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Sinn und Ausdruck in Kunst und Leben

Wie ich im vorhergehenden Vortrag das Problem des Unterschiedes zwischen morgen- und abendländischem Denken nur zu dem Ende aufrollte, um von ihm aus zu Tieferem zu gelangen, so werde ich's auch dieses Mal halten. Um Kunstkritik ist es mir durchaus nicht zu tun, dies sei von vornherein gesagt. Deshalb schäme ich mich auch etwaiger Fehler im einzelnen nicht: ich stelle meine Frage als Metaphysiker; meine empirischen Irrtümer werden den Einsichtsfähigen deshalb nicht hindern, durch sie hindurch des Wahre zu sehen. In der Tat: Kunst und Leben von einem Gesichtspunkt aus zu betrachten, wie hier geschehen soll, kann nur dem Metaphysiker gelingen. Ihm nun erscheinen beide, andererseits, notwendig auf einem Plan belegen. Kunst und Leben sind beide, abstrakt bestimmt, einerseits Sinn, andererseits Ausdruck; bei beiden handelt es sich technisch um eine Materialisierung von Geistigem. Was ist nun als materiell, was als geistig zu betrachten? Worin besteht das Geistige letztlich? Zur Beantwortung dieser Fragen begebe ich mich heute zunächst auf das Gebiet der Kunst. Ohne Antwort sind wir schon seit der vorhergehenden Betrachtung nicht. Eine erschöpfendere soll die heutige geben.

 

Zur Einführung diene eine kurze historische Betrachtung, ganz skizzenhaft, ohne Anspruch auf Genauigkeit, rein sinnbildlich gemeint. Einen Teil des 19. Jahrhunderts hindurch herrschte in Deutschland, im Anschluß an die Klassikerzeit, die sogenannte idealistische Kunstauffassung, welche von Goethes Äußerungen her noch heute jedermann kennt. Dieser Auffassung gemäß war es der bildenden Kunst Beruf, einen ideell-abstrakten Inhalt als solchen darzustellen; der künstlerische Ausdruck sollte demnach einen Inhalt vermitteln, welchen Farben und Formen nicht unmittelbar verkörperten. Diese hatten mehr zu illustrieren, als auszusprechen; dementsprechend galt Allegorie nicht als mißverstandenes Symbol, sondern als Ideal. Nun, dementsprechend wurde damals auch gemalt; man denke an die Brüder Cornelius, die Klassizisten, die Nazarener namentlich als religiöse Maler. Dementsprechend aber wurde damals auch gelebt. Die Lebensauffassung jener Periode entsprach in der Tat vollkommen ihrer Kunstauffassung: das Leben sei nur ein Mittel, so hieß es, um feststehende und als solche anerkannte Ideale zu verwirklichen, sonach einen abstrakten Geistesinhalt mit anderen Ausdrucksmitteln, als denen seiner eigenen Sprache, zur Darstellung zu bringen. Was könnte wohl überzeugender klingen, als daß alle Betätigung in der Erscheinung nur den einen Sinn hat, Ideale zu verwirklichen? – Zum Befremden vieler war aber die Wirkung jenes Idealismus keine gute; sie erwies sich als gleich schlecht auf dem Gebiet der Kunst wie dem des Lebens. Das Leben jener Zeit erscheint uns heute merkwürdig unlebendig, und die Kunst in noch höherem Grade unkünstlerisch. In keinem typischen Ausdruck jenes idealistischen Zeitalters trat die Ganzheit der schöpferischen Kraft zu Tage. Talente gab es unter den Vertretern des damaligen Geistes, wie zu aller Zeit, aber sie brachten nichts zustande, was zeitlos befriedigte. Inwiefern, weshalb nicht? – Nun, insofern und weil sie Idealisten waren. Idealismus als solcher gewährleistet noch keinen geistigen Wert: es kommt drauf an, was er seinerseits zum Ausdruck bringt.

Ihr Idealismus kam der betrachteten Epoche nicht zu gut, weil jener in sich verfehlt war. Den Idealisten in jenem bestimmten historisch verwirklichten Verstande zeichnet nämlich aus, daß der Ausgangspunkt seines Schaffens nicht in seinem Sein, sondern einer herausgestellten Ideenwelt liegt; er denkt, schafft, handelt nicht unmittelbar von innen heraus, sondern mittelbar von einer Fläche der Objektivationen her, auf die er seine Vorstellungen hinausprojiziert. An dieser bricht sich sein eigentliches Leben zunächst nicht anders, wie ein Lichtstrahl an einer vorgehaltenen schiefen Ebene. Genau ausgeführt habe ich diesen Gedanken in meiner Studie Erscheinungswelt und Geistesmacht in Philosophie als Kunst. Da mag einer nun so begabt sein, wie er will: Unmittelbarkeit kann er so nicht äußern; er lebt, denkt, handelt aus vorausgesetzten Begriffen und Vorstellungen heraus, deren eigener Logik er dient, wie der Justizbeamte dem Gesetzbuch, die freilich mehr oder weniger lebendig wirken mögen, proportional der Vitalität dessen, welcher sie verwendet, nie jedoch das eigentliche Leben ersetzen. Sein Geistesleben erscheint unter allen Umständen als ein abgeleitetes. Dieses Schicksal blieb auch den größten nicht erspart. Der greise Goethe verfiel ihm desto mehr, je seltener der gewaltige innere Quell, der in ihm lebte, die bedächtig aufgetürmten Gerüste durchbrach; es ward zu Fichtes und Hegels Verhängnis; es brachte sämtliche bildenden Künstler jener Zeit um die Unsterblichkeit. Die Voraussetzung des Idealisten ist also falsch und der Denkfehler ein für das Leben gefährlicheres, als die meisten glauben. – Wenige Menschenalter später war die Tatsache, wenn nicht ihre Bedeutung, auch allen klar. Es brach eine Revolte gegen allen Idealismus aus, und als deren Ergebnis siegte auf den Gebieten der Kunst wie des Lebens zuletzt die Auffassung, daß aller Wert in den empirischen Daten des Lebens an sich beschlossen liegen sollte; rein geistige Werte gäbe es nicht. Auf dem Gebiet der bildenden Kunst verhalf diese Auffassung dem Naturalismus und Impressionismus zur Herrschaft, dem der Dichtung der reinen Beschreibung und Selbstdarstellung, dem der Weltanschauung der Theorie des Sich=Auslebens, dem Immoralismus, dem Egotismus. An ihren Früchten erkannt, erwies diese Auffassung, so starke moralische Bedenken sie erweckte, sich als günstiger, als die vorhergehende. Sie führte zu einer wunderbaren Blüte der Malerei, zur Vollendung der Literaturgattung des Romans, zur Entdeckung der Psychologie als Kunst und Wissenschaft, zu zwar abwegereichen, aber immerhin reichen Lebensschicksalen, zuletzt, sich selbst überwindend, zum Höhepunkt von Nietzsches Philosophie. – Aber ein bewußter Kontakt mit dem Geistigen als solchen fehlte jenem Zeitalter ganz; darin war es noch ärmer, als das idealistische, obgleich dieses sein Licht nur reflektiert zu schauen verstand. Dieser Tatbestand, so unverstanden er blieb, löste nach einiger Zeit ein Gefühl der Leere aus, das, einmal geboren, an Macht und Bedeutung unaufhaltsam zunahm. Auf allen nur möglichen Gebieten wurde immer häufiger auftretenden Einzelnen bewußt, daß das Ausleben der Naturkräfte noch nicht das Leben bedeutet, das sie eigentlich meinten. Aus dieser Ahnung heraus entstand denn die Sehnsucht nach etwas, dessen Begriff dem naturalistischen wie dem idealistischen Zeitalter fehlte und auch fehlen mußte, da es die entsprechende metaphysische Voraussetzung bewußt nicht gab: die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung. Sie fand ihren Ausdruck in der neuen expressionistischen Bewegung, die seither auf allen Gebieten des Lebens und der Kunst unaufhaltsam anschwillt. Unter expressionistischer Bewegung verstehe ich hier nicht deren extreme Auswüchse, auf die sich der Name gewöhnlich bezieht, sondern die allgemeine, dem Impressionismus entgegengesetzte Tendenz, sich nicht in die Natur hinein- oder in dieser auszuleben, sondern sich zu verinnerlichen und alsdann, grundsätzlich unabhängig von allem äußerlich Bedingten, rein von innen heraus zu schaffen und zu leben. Der Expressionismus geht von der Voraussetzung aus, daß es ein Tieferes gibt als die Natur sowohl, wie das, was der Verstand als Ideal begreifen mag. Nun, das Ferment, das er darstellt, hat heute bereits die ganze Welt durchsäuert. Ganz allgemein wird heute anerkannt, einerlei ob verstehend, blindgläubig oder um der Mode willen, daß es im Menschen, jenseits seiner Natur, auch jenseits seiner Ideale, eine tiefste Geisteswirklichkeit gibt, deren Verkörperung in der Erscheinung allein dem letzten Streben des Ausdruckswillens in Kunst und Leben entspräche. So konvergiert die jüngste Zeit, in Gestalt ihrer tiefsten Vertreter, mit den Bestrebungen, die in Europa zuletzt im Mittelalter beistimmten.

