Alexander Lange Kielland
Schnee
Alexander Lange Kielland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

»Die Durchführung des Prinzips der Volkssouveränität im Staate würde daher dasselbe sein, wie die Absetzung, ja die Vernichtung des Christentums als das moralische Prinzip des sozialen Lebens. Die furchtsameren Seelen diskutieren die Entthronung des Christentums unter mancherlei Einschränkungen, Umschweifen und Phrasen; die vorgeschritteneren Geister sprechen ihm la mort sans phrase zu. Der Kampf wird nämlich nur anscheinend zwischen den Radikalen und der Regierung geführt; der Schlag ist aber in Wirklichkeit gegen Gott gerichtet, von dem alle Obrigkeit ist – es ist ein Kampf gegen Gott.«

Es waren seine eignen Worte, die Daniel Jürges in der Zeitung der Hauptstadt las, und er fand, daß Kraft darin lag.

Sein Verhältnis zur Zeitung hatte sich seit jener mißglückten Besprechung verändert. Zwar bildete sie noch immer seine Hauptlektüre, und er schätzte sie gleich hoch; seine Bewunderung hatte aber einen vertraulicheren Anstrich angenommen, seit er selbst Mitarbeiter geworden war – beinahe ein ebenso bedeutender, wie der geschätzte K. selbst.

Auf dem Wege nach dem neuen Wohnort hielt sich die Familie in Christiania auf, und dieser kurze Aufenthalt genügte, um dem Pastor das Gleichgewicht wiederzugeben. Er beruhigte sich nach dem Schrecken, den ihm jene Besprechung eingejagt hatte, als er merkte, daß nur ein Unterschied in der Ausdrucksweise ihn von dem geschätzten K. und den andern trennte. Nach wenigen Zusammenkünften mit den verschiedenen Mitarbeitern war er seiner selbst vollkommen sicher. Gott sei gelobt! – Kein Schaden war geschehen; er durfte sich noch mit den besten messen, wollte er seinen Geist frei die Schwingen entfalten lassen. Das war es eben: er hielt sich mit Willen zurück, konnte aber, wenn er wollte – das hatte er eigentlich stets im Sinn gehabt.

Es war ihm lieb, zu beobachten, welche Ueberraschung er selbst in der Hauptstadt erregte. Eine solche Frische hatte noch kein Beamter bewahrt, der nach vierzehn Jahren vom hohen Norden zurückkehrte; er bildete in jeder Hinsicht eine Ausnahme.

Die alten Freunde, welche die Zeit in der Stadt oder in der Nahe derselben verbracht hatten, fingen damit an, ihn überlegen lächelnd als jemand zu behandeln, welcher direkt aus der Wildnis kommt. Sie zogen aber bald die Fühlhörner ein und machten große Augen; er war ja genau so bewandert in allen Dingen in und außerhalb des Landes, wie sie selbst, ja auf gewissen Gebieten schien er gar mehr zu wissen, als selbst die Zeitung der Hauptstadt.

Was ihm abging, das waren allein einige Kraftausdrücke und kleine Personalia, welche nicht gedruckt werden, und dann der Ton – jene bequeme Nachlässigkeit in der Sprache, welche zu jeder Zeit die Kinder der Hauptstadt von denen der Provinz unterscheidet.

Dies fand sich aber von selbst in einigen Tagen, und jetzt war er nicht bloß der Alte, die Jahre hatten ihm eine größere Sicherheit verliehen, ihn noch imponierender gemacht.

Die vielen geschäftigen Eichkätzchen, welche in einer so großen Zeitung wie die der Hauptstadt aus und ein laufen, umkreisten eifrig den Pastor Jürges, während er sich in Christiania aufhielt, und die Redaktion bot alles auf, um diese ungewöhnliche Kraft an das Blatt zu knüpfen; denn die Eichkätzchen meldeten, daß was aus seiner Studentenzeit allenfalls hätte bedenklich sein können – nämlich seine Volkstümlichkeit in Gedicht und Rede – ganz überstanden sei.

Er widerstand lange und war schon einige Jahre in seinem neuen Amte thätig gewesen, ohne der Redaktion andres zu schicken, als einzelne Besprechungen zugesandter Bücher und ab und zu einen Pfingstpsalm. Allmählich erweckte aber das kalte und fremdartige Verhältnis, worin er zu der Gemeinde stand, ein Verlangen, sich auszusprechen; und vornehmlich nachdem Johannes Student geworden war und von Christiania Briefe schickte, ließ er sich stets häufiger bewegen, Aufsätze zu liefern. Es endigte damit, daß sein D. mit K. auf der ersten Seite wechselte.

