der »Sahib« so freundlich sein wolle, in das Stationszimmer einzutreten. Golightly ging hinein und das nächste war, daß ein Konstabler je einen seiner Arme und Beine packte, während der Stationsvorsteher versuchte, ihm einen Postsack über den Kopf zu ziehen.

Es fand nun eine sehr nette Prügelei in der Amtsstube statt, und Golightly erhielt einen tüchtigen Hieb über das Auge, wobei er noch gegen einen Tisch fiel. Die Konstabler waren aber in der Uebermacht, und sie und der Stationsvorsteher legten ihm solide Handfesseln an. Sobald der Postsack fortgenommen war, begann er, seine Meinung auszudrücken, und der Oberkonstabler sagte:

»Sicherlich ist das der englische Soldat, den wir suchen. Hört nur, wie er schimpft.«

Nun fragte Golightly den Stationsvorsteher, was dieses Benehmen zu bedeuten hätte, und dieser erklärte ihm, er wäre der Soldat John Binkle vom X-Regiment, 5 Fuß 9 Zoll, blonde Haare, graue Augen, liederliches Aussehen und kein besonderes Kennzeichen, der vor 14 Tagen desertiert wäre. Golightly begann nun, eine ausführliche Erklärung abzugeben, aber je mehr er erklärte, desto weniger glaubte ihm der Stationsvorsteher. Er sagte, kein Leutnant könne so wüst aussehen, wie Golightly, und es wäre seine Instruktion, den Gefangenen unter gehöriger Eskorte nach Umritsar zu schicken. Golightly fühlte sich stark durchnäßt und unbehaglich, und die Sprache, die er gebrauchte, war zur Veröffentlichung nicht geeignet, nicht einmal in gereinigter Form. Die vier Konstabler brachten ihn in einem reservierten Coupee nach Umritsar, und er verwandte die vierstündige Fahrt damit, so fließend auf sie zu schimpfen, als es die Kenntnis seiner Muttersprache nur gestattete.

In Umritsar wurde er gebunden auf den Perron geführt und einem Korporal und zwei Mann des ? Regiments überliefert. Golightly richtete sich auf und versuchte, die Sache gütlich zu erledigen. Er fühlte sich allerdings mit den Handschellen und vier Konstablern hinter sich, während das Blut aus seiner Stirnwunde auf seine linke Wange klopfte, durchaus nicht behaglich. Der Korporal war auch nicht zum Spaßen aufgelegt. Golightly begann: »Das ist ein albernes Mißverständnis, Leute,« als der Korporal sagte, er solle das Maul halten und weiterkommen. Golightly wollte aber nicht weiterkommen, er wünschte stehen zu bleiben und eine Erklärung abzugeben. Die Erklärung war auch in der That sehr gut, bis der Korporal sie mit den Worten abschnitt:

»Sie wollen Offizier sein? Solche Leute wie Sie bringen Schande über uns! Sie sind mir ein netter Offizier; ich kenne Ihr Regiment; eine Schmach sind Sie für den Dienst!«

Golightly hielt an sich und begann, alles von Anfang an zu erklären. Nun wurde er vom Perron in den Wartesaal gebracht und ihm der Rat erteilt, sich nicht als vollendeter Narr zu gebärden. Die Leute wollten ihn nach Fort Govindghar überführen.

Golightly war fast hysterisch vor Wut, über die Kälte, das Versehen, die Handschellen und den Kopfschmerz, den er infolge der Stirnwunde empfand. Er hatte immer noch die Absicht, die Angelegenheit gütlich zu erklären. Als er zu Ende war und fühlte, daß seine Kehle ganz trocken war, sagte einer der Leute:

»Ich habe wohl schon 'mal einen Bettler wegen einer Kleinigkeit toben und rasen sehen, aber nie habe ich einen gehört, der an diesen »Offizier« herangereicht hätte.«

Sie waren übrigens gar nicht ärgerlich auf ihn, sondern bewunderten ihn noch. Sie hatten sich etwas Bier im Wartesaal geben lassen und boten auch Golightly davon an, weil er so wunderbar geschwindelt hatte. Sie baten ihn, er möchte ihnen doch von den Abenteuern des John Binkle erzählen, als er noch frei war, und das brachte ihn noch mehr in Wut. Wäre er vernünftig gewesen, so hätte er sich ruhig verhalten, bis ein Offizier kam, doch er versuchte, fortzulaufen.

So ein tüchtiger Stoß in den Rücken thut aber gehörig weh, und schlechter vom Regen aufgethauter Khaki-Stoff zerreißt leicht, wenn zwei Mann einen beim Kragen packen.

Golightly taumelte und fühlte sich sehr krank, als er vom Erdboden aufstand; sein Hemd war vorn auf der Brust und fast auf dem ganzen Rücken zerrissen. Zu seinem Glück fügte er sich in das Unvermeidliche, und gerade in diesem Augenblick lief der Zug von Lahore ein, in dem sich Golightlys Major befand.

Der Major schilderte den Thatbestand folgendermaßen:

Ich hörte den Lärm einer Prügelei im Wartesaal II. Klasse; deshalb ging ich hinein und sah den gräßlichsten Strauchdieb, der mir je vor Augen gekommen war. Seine Stiefel und Hosen waren mit Schmutz und Bierflecken übersäet. Er trug einen schmutzig-weißen Fetzen auf dem Kopf, der in Stücken auf seine Schultern herabhing, die zum großen Teil zerkratzt waren. Er hatte ein mitten durchgerissenes Hemd an und bat gerade den Korporal, er möchte sich den Namen auf dem Schoß des Hemdes ansehen. Als er das Hemd über den Kopf gezogen hatte, konnte ich zuerst nicht sehen, wer er war, doch an der Art, wie er fluchte, während er mit seinen Lumpen herumhantierte, glaubte ich, einen Verbrecher ärgsten Ranges vor mir zu sehen. Als er sich umdrehte und ich über einem Auge eine Beule so groß wie eine Schweinspastete, sowie einige grüne Streifen auf dem Gesicht und einzelne violette Striemen auf dem Rücken bemerkte, sah ich, daß es »Golightly« war. Er freute sich sehr, mich zu sehen,« sagte der Major, »und hoffte, ich würde im Kasino nichts davon erzählen. Ich that es nicht, aber Sie können es, wenn Sie wollen, denn Golightly ist jetzt in die Heimat zurückgekehrt.«

Golightly verbrachte den größten Teil des Sommers damit, daß er versuchte, den Korporal und die beiden Soldaten vor ein Kriegsgericht zu bringen, weil sie einen Offizier und »Gentleman« verhaftet hatten. Der Irrtum that ihnen natürlich sehr leid, doch die Geschichte kam durch die Regimentskantine heraus und machte dann die Runde durch die ganze Provinz.

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