 

Wer diesen Entwicklungsprozeß indes von überlegener Warte überschaut, dem drängt sich auf, daß er von seinem Ziel noch weit entfernt ist und vorläufig augenscheinlich Irrwege geht. Wohl ist der expressionistische Typus seinem Vorgänger in mehreren Hinsichten überlegen, wie gleiches in anderen vom naturalistischen gegenüber dem idealistischen galt: indem er die Bewegtheit der Ruhe voranstellt, das Sein nach der Wirkung beurteilt, ist sein Bewußtsein dem Sinn des Lebens zweifelsohne näher; ferner liegt seine Bewußtseinsschwelle typischerweise tiefer, ist sein subjektiver wie sein objektiver Gesichtskreis weiter; er fühlt sich unmittelbar als Glied des Alls. Doch wo es offenbar gilt, das freilich veräußerlichte Leben von größerer Tiefe her neu aufzubauen, findet faktisch vor allem Abbau statt; der Aufbauwille setzt erst bei dessen Ergebnis ein. Deshalb herrscht in Kunst und Leben überall, wo nicht Routine noch das Fortleben der alten Ordnung vortäuscht, ein Chaos, das nicht allein an Urzustände gemahnt, sondern tatsächlich ein Zurückfallen ins Urtümliche bedeutet. In der Politik gelten Ideale als zukunftbestimmend, welche dem Gruppenbewußtsein des Urmenschen entsprechen; die Kunst schlägt ins Negerhafte, ins Kryptographische zurück, im Dadaismus klingt das magische Reden der Urzeit wieder an und auf religiösem und philosophischem Gebiet erleben sämtliche Gestaltungen eine Auferstehung, welche die verflossenen Jahrzehnte und Jahrhunderte als Aberglauben für immer erledigt glaubten. Diese Zeit erinnert, wie keine seither, jener der ersten Jahrhunderte nach Christo. Wie damals der Staatsbankrott auf Teilgebilden des Weströmischen Reichs ähnliche Zustände auslöste, wie wir sie heute in Rußland erleben, so wimmelt das jüngste Europa von Religionsstiftern, Magiern, Erlösern, genau wie damals das Mittelmeergebiet. Jeder findet ohne Mühe blindgläubige Anhänger, wofern er nur überzeugt genug tut; die echten Weisen und Heiligen werden trotz allen Protests auf Postamente hinaufgehoben, die kein Sterblicher bei Lebzeiten verträgt. Jede Wunderglaubenepidemie wird bald endemisch; von der Exaktheit des naturwissenschaftlichen Zeitalters ist nur noch soviel übrig, daß jede Glaubensbewegung die Maske der Wissenschaftlichkeit trägt. Die überwiegende Mehrzahl der Spiritisten, Theosophen und Anthroposophen gehört ihrem Typus nach in jene längst verjährtscheinende Zeit zurück. – Nun soll nicht geleugnet werden, daß das Urtümliche tatsächlich ein tieferes Wirklichsbewußtsein exponiert, als alle intellektualistische und naturalistische Konstruktion. Hier handelt es sich um Oberbauten, dort um Untergründe. Der Kunst der Urvölker eignet die ganze Tiefe der Natur. Allein ein Geistesbewußtsein bringt sie nicht zum Ausdruck Vgl. hierzu mein Reisetagebuch I, 104 ff., und wenn anders der Mensch mehr sein soll als Pflanze und Tier, dann entscheidet der Grad bewußter Geistigkeit (vgl. S. 18); denn in allen anderen Hinsichten sind jene nicht schlechter ausgestattet und vielfach vollkommener ausgebildet. Deshalb liegt das Zurückgehen auf die Natur keinesfalls auf der Linie des Fortschritts; es mag zeitweilig unvermeidlich, ja günstig sein, wie dies von manchen Kinderkrankheiten gilt, sofern es Verjüngung bedingt, mag es wirklich sogar das Heil bedeuten – als solches führt es nicht weiter. Als Rousseau zur Kultur, in die hinein er geboren ward, die Beerdigungsglocke zog, da meinten wohl viele, das ersehnte Höhere werde von ihm ausgehen. Dies geschah aber nicht; nachdem die Zeit des Abbaus vorüber war, als es an den Neuaufbau ging, da knüpften die Fortschrittsfreudigsten an den Höhepunkten des Alten an, und Goethe, der Nichtsverneiner, nicht Rousseau, ward zum Sinnbild des ersten großen Schritts über das 18. Jahrhundert hinaus. Der ganze Weg der Geschichte, alles instinktive Werten des strebenden Menschen beweist, daß das Chaos nicht Ziel, sondern bestenfalls ein unvermeidlicher Übergangszustand ist. So trägt denn das dem Chaos Zustrebende am Schaffen dieser Zeit durchaus den Charakter des Vorübergehenden. Man erkennt dies schon an den Typen, die sie vertreten. Nur was den höchsten Möglichkeiten einer Zeit entspricht, gehört erfahrungsgemäß einer Aufwärtsbewegung an. Von den Expressionisten gilt dies, mit seltenen Ausnahmen, nicht. Man höre nur ihre Lehren: der schwache Mensch allein sei auserwählt, Kunst sei Erleiden, ihr Hauptziel Überwindung der Persönlichkeit; sie predigen absoluten Passivismus. Wohl gibt es unter ihnen das aktivistische Gegenstück: den Bolschewisten und den Marinetti'schen Futuristen. Aber dieses Gegenstück ist bezeichnenderweise mechanistisch, mechanistisch bis zur Automatenhaftigkeit; der Bolschewismus mit seiner straffen Zucht bedeutet die Apotheose der Materie und des Toten; er ist insofern tatsächlich das bisher stärkste historische Sinnbild des Antichrist; Marinetti aber lehrt nahezu, daß das Leben weniger sei als Granate, Flugzeug und Blitz. Kein Einsichtiger kann mehr daran zweifeln, daß die neue Bewegung, so wie sie sich heute darstellt, in Sackgassen einmündet. Der Bolschewismus schlägt, bloß um weiterzuleben, in eben das um, was er vernichten wollte, die passivistische Kunst- und Lebensart stirbt, in einer wieder ehern werdenden Zeit, an Bleichsucht und Blutarmut aus; was aber den Expressionismus als bestimmte Kunstgattung betrifft, so hört man deren ursprünglich stärkste Verehrer immer einstimmiger bekennen Vgl. hierzu besonders W. Worringers Künstlerische Zeitfragen, München 1921., daß es mit ihm zur Neige geht. Also muß es sich auch bei diesem jüngsten besonderen Ausdrucksstreben, aus so richtigem Instinkt es hervorgehe, letzthin um ein ähnliches Mißverständnis handeln, wie bei Idealismus und Naturalismus. – Nur Aufklärung dieses Mißverständnisses kann den Weg zu wesentlichem Fortschritt weisen. Um auf übersichtlichem Wege zu dessen Problem zu kommen, deshalb allein warf ich die vorhergehende historisch-kritische Skizze hin. Jetzt sind wir gerüstet, sehenden Blicks in die Tiefen metaphysischer Problematik unterzutauchen.

 