Es war auch in Wirklichkeit hohe Zeit, daß Männer wie er hinzutraten, um dort zu stützen, wo alles zu wanken schien. In den letzten Jahren hatte er erkannt, was ihm während seiner einsamen Studien verborgen geblieben war: daß viele jener Ideen, welche die Lebensanschauung seiner Jugend geprägt hatten, für die Gesellschaft Gefahr mit sich führten, wenn sie sich nicht – wie bei ihm – in einem vollkommen reinen christlichen Geiste entwickelten.

Die Verderbnis und Zügellosigkeit, welche jetzt draußen in den großen Staaten um sich griffen, zeigten überall ihren Ursprung, ihren genauen Zusammenhang mit einigen jener Gedanken, die er in seiner sorglosen Jugend als Fortschritt und Entwicklung begrüßt hatte. Und umgekehrt fand sich in seiner ganzen umfangreichen Kenntnis der Politik, Litteratur und inneren Verhältnisse der zivilisierten Länder kein einziges Beispiel dafür, daß etwas Gutes – etwas dauerhaft Gutes aus den anscheinend schönen und humanen Gedanken hervorgegangen war, mit welchen sich die neue Zeit zu schmücken pflegte.

Immer deutlicher wurde es ihm, daß ein Name nach dem andern innerlich hohl und verdorben sei, sowie auch, daß jeder Mensch, gleichviel ob Mann, ob Weib, bei dem die neuen Ideen Wurzel gefaßt hatten, nicht ganz so sei, wie er sollte. Als ihm aber diese Erkenntnis geworden war, da stand auch etwas andres deutlich vor seiner Seele: das Christentum allein sei der Boden, aus dem die Zukunft hervorkeimen könne, und alle jene Verirrten und Widerspenstigen mußten in einer lebendigen Kirche unter der Zucht des Kreuzes versammelt werden.

Während man früher in dem Wahne stand, daß jenes Entsetzliche irgendwo weit fort in Europa zu Hause sei, hatten ihm die letzten Jahre gezeigt, daß es sich unvermerkt hier eingeschlichen hatte und plötzlich das Haupt voller Frechheit und Trotz erhob. Er hatte es in seiner eignen Gemeinde erlebt.

Gleich nach seiner Ankunft hatte man angefragt, ob er in den Storthing gewählt zu werden wünsche. Er gab aber eine verneinende Antwort, und die Bauern bedauerten alle diesen Entschluß.

Drei Jahre nachher war er aber zu der Ueberzeugung gekommen, es sei seine Pflicht, und er stellte sich zur Wahl, ganz offen und zuversichtlich auf alle Stimmen rechnend. Sein Staunen war groß, als er nur drei zum Wahlmann erhielt und keine einzige zum Deputierten. Anfangs begriff er gar nicht, wie es zugegangen sei – ja der Grund zu diesem Ergebnisse ward ihm überhaupt nie klar. Zwar entsann er sich gut des alten Zerwürfnisses anläßlich jenes Bauholzes; der alte Schuppen vor seinen Fenstern erinnerte ihn zur Genüge daran. Wie unzähligemal hatte er aber sowohl im Vortrag wie in der Diskussion seine Überlegenheit bewiesen, ihnen den Standpunkt klar gemacht und ihre ländlichen Politiker in die Enge getrieben – dies war auch oft anerkannt worden von jedem einzelnen der leitenden Männer. Und nun, als es darauf ankam, standen bloß drei zu ihm? Wie war es nur möglich?

Eifrig sann er darüber nach, wem nun diese Stimmen gehören mochten, einer nach dem andern tauchten seine Getreuen hervor – von denen keiner ihn hatte im Stich lassen können.

Und doch – es waren nur drei Stimmen, und die mußte er notgedrungen auf den Vogt, den Schulzen und den Küster verteilen; da blieb nichts für die andern übrig.

Der Vogt lachte und schwur darauf, die Bauern seien das falscheste Gesindel, das Gott geschaffen habe. In Pastor Jürges kochte es aber, er fühlte die Entrüstung in warmen Strömen hervorquellen. Wahrlich, es war Zeit für einen Streiter Gottes auf der Wacht zu sein! Von diesem Zeitpunkt an wurde er ein fester Mitarbeiter der Zeitung.

