Alexander Lange Kielland
Schnee
Alexander Lange Kielland

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Fünftes Kapitel.

»Christiania, den 2. April 1884.

»Lieber Vater! – In Deinem letzten Schreiben machst Du mir sanft den Vorwurf, daß ich längere Zeit habe hingehen lassen, ohne Dir ausführlichen Bescheid über die hiesigen Verhältnisse zu geben. Du bist wahrlich dazu nur allzu berechtigt; ich muß Dir daher erst meinen Dank für diese scherzende Zurechtweisung aussprechen, ehe ich dazu schreite, Dir den Grund meiner Nachlässigkeit zu erklären und Deine Einwilligung und Deinen Segen zu einem Schritte zu erbitten, den ich in diesen Tagen unter Gebet und Selbstprüfung zu thun gewagt habe. Ich bin nämlich verlobt – das heißt: ich habe das Jawort eines jungen und lieblichen Weibes erhalten; ihrer Familie habe ich mich aber noch nicht vorgestellt, indem das Verhältnis, in welchem Du und ich, Gott sei gelobt, zu einander stehen, es mir zu einer lieben Pflicht macht, Deinen Rat und Deine Einwilligung einzuholen, ehe ich dieser so heißersehnten Verbindung vor Gott und Menschen die offizielle Bestätigung gebe.

»Meine Braut – Du wirst das Gefühl von Glückseligkeit verstehen, das mich bei Nennung dieses Wortes durchbebt – und ich vertraue, daß ich es in Wahrheit sagen darf – die reine und keusche Freude bei dem Gedanken an die Hilfe und den Segen, der uns im Verkehr mit einer guten und treuen Ehefrau verheißen ist – meine Braut ist die Tochter Jörgen Pramms. Sie gehört deshalb nicht nur einer guten alten Familie an, sondern ist auch, was man – sehr wohlhabend nennt. Ich beeile mich, dies zu sagen – nicht weil es für Dich oder für mich irgend welche Bedeutung hat, sondern damit ich nicht einmal vor mir selbst den leisesten Schein einer Gleichgültigkeit affektiere, die, wenn erheuchelt, die schlimmste Anklage sein würde. Ich habe ihre Bekanntschaft während der Saison gemacht, indem ich sowohl Deinem Wunsche gemäß wie auch der eignen Neigung folgend diesen Winter ziemlich viel an der Geselligkeit teilgenommen habe. Unter den gegenwärtigen gespannten – ich darf beinahe sagen erregten Verhältnissen keimte und wuchs meine Liebe trotz allerlei Prüfungen und Mißgeschicken. Es gibt nämlich, wie ich Dir nicht zu sagen brauche, etliche verdorbene Elemente unter den jungen Männern, und selbst eine Familie wie die Prammsche ist nicht ganz von den Strömungen der Zeit unberührt geblieben. Da sind einige Vettern meiner Gabriele, welche im Verein mit einer Schar gleichgesinnter Freunde alles aufgeboten haben, um mich unmöglich – ja lächerlich in ihren Augen zu machen. Es ist nicht nur meine Stellung als Theologe, die zu einer Zeit, wo ein Christ zu sein von gewissen Leuten als gleichbedeutend mit einer Art milden Blödsinns betrachtet wird, welche in den Augen der Herren einen Anlaß zu Haß und Verfolgung abgab – nein, dieser wurde dadurch verschärft, daß ich Dein Sohn bin. Ich gestehe, ich bin stolz darauf, ein Gegenstand des Angriffs gewesen zu sein, jetzt, wo der Sieg endlich mein ist, und wo Gabriele nachgegeben hat – oder richtiger, nachdem sie durch eine genauere Bekanntschaft darüber klar geworden ist, wo sich zuguterletzt jene solideren Eigenschaften finden, auf denen allein die Hoffnung auf ein dauerndes Glück hier auf Erden sich bauen darf.

»Glaube nur nicht, lieber Vater, daß ich Dir dies erzähle, um zu prahlen. Mein Herz ist in Wahrheit zu sehr von einem demütigen Dankgefühl gegen den Herrn beseelt, der mich in seiner Gnade so weit geführt hat; ich muß aber dies berühren, um das Ganze zu erklären, so wie ich Dir vertrauensvoll mein Inneres offenbare.