Vergleichen wir die Meisterwerke wahrhaft spiritueller Kunst, der mittelalterlich-christlichen, vor allem der chinesischen, der tiefsinnigsten aller Zeiten Vgl. hierzu, außer den betreffenden Stellen des Reisetagebuchs (s. dessen Register), die Studie Die Bedeutung der chinesischen Kunst in Philosophie als Kunst (in deren zweite Auflage neuaufgenommen)., mit der modern-expressionistischen, und andererseits die Höchstausdrücke spirituellen Wissens, die wir kennen, die Aussprüche eines Jesus, Buddha, Laotse, mit der Weltanschauung der modernen Theosophie, so entdecken wir eine unverkennbare Proportionalität. Wenn der Expressionist Naturwidriges oder -fremdes malt, so bewegt ihn dazu keine Willkür: er stellt richtig dar, was sein inneres Auge schaut – ein Organ, welches Goethe in hohem Grade besaß, das allen Kindern ursprünglich zu eignen scheint–, dieses aber schaut, wie jedermann im Traum, keine äußeren Begebenheiten, sondern Sinnbilder des eigenen Innenlebens Vgl. hierzu Gustav Hartlaub, Der Genius im Kinde, Breslau 1922, Ferdinand Hirt. Sehr lesenswert als Ergänzung zu unseren Betrachtungen ist auch des gleichen Verfassers Kunst und Religion, München 1919, Kurt Wolff Verlag.. Der radikale Expressionist ahmt also grundsätzlich nicht nach: er verleiht in seinem Schaffen den unbewußten Regungen seiner Seele symbolischen Ausdruck. Daher das Gefühl der Befreiung (der Abreaktion), wenn er sich ausgesprochen hat, die Unverständlichkeit seiner Schöpfung für jeden, dem sie nicht Ähnliches bedeutet; daher die prinzipielle Möglichkeit, jedes exzentrische und dennoch echte Expressionistenbild auf psychoanalytischem Wege richtig zu deuten. Nicht anders liegen die Dinge im Fall der verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit, deren Dasein die Theosophen behaupten: auch hier handelt es sich um andere, tiefer gelegene Bewußtseinsschichten, welchen eine andere Art von Phänomenen entspricht, als wir sie normalerweise kennen, und die auch hier als Sinnbilder verstanden werden müssen. Liest man von den Geistern der Form, der Weisheit usw. in den Vorträgen Rudolf Steiners, so gewinnt man zunächst den Eindruck von primitivem Animismus, und zwar formal mit Recht. Tatsächlich ist der Eindruck aber unrichtig, gleichviel ob es die genannten Geister außerhalb des Bewußtseins Rudolf Steiners gibt oder nicht; er ist deshalb unrichtig, weil hier der Sinn nicht willkürlich in die Erscheinungen hineingelegt wird, sondern solche umgekehrt aus sich heraus gebiert. Nun, Expressionismus und Theosophie sind beide höchst interessant; sie weisen den Zugang zu noch kaum erforschten Seelenschichten. Nur handelt es sich bei der Wirklichkeit, von der sie künden, entgegen ihrer Behauptung, um keine geistige Wirklichkeit. Man mag gewiß die Worte wählen wie man will; aber wenn der Gegensatz von Natur und Geist aufrechterhalten und einen kritischen Sinn haben soll, dann ist alle Gestaltung als solche nicht Geist. Diese gehört, welcher Sonderart sie immer sei, der Welt der Phänomene an, die nach Gesetzen zusammenhängen, sonach einer weit genug verstandenen Natur Vgl. hierzu mein Reisetagebuch, S. 383 und 5., zu deren Bestände die unterbewußten Schichten der Seele genau so zählen, wie die oberbewußten; gleiches gilt, soweit diese wirklich sind, von den verstiegensten Ebenen der Theosophie. Es sind die Bereiche bestimmter Arten von Erscheinungen, denen freilich Geist zugrunde liegen mag, den sie aber als solche nicht darstellen. Das Wort »geistig« darf füglich auf das allein bezogen werden, was der Region des Sinnes angehört. Man erinnere sich der Ergebnisse der vorhergehenden Betrachtung: alles Geistige gehört dem Reich der Bedeutung an; ein irdischer Ausdruck ist aber unter allen Umständen materiell, weshalb in diesem Zusammenhang kein Unterschied zwischen Buchstaben, Worten, Ideen, Menschen und Göttern besteht – sie alle sind als Ausdruck Erscheinungen der Natur. Deshalb kommt, wer von der Außen-Welt in die des Unterbewußten und des Okkulten hinabsteigt, dem richtig verstandenen Geist dadurch nicht näher – er wechselt bloß von einer Erscheinungsebene auf andere hinüber. Also öffnen expressionistische Kunst und Theosophie wohl den Zugang zu tieferen Schichten der Natur – den Geist, dessen Wesen Bedeutung ist, helfen sie nicht erschließen. – Daß es sich bei dieser Deutung um keinen Willkürakt handelt, zum besten einer vorausgesetzten Definition des Geistes, über deren Gültigkeit sich streiten läßt, beweist die Gegenprobe, die sich an jeder großen, als solcher anerkannten spirituellen Kunst anstellen läßt, sowie an den Lehren sämtlicher ganz großer Heiliger und Weiser: diese künden sämtlich unmittelbar vom Sinn, und zwar von ihm allein. Aus den besten chinesischen Buddha-Bildern spricht unmittelbar der Sinn der Buddha-Religion, aus den tiefsinnigsten Erzeugnissen der mittelalterlichen bildenden Kunst, denen der frühesten Malerschule von Siena z. B. unmittelbar der Sinn des Christentums; hier wirkt alle Gestaltung nur als Ausdrucksmittel, durch die hindurch man ebenso unwillkürlich den Geist erfaßt, wie man beim Lesen eines Satzes die Buchstaben nicht beachtet. Und hier handelt es sich nicht etwa um ein Allegorisches, wie im Fall der idealistischen Kunst, sondern um einen ebenso unmittelbaren Ausdruck des transzendenten Geistes, wie in der Landschaft eines großen Naturalisten um den der Natur. Genau ebenso drücken die tiefsten Aussprüche der großen Heiligen und Weisen unmittelbar Wahrheiten des Sinnes aus, unabhängig von aller Phänomenalität. Jene waren sich dieses Umstandes auch so bewußt, daß sie genau bestimmte Lehren, d. h. raum-zeitlich beschränkte und deshalb sterbliche Verkörperungen dessen, was sie meinten, absichtlich nicht hinterließen, und gegen den Okkultismus, als welcher tiefere Naturschichten für geistig hält und deshalb deren Erkenntnis anstrebt als Weg zum Sinn, ausdrücklich Stellung nahmen. Christus donnerte gegen das »ehebrecherische Geschlecht« der Wundersüchtigen, Buddha warnte davor, sich mit Göttern und ähnlichen Erscheinungen abzugeben, »weil deren Betrachtung zum Heil nicht nützt, nicht weil es sie nicht gibt«; kein echter Heiliger stand je innerlich positiv zur Wirkung der ungewöhnlichen Kräfte, welche von ihm ausgingen, soweit diese Wirkung, was nur zu leicht geschieht, die Erkenntnis des Wesentlichen beeinträchtigte. Und nun gelangen wir zum entscheidend Charakteristischen: die Darstellung tiefsten Sinns hat in keinem der ganz großen Fälle je auch nur ungewöhnlicher oder abliegender Ausdrucksmittel bedurft. Wie Christus und Buddha durch Worte, Wahrheiten und Bilder des Alltags hindurch Impulse aus göttlicher Tiefe dem Leben einverleibt und unerschöpfliche Wirkungen erzielt haben und weiter erzielen, so trägt die große spirituelle Kunst, ich meine die, welche nicht allein aus dem Kosmischen stammt, sondern dessen Erlebnis zuführt, bei aller nur möglichen Vereinfachung und Stilisierung wesentlich normales und verständliches Gepräge. Sie ist objektiv verständlich, genau wie die Lehre eines Jesus, nicht bloß deshalb, weil man sie gewohnt ist. Dies aber rührt eben daher, daß sie unmittelbar Sinn zum Ausdruck bringt, nur diesen meint. Entsprechend ausgedrückter Sinn ist dem, der die angewandte Sprache überhaupt kennt und verständnisfähig ist, wie der vorhergehende Vortrag lehrte, ohne weiteres faßbar. Unverständlich ist immer nur das Phänomen an sich, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß Phänomene als solche überhaupt nicht zu verstehen sind: Verstehen geht immer nur auf Geist. Deshalb spricht es gegen die Geistigkeit eines Kunstwerks, wenn es nicht nur einmalig und einzig, sondern auch unverständlich ist, denn es beweist seine wesentliche Gebundenheit an empirischen Zufall; der radikale Expressionist kann der Mehrzahl deshalb nichts sagen, weil der Urgrund seiner Kunst nicht im Geist, sondern in unterbewußten Seelenschichten liegt und es sich bei diesen um einmalig Empirisches handelt. Aus dem gleichem Grunde spricht es gegen eine Kunst, wenn sie nur eine Zeit erfreut (von Modeschwankungen sehe ich hier selbstverständlich ab). Der Sinn ist zeitlos, grundsätzlich immer gleichverständlich; er lebt jenseits von Sonderart und Zahl. Wie der Sinn eines Buchs in beliebig viel verschiedenen Exemplaren der gleiche bleibt, so ist aller echte Sinn von den Beschränkungen des Raumzeitlichen unabhängig. Deshalb wirkt er durch alle Veränderung hindurch. Dies vermag aber der tiefste in unauffälligster Gestalt. Er benötigt keine technischen Ausdrücke; nichts Okkultes, nichts Rätselhaftes haftet seiner Erscheinung an. Je schlichter sein Ausdruck, desto eindringlicher wirkt er. Kein Wunder: desto unmittelbarer und deshalb leichter wird er erfaßt. Doch ist dies nur die eine Seite: die tiefsten Sinneswahrheiten bringen die Grundtöne des Lebens zum Ausdruck. Diese schwingen unbewußt in jedem; sie klingen leichter wie alle anderen an, weil alle anderen sie mitschwingen lassen, weshalb sie öfter und lauter als alle anderen das Gehör treffen; sie klingen ferner desto leichter an, je ärmer die sonstige Tonskala jeweilig ist. Und dann geht Verstehen unter allen Umständen auf Geist allein, so daß ein Sinn desto eher einleuchtet, auf je Geistigeres er sich bezieht. Er braucht freilich nicht verstandesgemäß einzuleuchten, aber er tut es intuitiv. Hier liegt der Schlüssel zum Problem der erfahrungsmäßig leichtesten Übertragbarkeit gerade der höheren Religionen, hier der zu dem der Genialität der Sprache als solcher, die soweit geht, daß man vielfach bloß die Bedeutung von Worten zu meditieren braucht, um tiefste philosophische Einsicht zu gewinnen: die Sprache ist unmittelbarer Sinnesausdruck und als solche entstanden, ohne jedes Hinschielen auf Äußerliches; also muß sie den Sinn reiner zum Ausdruck bringen, als jede spätere Theorie, die unter allen Umständen umschreibt. Jetzt ist wohl vollends klar, daß es sich beim Geistigen um keine besondere Schicht des Phänomenalen handelt. Handelte es sich bei ihm um solche, wie der Okkultismus wähnt, dann müßte das Tiefste am schwersten zu fassen sein. Statt dessen kann man sagen, daß es desto schwerer zu übersehender Ausdrucksmittel bedarf, je mehr der Ort eines gemeinten Sinns der Oberfläche zuliegt, denn die Eigenart der Erscheinung, nicht die Tiefe des Sinns, ist die Ursache aller schwerverständlichen Komplikation. Dem widerspricht nicht, daß Tiefstes nur Wenige ganz verstehen, weshalb die tiefsten Bücher als schwerste gelten: sie sind schwer, insofern das Verstehen an sich versagt, nicht um des schwierigen Ausdrucks willen; selbstverständlich kann der geistig Unbegabte, dem metaphysische Wahrheit wohl gefühlsmäßig einleuchtet, solche verstandesgemäß ebensowenig fassen wie der Blinde Farben sehen. Noch einmal: Schwerverständlichkeit und Oberflächlichkeit, nicht jene und Tiefe hängen normalerweise zusammen. Millionen leuchtet Christi Weisheit unmittelbar ein, die keinen Essayisten je verstehen könnten. Jene leuchtet eben deshalb am leichtesten ein, weil sie Tiefstes ausspricht, den spirituellen Kern unseres Wesens zum Ausdruck bringt. Nun, was vom Spirituellen gilt, entscheidet letztlich. Dieses bezeichnet den Grundton aller menschlichen Sinnesmelodie. Religion und Philosophie inspirieren letztlich alle Kunst. Jede lebendige Oberfläche setzt das Vorhandensein ihr entsprechender Tiefe voraus, mag diese noch so unbewußt bleiben. Ohne metaphysisches Leben könnte kein Fingernagel wachsen. Keine Modeäußerung ist zu verstehen ohne Kenntnis des tiefsten Geists der Zeit. Also muß grundsätzlich von allem Geistigen gelten, was vom Tiefsten gilt.