Kein Zweifel konnte darüber herrschen, daß der Küster zu den Dreien gehörte, denn er war ein echter Repräsentant seines Standes – unterthänig und einschmeichelnd, in den abgetragenen Rock des Pastors gekleidet, den Mund von verbrauchten priesterlichen Redensarten und verdünnter Salbung überfließend; in den Mundwinkeln lungerte noch das abgenutzte priesterliche Lächeln, welches aus seiner langen Dienstzeit an ihm haften geblieben.

Anders verhielt es sich mit dem Schulzen. Es war nicht so leicht, aus ihm klug zu werden – ein alter Fuchs, den der Vogt oft vergeblich zum Teufel gewünscht hatte. Der Schulze befand sich in einer schwierigen Lage als nächster Nachbar des Pastors und nur durch den Fluß vom Vogt getrennt; auf der andern Seite mit den mächtigsten Geschlechtern des Kirchspiels verwandt und selbst Besitzer eines großen Bauerngutes und zerstreut liegender Wälder.

Nahte er sich der Linken, so fielen die Beamten über ihn her; liebäugelte er mit der Rechten, so erblickte er in der Gemeinde mürrische Mienen, und seine eigne Sippe ließ es nicht an harten Worten fehlen. Dem alten Schulzen ging aber nichts über Frieden und gutes Einvernehmen mit den Menschen. Er hatte, wie er selbst sagte, Verträglichkeit sowohl bei seiner Gattin wie bei andern erfahren; denn für Wein, Weib, Kartenspiel und dergleichen Dinge hatte er stets ein offnes Auge gehabt. Daß er den Leichtsinn und seine Folgen hatte kennen lernen, machte ihn nachsichtig und geneigt, verborgene Wege und gütliche Vergleiche zu suchen.

Sein Leben lang hatte sich der alte Olsen wie ein Perpendikel zwischen erregbaren Vögten und steifen Geistlichen auf der einen, und einem Kirchspiel, dessen Schwächen seine eignen waren, auf der andern hin und her bewegt.

Zuletzt hatte er sich aber eine Gewandtheit angeeignet, die jetzt, wo andre Zerstreuungen ihren Reiz verloren, den Trost seines Alters ausmachte.

Der Prediger war fest davon überzeugt, die dritte Stimme gehöre dem Schulzen, und die Gemeinde schwur darauf, der Schulze habe mit ihnen gestimmt. Dieser saß aber zu Hause, und der Gedanke daran, daß er noch allen eine Nase drehen könne, besänftigte den Schmerz, den ihm das Podagra verursachte.

Nur kurz war der Weg, welcher vom Pfarrhaus an der Kirche vorbei durch den Wald nach dem Schulzenhof führte; die beiden Familien verkehrten aber nicht. Pastor Jürges fand den Schulzen zu plump und unbedeutend, und Frau Olsen und ihre Töchter waren nichts für seine Damen.

Frau Jürges war außerdem zu sehr von der Wirtschaft in Anspruch genommen, als daß sie daran denken konnte, Besuche abzustatten. Dies war überhaupt seit ihrer Verheiratung der Fall gewesen. Bis dahin lebte sie nur in Musik; seitdem sie aber Mutter geworden war, hatte sie eigentlich immer nur Ruhe nach den Wochenbetten gehabt.

Als sie daher nach dem Umzug die Hauptstadt passierte, erregte sie ein peinliches Aufsehen in dem Kreise, wo die begabte Wilhelmine Lindemann vor vierzehn Jahren geglänzt hatte. Alle waren sie ja während dieser Zeit älter geworden; ihre Jahre waren aber entsetzlich lang gewesen.

Daß die Schönheit nach acht Jahren und einem einsamen Leben in einem harten Klima schwindet – darüber durfte sich keiner wundern. Wie sich aber ein Mensch in seinem ganzen Wesen und Denken dermaßen verändern kann, vermochten ihre Freundinnen kaum zu fassen.

Sie war Künstlerin gewesen – nicht so sehr, was die künstlerische Ausbildung betraf, als ihrem Wesen, ihrer Natur nach. Schwärmerisch nannte man dies damals, um damit etwas Zartes, Leichtes zu bezeichnen, das über das Alltägliche hinaus in höhere Regionen emporstrebte.

