Alexander Lange Kielland
Schnee
Alexander Lange Kielland

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Achtes Kapitel.

Kein rechter Ostermorgen leuchtete den Bewohnern des Pfarrhauses beim Erwachen entgegen. Ein dunkler Himmel lagerte auf den Bergen, und der Wind trieb noch immer sein schauriges Spiel mit plötzlichen Stößen und langgezogenen Seufzern, die bald langsam, bald schneller dahinsausten und ein Gefühl der Leere und des Unbehagens hinterließen.

Die frohe Botschaft von der Auferstehung stimmte nicht zu der zitternden Angst der Natur vor der Geburt des Frühlings; ohne sich dessen bewußt zu sein, kam die Gemeinde langsam aus der Kirche daher gegangen – noch verzagter und unbefriedigter als sonst. Auch Gabriele befand sich in einer gedrückten Stimmung, die ihr sonst fremd war; sie gab aber der Predigt die Schuld.

Ihr künftiger Schwiegervater hatte zu ihr gesprochen; – so deutlich war es gewesen, daß sie sich beinahe der Gemeinde gegenüber schämte. Vornehmlich vor dem Wunder der Auferstehung – hatte er gesagt, vermöge der Christ den Hochmut und den bösen Willen der Ungläubigen zu beobachten und zu ermessen. Von ihrem schlechten Gewissen getrieben, klammerten sie sich an elende menschliche Erdichtungen, die sie Wissenschaft nannten, weil sie den steifen Nacken nicht beugen wollten, weil sie vor dem Göttlichen, das an jenem Ostermorgen aus dem Grabe hervorstrahlte, Ruhe haben wollten, – Ruhe und Finsternis, um sich, ungezügelten Trieben folgend, in der wilden Orgie der Sinne zu betäuben. Dies und mehr noch hatte sie gehört – lauter Dinge, die noch bisweilen gesagt und geschrieben wurden. Sie hatte es aber lange nicht gehört, und es that ihr weh, es heute und hier zu vernehmen.

In dieser Weise konnten sie sich doch nicht in jener Gemeinschaft zusammenfinden, welche die gemeinsame Liebe zu Johannes sonst natürlich gemacht hätte. Denn sie war gar nicht geneigt, es auf sich sitzen zu lassen, daß sie aus Hochmut und bösem Gewissen keine Gläubige sei. Niemand sollte das Recht haben, ihr oder sonst jemand dies zu sagen. Und wenn der Mann, zu dem sie in ein so nahes Verhältnis treten sollte, damit anfangen könnte, war es ebensogut, ihm gleich zu erklären, wie wenig sie für ihren Teil eine solche Beurteilung dulden wollte. Desto treuer würde sie an ihrem Johannes festhalten; denn von ihm selbst wußte sie, daß die jungen Theologen es gelernt hatten, über die Strafpredigten der Väter zu lächeln. In einem ganz andern Tone und mit ganz andern Mitteln pflegte Johannes die religiösen Gegner zu bekämpfen. Außerdem hielt sie ihn seines rechtlichen Charakters wegen einer solchen Bosheit unfähig.

Gabriele hatte indessen nicht sofort Gelegenheit, ihn zu sprechen, indem sie den Damen des Landvogts beim Verlassen der Kirche vorgestellt wurde. Der Pfarrer sollte morgen in der Filiale jenseits des Flusses predigen, und sie wurden daher zu Tische beim Vogt eingeladen. Gabriele konnte sich indes eines peinlichen Eindruckes nicht erwehren, als sie Johannes dastehen und anscheinend ruhig den Worten der Frau Vogtin lauschen sah, welche sich darüber ausbreitete, wie herrlich die Predigt gewesen sei – ganz ein Wort zur rechten Zeit, meinte sie. Der Vogt war auch herangetreten; er grüßte in seiner polternden, scherzhaften Weise, und als seine Gattin es versuchte, seiner Lebhaftigkeit einen Dämpfer aufzusetzen, indem sie von dem bedrückenden Wetter sprach, versicherte er laut und eifrig, sein Barometer habe, der Teufel hole ihn, seit dem Sturme vom fünfzehnten Januar nicht so niedrig gestanden.