 

Der Sinn liegt, in der Tat, in einer anderen Dimension als die verborgenste Schicht des Erscheinenden. Nun aber gelangen wir zu den Problemen, welche diese Betrachtung einleiteten, zurück: er ist auch an keine »Richtung« als solche gebunden. Durch die verschiedenartigsten Erscheinungsreihen hindurch, handele es sich um besondere Religionen, besondere Philosophie und besonderen Kunststil, kann er sich äußern. Die verschiedenartigsten Denk- und Glaubensgestaltungen haben sich in der Geschichte als Gefäße gleicher Tiefe erwiesen, trotz aller Verschiedenheit in der Ausdrucksart. Der Sinn liegt eben wesentlich jenseits des Buchstabens, in einer Dimension, der unter materialistischen Voraussetzungen überhaupt nicht beizukommen ist. Deshalb müssen, um auf ein besonders lehrreiches Beispiel noch einmal zurückzugreifen, die Lehren der Theosophie auf tiefe Gemüter als oberflächlich wirken, gerade wo sie vom Tiefsten künden wollen. Erstens reden sie von Erscheinungen – wie ich mich anderswo ausdrückte Vgl. die Studie Für und wider die Theosophie in Philosophie als Kunst., der Außenansicht des Geistigen –, wo Geist an sich allein in Frage steht; zweitens stellen sie eben deshalb auch dort kausale Zusammenhänge fest, wo es sich einzig um solche des Sinnes handeln kann. So führen sie in ihrer Sphäre zu dem Stadium zurück, das die Religion seit dem Mittelalter überwand: dem Stadium, wo historische Zusammenhänge geistigen gleichgesetzt wurden. Wie soll die Frage nach der Ursache im empirischen Verstand dem Geiste zuführen? Was nützt die Kenntnis geschichtlicher Folge zur Wesenserkenntnis? Eine nicht mehr ferne Zeit wird endgültig anerkennen, daß die Theosophie oder »Geisteswissenschaft« vielleicht die Kenntnis unbekannter Naturregionen vermittelt, keinesfalls aber das, was spirituelle oder überhaupt geistige Sehnsucht von ihr erhofft. Doch zum allgemeinen Problem zurück. Ich sagte: der Sinn ist überhaupt an keine »Richtung« gebunden. Auf dem Gebiet der Kunst darf grundsätzlich keine ein Monopol auf Geistigkeit beanspruchen. Sinnesverwirklichung gelingt auf den Wegen des Expressionismus grundsätzlich nicht besser als auf denen des Naturalismus und Idealismus. Dieses ihr Versagen kann als historische Tatsache überhaupt nicht bestritten werden. Aber jetzt vermögen wir sie überdies zu verstehen. Bei allen betrachteten Sonderrichtungen der Kunst handelt es sich, soweit sie als solche dem Geiste zuführen wollen oder auf dessen besten Ausdruck ein Monopol beanspruchen, um eine Verwechslung des Sinnes mit einer bestimmten Schicht des Erscheinenden. Es handelt sich um eben den Fehler, welcher der Theosophie zum Verhängnis wird. Der Idealist wähnt in den Gestaltungen des Verstandes oder der Vernunft das Wesen zu greifen, der Naturalist in denen der Natur, der Expressionist in den verborgenen Naturgründen des Seelenlebens. Die grundsätzlich gleiche Verwechslung hat, wie ich hier nicht näher ausfuhren kann Etwas näher ausgeführt habe ich diesen Gedankengang in der Rede Ost und West auf der Suche nach der gemeinsamen Wahrheit in Philosophie als Kunst, sowie im Logos-Beitrag Zur Psychologie der Systeme (1910) und meiner Mitteilung an den Internationalen Philosophen-Kongress zu Bologna (1911), betitelt Die metaphysische Wirklichkeit. Im übrigen harrt ein Vortragszyklus der Ausführung, der dem gleichen Problem im Einzelnen nachging. Ich hielt ihn 1911 an der Hamburger Universität unter dem Titel Der Fortschritt der Philosophie im Wandel ihrer Problemstellungen ab., auch die abendländische Philosophie, von den Griechen ab bis heute, auf ihrem Weg gehemmt: hier war es die zwischen Erkenntnis Werkzeugen und Substanz. Nun ist es im Rahmen aller Richtungen einzelnen Großen gelungen, das Wesen auszudrücken; insoweit sind die absichtlich das Problem vereinfachenden Behauptungen der historischen Skizze, mit der ich diese Betrachtungen einleitete, zu berichtigen. Wohl ist die expressionistische Geistesrichtung im weitesten (nicht im zuletzt betrachteten engen) Verstand, abstrakt genommen, die sinngemäßeste, weil Kunst und Leben als solche unter allen Umständen »Expressionismus« sind, das heißt ein Streben nach Selbstverwirklichung von innen nach außen zu, und eine bewußt erwählte Richtung, welche diesem Sinn entspricht, dessen Realisierung natürlich erleichtert, wogegen die Sprache der reinen Nachahmung (Naturalismus) oder des mittelbaren Ausdrucks (Idealismus) dieselbe erschweren. Daher die Möglichkeit der historischen Entwicklungsrichtung, die wir am Anfang feststellten. Alle größte Kunst war deshalb letzten Grundes expressionistisch, auch wo sie äußerlich anders geartet schien. Lionardos Abendmahl z. B. stellt deshalb ein so völlig Einziges dar, weil der naturalistisch-idealistische äußere Aufbau des Gemäldes durch den Ausdruck der Christusgestalt, die in lebendigem Zusammenhang mit dem die Unendlichkeit versinnbildlichenden Landschaftshintergrunde steht, eine Tiefendimension erhält, die aus aller Äußerlichkeit fort unmittelbar in den letzten Seelengrund hinabweist. Ähnliches gilt von Raffaels Sixtinischer Madonna, von Rembrandts größten Greisenbildern. Trotzdem muß Lionardo technisch als nachahmender und vernunftgemäß konstruierender Künstler rubriziert werden, Raffael als Idealist und Rembrandt wie alle Holländer als Naturalist, denn sie alle erstrebten nicht absichtlich Geistesverwirklichung, sondern jeweilig anderes, und das Höhere ward ihnen gnadenmäßig zuteil. Im gleichen Sinne muß die griechische Kunst als idealistisch sowohl als naturalistisch gekennzeichnet werden, und doch trifft nur bei ihrer römischen Erbin dasjenige zu, was von der klassizistischen des 19. Jahrhunderts gilt. Auch hier realisierte sich Geist im expressionistischen Sinn, nur eben in anderer Sprache. So hat es auch unter den modernen Impressionisten solche gegeben, die durch ihre »Eindrücke« hindurch wesenhaft Tiefes offenbaren; im gleichem Verstände gibt es nicht allein naturfernste, sondern auch extravagante, exzentrische spirituelle Kunst, welche gleichem Ausdruck verleiht wie die von China. Wilhelm Nolde ist zweifelsohne ein echter religiöser Maler, was immer man von seiner Richtung halten mag. Die gleichen Einschränkungen gelten für die Behauptungen der historischen Skizze hinsichtlich des Lebensstils; es hat größte Geister gegeben, deren »Richtung« die idealistische, naturalistische oder radikal-expressionistische war, mit allen deren Fehlern. Nur ist solche Größe eben nie auf jene oder den Stil als solchen zurückzuführen, sondern auf die Größe und Tiefe von Menschen, die sich in beliebiger Sprache, trotz deren Beschränkungen, auszudrücken wußten. Lionardos Abendmahl ist gewissermaßen trotz seiner Formensprache ein sublim-geistliches Werk, und nur einmal im Leben ist ihm, dem Naturforschertemperament, ein solches geglückt. Daß es auf die Sprache im äußerlichen Verstände keinesfalls ankommt – inwiefern sie in einem tieferen von höchster Bedeutung ist, kann ich erst später ausführen –, daß nicht sie für die geistige Bedeutung die Verantwortung trägt, wird einem besonders deutlich, wenn man Michelangelo mit seinen Bologneser Nachfolgern vergleicht oder heute Wilhelm Nolde mit seinen Stilgenossen. Die Bologneser Maler waren vielfach Männer großen Talents, aber sie wirken viel kleiner als sie waren, und werden deshalb auch dauernd ungerecht beurteilt, weil sie die gleiche Formensprache zu reden suchten wie Buonarotti und die Gleichheit der Ausdrucksmittel die sonstigen Unterschiede derer, welche sie anwenden, besonders scharf hervortreten läßt. Dieser Vergleich hinkt nicht, trotz des z. T. neuen Formwillens, welcher die Bologneser beseelte, weil deren Wille eben in michelangeleskem Stil sein Ziel zu erreichen trachtete. Desgleichen stützt das Dasein Wilhelm Noldes die Richtung des Expressionismus an sich, welcher er äußerlich angehört, mitnichten, sondern es erledigt diese vielmehr, denn der Vergleich von Noldes Tiefe mit dem Niveau der meisten andern macht vollends deutlich, wie unzulänglich diese Formensprache als solche ist, und wie hoch einzuschätzen Noldes Können ebendeshalb – daß er mit solchen Mitteln so Bedeutendes zu schaffen wußte, ist staunenswert. Durch diese Erkenntnis, welche die angeführten Beispiele wohl ganz deutlich gemacht haben, erhält nun die Rotation der Stile Es gibt wirklich eine richtige Rotation der Stile, bedingt durch die endliche Zahl der Ausdrucksmöglichkeiten, die Begrenztheit der Aufgaben, die jeder von jenen lösen kann, und die Ermüdung und das daraus erfolgende Kontrast- und Abwechslungsbedürfnis, die jeder einseitigen Betätigung Schicksal ist. Impressionistische und expressionistische, idealistische und naturalistische Kunst entsprechen in ihrer Abwechslung dem gleichen echten Bedürfnis, wie der Wechsel der Moden. Inwieweit dies in der reinen Chromatik zum Ausdruck kommt und welche Gesetze der Komplikation resp. Vereinfachung hier walten, hat Viktor Goldschmidt in seinem monumentalen, mit Tafeln reich illustrierten Werk »Farben in der Kunst« (Heidelberg 1919, Karl Winter) überzeugend und wohl abschließend dargelegt. Das Problem des Erstarrens und der Sterblichkeit jeder bestimmten Gestalt behandelt abschließend der Vortrag Die Symbolik der Geschichte in diesem Buch. eine neue Bedeutung – und jetzt sind wir so weit, den Sinn der historischen Eingangsskizze ganz zu verstehen. Kein Stil an und für sich sagt das, zu dessen Verwirklichung im Ausdruck er erschaffen wurde. Er mag wohl ein objektiv vollkommeneres Ausdrucksmittel für bestimmte Geistesinhalte darstellen, allein die beste Sprache bleibt ein leeres Geplapper, wenn der, welcher sie spricht, nichts zu sagen hat. Keine Einsicht in die beste Technik religiöser Darstellung – es gibt gewiß eine solche – hat religiöse Kunst dort schaffen können, wo der Glaube fehlte. Deshalb sinkt die Lebens- und Bedeutungskurve jedes Stils, sobald der geistige Impuls ihn verläßt, der ihn ins Leben rief, bis daß er zuletzt des natürlichen Todes stirbt. Sobald dieses Verlassen stattgefunden hat, kommt es zum Wege der Natur, d. h. dem Kreislauf, weil eben alles Einzelne und Bestimmte sich erschöpft, die Bewegung der Schöpfung nie stille steht und die Zahl der Elemente möglicher Wirklichkeit endlich ist; jeden sterbenden Stil löst sein Komplement ab, das sich nach physiologischen Gesetzen vorausbestimmen läßt. Aber jetzt sind wir zugleich in der Lage, die metaphysische Bedeutung der Mißverständlichkeit der Auffassung einzusehen, die in die Ablösung der Stile an sich einen Fortschritt hineinkonstruiert. Alle Gestaltungen sind zunächst nicht mehr als ebensoviel Sprachen – dies gilt von bestimmten Weltanschauungen und Religionen genau so sehr wie von den Kunstrichtungen, d. h. ihr Sinn liegt hinter ihnen, fällt mit dem sichtbaren Buchstaben nicht zusammen, soweit sie lebendig sind; sie drücken, an sich betrachtet, nur sich selbst aus. Solches wird verkannt, solange Leben die Gestalt beseelt, weil diese ebensolange tatsächlich das entsprechende Ausdrucksmittel darstellt und jeder, der sich ihrer bedient, an ihrer Belebtheit Anteil gewinnt. Nun ist aber jeder Stil in seinen Ausdrucksmöglichkeiten ebenso endlich und einseitig wie der einzelne Mensch; deshalb muß er ungenügend wirken, sobald das Leben oder die Kunst sich neue Aufgaben stellt, und dies geschieht immer erneut, wird immer erneut geschehen aus dem einfachen Grund, daß es praktisch nur endliche Aufgaben gibt und wenn eine gegebene erfüllt ist, die Sehnsucht des Geists nach neuen ausschaut, welche zunächst immer in anderer Richtung liegen als die zuletzt gelösten, weil Abwechslung in der Betätigung zum notwendigen Rhythmus des fortschreitenden Lebens gehört. Ferner erstarrt jeder Stil, je mehr er altert, desto mehr und wird schließlich zur Manier. Je eingefahrener ein Weg, desto schwerer fällt es dem noch so energischen Einzelnen, das Geleise zu verlassen. Da ist es denn sehr natürlich, so falsch es sei, daß jede neue Generation einen Stilwechsel als Fortschritt empfindet. Die neue Sprache schafft das, was die analytische Psychologie ein neues Libidogefälle nennt, d. h. eine neue Betätigungsrichtung der psychischen Energie. Ohne Ausdrucksmittel ist kein Sinn zu verwirklichen, genau so wie die Seele einen Körper tragen muß, um auf Erden zu wirken; ein neuer Sinn verlangt dementsprechend neue Ausdrucksmittel. Wenn nun das Leben die Ziele innerlich nicht mehr verfolgt, welche die Routine eines erstorbenen Impulses ihm noch weist, dann staut sich das eigentliche Wollen innerlich, und dies so lange, bis daß es eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden hat. Dann strömt es gewaltsam, als unüberwindliche Zeitströmung, ab, und jeder Einzelne, der sie mitmacht, fühlt sich befreit und kann zunächst auch wirklich mehr sagen, als ihm früher gelang. Daß es sich hier immer gleich um Zeitströmungen und nicht um individuelle Ausdrucksformen handelt, obschon einzelne natürlich in jedem Fall den Zeitimpuls als erste fassen, liegt daran, daß das Unbewußte aller Menschen irgendwie zusammenhängt und sich sehr gleichmäßig entwickelt und verändert Vgl. hierzu besonders Gustav Pauli Die Kunst und die Revolution, Berlin 1921, Bruno Cassirer. Diese Schrift zeigt, wie die Kunst immer als erste aller Lebensäußerungen einen neuen Zeitgeist zum Ausdruck bringt, der sich später in allem durchsetzt.. (Hier deute ich den Tatbestand, den C. G. Jung in seinen vorhin zitierten Werken als Erster eindringlich behandelt hat, der aber noch längst nicht ganz verstanden ist, nur an und verzichte auf jede Erläuterung und Erklärung). Die christliche Lebensstimmung siegte über die heidnische, weil sie eine allgemeine Reaktion gegen die Sinnlichkeit und Rohheit der Spätantike verkörperte, und ebenso allgemein wurde seit der Renaissance wiederum die Reaktion gegen die asketische Richtung des vorangehenden Anderthalbjahrtausends, eine Reaktion, die sich eben jetzt anscheinend erschöpft hat, welcher Umstand mit am meisten einer Wiedergeburt des mittelalterlichen Geists die Wege ebnet. Wenn ein bestimmter Schöpfertypus historisch möglich wird, dann erwachsen gleichzeitig auch, aus gleichem unterbewußtem Grund, die entsprechenden Versteher. Heute begrüßen so viele Hochbegabte aller Länder das Chaos zusammen mit dem, was diesem zuführt; heute findet der Bolschewismus, trotz aller Tatsachen, allerorts so viel wertvollen Anhang, weil das allgemeine Unbewußte des allzu mechanisierten Lebens, das sich im 19. Jahrhundert auskristallisiert hat, überdrüssig geworden ist, eine ungeheuer starke Libido-Stauung besteht und diese zunächst auf Einreißen der Deiche aus ist. Es ist also, empirisch betrachtet, berechtigt, daß jedes neue Geschlecht einen neuen Stil als Fortschritt empfindet: ein solcher schafft jedesmal Freiheitsmöglichkeit. Aber der Stil an sich, und sei es der spirituellste, tut es doch nicht. Was eigentlich angestrebt wird durch alle Stile hindurch, von denen jeder nur so lange befriedigt als er nicht starr geworden ist, liegt in einer anderen Dimension. Noch einmal: die Stile an sich sind nie mehr als ebensoviel Sprachen. Wohl läßt sich in der einen mehr sagen als in der anderen, wohl besteht, wie ich es in meiner Abhandlung über die begrenzte Zahl bedeutsamer Kulturformen (in Philosophie als Kunst) ausgeführt habe, sogar ein Vorzugsverhältnis der einen vor der anderen, je nach dem Sinn, welchen es auszudrücken gilt, in dem Verstande zwar, daß bestimmte Dinge sich in bestimmter Sprache am besten fassen lassen – vom Geist her beurteilt, sind alle Sprachen grundsätzlich von gleichem Wert. Und dies gilt von allen nur möglichen Verkörperungsmitteln. Es gilt nicht allein von den verschiedenen Kunstrichtungen, Philosophien und Religionen, es gilt auch von den Völkern. Ein Volk als solches ist ebensowenig Träger eines absoluten Werts wie ein gegebener Stil; es bedeutet genau nur so viel, wieviel geistige Werte sich in ihm verkörpern. Letzteres hat nun erfahrungsgemäß bei allen Völkern zu verschiedenen Zeiten in verschiedenem Grade stattgefunden. Biologisch bleiben sich alle durch die Jahrhunderte und Jahrtausende leidlich gleich, aber die Griechen waren nur einige Jahrhunderte lang Schöpfer und Schirmer höchsten Geists, die Italiener bisher zweimal, die Deutschen einmal – dies liegt unter anderem an der prästabilierten Harmonie zwischen Zeitgeist und Völkeranlage, über welches Thema ich mich in meiner Untersuchung über die Symbolik der Geschichte näher verbreiten werde. Aber es liegt nicht daran allein. Es liegt vor allem am Geist, der alle Völker nur zeitweilig überkommt. Oder von der anderen Seite her betrachtet: es liegt an der Sinnes-Tiefe, die ein Volk seiner Gestaltung einzubilden weiß. Auf die Tiefe der Sinneserfassung kommt auch hier, genau wie im Fall der Künste, alles an. Jedes Volk kann groß werden, wenn es Tiefstes zu sagen lernt, was in jeder Sprache möglich ist – ohne Befruchtung durch den Geist sind alle ohne jeden geistigen Wert. Deshalb gibt es nichts Absurderes, als für bestimmte Völker oder bestimmte Rassen das Monopol kultureller Bedeutung zu beanspruchen. Rassen und Völker sind, vom Geiste her besehen, auch nicht mehr als Sprachen. Heute finden wir die Idee eines Religionskrieges allgemach grotesk; bald wird es mit den Nationalitätenkämpfen, hoffentlich, ebenso bestellt sein.