»Dies moderne Unwesen, welches sich also so dicht an meine teure Gabriele herandrängte, hat sie nämlich nicht ganz unberührt gelassen. Wenn ich Deine Einwilligung zu meiner Verbindung mit dieser Jungfrau erbitte, so muß ich leider auch bekennen, daß sie nicht von Herzen eine wahrhaft gläubige Christin ist. Ich merkte es gleich zu Anfang unsrer Bekanntschaft; aber statt es abstoßend auf mich wirken zu lassen, bin ich eher geneigt, die starke Anziehungskraft, welche dies Weib auf mich ausübte, teilweise dadurch zu erklären, daß bei mir ein inniger Wunsch erwachte, dazu beizutragen, diese so schön veranlagte Seele der göttlichen Gnade teilhaftig zu machen. Unsre Unterhaltung nahm auch gleich einen ernsthaften Anstrich an, trotzdem daß die weltlichen Umgebungen damit im Widerspruch standen. Wir sahen uns ja stets in der Gesellschaft. Enthielt ich mich auch selbstredend jedes direkten Bekehrungsversuches, welcher nur abschreckend und trennend gewirkt haben würde, so verheimlichte ich keineswegs meinen einfältigen Christenglauben. Und ich hielt mich so viel als möglich den zahlreichen wohlfeilen Angriffen auf das Christentum fern, welche, wie Du weißt, den Ungläubigen jederzeit zu Gebote stehen. Daran, daß diese Anschauungen nur teilweise ihre eignen seien, zweifelte ich nicht. Vielleicht mögen Sanftmut und die Gemütsruhe, womit ich diesen meinen Anteil an der Schmach Christi ertrug, welche in diesen Tagen so reichlich über seine Bekenner ausgegossen wird, dazu beigetragen haben, mich trotz aller Ränke und Kunstgriffe in ihrem Urteil zu heben. So geschah es denn, daß sie, als ich sie gestern nach einer langen Unterredung zum letztenmal um eine bestimmte Antwort bat, ihre Hand in die meinige legte und mit bewegter Stimme diese Worte sprach: ›Sie sind doch derjenige, dem ich am meisten vertraue – ich will die Ihrige sein.‹

»Sieh – lieber Vater! Dies ist die Geschichte von meinem Glück; es folgt aber etwas hinterher, welches mich in meinem Gemüte weder Frieden noch Ruhe hat finden lassen. Als sie nämlich jene Worte gesprochen hatte und schon von mir Abschied nehmen wollte – Frau Pramm kam uns in ihrem Wagen entgegen – da sagte sie lächelnd: ›Aber unter einer Bedingung: Sie müssen den geistlichen Stand aufgeben – das müssen Sie mir versprechen! – Versprechen Sie es mir?‹

»Ja, hier ist der Punkt, um den sich seitdem alle meine Gedanken gedreht haben; und selbst in diesem Briefe fühle ich mich von einer zugleich unwiderstehlichen und peinlichen Macht gezwungen, gerade diesen Gegenstand zu erörtern.

»Was sollte ich thun? – Oder muß ich es versuchen, mir darüber klar zu werden, was ich that; denn die Eindrücke waren in diesen wenigen Augenblicken so überwältigend, das Ganze ging so schnell, daß ich mir's nicht ganz bewußt bin, was ich sagte, welche Worte ich gebrauchte.

»Zwar darf ich es vor Gott beschwören, daß es mir nie – selbst nicht in jener Stunde – ernstlich in den Sinn kam, meinem Berufe als ein geringer, aber treuer Diener Gottes untreu zu werden – aber ebensowenig darf ich es leugnen, daß die Worte, in denen sich meine überströmende Glückseligkeit Luft machte, ihr als gleichbedeutend mit einem Verzicht auf alles, was gegen ihren Wunsch und Willen stritt, erscheinen mochten.