Nachdem sie sich vom Vogt und seiner Familie verabschiedet hatten, sollten Gabriele und Johannes nach Verabredung dem alten Schultheißen einen Besuch abstatten. Gabriele hatte aber wieder keine Gelegenheit, ihren Bräutigam vertraulich zu sprechen, da die beiden Töchter des Schulzen sie begleiteten; – der Alte saß an seinen Lehnstuhl gefesselt und kam nicht aus dem Hause, solange der Schnee noch lag.

Johannes unterhielt sich mit den jungen Mädchen, und Gabriele wunderte sich darüber, wie entsetzlich langweilig alles sei, was sie sagten. Der Ton, den Johannes ihnen gegenüber anschlug, hatte auch etwas Fremdes – eine trockene, gönnerhafte Ueberlegenheit, die sie an ihm nicht kannte, und die beiden Damen, welche übrigens mindestens so alt wie sie selbst waren, murmelten einige kurze, ehrerbietige Antworten, ohne von dem Schneestreifen am Wege aufzublicken. Dies alles trug nicht dazu bei, ihre Verstimmung zu verringern, und als sie die kleine Strecke durch den Wald gegangen waren, machte der Schulzenhof unter dem finsteren, waldbewachsenen Felsen einen so trostlosen Eindruck in dem schweren, seufzenden Frühlingswinde, daß sie nahe daran war, sich in den Schnee zu setzen und ihren Thränen freien Lauf zu lassen.

Indem sie den Hof betraten, der von Schneehaufen, Zweigen und Holz erfüllt war, wandte sich Johannes zu ihr und flüsterte: »Fällt dir jetzt der Unterschied mit dem Pfarrhause auf? Findest du, daß es hier gemütlich aussieht?«

Auch das irritierte sie – in ihrer jetzigen Stimmung. Seine sichere, viereckige Zufriedenheit mit allem, was sein eigen war, begann sie zu reizen, und als sie die Stube des Schulzen betrat, befand sie sich in einer wahrhaft kriegerischen Stimmung. Er entwaffnete sie aber gleich – der alte Schultheiß im Lehnstuhle. Sobald er begriff, wer da war, legte er die großen Hände auf den Arm des Stuhles, und ehe jemand ein Wort davon wußte, stand er aufrecht auf seinen kranken Füßen und verneigte sich ehrerbietig vor Gabriele.

»Nun wurde mein Haus gesegnet,« sagte der alte Kavalier, »wenn Jugend und Schönheit sich herablassen, das Alter zu besuchen und – und – zum Teufel mit dem Podagra!« schloß er zuletzt lachend; »es nutzt einem alten Bären wenig, mit hochklingenden Reden zu kommen. Bitte, setzen Sie sich, mein Fräulein: ich bin stolz, eine Tochter Jürgen Pramms in meinem Hause willkommen zu heißen.«

»Sie kennen meinen Vater!« rief Gabriele und es wurde ihr ganz warm ums Herz.

»O ja – wir haben zusammen manchen Holzhandel abgeschlossen – sowohl Ihr Herr Großvater wie Ihr Herr Vater und ich. Marie – bringe mir den Kasten aus der Schatulle! Nun sollen Sie sehen, mein Fräulein,« und nachdem er schnell mit dem Kandidaten einen Händedruck gewechselt hatte, setzten die beiden – der Schultheiß und Gabriele – sich hin, um alte Kaufkontrakte und Briefe vom Hause Pramm zu studieren. Gabriele vergaß ganz ihre üble Laune über diesen lustigen alten Mann, der so viel von den Ihrigen zu berichten wußte und offenbar so glücklich war, sie einen Augenblick an seinen Krankenstuhl fesseln zu können.

Der alte Olsen fühlte sich wirklich sehr glücklich. Die Augen des alten Kenners weideten sich beim Anblick dieser weiblichen Gestalt, deren Schönheit so fein und zart, so ganz verschieden von allem war, was er in seinen Tagen gesehen hatte, und daß sie obendrein diesen Namen trug, der in den Waldbezirken einen Klang wie der einer goldnen Axt hatte, vollendete sein Entzücken. Frau Olsen machte vergeblich ihrem Gatten allerlei Zeichen, während sie und die Töchter den Sohn des Pfarrers in der erdenklich langweiligsten Weise mit den Neuigkeiten der Gegend unterhielten. Sie begriff so gut, daß dem Kandidaten das heitere Einverständnis, das zwischen dem Alten und seiner Braut herrschte, nicht gefiel.