Jetzt mußte sie sehr religiös, ja pietistisch geworden sein – dies war in den Augen der Freundinnen die einzige Erklärung für die ängstliche Zurückhaltung, die nervöse Scheu, womit sie es vermied, Musik zu hören, wenn sie in der Stadt war.

Sobald Frau Jürges ihr neues Heim erreicht hatte, entfaltete sie eine rastlose Thätigkeit. Anfangs war dies ganz angebracht, als aber alles seinen geregelten Gang ging, schüttelte der Pfarrer mit dem Kopfe, wenn sie eilfertig von der Küche durch das Wohnzimmer schlüpfte, um die Treppe hinaufzusteigen, ohne sich darauf zu besinnen, was sie eigentlich oben suchte.

»Kleine Minna, hemme deine Schritte,« sagte er dann lächelnd, »es geziemt sich einer Pfarrfrau, würdig in ihrem Gemache zu sitzen und Leinen zu säumen.«

»Ja, jetzt komme ich gleich, Daniel,« erwiderte sie und ließ die bekümmerten dunkelbraunen Augen mit dem bläulich schimmernden Weiß auf ihm ruhen; »jetzt komme ich gleich – sei nur nicht böse – jetzt – jetzt komme ich gleich;« und damit verschwand sie und machte die Thür hinter sich zu.

Dies wurde ihm eine reine Plage. Wenn früher die Wirtschaft sie gedrückt hatte, wo die Kinder noch hilflos und klein, das ganze Hauswesen einfach und bescheiden gewesen war – dagegen ließ sich nichts sagen; als aber die beiden Töchter sich verheiratet hatten und Johannes in Christiania studierte, mußte es peinlich auffallen, daß seine Frau fortfuhr, in dem großen Hause herumzulaufen – blaß, müde und unfähig, Ruhe zu finden, um bei ihm zu bleiben und es ihm in der Wohnstube gemütlich zu machen.

Er fühlte sich denn gezwungen, ernstlich mit ihr darüber zu reden und ihr zu erklären, wie sehr dies unrecht sei – nicht allein menschlich gesprochen, von einem ästhetischen Standpunkte aus. Gottes Wort legt aber ausdrücklich den Frauen ans Herz, das bessere Teil zu wählen und nicht wie Martha in der Wirtschaft und in materiellen Sorgen aufzugehen.

Sie vergoß Thränen, wenn er es nicht sah, und legte sich Zwang auf in allem, was sie sprach und that.

Leider verhielt es sich so: sie ging in Kleinigkeiten auf und manchmal – besonders wenn Besuch da war – las sie in seinem Gesicht, daß er ihre Unterhaltung nichtssagend und langweilig fand. Brachte sie es wirklich über sich, still mit einem Buche dazusitzen, während er auf dem Sofa die Zeitungen las, da ließen die häuslichen Sorgen ihr keine Ruhe, selbst wenn sie sich so müde fühlte, daß das Stillsitzen ein reiner Segen war.

Gegen ihren Willen und trotz aller guten Vorsätze begannen ihre Gedanken mit dem Eifer eines schlechten Gewissens das Haus zu durchsuchen, um Versäumnisse oder Dinge, die noch gethan werden mußten, zu entdecken.

Oder die Vorstellung davon, wie arg es sei, daß Karoline, welche bald ein Kleines erwartete, noch kein Flaumfederkissen für das Kindchen bekommen hatte, packte sie mit einer Gewalt, daß sie ganz heiß und aufgeregt wurde und nervöse Zuckungen in Armen und Füßen verspürte. Daunen lagen ja oben die Hülle und Fülle – sie hatten die schönsten Eiderdaunen von Nordland mitgebracht – sie besaß auch roten Zwillich – ein Stück, welches gerade passen würde, lag oben in der Schublade – sie sah alles vor sich; eine so leichte Arbeit und für Karoline von solchem Nutzen; – die Daunen hervorsuchen, sie im Kessel erhitzen, während die Mamsell den Bezug auf der Maschine nähte – wenn sie nur nach oben gehen dürfte! – Es war ja für Karoline – für das Kleine – das arme Kleine, das kein Flaumfederkissen hatte – sie sah ihn vor sich – hilflos – von allem entblößt!