»Hier hast Du meine Schwäche und meine Sünde – guter Vater! – Wohl weiß ich, daß ich für dies wie für alles dem Vater des Lichtes Rechenschaft schulde; ich lege aber meine Schuld in Deinem Herzen nieder als meine nächste Instanz, damit Du mich zurechtweisen und in dieser Sache leiten kannst. Finde ich auch einige Entschuldigung in dem Umstande, daß keine Zeit war, eine so ernste Frage gründlich zu besprechen – Frau Pramm ließ schon den Kutscher halten – so trete ich doch der an mich gestellten Anforderung entgegen, indem ich Gabriele aufsuche. Soll ich nun kurz und gut meinen Entschluß, Geistlicher zu werden, aussprechen und dadurch vielleicht eine Mißstimmung herbeiführen, welche jetzt im ersten Morgenschimmer unsrer Liebe wie ein plötzlicher Nachtfrost alle Keime ersticken würde und vielleicht ganz jenes heißersehnte Glück zerstören, dessen Besitz mir jetzt nah bevorstehend erscheint?

»O – gäbe Gott, daß ich Dich hier hätte, Vater! – Du, dessen Rat und Leitung ich so wenig zu entbehren vermag, ohne dessen teure Einwilligung ich bisher keinen wichtigeren Schritt im Leben unternommen habe. In all dieser Ungewißheit bin ich daher zu dem Entschlusse gekommen, keine Entscheidung herbeizuführen, ehe ich in wenigen Tagen Deine Antwort erhalte; so wie Du es mir rätst, werde ich gewiß handeln, was es mich auch kostet. Indessen werde ich im Verkehr mit meiner Braut – zürne nicht, daß ich mich in meinem Liebesglück über dies Wort freue – meiner Gabriele gegenüber es möglichst vermeiden, diese Frage zu berühren und Deinen Brief abwarten. Gott gebe, daß Dir die Sache im selben Licht erscheinen möchte, in welchem meine Hoffnung sie mich erblicken läßt: daß nämlich die Zeit und möglicherweise andre Umgebungen meine Gabriele dazu bringen könnten, sich mit dem Gedanken an eine Lebensstellung auszusöhnen, von welcher sie leider so falsche Begriffe hat. – Sieh – dies alles hat mich egoistischerweise so ganz in Anspruch genommen, daß ich zu wenig darauf geachtet habe, Dich mit den Begebenheiten des Tages auf dem Laufenden zu halten; jetzt naht sich aber die gesegnete Osterzeit, und da hoffe ich Dir in dem gemütlichen Winkel des Elternhauses die Unruhe und Irrungen der bösen Welt schildern zu können. Ich kann erst am Osterabend kommen, da ich, wie wohl bereits erwähnt, schon längst eine Einladung zum Mittagessen am Gründonnerstag von dem Herrn Professor erhalten habe. Wie über alle Beschreibung glücklich würde ich sein, könnte ich meine Gabriele unsrem kleinen Kreise zuführen!

»Grüße die liebe, gute Mutter und erzähle ihr von meinem Glücke. – Hier reden alle von Deinem letzten Aufsatze, und Du kannst Dir schon denken, daß ich mit vielen herzlichen Grüßen für Dich beauftragt werde.

»Auch von Stockholm kannst Du bald etwas erwarten, sagte K. diesen Sonnabend! er wollte sich nicht näher erklären; aus seiner freundlichen Miene konnte ich aber schließen, daß die Eifersucht, welche von seiner Seite einst so offen an den Tag trat, jetzt anscheinend einer unbedingten Anerkennung Deiner Ueberlegenheit gewichen ist.

»Und jetzt, lieber Vater, lege ich insofern das Glück meiner Zukunft in Deine Hände, als Dein Brief mir kund thun soll, ob mir Dein Beifall zu teil wird für das, was ich gethan habe, und ob ich Deinen Segen erhoffen darf, wenn ich weiter vorgehe, wie es mein Herz begehrt. Möchte unser beider Vater bei Dir sein, jetzt wie so oft mit dem Ratschluß der Weisheit und Liebe – ihm zu Ehren und mir zum Frommen und zur Freude.

Dein ergebener Sohn

Johannes.«


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