Zuletzt sagte sie denn: »Nein, nein, Olsen, du mußt nicht vergessen, daß du schon ein alter Mann bist: es geht nicht, in der Weise dazusitzen und mit dem Fräulein Unsinn zu treiben. Auch erzählst du allerlei, was sich vielleicht nicht für ihre Ohren schickt.«

Johannes fand sehr bald, daß der Besuch lange genug gedauert habe, und meinte, sie möchten gehen, um rechtzeitig zu Tische wieder zu Hause zu sein. Gabriele aber bestand darauf, der Schulze solle fortfahren, wo man sie unterbrochen habe, und erzählen, wie man den Vogt im Kirchspiel nannte.

Seine Frau schrie laut vor Entrüstung und betrachtete den Kandidaten. Johannes wandte sich ungeduldig hinweg und nahm seinen Hut.

Gabriele flüsterte dem Schulzen leise zu: »Sagen Sie es schnell!«

»Man nennt ihn – ›Hol' mich der Teufel,‹« flüsterte der Schultheiß zurück; dabei wußte er so trefflich, Stimme und Ausdruck des Vogtes nachzuahmen, daß Gabriele laut auflachte. Die beiden trennten sich dann, voneinander äußerst befriedigt, und Gabriele versprach, bald wiederzukommen. Frau Olsen war etwas zerstreut während des Abschieds, weil sie darauf brannte, ihren Mann wegen seines ungeziemenden Betragens zur Rede zu stellen, und Johannes war steif und kalt.

Sobald sie sich aber auf der Landstraße befanden, faßte Gabriele seinen Arm und schmiegte sich an ihn; denn der Wind wurde immer heftiger und fegte über die Felder. In großen Klumpen fiel der Schnee von den Wipfeln der Bäume durch die Zweige und senkte sich, wie weiße Wolken vom Winde fortgetragen, auf die beiden, welche schnell durch den Wald eilten.

»Was für ein lustiger alter Herr ist doch dieser Schulze!«

»Aber Liebste, ist er dir nicht eher unangenehm?«

»Keineswegs! Das ist mir nicht eingefallen!«

»Nein, das sah ich zu meinem Staunen. Du bist doch sonst so peinlich darin.«

»Ah – du meinst, er sei ein wenig grobkörnig, das steht ihm aber gut; jedenfalls ist er ein ganzer Kavalier mit dem Vogt verglichen.«

»Gabriele, es ist wirklich eine schlechte Gewohnheit bei dir, die Leute nach dem Zusammensein eines Augenblicks beurteilen zu wollen. Der Vogt ist im Besitz einer gründlichen Bildung, ein tüchtiger Jurist und –«

»Hol' mich der Teufel!« sagte Gabriele und lachte.

»Pfui, Gabriele, daß du dergleichen wiederholen magst –«

»O, sei ohne Furcht, es steckt nicht an. Ich halte aber auf meinen Schulzen.«

»Auch wenn ich dir sage, daß er der Gemeinde zu großem Aergernis gewesen ist, wegen – nun offen gesagt – wegen seines Mangels an Sittlichkeit.«

Gabriele lachte: »Du brauchst gar keine so klägliche Miene dazu zu machen – Johannes! Man kann es dem Schulzen ansehen, daß er gerade kein Musterbild gewesen ist.« Johannes blieb stehen und wandte sich zu ihr um, indem seine klaren Augen fest und ernst in die ihrigen blickten.