 

Wovon hängt nun der geistige Wert einer Erscheinung ab? – Jetzt können wir zu dieser Frage die angemessene Antwort geben: er hängt von dem Grad ab, in dem der Sinn sich im Ausdruck manifestiert. Ich sprach gerade von den Höhepunkten der Völker: jedes erscheint dann groß und dann allein, wenn sein Körper als Verkörperer eines Geists erscheint, also unmittelbar als Sinnbild wirkt gemäß dem Ergebnis des vorhergehenden Vortrags. Dieses ist seinerseits aber dann allein der Fall, wenn Sinn und Ausdruck sich genau entsprechen, wenn also im Falle eines Volkes ewiger Geist die Eigenart desselben ganz durchdringt. Übernahme und Vertretung fremden, noch so vollkommenen Geistes nützt erfahrungsgemäß nichts Vgl. die Studie Idealismus und nationale Erziehung in Philosophie als Kunst. Hier wären wir denn genau an dem Punkte beim Problem des Sinnes wieder angelangt, an dem wir es das letztemal verließen. Es gilt, so erwies es sich, alle Bilder als Sinnbilder lesen zu lernen. Übersetzen wir diesen Satz nun ins Aktive, so lautet er: es gilt alle bloßen Tatsachen zu Sinnbildern umzuschaffen, sie vom Geist her zu erobern, den an sich erfaßten Sinn vermittelst ihrer entsprechend auszudrücken.