»Aber mein Gott – Minna! – wie unruhig du bist,« rief der Prediger und blickte von seiner Zeitung auf. »Gewiß hast du jetzt wieder etwas vor und möchtest mir davonlaufen.«

»Bitte, verzeihe, Daniel! Ich wußte nicht, daß ich unruhig war. Es war nur – ja, es thut mir so leid, daß ich dich stören muß; da ist aber Karoline – oder richtiger gesagt – ihr Kleines, wenn es kommt – verstehst du, denke nur, da hat es kein Flaumfederkissen –«

»Kein Flaumfederkissen!« er mußte lachen, »machst du dir auch Sorge wegen der Ungeborenen – du unverbesserliche Martha!« Erfreut über sein Lachen faßte sie sich ein Herz und legte das Buch zur Seite.

»Ja, du weißt nicht, Daniel! – Denn Männer wissen dergleichen nicht – wie nützlich, ja notwendig solch ein Kissen ist; – und wenn du mir nur erlaubst, eins zu arbeiten –«

»Erlaubst! – Natürlich erlaube ich es, rede doch keinen solchen Unsinn; es ist nur deinetwegen, daß ich alles aufbiete, um –«

»O Daniel! – ich verstehe dich so gut – du Lieber!«

»Nein, du verstehst mich nicht und hast mich nie verstanden,« platzte er los, indem er sich erhob.

Frau Jürges flüchtete mit erschrockener Miene in die Küche hinaus; denn er konnte, wenn ungeduldig, vieles sagen, was er längst vergessen hatte, wenn sie noch, aufs schmerzlichste betroffen, darüber nachgrübelte.

Ach, sie begriff es nur zu gut, sie war keine Frau für einen Mann wie er; und klopfenden Herzens hörte sie ihn mit schweren Schritten auf und ab gehen, wahrend er erregt die Zeitungen zusammensuchte, um seine Pfeife in der Amtsstube weiter zu rauchen – sie wußte ja, wie viel lieber er den Nachmittag im Wohnzimmer verbrachte.

Thränen fielen auf die Hände, welche die Daunen hervorsuchten. Als diese aber so schön im Kessel aufquollen und das kleine Kissen so vorzüglich gelang, da wurde sie wieder ganz geschäftig und die Arbeit nahm ihren ganzen Sinn gefangen. Stets stand aber etwas Schweres oder Böses auf der Lauer hinter oder vor ihr – etwas, das ihr in vielen Jahren als ein Vorwurf gefolgt war: als ob ihre Handlungen und ihr Leben ein zu eilig hingeworfener Schattenriß sei mit einer unklaren großen Anforderung als Hintergrund – Tag und Nacht ruhte diese über ihr und jagte sie vorwärts; und dabei hatte sie stets ein Gefühl wie der Träumer, der läuft und läuft und nie von der Stelle kommt. Gewöhnlich dachte sie, es sei das Gefühl, ihrem Manne nicht zu genügen; mitunter empfand sie aber, daß es auch dies nicht sei.

Der Prediger selbst schritt ein paarmal erregt im Amtszimmer auf und ab. Dann blieb er vor dem Spiegel stehen, lächelte und strich sich über das Gesicht. Warum so eifrig? Mein Gott! Sie war nun einmal nicht anders. Es war ihm nicht beschieden, in seiner Frau eine Hilfe zu finden auf dem Wege, den er als Seelsorger schritt, noch weniger in dem Kampfe, den er mit den besten Männern des Landes gegen die schlechten Zeiten führte.

Er empfand es oft – das ließ sich nicht leugnen, daß seine Gattin ihn wie heute herabzog, von den tiefen und ernsten Gedanken ablenkte, um ihn mit den Kleinigkeiten zu quälen, welche den Inhalt ihres Lebens ausmachten.

Manchmal versank er in Träumereien, wie ganz anders es gewesen wäre mit einer Frau, die ihm hätte folgen, seine Gedanken verstehen und bewundern können, wenn sie sich mächtig entfalteten – so klar und sicher in den menschlichen Dingen, so einfältig und demütig vor Gott.

Wenn Daniel Jürges solchen Träumereien nachhing, verweilte er gern bei jener Zeit, wo er nur zu wählen brauchte; seit seiner Heirat waren ihm nur wenig Frauen seines Standes begegnet. Keine bestimmte Frauengestalt von damals schwebte ihm aber vor; er nahm etwas von jeder und schuf sich in dieser Weise ein Weib, das für ihn gepaßt hätte.