»Liebste Gabriele, laß diesen Ton fallen; ich bitte dich herzlich darum. Wohl weiß ich, daß diese Art und Weise nicht deine natürliche ist – es ist dieser Verkehr in der Stadt – diese Clique –«

»Aufrichtig gesagt, Johannes! Ich hatte ein Verlangen, diesen Ton einmal wieder anzuschlagen. Ich verließ die Kirche ganz aufgeregt über die Predigt deines Vaters, ich war so traurig und niedergeschlagen. Und nun hat dieser alte Sünder mich aufgeheitert – nicht durch seine Sündhaftigkeit – das weißt du wohl, aber indem er mir ein menschenfreundliches Gemüt zeigte, welches das Leben und seine Freuden weder verschmäht noch verurteilt hat, – und das that mir gut – es stimmte mich versöhnlich.«

»Was sagst du – versöhnlich? Und aufgeregt – hat dich die Predigt des Vaters, aufgeregt?«

»Ja, und es wurde nicht besser, als ich sah, wie du die Lobreden der Frau Vogt entgegennahmst.«

»Aber es war eine vorzügliche Predigt – ich kann dir's versichern, eine der besten des Vaters.«

»Ist das wirklich deine Ansicht, Johannes?«

»Das heißt, etwas altmodisch war sie ja, aber –«

»Es war eine sehr schlechte Predigt, Johannes – eine boshafte und höhnische Predigt! – Aber sprechen wir nicht weiter davon, ich ereifere mich nur –«

»Doch, du mußt mir erklären, was du meinst.«

Gabriele zog ihren Arm aus dem seinen und blickte ihm fest in die Augen.

»Du weißt wohl, was ich meine.«

»Nun – ja, das heißt, denken kann ich mir ja, daß in deinen Augen der Vater zu hart gegen die modernen Freigeister zu Felde zieht und – und –«

»Und gegen mich, sprich es nur aus: ja, Johannes, das hätte er nicht thun müssen.«

»Aber liebe Gabriele,« sagte Johannes nachsichtig, »du hast doch ganz seltsame Vorstellungen von Predigern; man merkt, du hast nur gehört, wie in sicherer Entfernung über sie hergezogen wurde. Du ahnst nur wenig davon, wie ein ernster Diener Gottes, der in Furcht und Zittern arbeitet –«

»Johannes, wagst du es, mir in die Augen zu sehen und zu behaupten, dein Vater habe dabei meiner nicht gedacht?«

»Wie darf ich etwas von den verborgenen Gedanken eines andern behaupten?«

»Nein, ich meine nur: Darfst du sagen, du glaubst selbst nicht daran, dein Vater habe so gesprochen gerade mit Rücksicht auf mich – um mich zu treffen – darfst du das?«

»Das darf ich in Wahrheit thun,« erwiderte Johannes, und seine Augen hielten ihren Blick fest aus.

»Der Text sollte es vermögen, einen Prediger, der über zwanzig Jahre seines Amtes übt, es ganz vergessen zu machen, daß einer der Zuhörer sich aufs peinlichste durch jedes seiner Worte berührt fühlen muß? Willst du mich wirklich glauben machen, dies sei möglich?«

»Ja, du mußt es nicht nur glauben, sondern dem Vater wegen deines Verdachtes in deinem Herzen Abbitte thun. Das ist ja gerade das Herrliche bei Gottes Wort, daß es, in der überlegenen Weise meines Vaters verkündet, in dem Herzen des einzelnen einen Widerhall findet, als wäre es eigens zu ihm gesprochen.«

»Nein, Johannes, das sind Redensarten; denn in der ganzen Gemeinde konnten die Anspielungen auf die wissenschaftlichen Zweifel und die neuen Gedanken kein Verständnis finden; ich weiß nicht, ob der Vogt und seine Damen –«

»Du mußt mir doch gestatten,« unterbrach sie Johannes, »an der Macht Gottes im Munde eines würdigen Dieners festzuhalten. Es thut mir leid, daß du meinen Vater für fähig hältst, die Kanzel zu persönlichen Angriffen zu benutzen, die dich peinlich berühren mußten – ich glaube, du nanntest dies Vorgehen empörend.«

»Freilich, wenn du deiner Sache so sicher bist, Johannes, so muß ich mich wohl bescheiden,« sagte Gabriele, »ich habe vielleicht deinem Vater unrecht gethan. Eins ist aber sicher: es war eine häßliche, hochmütige Predigt!«

»Liebste Gabriele! Du hast es noch nicht gelernt, den Vater in seiner ganzen Größe aufzufassen. Es verwirrt dich natürlich, daß er hier als bescheidener Prediger unter den Bauern lebt, obgleich er in Wirklichkeit zu den begabtesten Männern des Landes gehört. Jedesmal, wenn ich heimkehre, fühle ich mich von seiner Persönlichkeit überwältigt.«