Dieses ist deshalb möglich, weil der Sinn das Primäre ist. Daß er dies ist, beweist abschließend die bloße Tatsache der Sprache. Diese ist, wie wir vorhin sahen, unmittelbarer Sinnesausdruck; sie hätte, so wie sie ist, niemals entstehen können, wenn die Verhältnisse anders lägen, wenn etwa Nachahmung bei etwas Bildung eine erhebliche Rolle spielte; sie ist das bisher genialste Produkt des Menschengeists, weil das Geistige sich in ihr mit der zielsicheren Unbefangenheit der aufblühenden Pflanze äußert. Gleiches beweisen alle Tatsachen, die uns im Lauf der vorhergehenden Beobachtung begegneten: der Weg des Entstehens einer Erfindung, einer Kunstschöpfung, die fortschreitende Durchgeistigung eines Gesichtes. Eben deshalb versteht das Kind den Sinn von Worten in der Regel vor diesen selbst, ist Verstehen bei genügender Intuitionskraft von der genauen Kenntnis der Sprache nahezu unabhängig; Verstehen ist ein a priori deshalb, weil der Sinn dem Ausdruck überall schöpferisch zugrunde liegt. Nur deshalb vermag der Geist die Natur zu verändern; deshalb allein sind Kultur, Kunst, fortschreitendes Leben überhaupt möglich. Alles Leben ist insofern »Expressionismus«, ganz unabhängig davon, ob sich der Mensch darüber klar ist oder nicht. Was immer ein Lionardo, ein Dürer persönlich vertreten haben mögen: der Maler kopiert nicht die Natur, sondern vermittelst deren Material drückt er ein Geistiges aus, sei es den Geist seiner selbst, oder den der Dinge. Was immer über die »Erfahrung« als Quelle aller Erkenntnis theoretisiert werden möge: der Philosoph beseelt selbsttätig durch seine Deutung die Welt. Sogar der Forscher »schreibt der Natur ihre Gesetze vor«, wie schon Kant feststellte, er entnimmt sie ihr nicht. Der Sinn ist eben wirklich überall das Primäre. Alle naturalistische Kunsttheorie führt sich selbst ad absurdum, weil sie diesen Umstand verkennt, aller erkenntnistheoretische Empirismus; und gleiches gilt von aller einseitigen oder einschichtigen Lebensdeutung, weil das Leben nur in seinem geistigen Zentrum zu fassen ist. Deshalb versagt schon alle mechanistische Theorie, die das bloß physische Leben betrifft. Kein Chemisches und Physikalisches im Organismus ist ohne Voraussetzung eines Sinneszusammenhanges zu verstehen, der dessen Ablauf von sich aus regelte; die sogenannte Zweckmäßigkeit der Organisation hat keinen anderen Sinn, wie die Artikulation der Sprache, wie Grammatik und Syntax: nicht die Organe sind das Primäre, sondern ihr Zusammenhang ist es als unmittelbarer Sinnesausdruck. Das Leben physikalisch-chemisch begreifen zu wollen, bedeutet gleiches, wie die Bedeutung eines Satzes aus den Buchstaben als solchen herauslesen zu wollen. Dieser Sachverhalt würde seltener mißverstanden werden, wenn der Begriff »Sinn« nicht gewohnheitsgemäß zu eng gefaßt würde. »Sinn« ist die letzte geistige Verstehensinstanz; hinter der Bedeutung an sich eines Gedankens ist vernünftigerweise nichts mehr zu suchen, weil nichts mehr zu finden – mag die gegebene Bedeutung im übrigen hunderttausend weitere Bedeutungshintergründe haben. Deswegen steht man dem Verständnis nur im Weg, wenn man nach einer Definition des Sinnes sucht: definieren läßt sich nur Vorläufiges oder Äußerliches; die letzte Instanz ist unmöglich weiter zu bestimmen. Gewiß mag man weiter spekulieren, aber davon sehe ich in diesem Zusammenhange grundsätzlich ab, und möchte auch allen andern davon abraten, weil nur Gewisses für die Erkenntnis Bedeutung hat. Der Sinn, den ich meine, läßt sich nur soweit näher, als bisher geschah, bestimmen: es handelt sich weder um logischen noch um ethischen oder besondern ästhetischen Sinn, sondern alle diese »Sinne« sind nur Teilausdrücke dessen, was man Sinn an sich heißen mag; dieses Wort nicht etwa als metaphysische Substanz gemeint, sondern als Gattungsausdruck. Große Musik ist wunderbar sinnvoll, aber weiter erläutern läßt sich ihr Sinn verstandesmäßig nicht. Programmusik bedeutet ein Mißverständnis; wenn Richard Strauß, wie erzählt wird, bei allen Bildern und Eindrücken musikalische Entsprechungen hört, so beruht dies auf einer besonderen, nicht übertragbaren Korrespondenz in seinem Gehirn und Geist, die keinen überpersönlichen Hintergrund hat. Ein rein chromatisches Gebilde kann auf seine Art tief sinnvoll sein – aber in anderer Sprache, als eben der der Farben, ist dieser Sinn nicht zu fassen. So entrinnt schon die Sinngemäßheit der Natur aller Verstandesbestimmung. Sogar wo ein Menschenantlitz sich fortschreitend durchgeistigt, so daß der Stoff immer mehr zum Ausdrucksmittel der Seele wird – sogar hier, wo die eigene Seele am Werk erscheint, vermögen wir dieses Geistige in keine Verstandesformel zu zwängen. Im Logischen drückt sich »Sinn« eben auch nur aus, es fällt mit ihm nicht zusammen. Daß wieder und wieder der Fehler begangen wird, den Sinn der Welt mit der Vernunft zu identifizieren, liegt an der Allgemeinheit der logischen Gesetze, die den Weg aller nur möglichen Sinnesverkörperung abgrenzen. Hier ist das pythagoreische Mißverständnis typisch: Welt-Sinn und Zahl seien eins. Mag nun die Welt noch so rhythmisch geordnet sein Daß sie das ist, weist das dritte Kapitel meines Gefüge der Welt nach., ihr Sinn liegt in einer anderen Dimension; das Logische ist überall das Äußerliche, denn es handelt vom Zusammenhang der Ausdrucksmittel; insofern sind auch die Expressionisten äußerlich, welche im Rhythmus die Geistigkeit der Kunst zu fassen glauben. Was drückt sich vermittelst des Rhythmus aus? so sollte die Frage lauten. Dieses Was ist aber in jedem Fall ein anderes. Mehr noch; es ist in jedem Fall, trotz aller Gattungsverwandtschaft, ein Einziges. Jedes Wesen hat letztlieh seinen eigenen Sinn. Deshalb ist jeder Anthropomorphismus, jedes von sich auf andere Schließen grundsätzlich verfehlt. Deshalb ist es nicht allein praktisch unfruchtbar, sondern auch methodisch falsch, nach einem letzten Ursinn zu suchen. Solchen mag es freilich geben – niemals wird festzustellen sein, wer von den beiden letztlich recht hat, der Alleinsgläubige oder der Monadalog, weil beide in bestimmten Hinsichten recht haben –, da es sich beim Sinn um ein Qualitatives handelt, so versagt ihm gegenüber jeder Zusammenfassungsversuch, als welcher nur bei quantitativen Zusammenhängen dem Verständnis zuführt. Nur soviel sei hier noch gesagt. Beim »Sinn an sich« handelt es sich um das letzte Geistige, das wir zu denken vermögen, jenes letzte, das mit dem Quell des Lebens selbst zusammenfällt, was immer dieser sei; die »Sinne«, die man diesseits seiner feststellen kann, stellen schon Gestaltungen dar, die jener von innen heraus erschuf. Und ferner: was immer der Sinn an sich sei – am Werk betrachtet und beurteilt, stellt er ein ewig Bewegtes, Schaffendes, Wirkendes, eine Dynamis, nichts Statisches dar. Es ist nicht nur wahr, daß der Sinn nur im Ausdruck wirklich wird: er strebt unaufhaltsam nach Ausdruck. Auf der Ebene der Natur tritt dies in der Zweckmäßigkeit aller Gestaltungen zu Tage; von diesen ist jede in ihrer Art so vollkommen, wie nur der größte Künstler sie erschaffen könnte. Auf der des freieren Menschenlebens, ob dieses sich in Kunst oder Gelebtheit darstellt, im unaufhaltsamen Vollendungsstreben, durch alles Mißlingen, alle Mißverständnisse, Fehlgriffe und Irrtümer hindurch. Der strebende Mensch ruht nicht, bevor er nicht alle Begebenheiten zum Schicksal umgeschmiedet, alles zunächst rein Äußerliche zum Ausdrucksmittel des Innerlichen erobert hat, ob in Form unmittelbaren Lebens, Verstehens oder schöpferischer Tat. Dabei fühlt er unweigerlich, daß er seine Bestimmung desto besser erfüllt, je mehr er also strebt. Auf je tiefere geistige Zusammenhänge er sein Äußerliches zurückbezieht, desto befriedigter ist er, desto größer erscheint sein Werk.