Wenn er dann zur Wirklichkeit zurückkehrte und seine magere, verblühte Frau sich mit lauter Kleinigkeiten abhetzen sah, da dachte er daran, wie wenig er auch in dieser Hinsicht der Eitelkeit die Herrschaft eingeräumt habe. Wie treu und nachsichtig war er gegen diese Gattin, die ihn so wenig verstand und um deretwillen er auf die blendenden Frauengestalten seiner Träume verzichtet hatte. Daher hatte ihn Gott belohnt und ihn Johannes behalten lassen. Von acht Kindern hatten sie fünf im Norden verloren. Damals war seine Gattin so zart, daß sein eignes kräftiges Blut nicht genügte, die Kleinen am Leben zu erhalten; nur die drei Aeltesten waren den Eltern nach dem neuen Wohnort gefolgt. Die Töchter hatten sich verheiratet – gerade als sie anfingen, es im Hause gemütlich zu machen, und der Sohn wurde ihm daher noch mehr wert.

Die Briefe an und von Johannes im Verein mit der Mitarbeiterschaft an der Zeitung bildeten fast noch mehr als das priesterliche Amt den Hauptinhalt seines Lebens. Er fürchtete indes weder Vorwürfe von Gott noch von Menschen; denn jetzt hatte er seine Gemeinde gründlich kennen gelernt. Er wußte, es seien verstockte, selbstzufriedene Menschen. Was sie bedurften, um den rechten Hunger nach dem Worte Gottes zu bekommen, das war nicht der sanftmütige verträgliche Hirte, sondern vielmehr ein kräftiger Diener des Herrn, welcher ihnen ins Gewissen reden und ihre harten Nacken beugen konnte.

Deshalb war er mit gutem Gewissen der inneren Stimme gefolgt, welche ihn auf einen größern Kampfplatz berief, wo die besten Männer des Landes sich um den Gesalbten des Herrn scharten, um dem Sturme Trotz zu bieten.

Er war sich's bewußt, daß kein Haß – nicht einmal eine Geringschätzung der untern Stände, von welchen die Bewegungen der Zeit herrührten, ihn beeinflußten. Es kam ihm nicht in den Sinn, es leugnen zu wollen, daß er dereinst die Schwärmerei für den Bauern geteilt hatte. Er gestand es jedem, der es hören wollte; hinzufügend, daß er, der selbst die ganze Bewegung mit durchgemacht hatte, ehe sie von gewissenlosen Führern getrübt wurde, mehr als irgend ein andrer befähigt sei, zwischen dem Berechtigten und dem Verderblichen der ganzen Zeitrichtung zu unterscheiden. Wenn erst das arme irregeleitete Volk aus den Klauen der schlechten Aufwiegler befreit war, wenn dieser ganze empörende Sturmlauf gegen alles Hohe und Heilige von dem Gotte, der sich nicht spotten läßt, vereitelt sei – o, da würde niemand eifriger bemüht sein als er, die Wunden zu heilen, die Demütigen zu empfangen, alles zu vergessen und zu verzeihen.

Noch war aber der Tag des Kampfes; noch erscholl der Ruf des Herrn an seine Streiter: Traget nicht das Schwert vergeblich!

Indem er sich nach diesen Betrachtungen aufrichtete, und seinen bestimmten dunkelblauen Augen im Spiegel begegnete, entlockte ihm die Erinnerung an den kleinen Auftritt in der Wohnstube ein Lächeln. Wie kleinlich kam er ihm jetzt vor! Er entschloß sich, noch sanfter und nachsichtiger zu sein; sie konnte ja nicht wissen – die arme Minna, wie sehr sein Gedankenfluß dem ihrigen überlegen sei.

Darauf setzte er sich breit und gewichtig in seinen großen Sessel am Arbeitstisch, zündete die lange Pfeife an und entfaltete wieder die Zeitung der Hauptstadt. Er fand bald die Stelle und setzte gelassen, jeder kleinlichen Sorge ledig, die Lektüre seines eignen Aufsatzes fort:

»... Es ist ein Kampf gegen Gott. Alle aber, die den Verführern folgen, werden es schon verspüren, daß es ihnen schwer sein wird, gegen den Stachel zu locken; was ein Mensch säet, das wird er auch ernten.«


 << zurück weiter >>