»Das merkte ich schon,« sagte Gabriele scherzend, indem sie an seinem Arme dahinschritt; »du fühlst dich nicht nur überwältigt, du scheinst mir zu wachsen und Autorität von deinem Vater zu entlehnen. Ich glaube beinahe, ich muß es lernen, so demütig wie die beiden Fräulein Olsen zu sein.«

Es war ihnen beiden angenehm, als das Gespräch eine andre Wendung nahm, und doch hatten sie ein Gefühl, als seien sie noch nicht ganz damit fertig.

Der Wind war zum Sturme gewachsen, und als sie aus dem Walde heraustraten, flog der Schnee vom Kirchdach und wirbelte über den Kirchhof, der mit einer Gitterthür abgeschlossen war und heute ganz verlassen dalag; nur war der Schnee von Menschen und Pferden niedergetreten und die Kirche lag wieder verschlossen da mit Läden vor den Fenstern. Als sie jetzt, dicht aneinander geschmiegt, den Weg über die Felder nach dem Pfarrhause einschlugen, hielt es Johannes für seine Pflicht, seinem Vorsatze gemäß sie über das gestrige Gespräch zur Rede zu stellen – dergleichen durfte zukünftig nicht wieder vorkommen.

»Dein – wie soll ich nur sagen – dein Mangel an Verständnis für das eigentliche Wesen meines Vaters trug auch die Schuld daran, daß du dich ihm gegenüber so ganz vergessen konntest – wie es gestern abend geschah.«

»Bitte, was sagst du da, Johannes? Ich dächte, ich wäre sehr fromm und sanftmütig gewesen.«

»Du entsinnst dich nicht, daß du die Worte des Vaters ein kindisches Geschwätz nanntest?«

» Misericordia!« rief Gabriele lachend; »wirklich, das habe ich gesagt? Ich fühlte mich aber so abgespannt und muß bekennen, es reizte mich ein wenig.«

»Er war dir vielleicht ein wenig überlegen – wie?« fragte Johannes lächelnd. »Außerordentlich,« entgegnete Gabriele kampfbereit; »er erinnerte mich sehr an jene Prediger, die Vetter Jürgen ›aufgeblasene Pfaffen‹ nennt.«

»Still, Gabriele, wie kannst du nur diesen Vetter anführen! Du mußt dich aber wirklich bemühen, die Ueberlegenheit des Vaters anzuerkennen; schon seine ungewöhnlich umfassenden Kenntnisse –«

»Ach, er weiß ja nur Böses von allem und allen; noch nie hörte ich so viel Böses von den Menschen wie während der kurzen Zeit gestern abend.«

»Weil mein Vater die innere Hohlheit von allerlei Dingen erkannt hat, die du bewunderst, und gewisse Personen in einem andern Lichte sieht –«

»In einem schwefelgelben – abscheulichen –«

Der Wind zerrte an ihren Kleidern und nötigte sie, ihre Schritte zu hemmen, und wieder freuten sie sich beide, abgelenkt zu werden. Heute war alles nicht, wie es sollte; es gelang ihnen nicht, den angenehmen kameradschaftlichen Ton zu treffen, der ihnen einst so leicht über die verschiedene Auffassung der Dinge hinweghalf.

Es ließ Johannes keine Ruhe, daß sie dem Vater ihre Anerkennung nicht zollen wollte, und er wunderte sich darüber, daß sie doch mehr von der verhaßten »Clique« beeinflußt wurde, als er zuerst wähnte.

Und Gabriele fühlte wieder, daß ihr kleiner Theologe ihr über den Kopf wachse, und da sie den Vater als den Quell dieser Kraft ansah, war sie doppelt geneigt, mit diesem den Kampf aufzunehmen.

»Sieh nur, der Schnee wirbelt hoch auf um den Gipfel des Lichtberges! Wir bekommen Sturm!«

»Ah! – Mir scheint, wir haben ihn schon,« sagte Gabriele; »komm, eilen wir, das Haus zu gewinnen.«


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