 

Jetzt liegt uns ob, zu untersuchen, wie sich Sinn und Ausdruck letztlich zueinander verhalten. – Aus den letzterreichten Bestimmungen ergibt sich zunächst mit abschließender Klarheit, weshalb keine Sprache als solche geistige Werte verkörpert. In jeder Sprache läßt sich Tiefstes sagen. Keine bestimmte Kunstart, Weltanschauung, Religion, als Buchstabe verstanden, darf insofern über die anderen hinaus exaltiert werden. Wenn die eine besser als die andere zum Ausdruck bestimmter Geistigkeit geeignet scheint, so liegt dies an der besonderen Geeignetheit bestimmter Mittel, einen bestimmten Sinn zu fassen. So ist Bronze besser als Marmor für bestimmte bildnerische Ziele zu gebrauchen; so ist das Lateinische, das Griechische, das Sanskrit für liturgische Zwecke geeigneter, als irgendeine moderne Sprache. Aber die Überlegenheit gilt immer nur für das Bereich der Verkörperung, nicht das des Sinnes. Schon die vorhergehende Betrachtung lehrte uns, daß Sagen und Meinen niemals zusammenfallen können (S. 5): die heutige hat insofern nur Bekanntes anschaulicher gemacht. Das Problem muß also anders gestellt werden: wovon hängt Sinnes Verwirklichung, abgesehen von der Geeignetheit des angewandten Sprachmittels, ab? – Zunächst von seiner Ausgedrücktheit an sich. Hier halten wir bei einer Grundeinsicht: Sinn verwirklicht sich auf Erden überhaupt nur dadurch, daß er sich ausdrückt. Es mag sein, daß sehr viele Ausdrucksunfähige Tiefstes ahnen; es scheint Tatsache, daß Vertiefung der Ausdrucksfähigkeit schadet. Den insichgekehrten Geist kennzeichnet im allgemeinen geringes Interesse für die äußere Wirklichkeit; ist eine bestimmte Vertiefungsgrenze überschritten, so schlägt das Reden leicht in Stammeln um. Dies ändert aber nichts daran, daß nur das wirklich Gesagte eine Verwirklichung des Geists bedeutet, durch welchen dieser fortwirken kann; daß nur der angemessene Ausdruck dem »Sinn« einen normalen lebendigen Körper schafft. Der Sinn postuliert, wo er dasein soll, entsprechenden Ausdruck. Praktisch sind Sinn und Ausdruck nicht zu trennen, obgleich sie grundverschiedenen Daseinsebenen angehören. Also deckt sich das Ergebnis der Sinnes-Philosophie insofern mit dem aller Kunstlehre sowohl als aller Ethik, daß letztlich alles auf den Ausdruck ankommt. Nur gibt jene diesen einen geistigen Hintergrund, dessen sie vorher ermangelten.

Vergleichen wir von hier aus noch einmal schnellen Überblicks die chaotische Ausdrucksweise der radikal-expressionistischen Künstlergeneration mit der strengen Form der ostasiatischen, dabei bedenkend, wie instinktiv jeder Kunstsinnige diese höher wertet, so ist der Weg von der Erfahrung zum vollen Verständnis nicht mehr zu verfehlen. Das Geistige, das alle Kunst wie alles Leben zu verwirklichen strebt, ist an sich reiner Sinn, d. h. der geistige Hintergrund der Wirklichkeit. Aber dieser Sinn kann sich nur in dem Fall manifestieren, wenn der Ausdruck dem Sinne ganz gemäß ist. Jedes Individuum ist einzig: hieraus folgt, daß jeder Sinn, um sich in der Erscheinung auszuprägen, ganz bestimmte Ausdrucksmittel erfordert, nicht zwar allgemein, stil- und sprachenmäßig, sondern besonders bestimmte; daher das Ausschlaggebende des individuellen Stils, die Unmöglichkeit, die großen Gedanken eines Autors auch in der gleichen Sprache mit anderen Worten wiederzugeben als eben den seinen. Wo die ihm genau entsprechenden Ausdrucksmittel fehlen, dort ist der Sinn einfach nicht da. Er ist ebensowenig da für unsere Begriffe, wie eine Seele, welcher der Körper fehlt; eine solche kann ins irdische Geschehen nicht eingreifen, es sei denn durch ein anderes Medium. Ganz eingreifen kann sie aber lediglich dann, wenn sie einen vollkommenen Körper trägt. Man mag die Frage auch anders stellen. Warum wirkt alles Naturschaffen vollkommen? Weil hier der Sinn durchaus entsprechend ausgedrückt ist. Jede Pflanze, jedes Tier hat genau die Organe, deren es bedarf, und diese arbeiten durchaus harmonisch zusammen. Je mehr Freiheit nun im Spiel, desto seltener findet sich die erforderliche Kongruenz. Die Menschen können nicht häufig sagen, was sie meinen, tun nur ausnahmsweise das, was sie sollten, erreichen selten das in sich, was dem Streben ihres eigenen Wesens entspricht. Dieses liegt gewiß, der geltenden Überzeugung gemäß, daran, daß sie sich ihres letzten Meinens, Strebens und Wesens nicht bewußt wurden. Der springende Punkt für die Praxis ist aber der, daß das Bewußtwerden von der Realisierung im Ausdruck abhängt. Jenes fällt mit diesem recht eigentlich zusammen. Es ist schlechterdings unmöglich, irgend einen »Sinn«, in welcher Form immer, zu erleben, ohne daß dieser sich eben damit ausdrückte. Der jeweilige Ausdruck mag des Übertragbarkeitswerts entbehren Vgl. die Studie Die begrenzte Zahl bedeutsamer Kulturformen in Philosophie als Kunst. – dies war bei überaus vielen Mystikern der Fall –, demjenigen, der das Erlebnis hatte, bedeutete er trotzdem die erforderliche Sinnesverwirklichung, denn er verstand durch ihn hindurch, was er meinte. Folglich läßt sich praktisch jegliches Verfehlen des Sinns, der instinktiven Künstlerforderung genau gemäß, als mangelhaftes Ausdrucksvermögen deuten: so eng ist das Korrelationsverhältnis zwischen beiden. Folglich kommt jede Verbesserung des Ausdrucks unmittelbar dem Sinn zugute. Im Ausdruck entsteht dieser erst. Indem man überlegt, wie Gemeintes am besten zu sagen sei, wird dieses allererst deutlich. So erschließt Konzentration, welche scheinbar auf Äußerliches geht, in Wahrheit Innerlichstes. Doch unterliegt diese Formel einer wichtigen Einschränkung. Nur das Ausdrucksstreben vertieft, das aus der Tiefe stammt; Virtuosenehrgeiz hat noch keinen tief gemacht. Auch die höchste Ausdrucksbegabung wird geistig bedeutsam dann allein, wenn ein entsprechend tiefer Geist sich ihrer bedient. Man mag sehr wohl sprachbegabt sein und nichts zu sagen haben. Hieraus erklärt sich nun die von aller Erfahrung erwiesene Diskrepanz zwischen technischem und wesentlichem Fortschritt. Weil die geistige Bedeutsamkeit einer Sprache einzig davon abhängt, wer sie spricht, so gibt es wohl Fortschritt auf dem Gebiet der künstlerischen Technik, aber nie der Kunst als solchen; diese ist seit je über tiefe Täler hinweg, von Höhepunkt zu Höhepunkt fortgeschritten, und so muß es immer bleiben. Aus dem gleichen Grunde gibt es wohl Fortschritt auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Erkenntnis, aber nicht der Weisheit. Wissenschaftliche Richtigkeit bedeutet an sich nie mehr wie Korrektheit im Ausdruck, Wissenschaft kann nie mehr geben, als eine Grammatik und Syntax, höchstenfalls eine Ästhetik der Natur; sie gehört unter allen Umständen der Region der Sprache an. Eine Sprache nun bildet sich, nachdem sie in ihrer Grundgestalt geboren wurde, halb mechanisch, durch Summierung kleinster Verbesserungen auf die Dauer zu großer Vollkommenheit aus; dieser Fortschritt aber, so groß er schließlich sei, betrifft an sich nie das, was in und mit ihr gesagt wird. Man wittere hier keinen Widerspruch gegen das vorhin über die Genialität der Sprache Gesagte: freilich bedeutet jeder Begriff ursprünglich eine geniale Tat, aber deren Bedeutung an sich besagt gar nichts über die, welche der Begriff für den ihn jeweilig verwendenden hat. Die Sprache ist für den Sprechenden, es sei denn, dieser sei originaler Sprachschöpfer, nur ein überkommenes Ausdrucksmittel, dessen Eigen-Bedeutung in bezug auf ihn keine Rolle spielt; so braucht der, welcher ein Streichholz richtig entzündet, nicht das mindeste vom Geist des Prometheus in sich zu haben. Immerhin: der technische Fortschritt der Sprache ist auf seiner Ebene ein absoluter zu nennen. Jedes Medium hat seine Gesetze, deren Kenntnis den Beherrschten zum Beherrscher macht; es gibt nicht allein Gesetze der Natur, sondern solche des Denkens, der musikalischen Harmonie und der Farbenzusammenstimmung, des richtigen Wollens und Handelns. Sobald diesen gegenüber gefehlt wird, so entspricht der Sinnesausdruck dem, was man in der Natur ein Krankheitsprodukt, eine Monstrosität heißt. Die Natur eines Menschen mag ihrer Bestimmung unbewußt bleiben: dann lebe sie sich noch so kraftvoll aus – was sie tut, bleibt letztlich sinnlos. Der Mensch mag das, was er meint, nicht ausdrücken können, und er wird, auch wo er Wahrheit meint, Unwahrheit äußern, als Künstler, trotz aller inneren Bilder, stümpern. Hier kann objektiv-wissenschaftliche Sachkenntnis, ohne jede persönliche Sinneserfassung, vor viel Fehlern bewahren; dies ist das Verdienst technischen Fortschritts, und solcher ist, wie gesagt, wo er vorliegt, ein absoluter zu nennen. Aber was bedeutet aller technische Fortschritt in bezug auf möglichen wesentlichen? Nicht daß Sachkenntnis persönliches Verstehen je ersetzen könnte, sondern daß neues tiefereindringendes Verstehen und Schaffen möglich werden auf Grund der Tatsache, daß mehr Wahrheiten selbstverständlich geworden sind und das Bewußtsein nicht mehr zu beschäftigen brauchen. So hängt die geistige Freiheit des Menschen physiologisch davon ab, daß die organischen Prozesse automatisch richtig ablaufen. Die Dimension des geistigen Werts bleibt deshalb von den Errungenschaften technischen Fortschritts grundsätzlich unberührt. Jener hängt immer vom Grade ab, in welchem Sinn sich im Ausdruck realisiert. Da nützt dessen technische Vollendung allein zu nichts. Der Sinn ist ein schlechthin Innerliches, nur von innen her zu Ergreifendes. Nur der Ausdruck, welcher Sinn verkörpert, ist lebendig. Deshalb wird es für immer dabei bleiben, daß die Persönlichkeit allein dem sachlich noch so Guten zur geistigen Bedeutsamkeit verhilft.

 

So gelangen wir denn vom Sinn, und in Wahrheit erst von diesem her, zum wahren Begriff der Meisterschaft. Jeder besondere Sinn erfordert entsprechende Ausdrucksmittel, sonst kann er sich nicht äußern. Warum das überhaupt so ist– darüber nachzudenken ist müßig; die Korrelation von Sinn und Ausdruck ist das geistige Urphänomen. Da gelten nun auf geistigem Gebiet genau so feste Gesetze, wie auf dem der Natur. Deren allgemeinste und äußerlichste umreißen Logik und Mathematik, Grammatik und Syntax, Farben- und Tonharmonielehre. Doch die Gesetzmäßigkeit hört in den tieferen Sinnes-Regionen nicht auf, sie ist nur eine andere. Wo immer Sinn sich verwirklicht, dort gibt es Erscheinung, und alle Erscheinung hängt gesetzmäßig zusammen. Wer den Geist der Natur als Maler darstellen will, muß deren eigenen Sinn verstanden haben und korrelativ dazu die Gesetze der körperlichen Wirklichkeit ganz beherrschen, mag er diese, im übrigen, umbilden, soviel er will. Deshalb verbringen die japanischen Kunstjünger, zum Zweck späterer Emanzipation von der Natur, zunächst Jahre mit sklavischem Kopieren: die Naturnormen müssen ihnen selbstverständliche Ausdrucksmittel geworden sein. Wer als Religiöser malt und des Ausdrucks fähig ist, schafft unwillkürlich besondere Formen, und Formen, die eben dem religiösen Trieb wahrhaftigen Ausdruck verleihen und sich deshalb ähnlich sehen auf der ganzen Welt. Zwar liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete geistigen Schaffens nicht ganz übersichtlich, weil der Mensch nicht allein selbständiges Subjekt, sondern gleichzeitig Interferenzprodukt ist. Er vertritt nicht allein sich selbst, sondern seine Rasse, Kultur, die überkommene Denk- und Formensprache, einen bestimmten Glauben, überlieferte Begriffe, die historische Konjunktur. Jahrhunderte haben, so in der Antike und im Mittelalter, immer gleiche, sich nie verändernde vorgegebene Themen bearbeitet, und handelt es sich hier auch vielfach um Ursymbole, die jeden persönlich angehen, so bleibt das Nicht-Individuelle ihres Charakters doch bestehen. Alle Deutschen, alle Franzosen denken und fühlen als solche auf bestimmte Weise, unabhängig von ihrer Eigenart. Der philosophierende Westen bedient sich seit Kant unwillkürlich dessen Begriffssprache, gleichwie er bis zur Aufklärung von Aristoteles innerlich abhängig war. Die gleiche historische Bindung ist im Osten noch ungleich stärker. Aber all dieses Überkommene, was das Individuum jeweilig übernehmen muß, hat seinerseits seine besondere Grammatik; wer diese ganz beherrscht, der mag durch noch so viel Fremdes hindurch doch sich selber ausdrücken. Nur muß er die Grammatik eben beherrschen. Jetzt sind wir endlich soweit, den vollen Sinn der historischen Eingangsbetrachtung zu erschöpfen und gleichzeitig einzusehen, inwiefern es auf die Sprache im tieferen Verstand beim Ausdruck im höchsten Grade ankommt. Wohl sind alle Stile grundsätzlich gleichwertig; d. h. genügend große Begabung vermag in der Sprache jedes Höchstes auszusprechen. Aber der Ausdruck wird ein mehr oder minder eigentlicher sein, je nachdem, ob der Sinnes-Zusammenhang, den das Ausdrucksmittel als solches darstellt, mit dem auszudrückenden harmoniert. Die schroffe Scheidung zwischen Sinn und Sprache, welche wir während dieser Betrachtung der Klarheit halber durchführten, hält nämlich bis zuletzt nicht Stich. Es stellt nämlich jeder Lebensausdruck schon an sich einen Sinneszusammenhang dar, auch wo er, vom Standpunkt des jeweiligen Lebens, ein Äußerliches und Totes bedeutet. In jedem Worte steckt an sich schon Sinn, in jedem Organ, jedem Werkzeug, jeder Institution. Deshalb gilt es, beim richtigen Sagen eines Gemeinten, nicht eigentlich Geistiges unmittelbar zu materialisieren, sondern zwischen jenem und den Eigen-Sinnen der Ausdrucksmittel eine notwendige organische Beziehung herzustellen. Tiefstes läßt sich in jeder Sprache sagen, weil alle Obertöne auf die Grundtöne zurückweisen, aber in jedem Fall muß es doch anders gesagt werden, um zwischen dem Geist der Sprache und dem persönlichen Sinn die erforderliche harmonische Verknüpfung herzustellen. Aus dem gleichen Gedankengang ergibt sich die letzte Bedeutung des Vorzugs des wissenschaftlichen Ausdrucks vor dem mythologischen, hieraus die Möglichkeit eines geforderten Erkenntnisfortschritts: sachliche Wahrheit drückt Sinn entsprechender aus, als Lüge und Irrtum (vgl. S. 27). Aus der gleichen Erwägung ergibt sich nun auch, inwiefern expressionistische Kunst naturalistischer und idealistischer grundsätzlich überlegen ist: da die Fragestellung bei der Ausdrucksgestaltung in jenem Fall die sinngemäßeste ist, so ergibt sich hier allein grundsätzliche Übereinstimmung zwischen dem Sinn des gemeinten und dem der Ausdrucksmittel, weshalb die größte Kunst aller Länder und Zeiten auch dem Stil nach expressionistisch ist – wenn auch die größten Talente möglicherweise im Rahmen anderer Stilgattungen anzutreffen waren. Es gilt eben, alle Sonder-Sinne auf einen Nenner zu bringen, denjenigen des letzten Sinns: dies wäre die letzte Fassung des notwendigen Verhältnisses von Sinn und Ausdruck. Nun aber erweist es sich endgültig, inwiefern Kunst und Leben vollkommen gleichen Sinnes sind. Sagt man im Leben: werde, was du bist, so bedeutet dieses offenbar das gleiche, wie wenn man vom Künstler, vom Philosophen fordert: bringe das, was du meinst, vollkommen zum Ausdruck. Was will dies aber anderes besagen, als daß Ästhetik nur auf der Basis vorausgesetzter Ethik vollkommen sinnvoll ist? Sich entsprechend auszudrücken in der Kunst, bedeutet genau das gleiche, wie im Leben richtig handeln. Auch hier treibt jeden Strebenden ein Gefühl des Sollens, denn ein Sinn ist nur da, sofern er verstanden und verwirklicht wird; das Leben bekommt Sinn dann allein, wenn seine empirischen Prozesse dem Menschen nicht letzte Instanzen bedeuten, sondern zu Ausdrucksmitteln eines Höheren werden. Denken wir jetzt, zum Schluß, an das letzte Ergebnis der vorhergehenden Betrachtung zurück. Unser westlicher Denkkörper, so erwies es sich, ist recht eigentlich der prädestinierte Leib der östlichen Sinneserfassungstiefe. Das seither Erkannte führt zu einer neuen Formulierung der gleichen Wahrheit, die sie auf ein noch tieferes Sinneszentrum zurückbezieht. Ost und West verhalten sich tatsächlich nicht anders zueinander, wie Sinn und Ausdruck. Aber da jener erst in diesem wirklich wird, so kann erst die Vervollkommnung der Ausdrucksmittel, die unsere Wissenschaft und Technik erzielen, dem Sinn, welchen der Osten meint, zur wahren Wirklich- und Wirksamkeit verhelfen. Mehr noch: die Vervollkommnung des Ausdrucks als solche, in richtiger Gesinnung gehandhabt, mag noch Sinnes-Tiefen erschließen, welche jener nie geahnt. Dies setzt nur zweierlei voraus: daß die Menschheit endgültig die äußerliche Sphäre, in der aller wissenschaftliche und technische Fortschritt sich bewegt, als Ausdrucks mittel, nicht als Selbstzweck, zu beurteilen und zu behandeln lernt. Daß sie aber gleichzeitig das Mittel als solches immer besser ausbildet. Sie muß eine neue Ebene der Sinneserfassung ersteigen, eine Ebene, welche zusammenzuschauen gestattet, wessen Zusammenhang von unten her nicht zu übersehen war. Auf den Sinn kommt alles letztlich an. Alles kann sinnvoll sein, nichts braucht es. Der Buchstabe als solcher tut es nicht, sondern allein der Geist. Allein dieser muß – und dieses weiß der ganze Osten nicht, wußte auch unsere Kultur bisher insofern nicht, als sie vielfach als Geist beurteilte, was nur Buchstabe ist – seinen genau entsprechenden Buchstabenausdruck gefunden haben, um hinieden zu wirken.


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